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Nach Jahren der Trägheit zeigt die soziale Bewegung gegen die Rentenreform ein Erwachen der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in Frankreich. Trotz all ihrer Schwierigkeiten hat die Arbeiterklasse begonnen, die Stirn zu bieten. Während vor einem Jahr das gesamte soziale Terrain von der interklassistischen Gelbe-Westen-Bewegung besetzt war, haben heute die Ausgebeuteten aus allen Bereichen und Generationen die von den Gewerkschaften organisierten Aktionstage genutzt, um auf die Straße zu gehen, entschlossen, auf ihrem eigenen Klassenterrain gegen diesen massiven Frontalangriff der Regierung gegen alle Ausgebeuteten zu kämpfen.
Die Arbeiterklasse existiert und "sie ist da"!
Während die ArbeiterInnen fast zehn Jahre lang gelähmt und völlig isoliert in ihrer eigenen Ecke an ihren Arbeitsplatzes geblieben sind, ist es ihnen in den letzten Wochen gelungen, den Weg zurück zum Weg des kollektiven Kampfes zu finden.
Die Bestrebungen nach Einheit und Solidarität im Kampf zeigen, dass die Arbeiter in Frankreich beginnen, sich wieder als Teil ein und derselben Klasse mit den gleichen Interessen zu erkennen, die es zu verteidigen gilt. So konnte man in mehreren Demonstrationszügen, besonders in Marseille, hören: "Die Arbeiterklasse existiert!" In Paris sangen Gruppen von Demonstranten, die nicht hinter Gewerkschaftsfahnen marschierten, "Wir sind hier, wir sind hier für die Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt". Bei der Demonstration am 9. Januar sangen sogar Schaulustige, die am Rande des Gewerkschaftsumzugs auf den Bürgersteigen gingen, das alte Lied der Arbeiterbewegung: "Die Internationale", während Studenten und Gymnasiasten mit ihren eigenen Spruchbändern riefen: "Die Jungen in der Galeere, die Alten im Elend!“
Indem die Arbeiterklasse sich weigert, vor den Bedürfnissen des Kapitals auf die Knie zu gehen, kann sie ihre Würde zurückgewinnen.
Ein weiteres, für eine Veränderung der sozialen Situation sehr bedeutsames Element war die Einstellung und die Haltung der Reisenden während der Streiks im Nah- und Fernverkehr. Dies ist das erste Mal seit der Bewegung vom Dezember 1995, dass ein Transportstreik nicht "unpopulär" ist, trotz aller von den Medien orchestrierten Kampagnen wegen der Unannehmlichkeiten der Reisenden, um zur Arbeit, nach Hause oder während der Weihnachtsferien in den Urlaub zu fahren. Nirgendwo, außer in den dem Kapital ergebenen Medien, war zu hören, dass die Eisenbahner der SNCF oder der RATP die Reisenden "als Geiseln" nähmen. Auf den Bahnsteigen oder in den überfüllten Zügen und RER warteten die Menschen geduldig. In der Hauptstadt schafften es die Leute ohne groß über die streikenden Eisenbahnarbeiter zu klagen, mittels Fahrgemeinschaften, Fahrräder, Roller.an ihr Ziel zu gelangen. Aber mehr als das, die Unterstützung und Wertschätzung für die Eisenbahner zeigte sich auch in Gestalt zahlreicher Spenden für Solidaritätskassen (mehr als drei Millionen Euro wurden in wenigen Wochen gesammelt!) für die Streikenden, die selbst mehr als ein Monatsgehalt opferten, indem sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere kämpften.
Doch nach anderthalb Monaten Streik, nach wöchentlichen Demonstrationen mit Hunderttausenden von Menschen, ist es dieser Bewegung nicht gelungen, die Regierung zum Rückzug zu bewegen.
Von Anfang an hatten die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre "Sozialpartner" eine Strategie entwickelt, um den Angriff auf die Renten durchzusetzen. Die Frage des "Renteneintrittsalters ohne Abzüge“ war eine Karte, die sie in der Hinterhand hatten, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu sabotieren und die "Reform" durch die klassische Strategie der Spaltung der "Gewerkschaftsfront" durchzusetzen.
Darüber hinaus rüstete die Bourgeoisie ihren Polizeistaat im Namen der Aufrechterhaltung der "republikanischen Ordnung" auf. Die Regierung setzt besessen ihre Repressionskräfte ein, um uns einzuschüchtern. Mit Rückendeckung durch die Medien reagieren die Bullen mit Tränengas und verprügeln blindlings Arbeiter (einschließlich Frauen und Rentner). Die Medien schmeißen alle in einen Topf: die ausgebeutete Klasse, die schwarzen Blöcke und andere "Randalierer". Um zu verhindern, dass die Arbeiter am Ende der Demonstrationen zu Diskussionen zusammenkommen, treiben die CRS-Trupps sie auf Befehl der Präfektur mit Granaten auseinander (Entkesselung heißt das in der Polizeisprache). Die Polizeigewalt ist keineswegs das Ergebnis von einfachen individuellen "Fehlern" einiger weniger aufgeregter und unkontrollierbarer CRS. Sie gibt einen Vorgeschmack von der rücksichtslosen und grausamen Unterdrückung, die die herrschende Klasse auch in Zukunft nicht zögern wird, gegen die Proletarier zu entfesseln (wie sie es in der Vergangenheit z.B. während der "blutigen Woche" der Pariser Kommune 1871 getan hat).
Wie kann man die Regierung zum Rückzug zwingen?
Um der herrschenden Klasse entgegenzutreten und die Regierung zum Rückzug zu zwingen, müssen die Arbeiter ihren Kampf selbst in die Hand nehmen. Sie dürfen sie nicht den Gewerkschaften, diesen "Sozialpartnern", anvertrauen, die immer hinter ihrem Rücken und hinter verschlossenen Türen in den Ministerien verhandelt haben.
Wenn wir weiterhin die Gewerkschaften bitten, uns zu "vertreten", wenn wir weiterhin darauf warten, dass sie den Kampf für uns organisieren, dann ja, dann sind wir "verkauft“ und werden verlieren.
Um unseren Kampf in die Hand nehmen zu können, ihn zu erweitern und zu vereinheitlichen, müssen wir uns massenhaft in Vollversammlungen organisieren, die selbständig sind und der ganzen Arbeiterklasse offenstehen. In diesen Vollversammlungen können wir gemeinsam diskutieren, gemeinsam über die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden, Streikkomitees mit gewählten Delegierten bilden, die jederzeit abgewählt werden können.
Die jungen ArbeiterInnen, die sich im Frühjahr 2006, als sie noch Studenten oder Gymnasiasten waren, an der Bewegung gegen den "Erstanstellungsvertrag" beteiligt haben, müssen sich an diese Erfahrung erinnern und sie an ihre ArbeitskollegInnen, jung und alt, weitergeben. Wie konnten sie die Regierung Villepin zum Rückzug zwingen, als diese den "CPE" zurückzog? Dank ihrer Fähigkeit, ihren Kampf selbst in ihren massiven Vollversammlungen in allen Universitäten und ohne jede Gewerkschaft zu organisieren. Der Zugang zu den Vollversammlungen war nicht versperrt. Im Gegenteil: Die Studenten hatten alle ArbeiterInnen, aktive und pensionierte, aufgerufen, mit ihnen in ihren Vollversammlungen zu diskutieren und sich an der Bewegung in Solidarität mit den jungen Generationen, die mit Arbeitslosigkeit und Prekarität konfrontiert sind, zu beteiligen. Die Regierung Villepin musste den CPE ohne jegliche "Verhandlung" zurückziehen. Studenten, junge prekäre Arbeitnehmer und zukünftige Arbeitslose waren nicht durch die "Sozialpartner" vertreten, und sie haben gewonnen.
Selbst wenn wir eine Schlacht verlieren, haben wir den Krieg nicht verloren!
Die Eisenbahner, die an der Spitze dieser Mobilisierung standen, können ihren Streik nicht allein fortsetzen, ohne dass die anderen Teile der Arbeiterklasse sich ihnen im Kampf anschließen. Trotz ihres Mutes und ihrer Entschlossenheit können sie nicht "an Stelle" der gesamten Arbeiterklasse kämpfen. Man kann die Regierung nicht mit einem „Stellvertreterkampf“ zum Rückzug zwingen, egal wie entschlossen die Beteiligten auch sein mögen.
Heute ist die Arbeiterklasse noch nicht bereit, massiv in den Kampf zu treten, auch wenn viele Arbeiter aus allen Branchen, aus allen Berufsgruppen (vor allem aus dem öffentlichen Dienst), aus allen Generationen anwesend waren, um bei den von den Gewerkschaften seit dem 5. Dezember organisierten Demonstrationen auf die Straße zu gehen. Um die Angriffe der Bourgeoisie einzudämmen, müssen wir eine aktive Solidarität im Kampf entwickeln und es reicht nicht nur die Solidaritätskassen aufzufüllen, um den Streikenden "Durchhaltevermögen" zu ermöglichen.
Die Wiederaufnahme der Arbeit, die im Transportwesen schon in einigen Bereichen in Gang gekommen ist (insbesondere bei der SNCF) ist keine Kapitulation! Eine "Pause" im Kampf zu machen, ist auch eine Möglichkeit, sich nicht in einem langen und isolierten Streik zu erschöpfen, was nur zu einem Gefühl der Ohnmacht und Bitterkeit führen kann.
Die überwiegende Mehrheit der mobilisierten ArbeiterInnen ist der Meinung, dass wir "am Arsch" sind, wenn wir diesen Kampf verlieren, wenn wir die Regierung nicht zwingen, ihre Reform zurückzuziehen. Das ist nicht wahr! Die derzeitige Mobilisierung und die massive Ablehnung dieses Angriffs sind nur der Anfang, eine erste Schlacht, die morgen andere ankündigen wird. Denn die Bourgeoisie, ihre Regierung und ihre Arbeitgeber werden uns weiterhin ausbeuten, um unsere Kaufkraft anzugreifen, um uns in wachsende Armut und Elend zu stürzen. Der Zorn kann nur so lange wachsen, bis er zu neuen Explosionen, neuen Kampfbewegungen führt.
Selbst, wenn die Arbeiterklasse diese erste Schlacht verliert, hat sie den Krieg nicht verloren. Sie darf der Demoralisierung nicht nachgeben!
Der "Klassenkampf" besteht aus einem Vorankommen und einem Zurückweichen, Momenten der Mobilisierung und Pausen, um dann umso heftiger wieder zu aufzuflammen. Es ist nie ein "geradliniger Kampf", bei dem man sofort beim ersten Versuch gewinnt. Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung hat gezeigt, dass der Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen die Bourgeoisie erst nach einer Reihe von Niederlagen zum Sieg führen kann.
Die einzige Möglichkeit, den Kampf zu stärken, ist, die Zeit des Rückzugs zu nutzen, um gemeinsam nachzudenken und zu diskutieren, indem wir uns überall, an unseren Arbeitsplätzen, in unseren Vierteln und an allen öffentlichen Orten versammeln.
Die kämpferischsten und entschlossensten Arbeiter, ob aktiv oder arbeitslos, Rentner oder Studenten, müssen versuchen, berufsübergreifende "Kampfkomitees" zu bilden, die allen Generationen offenstehen, um sich auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten. Es wird notwendig sein, die Lehren aus dieser Bewegung zu ziehen, zu verstehen, was ihre Schwierigkeiten waren, um sie in den nächsten Kämpfen überwinden zu können.
Diese soziale Bewegung ist trotz all ihrer Beschränkungen, Schwächen und Schwierigkeiten bereits ein erster Sieg. Nach Jahren der Lähmung, Verwirrung und Atomisierung hat sie Hunderttausenden von Arbeitern erlaubt, auf die Straße zu gehen, um ihren Kampfwillen gegen die Angriffe des Kapitals zum Ausdruck zu bringen. Diese Mobilisierung erlaubte es ihnen, ihr Bedürfnis nach Solidarität und Einheit auszudrücken. Es erlaubte ihnen auch, die Manöver der Bourgeoisie zu erleben, um diesen Angriff zu überstehen.
Nur durch den Kampf und im Kampf wird das Proletariat erkennen können, dass es die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die in der Lage ist, die kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen, um eine neue Welt zu errichten. Der Weg zur proletarischen Weltrevolution, zum Sturz des Kapitalismus, wird lang und schwierig sein. Er wird mit Fallen und Niederlagen übersät sein, aber es gibt keinen anderen Weg.
Die Zukunft gehört mehr denn je, der Arbeiterklasse!
Internationale Kommunistische Strömung,
13. Januar 2020