Occupy London: Das Gewicht von Illusionen

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„Occupy London kämpft gemeinsam mit anderen Besetzungen auf der ganzen Welt. Wir sind 99%. Wir sind ein friedliches, nicht hierarchisches Forum. Wir sind uns einig, dass das bestehende System undemokratisch und ungerecht ist. Wir brauchen Alternativen. Ihr seid eingeladen, an den Debatten teilzunehmen und sie mit uns zu entwickeln, um eine bessere Zukunft für alle zu kreieren.“

Diese Stellungnahme begrüßt einem auf der Occupy London Website occuplsx.org. Richtig, es gab und gibt Besetzungen an vielen Orten auf der Welt mit Aktionen, die schnell vom Startpunkt an der Wall Street auf über hundert Städte in den USA und auch nach Europa übergesprungen sind. Die allgemeine Aktionsform war die Besetzung von öffentlichem Raum, mit anschließenden Diskussionen, Protesten und gemeinsamen Aktionen.

Leute beteiligen sich in dieser Bewegung und den Besetzungen, weil sie eine tiefe Sorge über die Weltlage haben, über Ökonomie und Politik wird dabei diskutiert. Ein Genosse unserer Sektion in Großbritannien schildert seine Eindrücke: „Ich war am Finsbury Square und sprach mit zwei jungen Frauen, eine arbeitslos, die andere hat einen Job. Die eine beschrieb den Grund ihrer Präsenz mit einem Gefühl des Unglücklichseins darüber, wie heute die Dinge laufen.“ Die Besetzungen eröffnen etwas, das in Großbritannien nicht Alltag ist – einen öffentlicher Raum, zu dem Leute einfach kommen und in Vollversammlungen diskutieren können, um gemeinsam die Probleme dieser Welt zu verstehen. Die Leute in den Besetzungen kommen aus verschiedenen Teilen des Landes, und auch aus dem Ausland. Einige gehen ihrer Lohnarbeit nach und sind fester Teil der Proteste. Es gab Versuche, Delegierte an andere Orte auszusenden wie den gegenwärtigen Protest der Elektriker. All das in einer Zeit, in der es trotz der großen Angst und Empörung über die niederprasselnden Sparmaßnahmen in ganz Großbritannien nur spärlich Ansätze eines Widerstandes der Arbeiterklasse gibt.

Die Ereignisse vor kurzem in Spanien und Griechenland haben gezeigt, dass die Vollversammlungen das Lebenszentrum der Selbstorganisierung der Arbeiter- und Arbeiterinnen sind. Sie sind der Ort, an dem politische Konfrontationen, Klärungen und Reflexionen stattfinden können. Klarstes Beispiel waren die intensiven Diskussionen in Spanien zwischen Menschen, die für eine „echte Demokratie“, also für eine demokratischere Regierung waren, und anderen, die mehr eine proletarische Perspektive im Auge haben: „Es gab sehr bewegende Momente, wo Leute sehr aufgewühlt waren und von Revolution sprachen und das System radikal kritisierten  - man muss das Problem bei den Wurzeln packen - wie Einer sagte.“[1]

Die Diskussionen rund um die Occupy-London-Proteste drehen sich meist um zwei Hauptfragen: wie die parlamentarische Demokratie „verbessern“, um sie „für das Volk“ zurückzugewinnen, gegen die Reichen, die Banker, die Elite; und zweitens: wie mehr soziale Gerechtigkeit erreichen – sprich eine gerechtere Verteilung im Kapitalismus. Unser Genosse formulierte es so: „Ich kam zu den späten Treffen im Universitätszelt, wo eine Diskussion über die Demokratie stattfand. Dort vernahm ich, dass es in Spanien keine wirkliche Demokratie gebe, da man nur einer Liste einer Partei die Stimme geben könne, was zu einer proportionalen Sitzverteilung führe, ohne Möglichkeit, einen bestimmten Parlamentarier zu wählen, und dass die Parteien ein Teil des Staates seien. Einige meinten dies seien alles Nachwehen aus der Zeit Francos… In dieser Diskussion waren die Politiker so fast an allem schuld. Doch es gab auch andere Stimmen, die versuchten, Fragen der Ökonomie einzubringen und den Standpunkt formulierten, dass die Demokratie in Großbritannien keinen Deut besser sei als in Spanien. Es gab auch bizarre Beiträge wie z.B. die Idee, wir sollten dafür sorgen, dass Laien die öffentlichen Ämter übernehmen, ähnlich wie sie für Geschworenengerichte beigezogen werden, dies würde die Vetternwirtschaft im Oberhaus beseitigen …oder wir sollten bessere Manager in die Regierung wählen wie in China …Einer sagte, am System der Parlamentswahlen herumzubasteln sei ein Weg, um die Erfahrung der Vollversammlungen auf eine höhere Ebene zu bringen. Ich beteiligte mich mit drei kurzen Beiträgen an der Diskussion: 1. Dass die Art und Weise, wie Politiker handeln, nicht von spanischen, britischen oder sonstigen parlamentarischen Systemen herrührt, sondern von ihrer Aufgabe, den Kapitalismus zu verteidigen. 2. Dass die Rolle der ökonomischen Krise generell zu beachten ist und die Krise nicht alleine auf die Kappe der Banker geht. 3. Ich sagte auch, dass ich gehofft hätte mehr über die Vollversammlungen selbst zu hören und mir den Einbezug historischer Beispiele wie der Arbeiterräte wünsche. Auch wenn es einige Zustimmungen mit dem Zeichen des Händeschüttelns gab, so schwenkte die Diskussion wieder auf die Suche nach perfekteren Formen der bürgerlichen Demokratie ein.“       

Occupy London ist nicht nur kleiner als die Bewegungen in Spanien und den USA - von denen sie inspiriert wurde -, sondern auch schwächer an Stimmen für eine Perspektive, die sich an der Arbeiterklasse orientiert, während umgekehrt Voten für die Verbesserung der parlamentarischen Demokratie häufiger zu hören sind. Die Bemühung, „Delegationen“ an die Proteste der Elektriker, die nicht weit davon entfernt stattfanden, zu senden, wurden mehr als individuelle Entscheidungen und Aktivitäten derjenigen, die sich gerade beteiligten, angesehen. In Oakland hatte die Occupy-Bewegung sogar zu einem Generalstreik und zu Abendmeetings aufgerufen, damit Arbeitende sich daran beteiligen können (siehe: www.occupyoakland.org). All das lässt Occupy London sehr verletzlich bleiben gegenüber dem Hin und Her um die Frage der drohenden Vertreibung – oder eines  alternative Platzes für 2 Monate mit reduzierter Anzahl von Zelten – und dem ganzen Medienzirkus um die Reibereien der Obrigkeiten der St Paul’s Cathedral, mit dem Rücktritt des Domherrn und später des Dekans.          

Die Reaktion der Boulevardpresse war wie vorhersehbar im Stile der geschockten Entrüstung über die „Horror-Bewegung“. Die liberalere und linke Presse meinte, diese Bewegung sei eine „Auffrischung“ und ein „Aufrütteln“ für ein demokratischeres System. Unter dem Strich haben sich der Großteil der Presse und die offizielle Kirche zum Argument durchgerungen, die Politiker sollten auf die „Anliegen“ des berechtigten Protests eine „Antwort“ geben. Doch wenn die Bewegung keine Perspektive des Hinausgehens eröffnet, um den Kontakt mit dem Rest der Arbeiterklasse zu suchen, werden der Medienrummel und die Art, wie diese die Bewegung darstellen, zu einem Gefängnis.

Die drohende Räumung und die Frage, wie man sich gegen Gewalt und Repression verteidigt, sind zweifelsohne wichtig. An vielen Orten in den USA nahm diese geforderte „Antwort“ von gewählten Politikern gegenüber der Bewegung die Form harter Repression an (wie die 700 Leute, die auf der Brooklyn Bridge eingekesselt und dann verhaftet wurden, und Verhaftungen und Schläge an anderen Orten mit Besetzungen[2]). Auf einer Vollversammlung auf dem Finsbury Square, an der ein Genosse von uns teilnahm und auf der über die angedrohte Räumung bei der St Paul’s Cathedral gesprochen wurde (bevor die Kirche das Angebot von zwei Monaten Bleiberecht mit vereinbartem Wegzugsdatum machte), war das Hauptanliegen, wie wohl die Medien die Reaktion der Vollversammlung präsentieren würden. Auf einen Vorschlag von unserem Genossen, direkt zu Arbeitern zu gehen, und die Mahnung eines anderen Teilnehmers, dass die Ziele der Bewegung über eine unendliche Besetzung hinausgingen, wurde nicht eingegangen. Beide fühlten sich etwas störend.

Die große Gefahr ist nun, dass Occupy London in die Falle einer hoffnungslosen, nach innen gerichteten Dynamik gerät und der Kirche und den Medien das Zepter überlässt.

Graham 4.11.2011



[1] http:/en.internationalism.org/icconline/2011/september/indignados

[2] The Guardian berichtete am 14. Oktober, dass der Sohn des legendären Bluesmusikers Bo Diddley verhaftet wurde, als er seine Unterstützung für die Bewegung kundtat… und dies auf einem Platz in Florida, der nach seinem Vater benannt ist!

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