Afghanistan - Das Krebsgeschwür des Militarismus

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Die Bombardierung von zwei durch Talibankämpfer entführten Tanklastern mitten in der Nacht in der Nähe von Kundus, bei der eine unbekannte Zahl von Talibankämpfern und eine unbekannte, aber vermutlich wesentliche höhere Zahl von Zivilisten ihr Leben verloren haben, stellt für das deutsche Militär die bislang blutigste Beteiligung an einem Massaker seit dem 2. Weltkrieg dar.

Nachdem die Bundeswehr durch afghanische Quellen darüber informiert wurde, dass durch die in Taliban-Hand geratenen Tanklaster ein deutsches Lager bei Kundus hätte angegriffen werden können, forderte der deutsche ISAF-Kommandeur Georg Klein die dem ISAF-Kommando unterstehenden US-Flugzeuge zum Angriff auf die Tanklaster an. Man spricht von mehr als 100 Toten. Nachdem vor 10 Jahren im Balkankrieg schon Rot-Grün mit dem Hinweis auf unvermeidbare Kollateralschäden viele Tote und Verletzte billigend in Kauf genommen hatten, bliesen die Parteien der Großen Koalition Anfang September im Rahmen einer eigens anberaumten parlamentarischen Stellungnahme unisono in das gleiche Horn und nahmen die Bundeswehr in Schutz(1). Die Tatsache, dass die Bundeswehr 20 Jahre nach dem Fall der Mauer heute ihr größtes Auslandskontingent mit 4.500 Soldaten für den Krieg am Hindukusch mobilisiert hat und mittlerweile die drittgrößte Zahl an ISAF-Truppen stellt, spricht Bände über die unwiderstehlichen und nicht auszulöschenden zerstörerischen Tendenzen des Imperialismus im Zeitalter der kapitalistischen Fäulnis. Nachdem Afghanistan schon zu einem Fiasko für das sowjetische Militär in den 1980er Jahren wurde und den Niedergang der Sowjetunion beschleunigte, ist Afghanistan nun dabei, zu einem wahren Schreckgespenst für alle westlichen Interventionstruppen zu werden.

Schon während des US-Wahlkampfs hatte Obama eine Verstärkung der US-Truppen in Afghanistan um 20.-30.000 Soldaten als einzigen “Ausweg” angekündigt. Mittlerweile sind dort ca. 60.000 US-Soldaten – (neben den Zehntausenden berühmt berüchtigt gewordenen zivilen Sicherheitsdiensten) im Einsatz. Andere Staaten haben ebenfalls Tausende Soldaten entsandt. Anstatt die Situation in den Griff zu kriegen und die Lage zu beruhigen, gießt deren Präsenz nur immer mehr Öl aufs Feuer. Und anstatt den Einfluss der Taliban einzudämmen, dehnt sich dieser immer mehr aus. Der Krieg hat sich “festgesetzt”; genauso wenig wie es in den 1980er Jahren dem russischen Imperialismus möglich war, den Krieg zu gewinnen, können jetzt die von US-geführten Streitkräfte diesen Krieg gewinnen.

 

Afghanistan – Ein Glied in der Kette von Schlachtfeldern in der Region

Wenn nun deutsche Soldaten in Afghanistan aktiv werden und wie alle anderen Länder notwendigerweise an militärischen Kampfhandlungen beteiligt sind und somit ab einem gewissen Zeitpunkt Massaker mit ausüben müssen, dann handelt das deutsche Militär nicht als "Unschuldiger”, sondern weil es mitmischen will in diesem strategisch wichtigen Kriegsgebiet.

Afghanistan ist ein herausragendes Teil dieser Region der Erde, die seit den letzten 50 Jahren mit wechselnden Schlachtfeldern immer wieder von Kriegen geplagt wird.

Ob Israel, das seit seiner Staatsgründung 1948 regelmäßig im Krieg mit irgendeinem seiner Nachbarn steht;

oder die Türkei, die sich immer wieder Kämpfe mit den kurdischen Nationalisten liefert;

oder der Irak, wo die Bevölkerung von den letzten 30 Jahren mehr als 20 Jahre Krieg und Terror erlitten hat (zunächst im Krieg mit Iran, dann unter der Militärmaschinerie des Westens und der rivalisierenden Cliquen im Lande);

oder der Iran, das Land, welches als ehemaliger Horchposten und Stützpunkt des Westens gegenüber dem damaligen Gegner des Kalten Krieges, der Sowjetunion, militärisch hochgezüchtet wurde, um sich dann in den 1980er Jahren in einen Krieg mit dem Irak zu stürzen, sich mittlerweile zu einem regionalen Führer im Windschatten der geschwächten USA gemausert hat, und das seine Interessen durch die Androhung der Entwicklung von Atomwaffen auszufechten bereit ist;

oder Pakistan, das zum Ausweichgebiet der Taliban geworden ist und nicht nur als Atommacht gerüstet im Konflikt mit dem ebenfalls mit Nuklearwaffen ausgerüsteten Erzrivalen Indien steht, und selbst unter Terror leidet;

oder Sri Lanka, das immer wieder von der Pest des Krieges heimgesucht wird,

die ganze Region ist Aufmarschgebiet verschiedenster imperialistischer Rivalen gewesen und wurde von diesen immer wieder durch Kriege verwüstet. Es gehört zu den Gesetzen des Imperialismus, dass auch der deutsche Imperialismus, welcher bis 1989 durch die Teilung in zwei Gebiete (Ost und West) gewissermaßen von den Alliierten des 2. Weltkriegs “amputiert” wurde und dessen jeweiligen Bestandteile an den westlichen und den russischen Block gekettet wurden, nach seiner Wiedervereinigung wieder Jagdgründe außerhalb Europas sucht. Dass er dabei seinen imperialistischen Appetit nicht ungebremst stillen kann, sondern vor Ort auf die anderen imperialistischen Rivalen und die einheimischen Kriegsparteien stößt, erfährt nun auch das deutsche Militär, das seit einiger Zeit tag- täglich in Kampfhandlungen steht und dabei sein mörderisches Handwerk wie alle anderen Rivalen unter Beweis stellen muss.

 

Afghanistan – ein Horrorbeispiel des Krebsgeschwürs des Militarismus

Wenn nach dem jüngsten Massaker nun Kritik an der Bundeswehr von anderen ISAF-Staaten geübt wurde, und Merkel als gute Patriotin sich gegen Vorverurteilungen aus dem In- und Ausland wehrt, und selbst nachdem die Nato nun offiziell den Angriff auf die Tanklaster als eine “Fehlentscheidung” des deutschen Oberst einstuft, weil keine direkte Bedrohung vorgelegen habe, dann sind diese "Verbündeten" nicht von der Sorge geleitet, aus Sympathie und Mitgefühl mit der örtlichen Bevölkerung zu handeln, welche auch von ihnen immerfort terrorisiert wird. Stattdessen kommt ihnen das vom deutschen Militär ausgelöste Massaker vor allem ungelegen, weil sie seit geraumer Zeit verzweifelt versuchen, einen Kurswechsel durchzuführen. Die Zivilbevölkerung, die immer wieder zur Hauptzielscheibe wird, soll mehr geschont werden, weil man das Problem hat, dass nach Jahren unaufhörlicher Bombardierungen und “Strafaktionen” gegen die Taliban der ganze Einsatz die einheimische Bevölkerung nicht auf die Seite “des Westens” gezogen hat, sondern den Graben zwischen Besatzern und Einheimischen nur noch tiefer ausgehoben hat. Die Kritik der ‚Verbündeten‘ ist unter anderem ein Ausdruck des ganzen Schlamassels, in das alle Staaten mit ihren militärischen Operationen geraten sind.

Außerdem befördert dieses Massaker die imperialistischen Spannungen zwischen Deutschland und seinen ISAF-Verbündeten zu Tage. Im Vergleich zu diesen Nato-Partnern, die in Wirklichkeit Rivalen sind, ist Deutschland in den Afghanistan-Krieg mit zwei Nachteilen gezogen, die eine Erblast der Geschichte darstellen. Zum einen ist das deutsche Militär weniger gut ausgerüstet wie manche der “Bündnispartner”, zum anderen ist die deutsche Bevölkerung an der Heimatfront noch nicht so an das Hinnehmen von Opfern unter den “eigenen Soldaten” gewöhnt. Aufgrund dessen ist Deutschland in Afghanistan bis jetzt immer bestrebt gewesen, sich möglichst von den Hauptbrennpunkten fern zu halten. Statt dessen hat die Bundeswehr versucht, diese Nachteile in Vorteile umzumünzen, indem sie vollmundig die eigenen friedlichen Absichten proklamierte, das Kriegerische an dem Auftreten der Verbündeten lauthals kritisierte, und sich dadurch bei den Machthabern vor Ort einzuschleimen versuchte. Diese Haltung Berlins ist den Regierungen in Washington, London, Paris usw. schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Die blutige Schandtat von Kundus gibt diesen nun eine genüsslich ausgeweidete Gelegenheit den Spieß umzudrehen, auf Grund der eigenen ”Feigheit” (so der Vorwurf der “Verbündeten”) bzw. dem Bestreben, die eigenen Soldaten koste was es wolle zu schonen, eine Lösung des Tankwagenproblems gewählt zu haben, welche das höchste Blutzoll unter der Zivilbevölkerung verursachen musste. Die Politiker in Berlin wiederum äußerten öffentlich ihr Erstaunen darüber, dass die von den Amerikanern angeforderten Luftbombardements diesesmal viel prompter als sonst durchgeführt wurden. Mit anderen Worten, man schiebt sich gegenseitig die Schuld zu, wobei die zivilen Opfer nur als Manövriermasse in diesem Schlagabtausch der westlichen Hauptstädte vorkommen.

 

Die Spirale der Gewalt

Afghanistan liefert ein grausames Beispiel für diese historische Gegebenheit seit dem Ersten Weltkrieg, dass der Krieg zur “Überlebensform” einer Gesellschaft geworden ist. Denn unter welchem Vorwand und mit welchem Kalkül auch immer dort ausländisches Militär eingriff (während der sowjetischen Okkupation in den 1980er Jahren kämpfte man gegen die reaktionären Kräfte des Westens, unter US-Besatzung kämpft man gegen Drogenbarone, den Terrorismus usw.), Tatsache ist, statt Wiederaufbau und Modernisierung oder ‚Befreiung’ setzten sich immer mehr Krieg und Gewalt fest.

Eine Bilanz der letzten Jahre zeigt, welches Gewicht das Krebsgeschwür des Militarismus in Afghanistan angenommen hat. Diese Realität lässt sich kaum in Zahlen spiegeln. Jedoch ist das Verhältnis zwischen militärischen Ausgaben und “humanitären” Ausgaben aufschlussreich. Allein die USA haben bislang für ihren Krieg in Afghanistan 172 Mrd. US$ ausgegeben, Deutschland ca. 3.5 Mrd. US$. Demgegenüber wurden bis März 2008 noch keine 10% (weniger als 15 Mrd. US$) für Hilfeleistungen an die Bevölkerung zugeteilt, davon wanderte ohnehin der Großteil in die Taschen der Drogenbarone.

Zwischen 2002-2006 gab man lediglich 433 Mio. US$ für Gesundheits- und Ernährungsprogramme aus. Dabei sind 61% der Bevölkerung chronisch unterernährt. Lediglich 13% der Afghanen haben Zugang zu sicherem Trinkwasser, 12% zu Sanitäranlagen und 6% zu Strom. Dagegen wurden astronomische Beträge zur Bombardierung und Zerstörung des Landes verpulvert. Afghanistan und sein permanenter Krieg sind die ekelerregende Fratze eines völlig irrational und barbarisch gewordenen Systems.

Und je brutaler und entschlossener die Militärs vorgehen, desto mehr läuft die einheimische Bevölkerung den Taliban in die Hände oder wird schlicht von beiden Seiten zur Geisel genommen.

Zwar behaupten die Militärs, man versuche jeden Militärschlag "chirurgisch" präzise zu führen, d. h. die Zahl der zivilen Opfer einzuschränken, aber dieser Krieg muss notwendigerweise unter den Zivilisten die größten Opfer hinterlassen.

 

Das Afghanistan-Fiasko

Aber selbst für die beteiligten westlichen Militärmächte wirft dieser Krieg immer mehr Probleme auf. Ständig mehr Soldaten in Kampfhandlungen vor Ort aufzureiben, birgt die Gefahr für die Besatzerstaaten in sich, dass die Moral der Truppen untergraben wird, weil zu viele Tote und Verletzte in ihren Reihen den Krieg unter den Soldaten selbst und vor allem an der “Heimatfront” unpopulärer werden lässt. Jahrelang hat man versucht, mit Hilfe von Operationen aus der Luft, die sehr zerstörerisch wirken, aber die Soldaten nicht den Kampfhandlungen am Boden aussetzen, sich einem Dilemma zu entziehen. Mittlerweile aber sind Kampfeinsätze am Boden unvermeidbar und damit wächst auch die Wahrscheinlichkeit, direkt bei Massakern involviert zu sein. Diese Zwangslage selbst nagt an der Moral der Interventionstruppen.

Nicht nur in den USA und Großbritannien fehlt es an Nachwuchs für das Militär; auch in Deutschland klagen die Bundeswehrverbände über unzureichenden Neuzugang von Kanonenfutter. Trotz kräftiger Prämienerhöhungen und Auflockerung der Einstellungsbedingungen konnten nicht mehr Soldaten/Innen angelockt werden. Wenn nun die Soldaten vor Ort um ihr Leben fürchten müssen und jeden Tag zur Zielscheibe irgendeines Selbstmordkommandos oder Heckenschützen werden können, untergräbt dies die Moral(2). Und je mehr Grausamkeiten und Massaker vor Ort publik werden, desto unpopulärer wird der Krieg in der “Heimat”.

Und so wird das Fiasko für die Imperialisten immer deutlicher: einerseits der Schlamassel vor Ort selbst, andererseits eine Bevölkerung, die den Krieg immer mehr ablehnen wird.

 

Tatsache ist, dass selbst nach knapp 20 Jahren Wiedervereinigung es dem deutschen Imperialismus nicht gelungen ist, die Bevölkerung für seine imperialistischen Ambitionen einzuspannen. Und je mehr die Wirtschaftskrise die Arbeiter in Existenznöte bringt, desto weniger lässt sich die Arbeiterklasse heute für militärische Operationen gewinnen. Im Gegenteil, genau so wie die Wirtschaftskrise die Arbeiterklasse zu Abwehrkämpfen und zu einer Bewusstwerdung über die Sackgasse dieses Systems zwingen wird, wird das immer größere Versinken der Gesellschaft in kriegerische Gewalt die Arbeiter zu einer Bewusstwerdung über den eigentlichen Charakter dieses Systems treiben. Di. 20.09.09

 

<!--[if !supportLists]-->(1) <!--[endif]-->Wenn “Die Linke” sich ablehnend gegenüber dem verheerenden Luftangriff von Kundus äußert oder wenn die Grünen Kritik an der Informationspolitik des Verteidigungsministers üben, dann geschieht all dies nicht aus einer prinzipiellen Verwerfung der Kriegsbeteiligung. Sind sie selbst in der Regierungsverantwortung, denken und handeln sie ganz anders. Siehe zum Beispiel der Balkankrieg Schröder-Fischers.

<!--[if !supportLists]-->(2) <!--[endif]-->2008 beklagten die westlichen Militärs 294 Tote unter ihren Soldaten; allein bis Mitte August 2009 gab es schon 300 Tote.

 

 

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