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Nach den Juni-Wahlen in Griechenland begrüßte US-Präsident Obama das Ergebnis als eine Chance für die neue Regierung, „den Weg der Reform weiter zu beschreiten und dies auf eine Weise zu tun, die dem griechischen Volk Aussichten auf Erfolg und Wohlstand eröffnet.“
Diese Worte wirkten heuchlerisch, unterscheidet sich doch die neue Koalition politisch nur geringfügig von der Koalition, die vom vergangenen November bis zu den Wahlen im Mai regiert hatte. Es war diese Koalition, die Georges Papandreou abgelöst hatte, die die Bedingungen für die 130 Milliarden-Rettungsaktion akzeptiert hatte. Es war diese Koalition, die die ohnehin brutalen Sparmaßnahmen noch verschärft hatte. In den letzten Wahlen schürten Neo Dimokratia und PASOK, jene Parteien, die seit 1974 Griechenland ununterbrochen regiert hatten, Ängste, dass die Geldanlagen trocken gelegt werden sollen und dass sich die Wirtschaft, die sich nach fünf Jahren der ununterbrochenen Rezession bereits in einer tiefen Krise befindet (mit einer Bevölkerung, die bereits schlimmste Ausplünderungen über sich ergehen lassen musste), einer noch schlimmeren Katastrophe gegenübersieht. Und sie befinden sich noch immer an der Macht, und zwar mit dem Beistand einer kleinen linken, nicht rechten Partei.
Doch nachdem Ministerpräsident Samaras der Regierung endlich alle Zahlen genannt hatte, änderte sich Melodie etwas. Die Koalitionsparteien kamen darin überein, dass sie einige Aspekte des Vertrages mit ihren internationalen Gläubigern neu verhandeln wollen. Sie wollen „zwei weitere Jahre, bis 1916, um das öffentliche Defizit auf unter drei Prozent des Bruttosozialprodukts zu drücken. Dies werde der Regierung ermöglichen, ihre fiskalischen Ziele zu erreichen, ohne weitere Einschnitte bei den Löhnen, Renten und bei den öffentlichen Investitionsprogrammen vorzunehmen. Stattdessen sollen Einsparungen vorgenommen werden, indem die Korruption, die Verschwendung öffentlicher Ausgaben, die Steuerhinterziehung und die Schattenökonomie angegangen werden“ (Kathimerini, 24. Mai 2012).
Es wird interessant sein zu sehen, auf wie viel internationale Sympathie dieses Vorgehen stößt. Schmerzen und noch mehr Schmerzen sind die von den Führern der Euro-Zone vorgeschriebene Arznei. In Anbetracht der Tatsache, dass die Hauptbeteiligten in der griechischen Regierung für die Durchsetzung aller bisherigen Einschnitte verantwortlich gewesen waren, fragen sich andere europäische Bourgeoisien wahrscheinlich, warum sie es nicht genauso tun. Sind sie sich doch bewusst, dass Unzufriedenheit zur militanten Aktion führen kann.
Bei den Juni-Wahlen betrug die Wahlbeteiligung gerademal 62.5 Prozent. Diese lag noch unter der vom Mai, die mit 65 Prozent schon die historisch niedrigste war. Obwohl in Griechenland ein Zwang zur Wahlbeteiligung besteht, wird die Nichtbeteiligung an Wahlen nicht geahndet. Es wird immer deutlicher: Immer weniger Leute glauben daran, dass Wahlen noch zu irgendeiner Verbesserung ihres Lebens führen.
Unter jenen, die sich an der Wahl beteiligten, stimmten die über 55-Jährigen eher für Neo Dimokratia, weil diese die Illusion der Stabilität und finanziellen Sicherheit bot. Die Altersgruppe der zwischen 18 und 24-Jährigen war eher von Syriza angezogen, das eine Art „Alternative“ anzubieten schien.
Viele trotzkistische Gruppen zeigen sich enthusiastisch über die Wahlerfolge Syrizas. Obwohl sie eingestehen, dass es sich eher um eine Reformpartei als um eine revolutionäre Partei handelt, erwarten sie, dass Syriza, eine wichtige Rolle bei der Zentralisierung des Widerstands gegen die Sparpolitik spielt. Doch wenn man die Stellungnahmen Syrizas und die Äußerungen seines Führers, Alexis Tsipras, vernimmt, erkennt man unschwer darin ein Modell der „verantwortungsvollen Opposition“, als welche Tsipras diese selbst bezeichnet hatte (Reuters, 19.6.2012).
Ein Kommentator von Al-Jazeera stellte die Frage, ob Syriza “insgeheim eigentlich dankbar dafür ist, zum jetzigen Zeitpunkt der Verzweiflung von der Regierungsverantwortung verschont zu bleiben.“ (18.6.2012)
Zweifellos wird Syriza gegenüber der neuen Regierung die zentrale Rolle der Opposition spielen. Dadurch wird die Illusion verstärkt werden, dass die Sparpolitik abgeschwächt werden kann. Aber „Tsipras hat schon wissen lassen, dass Syriza seine Anhänger nicht auf der Straße mobilisieren werde, um gegen die Sparmaßnahmen zu protestieren“ (Reuters, 19.6.2012). Er meint, dass Widerstand gegenwärtig nicht die Priorität sei. „Unsere Rolle besteht darin, innerhalb und außerhalb des Parlaments zu wirken, alles Positive zu begrüßen und alles Negative zu verurteilen und Alternativen vorzuschlagen.“ (ebenda).
Tsipras, der eine faire Besteuerung, ein Schuldenmoratorium und gewisse “Strukturreformen” verlangt, siedelt Syriza somit im bürgerlichen Mainstream an. In einem Interview mit Time Magazine (31.5.2012) meinte er, die Politik des amerikanischen New Deals in den 1930er Jahren sei beispielhaft gewesen. „Wir werden erkennen, dass Roosevelt Recht hatte und wir werden seinen Weg einschlagen.“ Doch es bleibt nicht nur bei der Nostalgie für eine ferne Vergangenheit; er bewundert auch die gegenwärtigen staatskapitalistischen Institutionen in den USA. Hinsichtlich der Analyse der Probleme in der Europäischen Währungsunion meint er, dies sei zum Teil auf das Fehlen einer Zentralbank zurückzuführen, die – wie die Fed in den USA - als eine wirkliche Zentralbank auftreten kann und als letzter Strohhalm auch einem Land Geld leihen könne, das auf den Märkten Probleme habe.
In einem Artikel für die Financial Times (12.6.2012) schrieb Tsipras, „Syriza ist heute die einzige politische Bewegung in Griechenland, die unserem Land ökonomische, soziale und politische Stabilität bieten kann (...) Nur Syriza kann die Stabilität in Griechenland garantieren, weil wir nicht durch die politische Erblast der etablierten politischen Parteien belastet sind, welche Griechenland an den Rand des Abgrunds gebracht haben.“
Dies verdeutlicht die Sorge Syrizas um kapitalistische Stabilität und auch die Ursache für seine Anziehungskraft, die darin besteht, nicht den Ruf von PASOK oder Neo Dimokratia zu haben. Syriza reagiert auf die Wut in der Bevölkerung, aber mit einem besonderen Ziel: „Griechenland braucht mutige und entschlossene Führer, die die Wut der Leute zu einer Waffe schmieden können, um in Verhandlungen zugunsten unseres Landes einzutreten“ (Reuters, 19.6.2012). Das Dutzend linker Gruppen, die in Syriza zusammengeschlossen sind, will die Wut der Leute ausschlachten, um über eine Waffe für die Verhandlungen zugunsten des griechischen Kapitalismus zu verfügen. Der Hauptunterschied zwischen Syriza und der Samaras-Regierung besteht also darin, dass die Regierung sich auf die Angst der Bevölkerung stützt und Syriza auf ihre Wut. Car 25.6.2012