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Am 18. Juli starb der marxistische Wirtschaftstheoretiker Robert „Bobby“ Kurz aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers, als er - statt an den Nieren – an der Bauchspeicheldrüse operiert wurde. Damit ging mit 68 Jahren vorzeitig eine wissenschaftliche Forschungstätigkeit zu Ende, die die Ergebnisse seiner theoretischen Annahmen nicht mehr weiter verifizieren konnte. Er hinterlässt aber als Autor oder Co-Autor mit den Büchern wie zum Beispiel „Der Kollaps der Modernisierung“, „Honeckers Rache“, „Schwarzbuch Kapitalismus“, „Der Dritte Weg in den Bürgerkrieg“, „Weltordnungskrieg“ und zahllosen anderen Beiträgen in den Theoriezeitschriften „Krisis“ und „Exit!“ eine große Menge an anschaulichem Material, mit dem er eine Art Zusammenbruchstheorie in allen ihren gesellschaftlichen Schattierungen auf Basis kapitalistischer Wertvergesellschaftung skizzierte.
Robert Kurz war einer der Wenigen, denen schon in den siebziger Jahren die theoretische Enge bzw. Theorielosigkeit des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands (KABD) und anderer K-Gruppen zuwider war und die deshalb begannen, eigene theoretische Analysen auf marxistischer Grundlage zu entwickeln. Es gelang ihm, noch in den achtziger Jahren revolutionär gestimmte Abtrünnige der niedergehenden K-Gruppen und andere politisch Interessierte um sich zu sammeln und mit ihnen – jenseits tagesaktueller Kampagnenpolitik - ein theoretisches Fundament zu erarbeiten, was die Stagnation kapitalistischer Entwicklungsvorhaben der Jetztzeit auf der Basis der Marxschen Arbeitswertlehre und Wertkritik erklären konnte. Der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“, des Ostblocks, war eine erste zentrale Bestätigung seiner Annahmen und die Initialzündung für weitergehende ökonomische und gesellschaftliche Analysen auf Grundlage des „doppelten Marx“, wie Kurz es formulierte. Darunter versteht er den vom alten Arbeiterbewegungsmarxismus fast gänzlich unbeachteten, das kapitalistische Gesamtsystem transzendierenden Marxschen Theoriearm um Begriffe wie „Wertsubstanz“, „automatisches Subjekt“ und „Fetischcharakter des warenproduzierenden Systems“.
Robert Kurz wandte sich gegen das Hochjubeln der „Arbeiterklasse“ durch die K-Gruppen und die durch die „Linke“ und Parteien verstandene positive Besetzung des „Arbeitsbegriffs“. Er ersetzte ihn in den Folgejahren durch eine Perspektive des „produktiven Müßiggangs“, also einer Kategorie, die jeglichen Arbeiterstolz, Fleiß, Opfer, Genügsamkeit und jegliche Form des Proletenkults negiert. Hinzu kommt seine Feststellung, dass Arbeiter wie Angestellte, Manager wie Kapitalisten gleichermaßen einem subjektlosen und fetischisierten – aber mit Feuerwaffen und Staat über die Jahrhunderte durchgesetzten Wertverwertungszusammenhang von Waren und Geld ausgesetzt waren, den sie heute wie eine „zweite Natur“ anerkennen und den sie nicht hintergehen wollen. So war für Robert Kurz die Reduktion auf den „Klassenkampf“ eine zu einseitige Spielart der Marxschen Analyse, weil für ihn selbst über die Lohnkämpfe und durch die Revolution von 1917 die Wert- und Fetischform des Kapitals nicht überwunden wurden.
Weiter sind für Robert Kurz der Niedergang der so genannten „3. Welt“, dann des Ostblocks und das Hineinfressen der Krise in die imperialistischen Kernzentren untrügliche Zeichen dafür, dass die Ausdünnung der Wertsubstanz der Produkte (der variable Teil des Kapitals plus Mehrwert) durch aufeinanderfolgende produktivere Zyklen aufgrund der mikroelektronischen Revolution seit Mitte der siebziger Jahre immer größere und schnellere Rationalisierungspotenziale nach sich ziehen musste, die nicht durch Neueinstellungen kompensiert werden konnten. Die Folge: genau wie immer größere Massen an Lohnarbeitern außer Kurs gesetzt oder monetär degradiert werden, so versucht das Kapital nun, neue und höhere Profite im „finanzspekulativen Überbau“ zu generieren, also sich zunächst als realwirtschaftlicher Betrieb über die Börsen in die „schwarzen Zahlen“ zu zocken, um genügend Kapital für den nächsten Akkumulationszyklus zu haben. So wie hier für Robert Kurz der Grund für die Finanzblasen und Börsenkräche liegt, fehlen den Staaten mangels Besteuerungsmöglichkeiten die liquiden Mittel, um eine Gesundheits- und Infrastruktur aufrecht zu erhalten, die den Namen noch verdient. Die weitere Folge: die fetischistische Zurichtung der Akteure auf Ware, Wert, Geld, Zins und Kapital führt in einer nicht enden wollenden Abfolge zu absurden Verteilungskämpfen, neuen Krisen, Kriegen, Staatszerfall und Barbarisierung der Gesellschaft, ohne dass es noch irgendeine Hoffnung auf ein Anspringen der Weltkonjunktur mit Vollbeschäftigung geben könnte. Das heißt auch: Es gibt keinen plötzlichen Zusammenbruch, nicht den „großen Kladderadatsch“, was Robert Kurz als „Untergangspropheten“ permanent untergeschoben wurde, sondern eine länger andauernde Zersetzungsgeschichte des warenproduzierenden Systems mit katastrophalen Folgen, falls es nicht gelingt, den selbstdestruktiven Prozess umzukehren.
Dieses Szenario der Publikationen von „Marxistische Kritik“ über „Krisis“ bis „Exit!“ erlangte in den letzten 20 Jahren im In- und Ausland eine hohe Wertschätzung, was viele Einladungen zu Vorträgen nach sich zog. Dem kam Robert Kurz gerne nach; Reisen führten ihn bis nach Brasilien, Artikel von ihm wurden in viele Sprachen übersetzt. Nie gab er seine Unabhängigkeit auf, arbeitete lieber des Nachts in der Expedition der „Nürnberger Nachrichten“, als auf eine wie auch immer geartete Karriere zu schielen. Damit hatte er einen genügend großen Zeitfonds für sich, um seinen eigentlich wichtigen Forschungs- und Schreibarbeiten nachgehen zu können. Er ging seinen eingeschlagenen Weg unbeirrt weiter, Anfeindungen beantwortete er scharfzüngig, scheute sich aber auch nicht, Brüche und Spaltungen hinzunehmen, um sich neu zu organisieren und seine Wert- und Abspaltungstheorie weiter ausformulieren zu können. Der Bruch der „Exit!“ von der „Krisis“ und Trennung von seinen langjährigen Weggefährten war eine Etappe in seinem Kampf um die Etablierung seiner theoretischen Annahmen ohne weitere Reibungsverluste.
Unbeirrbar seinen Weg zu gehen machte ihn aber blind für mögliche Verbündete, die theoretisch auf ähnlichen politisch-ökonomischen Feldern operieren. So war ihm Organisation und Theorie der „IKS“ faktisch nicht bekannt. Er hielt eine progressive Organisationsstruktur mit ähnlichen theoretischen Ansätzen (Arbeiterräte, Dekadenztheorie der IKS, staatskapitalistischer Ostblock) für nicht möglich oder wies die IKS - ohne sie direkt zu erwähnen - in seinem Artikel „Antiökonomie und Antikritik“ pauschal einer Unterabteilung des für ihn überkommenen „Arbeitermarxismus“ zu: „Der neuere Linkskommunismus wiederum mit seinen teils maoistischen, teils aus dem italienischen ‚Operaismus‘ stammenden Ingredienzien ist über eine bestenfalls platonische Kritik der ‚Ware-Geld-Beziehungen‘ ohne philosophiekritisch und anti-ökonomisch fundierte Kritik der Wertform nie hinausgekommen und bei ganz kruden Vorstellungen stehen geblieben, die in der Praxis nicht viel mehr als eine hedonistische Maskierung der alten Arbeiterbewegungs-Ideologie waren…, d.h. sie schweigen wie das Grab über die konkrete Aufhebung der fetischistischen, vom Wert gesetzten Formbestimmtheit kapitalistischer Reproduktion.“