„Deutschland am Hindukush verteidigen“
Vom Vietnam-Syndrom zum Afghanistan-Syndrom?
Auch wenn die Demonstrationen am 20. September 2008 in Berlin und Stuttgart gegen die Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan sehr bescheiden ausfielen, stößt dieser Einsatz des deutschen Imperialismus auf immer weniger Verständnis auf Seiten der eigenen Bevölkerung. Nicht allein weil immer mehr deutsche Soldaten Attentaten zum Opfer fallen. Afghanische Zivilopfer des deutschen Militäreinsatzes werden immer mehr bekannt. Es wird zunehmend deutlich, dass die Bundeswehr in Afghanistan weilt, nicht primär um Schulen zu bauen und „zivilen Aufbau“ zu betreiben – wie stets vorgeheuchelt wird – sondern um Krieg zu führen. Der bekannte Spruch des einstigen Verteidigungsministers Peter Struck von der Verteidigung deutscher Interessen am Hindukush wird nun besser verstanden. Die Interessen, die dort verteidigt werden, sind nicht die der arbeitenden Bevölkerung – ob in Deutschland oder in Afghanistan – sondern die des Imperialismus, der Großmachtpolitik. Während es dem deutschen Imperialismus in den letzten 10 Jahren, anfänglich unter rot-grünem Zepter, dann unter einem SPD Außenminister gelungen ist, seine Truppen in immer mehr Ländern zum Einsatz zu bringen, wurde diese Expansion immer wieder mit dem „humanitären“ oder „friedenschaffenden“ Deckmäntelchen gerechtfertigt. Aber genauso wie der amerikanische Imperialismus mittlerweile im Irak und auch in Afghanistan in einen militärischen Strudel geraten ist, aus dem er nicht mehr unbeschadet heraus kann, ist der deutsche Imperialismus in Afghanistan längst in einen Krieg hineingeschliddert, aus dem er nicht mehr ohne großen Gesichtsverlust hervorgehen wird. Nach anfänglich nahezu „tröpfchenweiser“ Zuführung von Soldaten in den lange Zeit als „ruhig“ beschriebenen Norden Afghanistans, sind Bundeswehr-Truppen längst entweder mit ihren „Aufklärungsflugzeugen“ an nahezu jedem Kampfeinsatz als Zielsucher beteiligt, oder aber die Bodentruppen selbst geraten immer mehr zur Zielscheibe von Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen. Die Bodentruppen sind seit langem in richtige Kampfeinsätze involviert und sind auch für den Tod von Zivilisten verantwortlich. Auch wenn die offizielle Propaganda dies vertuscht, klebt den Bundeswehrsoldaten schon viel Blut an den Fingern. Kein Wunder, dass der Vertreter des Bundeswehrverbandes einen Wechsel der offiziellen Propaganda fordert: „Wir befinden uns in einem Krieg gegen einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner“. Deshalb seien die zuletzt getöteten deutschen Soldaten nicht ums Leben gekommen, wie die offizielle Verlautbarung hieß, sondern sie seien für Deutschland „gefallen“. Die Militaristen plädieren also für den Gebrauch einer Sprache, eines Pathos, der aber in der Bevölkerung nicht unbedingt populär ist. Aber nicht nur in der Bevölkerung insgesamt, und in der Arbeiterklasse insbesondere stößt der Versuch, durch Propagandatricks eine größere Unterstützung für den Kriegseinsatz zu erschleichen, auf zunehmende Skepsis. In den Reihen des deutschen Militärs selbst wächst die Unzufriedenheit. So klagen die Rekrutierungsstellen der Bundeswehr über ihre Schwierigkeiten, genügend Soldaten für ihre Auslandseinsätze zu finden. Die monatlichen freiwilligen Meldungen zum Wehrdienst seien innerhalb eines Jahres um bis zu 62% zurückgegangen. Insbesondere bei Unteroffizieren und Mannschaften sei ein Schwund an Bewerbern und Anwärtern von über 50% festzustellen. Bei einer Umfrage in der Bundeswehr haben 2007 fast drei Viertel der befragten Militärs geantwortet, sie würden ihren Beruf niemandem weiterempfehlen (Süddeutsche Zeitung, 28.8.08) Hier bahnt sich also für den deutschen Imperialismus ein ähnlicher Schlamassel an wie für den US-Imperialismus, der erleben muss, wie das begraben geglaubte Vietnam-Syndrom zahlreiche Soldaten im Irak wieder heimsucht. Die Zahl der Desertierungen von US-Soldaten bricht alle Rekorde. Diese zunehmenden Schwierigkeiten führender imperialistischer Mächte wie die USA oder auch Deutschland auf den Schlachtfeldern der Welt rufen allenthalben die „Friedensstifter“ hervor, welche einem Kapitalismus mit menschlichem, friedlichem Gesicht das Wort reden. Empört oder schockiert über die Offenheit der oben erwähnte Bundeswehrvertreter, die zugeben wollen, dass Deutschland sich im Krieg befindet, verlangen sie eine „Rückkehr“ zum „deutschen Sonderweg“ des „friedlichen Aufbaus“ in Afghanistan. Ob gewollt oder ungewollt – sie haben damit dem deutschen Imperialismus einen Dienst erwiesen. Denn die Stimmung in der Bevölkerung ist heute keineswegs so, dass ein offen erklärter Kriegsfeldzug auf Gegenliebe stoßen würde. Aber die „Debatte“ in der herrschenden Klasse darüber, wie man der Bevölkerung diesen Kriegseinsatz am besten verkaufen kann, ist selbst bezeichnend für die zuzunehmende Unbeliebtheit der militärischen Einsätze. Heute verlaufen die Zuspitzungen der Wirtschaftskrise, der Angriffe gegen die Arbeiterklasse und die militärische Einsätze parallel zueinander. Die Arbeiterklasse beginnt, sich eigene Gedanken darüber zu machen, welche Zusammenhänge zwischen diesen Entwicklungen bestehen. 22.09.08