Bericht über die imperialistischen Spannungen, angenommen am Treffen des Zentralorgans der IKS im November 2021

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Dieser Bericht steht im Zusammenhang mit der Resolution zur internationalen Lage, die vom 24. Kongress der IKS verabschiedet wurde, insbesondere mit den folgenden Punkten:

„8. Während das Voranschreiten des kapitalistischen Zerfalls neben der chaotischen Zuspitzung der imperialistischen Rivalitäten in erster Linie die Form der politischen Zersplitterung und des Kontrollverlusts der herrschenden Klasse annimmt, bedeutet dies nicht, dass die Bourgeoisie bei ihren Bemühungen, die Gesellschaft zusammenzuhalten, nicht mehr auf den Staatstotalitarismus zurückgreifen könnte. (...) Die Wahl Bidens, unterstützt durch eine enorme Mobilisierung der Medien, von Teilen des politischen Apparats und sogar des Militärs und der Sicherheitsdienste, drückt diese reale Gegentendenz zur Gefahr der sozialen und politischen Desintegration aus, die am deutlichsten vom Trumpismus verkörpert wird. (...)

9. Der offensichtliche Charakter der politischen und ideologischen Zerfallsprozesse in der führenden Macht der Welt bedeutet nicht, dass die anderen Zentren des Weltkapitalismus in der Lage wären, alternative Festungen der Stabilität zu bilden. (...)

12. Innerhalb dieses chaotischen Bildes steht zweifellos die wachsende Konfrontation zwischen den USA und China tendenziell im Mittelpunkt. Die neue Administration hat damit ihr Bekenntnis zum "Tilt to the East" (zur Neigung nach Osten, jetzt unterstützt von der Tory-Regierung in Großbritannien) demonstriert, die bereits eine zentrale Achse der Außenpolitik Obamas war.“

Vor diesem Hintergrund zielt dieser Bericht darauf ab, die Ereignisse der letzten Monate zu erfassen und sich zu den folgenden drei Fragen zu äussern:

1. Wo steht der Niedergang der Hegemonie der USA?

2. Hat China von den Ereignissen in diesem Zeitraum profitiert?

3. Was ist heute der vorherrschende Trend in der imperialistischen Konfrontation?

1. Niedergang der US-Hegemonie und Zuspitzung der Spannungen USA/China

"Bestätigt als die einzig verbliebene Supermacht würden die USA alles in ihrer Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass eine andere Supermacht - in Wirklichkeit ein anderer imperialistischer Block - ihre "neue Weltordnung" herausfordert" (Resolution zur internationalen Lage, Punkt 4, 15. Kongress der IKS, 2003). Die Geschichte der letzten 30 Jahre ist in Bezug auf die USA durch einen systematischen Niedergang ihrer Führungsrolle gekennzeichnet, trotz einer beharrlichen Politik, die darauf abzielt, ihre Hegemonie in der Welt aufrechtzuerhalten.

1.1. Ein kurzer Überblick über den Niedergang der Hegemonie der USA

Verschiedene Phasen kennzeichnen die Bemühungen der USA, ihre Führungsrolle angesichts sich verändernder Bedrohungen aufrechtzuerhalten. Sie sind auch von der internen Uneinigkeit innerhalb der amerikanischen herrschenden Klasse über die zu verfolgende Politik geprägt und werden diese zudem noch verschärfen.

(a) Die "Neue Weltordnung" unter Führung der USA (Bush senior und Clinton: 1990-2001)

Präsident Bush senior nutzte die Invasion der irakischen Streitkräfte in Kuwait aus, um eine breite internationale Militärkoalition um die USA herum zu mobilisieren, um Saddam Hussein zu "bestrafen". Der erste Golfkrieg sollte ein "Exempel" statuieren: Angesichts einer Welt, die immer mehr von Chaos und dem "Jeder für sich" beherrscht wird, sollte ein Mindestmaß an Ordnung und Disziplin durchgesetzt werden, und zwar in erster Linie in den wichtigsten Ländern des ehemaligen Westblocks. Die einzige Supermacht, die sich gehalten hat, wollte der "internationalen Gemeinschaft" eine "neue Weltordnung" unter ihrer Ägide aufzwingen, weil sie als einzige die Mittel dazu hatte, aber auch, weil sie in der globalen Unordnung am meisten zu verlieren hat.

Allerdings wird sie diese Rolle nur ausüben können, wenn sie die ganze Welt zunehmend in das Korsett des Militarismus und der Kriegsbarbarei zwängt wie während des blutigen Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien, als sie den imperialistischen Appetit der europäischen Länder (Deutschland, Großbritannien und Frankreich) mit der Durchsetzung der "Pax americana" in der Region unter ihrer Autorität (Dayton-Abkommen, Dez. 1995) abwehren musste.

(b) Die USA als "Weltsheriff/ Weltpolizist" (Bush junior: 2001-2008)

Die Al-Qaida-Anschläge vom 11. September 2001 veranlassten Präsident Bush junior, einen "War against terror" gegen Afghanistan und vor allem gegen den Irak im Jahr 2003 zu entfesseln. Trotz allen Drucks und der Verwendung von "Fake News", um die "internationale Gemeinschaft" hinter den USA gegen die "Achse des Bösen" zu mobilisieren, scheiterten die USA dabei, die anderen imperialistischen Staaten gegen Saddams "Schurkenstaat" zu mobilisieren, und marschierten fast allein in den Irak ein, mit Tony Blairs England als einzigem bedeutenden Verbündeten.

Das Scheitern dieser Interventionen, das durch den Rückzug aus dem Irak (2011) und aus Afghanistan (2021) unterstrichen wurde, machte deutlich, dass die USA nicht mehr in der Lage waren, den "Weltsheriff" zu spielen und der Welt ihre Ordnung aufzuzwingen. Im Gegenteil, dieser "Krieg gegen den Terror" hat die Büchse der Pandora des Zerfalls in diesen Regionen vollends geöffnet, indem er die Ausbreitung des „Jeder für sich“ selbst verschärft hat, was sich insbesondere in einer allseitigen Zunahme der imperialistischen Ambitionen von Mächten wie China und Russland, natürlich dem Iran, aber auch der Türkei, Saudi-Arabien und sogar den Golf-Emiraten oder Katar manifestiert hat. Die zunehmende Ausweglosigkeit der US-Politik und die irrsinnige Flucht in die kriegerische Barbarei haben die deutliche Schwächung der globalen Führungsrolle der USA deutlich gemacht.

Die Obama-Regierung versuchte, die Auswirkungen der katastrophalen Politik Bushs zu verringern (die Hinrichtung Bin Ladens 2011 unterstrich die absolute technologische und militärische Überlegenheit der USA), und wies immer deutlicher auf den Aufstieg Chinas als Hauptgefahr für die amerikanische Hegemonie hin, was innerhalb dieser Bourgeoisie und ihres Staatsapparats intensive Debatten auslöste.

(c) Die "America First"-Politik (Trump, im Grunde fortgeführt von Biden: 2017)

Die von Trump ab 2017 umgesetzte Politik des "America First" auf imperialistischer Ebene stellt in Wirklichkeit die offizielle Anerkennung des Scheiterns der imperialistischen Politik der USA in den letzten 25 Jahren dar: „Die Formalisierung des Prinzips der Verteidigung nur ihrer Interessen als Nationalstaat und die Auferlegung profitabler Machtverhältnisse als Hauptgrundlage für die Beziehungen zu anderen Staaten durch die Trump-Administration bestätigt das Scheitern der Politik der letzten 25 Jahre des Kampfes gegen die Tendenz des „Jeder für sich“ als Weltpolizist zur Verteidigung der ab 1945 geltenden Weltordnung und zieht die Konsequenzen daraus.“ (23. Internationaler Kongress der IKS, Resolution zur internationalen Lage, Internationale Revue Nr. 56, Frühling 2020)

Angesichts der mangelnden Bereitschaft der Arbeitermassen, sich für massive Militäreinsätze zu engagieren, und der hohen Verluste, die ein massiver Einsatz von Soldaten in der Welt mit sich bringen würde (vgl. bereits die Rekrutierungsschwierigkeiten von Bush junior für den Irakkrieg), bedeutete diese Position zwar eine maximale Begrenzung der Operationen mit "boots on the grounds", ging aber vor allem mit einer zunehmenden Polarisierung und einer betonten Aggressivität gegenüber China einher, das tendenziell immer mehr als Hauptgefahr identifiziert wird. Während diese Position in der Obama-Regierung weiterhin umstritten war und auch in der Trump-Regierung Spannungen zwischen den Befürwortern der Bekämpfung von "Schurkenstaaten" wie dem Iran (Pompeo, Kushner) und den Befürwortern der "chinesischen Hauptgefahr" (Geheimdienst und Militär) auftraten, ist die Polarisierung auf letztere Option zweifellos die zentrale Achse der Außenpolitik Bidens. Es handelt sich dabei um eine strategische Entscheidung der USA, ihre Kräfte auf den militärischen und technologischen Wettbewerb mit China zu konzentrieren, um ihre Vormachtstellung zu bewahren und sogar auszubauen und ihre Position als "Pate" des herrschenden Clans gegenüber den konkurrierenden Clans (China und nebenbei Russland), die ihre Hegemonie am direktesten bedrohen, zu verteidigen. Schon als Weltpolizist verschärften die USA kriegerische Gewalt, Chaos und das „Jeder für sich“; ihre aktuelle Politik ist keineswegs weniger destruktiv geworden, ganz im Gegenteil.

1.2. Zuspitzung der Spannungen im Chinesischen Meer

Die von der Trump-Regierung eingeleitete Polarisierung der USA gegenüber China und eine entsprechende Umverteilung der Kräfte wurden von der Biden-Regierung in vollem Umfang übernommen. Diese hat nicht nur die von Trump eingeleiteten aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China beibehalten, sondern vor allem den Druck durch eine aggressive Politik erhöht:

- politisch: Verteidigung der Rechte der Uiguren und Hongkongs, diplomatische und handelspolitische Annäherung an Taiwan, Hacker-Vorwürfe gegen China;

- militärisch im Chinesischen Meer durch explizite und spektakuläre Aktionen in den letzten Monaten: vermehrte Militärübungen unter Beteiligung der US-Flotte und der Flotten von Verbündeten im Südchinesischen Meer, alarmierende Berichte über die unmittelbar drohende chinesische Intervention in Taiwan, Präsenz von US-Spezialkräften in Taiwan zur Betreuung taiwanischer Eliteeinheiten, Abschluss eines neuen Verteidigungsabkommens, des AUKUS, zwischen den USA, Australien und Großbritannien, das eine militärische Koordination eingeführt hat, die ausdrücklich gegen China gerichtet ist, Bidens Zusage, Taiwan im Falle einer chinesischen Aggression zu unterstützen.

Taiwan hat in der Strategie der USA gegenüber China immer eine wichtige Rolle gespielt. Während es im Kalten Krieg ein wichtiger Teil der Eindämmungsmaßnahmen des „kommunistischen“ Blocks war, stellte es in den 1990er und frühen 2000er Jahren das Schaufenster der globalisierten kapitalistischen Gesellschaft dar, in die China eingebunden war. Mit dem Aufstieg Chinas hat sich der Blickwinkel jedoch geändert und Taiwan spielt wieder eine geostrategische Rolle, um der chinesischen Marine den Zugang zum Westpazifik zu versperren. Auf strategischer Ebene “stellen die Produktionsstätten der Insel in der Tat den Großteil der Halbleiter der neuesten Generation her, die für die globale digitale Wirtschaft (Smartphones, vernetzte Objekte, künstliche Intelligenz usw.) unerlässlich sind“ (Le Monde diplomatique, Oktober 2021).

China hat seinerseits aggressiv auf diesen politischen und militärischen Druck reagiert, insbesondere auf denjenigen, der Taiwan betrifft: Abhaltung massiver und bedrohlicher See- und Luftmanöver rund um die Insel, Veröffentlichung alarmierender Studien, die auf ein "noch nie dagewesenes" Kriegsrisiko mit Taiwan hinweisen, oder Pläne für einen Überraschungsangriff auf Taiwan, der zu einer totalen Niederlage der Streitkräfte der Insel führen würde.

Warnungen, Drohungen und Einschüchterungen haben sich also in den letzten Monaten im Chinesischen Meer abgewechselt. Sie unterstreichen den wachsenden Druck, den die USA auf China ausüben. In diesem Zusammenhang haben die USA alles darangesetzt, andere asiatische Länder, die über Pekings Expansionsbestrebungen besorgt sind, hinter sich zu bringen, indem sie beispielsweise versucht haben, eine Art asiatische NATO, die QUAD, zu gründen, die die USA, Japan, Australien und Indien vereint, und Südkorea mit einzubeziehen. Andererseits und in ähnlicher Weise wollte Biden die NATO wiederbeleben, um die europäischen Länder in seine Politik des Drucks gegen China einzubinden. Paradoxerweise zeigt die Bildung des AUKUS die Grenzen auf, die dem Zusammenschluss anderer Nationen hinter den USA gesetzt sind. Der AUKUS bedeutet zunächst eine Ohrfeige für Frankreich und macht Bidens schöne Worte von der "Partnerschaft" innerhalb der NATO zunichte. Darüber hinaus bestätigt dieses Abkommen auch die Zurückhaltung von Ländern wie Indien mit seinen eigenen imperialistischen Ambitionen und vor allem von Südkorea und Japan, die zwischen der Angst vor Chinas militärischer Aufrüstung und ihren beträchtlichen Industrie- und Handelsbeziehungen zu China eingeklemmt sind.

2. Bedeutung und Auswirkungen der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan

Nachdem der Irak und Syrien in Chaos und blutige Barbarei versunken sind, bestätigen die Ereignisse vom September 2021 in Afghanistan voll und ganz die prägenden Trends dieses Zeitraums: den Niedergang der US-Führung und den Aufstieg von Chaos und dem „Jeder gegen jeden“.

2.1. Das US-Debakel in Afghanistan

Der völlige Zusammenbruch des afghanischen Regimes und der afghanischen Armee, der blitzartige Vormarsch der Taliban trotz einer 20-jährigen US-Militärintervention im Land und Hunderten von Milliarden Dollar, die im "nation building" versenkt wurden, sowie die panikartige Evakuierung von US-Bürgern und Mitarbeitern bestätigen auf eindrucksvolle Weise, dass die USA nicht mehr in der Lage sind, die Rolle des "Weltpolizisten" zu erfüllen. Konkret hat der dramatische und chaotische Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu einer inneren und äußeren Niederlage für die Biden-Regierung geführt.

(a) Außenpolitisch untergrub das Debakel in den Augen seiner "Verbündeten" die Vertrauenswürdigkeit der USA

Da selbst NATO-Sekretär J. Stoltenberg zugeben musste, dass die USA nicht mehr garantieren, die europäischen Verbündeten gegen ihre Feinde zu verteidigen, wurde Bidens gesamte Charmeoffensive gegenüber der NATO und den Verbündeten zunichte gemacht. Das völlige Fehlen von Absprachen innerhalb der NATO und der absolute Alleingang der USA führten zu empörten Reaktionen in London, Berlin und Paris. Was die Kollaborateure der Amerikaner in Afghanistan (wie die Kurden in Syrien, die von Trump verraten wurden) betrifft, so fürchten sie zu Recht um ihr Leben: Hier ist eine Weltmacht Nummer eins, die nicht in der Lage ist, das Leben ihrer Kollaborateure und die Unterstützung ihrer Verbündeten zu garantieren. Sie verdient daher kein "Vertrauen" (wie Xi Jinping sarkastisch betonte!).

(b) Innenpolitisch hat sie die Glaubwürdigkeit der Biden-Administration ausgehöhlt

In der Resolution zur internationalen Lage des 24. IKS-Kongresses heißt es: "Die Wahl Bidens, unterstützt durch eine enorme Mobilisierung der Medien, von Teilen des politischen Apparats und sogar des Militärs und der Sicherheitsdienste, drückt diese reale Gegentendenz zur Gefahr der sozialen und politischen Desintegration aus, die am deutlichsten vom Trumpismus verkörpert wird. Kurzfristig können solche "Erfolge" als Bremse gegenüber dem wachsenden sozialen Chaos fungieren.“ (Punkt 8) Das Afghanistan-Debakel hat jedoch nicht nur die Unzuverlässigkeit der USA gegenüber ihren Verbündeten deutlich gemacht, sondern auch die Spannungen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie verschärft und allen gegnerischen Kräften (Republikanern und Populisten), die diesen übereilten und demütigenden Rückzug durch eine Regierung, die "die Vereinigten Staaten international entehrt", verurteilen, einen breiten Raum eröffnet. Und das zu einem Zeitpunkt, da die von der Biden-Administration propagierte Politik der industriellen Wiederbelebung und der großen Bauvorhaben, die die vom Populismus verursachten Schäden begrenzen sollte, auf heftigen Widerstand der Republikaner im Kapitol und Trumps stieß und sie angesichts einer stagnierenden Impfpolitik gezwungen war, Zwangsmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung zu ergreifen.

2.2. Unberechenbarkeit der Situation für andere imperialistischen Mächte

Die fehlende Zentralisierung der Taliban-Macht, die unzähligen Strömungen und Gruppen mit den unterschiedlichsten Bestrebungen, aus denen sich die Bewegung zusammensetzt, und die Vereinbarungen mit lokalen Kriegsherren, das ganze Land rasch einzunehmen, führen dazu, dass die Situation von Chaos und Unberechenbarkeit geprägt ist, wie die jüngsten Anschläge gegen die Hazara-Minderheit zeigen. Dies kann den Interventionswillen der verschiedenen Imperialismen nur verstärken, aber auch die Unberechenbarkeit der Situation und damit auch das herrschende Chaos.

- Der Iran ist mit den Hazara-Minderheiten entlang seiner Grenzen verbunden und will seinen Einfluss in dieser Region aufrechterhalten. Pakistan ist besorgt, dass der Sieg der Taliban (die es über seinen Geheimdienst finanziert) zu einer Unabhängigkeitsbewegung der paschtunischen Bevölkerung innerhalb seiner eigenen Grenzen führen könnte. Indien, das das gestürzte Regime in großem Umfang finanzierte, sieht sich nun mit einer Intensivierung der muslimischen Guerilla im indischen Kaschmir konfrontiert. Russland hat seine Truppen in den ehemaligen Sowjetrepubliken Asiens verstärkt, um jeglichen Bestrebungen, die dortigen dschihadistischen Bewegungen zu unterstützen, entgegenzuwirken.

- Zieht insbesondere China irgendeinen Vorteil aus dem Rückzug der USA? Das Gegenteil ist der Fall. Das Chaos in Afghanistan selbst macht eine kohärente und langfristige Politik in diesem Land unberechenbar. Außerdem stellt die Präsenz der Taliban an Chinas Grenzen ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial für islamistische Infiltrationen nach China (Uiguren) dar, zumal die pakistanischen "Brüder" der Taliban (die TTP, Cousins des ISK) eine Anschlagskampagne gegen die Baustellen der "neuen Seidenstraße" führen, bei der bereits ein Dutzend chinesischer "Entwicklungshelfer" ums Leben gekommen sind. China versucht, der Gefahr in Afghanistan zu begegnen, indem es sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) niederlässt. Diese Republiken gehören jedoch traditionell zum russischen Einflussbereich, was die Gefahr einer Konfrontation mit diesem "strategischen Verbündeten" erhöht, dem seine langfristigen Interessen (die "neue Seidenstraße") ohnehin fundamental entgegenstehen (siehe Punkt 4.2, der sich mit der chinesisch-russischen Allianz befasst).

3. Chinas Position auf dem imperialistischen Schachbrett

China hat in den letzten Jahrzehnten einen kometenhaften Aufstieg in wirtschaftlicher und imperialistischer Hinsicht erlebt, der es zum wichtigsten Herausforderer der USA gemacht hat. Wie die Ereignisse in Afghanistan im September 2021 bereits zeigen, konnte es jedoch weder vom anhaltenden US-Rückgang noch von der Covid-19-Krise und ihren Folgen profitieren, um seine Positionen in den imperialistischen Beziehungen zu stärken – im Gegenteil. Betrachten wir die Schwierigkeiten, mit denen die chinesische Bourgeoisie in Bezug auf die Kontrolle des Coronavirus, die Verwaltung der Wirtschaft, die imperialistischen Beziehungen und die Spannungen innerhalb der eigenen Bourgeoisie konfrontiert ist.

3.1. Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Covid-Krise

China setzt auf Herdenimmunität, bevor es das Land öffnet, aber die strikte Lockdown-Politik, die es in der Zwischenzeit in ganzen Städten und Regionen anwendet, wann immer Infektionen festgestellt werden, belastet die Wirtschafts- und Handelsaktivitäten schwer. So führte die Schließung des Hafens von Yantian, des drittgrößten Containerhafens der Welt, im Mai zur monatelangen Blockade von Tausenden von Containern und Hunderten von Schiffen, was den weltweiten Seeverkehr völlig durcheinanderbrachte.

Das Streben nach kollektiver Immunität veranlasst zudem einige chinesische Provinzen und Städte dazu, finanzielle Sanktionen gegen die Hinterherhinkenden zu verhängen. Angesichts der zahlreichen Kritiken in den chinesischen sozialen Netzwerken hat die Zentralregierung solche Maßnahmen blockiert, da sie dazu tendierten, "den nationalen Zusammenhalt zu gefährden".

Am gravierendsten sind sicher die übereinstimmenden Daten über die begrenzte Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe, die von verschiedenen Ländern, die sie verwenden, mitgeteilt wurden: “Insgesamt scheint die Impfkampagne in Chile – die mit derzeit 62 % Geimpften in der Bevölkerung wichtig ist – keine nennenswerten Auswirkungen auf den Anteil der Todesfälle zu haben“ (H. Testard, Covid-19: Impfung hebt in Asien ab, aber die Zweifel an den chinesischen Impfstoffen wachsen, Asialyst, 21.07.21). Die chinesischen Verantwortlichen erwägen heute sogar Vereinbarungen über den Import von Pfizer oder Moderna, um die Unwirksamkeit ihrer eigenen Impfstoffe zu kompensieren.

Abgesehen von der unbestreitbaren Verantwortung Chinas für den Ausbruch der Pandemie belastet Pekings ineffizientes Management der Covid-Krise die allgemeine Politik des chinesischen Staatskapitalismus.

3.2. Die Probleme der chinesischen Wirtschaft häufen sich

Das starke Wachstum, das China in den letzten 40 Jahren verzeichnet hat – auch wenn die Zahlen im letzten Jahrzehnt bereits rückläufig waren – scheint sich dem Ende zuzuneigen. Experten erwarteten, dass das chinesische BIP im Jahr 2021 um weniger als 6 % wachsen wird, während es im letzten Jahrzehnt durchschnittlich 7 % und im Jahrzehnt davor über 10 % betrug. Verschiedene andere Faktoren verschärfen die derzeitigen Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft:

(a) Die Gefahr des Platzens der chinesischen Immobilienblase: Evergrande, die Nummer zwei der chinesischen Immobilienbranche, wird derzeit von rund 300 Milliarden Euro Schulden erdrückt, die sie nicht mehr bedienen kann, was allein 2 % des BIP des Landes entspricht. Andere Bauträger wie Fantasia Holdings oder Sinic Holdings, die ihren Gläubigern gegenüber fast zahlungsunfähig sind, sind ebenfalls betroffen. Generell hat der Immobiliensektor, der 25 % der chinesischen Wirtschaft ausmacht, eine gigantische öffentliche und private Verschuldung in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar verursacht. Der Konkurs von Evergrande ist in Wirklichkeit nur die erste Sequenz eines bevorstehenden globalen Zusammenbruchs dieses Sektors. Heute stehen so viele Wohnungen leer, dass sie 90 Millionen Menschen beherbergen könnten. Zwar wird der unmittelbare Zusammenbruch des Sektors insofern vermieden, als die chinesischen Behörden keine andere Wahl haben, als die Schäden des Schiffbruchs zu begrenzen und ansonsten sehr schwere Auswirkungen auf den Finanzsektor zu riskieren: "(...) Es wird keinen Schneeballeffekt wie 2008 [in den USA] geben, weil die chinesische Regierung die Maschine stoppen kann, meint Andy Xie, ein unabhängiger Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Mitarbeiter von Morgan Stanley in China, der von Le Monde zitiert wird. Ich denke, dass wir mit Anbang [Versicherungsgruppe, Anm. d. Ü.] und HNA [Hainan Airlines] gute Beispiele dafür haben, was passieren kann: Es wird einen Ausschuss geben, der das Unternehmen, die Gläubiger und die Behörden an einen Tisch bringt und der entscheidet, welche Vermögenswerte verkauft, welche umstrukturiert werden sollen und schließlich wie viel Geld übrig bleibt und wer Gelder verlieren kann". (P.-A. Donnet, Fall von Evergrande in China: Das Ende des billigen Geldes, Asialyst, 25.09.21).

Doch während der chinesische Immobiliensektor sein Geschäftsmodell auf einer phänomenalen Verschuldung aufbaut, schreiben viele andere Sektoren rote Zahlen: Ende 2020 betrug die Gesamtverschuldung chinesischer Unternehmen 160 % des BIP des Landes, während die Verschuldung amerikanischer Unternehmen bei etwa 80 % lag, und die "toxischen" Investitionen der Lokalregierungen würden heute laut Analysten von Goldman Sachs allein 53 Billionen Yuan ausmachen, was einer Summe entspricht, die 52 % des chinesischen BIP ausmacht. Somit besteht die Gefahr, dass das Platzen der Immobilienblase nicht nur andere Wirtschaftssektoren ansteckt, sondern auch zu sozialer Instabilität führt (fast 3 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze hängen mit Evergrande zusammen), der größten Angst der regierenden KPCh.

(b) Energieausfälle: Sie sind die Folge einer unzureichenden Kohleversorgung, die unter anderem durch die Rekordüberschwemmungen in der Provinz Shaanxi verursacht wurde, die allein 30 % des landesweiten Brennstoffs produziert, und auch durch die von Xi beschlossenen strengeren Vorschriften zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung. Der Mangel belastet bereits die Industrietätigkeit in mehreren Regionen: Die Stahl-, Aluminium- und Zementindustrie leiden bereits unter der Einschränkung des Stromangebots. Diese Einschränkung hat die Produktionskapazitäten für Aluminium um etwa 7 % und für Zement um 29 % reduziert (Zahlen von Morgan Stanley), und Papier und Glas könnten die nächsten betroffenen Sektoren sein. Diese Kürzungen bremsen nun das Wirtschaftswachstum im ganzen Land. Die Lage ist jedoch noch ernster, als es auf den ersten Blick scheint: "Denn diese Stromknappheit wirkt sich nun auch auf den Wohnungsmarkt in einigen Regionen des Nordostens aus. So hat die Provinz Liaoning die Stromabschaltungen aus dem Industriesektor auf Wohnnetze ausgeweitet" (P.-A. Donnet, China: How the serious electricity shortage threats the economy, Asialyst, 30.09.21).

(c) Unterbrechungen in den Produktions- und Lieferketten: Diese hängen mit der Energiekrise, aber auch mit den Ausgangsbeschränkungen infolge der Covid-Infektionen (siehe vorherigen Punkt) zusammen. Sie beeinträchtigen die Produktion in Industrien in verschiedenen Regionen und erhöhen das Risiko von Unterbrechungen in den bereits angespannten nationalen und globalen Lieferketten, zumal einige Hersteller mit einem akuten Mangel an Halbleitern konfrontiert sind.

3.3. Dem Projekt "Neue Seidenstraße" geht die Luft aus

Die Verwirklichung der "Neuen Seidenstraße" wird immer schwieriger, was auf die finanziellen Probleme im Zusammenhang mit der Covid-Krise und den Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft, aber auch auf die Vorbehalte der Partner zurückzuführen ist:

- Einerseits wurde das Verschuldungsniveau der "Partner"-Länder durch die Covid-Krise erhöht, und diese sind nun nicht mehr in der Lage, die Zinsen für die chinesischen Kredite zu zahlen. Länder wie Sri Lanka, Bangladesch, Kirgisistan, Pakistan, Montenegro und verschiedene afrikanische Länder haben China gebeten, die Zahlung ihrer Schulden, die in diesem Jahr fällig sind, umzustrukturieren, hinauszuschieben oder zu streichen.

- Andererseits gibt es ein wachsendes Misstrauen vieler Länder gegenüber Chinas Vorgehen (EU, Kambodscha, Philippinen, Indonesien) in Verbindung mit dem von den USA gegen China gerichteten Druck (wie in Lateinamerika), und es gibt auch die Folgen des durch den Zerfall erzeugten Chaos, das einige Schlüsselländer der "Neuen Seidenstraße", wie z.B. Äthiopien, destabilisiert. Kurzum, es ist nicht verwunderlich, dass es 2020 zu einem Einbruch des finanziellen Werts der in das Projekt "Neue Seidenstraße" geflossenen Investitionen (-64 %) gekommen ist, obwohl China seit 2013 mehr als 461 Milliarden US-Dollar verliehen hat.

3.4. Verschärfung der Antagonismen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie

Unter Deng Xiao Ping richtete der chinesische Staatskapitalismus stalinistischer Prägung unter dem Deckmantel der Politik "Reiche schaffen, um ihren Reichtum zu teilen", "freie" Zonen (Hongkong, Macao etc. ) ein, um einen "freien Markt"-Kapitalismus zu entwickeln, der den Zufluss von internationalem Kapital ermöglichte und auch einen privatkapitalistischen Sektor förderte, der mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der "Globalisierung" der Wirtschaft in den 1990er Jahren dort exponentiell wuchs, auch wenn der öffentliche Sektor unter direkter staatlicher Kontrolle immer noch 30 % der Wirtschaft ausmacht. Wie ging die rigide und repressive Struktur des stalinistischen Staates und der Einheitspartei mit dieser "Öffnung" für den Privatkapitalismus um? Ab den 1990er Jahren wandelte sich die Partei, indem sie massiv Unternehmer und Leiter von Privatunternehmen aufnahm. "Anfang der 2000er Jahre hob der damalige Präsident Jiang Zemin das Verbot der Rekrutierung von Unternehmern aus dem Privatsektor, die bis dahin als Klassenfeinde angesehen worden waren, auf (...). Die so ausgewählten Geschäftsleute werden Mitglied der politischen Elite, was ihnen garantiert, dass ihre Unternehmen zumindest teilweise vor Kadern mit räuberischen Tendenzen geschützt sind" (Que reste-t-il-t-il du communisme en Chine ?, Le monde diplomatique Nr. 68, Juli 2021). Heute machen Fachkräfte und Manager mit Hochschulabschluss 50 % der KPCh-Anhängerschaft aus.

Die Gegensätze zwischen den verschiedenen Fraktionen werden sich daher nicht nur innerhalb der staatlichen Strukturen, sondern auch innerhalb der KPCh selbst äußern. Seit mehreren Jahren (vgl. bereits den Bericht über imperialistische Spannungen des 20. Kongresses der IKS, 2013, Internationale Revue Nr. 51) wachsen die Spannungen zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb der chinesischen Bourgeoisie, insbesondere zwischen jenen, die stärker mit privatkapitalistischen Sektoren verbunden sind, die von internationalem Handel und Investitionen abhängen, und jenen, die mit staatlichen Strukturen und Finanzkontrolle auf regionaler oder nationaler Ebene verbunden sind, also jenen, die eine Öffnung gegenüber dem Welthandel befürworten, und jenen, die eine stärker nationalistische Politik vorantreiben. Insbesondere die "Linkswende", die von der Fraktion hinter Präsident Xi eingeleitet wurde und weniger wirtschaftlichen Pragmatismus und mehr nationalistische Ideologie bedeutet, hat in den letzten Jahren die Spannungen und die politische Instabilität verstärkt: Davon zeugen "die anhaltenden Spannungen zwischen Premierminister Li Keqiang und Präsident Xi Jinping über den wirtschaftlichen Aufschwung ebenso wie die "neue Position" Chinas auf der internationalen Bühne" (China: in Beidaihe, "Sommeruniversität" der Partei, interne Spannungen auf den Punkt gebracht, A. Payette, Asialyst, 06.09.20), die "Kriegspolitik", die die chinesische Diplomatie gegenüber Taiwan betreibt, aber gleichzeitig Xis spektakuläre Erklärung, dass China bis 2060 eine CO2-neutrale Wirtschaft erreichen will, die explizite Kritik an Xi, die immer wieder auftaucht (zuletzt der Aufsatz "Virusalarm", der von einem angesehenen Professor für Verfassungsrecht an der Qinghua-Universität in Peking veröffentlicht wurde und das Ende Xis vorhersagt), Spannungen zwischen Xi und den Generälen, die die Volksarmee führen, Interventionen des Staatsapparats gegenüber Unternehmern, die zu "flamboyant" und kritisch gegenüber der staatlichen Kontrolle sind (Jack Ma und Ant Financial, Alibaba). Einige Konkurse (HNA, Evergrande) könnten übrigens auf die Cliquenkämpfe innerhalb der Partei zurückgeführt werden, beispielsweise im Rahmen der zynischen Kampagne zum "Schutz der Bürger vor den Exzessen der ‚kapitalistischen Klasse‘“.

Kurzum: Die chinesische Bourgeoisie profitiert keineswegs von der aktuellen Situation, sondern ist wie andere Bourgeoisien mit der Last der Krise, dem Chaos des Zerfalls und den inneren Spannungen konfrontiert, die sie mit allen Mitteln innerhalb ihrer veralteten staatskapitalistischen Strukturen einzudämmen versucht.

4. Die Ausbreitung von Chaos, Instabilität und kriegerischer Barbarei

Die in den vorangegangenen Punkten analysierten Umstände zeigen zwar, dass die Spannungen zwischen den USA und China tendenziell eine dominierende Rolle auf der imperialistischen Bühne einnehmen, ohne dass sie jedoch eine Tendenz zur Bildung imperialistischer Blöcke hervorbringen. Denn abgesehen von einigen begrenzten Bündnissen wie dem AUKUS gelingt es der Hauptmacht des Planeten, den USA, heute nicht nur nicht, die anderen Mächte für ihre politische Linie zu mobilisieren (früher gegen den Irak oder den Iran, heute gegen China), sondern sie ist darüber hinaus unfähig, ihre eigenen Verbündeten zu verteidigen und die Rolle eines "Blockführers" zu spielen. Dieser Niedergang der US-Führung führt zu einer Verschärfung des Chaos, das sich sogar zunehmend auf die Politik aller dominanten Imperialismen auswirkt, einschließlich Chinas, das es ebenfalls nicht schafft, seine Führung dauerhaft auf andere Länder auszudehnen.

4.1. Chaos und Krieg

Die Tatsache, dass die Taliban die Amerikaner "besiegt" haben, wird all die kleinen Haie ermutigen, die nicht zögern werden, ihre Interessen einzubringen, wenn es niemanden gibt, der "Regeln auferlegt". Wir treten in eine Beschleunigung des gesetzlosen Imperiums und das größte Chaos der Geschichte ein. „Jeder für sich“ wird zum zentralen Faktor der imperialistischen Beziehungen, und kriegerische Barbarei bedroht ganze Teile der Welt.

(a) Zentralasien, Naher Osten und Afrika:

Neben der Barbarei des Bürgerkriegs im Irak, in Syrien, Libyen oder Jemen und dem Absturz Afghanistans in den Horror gibt es starke Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan, angeregt durch die Türkei, die damit Russland provoziert. In Äthiopien (unterstützt von Eritrea) ist ein Bürgerkrieg gegen die "Rebellenprovinz" Tigray (unterstützt vom Sudan und von Ägypten) ausgebrochen, und schließlich wachsen die Spannungen zwischen Algerien und Marokko. Die "Somalisierung" von Staaten und die Zone der Instabilität und "Rechtlosigkeit" (siehe dazu auch den Bericht des 20. Kongresses der IKS, 2013) haben sich immer weiter ausgedehnt: Das Chaos herrscht nun von Kabul bis Addis Abeba, von Sanaa bis Eriwan, von Damaskus bis Tripolis, von Bagdad bis Bamako.

(b) Mittel- und Südamerika:

Covid trifft den Subkontinent hart (1/3 der weltweiten Todesfälle im Jahr 2020 bei 1/8 der Weltbevölkerung) und hat ihn in die schlimmste Rezession seit 120 Jahren gestürzt: Schrumpfung des BIP um 7,7 % und Anstieg der Armut um fast 10 % im Jahr 2020 (Le monde diplomatique [LMD], Okt. 2021). Das Chaos wächst, wie in Haiti, das unter der blutigen Herrschaft von Banden und in entsetzlichem Elend versinkt, und auch in Mittelamerika ist die Lage katastrophal: Hunderttausende verzweifelter Menschen fliehen vor Elend und Chaos und drohen die Südgrenze der USA zu überrennen. Die Region leidet zunehmend unter den mit dem Zerfall verbundenen Konvulsionen: soziale Aufstände in Kolumbien und Chile, populistische Verwirrung in Brasilien. Mexiko versucht, seine eigenen Karten zu spielen (Vorschlag einer neuen OAS usw.), ist aber zu sehr von den USA abhängig, um seine eigenen Bestrebungen durchzusetzen. Die USA waren nicht in der Lage, Maduro in Venezuela, dem die Chinesen und Russen und sogar der Iran weiterhin "humanitäre" Unterstützung leisten, sowie das Regime in Kuba zu stürzen. China hat sich vor allem seit 2008 in die Wirtschaft der Region eingeschlichen und ist zu einem wichtigen Gläubiger vieler lateinamerikanischer Staaten geworden, doch die Gegenoffensive der USA übt derzeit starken Druck auf einige Staaten (Panama, Ecuador, Chile) aus, sich von Pekings "räuberischen Wirtschaftsaktivitäten" zu distanzieren.

(c) Europa:

Die Spannungen zwischen der NATO und Russland haben sich in den letzten Monaten verschärft: Nach dem Vorfall mit dem Ryanair-Flugzeug, das von Weißrussland entführt und abgefangen wurde, um einen nach Litauen geflüchteten Dissidenten festzunehmen, gab es im Juni NATO-Manöver im Schwarzen Meer vor der Küste der Ukraine, bei denen es zu einem Zusammenstoß zwischen einer britischen Fregatte und russischen Schiffen kam, und im September gemeinsame Manöver der russischen und weißrussischen Armee an der Grenze zu Polen und den baltischen Staaten angesichts von NATO-Übungen auf ukrainischem Gebiet, die in Putins Augen eine echte Provokation darstellten.

4.2. Wachsende Instabilität

Das zunehmende Chaos erhöht auch die Spannungen innerhalb der Bourgeoisie und verstärkt die Unberechenbarkeit ihrer imperialistischen Positionierung. Dies gilt für Länder wie Brasilien, wo die katastrophale Gesundheitssituation und das unverantwortliche Management der Regierung Bolsonaro zu einer immer stärkeren politischen Krise führen, und für andere lateinamerikanische Länder (politische Instabilität in Ecuador, Peru, Kolumbien oder Argentinien). Im Nahen und Mittleren Osten können die Spannungen zwischen den Clans und Stämmen, die Saudi-Arabien beherrschen, das Land destabilisieren, während Israel von der Opposition eines großen Teils der politischen Fraktionen von rechts bis links gegen Netanjahu und gegen die religiösen Parteien, aber auch von Pogromen im Landesinneren gegen "israelische" Araber geprägt ist. Schließlich gibt es noch die Türkei, die eine Lösung für ihre politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einer selbstmörderischen Flucht nach vorn in imperialistische Abenteuer (von Libyen bis Aserbaidschan) sucht.

In Europa verschärfen das Debakel in Afghanistan und die "U-Boot-Affäre" sowie der Post-Brexit die Destabilisierung von Organisationen, die aus Blockperioden hervorgegangen sind, wie die NATO oder die EU. Innerhalb der NATO zweifeln europäische Länder zunehmend an der Zuverlässigkeit der USA. So hat Deutschland dem Druck der USA in Bezug auf die Ostseepipeline mit Russland nicht nachgegeben, und Frankreich kann den Affront der USA im U-Boot-Deal mit Australien nicht verdauen, während andere europäische Länder in den USA nach wie vor ihren wichtigsten Beschützer sehen. Die Frage der Beziehungen zu Großbritannien bei der Umsetzung der Brexit-Vereinbarungen (Nordirland und Fischereiquoten) spaltet die EU-Länder, und es gibt starke Spannungen zwischen Frankreich und Großbritannien. Innerhalb der EU selbst bringen die Flüchtlingsströme die Staaten weiterhin gegeneinander auf, während Länder wie Ungarn und Polen die in den EU-Verträgen festgelegten "supranationalen Befugnisse" immer offener in Frage stellen und die Hydra des Populismus Frankreich bei den Wahlen im Frühjahr 2022 bedroht.

Chaos und zunehmendes "Jeder für sich" behindern auch tendenziell die Kontinuität des Handelns der wichtigsten Imperialismen: Die USA sehen sich gezwungen, den Druck durch regelmäßige Luftangriffe auf schiitische Milizen aufrechtzuerhalten, die ihre verbliebenen Kräfte im Irak bedrängen; Russland muss in der bewaffneten Konfrontation zwischen Armenien und Aserbaidschan, die durch die imperialistischen Alleingänge der Türkei angeheizt wurde, "Feuerwehr“ spielen; die Ausweitung des Chaos am Horn von Afrika durch den Bürgerkrieg in Äthiopien unter Beteiligung des Sudan und Ägyptens, die die Tigray-Region und Eritrea die äthiopische Zentralregierung unterstützen, bringt insbesondere die Pläne Chinas durcheinander, das das als Stabilitätspol und "neue Werkstatt der Welt" gepriesene Äthiopien als Stützpunkt für sein "Belt and Road Project" in Nordostafrika vorgesehen hatte und zu diesem Zweck einen Militärstützpunkt in Dschibuti errichtet hatte. Die anhaltenden Auswirkungen der mit der Pandemie verbundenen Maßnahmen und Unsicherheiten sind auch ein destabilisierender Faktor in der imperialistischen Politik der verschiedenen Staaten: Stagnation der Impfungen in den USA nach einem fulminanten Start, neue umfangreiche Corona-Beschränkungen ganzer Regionen und offensichtlich mangelnde Wirksamkeit der Impfstoffe in China, Explosion der Ansteckungen und der überhöhten Sterblichkeitsrate (660 000), Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Impfstoffen in Russland (Impfrate von etwas mehr als 30 %). Diese Instabilität kennzeichnet auch die Bündnisse, wie insbesondere das zwischen China und Russland. Wenn diese Länder eine "strategische Zusammenarbeit" (Charakterisierung des chinesisch-russischen Kommuniqués vom 28.06.21) gegen die USA und in Bezug auf den Nahen Osten, den Iran oder Nordkorea aufbauen und sogar gemeinsame Übungen ihrer Armeen und Seekräfte organisieren, unterscheiden sich ihre politischen Ambitionen grundlegend: Der russische Imperialismus zielt vor allem auf die Destabilisierung von Regionen ab und kann kaum mehr als "frozen conflicts" (Syrien, Lybien, Ukraine, Georgien, ...) anstreben, während China eine langfristige wirtschaftliche und imperialistische Politik verfolgt: die "neue Seidenstraße". Außerdem ist sich Russland sehr wohl bewusst, dass die Routen der "Neuen Seidenstraße" über Land und durch die arktische Zone seinen Interessen direkt entgegenstehen, da sie die russischen Einflusszonen in Zentralasien und Sibirien unmittelbar bedrohen und Russland, das ein Bruttosozialprodukt hat, das lediglich dem Italiens entspricht, in Bezug auf den Industrieapparat nicht mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt mithalten kann.

4.3. Entwicklung der Kriegswirtschaft

"Kriegswirtschaft (...) ist keine Wirtschaftspolitik, die die Widersprüche des Kapitalismus lösen oder die Grundlage für eine neue Etappe der kapitalistischen Entwicklung schaffen kann. (...) Die alleinige Funktion der Kriegswirtschaft ist (…) der Krieg! Ihre Daseinsberechtigung besteht in der systematischen, effektiven Zerstörung der Produktionsmittel und in der Produktion von Zerstörungsmitteln – die wahre Logik der kapitalistischen Barbarei.“  (Internationale Revue Nr. 1, (deutsch) 1978, Bericht über die internationale Lage, 2. Kongress der IKS). Die Tatsache, dass die Perspektive nicht auf die Bildung breiter, stabiler Bündnisse, imperialistischer "Blöcke", die sich in eine weltweite Konfrontation werfen, gerichtet ist und sich somit die Frage eines Weltkriegs derzeit nicht stellt, ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Kriegswirtschaft heute verschärft. Die Wirtschaft den militärischen Notwendigkeiten zu unterwerfen, belastet die Wirtschaft schwer, aber diese Irrationalität ist keine Wahl: Sie ist das Produkt der Sackgasse des Kapitals, die durch den sozialen Zerfall beschleunigt wird.

Das Wettrüsten verschlingt phänomenale Summen, im Fall der USA, die in dieser Hinsicht immer noch einen großen Vorteil haben, aber auch im Fall Chinas, das seine Militärausgaben in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich erhöht hat. "Der Anstieg der weltweiten Militärausgaben um 2,6 % erfolgt in einem Jahr, in dem das weltweite Bruttoinlandprodukt (BIP) um 4,4 % zurückgegangen ist (Auswertung des Internationalen Währungsfonds, Oktober 2020), was hauptsächlich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist. Infolgedessen erreichten die Militärausgaben in Prozent des BIP – die sogenannte militärische Belastung – im Jahr 2020 einen globalen Durchschnitt von 2,4 %, verglichen mit 2,2 % im Jahr 2019. Dies ist der stärkste jährliche Anstieg dieser Ausgaben seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2009" (Sipri-Pressemitteilung, April 2021). Dieser Wettlauf betrifft nicht nur konventionelle und nukleare Waffen, sondern auch die noch deutlichere Militarisierung von Weltraumprogrammen und die Ausweitung des Wettlaufs auf bisher verschonte Gebiete wie die arktischen Regionen.

Angesichts der erschreckenden Ausbreitung des imperialistischen „Jeder gegen jeden“ beschränkt sich das Wettrüsten nicht auf die großen Imperialistischen Länder, sondern betrifft alle Staaten, insbesondere auf dem asiatischen Kontinent, der einen deutlichen Anstieg der Militärausgaben verzeichnet: So ist die Umkehrung des jeweiligen Gewichts von Asien und Europa zwischen 2000 und 2018 spektakulär: Im Jahr 2000 entfielen 27 % beziehungsweise 18 % der weltweiten Verteidigungsausgaben auf Europa und Asien. Im Jahr 2018 sind diese Verhältnisse umgekehrt: Auf Asien entfallen 28 % und auf Europa 20 % (Sipri-Daten).

Diese Militarisierung drückt sich heute auch in einer beeindruckenden Entwicklung der Cyberaktivitäten von Staaten (Hackerangriffe, die oft direkt oder indirekt mit Staaten in Verbindung stehen, wie der Cyberangriff Israels auf die iranischen Atomanlagen) sowie der künstlichen Intelligenz und der militärischen Robotik (Roboter, Drohnen) aus, die eine immer wichtigere Rolle bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten oder militärischen Operationen spielen.

Doch "der eigentliche Schlüssel zur Konstituierung der Kriegswirtschaft (...) [ist] die physische und/oder ideologische Unterwerfung des Proletariats unter den Staat, [der] Grad der Kontrolle, die der Staat über die Arbeiterklasse hat" (International Review [engl./frz./span. Ausgabe] Nr. 11, 1977). Dieser Aspekt ist jedoch noch nicht eine Realität. Das erklärt, warum die Beschleunigung des Wettrüstens heute mit einem starken Widerwillen der großen imperialistischen Mächte (USA, China, Russland, Großbritannien oder Frankreich) einhergeht, Soldaten vor Ort einzusetzen ("boots on the ground"), aus Angst vor den Auswirkungen, die eine massive Rückkehr der "body bags" (Leichensäcke) auf die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse haben könnte. Zu nennen sind hier der Einsatz privater Militärfirmen (Wagner-Organisation der Russen, Blackwater/Academi der USA, usw.) oder das Engagement lokaler Milizen bei der Durchführung von Aktionen: Einsatz syrischer sunnitischer Milizen durch die Türkei in Libyen und Aserbaidschan, kurdischer Milizen durch die USA in Syrien und Irak, der Hisbollah oder irakischer schiitischer Milizen durch den Iran in Syrien, sudanesischer Milizen durch Saudi-Arabien im Jemen, einer von Frankreich und der EU "gecoachten" regionalen Truppe (Tschad, Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Fasso) in der Liptako-Region, .....

5. Auswirkungen auf dem Kampf des Proletariats

Die Perspektive besteht also in einer Vervielfachung barbarischer und blutiger Konflikte:

"11. Gleichzeitig mehren sich die "Massaker der verschiedenen kriegerischen Konflikte", da der Kapitalismus in seiner letzten Phase in ein zunehmend irrationales imperialistisches "Jeder gegen jeden" stürzt.

13. Das bedeutet nicht, dass wir in einer Ära größerer Sicherheit lebten als in der Periode des Kalten Krieges, die unter der Bedrohung durch ein nukleares Armageddon litt. Im Gegenteil: Wenn die Phase des Zerfalls durch einen zunehmenden Kontrollverlust der Bourgeoisie gekennzeichnet ist, so gilt dies auch für die enormen Mittel der Zerstörung – nukleare, konventionelle, biologische und chemische –, die von der herrschenden Klasse angehäuft worden und nun über eine weitaus größere Zahl von Nationalstaaten verteilt sind als in der vorangegangenen Periode.“ (Resolution zur internationalen Lage)

In dem Maße wie die Bourgeoisie in der Lage ist, die schlimmsten Auswirkungen des Zerfalls gegen das Proletariat zu richten, müssen wir uns bewusst sein, dass dieser Kontext mörderischer Barbarei den Kampf des Proletariats keineswegs erleichtern wird:

- Die Beschleunigung des Zerfalls wird zu endlosen Kriegen überall auf der Welt führen, zu einer Vervielfachung von Massakern und Elend, zu Millionen von Flüchtlingen, die überall ziellos umherirren, zu unbeschreiblichem sozialen Chaos und Umweltzerstörung. All dies wird das Gefühl von Angst und Demoralisierung in den Reihen des Proletariats verstärken.

- Die verschiedenen bewaffneten Konflikte werden genutzt werden, um intensive Kampagnen zur Verteidigung der Demokratie, der Menschenrechte und der Frauenrechte auszulösen, wie im Fall von Afghanistan, Äthiopien, Syrien oder dem Irak.

Dementsprechend muss unsere Intervention das Fortschreiten der Barbarei und die Gefährlichkeit der Situation anprangern, sie muss das Proletariat ständig davor warnen, die Gefahren zu unterschätzen, die die Situation der chaotischen Vielzahl von Konflikten im Zusammenhang mit dem „Jeder für sich“ als vorherrschende Dynamik mit sich bringt: "Seiner eigenen Logik und seinen letzten Konsequenzen überlassen, führt er die Gesellschaft zum gleichen Ergebnis wie der Weltkrieg. Ob man brutal von einem thermonuklearen Bombenhagel in einem Weltkrieg ausgelöscht wird oder durch die Umweltverschmutzung, die Radioaktivität der Atomkraftwerke, den Hunger, die Epidemien und die Massaker der verschiedenen kriegerischen Konflikte (in denen auch Atomwaffen eingesetzt werden können) vernichtet wird, läuft letztendlich aufs gleiche hinaus. Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Zerstörung besteht darin, daß die erste schneller ist, während die zweite langsamer ist, dafür aber umso mehr Leid verursacht." (Der Zerfall: Die letzte Phase des Kapitalismus, Internationale Revue Nr. 13 [deutsch] Punkt 11).

23.10.2021

Rubric: 

Internationale Revue 57