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Vor mehr als einem Jahr gab die Immobilienkrise in den USA (nunmehr „Subprime-Krise“ genannt) den Auftakt zu einer brutalen Beschleunigung der weltweiten Wirtschaftskrise. Seitdem werden große Teile der Menschheit von einer wahren Welle der Verarmung erfasst. Der vollen Wucht der Inflation ausgesetzt (innerhalb einiger Monate haben sich die Preise der wichtigsten Grundnahrungsmittel in vielen Teilen der Erde mehr als verdoppelt), stehen die Ärmsten der Armen vor der Gefahr des Verhungerns. Die Hungerrevolten, welche von Mexiko über Haiti und Ägypten bis Bangladesh ausgebrochen sind, sind der verzweifelte Versuch, gegen diese unerträgliche Situation zu reagieren. Auch in den Herzen der Industrieländer haben sich die Lebensbedingungen der Arbeiter wesentlich verschlechtert. Nur ein Beispiel: mehr als zwei Millionen Amerikaner haben ihre Wohnungen verloren, da sie ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen konnten. Und bis Ende des Jahres sind eine weitere Million Amerikaner von diesem Schicksal bedroht.
Diese brutale Wirklichkeit, vor der die ArbeiterInnen und die nicht-ausbeutenden Schichten stehen, kann von den Herrschenden mittlerweile nicht mehr geleugnet werden. In ihren Erklärungen können führende Persönlichkeiten aus den Wirtschaftsinstitutionen sowie der Finanzanalysten nicht mal mehr ihre eigenen Ängste verbergen:
"Wir stehen vor einem Berg von ökonomischen und währungspolitischen Schwierigkeiten, wie wir sie noch nie gesehen haben" (so der Chef der amerikanischen FED am 22. August).
"Die gegenwärtige Konjunktur ist die schwierigste seit Jahrzehnten" (HSBC, die als größte Bank der Welt eingestuft wird, am 5. August).
"Wir stehen vor einem endlos langen Krach" (Le Point, 24.7.08).
"Auf die Wirtschaft kommt ein wahrer ökonomischer Tsunami zu" (J. Attali, französischer Ökonom und Politiker, Le Monde, 8.8.08).
1967-2007: 40 Jahre Krise
In Wirklichkeit begann die Krise nicht erst 2007, sondern schon Ende der 1960er Jahre. Von 1967 an kam es zu schwerwiegenden Währungsturbulenzen. In den bedeutendsten Ländern fielen die Wachstumsraten. Das Ende der Blütezeit der 1950er und 1960er Jahre, damals als Wiederaufbauwunder gepriesen, war gekommen.(1) Doch 1967 brach die Krise nicht mit solch großer Wucht aus wie der spektakuläre Krach von 1929. Der Grund: die USA hatten ihre Lektion aus der dunklen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gelernt. Um zu verhindern, dass die Wirtschaft erneut durch eine Überproduktion gelähmt und blockiert wird, nutzte man einen Kunstgriff: die systematische und allgemeine Verschuldung. Mittels einer Verschuldungspolitik der Staaten, Unternehmen und Privathaushalte wurde die Nachfrage ungefähr auf dem Angebotsniveau gehalten. Mit anderen Worten: die Waren wurden mit Hilfe von Krediten abgesetzt.
Aber die Verschuldung ist nur eine Krücke. Sie ist kein Heilmittel gegen die Krankheit, die Überproduktion des Kapitalismus. Unfähig, wirklich zu "heilen", muss dieses Ausbeutungssystem immerzu und in wachsendem Maße auf diesen Kunstgriff zurückgreifen. 1980 entsprach der Umfang der Schulden in den USA ungefähr dem Umfang der US-Produktion. Im Jahre 2006 war der Schuldenberg 3,6 mal höher (d.h. 48.300 Milliarden Dollar). Es handelte sich um eine wahre Flucht nach vorne! Der Kapitalismus sitzt auf einem Schuldenberg – dies ist unleugbar. Aber die bürgerlichen Politiker wollen uns weismachen, all das mache nichts, da die Wirtschaft weiter funktioniere. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Die Verschuldung ist kein Zaubermittel; das Kapital kann nicht endlos lange einfach so Geld aus dem Hut zaubern. Das ABC des Handels besagt, dass jede Verschuldung eines Tages beglichen werden muss, sonst entstehen dem Kreditgeber große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Das Kapital kann auf diese Weise allenfalls einen Zeitaufschub erwirken. Schlimmer noch: Indem die Auswirkungen der Krise in die Zukunft verschoben werden, werden nur noch heftigere Erschütterungen vorbereitet. Der Taifun der asiatischen Krise 1997, ihre rasend schnelle und zerstörerische Geschwindigkeit belegte dies. Vor der Krise verzeichneten die asiatischen Tiger und Drachen Rekordwachstumszahlen dank…. massiver Verschuldung. Doch als die Schulden beglichen werden mussten, fiel alles wie ein Kartenhaus zusammen. Innerhalb weniger Wochen blutete die Region aus – beispielsweise registrierte man in Südkorea binnen weniger Wochen mehr als eine Million Arbeitslose zusätzlich. Damals hatte die Bourgeoisie bei dem Versuch zu verhindern, dass dieser Sturm sich auf die ganze Weltwirtschaft ausdehnte, keine andere Wahl, als auf neue Kredite zu setzen, die wiederum Milliardenhöhe erreichten. Es handelte sich also um einen Teufelskreislauf, der sich immer schneller drehte! Je unwirksamer das Mittel wird, desto mehr muss der Kranke die Dosis für sein Überleben erhöhen. Und so wirkte die Spritze von 1997 nur vier Jahre. 2001 platzte die Internet-Blase. Man errate die "Lösung" der Bourgeoisie! Eine spektakuläre Erhöhung der Verschuldung! Die amerikanischen Wirtschaftsbehörden, die sich über den wirklichen Zustand der Wirtschaft und ihrer Abhängigkeit von der Kreditspritze im Klaren waren, haben derart an der Schuldenspirale gedreht, dass der damalige Chef der FED in den Ruf des größten Schuldenmachers geriet.
Die brutale Beschleunigung des Krisenrhythmus‘
1967-2007 war ein langer Krisenzeitraum, in denen Phasen der Beruhigung mit Phasen tieferer Rezession abwechselten. Doch seit einem Jahrzehnt können wir eine Beschleunigung beobachten, und die gegenwärtige Epoche erscheint als ein veritabler Orkan. Der über vier Jahrzehnte angehäufte Schuldenberg ist so hoch wie der Mount Everest, und nach den Krisen von 1997 und 2001 rast das Kapital nun den Abhang hinunter.
Ein Jahrzehnt lang hat die amerikanische Bourgeoisie den ärmsten Teilen der Arbeiterklasse günstige Hypothekenzinsen eingeräumt. Gleichzeitig jedoch verarmte die Arbeiterklasse aufgrund der Zuspitzung der Krise. Ihre Löhne sind gesunken, die Arbeitsbedingungen immer prekärer geworden, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Ausgaben für Gesundheit usw. steigen enorm. Das Ergebnis war unvermeidbar: Ein Großteil der Menschen, die von den Banken dazu verleitet wurden, sich für den Kauf eines Hauses zu verschulden (oder Hypotheken für ihre Wohnungen aufzunehmen, um schlicht und einfach Lebensmittel oder Kleidung zu kaufen….), besitzt kein Geld mehr zur Rückzahlung der Kredite. Da die Banken aus ihren Kunden kein Geld mehr herauspressen konnten, haben sie ihrerseits riesige Schuldenberge angehäuft. Diese Schuldenberge sind dermaßen angewachsen, dass immer mehr Banken pleite gegangen sind oder kurz vor dem Konkurs stehen. Doch dank der Umwidmung von Titeln, d.h. der Umwandlung von Gläubigerpapieren in verkäufliche Immobilienwerte (wie andere Aktien und Obligationen) auf dem Weltmarkt, gelang es den Kredit gebenden Institutionen, ihre Geldforderungen an Banken anderer Länder zu veräußern. Deshalb hat die „Subprime“-Krise das Bankenwesen in der ganzen Welt infiziert. In den USA ist der Bankrott der Indymac-Bank die größte Bankenpleite seit 1982. Ohne die Hilfe der Zentralbanken wäre die Schweizer USB-Bank, die ebenfalls zu den größten Banken der Welt gehört, längst in Konkurs gegangen. Und wie stets hat die Arbeiterklasse die Rechnung zu begleichen: Seit Anfang 2007 haben die Banken mehr als 83.000 Stellen weltweit gestrichen – und diese Zahl könnte sich wohl in den nächsten Monaten verdoppeln (Les Echos, 24.6.2008)
Banken sind das Herz der Wirtschaft. In ihren Händen bündelt sich das gesamte, zur Verfügung stehende Kapital. Wenn sie nicht mehr funktionieren, kommen die Betriebe zum Stillstand, Löhne können nicht mehr bezahlt, Rohstoffe und Maschinen nicht mehr gekauft werden. Vor allem werden keine neuen Kredite mehr vergeben. Und selbst die Banken, die noch nicht in Konkurs gegangen sind, werden in puncto Kreditvergabe immer ängstlicher, weil sie in Anbetracht des gegenwärtigen Wirtschaftsklimas die Zahlungsunfähigkeit weiterer Betriebe fürchten.
Die Konsequenzen sind weitreichend – die wirtschaftliche Aktivität verlangsamt sich brutal. In der Euro-Zone ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2008 um 0,2 Prozent gesunken. In der Industrie werden Tausende Stellen gestrichen. General Motors steht vor der Zahlungsunfähigkeit und kündigt die mögliche Streichung von 73.000 Stellen an. Unzählige weitere Entlassungen und Stellenstreichungen stehen an.
Licht am Ende des Tunnels für die kapitalistische Wirtschaft?
Es stellt sich die Frage: Warum kann die Verschuldungspolitik nicht einfach fortgeführt werden, wie nach dem Platzen der Internetblase? Kann das Geldscheindrucken nicht unbegrenzt fortgesetzt werden?
Die unheilvolle Rückkehr der Inflation macht deutlich, dass die Verschuldung an ihre Grenzen gestoßen ist. Jeder weitere Einsatz der Kreditspritze macht alles noch schlimmer. Die Verschuldung bedeutet die Zufuhr von immer neuen beträchtlichen Geldmengen. Dem Wirtschaftsexperten P. Artus zufolge "ist die Liquidität seit 2002 um durchschnittlich 20 Prozent pro Jahr gestiegen". Die Einspeisung solcher Geldmengen kann nur zu starken Inflationsschüben führen (2). Zudem haben die Spekulanten weltweit diese inflationäre Tendenz durch ihre Spekulationen mit dem Ölpreis und den Nahrungsmitteln weiter angefacht. Da sie nicht mehr auf die klassische Art an der Börse spekulieren konnten und infolge der 2001 geplatzten Spekulationsblase der New Economy und der nun geplatzten Immobilienblase diese Bereiche nicht mehr zur Verfügung stehen, haben sich die Spekulanten auf das gestürzt, was alle Menschen kaufen müssen: Energie und Nahrungsmittel – womit in Kauf genommen wurde, dass ein Teil der Menschheit damit in den Hungertod getrieben wird. (3)
Die Gefahr ist groß für die kapitalistische Wirtschaft. Die Inflation wirkt wie ein tödliches Gift; sie kann zum Zusammenbruch von Währungen und zu großen Verwerfungen des Weltwährungssystems führen. Die Abschwächung des Dollars weist in diese Richtung. Die Gefahr einer Blockierung des Welthandels ist somit nicht von der Hand zu weisen, da der US-Dollar als internationale Leitwährung fungiert. Es ist ganz aufschlussreich, dass die Direktoren der großen Zentralbanken (FED, EZB usw.) in ihren Stellungnahmen ständig widersprüchliche Aussagen machen. Einerseits sagen sie, dass zur Vermeidung der Rezession weniger auf die Inflationsbremse getreten werden dürfe und dass zur Ankurbelung der Nachfrage die Zinsen gesenkt werden müssten. Andererseits behaupten die gleichen Zentralbankchefs die Inflation bekämpfen zu wollen, was bedeutet, die Zinsen zu erhöhen, um die Verschuldung zu bremsen! Die großen Kapitalsvertreter sind nicht schizophren. Sie bringen schlicht und einfach den realen Widerspruch zum Vorschein, in welchem der Kapitalismus versinkt. Dieses System ist eingeklemmt zwischen Baum und Borke: Rezession und Inflation erweisen sich als unlösbare Probleme und bedrängen das System immer stärker. Mit anderen Worten: die herrschende Klasse muss zwischen beiden hin und her lavieren. Sie muss versuchen, die Verschuldung zu begrenzen, um die Inflation einzudämmen; dabei darf sie gleichzeitig den Kredithahn nicht ganz schließen, damit die Wirtschaft nicht erdrosselt wird, wie das 1929 der Fall war. Das heißt, die herrschende Klasse steckt schlicht in der Sackgasse.
Der Kapitalismus in der Sackgasse – die Zukunft gehört der Arbeiterklasse
Die gegenwärtige Rezession ist eine neue, besonders dramatische und brutale Episode des historischen Bankrotts des Kapitalismus. Die nunmehr seit 40 Jahren wütende Krise hat jetzt einen anderen Rhythmus angenommen; sie erfährt eine wirklich dramatische Beschleunigung. Dennoch gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die "Todeskrise" zu einer endgültigen Blockierung des Kapitalismus führe und dieser von selbst verschwände. Wichtig ist zu erkennen, dass diese, seit 1929, neue Lage schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sowie auf die Entwicklung ihrer Kämpfe haben wird. Die herrschende Klasse wird versuchen, der Arbeiterklasse die Last der Krise aufzubürden. Es steht fest, dass, gleichgültig welche Wirtschaftspolitik die verschiedenen Parteien (von den Rechtsextremen bis zu den Linksextremen) in welchem Land auch immer vorschlagen, die Situation sich nicht verbessern wird. Nur der Klassenkampf kann die herrschende Klasse daran hindern, noch drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Da die Inflation alle ArbeiterInnen trifft, schafft sie günstige Voraussetzungen für einen vereinten und solidarischen Kampf. Die Entwicklung des Klassenkampfes ist nicht nur das einzige Mittel, die herrschende Klasse daran zu hindern, die Arbeiterklasse zu attackieren, sondern er ist auch das einzig realistische Mittel, die Überwindung des Kapitalismus anzustreben und eine neue Gesellschaft aufzubauen – den Kommunismus, in dem es keine Krisen geben wird, weil nicht mehr für den Profit, sondern für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird. Vitaz, 30.08.09
(1) Dieser Ausdruck wurde von J. Fourastié "Les Trente Glorieuses, ou la révolution invisible de 1946 à 1975" Paris, Fayard, 1979, geprägt. Im Deutschen verwendet man den Begriff "Wirtschaftswunder". In der IKS findet gegenwärtig eine Debatte zum besseren Verständnis des Hintergrunds dieser Periode der kapitalistischen Wirtschaft statt. Wir haben angefangen, diese Debatte in unserer Internationalen Revue zu veröffentlichen. Siehe Internationale Revue (engl.-franz.-spanische Ausgabe) Nr. 133. "Interne Debatte der IKS: Die Ursachen der Blütezeit nach dem II. Weltkrieg". Wir möchten alle unserer LeserInnen auffordern, sich auf unseren Veranstaltungen oder auch per Post und per E-mail an dieser Debatte zu beteiligen.
(2) Innerhalb des Rahmens dieses Artikels können wir die Verbindung zwischen der Menge des verfügbaren Geldes und seinem Wert nicht tiefer beleuchten. Es sei nur gesagt, dass jedesmal, wenn massiv Geld gedruckt und in Umlauf gebracht wird, es Stück für Stück an Wert verliert, was die Inflation antreibt.
(3) Wir erwähnen hier beiläufig, dass die Linken und die Antiglobalisierer stets die Staaten auffordern, auf die Spekulationsgelder zurückzugreifen, um sie der Wirtschaft wiederzuzuführen, indem beispielsweise Großbauprojekte durchgeführt werden. Dies ist eine völlige Irreführung. Einzig die Inflation würde dadurch angetrieben. Linke und Antiglobalisierer gießen in Wirklichkeit damit nur Öl ins Feuer.