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Normalerweise schlägt die Schuldenfalle zu, wenn der Schuldner seine Schulden nicht mehr begleichen kann und insolvent wird. Dann kann der Gläubiger eine Reihe von Ansprüchen geltend machen (z.B. Pfändungen), wenn nötig mit Gerichtsvollzieher, Zwangsvollstrecker, Abtretungen usw. Dies ist die Alltagspraxis bei der Regelung von Insolvenzen. Was aber wenn ein Staat pleite geht? Zurzeit stehen immer mehr Staaten vor dem Staatsbankrott.
Verträge zwischen Staaten werden durch internationale, bilaterale oder multilaterale Übereinkommen zwischen Staaten abgesichert. Dies funktioniert meistens gut, weil das Überleben der Nationalstaaten vom Welthandel und internationalen Finanzsystem abhängt. In Anbetracht des Staatsbankrotts von immer mehr Staaten – auch und vor allem im Euro-Bereich – stellt sich mittlerweile heraus, dass es keine Instanz gibt, die die üblichen Insolvenzmaßnahmen gegenüber einem bankrotten Staat durchsetzen kann.
Der berühmte Artikel 125 des Europäischen Vertrages, der die Grundlage der gemeinsamen europäischen Währung ist, sieht vor, dass im Falle eines Bankrotts eines Mitgliedstaates kein anderer Mitgliedsstaat haften oder unterstützend einspringen muss. Dies bedeutet, dass unter solchen Bedingungen ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss. Es ist mittlerweile klar geworden, dass zum Zeitpunkt, als der Vertrag aufgesetzt wurde, keiner der Verantwortlichen diesen schlimmsten Fall, der in Artikel 125 behandelt wird, jemals für möglich gehalten hatte. Aber die Wirklichkeit hat sie überholt, denn nunmehr stehen Griechenland und andere Staaten vor dem Bankrott. Und was ist aus diesem Insolvenzverfahren geworden? Es hat bislang nicht stattgefunden. Warum nicht? Die üblichen Erklärungen lauten, dass dann Griechenland aus der Eurozone ausscheren müsste (obwohl dies nicht sicher ist), und dass dies das Ende des Euro bedeuten würde (auch das ist nicht sicher!). Eine Insolvenz würde in solch einem Fall wahrscheinlich zu einem „haircut“ für Griechenland führen, wie es die Experten nennen: ein Teil der Schulden würde gestrichen, aber gleichzeitig würde der souveräne griechische Staat teilweise „enteignet“.
In Wirklichkeit aber gibt es solch einen Insolvenzmechanismus für Nationalstaaten, der jetzt eigentlich nötig wäre, nirgendwo auf der Welt, und genauso wenig gibt es irgendwelche Institutionen, die solch eine Insolvenz durchsetzen könnten. Auf diesem Hintergrund würde ein Insolvenzverfahren zum Beispiel in Griechenland unter ganz chaotischen, unkontrollierbaren Bedingungen stattfinden, ohne irgendwelche solide staatliche Regulierung. Unter diesen Bedingungen würde in der Tat der Euro in Gefahr geraten, ja das ganze internationale Finanzgefüge. Deshalb sind diese Institutionen gezwungen gewesen, Griechenland, Irland und Portugal mit immer neuen Rettungspaketen zu versehen. Wahrscheinlich werden sie bald Spanien und Italien „retten“ müssen. Es liegt auf der Hand, dass dieser ganze Prozess nicht endlos so weitergehen kann.
Die Weltwirtschaftskrise 1929 war damals die schlimmste Wirtschaftskrise; sie war die erste große Krise im niedergehenden Kapitalismus. Aber das Ausmaß dieser Katastrophe wurde noch verschlimmert durch zwei schwere „Fehler“ einer noch ziemlich unerfahrenen herrschenden Klasse: Man drehte den Kredithahn zu und ließ der Autarkie freien Lauf. Mittlerweile hat die herrschende Klasse die Lehren aus diesen Ereignissen gezogen. Gegenüber der Zuspitzung der Wirtschaftskrise hat sie mit der Vergabe von noch mehr Krediten reagiert und mit verschiedenen Maßnahmen zum Ausbau des internationalen Wesens der Weltwirtschaft. Aber nunmehr werden die Grenzen dieser Maßnahmen immer deutlicher – auch für die herrschende Klasse. Es wird immer offensichtlicher, dass das Ausmaß des Schuldenbergs selbst zum zentralen Problem geworden ist. Heute ist die Gefahr von zahlungsunfähigen Nationalstaaten, die zum Auseinanderbrechen des Weltmarktes führen können, noch größer als die Auseinandersetzungen um den Zugang zu den Märkten.
Vermutlich wäre Europa die wahrscheinlichste Bruchstelle, da es sich um eines der Hauptzentren der Weltwirtschaft handelt und es gleichzeitig in eine Reihe von Nationalstaaten gespalten ist. Falls es dazu kommen sollte, wären auch heute wie 1929 (seinerzeit Deutschland und die USA) die höchst entwickelten Industriestaaten die Hauptleidtragenden (zu denen Deutschland und China gehören).
Die einzige „Alternative“ gegenüber einem Auseinanderbrechen des Weltmarktes scheint aus der Sicht der Herrschenden darin zu bestehen, dass eine Reihe von mächtigeren Staaten den schwächeren Nationalstaaten die Souveränität raubt, so dass diese dazu gezwungen würden, sich wegen ihres Bankrotts den „Gesetzen“ und „Regeln“ der Stärkeren zu unterwerfen. Innerhalb der Europäischen Union scheint ein solches Tauziehen eingesetzt zu haben, vor allem zwischen Berlin und Athen (als Repräsentanten der beiden extremsten Positionen). Athen hat damit gedroht, die ihm auferlegten Bedingungen nicht zu akzeptieren, oder es hat Gerüchte verbreitet, man werde die Euro-Zone verlassen – um so zu versuchen, bessere Bedingungen für sich herauszuschlagen. Berlin und „Brüssel“ an seiner Seite sind mehr und mehr dazu übergangen, dem griechischen Kapital und seiner Regierung ihre Wirtschaftspolitik zu diktieren. Unter anderem wird Athen dazu gezwungen, große Teile seiner verstaatlichten Wirtschaft zu privatisieren. Diese Maßnahmen dienen nicht dazu, Geld zusammenzukratzen, um damit Schulden oder auch nur Schuldzinsen zu begleichen, sondern um die Kontrolle über die Schaltstellen seiner Wirtschaft zu übernehmen.
Seit 1989 wird die Weltwirtschaft nicht mehr unter den gleichen Rahmenbedingungen betrieben, wie zur Zeit der beiden imperialistischen Blöcke nach dem 2. Weltkrieg. Die Art Disziplin, welche die stärkeren Länder den schwächeren aufzuzwingen versuchen, mit dem Ziel, ein Mindestmaß an Regeln in der Weltwirtschaft einzuhalten und „vertragstreu“ zu bleiben, kann sich nicht mehr auf die drohende Rolle eines imperialistischen Blockführers stützen. Solch eine Disziplin durchsetzen könnte nur eine führende Regionalmacht (wie zum Beispiel Deutschland in Europa) – aber das müsste dann Schritt für Schritt, pragmatisch, empirisch und unvermeidlich total chaotisch erfolgen. Zu Beginn der „Griechenlandkrise“ verbarg die herrschende Klasse in Deutschland kaum ihre Methoden des Umgangs mit solch einer Lage. Jedes Mal, wenn die „Rettung Griechenlands“ zur Debatte stand, verlangte Berlin die Errichtung eines förmlichen „Insolvenzverfahrens“ für die Eurozone. Aber es musste bald einsehen, dass dieses Ziel, zumindest unmittelbar, politisch nicht durchsetzbar war. Ist es überhaupt durchsetzbar? Ökonomisch vielleicht, wenn man die Abhängigkeit eines Landes wie Griechenland von den zentralen Ländern berücksichtigt, die in Anbetracht der grenzenlos wachsenden Schulden nur noch weiter zunehmen wird. Auf der anderen Seite aber verfügen diese Länder paradoxerweise über mehr Möglichkeiten, die größeren Staaten zu erpressen, je mehr ihre Schulden zunehmen. Sie können zum Beispiel damit drohen, ihre Zahlungen einzustellen, mit anderen Worten keine Politik des traditionellen „nationalen Widerstandes“, sondern eine Politik des reinen „Vandalismus“, Chaos schaffen, etwas zum Einsturz bringen.
Damit beschränken sich die Probleme nicht nur auf den Bereich der Wirtschaft, sondern sie werden politisch. Schwächeren Ländern ihre Souveränität zu rauben, heißt Öl aufs Feuer des Nationalismus zu gießen. Aber nicht nur das. Wenn Länder wie Deutschland oder Frankreich für Rettungspakete in einer Reihe anderer Staaten blechen müssen, ohne Aussicht auf eine effektive Reduzierung der Schulden, kann dies langfristig zu einer Explosion des politischen Populismus in den zentralen Ländern selbst führen und es wäre dann nicht ausgeschlossen, dass „unverantwortliche“, unberechenbare Flügel der Herrschenden die Regierung übernehmen, die eine engstirnige und bornierte Form des Nationalismus praktizieren würden, und für welche die Aufrechterhaltung einer „funktionierenden“ Weltwirtschaft keine Priorität mehr wäre. Wie zwischen 1914-45 würde eine Phase kapitalistischer Globalisierung zu einer ökonomischen Zersplitterung und nationalistischen Vandalismus führen. Wir denken dabei nicht unbedingt an den Aufstieg faschistischer Regime wie in den 1920er und 1930er Jahren, da wir nicht mehr in einer Zeit der Konterrevolution leben. Aber es liegt auf der Hand, dass das Aufblühen des Nationalismus heute auf dem Hintergrund einer zerfallenden Gesellschaft große Probleme nicht nur für die Herrschenden mit sich bringt, sondern auch für die Arbeiterklasse. In Kairo und Athen sieht man oft Nationalfahnen bei Kundgebungen, nicht dagegen in Madrid und Barcelona! Aber natürlich beschränkt sich die Frage der „schwachen Glieder“ unter den Nationalstaaten nicht nur auf Europa; ein Blick auf die Beziehung zwischen den USA und China und den schwebenden Bankrott des US-Staats genügt. Hier verläuft die Nahtstelle nicht zwischen stärkeren und schwächeren Staaten, sondern zwischen den beiden Großen der Weltwirtschaft überhaupt, mit unglaublicher Sprengkraft für die Weltwirtschaft insgesamt. 22.7.2011