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Seit April zieht ein Sturm über Japan, vergleichbar mit dem « Arabischen Frühling » der die Mobilisierungen der „Empörten“ in der ganzen Welt auslöste (Spanien, Griechenland, USA, Kanada). Und wie bei vielen dieser Mobilisierungen sehen wir auch in Japan wieder eine Politik des black-outs, des Verschweigens, durch die herrschende Klasse und ihre mächtigen Medien. Selbst in Japan existiert ausserhalb der Orte an denen sich die Unzufriedenheit direkt ausdrückt ein Vertuschen wie in den westlichen demokratischen Medien. Ein Beispiel: Eine Demonstration von mehr als 60`000 Leuten in Tokyo wurde gegenüber der Öffentlichkeit komplett unter dem Deckel des Schweigens gehalten. Nach den Worten des japanischen sog. „unabhängigen“ Journalisten M. Uesugi «ist in Japan die Kontrolle der Medien stärker als in China oder Ägypten»[1]
Die Demonstrationen an denen im April 2012 nur einige hundert Leute teilgenommen hatten wuchsen schnell auf tausende von Menschen an und wurden zu einer intensiven Welle der Empörung. Anfang Juli entstanden die Proteste in verschiedenen Landesteilen (Region Tohoku im Nordosten, Kyushu-Insel im Süden, Shikoku im Südosten, Hokkaido im Norden, Honshu im westlichen Zentrum Japans) und die Protestierenden begannen in der Nähe des Yoyogi-Parks in Tokio die Strassen zu besetzen. Eine riesige Demonstration mit 170`000 Leuten fand statt. Seit den 1970er Jahren gab es in Japan nie mehr eine solch grosse Demonstration gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen. Die letzte, aber viel kleinere Demonstration, richtete sich 2003 gegen den Krieg im Irak.
Die Gründe dieser Unzufriedenheit sind mit dem Trauma von Fukushima verbunden, mit der Empörung über die Lügen der japanischen herrschenden Klasse und deren Fortführung der nuklearen Kamikaze-Politik. Der aktuellste nationale Plan sieht den Bau von 14 neuen Atomreaktoren bis 2030 vor! Nach der Katastrophe von Fukushima ist der Regierung nichts Besseres zur „Besänftigung“ und zur Vorbereitung ihres Nuklearplans in den Sinn gekommen, als der Bevölkerung zu sagen: „Ihr werdet nicht unmittelbar betroffen sein. (…) Es ist nicht so schlimm, es ist wie in ein Flugzeug zu steigen oder der Sonnenstrahlung ausgesetzt zu sein“. Was für ein Zynismus ! Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Bevölkerung aufgebracht das „Abschalten der Atomkraftwerke“ fordert, allen voran den Reaktor von Hamaoka der 120 Kilometer von Nagoya entfernt in einer höchst erdbebengefährdeten Zone liegt.
Das Ausmass der Proteste hat selbst die Initiatoren überrascht. Die Aufrufe verbreiteten sich dynamisch schnell via Internet und es gibt wie in anderen Ländern zuvor die treibende Kraft von Seiten der jungen Menschen, vor allem Studenten und Schüler. Für viele von ihnen sind dies die ersten Demonstrationen in ihrem Leben. Einige der fast wöchentlich stattfindenden Proteste wurden von den Mittelschülern in Nagoya über soziale Netzwerke und anscheinend von Anti-Atom Gruppen organisiert[2]. Es erscheinen immer mehr kritische Stimmen auf dem Internet, Videos werden veröffentlicht und neue Standorte welche die Empörung ausdrücken tauchen auf. Durch Beiträge wie auf einem Blog eines pensionierten Arbeiters aus dem Reaktor von Hamaoka der die angebliche „Sicherheit“ der Atomkraftwerke denunziert befruchtet sich das Nachdenken. Ein Student aus Sendai im Nordosten Japans, Mayumi Ishida, wünscht sich „eine soziale Bewegung mit Streiks“[3]. Diese Bewegung drückt die angestaute tiefe Frustration über die sozialen Verhältnisse aufgrund der Krise und der brutalen Sparpolitik aus. Die Proteste in Japan reihen sich ein in die anderen internationalen Ausdrücke der Bewegung der „Empörten“.
Obwohl wir nicht über genauere Informationen verfügen ist eines klar: Leute legen ihr Zögern ab und melden sich politisch zu Wort.
Doch wie auch anderswo hat diese Bewegung ihre grossen Schwächen, so vor allem Illusionen in die bürgerliche Demokratie und nationalistisch gefärbte Vorurteile. Die Empörung bleibt Grossteils in den Schranken der Kontrolle der Gewerkschaften und offiziellen Anti-Atom Organisationen gefangen. Lokale bürgerliche Politiker treten grossmäulig mit Demagogie und Lügen auf und versuchen die Unzufriedenheit zu ihren eigenen Gunsten zu verwerten. Sie reissen sterile Aktionen an die sich nur auf ganz bestimmte Nuklearprojekte begrenzen oder sich isoliert gegen die Person des „Kernschmelzers“ Premierminister Naoto Kan einschiessen.
Doch trotz all dieser Schwächen ist die Bewegung in Japan ein wichtiges Symbol. Sie zeigt nicht nur, dass ihre noch vorhandene Isolierung von anderen Teilen der Lohnabhängigen Menschen auf der Welt (bedingt durch geografische, historische und kulturelle Faktoren) sich aufzuheben beginnt[4], sondern auch, dass sich die ganze widerliche Propaganda der bürgerlichen Medien über die angebliche „Hörigkeit“ der Arbeiter und Arbeiterinnen in Japan nur auf Vorurteile abstützt die dazu da sind die internationale Solidarität der Lohnabhängen zu verhindern.
Langsam aber sicher beginnen die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre soziale Kraft zu entdecken die sie potentiell für die Zukunft haben. Sie entdecken immer mehr, dass die Strasse ein politischer Ort ist an dem wir einen solidarischen Kampf führen müssen. So ist es in Japan und weltweit möglich wieder die revolutionäre internationale Kraft zu finden um den Kapitalismus zu überwinden und eine Gesellschaft aufzubauen die nicht auf Ausbeutung und Barbarei basiert. Zweifellos ein noch langer, ein sehr langer Weg, doch wohl der einzige der in die Freiheit führt.
W.H. 21. Juli 2012