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Zunächst einmal ist es das Thema der Ausstellung: die Suche nach einer neuen Bauweise, die einer klassenlosen und damit menschlicheren Gesellschaft Ausdruck verleihen soll. Kernstück bilden die beeindruckenden Fotografien von Richard Pare, der 1993-2010 auf der Suche nach Gebäuden der Avantgarde durch die ehemalige UdSSR reiste. So wird man in vier Räume zur Architektur und Malerei Avantgarde geführt. Den Kontrapunkt setzt der fünfte und letzte Raum der Ausstellung, der die neue Ära des sogenannten Sozialistischen Realismus in der Architektur unter Stalin in den 1930ern repräsentiert.
Zwischen 1905 und 1920 entstanden zahlreiche künstlerische Strömungen, die Teil einer dynamischen sozialen Bewegung waren.[2] Es waren ihrer viele und oft hatten sie sehr unterschiedliche Visionen und Ausdrucksweisen. Eines war ihnen jedoch gemeinsam: Ihre ästhetischen Aktivitäten waren eine Reaktion auf die damaligen Verhältnisse, die sie massiv kritisierten. Ihre neuen Kunstformen stellten eine Suche nach einer besseren Welt dar. Und sie waren keineswegs auf Russland beschränkt, sondern ein internationales Phänomen.
Während der Russischen Revolution positionierten sich die Bolschewiki zur Kunst, indem der Volkskommissar für Kunst, Lunascharski, folgende Grundsätze entwickelte: 1. Erhaltung der Kunstwerke der Vergangenheit (als Erbe der Menschheit), 2. Bereitstellung der Kunst für die Massen, 3. Nutzung der Kunst für die Propaganda des Kommunismus, 4. eine objektive Einstellung zu allen künstlerischen Strömungen (d.h. keine Einschränkung), 5. die Demokratisierung aller Kunstschulen.
Es brannten leidenschaftliche Debatten darüber, wie der „neue Mensch“ sich entwickeln werde, wie die revolutionäre Gesellschaft kollektiv organisiert werden müsse und schließlich, welche Rolle die Kunst hier zu spielen habe. Der Kreativität wurde freien Lauf gelassen. Allerdings sind die meisten Konzepte und Ideen bislang nicht realisiert worden, denn die siegreiche Russische Revolution 1917 bildete ja „nur“ den Auftakt der Weltrevolution und wurde sogleich von der weißen Armee bis ca. 1921 in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt. Es war eine Zeit des unendlichen Leids, des Hungers und des allgemeinen Mangels. Die Verwaltung des Mangels setzte sich in den Folgejahren des NEPs fort. Umso erstaunlicher ist, dass auch unter diesen Bedingungen die Avantgarde unbeirrt versuchte, Funktionalität und Schönheit für die neue Gesellschaft zu verbinden. Ein Beispiel ist der Funkturm von Schuchow, der 1919-1922 als Sendeturm für den sowjetischen Rundfunk errichtet wurde. Bereits 1919 präsentierte Schuchow einen Entwurf für einen Turm, der 350 Meter hoch sein sollte, doch der Mangel an Stahl ließ letztlich nur den Bau eines 150 Meter hohen Turms zu. Der filigrane Funkturm ist noch heute in Moskau in Betrieb und löst(e) damals wie heute Begeisterung aus. Er wurde schon bald das Symbol der Überwindung des Alten und Schweren gesehen. Vor allem aber brauchte die junge Sowjetrepublik Wohnraum, Industrieanlagen, Arbeiterclubs und Großküchen. In der Ausstellung wird der von Ginsburg und Milinis entworfene und 1930 in Moskau gebaute Narkomin-Wohnblock präsentiert. Er war einer der experimentellsten Projekte dieser Ära. Neben Wohnungen und kollektiven Wohneinheiten umfasste der Gebäudekomplex eine Mensa, einen Kindergarten, einen Ruheraum, einen Dachgarten sowie eine Sporthalle und eine Waschküche.
Tragisch aber auch bezeichnend ist die Tatsache, dass sich diese experimentelle Phase in der sowjetischen Architektur letztlich nur so lange hielt, wie die Chance oder zumindest die Hoffnung auf eine weltweite Ausbreitung der Revolution bestand. Mit der Machtübernahme Stalins und der im Gegensatz dazu stehenden Doktrin des „nationalen Sozialismus“ (Sozialismus in einem Land), die ab den 1930ern mit aller Gewalt und Repression durchgesetzt wurde, bekamen auch die avantgardistischen Architekten die Repression zu spüren. So erklärt der Fotograf Richard Pare in einem Interview: „Das Regime wurde immer repressiver, es war unmöglich, von der stalinistischen Norm abzuweichen. Man spürt direkt, wie etwa ab 1932 der Optimismus in den Arbeiten der Architekten verloren geht. Danach wurden die vom stalinistischen Regime immer stärker bevormundet und gegängelt.“[3] Dies wird z.B. an dem Architekten Konstantin Melnikows deutlich– an seinem 1925 Aufsehen erregenden sowjetischen Pavillon in der Pariser Kunstgewerbeausstellung, seinem Entwurf für den Sarkophag Lenins und an dem Gosplan-Parkhaus von 1936. Der Architekt, der die Oktoberrevolution 1917 noch als Arbeiter in der AMO-Fabrik in Moskau erlebte, war einer der wichtigsten Vertreter der Avantgarde. Als Anerkennung erhielt Melnikow sogar ein Grundstück, um sich ein Heim darauf zu errichten. Ein Kleinod des Lichtes, das übersät ist mit sechseckigen Fenstern, die flexibel zu handhaben sind. Wenn man die Räume umgestaltet, kann man problemlos die Fenster mit Backsteinziegeln verschließen oder wieder freilegen – dies vermittelt ein Gefühl von Dynamik, Flexibilität und organischem Leben. Der Bau passt sich stets den Bedürfnissen des Lebens an. Doch zur Zeit der stalinistischen Säuberungen Mitte der 30er Jahre fiel Melnikow in Ungnade; zwar blieb er am Leben, aber er musste seine Lehrtätigkeit aufgeben und erhielt keine Bauaufträge mehr. Er zog sich enttäuscht zurück.
An diesem abrupten Bruch in Melnikows Leben zeigt sich, dass der Wind sich nun endgültig gedreht hatte: von der Hoffnung auf das Ausbreiten der internationalen Revolution auf den Schrecken der stalinistischen Konterrevolution. Stalin hatte seine Macht gefestigt. Nun hatte die Architektur einem anderem Zweck zu dienen: weg mit dem Experimentellen und Modernistischen. Es sollten staatstragende Bauten errichtet werden. Sie sollten den „sozialistischen Realismus“ Ausdruck verleihen, der am Klassizismus angelehnt war. Es sollten protzige, überdimensionierte Monumentalbauten sein, die die allumfassende Macht des stalinistischen Staatsapparates symbolisieren sollten. Dieser Bruch, ja Gegensatz wird im fünften Raum der Ausstellung sofort deutlich. Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Raum im Gegensatz zu den anderen Räumen dunkler und damit (be)drückend ist.
Zurück zu der Ausgangsfrage, weshalb „die Baumeister der Revolution“ als Ausstellung auf ein solch großes Interesse gestoßen sind. Auf die Frage, ob Architektur einen Beitrag zur Entwicklung einer besseren Gesellschaft leisten kann, antwortet Richard Pare: „Man möchte das zumindest glauben. Es gehört zu den großen Katastrophen in der Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts, dass die Architekten in Russland nicht die Chance hatten, ihre Ideen weiter zu entwickeln und zu größerer Reife zu bringen. Obwohl es nur eine kurze Zeitspanne dauerte, stellten die Debatten, die geistige Gärung und die Bautätigkeit selbst eine heroische Leistung dar (…). Sie kämpften darum, eine ideale Lebensweise zu schaffen, merkten aber auch ziemlich schnell, glaube ich, dass sie auf verlorenem Posten standen (…). Es war das radikalste Experiment bis heute. Es war nicht erfolgreich, doch lag es nicht am fehlendem Willen.“[4] Es stimmt, das revolutionäre Experiment von damals ist gescheitert, musste scheitern, als die Weltrevolution ausblieb. Genau diese Botschaft senden die Bauten der russischen Avantgarde den nachfolgenden Generationen, also uns! Deshalb ist es wichtig, dass diese Gebäude nicht weiter dem Verfall überlassen werden und in Vergessenheit geraten. Gegen dieses Vergessen ist die Ausstellung ein Beitrag. Deshalb ist der Blick in die Vergangenheit wichtig. Aber ebenso wichtig ist der Blick in die Zukunft, denn gerade, weil die revolutionäre Welle scheiterte, leiden wir heute mehr denn je unter diesem kapitalistischen System und der Schwindel erregenden Beschleunigung der Krise. Welche Zukunft wollen wir? In welch einer Gesellschaft wollen wir gemeinsam leben? Was für Gebäude wollen wir für dieses Leben kreieren? Die Suche geht weiter…
Juli 2012, Anna
[1] „Baumeister[n] der Revolution. Sowjetische Kunst und Architektur 1915-1935“. Leider ist die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin bereits am 9.Juli 2012 zu Ende gegangen. Allerdings gibt es einen sehr lohnenden Ausstellungskatalog.
[2] Dadaismus, Expressionismus, Futurismus, Bauhaus etc.
[3] Interview Richard Pare www.wsws.org
[4] Ebenda.