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Als sich in den Monaten zwischen November 1989 und Oktober 1990 die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten immer deutlicher abzeichnete, stieß dies auf heftigen Widerstand seitens des französischen und britischen Imperialismus. Von François Mitterand, damaliger französischer Staatspräsident, ist der Satz überliefert, dass er Deutschland so sehr liebe, dass er gern zwei davon habe. Der britische Imperialismus unter Maggie Thatcher drückte sich weniger charmant aus: Dort betrachtete man in Helmut Kohl, dem „Einheitskanzler“, bereits die Reinkarnation Adolf Hitlers. Beide Staaten fürchteten sich vor einem wiedererstarkten „Großdeutschland“, das allein durch seine schiere Größe zu übermächtig werden könnte. Und in der Tat schien zunächst einiges auf die Wiedergeburt des deutschen Großmachtdenken hinzudeuten. Kaum wiedervereinigt, begann der deutsche Imperialismus an seine alten Ambitionen auf dem Balkan anzuknüpfen. Er unterstützte offen die sezessionistischen Absichten Sloweniens und vor allem Kroatiens, wo er schon seit Mitte der achtziger Jahre heimlich Kontakte zu Ustascha-Nationalisten um Franjo Tudjman geknüpft hatte. Als sich dann Anfang der neunziger Jahre zunächst Slowenien und Kroatien von Jugoslawien abspalteten, warf die Kohl-Genscher-Regierung ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um die Anerkennung dieser neuen Staaten durch die Europäische Gemeinschaft durchzusetzen. Dabei griff sie auch zum Mittel der Erpressung, indem sie sich sträubende EG-Mitgliedsländer wie Frankreich offen drohte, im Falle einer Nichtanerkennung der neuen Ordnung auf dem Balkan das Maastricht-Abkommen zu torpedieren.
Die realpolitischen Machtgrenzen des deutschen Imperialismus
Doch der Höhenflug des deutschen Imperialismus auf dem Balkan war nur von kurzer Dauer. Bereits der Verlauf des Jugoslawien-Krieges, der sich an der Abspaltung der drei genannten Republiken anschloss, zeigte deutlich die politischen und militärischen Grenzen des deutschen Imperialismus auf. Weder war er im Stande, das Miloşevic-Regime mitsamt seinen 5. Kolonnen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo in die Schranken zu weisen; noch war er in der Lage, Frankreich und Großbritannien zu neutralisieren, die traditionell gute Beziehungen zu den Serben pflegten und keinesfalls gewillt waren, sich vom deutschen Imperialismus die Butter vom Brot nehmen zu lassen. So musste er mit ansehen, wie die nationalen Bestandteile „Friedenstruppen“ der Europäischen Gemeinschaft ihre jeweiligen Verbündeten vor Ort unterstützten, und damit die deutschen Absichten in der Region auf heftigste zu durchkreuzen versuchten. Ohne jegliches „hartes“ Mandat[1] versehen, so dass der Bürgerkrieg in Jugoslawien nicht einmal im Ansatz eingedämmt werden konnte, machten sie sich sogar zu Komplizen des Völkermordes.[2] Es war nicht der deutsche Imperialismus, der den Widerstand des Miloşevic-Regimes letztendlich brach, sondern die US-amerikanische Supermacht. In den folgenden Jahren wurde die ambitionierte deutsche Bourgeoisie endgültig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Es gelang ihr nicht, den Ausbruch des ersten Golfkrieges zu verhindern; sie musste sich gar, von den USA dazu genötigt, mit vielen Milliarden von einer eigenen militärischen Beteiligung freikaufen. Ihr Vorhaben, die Europäische Gemeinschaft in eine politische Union unter ihrer Führung umzuwandeln, erwies sich als völliger Fehlschlag; allen voran die britische Bourgeoisie obstruierte erfolgreich jeden dahingehenden Versuch. Ihre „strategischen“ Partner, ob Frankreich oder Russland, erwiesen sich als zu sehr auf ihre eigenen Interessen bedacht, um mit Deutschland einen dauerhaften Gegenpol zur US-Übermacht und gegen die sich ausbreitende Tendenz des Jeder-gegen-Jeden zu bilden.
So bleibt denn dem deutschen Imperialismus heute nichts anderes übrig, als kleinere Brötchen zu backen. Die Befürchtungen Mitterands und Thatchers, so legitim sie historisch auch waren, haben sich als unrealistisch und überzogen herausgestellt. Sicherlich, das Ende des Kalten Krieges hat der deutschen Bourgeoisie nach fast 45 Jahren alliierter Besetzung und eiserner Blockdisziplin gegenüber den Anführern der beiden Blöcke, USA und UdSSR, die uneingeschränkte nationale Souveränität zurückgegeben. Doch der deutsche Imperialismus zahlt auch einen hohen Preis für die Wiedervereinigung. Noch immer verschlingt der „Aufbau Ost“ Milliardengelder und bindet damit einen großen Teil der Staatsfinanzen. Gelder, die an anderer Stelle fehlen bzw. eingespart werden. Neben dem Sozialstaat, der – wie schon geschildert – weitestgehend entkernt wurde, entpuppte sich vor allem das Militär als Hauptleidtragender dieser Unwucht im deutschen Staatshaushalt. Der Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee, die den Erfordernissen des Kalten Krieges, sprich: der Erwartung eines Militärschlages seitens des Warschauer Paktes entsprochen hatte, zu einer Interventionsstreitkraft, die weltweit operieren kann, ist bis dato nur in Ansätzen vollzogen. Es fehlt an allem: Transportkapazitäten, mit denen Truppen und Ausrüstung binnen 24 Stunden an jeden Ort der Erde befördert werden können; moderne Waffensysteme in Armee, Marine und Luftwaffe; eine satellitengestützte Infrastruktur, mit der das deutsche Militär ohne die „gütige“ Hilfe des US-Militärs seine Truppen überall auf der Welt in Echtzeit steuern kann. Die Bundeswehr zehrt von ihrer Substanz; ehrgeizige Rüstungsvorhaben wie der Eurofighter oder der Airbus-Militärtransporter mussten mangels finanzieller Unterstützung massiv abgespeckt werden. Verglichen mit den US-Rüstungsausgaben nimmt sich der „Verteidigungs“etat der Bundesrepublik wie Peanuts aus.
Um jedoch einen ernst zu nehmenden Gegenpol, einen ebenbürtigen Block gegen die militärische Übermacht des US-Imperialismus zu bilden, reichen diplomatische Winkelzüge und Nadelstiche, wie sie die Politik der deutschen Bourgeoisie derzeit kennzeichnen, nicht aus. Diese können bestenfalls den Unilateralismus der USA aushöhlen und führen allenfalls zu temporären Koalitionen mit anderen Mittelmächten gegen die US-Supermacht. Um an seiner historischen Rolle als Hauptrivale der USA anzuknüpfen, müsste der deutsche Imperialismus ein geradezu gigantisches Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr auflegen. Nicht nur, um den USA militärisch Paroli zu bieten, sondern auch, um einen militärischen Schutzschirm zu spannen, unter dem er seine Vasallenstaaten zu einem Block sammeln kann. Doch davon ist der deutsche Imperialismus Lichtjahre entfernt. Und dies auf unabsehbare Zeit. Auf dem politischen Terrain steht die Arbeiterklasse einer Wiedergeburt des deutschen Militarismus im Weg. Und auf finanziellem Gebiet die Wiedervereinigung: Zwar hat sie der deutschen Bourgeoisie, die zurzeit des Kalten Krieges ökonomisch ein Riese, politisch aber ein Zwerg war, mehr politisches Gewicht in der Kakophonie des internationalen Imperialismus verliehen. Doch gleichzeitig verhindert sie bzw. ihre immensen Kosten den Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus zum Hauptrivalen des US-Imperialismus, der er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war.