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Die Rolle der Frauen in der primitiven Gesellschaft
Was ist laut Christophe Darmangeat schließlich die Rolle und die Situation der Frauen in der primitiven Gesellschaft? Wir können hier nicht die gesamte Argumentation wiedergeben, die in seinem Buch enthalten ist und die sich durch solide Kenntnisse der Ethnographie und bemerkenswerte Beispiele auszeichnet. Wir werden uns stattdessen auf eine Zusammenfassung seiner Schlussfolgerungen beschränken.
Eine erste Feststellung, die einleuchtend erscheint, es in der Realität aber nicht ist, lautet, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung eine universelle Konstante in der menschlichen Gesellschaft bis zum Erscheinen des Kapitalismus ist. Der Kapitalismus bleibe eine fundamental patriarchalische Gesellschaft, die auf der Ausbeutung basiert (welche die sexuelle Ausbeutung, die Sexindustrie als eine der profitabelsten Industrie in der neueren Zeit mit beinhaltet). Nichtsdestotrotz habe der Kapitalismus durch die offene Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft und durch die Entwicklung einer Maschinerie (so dass die Körperkraft nicht mehr eine wichtige Rolle im Arbeitsprozess spielt) die Arbeitsteilung zwischen der „maskulinen“ und der „femininen“ Rolle in der gesellschaftlichen Arbeit zerstört. Auf diese Weise habe er das Fundament für eine wirkliche Befreiung der Frauen in der kommunustischen Gesellschaft gelegt.[2]
Die Lage der Frauen unterscheidet sich in den unterschiedlichen primitiven Gesellschaften, die Anthropologen zu untersuchen in der Lage waren, enorm: In einigen Fällen leiden Frauen unter einer Unterdrückung, die mehr als einen flüchtigen Vergleich mit der Klassenunterdrückung standhält, während sie in anderen nicht nur eine gesellschaftliche Wertschätzung genießen, sondern auch ganz real gesellschaftliche Macht ausüben. Wo solche Macht existiert, basiert sie auf den Eigentumsrechten über die Produktion, die durch das religiöse und rituelle Leben der Gesellschaft verstärkt werden: Um nur ein Beispiel zu nennen, berichtet uns Bronislaw Malinowski (in Argonauten des westlichen Pazifik), dass die Frauen der Trobriand-Inseln nicht nur das Monopol auf die Arbeit des Gartenbaus (von größter Bedeutung für die Inselwirtschaft) hatten, sondern auch auf verschiedene Formen der Magie, einschließlich jener, die als die gefährlichsten anerkannt sind)[3].
Während jedoch die geschlechtliche Arbeitsteilung von einem Volk und einer Existenzweise zum/zur nächsten sehr unterschiedliche Situationen umfassen kann, gibt es eine Regel, die fast ohne Ausnahme angewandt wird: Überall sind es die Männer, die das Recht haben, Waffen zu tragen, und die daher ein Monopol auf die Kriegführung haben. Infolgedessen haben sie ein Monopol auf die „äußeren Beziehungen“. Als sich die gesellschaftliche Ungleichheit zu entwickeln begann, zunächst mit der Lagerhaltung von Lebensmitteln, dann, in der Jungsteinzeit, mit der voll entfalteten Landwirtschaft und dem Aufkommen des Privateigentums und der gesellschaftlichen Klassen, erlaubte es ihre spezifische Situation den Männern, Stück für Stück die Totalität des Gesellschaftslebens zu dominieren. In diesem Sinn lag Engels zweifellos richtig, wenn er in Ursprung der Familie… sagte: „Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche“.[4] Dennoch sollte man tunlichst vermeiden, die Dinge schmeatisch zu betrachten, da selbst die ersten Zivilisationen in dieser Hinsicht alles andere als homogen waren. Eine Vergleichsstudie etlicher früher Zivilisationen[5] weist auf ein breites Spektrum hin: Während die Lage der Frauen in mittelamerikanischen und Inkagesellschaften wenig beneidenswert war, besaßen beispielsweise unter den Yoruba in Afrika die Frauen nicht nur Eigentum und übten ein Monopol auf bestimmte Produkte aus, sie betrieben auch einen ausgedehnten Handel auf eigene Rechnung und konnten selbst diplomatische und militärische Expeditionen anführen.
Die Frage der Mythologie
Bisher beschränkten wir uns mit Darmangeat auf den Bereich von Untersuchungen „historisch bekannter“ primitiver Gesellschaften (in dem Sinn, dass sie von den schriftkundigen Gesellschaften, von der antiken Welt bis zur modernen Anthropologie, beschrieben worden waren). Dies kann uns allenfalls etwas über die Lebensumstände seit der Erfindung der Schrift vor ungefähr 6000 Jahren verraten. Doch was können wir über die 200.000 Jahre des anatomisch modernen Menschen sagen, die dem vorausgingen? Wie sollen wir den entscheidenden Augenblick verstehen, als die Natur der Kultur als determinierender Hauptfaktor im menschlichen Verhalten Platz machte, und wie sind genetische und kulturelle Elemente in der menschlichen Gesellschaft miteinander verwoben? Um diese Fragen zu beantworten, ist eine rein empirische Betrachtung bekannter Gesellschaften völlig unzureichend.
Einer der auffälligsten Aspekte in der Untersuchung früher Zivilisationen (s.o.) ist, dass, wie unterschiedlich auch immer das Bild ist, das sie von den Lebensbedingungen der Frauen zeichnen, sie alle Legenden enthalten, die sich auf Frauen als Häuptlinge beziehen, welche gelegentlich mit Göttinnen identifiziert werden. Alle von ihnen haben im Laufe der Zeit einen Niedergang in der Lage der Frauen erlebt. Man ist versucht, ein allgemeines Gesetz hierin zu erblicken: Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, desto größer war die gesellschaftliche Autorität, die die Frauen besaßen.
Dieser Eindruck wird bestätigt, wenn wir noch primitivere Gesellschaft untersuchen. Auf jedem Kontinent finden wir ähnliche oder gar identische Mythen: Einst besaßen die Frauen Macht, doch seither haben die Männer ihnen diese Macht entrissen, und nun sind sie es, die herrschen. Überall wird die Macht der Frauen mit dem mächtigsten Zauber von allen in Verbindung gebracht: dem Zauber, der auf dem Monatszyklus der Frauen und ihrem Menstruationsblut basiert, was bis zu Ritualen reicht, in denen Männer die Menstruation imitieren.[6]
Was können wir aus dieser allgegenwärtigen Realität schließen? Können wir daraus den Schluss ziehen, dass sie eine historische Realität repräsentiert und dass einst eine Gesellschaft existierte, in der Frauen eine führende, wenn nicht gar notwendigerweise eine herrschende Rolle innehielten?
Für Darmangeat ist die Antwort unmissverständlich und negativ: „… der Gedanke, dass Mythen, die von der Vergangenheit berichten, von einer wirklichen Vergangenheit, wenn auch deformiert, erzählen, ist eine äußerst kühne, um nicht zu sagen: haltlose Hypothese“ (S. 167). Mythen „erzählen Geschichten, die nur in Bezug auf die gegenwärtige Realität eine Bedeutung haben und die die Funktion haben, Letztere zu rechtfertigen. Die Vergangenheit, von der sie sprechen, wird allein dafür erfunden, um dieses Ziel zu erfüllen“ (S. 173).
Dieses Argument ist in zweierlei Hinsicht problematisch.
Das erste Problem ist, dass Darmangeat ein Marxist zu sein behauptet, der bei der Aktualisierung seiner Schlussfolgerungen der Methode von Engels treu geblieben sei. Doch auch wenn Engels‘Ursprünge der Familie… sich ausgiebig auf Lewis Morgan stützt, pflichtet er auch dem Werk des Schweizer Juristen Bachofen große Bedeutung bei, der der erste war, der die Mythologie als eine Grundlage zum Verständnis der Geschlechterbeziehungen in der fernen Vergangenheit benutzte. Laut Darmangeat ist Engels „überaus vorsichtig bei seiner Rezeption von Bachofens Matriarchats-Theorie (…) obgleich er sich zurückhält bei der Kritik an der Theorie des Schweizer Juristen, unterstützt er sie nur sehr eingeschränkt. Es gibt nichts Überraschendes hier: In Anbetracht seiner eigenen Analyse der Gründe für die Vorherrschaft des einen Geschlechts über das andere konnte Engels kaum akzeptieren, dass vor der Entwicklung von Privateigentum der Vorherrschaft der Männer über die Frauen die Vorherrschaft der Frauen über die Männer vorausging; er stellte sich die prähistorischen Geschlechterbeziehungen vielmehr als eine bestimmte Form der Gleichheit vor“ (S. 150f.).
Engels mag durchaus vorsichtig gewesen sein, was Bachofens Schlussfolgerungen anbelangte, aber er hatte keine Bedenken, was Bachofens Methode anging, die die mythologische Analyse nutzte, um die historische Wirklichkeit zu enthüllen: In seinem Vorwort zur 4. Ausgabe vonUrsprung der Familie… (mit anderen Worten: nachdem er eine Menge Zeit hatte, sein Werk neu zu strukturieren, einschließlich einiger notwendiger Korrekturen) griff Engels Bachofens Analyse des Orest-Mythos (insbesondere die Version des griechischen Tragikers Aescyklus) auf und schloss mit dem Kommentar: „Diese neue, aber entschieden richtige Deutung der ‚Oresteia‘ ist eine der schönsten und besten Stellen im ganzen Buch (…) er, zuerst, hat die Phrase von einem unbekannten Urzustand mit regellosem Geschlechtsverkehr ersetzt durch den Nachweis, daß die altklassische Literatur uns Spuren in Menge aufzeigt, wonach vor der Einzelehe in der Tat bei Griechen und Asiaten ein Zustand existiert hat, worin nicht nur ein Mann mit mehreren Frauen, sondern eine Frau mit mehreren Männern geschlechtlich verkehrte, ohne gegen die Sitte zu verstoßen (…) Diese Sätze hat Bachofen zwar nicht in dieser Klarheit ausgesprochen – das verhinderte seine mystische Anschauung. Aber er hat sie bewiesen, und das bedeutete 1861 eine vollständige Revolution.“
Dies bringt uns zur zweiten Frage: Wie sollten Mythen erklärt werden? Mythen sind Bestandteil der materiellen Realität wie andere Phänomene auch; sie sind daher von dieser Realität auch bestimmt. Darmangeat schlägt zwei mögliche Determinanten vor: Entweder handelt es sich bei ihnen schlicht und einfach um „Geschichten“, die von Männern erfunden wurden, um ihre Herrschaft über die Frauen zu rechtfertigen, oder sie sind irrational. „In der Vorgeschichte und auch lange Zeit danach waren natürliche oder gesellschaftliche Phänomene universell und unvermeidlich durch ein magisch-religiöses Prisma interpretiert. Dies bedeutet nicht, dass das rationale Denken nicht existierte; es bedeutet, dass es selbst, als es präsent war, in einem bestimmten Umfang stets mit einem irrationalen Diskurs kombiniert war: Die beiden wurden nicht als unterschiedlich, noch weniger als miteinander unvereinbar wahrgenommen“ (S. 319). Was kann dem noch hinzugefügt werden? All diese Mythen, die sich rund um die geheimnisvollen Mächte ranken, welche vom Menstruationsblut und dem Mond übertragen werden, gar nicht zu reden von der ursprünglichen Macht der Frauen, sind bloß „irrational“ und somit außerhalb des Bereichs der wissenschaftlichen Erklärung. Darmangeat ist bestenfalls bereit zu akzeptieren, dass Mythen das Bedürfnis des menschlichen Geistes nach Kohärenz befriedigen müssen[7]; doch wenn dies der Fall ist, dann müssen wir - es sei denn, wir akzeptieren eine rein idealistische Erklärung im ursprünglichen Sinn des Wortes – eine andere Frage beantworten: Woher kommt dieses Bedürfnis? Für Lévi-Strauss konnte die Quelle des bemerkenswerten Gleichklangs der Mythen der primitiven Gesellschaften in beiden Amerikas nur in der angeborenen Struktur des menschlichen Geistes gefunden werden, weswegen seinem Werk und seiner Theorie der Name „Strukturalismus“ angehängt wurde.[8] Darmangeats „Bedürfnis nach Kohärenz“ sieht wie ein schwacher Abglanz des Strukturalismus von Lévi-Strauss aus.
Dies lässt uns in zwei bedeutenden Punkten ohne jegliche Erklärung dastehen: Warum nehmen Mythen die Form an, die sie haben, und wie können wir ihre Universalität erklären?
Wenn sie nichts anderes als „Geschichten“ sind, die erfunden wurden, um die männliche Vorherrschaft zu rechtfertigen, warum sind solch unwahrscheinlichen Geschichten erfunden worden? Wenn wir die Bibel nehmen, so gibt uns das Buch Mose‘ eine vollkommen logische Erklärung für die männliche Vorherrschaft: Gott schuf den Mann zuerst! Logisch, solange wir bereit sind, die unwahrscheinliche Vorstellung, die Jahr für Jahr widerlegt wird, zu akzeptieren, dass die Frau aus dem Leib des Mannes kam. Warum wird dann ein Mythos erfunden, der nicht nur behauptet, dass Frauen einst Macht ausgeübt hatten, sondern auch von der Forderung begleitet wird, dass die Männer mit diesen Riten fortfahren, die mit dieser Macht assoziiert sind, bis zu dem Punkt einer eingebildeten männlichen Menstruation? Diese Praxis, die in Jäger-Sammler-Gesellschaften in der ganzen Welt, wo die männliche Vorherrschaft mächtig ist, bezeugt ist, besteht darin, dass Männer in bestimmten wichtigen Ritualen ihren eigenen Blutfluss erzeugen, indem sie in einer bewussten Imitation der Monatsblutung ihre Mitglieder malträtieren und insbesondere den Penis beschneiden.
Wäre diese Art von Ritual auf ein Volk oder auf eine Gruppe von Völkern beschränkt, könnte man akzeptieren, dass dies nichts als eine zufällige und „irrationale“ Erfindung ist. Doch wenn wir es überall auf der Welt verbreitet finden, auf jedem Kontinent, dann müssen wir, wenn wir dem historischen Materialismus treu bleiben wollen, seine gesellschaftlichen Determinanten suchen.
Auf jeden Fall erscheint es uns vom materialistischen Standpunkt aus notwendig zu sein, die Mythen und Rituale, die die Gesellschaft strukturieren, als Wissensquellen ernstzunehmen, eine Sache, an der Darmangeat scheiterte.
Der Ursprung der Unterdrückung der Frauen
Wir können Darmangeats Ansichten wie folgt zusammenfassen: Im Ursprung der Unterdrückung der Frauen stand die geschlechtliche Arbeitsteilung, die den Männern systematisch die Großwildjagd und den Gebrauch von Waffen überließ. Wie interessant sein Werk auch sein mag, es lässt unserer Ansicht nach zwei Fragen unbeantwortet.
Es scheint eindeutig genug, dass mit der Entstehung der Klassengesellschaft, die notwendig auf Ausbeutung und damit auf Unterdrückung beruhte, das Waffenmonopol nahezu eine selbstgenügsame Erklärung für die männliche Vorherrschaft in ihr ist (zumindest langfristig; der Gesamtprozess ist zweifellos komplexer). Gleichermaßen erscheint es a priori plausibel, davon auszugehen, dass - zeitgleich mit dem Aufkommen der sozialen Ungleichheiten, aber noch vor dem Auftritt der Klassengesellschaft, die den Namen verdient - das Waffenmonopol eine Rolle bei der Herausbildung der männlichen Vorherrschaft spielte.
Fortsetzung folgt...