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Die ambivalente Haltung des Operaismus gegenüber der bürgerlichen Linken
Dem Operaismus ist es nie gelungen, seine eigene Herkunft kritisch und vollständig aufzuarbeiten. Um dazu in der Lage zu sein, hätte es der Bereitschaft zur konsequenten politischen Auseinandersetzung mit der Linken des Kapitals bedurft. Schließlich stammte ein Großteil der Begründer des Operaismus aus der italienischen KP, dem PCI, und aus der Sozialistischen Partei Italiens (PSI). Auch gab es viele Berührungspunkte mit den etablierten Gewerkschaften. Doch der Operaismus ist, wie wir bereits eingangs erwähnt haben, ein gebranntes Kind des stalinistischen und sozialdemokratischen Umgangs mit politischen Fragen. Seine Begründer sind mit der Erfahrung groß geworden, dass Politik nichts anders als eine Metapher für Macht ist, und zwar für die Macht der Parteien über die Arbeiterklasse. Diese Erfahrung war ein nicht unwesentlicher Grund für die Unverbindlichkeit des Operaismus in politischen Fragen, für sein Zurückschrecken vor der letzten Konsequenz.
Wir wollen nicht leugnen, dass es in den operaistischen Strömungen in Italien durchaus Bemühungen um eine Klärung ihrer Haltung zu Gewerkschaften und zu den linksbürgerlichen Parteien gab. Jedoch blieben diese Klärungsbemühungen zumeist auf halbem Wege stehen, beschränkten sich auf Oberflächlichkeiten und widersprachen einander. Ein paar Beispiele: Raniero Panzieri, einer der Mitbegründer des Operaismus Anfang der sechziger Jahre, diagnostizierte zwar eine „Krise der Organisationen“, der Parteien und der Gewerkschaften, deren Ursache er in der Trennung zwischen Parteipolitik und Arbeiterkampf lokalisierte. Dennoch gab er seine Hoffnung auf eine Kehrtwende in den Gewerkschaften nie auf. Auch Romano Alquati und die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift Quaderni Rossi äußerten nur moderate Kritik an den Gewerkschaften. Zwar konstatierten sie eine wachsende Ablehnung der Gewerkschaften durch die Klasse, insbesondere durch die sog. Massenarbeiter, doch erblickten sie die Ursache hierfür nicht in der Funktionsweise der Gewerkschaften, sondern in der Spaltungspolitik von PCI und PSI.
Etwas weiter in der Kritik an den Gewerkschaften ging Classe Operaia, die von einer veränderten Funktion der Gewerkschaften infolge der „Entstehung des gesellschaftlichen Kapitals“ sprach. Die Gewerkschaft sei zur „Mitspielerin der demokratischen Struktur der Gesellschaft“ und zu einer „immer organischeren Funktion des Plans des Kapitals“ geworden. Und die Gewerkschaftsfunktionäre seien mittlerweile genauso verhasst unter den Arbeitern wie Vorarbeiter, Werkschutz, etc. Nichtsdestotrotz vermeinte Classe Operaia immer noch die Existenz eines „gewerkschaftlichen Lebens innerhalb der Arbeiterklasse“ auszumachen und hielt es daher weiterhin für taktisch notwendig, Gebrauch von den eben noch denunzierten Gewerkschaften zu machen. Mario Tronti, Mitherausgeber von Classe Operaia, liebäugelte mit Lenins Haltung in der Gewerkschaftsfrage und favorisierte die Idee, „die Gewerkschaften über einen Transmissionsriemen an die Partei zu binden“; und in einem Editorial in Classe Operaia vom Juni 1964 wurde es gar für möglich gehalten, dass die künftigen neuen Organisationsformen des Klassenkampfs die... alten sein können, d.h. die „traditionellen Parteien“ und die Gewerkschaften.
Kurzum, die Haltung eines großen Teils des italienischen Operaismus der sechziger Jahre gegenüber den Linken und den Gewerkschaften war in gewissem Sinne eine Vorwegnahme der Politik der linksextremistischen Gruppen in den darauffolgenden Jahrzehnten: einerseits oberflächliche und unvollständige Kritik an diesen Säulen der kapitalistischen Herrschaft, andererseits Taktiererei, Opportunismus und Rückzug, wenn es um die Konsequenzen aus der Kritik ging.
Etwas anders verhielt es sich mit Potere Operaio veneto-emiliano (POv-e), einer von Negri u.a. 1966 gegründeten Gruppe und Zeitschrift. Sie brach mit den KPs und begründete dies mit der Rolle der französischen KP im Mai 68, als diese die Bewegung der französischen Arbeiter kanalisiert und provoziert habe. Dabei verstieg sich POv-e zu dem Urteil, dass 1968 für die KPs die gleiche Bedeutung gehabt habe wie das Jahr 1914 für die II. Internationale – dabei völlig verkennend, dass der Verrat durch die stalinistischen KPs 1968 bereits ziemlich genau vier Jahrzehnte alt war und dass diese Parteien seither alteingesessene bürgerliche Organisationen sind.
Was ihre Gewerkschaftskritik anbetrifft, so erwies sich POv-e als weitaus konsequenter als das restliche operaistische Milieu. Nachdem sie anfangs trotz ihrer Attacken gegen die Gewerkschaftsführung immer noch der Überzeugung gewesen war, dass die Arbeiterklasse die Gewerkschaften beeinflussen konnte, änderte sie in Folge des Streiks in der petrochemischen Industrie Italiens 1967 ihre Haltung. Nun hatte sich für POv-e „die Frage des ‚Gebrauchs‘ der Gewerkschaft ein für allemal erledigt“. Es sei in diesem Zusammenhang „Unsinn, von Verrat zu reden“, seien die Gewerkschaften doch zu Instrumenten des Kapitals geworden. Als nach 1970 sog. Delegiertenräte in der italienischen Industrie aufkamen, stießen diese Basisorgane, die von militanten Arbeitern gebildet worden waren und einen nicht unbeträchtlichen Zulauf hatten, unter den Operaisten mehrheitlich auf Ablehnung. An ihrer Spitze stand die POv-e, die befürchtete, dass die Gewerkschaften mittels dieser Delegiertenräte ihren verlorengegangenen Einfluss in der Klasse wieder wettmachten. Doch ungeachtet dessen entschieden sich etliche ihrer Mitglieder für eine Mitarbeit in den Delegiertenräten.
Hier rächte sich die ambivalente, unentschiedene Haltung des Operaismus in seiner Gesamtheit gegenüber der Frage der Gewerkschaft als solche. Bei aller Kritik an den bestehenden Gewerkschaften wie auch an den linksbürgerlichen Parteien unterließen die verschiedenen operaistischen Strömungen eine wirklich grundsätzliche und historische Analyse dieser Institutionen. Sie kritisierten die jeweilige Politik und Ideologie der Partei- und Gewerkschaftsführungen, näherten sich mithin dem Problem von empirischer Seite. Doch sie versäumten es, die Gründe für das „Versagen“ und die „Fehler“ dieser Institutionen in den materiellen Bedingungen eines Kapitalismus zu suchen, dessen historische Krise die Existenz permanenter und reeller Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse außerhalb revolutionärer Perioden verbietet und in dem solch traditionellen Arbeiterorganisationen wie die Gewerkschaften und die klassischen Arbeiterparteien nur überlebt haben, weil sie bereits vor langer Zeit in eine neue Rolle geschlüpft waren – in die Rolle von Sachwaltern des staatskapitalistischen Regimes im dekadenten Kapitalismus. Statt für Klarheit unter ihren eigenen Mitgliedern und in der restlichen Klasse zu sorgen, schufen die Operaisten Grauzonen, in denen die basisgewerkschaftliche Idee überlebte und in Gestalt sog. Fabrikkomitees, Fabrikaktivisten u.ä. neue Blüten schlug.
Der Operaismus – Versuch eines Resumees
Was ist der Operaismus? Worin besteht seine Eigenart? Worin besteht seine Attraktivität, die er zweifellos auf Teile unserer Klasse ausübte und ausübt?
Zum einen ist es - neben einer gewissen Beliebigkeit in theoretischen, grundsätzlichen Fragen – vor allem die voluntaristische Haltung des Operaismus, die ihn in Zeiten eines gedämpften Klassenkampfes gerade unter den jungen Arbeitermilitanten so anziehend macht. Seine Hauptkritik am Marxismus gipfelt in dem Vorwurf, der Marxismus sei „deterministisch“; er lege vorrangigen Wert auf die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und vernachlässige dabei die Rolle der Arbeiterklasse. Ja, manche operaistische Ideologen (s. Castoriadis 1994) sprachen den ökonomischen Theorien des Marxismus jegliche Gültigkeit ab, da sie die „Selbsttätigkeit“ der Klasse, sprich: den Klassenkampf außer Acht ließen.
Der Anspruch des Operaismus war es dagegen, das Verhältnis zwischen den objektiven und subjektiven Faktoren in der Dynamik des Kapitalismus zugunsten Letzterer umzukehren – das bereits eingangs dieser Artikelreihe erwähnte „Primat des Klassenkampfes“. Nicht die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten beherrschen die Dynamik des Kapitalismus, sondern der Klassenkampf. Für den Operaismus reduzierte sich alles im Leben des Kapitalismus auf die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit um die Höhe der Ausbeutungsrate.
Abgesehen von der grotesken Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital, die ihn zu der gewagten Behauptung verleitete, die Arbeiterklasse würde auch außerhalb der revolutionären Periode das Heft des Handels in der Hand halten – abgesehen davon, beging der Operaismus genau jenen Fehler, den er dem Marxismus vorwarf – nur in einer umgekehrten Version. Bezichtigte er den Marxismus der Missachtung der Selbsttätigkeit der Klasse, so leugnete der klassische Operaismus – wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen - die objektive, historische Krise des Kapitalismus. Als Kind der sog. Wirtschaftswunderjahre betrachtete er den „Neokapitalismus“ der 50er und 60er Jahre als ein System, das seine ökonomischen „Kinderkrankheiten“ überwunden hat und das allein von der „Selbsttätigkeit“ der Massen sabotiert werden kann.
Selbst als die Weltwirtschaftskrise im Verlauf der 70er Jahre immer unübersehbarer wurde, sahen die operaistischen Denkschulen keinen Anlass, ihre Scheuklappen gegenüber den objektiven, systemimmanenten Ursachen der Schwächeerscheinungen des Kapitalismus abzulegen. Im Gegenteil, getreu ihrem Motto, dass alles nur eine Frage des Klassenkampfes sei, bogen sie sich die Wirklichkeit zurecht. Entweder vermeinten sie hinter den Krisenerscheinungen „geplante Rezessionen“ zu erblicken, mit denen das Kapital den Widerstand der Arbeiter zu brechen beabsichtige. Oder sie glaubten in den Arbeiterkämpfen selbst die Auslöser der Krise zu lokalisieren: Demzufolge machte es der Widerstand der ArbeiterInnen den Kapitalisten unmöglich, dem tendenziellen Fall der Profitrate durch die Ausweitung der Arbeitszeit und/oder durch die Steigerung der Arbeitsintensität entgegenzuwirken, und bewirkte letztendlich eine „Profitkrise“ des Kapitals.
Zum anderen erklärt sich die Popularität, die der Operaismus in Teilen der Arbeiterklasse durchaus genoss (und heute noch genießt), aus seiner Eigenart, die ArbeiterInnen in ihrer politischen Unschuld zu lassen. Diese Eigenart kam sicherlich dem Umstand entgegen, dass die Arbeiterklasse besonders im Europa der Nachkriegsjahre und des Kalten Krieges durch die Politik ihrer angeblichen Arbeiterparteien schwer traumatisiert war; Politik war in weiten Teilen der Klasse zu einem anderen Wort für „schmutziges Geschäft“ geworden. So beschränkte sich der klassische Operaismus in seinen Schriften vorwiegend auf Analysen rund um die kapitalistische Produktion, auf Interviews mit betroffenen ArbeiterInnen, auf das Austüfteln von Strategien für die „Selbsttätigkeit“ der ArbeiterInnen an ihren Arbeitsplätzen.
Die Tabuisierung des Politischen im Operaismus führte dazu, dass in den vielen, wortreichen Beiträgen dieser Strömung ein Begriff so gut wie gar nicht vorkommt – das Wort „Kommunismus“. Nirgendwo, weder in Classe Operaia noch Quaderni Rossi oder in irgendeinem anderen Organ der zahlreichen operaistischen Strömungen wird der Kommunismus thematisiert – weder als Bewegung noch als Ziel. Kein Wort über die Russische Revolution oder über die Gründe ihrer Niederlage, keine Silbe über eine gesellschaftliche Alternative zum heutigen Kapitalismus – der Operaismus, der sich sonst äußerst eloquent über Ausbeutungsmechanismen, Arbeitsabläufe, Klassenzusammensetzungen u.ä. auslassen kann, wirkt seltsam wortkarg, wenn es um die politischen Konsequenzen des täglichen Kampfes der Arbeiterklasse geht – der revolutionäre Kampf um die politische Machteroberung und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft.
Fassen wir zusammen: Indem der Operaismus einerseits die historische Krise des Kapitalismus und ihre objektiven Ursachen – die relative Sättigung des Weltmarktes – nicht anerkennt und andererseits das historische Ziel des Proletariats, den Kommunismus, völlig missachtet, entpuppt er sich nicht nur als voluntaristisch, sondern offenbart darüber hinaus in seinem ziellosen Aktivismus eine gewisse Nähe zum Bernsteinschen Motto: „Das Ziel ist mir nichts, die Bewegung alles“. Ohne wirkliches Ziel vor Augen wird der Kampf selbst zum eigentlichen Inhalt, zum Selbstzweck, der alle Mittel heiligt. Ob Absentismus, Sabotage, kollektiver Kaufhausdiebstahl, Schwarzfahren, Bummelstreiks – alles was dem Kapital schadet, ist dem Operaismus recht und billig.
Wir dagegen denken, dass es den Revolutionären nicht darum gehen kann, den einzelnen Kapitalisten wehzutun, sondern vielmehr darum, das kapitalistische Gesellschaftssystem zu stürzen. Und dazu bedarf es mehr als einiger Guerillaaktionen. Dazu bedarf es der bewussten „Selbsttätigkeit“ der gesamten Klasse. Mehr noch. Ein solch revolutionärer Ansturm erfordert eine Klasse, die sich der politischen Dimension ihres Kampfes bewusst ist. Sie muss sich bewusst werden, wofür sie kämpft, und nicht nur, wogegen. Sie muss raus aus der Defensive des ökonomischen Verteilungskampfes und rein in die Offensive des politischen Kampfes für eine Ablösung des kapitalistischen Klassengesellschaft durch den klassenlosen Kommunismus.
Gerade weil es hierin noch gewaltig in unserer Klasse mangelt, ist es um so dringlicher, dass die Revolutionäre ihrer Verantwortung gerecht werden. Und die besteht nicht darin, unsere Klassenbrüder und –schwestern ihrem „ökonomistischen“ Bewusstsein zu überlassen, wie es der Operaismus tut. Unsere Pflicht als Avantgarde der Arbeiterklasse ist es stattdessen, die Politisierung des Klassenbewusstsein mit all unseren bescheidenen Mitteln voranzutreiben.