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Im Gegensatz zu den Behauptungen der offiziellen Geschichtsschreibung der herrschenden Klasse ging der 1. Weltkrieg am 11. November 1918 nicht zu Ende, weil die Verbündeten Deutschland-Österreich eine entscheidende militärische Niederlage erlitten hatten oder nicht mehr über die Kräfte zur Fortsetzung des Krieges verfügten. Nein, der Waffenstillstand wurde einzig unterzeichnet, weil die herrschende Klasse auf beiden kriegführenden Seiten der Gefahr der weltweiten Ausdehnung der proletarischen Oktoberrevolution von 1917 in Russland gegenüberstand. Tatsächlich war es die unmittelbare Gefahr der Erhebung des Proletariats in Europa, die die Kapitalisten dazu zwang, das Gemetzel einzustellen. Wenn es der Arbeiterklasse gelungen war, so weit voranzukommen, so nur, weil dem ein langer Prozess vorausgegangen war, in dem sie ihre Kräfte gesammelt hatte. Schon im Sommer 1916 entfalteten sich große Massenbewegungen, insbesondere in Deutschland, in denen die Wut der ArbeiterInnen gegen das Leid, die Entbehrungen und die Armut, die auf den Krieg zurückzuführen waren, zum Ausdruck gebracht wurden. Aber man kann erst vom wahren Beginn der revolutionären Welle im Februar 1917 in Russland reden. Der 23. Februar hätte eigentlich ein einfacher Gedenktag an die Arbeiterfrauen im Rahmen der üblichen Demonstrationen der sozialistischen Parteien sein sollen, aber dieser Tag löste eine Explosion der großen Verbitterung aus, die sich in den Reihen der ArbeiterInnen wie auch anderer armer Schichten der Bevölkerung gegen die Tag für Tag schlechter werdende Lebensmittelversorgung der damaligen Hauptstadt Russlands und der durch die Kriegswirtschaft bewirkten Überausbeutung gesteigert hatte. Während die Bewegung am 23. Februar noch die Forderung nach Brot erhob, entwickelte sie sich in den nächsten Tagen schnell zu einem Aufstand, der wegen der blutigen Repression durch das Zarenregime noch ungewollt begünstigt wurde. Am 26. Februar schlossen sich aufgrund der Ausstrahlung der Arbeiterkämpfe Soldaten der Bewegung an. Am 27. Februar wurde das Zarenregime gestürzt, eine bürgerlich demokratische Regierung (eine so genannte „provisorische Regierung“) ernannt, während sich die Arbeiterklasse in den Fabriken und den anderen Arbeitsstätten in selbständigen Arbeiterräten organisierte und Delegierte in den zentralen Sowjet der Stadt schickte. Da die neue Regierung in den darauf folgenden Monaten den Krieg jedoch fortsetzen wollte und gegenüber dem Hunger und den durch den Krieg und die Kriegswirtschaft auferlegten Entbehrungen nichts anzubieten hatte, da stattdessen die Arbeiter viel länger als acht Stunden arbeiten mussten, wurden diese immer kämpferischer und ihr Bewusstsein immer weiter vorangetrieben. Im April 1917 trat die bolschewistische Partei für die Losung „Brot und Frieden“ und „Alle Macht den Räten“ ein. Die Arbeiterklasse radikalisierte sich immer mehr, da die provisorische Regierung noch entschlossener als der Zar für den Krieg mobilisierte. Nach neuen Aufständen im Juli, in denen das Proletariat zum Rückzug gezwungen wurde (denn die Bedingungen zum Sturz der Kerenski-Regierung waren noch nicht herangereift), versuchte der dem Zar ergebene General Kornilow einen Putsch gegen die provisorische Regierung. Dieser Versuch wurde vor allem durch die massive Mobilisierung der Arbeiter in Petrograd vereitelt, was der Arbeiterklasse einen neuen Aufschwung verlieh und wodurch die Bolschewiki und ihre Losungen noch mehr Zulauf erhielten. Nach dem 22. Oktober 1917 fanden Versammlungen statt, in denen gewaltige Arbeitermassen zusammenkamen, und in denen die Losungen „Nieder mit der provisorischen Regierung! Nieder mit dem Krieg“, „Alle Macht den Räten“ aufkamen. Am 25. Oktober stürmten die Arbeitermassen mit den Matrosen der „Roten Flotte“ der Kronstädter Garnison den Winterpalast und verjagten die Kerenski-Regierung. Das war die Oktoberrevolution. Der Gesamtrussische Sowjetkongress, der zum gleichen Zeitpunkt stattfand und in dem die bolschewistische Partei über die Mehrheit verfügte, kündigte in einer Resolution die Übernahme der Macht an: „Gestützt auf den Willen der gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Bauern und Soldaten, gestützt auf den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison, nimmt der Kongress die Macht in seine Hände“. (Lenin, „An die Arbeiter, Soldaten und Bauern“, Lenin, Bd. 26, S. 237). Am 26. Oktober verabschiedete der Kongress in seiner zweiten Sitzung ein „Dekret über den Frieden“ und schaffte gleichzeitig die Notmaßnahmen ab, damit die Bevölkerung in Russland nicht mehr unter den Kriegsfolgen litt. Die revolutionären Ereignisse in Russland hatten natürlich unter den ArbeiterInnen Europas und der ganzen Welt eine enorme Ausstrahlung. Dies war zunächst am stärksten spürbar unter den Arbeitern jener Länder, die direkt am imperialistischen Gemetzel beteiligt waren. Dadurch wurden sie überall zu Demonstrationen gegen den Krieg und zu Kundgebungen zur Unterstützung des Roten Oktober ermuntert. Eine Folge war, dass es an der Front zu Verbrüderungen unter kämpfenden Soldaten der verfeindeten Länder kam. In Deutschland, wo es das zahlenmäßig größte und am stärksten konzentrierte Proletariat mit der umfassendsten politischen Erfahrung gab, ging die Ausstrahlung am weitesten. Nach einem Zeitraum der Reifung im Jahre 1917 entwickelte sich 1918 hier eine revolutionäre Dynamik, die Anfang November, d.h. am 4. November, ihren Höhepunkt erreichte. An jenem Tag meuterten die Matrosen von Kiel. Dabei gelang es ihnen, einen Großteil der Soldaten (Arbeiter in Uniform) sowie auch Arbeiter aus den Betrieben auf ihre Seite zu ziehen. Insbesondere in Berlin und Bayern kam es zu Zusammenschlüssen. Damit reagierten die Arbeiter in Deutschland auf die Aufrufe, die ihre Klassenbrüder und -schwestern in Russland an sie seit Oktober 1917 gerichtet hatten, damit sie sich in den Kampf um die Weltrevolution einreihen und dabei die Führung übernehmen. Ihr Aufstand ermöglichte auch den Aufstand jener Truppenteile, die bis dahin der Regierung des Kaisers Wilhelm II. ergeben gewesen waren. Innerhalb weniger Tage entstanden überall im Land - dem russischen Beispiel folgend - Arbeiterräte. Die herrschende Klasse verstand die Notwendigkeit, sich des Kaisers zu entledigen, der schließlich am 9. November zurücktrat; die Republik wurde ausgerufen. Die Regierungsgeschäfte wurden geleitet von den SPD-Leuten Ebert und Scheidemann (die 1914 die Kriegskredite bewilligt und den Burgfrieden unterstützt hatten). Diese schlossen unmittelbar danach mit der französischen Regierung einen Waffenstillstand. Wie wir in einem früheren Artikel in unserer Zeitung Révolution Internationale Nr. 173 (November 1988) anlässlich dieser Ereignisse geschrieben hatten: „Mit ihrer Aufstandsbewegung hatten die Arbeiter in Deutschland den größten Massenkampf der Arbeiterklasse in ihrer Geschichte ins Rollen gebracht. Die ganze Burgfriedenspolitik, welche die Gewerkschaften während des Krieges praktiziert hatten, und die Politik des Klassenfriedens zwischen den Klassen brach unter den Schlägen des Klassenkampfes auseinander. Mit diesen Aufständen schüttelten die Arbeiter die Niederlage vom August 1914 ab und erhoben nun wieder die Stirn. Der Mythos einer deutschen (oder anderen) Arbeiterklasse, die vom Reformismus gelähmt wäre, brach zusammen (…) In die Fußstapfen des Proletariats in Russland tretend, stellten sich die Arbeiter in Deutschland nach den Arbeiteraufständen und dem Anfang der Bildung von Arbeiterräten in Österreich und Ungarn 1919 an die Spitze der ersten großen internationalen Welle von revolutionären Kämpfen, die aus dem Krieg hervorgegangen waren“. Und um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, wie in Russland durch die revolutionäre Welle von Kämpfen weggespült zu werden, beeilte sich die deutsche Bourgeoisie sicherlich mit Unterstützung der herrschenden Klasse der anderen Länder und früheren Kriegsgegner, den imperialistischen Krieg, der vier Jahre zuvor vom Zaun gebrochen worden war, zu beenden. Um der Ausbreitung der proletarischen Revolution entgegenzutreten, haben sich die Bourgeoisien der Welt verständigt, um nur wenige Tage nach dem Aufstand der Matrosen in Kiel gegen das deutsche Militär sehr schnell einen Waffenstillstand zu schließen. Später wurde die revolutionäre Bewegung in Deutschland blutig niedergeschlagen (insbesondere während der „blutigen Woche“ im Januar 1919, als ihre berühmtesten Führer, revolutionäre Spartakisten wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Freikorps ermordet wurden, die im Sold der SPD standen) (2). Diese Niederlage des Proletariats in Deutschland sollte später zum Tod der Revolution in Russland führen. Nichtsdestotrotz hatte die Weltarbeiterklasse in diesen beiden Ländern gezeigt, dass sie die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die – wenn sie auf ihrem Klassenterrain kämpft, den Krieg beenden kann. RI 1) Trotz des Fortbestehens eines politischen Regimes mit feudalem Charakter hatte sich der Kapitalismus in Russland stark entwickelt und große Industriezentren geschaffen: Zum Beispiel waren die Metallfabriken von Putilow mit ihren 40.000 Beschäftigten die größte Fabrik der Welt. 2) Siehe insbesondere die Artikelreihe über die Deutsche Revolution in Nr. 16 und 17, in der die Entwicklung im Detail, vom Waffenstillstand bis zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, nachgezeichnet wird und die besser ermöglicht zu begreifen, was damals in Deutschland passiert ist. 3) Siehe auch unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 23 – „1918-1919 – Die proletarische Revolution bringt den imperialistischen Krieg zu Ende“.