Hinter der Finanzkrise: Rezession, Inflation, Verarmung

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Die IKS hat vor kurzem in Köln eine Diskussionsveranstaltung zur jüngsten Finanzkrise und ihren Konsequenzen für die Arbeiterklasse abgehalten. Wir veröffentlichen nachfolgend die wesentlichen Aussagen unserer Einleitung zur Diskussion. In den letzten Monaten ist es zu einer rasanten Beschleunigung der Krise gekommen. An vorderster Stelle steht die Finanzkrise, welche unmittelbar ausgelöst wurde durch Zusammenbruchstendenzen des Immobilienmarktes in den USA. Schätzungen zufolge wurden allein 2007 in den USA 1.35 Millionen Häuser zwangsvollstreckt, weitere 1.44 Millionen stehen 2008 an. Mehr als zwei Millionen Amerikaner verlieren derzeit ihre Häuser, werden aus ihren Wohnungen geschmissen, müssen somit billigere Wohnungen suchen oder werden im schlimmsten Fall gar obdachlos. Die Immobilienkrise, welche die Erschütterungen im Finanzwesen auslöste, brachte an den Tag, dass der Großteil der Hypotheken im Bausektor auf „faulen“ Krediten fußte. Fast 500 Milliarden Dollar an Hypotheken gelten als faul (subprime) d.h. es gab keine wirklichen Absicherungen durch tatsächlich vorhandene Werte in Form von Gebäuden oder greifbarem Kapital,  sondern die ‚Sicherheiten’ waren meist nur  Schuldscheine. Im Sog dieses Strudels sind schon mehr als einhundert Hypothekenbanken in den USA pleite gegangen. Hedge-Fonds und Anlagefonds müssen reihenweise geschlossen werden. Der Kreis der Banken, die vom Abwärtssog erfasst werden, wird immer größer. Vor allem immer mehr Großbanken stecken tief im Schlamassel. Die amerikanische Citygroup (in den USA die Nr 1, weltweit die Nr. 3) muss Wertverluste von zweistelligen Mrd. Euro ankündigen,  2007 verlor ihr Aktienkurs fast die Hälfte seines Wertes. Merrill Lynch, ebenso eine US-Großbank, büßte ebenfalls mehrere Mrd. Euro ein. Diese strauchelnden Banken mussten sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus China und von arabischen Banken und Staaten helfen lassen. Zunehmend geraten auch Kreditkartenanbieter in Schwierigkeiten. American Express beklagt massive Zahlungsausfälle. In Großbritannien kam es seit 1866 zum ersten Mal zu einem regelrechten Run auf eine Bank - Northern Rock. Diverse Rettungsaktionen dieser Bank sind fehlgeschlagen; sie wird wahrscheinlich vom Staat übernommen werden. In Deutschland wurden diverse Landesbanken von den Erschütterungen erfasst: die sächsische Landesbank stand vor dem Bankrott, die deutsche IKB saß plötzlich auf Milliarden fauler Kredite. Auch hier konnten diese Banken nur dank staatlich gesteuerter und größtenteils auch staatlich finanzierter Rettungspakete vor der Schließung bewahrt werden. Das Vermögen der schweizer Großbank USB schrumpft nahezu um ein Drittel. Das Ausmaß der bisher geschnürten Rettungspakete übertrifft alles bisher da gewesene. Niemand hat einen Überblick, aber mehrfach wurden von der US-Bundesbank, von der EZB, von japanischen und anderen Notenbanken und in konzertierter Aktion mit anderen Banken Rettungspakete geschnürt, deren weltweiter Umfang mehrere Hundert Mrd. Euro umfasst (allein im Herbst stellte die US-amerikanische FED 105 Mrd. $, die EZB 263 Mrd. Euro zur Verfügung). Allein diese Reaktion der Bundesbanken, wie wild Geld zu drucken, um die Gefahr der ‚Austrocknung‘ des Kreditmarktes entgegenzusteuern, facht schon merklich die Inflation an. Hinzu kommt ein weiterhin schwacher Dollarkurs, der das Vertrauen in die US-Währung weiter untergräbt. Infolge dieser Entwicklung ist der Goldpreis (gegenwärtig 900$ pro Feinunze) auf sein höchstes Niveau seit 1974 gestiegen.  

`Flurbereinigung` oder Zuspitzung der Krise?

Kann man die jetzige Beschleunigung der Krise als nur eine „Flurbereinigung“, eine „Wertberichtigung“ ansehen oder was kündigt sie an?  Während der vergangenen 25 Jahre kam es zu mehreren großen Finanzbeben: 1982: Schuldenkrise in Mexiko und Lateinamerika1987: New Yorker Börse 1992/93: Krise des Europäischen Währungssystems1994/95: Neue Mexikokrise1997/98: Asienkrise1998: Russlandkrise1998/99: Brasilienkrise2000/01 Türkeikrise2001-: Argentinienkrise2002: neue BrasilienkriseEnde der 1990er Jahre platzte die Blase der New Economy. Nach allen vorherigen Erschütterungen ist es offensichtlich, dass die jüngste Krise eine neue gravierende Stufe darstellt, welches dieses Mal die größte Wirtschaftsmacht der Erde, die USA voll trifft. Während die Finanzkrisen früher meist auf einige wenige Länder oder Bereiche begrenzt werden konnten, wird jetzt neben den USA auch Europa erfasst. Diese Krise ist also geographisch viel breiter und schwererwiegend. Allein deshalb können wir schon von einem qualitativ neuen Schritt reden. Dieser wird aber auch daran ersichtlich, dass im Gegensatz zu früher, als die Erschütterungen meist nur einige Wochen, vielleicht Monate dauerten, dieses Beben noch länger anhalten wird und das Ende noch nicht absehbar ist. Zuvor ließen sich durch Rettungspakete hier oder da die gebrochenen Dämme wieder reparieren, dagegen sieht die Situation jetzt viel gefährlicher aus, denn, auch nachdem sehr viele staatliche Maßnahmen ergriffen wurden, haben diese den Abwärtstrend nicht aufhalten können. Es gibt die Gefahr des Kontrollverlustes,  nicht nur weil die Zentren des Finanzkapitals in den USA und Europa in den Sog geraten sind, sondern auch aufgrund des Umfangs der aufgestauten Widersprüche, wo sich nun ein viel explosiveres Gemisch zusammengebraut hat als bei früheren Erschütterungen. In den letzten Jahren hat sich im Finanzbereich ein krebsartiges Geschwulst entwickelt, das völlig undurchsichtig und absolut unübersichtlich geworden ist. „Bis 1970 hatten 80% des Finanztransfers etwas mit dem Handel von Waren oder Dienstleistungen zu tun. Mitte der 1970er Jahre war das Verhältnis schon umgekehrt, nur 20% der Finanztransfers bezogen sich auf Warenproduktion oder Warenzirkulation. Ende der 1990er Jahre war dieser Prozentsatz auf nahezu 1% geschrumpft. In der Zeit von 1985-2000 stieg die US-Warenproduktion lediglich 50%, aber die Menge des in Umlauf befindlichen Geldes stieg um das Dreifache. Die Geldmenge ist sechsmal schneller gewachsen als die Produktionszunahme. 1997 – vor dem damaligen Aktienverfall – umfassten die globalen Finanztransfers 600 Billionen $, aber die Güterproduktion machte nur 1% aus“ (Financial Reckoning Day, Wiggin/Bonner, The soft depression of the 21st century, www.dailyreckoning.com). So sind eigentlich nur auf Papier bestehende Finanzimperien entstanden, in deren Mitte Hedge Funds, Equity Funds stehen. Sie haben zum Entstehen  einer riesigen Spekulationsblase beigetragen, die jetzt dabei ist, ihre Luft abzulassen.  Banken haben sich in Projekte gestürzt, deren Finanzierung völlig ungewiss und total risikobehaftet ist. Das deutlichste Beispiel ist die Vorgehensweise am US-Immobilienmarkt:  Auf der verzweifelten Suche nach Absatzmärkten für Immobilien lockten US-Hypothekenbanken unzählige Käufer, die eigentlich über gar kein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung von Immobilien verfügen. So sind vielen Geringverdienern Kaufverträge für Immobilien aufgeschwätzt worden, die eine Anfangszinsbelastung von beispielsweise 300 $ im Monat ausmachten. Nach 1-2 Jahren verdoppelt oder verdreifacht sich diese jedoch, um somit zum Beispiel auf 900$ pro Monat zu klettern. Konsequenz: Millionen Immobilienerwerber können die Raten nicht mehr bezahlen. Hier liegt ein Schlüssel für die Erklärung des großen Baubooms in den USA während der letzten Jahre – ein auf Pump, auf ‚faulen Krediten’ (subprime =’minderwertig’) basierendes Wachstum, das jetzt zusammengebrochen ist. Die Käufer können nicht nur ihre Zinsen nicht mehr zahlen, sie müssen ihre Immobilien verkaufen, der Wert des Hauses sinkt. Durch die Zwangsversteigerungen  sind sie dann zwar ihr Haus oder ihre Wohnung los, nicht jedoch ihre Schulden. Zudem sind die Realeinkommen der Beschäftigten gesunken, was ihre Zahlungsfähigkeit drastisch untergräbt. Diese Tatsache des Reallohnverlustes der arbeitenden Bevölkerung, welche lange Zeit von den Herrschenden bestritten wurde, muss jetzt in Anbetracht der Zahlungsunfähigkeit dieser Kreditnehmer auch von der Obrigkeit eingestanden werden.

Nachdem nun für zahlreiche Immobilienbesitzer damit Obdachlosigkeit zu einer realen Bedrohung wird, schliddern die Banken selbst in große Liquiditätsnöte.  Denn die angeblichen Garantien der Banken werden pulversiert. Während jeder kleine Kreditnehmer in Deutschland durch die Schufa durchleuchtet wird, bevor ihm auch nur ein geringfügiger Kredit eingeräumt wird, sieht es bei den Banken offensichtlich anders aus. Eine Unmenge von Banken hat sich ganz waghalsig an diesen Geschäften mit faulen Krediten beteiligt, versucht diese aber zu verbergen. Eine Bank nach der anderen muss eingestehen doch mehr verwickelt zu sein als bisher zugegeben. Ob Citibank, Merrill Lynch, Hypo-Estate, IKB, Sächsische Landesbank usw. – die Bankenwelt sitzt auf „faulen Krediten“. Konsequenz: keine Bank traut der anderen mehr. Sie weigern sich, anderen Banken neue Kredite zu gewähren; ein riesiger Liquiditätsnotstand hat sich breit gemacht. Die EZB sah sich gezwungen, um Kettenreaktionen auszuschließen,  zur Jahreswende 2007/08 den Kapitalmarkt mit einem Betrag von 350 Mrd. Euro zu versorgen. Das ist die größte Geldspritze in der Geschichte der EZB. Theoretisch soll dieses Geld wieder an den Kreditgeber EZB zurückfließen, aber in der Praxis werden solche Kredite immer wieder refinanziert, so dass  das Geld in Umlauf bleibt.  Wenn ein Banker dem anderen nicht mehr traut, weil jeder dem anderen etwas vorlügt und das wahre Ausmaß der jeweiligen „Abschreibungen“ verschweigt, ruft diese eine tiefe Krise, ja die Gefahr der Lähmung hervor.

 

Konsequenzen: Es drohen Inflation, Rezession, Verarmung

All dies sind nicht nur Beben in der Finanzwelt, sondern sie sind längst übergeschwappt in die ‚reale‘ Wirtschaft. Schrumpfende Kaufkraft der US-Konsumenten haben die Wachstumsprognosen der USA stark gedämpft. Da die USA der größte Einzelabnehmer der chinesischen Exporte sind, sind die Tage gezählt bis die chinesischen Exporte von dem Schrumpfungsprozess erfasst werden. Die jüngste Krise hat notwendigerweise schwerwiegende Auswirkungen auf Asien bzw. überhaupt den Rest der Welt. Jetzt schon sind 2 Millionen US-Amerikaner dabei, ihre Wohnung zu verlieren. Hunderttausende verlieren ihre Jobs im Bausektor, Hunderttausende illegale Einwanderer, die sich  als Billiglöhner u.a. im Bausektor verdingt haben, werden vielleicht gezwungen sein nach Lateinamerika oder wo sie sonst noch herkommen, zurückzukehren. Allerdings ist bislang das ganze Ausmaß dieser weltweiten Konsequenzen noch nicht zu erfassen, da wir erst am Anfang dieses Abstiegs stehen. Man muss davon ausgehen, dass die Konsequenzen in der ganzen Weltwirtschaft zu spüren sein werden. Und keine andere Wirtschaft -  weder für sich allein genommen noch mit anderen zusammen- wird die Rolle der USA übernehmen können. China, Indien, Russland usw. werden die Pumpwirtschaft der USA nicht ersetzen können. Jetzt schon werden überall die Wachstumsprognosen massiv nach unten korrigiert. Eine weitere Konsequenz ist das Ansteigen der Inflation. Die Notenpresse wird angekurbelt, um die riesigen Geldmengen für Rettungspakete für vor dem Bankrott stehende Banken aufzubringen – was der Geldentwertung Vorschub leistet. Aber auch aufgrund einer Vielzahl anderer Faktoren sind die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel und Energie explodiert. Ob Butter oder Milch, ob Weizen oder Mais oder  Erdöl – die Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel und Energie liegen weit im zweistelligen Bereich. Mit dem Anziehen der Inflation und gleichzeitiger rückläufiger Produktion zieht die Gefahr einer Stagflation auf, d.h. Rezession bei gleichzeitiger Inflation. Wie schnell sich diese ausbreiten wird, kann niemand vorhersagen. Jedenfalls sind die Widersprüche derart gewachsen, dass die zu erwartende Verschärfung der Krise alles bisher seit dem 2. Weltkrieg Dagewesene in den Schatten stellen wird. Und die herrschende Klasse sinnt jetzt schon über neu aufzulegende Konjunkturankurbelungsprogramme nach. Außer einer weiteren Verschuldung sieht sie keine Lösung. So hat  George W. Bush – mit Parteien übergreifenden Konsens – schon angekündigt, die erlahmende US-Wirtschaft mit einem massiven Konjunkturprogramm ankurbeln zu wollen. Es ist die Rede von Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen in einer Größenordnung von etwa 100 Milliarden Dollar (68 Milliarden Euro), die möglichst bald in die Wirtschaft gepumpt werden sollen. Für eine Volkswirtschaft in der Größenordnung der USA ein Tropfen auf den heißen Stein.  Jetzt schon ist ersichtlich, dass der Arbeiterklasse dafür die Rechnung aufgebürdet werden soll. Nach all den bisherigen Angriffen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen wird sich die Lage für die Arbeiterklasse noch dramatischer verschlechtern. Nicht vorzustellen was passiert, wenn zudem die Inflation langfristig die Pensionskassen wegnagt und viele Arbeiter realisieren, dass sie auch im Pensionsalter nach Jahren der Schufterei nichts als Misere erwartet. Die Arbeiterklasse wird die Krise dazu zwingen, sich stärker zur Wehr zu setzen.       Mitte Januar 2008