Der Ukraine-Krieg und die Strategie des deutschen Imperialismus

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Durch die Invasion der Ukraine und der damit eingeleiteten Welle der Zerstörung und Terrorisierung der Bevölkerung trat die Welt nicht nur in eine neue Stufe der Barbarei in Europa ein. Das Vorgehen des russischen Imperialismus löste den größten Flüchtlingsexodus in Europa seit der Welle von Flucht und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg aus, von der damals ca. 12-14 Millionen betroffen waren. Für das deutsche Kapital war, wie Bundeskanzler Scholz und andere Repräsentanten des deutschen Kapitals verkündeten, mit dem Ukraine-Krieg ein ‚Gezeitenwechsel‘ eingeläutet worden. Wir haben in anderen Artikeln die Rolle und die Verantwortung der jeweiligen Kriegsparteien an den Pranger gestellt. Deshalb wollen wir uns in diesem Artikel auf die Einschätzung dieses führenden Vertreters des deutschen Kapitals konzentrieren, um aus unserer Sicht die geänderte Lage des deutschen Kapitals einzuordnen.

Durch den Ukraine-Krieg wird das deutsche Kapital nicht nur gezwungen, einen Großteil seiner bisherigen Strategie seit 1989 aufzugeben; es muss sich auch auf tiefgreifende Erschütterungen und neue Konfrontationen einstellen.

Deutschland und die NATO in Osteuropa

Nach 1989 hatte das deutsche Kapital davon profitiert, dass die Kontrolle der Sowjetunion über die ehemalige DDR und Osteuropa in sich zusammengebrochen war, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst und später implodierte die UdSSR/Russland selbst. Das dadurch entstandene Machtvakuum lockte vor allem die imperialistischen Ambitionen der USA und des wiedervereinigten Deutschlands an. Weil mit der Auflösung des Warschauer Paktes die Existenzgrundlage des westlichen Blocks und damit die langjährige Rolle der USA als Blockführer der NATO auch zu bröckeln begann, müssen die USA seitdem weltweit um ihre Vormachtstellung kämpfen. Sie können dies nur tun, indem sie mit militärischen Mitteln die Länder und Kräfte terrorisieren, die an der Vormachtstellung der USA rütteln. So haben die USA seit dem Anfang der 1990er Jahre eine Spur der Verwüstung und Destabilisierung und Chaos an vielen hotspots hinterlassen (am deutlichsten in Afghanistan und Irak) – zu einem nie dagewesenen ökonomischen und sozialen Preis. Dies hat weltweit zu einer Schwächung des früheren Blockführer USA und zu ‚schmählichen‘ militärischen Rückzügen geführt. Trotzdem gehörten sie neben Deutschland nach 1989 in Osteuropa zu den großen Gewinnern, und ihr Machtbereich ist dort angewachsen wie noch nie zuvor. Sie konnten ihren Einfluss und ihre Positionen in Osteuropa unter anderem deshalb ausbauen, weil sie die NATO immer weiter ostwärts „vorschoben“ (von den ehemaligen Ostblockstaaten sind die meisten in die NATO eingetreten bzw. und viele wurden auch in die EU aufgenommen). Vor allem die Staaten, die vom großen Nachbar Deutschland im 2. Weltkrieg überfallen wurden oder sich gegenwärtig von diesem besonders bedrängt fühlen (vor allem Polen und Tschechische Republik), lehnen sich eher an USA an, um militärischen Schutz gegenüber Russland und Rückendeckung gegenüber dem erstarkten Deutschland zu erwirken. Während die NATO bei den westlichen Staaten an Ansehen und Bedeutung verlor, konnte sie in Osteuropa einen größeren Stellenwert gewinnen – vor allem zugunsten der USA. Ähnlich wie Frankreich versuchte sich Deutschland zunehmend dem Druck der NATO zu entwinden, um den Aufbau eines militärischen Arms der EU anzustreben, der gewissermaßen in Ansätzen parallele Militärstrukturen zur Nato, d.h. außerhalb des Einflussbereiches der USA, bedeuten würde.

Durch die Tatsache, dass die NATO unter zentralem Kommando der USA nunmehr so viele Truppen und Material nach Osteuropa im Krieg gegen die Ukraine verlegt hat, ist der Spielraum Deutschlands und Frankreichs in Osteuropa durch die NATO (d.h. mit den USA als Drahtzieher) eingeengt worden. Die USA haben somit gegenüber Deutschland ein verloren gegangenes Gewicht wieder zurückgewonnen. Sie haben gewissermaßen Deutschland wieder an die Kandare genommen – zumindest vorübergehend. Nach Außen wird dies heuchlerisch als „große Einigkeit“ der NATO gepriesen, während es in Wirklichkeit ein Schachzug der USA war, um den deutschen Freiraum einzuschränken.

Auch wenn Deutschland mehr Verbände als je zuvor nach Osteuropa geschickt hat, vor allem ins Baltikum und die Slowakei, sind nun die USA viel stärker als je zuvor im Rücken Deutschlands in Osteuropa präsent. Somit verfügen die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte gleichzeitig über Truppen in Osteuropa und weiterhin über zentrale Basen in Deutschland. Die USA haben seit 1989 im Mittleren Osten und Afrika Militärbasen geschlossen, bzw. Rückzüge angetreten  (Libanon, Somalia) aber aus Osteuropa werden sie sich nicht „verjagen“ lassen. Insofern ist die Verstärkung der US in Osteuropa als dauerhaft anzusehen.

Bundeswehr: von der Reduzierung zur Aufholjagd

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Mauer und dem Ende der Ost-West Konfrontation konnte Deutschland – wie fast alle Staaten in Europa - sein Militär reduzieren. Vor allem die in der NATO-Arbeitsteilung unter dem Ost-West-Konflikt vorherrschende Rolle der Bundeswehr, mit Territorialstreitkräften – d.h.  Heer/Panzer, Artillerie usw. – dem damaligen Ostblock entgegenzutreten, war hinfällig geworden. Das Heer wurde deutlich gekürzt, da man nicht mit einem erneuten aggressiven Bedrohungspotenzial Russlands rechnete. Unterdessen erhielten aber Marine und Luftwaffe sowie spezialisierte Verbände (Kommando Spezialkräfte – KSK) neue Einsatzmöglichkeiten in den nach 1989 sich entwickelnden Konflikten, was dem deutschen Militär die Möglichkeit bot, neue Interventionserfahrungen in „out-of-area“-Operationen zu erlangen (Mali, Libanon, Türkei, Afghanistan, Horn von Afrika, Balkan). Bei all diesen Operationen blieb Deutschland dennoch – wie der Afghanistan-Rückzug 2021 zeigte – ein militärischer Zwerg, der in allen Kernfragen weiterhin auf die USA – und zu Anfang des Afghanistaneinsatzes sogar auf die Hilfe von ukrainischen Transportmaschinen – für den Transport seiner Truppen angewiesen war. Die Bundeswehr selbst hatte große Rekrutierungsprobleme und klagte ständig (mitleiderregend!!) über nicht einsatzfähige Waffen und mangelnde Ausrüstung. Mit dem Ukraine-Krieg ist eine Verlagerung der militärischen Schlagkraft notwendig geworden – wieder mehr Gewicht auf territoriale Kräfte und gleichzeitig mehr Mittel für die „out-of-area“-Einsätze, d.h. für Marine und Luftwaffe. Nach jahrelangen Kürzungen des Militärhaushalts aus verschiedenen Gründen (politisch unpopulär, ökonomisch schädlich) tat man sich schwer mit der Rechtfertigung von Rüstungssteigerungen. Zwar hatte Trump beträchtlich mehr Anstrengungen gefordert, aber diese galten als schwer durchsetzbar. Nun hat der russische Imperialismus und paradoxerweise auch der US-Imperialismus dem deutschen Imperialismus die Rechtfertigung für mehr Kriegsausgaben geliefert. Mit der Verdoppelung des Rüstungshaushalts wurde hier eine Kehrtwende herbeigeführt und eine wahre Aufholjagd eingeleitet. Wie schnell und umfassend diese sein wird, ist noch unmöglich zu beurteilen.

Zum einen jubeln natürlich die deutschen Waffenschmieden. Nicht nur konnte man altes Kriegsgerät aus DDR-Zeiten an die Ukraine abstoßen, um moderneres anzuschaffen, sondern man liefert jetzt „auf Direktbestellung“ an die Rüstungsfirmen in die Ukraine. Damit wurde das, was bislang als Tabu galt, gebrochen. Zwar hatte man modernstes Kriegsgerät auch an jeweils verfeindete Staaten wie Griechenland – Türkei, Israel – Ägypten verschickt. Aber das Markenzeichen des „moralisch geläuterten“ deutschen Militarismus war: keine Waffen an direkt im Krieg stehende Länder. Jetzt wird Deutschland zum Großlieferanten auch für Waffen, die direkt gegen Russland gerichtet sind. Wenn nun die USA die Kriegskosten zum einen auf die europäischen Länder abwälzen (bei ihren militärischen Interventionen im Irak und Afghanistan hatten sie den Löwenanteil selbst schultern müssen), sind die USA damit zwar Nutznießer, aber sie mussten damit zulassen, dass der bisherige militärische Zwerg Deutschland mächtig aufrüsten kann. Dies ist ein weiteres Element der Kehrtwende.

Neupositionierung gegenüber Russland

Gegenüber Russland hatte Deutschland jahrelang vor allem eine Politik des relativen Ausweichens vor direkten Konfrontationen betrieben. Diese Haltung war bestimmt zum einen durch die nach 1989 neu entstandene große Abhängigkeit von russischen Gas-/Öllieferungen. („Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.“ Seit der Annexion der Krim  seien „Für Lieferungen von Gas, Kohle und Öl […] aus Deutschland seit 2014 rund 170 Milliarden Euro nach Russland überwiesen“ worden,  https://www.handelsblatt.com/politik/international/rohstoffe-deutschland....)

Zum anderen wollte man sich gegenüber den imperialistischen Interessen Russlands zurückhaltend, ja sogar ‚weg-duckend‘ verhalten, u.a. weil jede entschlossene Reaktion Deutschland wieder stärker in die Arme der USA gedrängt hätte. So hat man nach 1989 eine privilegierte Beziehung zu Russland im Konsens aller Parteien gesponnen (aufgrund alter Seilschaften aus DDR-Zeiten, dann durch Kräfte der SPD (Schröder, Niedersachsen-SPDler, Meck-Po-Regierungskreise (SPD+CDU), Sachsen (CDU) als auch Merkel). Es ging darum, immer in „Dialog-Fähigkeit“ mit Russland zu bleiben. Vor allem gegenüber der Ukraine trat man auch nach der Krim-Annexion 2014 auf die Bremse, als diese sich dem Westen zuwandte und Aufnahme in die NATO suchte. Die Devise lautete: sich nicht von den USA gegen Russland (und auch nicht gegen China) aufstacheln und bedrängen lassen. Killerkommandos in Berlin oder in Russland selbst der Tötungsversuch gegen Nawalny (der dann nach Berlin zur Sonderbehandlung gebracht wurde) wurden kritisiert und verfolgt, führten aber nie zu ernsthaften Konsequenzen für Russland.

Während der Amtszeit von Trump wurde Deutschland zwar immer offener von den USA kritisiert. Weil Trump aber einer Konfrontation mit Russland weitestgehend ausweichen wollte, (China galt und gilt als die wichtigste Zielscheibe), konnte Deutschland seine relativ guten Beziehungen zu Russland trotz dessen Unterstützung der barbarischen Operationen von Assad in Syrien und anderswo aufrechterhalten. Hier wird nun auch eine Kehrtwende eingeschlagen. Ob Deutschland aus seiner Position als „Zögerer“, der gegenüber Russland gewissermaßen mit Samthandschuhen vorgehen wollte, sich damit an vorderster Front gegen Russland einreihen wird, ist noch nicht auszumachen, jedoch unwahrscheinlich.

Der nächste Schachzug der USA gegenüber China – Druck auf Deutschland

Denn wie wir an anderer Stelle weiter analysiert haben, verfolgen die USA mit ihrem Schachzug gegen Russland auch die Absicht, Russland so weit zu schwächen, dass es gezwungen wird, sich als Bittsteller an China zu wenden. Dies bringt wiederum China in Bedrängnis. Auf der einen Seite kann es sich darüber freuen, dass Russland in eine noch größere Abhängigkeit gegenüber China gerät und somit Chinas Stellung gegenüber Russland auf den ersten Blick als gestärkt erscheinen mag. Weil aber Russland sich als stark geschwächtes, vielleicht gar ruiniertes Land an China wenden muss, wird China vor der Qual der Wahl stehen: entweder den Geldhahn gegenüber Russland aufdrehen, was schnell ein Fass ohne Boden sein kann und die Wirtschaftskraft Chinas schwächen würde; oder Russland abweisen, was einen Keil zwischen die beiden treiben würde und den USA zugute käme.

In den letzten Jahrzehnten ist auch zwischen Deutschland und China eine starke Abhängigkeit entstanden. Zum Beispiel macht Volkswagen in China ca. 40% seines Umsatzes.[1] Auch liefert China seltene Erden, von denen Deutschland mehr denn je abhängig ist. Ähnlich wie gegenüber Russland wollte Deutschland sich von den USA gegen China nicht in zu starke Gegnerschaft drängen lassen. Die USA werden aber jetzt noch stärker versuchen, die EU und die NATO-Staaten in ihre Offensive gegen China einzubinden. Damit würde Deutschland gegenüber den USA weiter an Boden verlieren… und dagegen wird sich das deutsche Kapital weiter vehement stemmen.

Zwar hatten gerade die Grünen durch ihre angekündigte ‚härtere‘ Haltung gegenüber China Punkto Menschenrechtsfragen schon gute ideologische Vorarbeit geleistet und entsprechende Vorwände geliefert, um die erdrückende Abhängigkeit von China zu lockern, diese dann als eine Politik zum Schutz „Schutz der Menschenrechte“ zu verkaufen. Wenn die USA nun aber Deutschland gegen China „in ihr Schlepptau“ nehmen wollen, und Deutschland für Maßnahmen gegen China einspannen wollen, wird sich das deutsche Kapital mit allen Tricks dagegenstellen, auch wenn dies Deutschland ökonomisch sehr teuer zu stehen kommt.

Deutschland Schoßhund der USA?

Deutschland ist damit keineswegs zum Schoßhund der USA geworden, es wird weiterhin seine Interessen mit den verschiedensten Mitteln vertreten. Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass der deutsche Militarismus durch die Vorgehensweise der USA trotz alledem daraus seine Vorteile zieht. Während Deutschland von heute auf morgen eine Verdoppelung des Rüstungshaushaltes, eine Aufholjagd bei der Ausrüstung und personellen Verstärkung der Bundeswehr beschloss, insofern auf der einen Seite einer Forderung der USA nach größerer Kostenbeteiligung an der Nato nachkam und somit die USA die Kriegskosten auf Europa (viel stärker als je zuvor) abwälzen können (die USA somit einen klaren Punktgewinn erzielt haben), wäre es naiv zu glauben, dass das deutsche Kapital diese Verdoppelung seines Militärhaushaltes nur gegen Russland wenden würde. Dieses größere militärische Gewicht – so gering es auch im Vergleich zu dem „unerreichbaren“ Gewicht der USA ist, wird auch die deutschen militärischen Ambitionen anstacheln. Zwar wird es nicht vom Zwerg zur Führungsmacht, aber die USA haben es damit auch aufgewertet – nicht zuletzt auch gegenüber Frankreich. Insofern werden die Unabhängigkeitsbestrebungen sowohl Deutschlands als auch der EU nur vorübergehend eingeschränkt werden und sich früher oder später gegen die USA richten. Zudem ist sich das deutsche Kapital der besonders fragilen Position von US-Präsident Biden bewusst und dass entweder Trump selbst oder ein anderer möglicher Kandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen eine noch härtere Gangart gegenüber Deutschland einschlagen wird. Zwar brachte die unter Biden propagandistisch geschickt eingefädelte US-Strategie gegenüber Russland Deutschland unter Zugzwang, aber ein möglicher republikanischer Präsident wird Deutschland wieder vor andere Herausforderungen stellen. Deshalb wird Deutschland seine langfristige Strategie, die unmittelbar durch den Ukraine-Krieg einen Dämpfer erhalten hat, fortsetzen wollen. Dabei ist es vor allem auf Frankreich angewiesen, das durch die USA in eine ähnliche Zwangslage geraten ist. Die beiden Nachbarn sind, ungeachtet ihrer Divergenzen in vielen Bereichen (Kernenergie, unterschiedliche Herangehensweisen gegenüber der Türkei usw.) dazu verdammt, zusammenzurücken, um nicht unter US-amerikanischer Räder zu kommen.

Kriegswirtschaft und Energieversorgung

Generell lässt sich jetzt schon erkennen, dass nicht nur das Gewicht des Militärs in der Wirtschaft an Bedeutung zunehmen wird, sondern dass das wachsende Chaos, Mangel an Gütern und Unterbrechungen von Lieferketten, Rückverlagerungen von strategisch wichtigen Produkten auch zu unberechenbaren Kostenfaktoren für die Wirtschaft werden wird. Ein Beispiel ist die Energieversorgung. 

Obgleich sich schon seit geraumer Zeit mit dem Wuchern des Militarismus neue Ansätze zur Sicherstellung einer ausreichenden Energiezufuhr als notwendig erwiesen haben, hat mit dem Ukraine-Krieg die Frage der Energiesicherung eine neue militaristische Qualität angenommen. Mit Nord Stream 2 hatte man mit Russland ein Abkommen ausgehandelt, das es ermöglicht hätte, die Ukraine zu umgehen – man begab sich aber gleichzeitig in eine noch größere Abhängigkeit von russischem  Gas. Durch den einstweiligen Stopp der Pipeline wurden sprichwörtlich 11 Milliarden Euro (für immer?) versenkt und ein neuer Schrottplatz am Boden der Ostsee angelegt. Der nun beschlossene, für die gesamte EU angestrebte Umbau der Energiezufuhr, um sich aus russischer Abhängigkeit zu entwinden, ist also eine der tiefstgreifenden strategischen Entscheidungen im Energiebereich – auch wenn dadurch neue Abhängigkeiten von Flüssiggas der USA oder von arabischen Staaten entstehen. Deshalb werden nun in Windeseile mit Unterstützung der EU von Deutschland neue Energielieferanten und neue Energiequellen gesucht, um nicht die Abhängigkeit von Russland durch die von den USA zu tauschen. Mit dem Krieg wird die Frage der Energieversorgung nach anderen Kriterien ausgerichtet: wie – ohne Energielieferungen aus dem Ausland – möglichst lange autonom handeln können?  Das deutsche Kapital denkt immer noch mit Schrecken an die nicht vorhandenen Energiequellen im 2. Weltkrieg; solche Szenarien müssen partout vermieden werden. Man darf nicht mehr von Öl- und Gas abhängen, sondern muss sich bei der Energieversorgung den militärstrategischen Bedürfnissen unterordnen – wie übrigens auch im Bereich Cyberkrieg und Künstliche Intelligenz, Roboterentwicklung. Deswegen leisten die Grünen, zusätzlich zu ihren Anstrengungen der „grünen“ Modernisierung der Wirtschaft auch wertvolle Dienste bei deren Anpassung derselben an die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft.

Krieg und die zu erwartende Destabilisierung

Seit dem 1. Weltkrieg sind Kriege immer mehr zu einem totalen Krieg geworden, wo möglichst viele Ressourcen des Gegners zerstört und die eigenen Mittel nahezu grenzenlos bis zur eigenen Erschöpfung eingesetzt werden. Nun kündigte der Westen von Anfang an, Russland auch ökonomisch niederzustrecken. Mit einer Serie von Sanktionen, Abbruch von Handelsbeziehungen, Aufkündigung entweder unmittelbar oder mittelfristig von Gas/Öl- und Rohstofflieferungen, Einstellung des Flugverkehrs usw., soll die russische Wirtschaft ausgeblutet und in die Zahlungsunfähigkeit getrieben werden (Baerbock: „Das wird Russland ruinieren“).   Zwar ist Russland kein Wirtschaftsgigant, (es steht lediglich auf Platz 11 der Weltrangliste nach Wirtschaftskraft) aber für die Weltwirtschaft ist das Land von großer Bedeutung wegen seiner zentralen Rolle als Energie-/Rohstofflieferant. Vor allem im Agrarbereich ist der weitgehende Ausfall Russlands und der Ukraine verheerend. Es wird zu einem Mangel an Getreide und Speiseöl usw. und auch zu astronomischen Preissteigerungen bei Lebensmitteln mit den damit verbundenen Hungersnöten in den Ländern der Peripherie kommen. Insofern bedeutet die Absicht „wir werden euch ökonomisch auf die Knie zwingen“ eine globale Eskalation mit unberechenbaren Destabilisierungen verschiedener Art. Das heißt – wie in früheren Kriegen – wird die Wirtschaft immer mehr durch den Krieg zerrüttet werden. Länder wie Deutschland, die für die europäische Wirtschaft sowie für die Weltwirtschaft insgesamt eine wichtige, gar führende Rolle spielen, werden deshalb einen gigantischen Preis bezahlen…

Nach 1989 war durch die neue Stufe der Globalisierung eine weltweit vernetzte Produktions- und Lieferkettenstruktur aufgebaut worden, die ähnlich dem Dreieckshandel in der Blütephase des Kapitalismus funktionierte. Damals wurde zwischen Afrika-England–USA Baumwolle gehandelt aber auch Millionen Sklaven verschleppt und verkauft. In den letzten 30 Jahren wurden weltumspannende Produktionsketten zum Beispiel zwischen Osteuropa- Deutschland- China errichtet, die nun Bruchstellen zeigen oder gar unterbrochen & abgerissen sind. Ukrainische Werke belieferten zum Beispiel Kabelbäume für PKWs von VW und Audi. Der Krieg führt zum Produktionsstillstand und zur Umorientierung von Produktionsstandorten. Zwar konnte sich die Wirtschaft über den Zuzug von qualifizierten und arbeitswilligen Arbeitskräften aus dem Osten freuen (ob im IT-Bereich oder in der Altenpflege), aber die massenhafte Versorgung von Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine wird ebenso neue Staatsgelder erforderlich machen. Die USA bleiben einstweilen von diesen Folgekosten des Krieges weitestgehend verschont.

Zusammenfassend kann man sehen, dass die jahrzehntelange Politik des konzilianten, beschwichtigenden Umgangs mit Russland aus Rücksicht auf neu entstandene Rohstoffabhängigkeiten, der relativen Zurückhaltung bei den Militärausgaben, und des Ausweichens vor Entscheidungen, wenn sie von den USA gefordert wurden, mit dem Ukraine-Krieg zu Ende gekommen ist. Osteuropa wird nicht nur eine gewaltige Wiederaufrüstung und mittelfristig das Aufbrechen früherer Rivalitäten erleben. Die ganze Welt wird von diesen Erschütterungen erfasst werden - mit besonders gravierenden Auswirkungen für die führende Macht Europas – Deutschland.

Rot-Grün mit liberaler Unterstützung Wegbereiter der Militarisierung

Vor dem Ukraine-Krieg lieferte sich die deutsche Bourgeoisie ein Hauen und Stechen wegen der Corona-Pandemie. Aber urplötzlich herrschte nationale Eintracht. Der Krieg hat zumindest auf dieser Ebene die Einheit der Bourgeoisie parteiübergreifend wieder hergestellt. Der Krieg belegt die Fähigkeit der Herrschenden, sich schnell und zielführend gegenüber den Bedürfnissen auf imperialistischer Ebene zusammenzuschließen.[2]

Aber das heißt nicht, dass der Prozess des sich fortsetzenden Glaubwürdigkeitsverlustes aller Parteien des deutschen Kapitals damit zu Ende gekommen, ja ins Gegenteil umgeschlagen wäre. Wir werden in einem späteren Artikel auf diese Frage zurückkommen.

An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die deutsche Kriegsbeteiligung nicht ohne die entscheidende Rolle von Rot-Grün (+ Liberale) möglich gewesen wäre.

Wie oben erwähnt, wurde die imperialistische Politik jahrelang umhüllt – insbesondere von Rot-Grün Ende der 1990er/Anfang der 2000er - mit dem Deckmantel des Kampfes für die „Humanität / Menschenrechte“, begleitet von einem Eintreten für „Multilateralismus“ und einen „freien Weltmarkt“. Rot-Grün erlösten das deutsche Militär von einer Bürde des verlorenen 2. Weltkriegs und boten bei den Bombenabwürfen auf Belgrad 1999 die entsprechende ideologische Rechtfertigung im Kampf gegen den „serbischen Faschismus“. Während die Vorgängerregierung Schwarz-Rot sich mit zusätzlichen Rüstungsausgaben schwer tat, (u.a. aus ökonomischem Kalkül, auch um Russland nicht zu verbrämen), hat nun Rot-Grün-Gelb die schnellste Verdoppelung eines Rüstungshaushaltes in der Geschichte der westlichen Staaten, ja sogar vielleicht in der ganzen Geschichte seit dem 1. Weltkrieg hingezaubert. Nur einer Rot-Grünen Regierung, mit Unterstützung durch die Liberalen – die eine mögliche Bremserrolle bestimmter Teile des Kapitals selbst abwehren konnten –, konnte dies gelingen. CDU/CSU, auch Teile der Linken traten der nationalen Allianz bei. Insofern ist die Ampelregierung im Augenblick ein Joker der besonderen Güte für das deutsche Kapital.

Anhäufung der erdrückenden Lasten für das deutsche Kapital

Neben den enormen staatskapitalistischen Interventionen für die Pandemiebekämpfung und Rettungspakete, den Investitionen für den strategischen Umbau der deutschen Industrie (New Green Deal, 200 Mrd. Euro geplant) kommen nochmal 100 Milliarden zusätzlich für die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes dazu. Die Flucht in die Verschuldung könnte spektakulärer nicht sein.

Das Zusammenfließen von Inflation, möglichen Firmenzusammenbrüchen infolge der Sanktionen, Umstellungen der Energie- und Lieferketten, Störungen infolge der Spätfolgen aus der Pandemie (in China gibt es immer noch Lockdowns), Gütermangel vor allem im Lebensmittelbereich, der Notwendigkeit den Schuldenberg der Rettungspakete abzutragen, Nachholen mit IT-Ausstattung, Modernisierung der Industrie im Konkurrenzkampf mit China vor allem und bei der Einführung neuer Techniken, Kosten für die Klimakatastrophe, Kosten für die Millionen ukrainischen Flüchtlinge – die Liste ist unendlich… und stellt das Kapital vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Die jetzt noch nicht berechenbaren Erschütterungen durch den Krieg geben diesem noch eine neue Qualität.

Dass bei all diesen Kosten die Arbeiterklasse ungeschoren davonkommen könnte, kann niemand glauben. Mit anderen Worten: schwere Angriffe kommen auf die Arbeiterklasse zu.

Dass die Arbeiterklasse dabei in einer schwierigen Ausgangslage „erwischt“ wird, muss uns zu Realismus zwingen, aber gleichzeitig zu langem Atmen. Wir werden in einem weiteren Artikel auf die Konsequenzen für die Arbeiterklasse eingehen.

22.03.2022 – Weltrevolution

 

[1] Vier von 10 deutschen Autos wurden vor der Pandemie nach China exportiert. 

[2] Eine ähnliche Dynamik gibt es auch in anderen EU-Staaten – siehe dazu unsere Presse.

Rubric: 

Deutscher Imperialismus