Submitted by IKSonline on
Als vor mehr als einem Jahr in der Armenhochburg Haiti das schwerste Erdbeben in der Geschichte Nord- und Südamerikas zuschlug, wurden auf einen Schlag knapp über 300.000 Menschen in den Tod gerissen, weitere 310.000 verletzt, 1.85 Millionen Menschen obdachlos gemacht. Das heißt, ein Drittel der Bevölkerung Haitis fiel dem Beben zum Opfer. Damals sagte man, ein Erdbeben in solch einem rückständigen, unterentwickelten Land, dessen Bauten und Hilfsdienste in keinster Weise auf die Folgen eines schweren Bebens vorbereitet sind, konnte nur eine horrende Todesbilanz hinterlassen.
Als am 11. März das stärkste Erdbeben der jüngsten Zeit vor der Ostküste Japans einen gewaltigen Tsunami auslöste und eine Todeszone entlang der Küste hinter sich ließ, in der auf mehreren Hundert Kilometern unzählige Häuser dem Erdboden gleichgemacht, mehrere AKWs beschädigt wurden und schon kurze Zeit später eine nukleare Katastrophe in Fukushima gemeldet wurde, da fragten sich viele, wie es möglich ist, dass sich in dem Hightechland Japan, einer der führenden Industriemächte, solch eine Katastrophe ereignen konnte.
Mittlerweile ist bekannt geworden:
- Nicht nur das Atomkraftwerk in Fukushima wurde unweit der Küste, also in einem Gebiet errichtet, das als höchst erdbebengefährdet gilt, sondern auch eine Reihe weiterer AKWs. Die Planer behaupten, man hätte die Stärke der Erdbeben der letzten 100 Jahre studiert und dabei allenfalls mit Erdbeben der Stärke 8.2 auf der Richterskala gerechnet. Was aber sind 100 Jahre in der Erdgeschichte? Wie kann es überhaupt sein, dass AKW in solchen Gefahrenzonen errichtet wurden und werden?„‘Die Möglichkeit eines Tsunamis wurde bei der Planung nie in Betracht gezogen‘, sagte der frühere Toshiba-Ingenieur Shiro Oguro, der nach eigener Aussage 35 Jahre mit Planung, Bau und Wartung der Reaktoren betraut war. Man habe nicht berücksichtigt, dass die Welle eines Tsunamis nicht nur die reguläre Stromversorgung, sondern auch die unterhalb des Reaktors, praktisch direkt am Meer gelegenen, Notstromaggregate beschädigen und außer Betrieb setzen könnte.“ (WELTONLINE, 14.3.2011). „Die vorgesehenen Sicherheitssysteme seien nicht für ein Tsunami-gefährdetes Kraftwerk konzipiert gewesen. Andere Sicherheitssysteme seien nur ungenügend für den Notfall geplant gewesen. So sei das Containment, die Stahlschutzhülle, in der sich der eigentliche Reaktordruckbehälter befindet, nur für die Hälfte des Drucks ausgelegt, der nach dem Unfall tatsächlich auftrat. Sicherheitssysteme, die eigentlich redundant, also getrennt voneinander mehrfach vorhanden sein müssen, seien nicht ausreichend gewesen.“ (ebenda).
- Die Betreiberfirma Tepco hat in den letzten Jahren Dutzende von Störfällen vertuscht, bei der Wartung geschlampt, immer wieder gefälschte Reaktordaten veröffentlicht. „17 Reaktoren, darunter auch der jetzige Unglücksmeiler, mussten für Inspektionen vorübergehend vom Netz genommen werden“ (Spiegel, 12.März 2011). Wie kann man solche Schlampereien, Vertuschungen, Unachtsamkeiten erklären? Durch einen besondere Hang japanischer Techniker zur Sorglosigkeit oder gar durch die blinde Technikgläubigkeit der Japaner? Wie ist es möglich, dass in einem Land, das in vielen anderen Bereichen für seine hochentwickelte Technologie bekannt ist, die Sicherheitsstandards beim Betrieb von AKW so herabgedrückt wurden, der Staat so oberflächlich kontrollierte?
Tickende Zeitbomben…
Wir können im Rahmen dieses Artikels nicht näher auf die Gründe für den Bau von AKWs und für die Benutzung der Atomenergie eingehen. Es stellt sich aber die Frage, welche Sicherheitsphilosophie der Tatsache zugrunde liegt, dass weltweit mehr als 50 Atomkraftwerken in den aktivsten Erdbebenregionen des Planeten errichtet wurden? In Kalifornien in den USA stehen zwei AKW, Diabolo Canyon und San Onofre, in unmittelbarer Nähe zum Andreasgraben. In der Türkei wurde der Reaktor Akkuyu Bay unweit der Ecemis-Bruchlinie errichtet. In China, das ebenfalls häufig von Erdbeben erschüttert wird, stehen schon 27 AKWs, Dutzende weitere sind geplant. Bei Lahore, Pakistan, soll ein Reaktor ans Netz gehen, der in einem Gebiet mit mäßigem bis hohem Erdbebenrisiko steht. Taiwan verfügt über sechs Reaktoren – obwohl das Land in einem der am meisten von Erdbeben gefährdeten Regionen liegt. Anstatt die Gefahren der Natur zu berücksichtigen, hat der Kapitalismus überall tickende Zeitbomben geschaffen! Während die Katastrophe von Tschernobyl die ganze Unfähigkeit und Sorglosigkeit des stalinistischen Herrscherregimes zu Tage brachte, werfen die Ereignisse von Fukushima ein grelles Licht auf die Unfähigkeit und die Fahrlässigkeit der kapitalistischen Hochtechnologieländer.
Sicher, der Einsatz von angeblich billigem Atomstrom spielt eine nicht unwesentliche Rolle im internationalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Hinzu kommt das Bestreben, von Öllieferungen weniger abhängig zu werden, wie Obama jüngst in seiner Rechtfertigung für den Bau von Dutzenden neuen AKWs in den USA unterstrich.
In der Tat ist der globale Konkurrenzdruck mit verantwortlich dafür, dass beim Betrieb von Energie erzeugenden Anlagen – wie beim Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt – immer wieder Sicherheitsstandards untergraben werden. Dies trifft natürlich nicht nur auf AKWs zu. So explodierte vor knapp einem Jahr vor der Küste der führenden Industriemacht, den USA, die Ölplattform Deepwater Horizon. Im Untersuchungsbericht über die Ursachen der Explosion der Ölplattform mussten eklatante Mängel bei der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften eingeräumt werden. Der Konkurrenzdruck zwingt gerade die großen Konzerne, die einen gewaltigen Investitionsbedarf für den Bau und die Wartung ihrer Anlagen und Betriebe haben, dazu, überall zu sparen und dabei tendenziell die Sicherheit zu untergraben. Diese Fahrlässigkeit ist kein auf die rückständigen Länder begrenztes Phänomen, sondern nimmt gerade in den höchst entwickelten Staaten die unglaublichsten Dimensionen an. Dazu gehört beispielsweise, dass man die Laufzeiten von Kraftwerken verlängert, obgleich deren Verschleiß offensichtlich ist. So sollte nach rund 40 Betriebsjahren der Reaktor 1 des Meilers Fukushima-Daiichi eigentlich im März 2011 den Betrieb einstellen. In Deutschland hatte die Bundesregierung gerade die Laufzeiten von mehreren Meilern um mehrere Jahre verlängert, damit die Energieriesen sich die Taschen noch praller füllen können.
Der Kapitalismus – Vergewaltiger der Natur
Dass die kapitalistische Produktionsweise keine Rücksicht auf die Natur nimmt, wird auch angesichts des Höhenflugs des Biosprits deutlich. Während auf der einen Seite Menschen hungern, wird andererseits immer mehr Weizen, Mais, Raps usw. für die Herstellung von Biosprit angepflanzt, mit der Konsequenz, dass die Nahrungsmittelpreise auch dadurch mit in die Höhe geschraubt werden. So wird nicht nur der Raubbau an den Ressourcen der Natur forciert, es werden auch immer mehr Menschen in den Hunger getrieben.
Dass Panscherei und der systematische Einsatz von nicht zulässigen, gefährlichen Stoffen bei der Lebensmittelherstellung keine Besonderheit von unterentwickelten oder von Gangsterbanden dominierten Ländern sind, sondern gerade in den hochentwickelten Industriestaaten immer wieder praktiziert werden, zeigte Anfang des Jahres der jüngste Dioxinskandal in Deutschland, als aufflog, dass ein Futtermittelhersteller bis zu 77-mal mehr Dioxin dem Futterfett beigemischt hatte als erlaubt. Die Kontrollmethoden des Staates waren lächerlich lasch. Skrupellosigkeit ohne Ende bei den Futtermittelherstellern, ein Gewähren lassen durch die staatlichen Behörden, die sich in anderen Fragen als argwöhnische Überwacher aufspielen.
Zurzeit kann niemand sagen, ob man die Reaktoren in Fukushima wieder in den Griff kriegen wird. Das ganze Ausmaß der ökologischen und ökonomischen Auswirkungen lässt sich heute noch nicht erkennen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Kosten für Aufräumarbeiten in Three Mile Island über eine Milliarde betrugen, die Folgekosten von Tschernobyl (z.B. für den Sakrophag) liegen wesentlich höher. Die Folgekosten des atomaren Desasters von Fukushima werden alles Bisherige übertreffen. Bislang scheint die Metropole Tokio mit ihren 35 Millionen Einwohnern noch vom Schlimmsten verschont geblieben zu sein; nicht auszumalen, welche Konsequenzen sich für diese Stadt ergeben könnten. Jedenfalls erscheint das Verhältnis zwischen den Profiten, die die energieerzeugenden Firmen einfahren, und den Kosten, die für die Gesellschaft anfallen, als völlig irrational.
Klar ist, die direkte und indirekte Bedrohung für die Natur und die Menschen nimmt immer größere, bedrohliche Ausmaße an. Je länger das System wütet, desto mehr sind die Grundlagen für das Überleben der Menschheit gefährdet. 23.03.2011