Interne Debatte in der IKS (III) Die Ursachen für die Aufschwungperiode nach dem Zweiten Weltkrieg

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Wir setzen in dieser Nummer der InternationalenRevue die Veröffentlichung unserer internenDebatte über die Erklärung des Wirtschaftsbooms in den 1950er und 60er Jahrenfort. Die Leser und Leserinnen werden sich erinnern, dass diese Debatte ihrenAusgang in einer Kritik an der Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus genommen hat, insbesondere an der Analyse hinsichtlich der Zerstörungen,die der Zweite Weltkrieg angerichtet hatte. Diese Kriegszerstörungen werden inder Broschüre als Ursprung des Marktes des Wiederaufbaus dargestellt, indem sieder kapitalistischen Produktion einen Absatz erlaubt hätten. Eine derPositionen (mit dem Namen Kriegswirtschaftund Staatskapitalismus) bezieht sichin Verteidigung der Broschüre grundsätzlich immer noch „auf die Idee,dass die Prosperität der 50er und 60er Jahre durch die globale Situation derimperialistischen Machtverhältnisse und die Installierung einer permanenten Kriegswirtschaftnach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt ist". Zwei andere Positionen, die sichgrundsätzlich in der Kritik an der Analyse der Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus einig waren, vertraten gegensätzliche Positionen betreffend denMechanismus, der den Boom der 50er und 60er Jahre erklären sollte:keynesianische Massnahmen für die eine Position (mit dem Namen keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus); Ausbeutung der letzten ausserkapitalistischen Märkteund Beginn der Flucht nach vorn in die Verschuldung für die andere (mit demNamen Ausserkapitalistische Märkte und Verschuldung).

 

In der Internationalen Revue Nr. 42 wurden dieDarstellung des Rahmens der Debatte sowie drei Beiträge publiziert, welche diedrei gegenwärtigen Hauptpositionen zusammenfassten. In der Nr. 43 der Revueveröffentlichten wir einen Artikel Die Ursprünge, Dynamiken und Grenzen des keynesianisch-fordistischenStaatskapitalismus, der ausführlicher die Thesedes keynesianisch-fordistischenStaatskapitalismus darlegte.

In dieser Nummer lassen wir die beiden anderen Positionenzu Wort kommen mit den folgenden Texten Die Grundlagen der kapitalistischenAkkumulation und Kriegswirtschaft und Staatskapitalismus (zur Verteidigungder Positionen Ausserkapitistische Märkte und Verschuldung bzw.Kriegswirtschaft und Staatskapitalismus). Wir müssen aber vor der Fortsetzungder Debatte einige Bemerkungen anbringen einerseits zur Entwicklung derdiskutierten Positionen, andererseits zur Wissenschaftlichkeit desDiskussionsstils.

Die Entwicklung der diskutierten Positionen

Während einer gewissen Zeit der Debatte haben sich alleStandpunkte auf den Rahmen der Analyse der IKS[1] berufen, der dabei oft als Bezugspunkt für die Kritikender einen oder anderen Position an den anderen Standpunkten diente. Dies istheute nicht mehr der Fall, und zwar schon während einiger Zeit. Eine solcheEntwicklung liegt im Bereich der Möglichkeiten einer jeden Debatte:Divergenzen, die zunächst als geringfügig erscheinen, stellen sich im Laufe derDiskussion als tiefer heraus, ja können den anfänglichen theoretischen Rahmender Diskussion selbst in Frage stellen. Das ist mit der Debatte in unsererOrganisation geschehen, insbesondere mit der These, die keynesiansich-fordistischerStaatskapitalismus heisst. So ergibt sichaufgrund der Lektüre des Artikels Die Ursprünge, Dynamiken und Grenzen des keynesianisch-fordistischenStaatskapitalismus (Internationale Revue Nr. 43), dass diese These nun offen verschiedenePositionen der IKS in Frage stellt. Da diese Infragestellungen eineAngelegenheit der Debatte selber sind, beschränken wir uns hier darauf, auf sieaufmerksam zu machen, und überlassen es späteren Beiträgen, darauf zurück zukommen. So gilt, für diese These, was folgt:

- „(...) der Kapitalismus generiert dauernd diegesellschaftliche Nachfrage, die der Entwicklung seines Marktes zu Grundeliegt"[2], während für die IKS „im Gegenteil zu dem, was dieVerehrer des Kapitals suggerieren, (...) die kapitalistische Produktion jedochnicht automa tisch und wunschgemäss die für ihr Wachstum notwendigen Märkte"schafft (Plattform der IKS).

-   Den Kulminationspunkt des Kapitalismus würdenauf einer bestimmten Stufe „die Ausweitung der Lohnarbeit und ihre durch dieHerstellung des Weltmarktes erreichte allgemeine Herrschaft" bilden[3]. Für die IKS dagegen trat dieser Kulminationspunkt dannein, als die wichtigsten wirtschaftlichen Mächte sich die Welt aufteilt hattenund der Markt „die Schwelle zur Sättigung derselben Märkte (erreichte), die im19. Jahrhundert noch seine ungeheure Ausdehnung ermöglicht hatten" (Plattformder IKS).

-   Die Entwicklung der Profitrate und die Grösseder Märkte seien vollkommen unabhängig, während für die IKS „durch diewachsende Schwierigkeit des Kapitals, Märkte zu finden, wo sein Mehrwertrealisiert werden kann, der Druck auf die Profitrate verstärkt und ihrtendenzieller Fall bewirkt (wurde). Dieser Druck wird durch den ständigenAnstieg des konstanten, "toten" Kapitals (Produktionsmittel) zu Lasten desvariablen, lebendigen Kapitals, die menschliche Arbeitskraft, ausgedrückt."(ebenda)

Es gehört zu einer proletarischen Debatte, die Klärungder Divergenzen systematisch und methodisch konsequent bis zu ihrer Wurzelvoranzutreiben, ohne Furcht vor allfälligen Infragestellungen, die sichaufdrängen können. Nur eine solche Debatte kann wirklich die theoretischenGrundlagen der Organisationen verstärken, die sich auf das Proletariat berufen.Folglich erfordert eine solche Debatte die strengstmögliche wissenschaftlicheund militante Klarheit, insbesondere was die Verweise auf Texte derArbeiterbewegung betrifft, die zur Unterstützung eines Arguments oder für diePolemik benutzt werden. Gerade der Artikel Die Ursprünge, Dynamiken und Grenzen deskeynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus in der Revue Nr. 43 stellt in dieser Hinsicht einProblem dar.

Ein Mangel an Wissenschaftlichkeit

Der fragliche Artikel beginnt mit einem Zitat aus Internationalisme Nr. 46 (Organ der Kommunistischen Linken Frankreichs,GCF): „1952 beendeten unsere Vorgänger in der GCF die Aktivitäten ihrer Gruppe,weil das „Verschwinden der ausserkapitalistischen Märkte (...) zu einerpermanenten Krise des Kapitalismus führt (...) Wir können hier die ins Augefallende Bestätigung von Rosa Luxemburgs Theorie sehen (...) In der Tat sind dieKolonien nicht mehr ein ausserkapitalistischer Markt für das kolonialeMutterland (...) Wir leben in einem Zustand des drohenden Krieges..." Geschriebenam Vorabend des Nachkriegsbooms, enthüllen diese wiederholten Fehler dieNotwendigkeit, über die „ins Auge fallende Bestätigung von Rosa LuxemburgsTheorie" hinauszugehen".

Wenn man diese Stelle liest, so springen die folgendenzwei Ideen ins Auge:

-   1952 (zur Zeit, als der Artikel von Internationalisme geschrieben wurde) waren die ausserkapitalistischenMärkte verschwunden, deshalb die Situation „einer permanenten Krise desKapitalismus".

-   Die Voraussage der Gruppe Internationalisme vom unmittelbar drohenden Krieg ist eine Konsequenz ausder Analyse über das Verschwinden der ausserkapitalistischen Märkte.

Aber dies sind nicht die wirklichen Ideen von Internationalisme, sondern ihre entstellende Transkription in der Formeines Zitats (das wir gerade wiedergegeben haben), das gewisse Stellen desOriginaltextes der Zeitschrift Internationalisme von den Seiten 9, 11, 17 und 1 in dieser Reihenfolgeherauspflückt und neu zusammensetzt.

Auf die erste zitierte Stelle, nach der das „Verschwindender ausserkapitalistischen Märkte (...) zu einer permanenten Krise desKapitalismus führt", folgt in Internationalisme unmittelbar der folgende, nicht zitierte Satz: „RosaLuxemburg zeigte im übrigen auf, dass der Moment des Ausbruchs dieser Kriseeintritt, lange bevor dieses Verschwinden absolut geworden ist". Mit anderenWorten beinhaltete für Internationalisme (wie für Rosa Luxemburg) die Krisensituation, die imZeitpunkt der Verfassung dieses Artikels herrschte, keineswegs die Erschöpfungder ausserkapitalistische Märkte, denn für sie tritt die Krise ein, „langebevor dieses Verschwinden absolut geworden ist". Diese erste Entstellung derPositionen von Internationalisme hat durchaus Konsequenzen für die Debatte, denn sieunterstützt die Idee (welche von der These des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus verteidigt wird), dass die ausserkapitalistischenMärkte im Boom der 50er und 60er Jahre eine vernachlässigbare Grösse gewesenseien.

Die zweite Internationalisme untergeschobene Position vom unmittelbar drohenden Kriegals Konsequenz aus der Analyse über das Verschwinden der ausserkapitalistischenMärkte ist in Tat und Wahrheit nicht die Position der Gruppe Internationalisme als solcher, sondern von einigen Genossen in derOrganisation, mit denen die Diskussion im Gange war. Das zeigt sich in derfolgenden Textstelle von Internationalisme, die zwar im Zitat ebenfalls benutzt wird, aber mitwichtigen und bezeichnenden Amputationen: „Für einige unserer Genossen lebenwir in der Tat in einem Zustand des unmittelbar drohenden Krieges, dessenAusbruch nun bevorstehe. Wir lebten in einem Zustand des unmittelbarbevorstehenden Kriegs, und die Frage, die sich der Analyse stelle, sei nicht,die Faktoren zu untersuchen, die zum weltweiten Zusammenstoss führten - dieseFaktoren seien gegeben und wirkten bereits -, sondern vielmehr zu untersuchen,warum der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen sei". Diese zweite Entstellung desGedanken von Internationalisme versucht, die Position von Rosa Luxemburg und Internationalisme zu diskreditieren, da der Dritte Weltkrieg, derangeblich die Folge der Sättigung des Weltmarktes hätte sein sollen, bekanntlichnie stattgefunden hat.

Diese Bemerkungen zielennicht auf die Diskussion der Analyse von Internationalisme ab, die in der Tat Fehler enthält, sondern auf dietendenziösen Interpretationen, die in den Spalten unserer Internationale Revue über die Positionen dieser Gruppe gemacht wurden.Es geht uns hier auch nicht darum, ein grundsätzliches Vorurteil gegen dieAnalyse des Artikels Die Ursprünge,Dynamiken und Grenzen des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus aufzubauen, die absolut zu unterscheiden ist von denstrittigen Argumenten, die wir hier kritisiert haben. Nachdem diese nötigenKlärungen erfolgt sind, können wir uns wieder sachlich der Fortsetzung derDiskussion über die Divergenzen in unserer Organisation zuwenden.



[1] Wie wir ihn inder Einführung zur Debatte dargelegt haben (Internationale Revue Nr. 42).

 

[2] Diese Stelle ist aus derfranzösischen Internet-Version der Internationalen Revue zitiert(fr.internationalism.org/rint133/debat_interne_causes_prosperite_consecutive_seconde_guerre_mondiale_2.html)undübersetzt, da sie in den anderen Ausgaben fehlt. 

 

[3]InternationaleRevue Nr. 43 S. 17

 

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