Krise, imperialistische Spannungsfelder und die Schweizer Banken – Der Versuch einer Bestandsaufnahme

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In letzter Zeit sind die Schweizer Banken stark unter Beschuss gekommen, weil sie Steuerflüchtlingen bisher Schutz gewährten. Deutschland und die USA stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, Druck gegen die Schweiz auszuüben. Wieso ist das so?

 

Seit 1935 das Bankengesetz in der Schweiz eingeführt wurde, gibt es eine lange Reihe von politischen Anfeindungen und Auseinandersetzungen mit anderen Ländern. Das Bankengesetz war eine Folge der in allen entwickelten Industrieländern seit Anfangs des 20. Jahrhunderts einsetzenden staatskapitalistischen Entwicklung. Selbst in der im Vergleich zu ihren Nachbarn Ländern liberalen Schweiz war es notwendig geworden, den Staat schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg, insbesondere aber nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der darauffolgenden Bankenkrise 1931 stärker als Regulativ und Kontrollorgan einzusetzen. Durch die Abhängigkeit vom deutschen Kapital traf die Krise einige zu dieser Zeit wichtige Banken, die vom Staat gestützt werden mussten (z.B. Schweizerische Volksbank). Robert U. Vogler, ein Historiker der eng mit der UBS und der Bankenwelt verbunden ist, erläutert in seiner Broschüre Das Schweizer Bankgeheimnis: Entstehung, Bedeutung, Mythos, dass das Bankgeheimnis als Teil des damaligen Bankengesetzes mehr ein Nebenprodukt dieser Situation gewesen sei, als das es explizit zur Anziehung fremdem Geldes ins Gesetz aufgenommen wurde. Wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen, was der wirkliche Grund der Kodifizierung des Bankgeheimnisses war, sondern versuchen zu verstehen, warum gerade heute dieser Konflikt mit dieser Heftigkeit auftaucht.

Vom Gesichtspunkt des internationalen Proletariats ausgehend, spielt das Bankengeheimnis praktisch keine Rolle. Die deutsche Sozialdemokratie hatte 1918, nachdem sie von der deutschen Bourgeoisie im Anschluss an die Novemberrevolution 1918 als Schutzwall gegen die gegen den Kapitalismus anstürmende Arbeiterklasse eingesetzt worden war, eine verbalradikale Forderung nach kategorischer Aufhebung des damalig noch existierenden Bankgeheimnisses in Deutschland aufgestellt. Die nach 1918/19 eingeleiteten Massnahmen gegen die Steuerflucht und Kapitalverheimlichung haben aber das grundsätzliche Ausbeutungsverhältnis zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat nicht aufgehoben. So haben diese Massnahmen die Lage der Arbeiter_innenklasse um keinen Deut verbessert, vielmehr war es gerade die Sozialdemokratie in Deutschland, die die revolutionär gesinnte Arbeiterklasse mit grösster Brutalität niederschlug. Eine solche protektionistische Forderung, wie sie dann am konsequentesten in den 30er Jahren von den Nazis umgesetzt wurde, hatte überhaupt keinen Wert für das Proletariat und nährte nur die Illusion, dass es einen gerechten Kapitalismus geben könne. Wir sagen dies in aller Ausdrücklichkeit, weil gerade heute wieder die deutsche Sozialdemokratie an vorderster Front gegen das Bankgeheimnis steht, sehr wahrscheinlich um vergessen zu machen, dass gerade sie es war, die mit den Hartz4-Reformen die Bedingungen der Angestellten und Arbeiterinnen in Deutschland massiv verschlechtert hat. Ganz abgesehen davon, dass die heutige Sozialdemokratie solche Forderungen nur aufstellt, wenn sie gerade in der Opposition ist, um danach sich wieder genauso zu verhalten, wie es die vorherrschende Meinung in der jeweiligen nationalen Bourgeoisie erforderlich findet. Die markigen Sprüche eines Steinbrücks über das Entsenden der Kavallerie gegen die Schweiz oder erst kürzlich vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ( „Was die machen, ist eine bandenmässige Steuerhinterziehung“), sind billige populistische Floskeln, um sich wieder bei dem von ihnen geschlagenen und geschundenen Proletariat einzuschmeicheln. Dazu kommt noch, dass eine solche Personifizierung allen kapitalistischen Übels auf die (Schweizer)Banken Vorschub für rechtsextreme Ideologen leistet, die dies dann (wie schon in den 30er-Jahren) dankbar aufgreifen und mit ihrer Sündenbocktheorie verwursten.

Natürlich geht es uns auch nicht darum, die Machenschaften der Schweizer Banken, gleichgültig ob legal oder illegal, zu verharmlosen. Im Gegenteil, das Bankensystem ist ein Teil des Kapitalismus und trägt somit bei, die Ausbeutung der Angestellten und Arbeiter ständig zu verschärfen. Mit der Spiegelung der deutschen und internationalen Propaganda um das Bankgeheimnis und den Banken versucht die Schweizer Bourgeoisie, die Arbeiter_innenklasse hinter die Banken und den Staat zu scharen. Neben dem ideologischen gibt es auch einen realen Hintergrund, der die Herrschenden in der Schweiz dazu veranlasst, ihren Finanzstandort vehement zu verteidigen. Die Schweizer Banken sind, gemessen an der Bevölkerungszahl aber vor allem auch an der Wirtschaftsleistung insgesamt, zu gross, um pleite zu gehen. Allein die UBS und die CS hatten noch 2011 ca. eine 6-fache Schuldenanhäufung, gemessen am Schweizer Bruttoinlandprodukt: „Besonders extrem ist es in der Schweiz, wo sich alleine die Schulden der UBS auf fast das Vierfache der dortigen Wirtschaftsleistung belaufen. Auch die Außenstände der Credit Suisse belaufen sich auf immerhin noch das Zweifache des schweizerischen BIP. Zusammen also mehr als das 6-fache des BSP“ (Die schweizerische Schuldenbombe, Artur Schmidt, 01.01.2011). Die Behauptung, der allgemeine Lebensstandard in der Schweiz sei so hoch, weil die Banken so erfolgreich und gross seien, ist natürlich ein Mythos. Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz sind ausserordentlich hart, was sich an der Ausbeutungsrate zeigt (d.h. das was die Arbeiter_innenklasse über ihre unmittelbare Reproduktion hinaus an Mehrwert für das Kapital erzeugt). Die starke Ausbeutung der Arbeiter_innenklasse hat dazu geführt, dass der Industriestandort Schweiz trotzt verschiedener Krisen bis jetzt überlebt hat. Da es aber der Schweiz wie anderen Ländern auch an weiteren lukrativen Industriezweigen fehlt, wo die Bourgeosie ihr Geld investieren könnte, kommt neben der Gefahr, die der überdimensionierte Bankensektor darstellt, noch die Gefahr einer Immobilienblase hinzu. In den 90er Jahren konnte die Immobilienkrise durch einige grosse Banken, die die meisten krisenanfälligen Banken aufkauften, noch einmal zurückgestutzt werden. Es fand eine grosse Bankenkonzentration statt. Da 2007/2008 die Banken selber vom Staat gerettet werden mussten, ist eine solche Stabilisierungsaktion seitens der Banken heute undenkbar.

Seit einiger Zeit ist ein Umbruch in der schweizerischen Bankenlandschaft in Gang. Dieser Umbruch ist nicht freiwillig vonstattengegangen, sondern findet unter stetig erhöhtem Druck der grösseren kapitalistischen Haifische statt.

Seit der sog. Finanzkrise 2007 ist festzustellen, dass die verschiedenen Länder darauf bedacht sind, die Steuerflucht besser in den Griff zu bekommen. Gegenseitig werfen sich die Schweiz und die sie attackierenden Länder wie die USA, Deutschland, Frankreich, Italien usw. illegale Praktiken vor.

Beispielsweise gab die französische Ex-Finanzministerin und heutige Chefin des IWF, Lagarde. eine Liste über steuerhinterziehende Millionäre an Griechenland weiter, aus der deutlich wurde, dass ein beträchtlicher Teil dieser Gelder in der Schweiz geparkt wurde. Pikantes Detail: die damals regierenden Sozialdemokraten haben diese Liste nie gegen ihre Steuersünder verwendet. Die verschiedenen Skandale um die illegal erworbenen CD’s mit Informationen über Steuersünder aus Deutschland und Frankreich sind hinlänglich bekannt. Das ist im Übrigen auch keine neue Praxis dieser Länder. Schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts operieren diese und andere Länder mit geheimdienstlicher Informationsbeschaffung gegen die Banken. Neu ist, dass seit dem Zusammenbruch des Ostblocks die Toleranz gegenüber den Praktiken der Schweizer Banken gesunken ist. So drohen die USA immer wieder mit einem Ausschluss der sich nach ihren Gesetzen strafbar machenden Schweizer Banken aus dem US-Finanzmarkt, wenn diese nicht die Informationen über Steuerflüchtlinge an die US-Justizbehörden weitergeben. Die Reaktion der herrschenden Klasse in der Schweiz war diesmal prompt: Anders als in der Vergangenheit gewährte sie den USA Einsicht in verdächtige Akten, was faktisch eine Beugung der herrschenden Rechtsprechung in der Schweiz ist und einer Aufweichung des Bankgeheimnisses gleichkommt.  Auch Deutschland lässt nicht locker; am 23. November wurde das bilaterale Steuerabkommen, das der deutsche Finanzminister Schäuble mit der Schweizer Regierung ausgehandelt hatte, vom deutschen Bundesrat, der Länderkammer, mehrheitlich abgelehnt. All diese Angriffe deuten darauf hin, dass die Schweiz, die während der Ost/West-Blockkonfrontation einen gewissen Freiraum genoss, in der aktuellen Situation parieren muss, wenn sie nicht mit ernsteren Konsequenzen rechnen will.

Die UBS hat das heute schon begriffen; nur so lässt sich erklären, warum der neue Konzernchef Ermotti in verschiedenen Interviews gesagt hat, dass das Bankgeheimnis in der Schweiz keine Zukunft mehr hat.

Letztlich sind die Stabilität und der gute Ruf das wichtigere Merkmal für gute Bankgeschäfte. Durch die Eurokrise hat die Schweiz wieder an Attraktivität gewonnen. Nach Presseangaben verliert die Schweiz bis 2014 ca. 200 Milliarden Euro. Es werden aber schon wieder neue Bankgeschäfte und Steuereinnahmen generiert, beispielsweise durch die internationalen Rohstoffkonzerne oder Coca Cola, die vom niedrigen Steuersatz angelockt werden.

Diese ganze Entwicklung ist aber höchst fragwürdig, da die für das kleine Land Schweiz viel zu grossen Banken im Falle einer künftigen Banken- oder Finanzkrise arg gebeutelt werden. Zusätzlich kommt die Hypothekenblase, die den Finanzsektor noch mehr aufbläst und fragilisiert. Letztlich ist für die Schweiz auch das ständige Aufkaufen von Fremd- vor allem Eurowährung, damit der Frankenkurs nicht ständig steigt, eine Zeitbombe. Wie die USA druckt sie einfach Geld, aber der Unterschied ist, dass der Franken keine Weltwährung ist und die Schweiz daher bei einer Verschärfung der Krise eines der am meisten gefährdeten Länder ist. Dass sie trotzdem noch so ein hohes Ansehen in Industrie- und Finanzkreisen geniesst, ist schwer verständlich und  langfristig gesehen ziemlich irrational. Das ist aber eine weitere Tendenz, die der Kapitalismus immer stärker an die Oberfläche bringt. Die Irrationalität, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit staatskapitalistischen Massnahmen eingedämmt werden sollte, hat zu zwei Weltkriegen und einer fast 50-jährigen Ost/West-Blockkonfrontation geführt. Der weitere Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft manifestiert sich auch durch ständig verschärfende Wirtschaftskriege, wie sie jetzt mit dieser Anekdote um das Bankgeheimnis auftritt. Zu vermuten ist aber, dass es nicht bei so einem relativ harmlosen Wirtschaftskrieg bleiben wird.

Die Arbeiterklasse sollte sich nicht hinter die jeweiligen ideologischen Konstrukte - hier die „gierigen Schweizer Banken“, dort die „arroganten Amerikaner und Deutschen“ - stellen. Dies sind nur die jeweiligen Ideologien, welche die herrschenden Klassen eines jeden Landes vorbringt, um die wahren Ursachen der Krise zu verschleiern. Die eigenen Interessen als ausgebeutete Klasse wahrzunehmen heisst, den Klassenkampf gegen die gesamte Bourgeoisie, gegen dieses marode und immer irrationaler werdende System führen.

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