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„Genug ist genug“ war der Unterton der Aktionstage, die am 13. Dezember 2024 und am 13. Januar 2025 in Brüssel gegen die „Sparpläne“ stattfanden. Schon seit sechs Monaten liegen diese bei den Gesprächen über die Bildung einer neuen Regierung auf dem Verhandlungstisch. Zuvor wurden diese Pläne durch „undichte Stellen“ in den Medien bekannt, heute sind sie kein öffentliches Geheimnis mehr. Die Gewerkschaften sprechen von den „drastischsten Maßnahmen der letzten 80 Jahre“. Die geplanten Angriffe würden alle Teile der Arbeiterklasse betreffen. Während Angestellten in privaten Unternehmen massenhaft entlassen werden (27.000 waren es bis 2024) und die automatische Lohnindexierung unter Beschuss gerät, will die neue Regierung auch die Ausgaben für die soziale Sicherheit streichen, einschließlich der Arbeitslosenunterstützung und der Renten. Als Krönung des Ganzen will sie die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um zwei Prozent senken und die Arbeit für alle Arbeitnehmer noch unsicherer und flexibler machen.
Während am ersten Aktionstag mit rund 10.000 Demonstranten vor allem Gewerkschaftsdelegierte mobilisiert wurden (und zwar hauptsächlich aus der Region Wallonien), nahm es am 14. Januar eine ganz andere Dynamik an. Statt der ursprünglich von den Gewerkschaften vorgesehenen 5.000 bis 10.000 Demonstranten kamen schließlich mehr als 30.000 aus den verschiedenen Regionen des Landes und aus einer wachsenden Zahl von Arbeitssektoren zu der Demonstration. Auch 47.000 Lehrer und Lehrerinnen in der flämischen Region streikten, was eine historisch hohe Zahl darstellt. Arbeitsniederlegungen gab es auch bei der Bahn, den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Recycling, den Postdiensten und vielen anderen öffentlichen Diensten. Für den 13. Februar wurde ein neuer Aktionstag angekündigt, diesmal unter dem Motto „für öffentliche Dienstleistungen und Kaufkraft“.
Doch schon vor diesen beiden Aktionstagen hatte im November eine Kundgebung stattgefunden, die ebenfalls weit mehr Arbeitnehmer mobilisierte als erwartet. Auch bei dieser Demonstration der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen am 7. November war die Beteiligung dreimal so hoch wie erwartet: mehr als 30.000. Am 26. November fand außerdem ein breit angelegter Streik des französischsprachigen Bildungspersonals (Wallonien und Region Brüssel) statt, der sich gegen das richtete, was Roland Lahaya, der Generalsekretär der wallonischen Bildungsgewerkschaft CSC-Enseignement als „Kriegserklärung“ bezeichnete. Unter dem Motto „Lehren ja, bluten nein!“ lehnten die Streikenden vor allem die von der bereits ernannten wallonischen Regierung angekündigten Kürzungen im Bildungsbereich ab, eine Maßnahme, die die Festanstellungen gefährdet und erhebliche Auswirkungen auf die Renten hat. Am 27. und 28. Januar gab es zwei weitere Streik- und Demonstrationstage. Und die unter Druck stehende Bildungsgewerkschaft erwägt, einen unbefristeten Streik anzukündigen.
Diese Demonstrationen, Streiks und Proteste bestätigen die international zunehmende Kampfbereitschaft, über die wir in den letzten Jahren in unserer Presse mehrfach berichtet haben. Die Eskalation der imperialistischen Spannungen und das wachsende Chaos, die Zersplitterung des Welthandels, die steigende Inflation und die Energiekosten sind so viele Anzeichen für eine noch nie dagewesene Verschärfung der Wirtschaftskrise. In allen Ländern versucht die Bourgeoisie daher, die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Belgien ist da keine Ausnahme.
Die Gewerkschaften versuchen zu verhindern, dass die Mobilisierungen an Fahrt gewinnen
Die Bourgeoisie ist sich sehr wohl bewusst, dass diese Pläne in weiten Teilen der Arbeiterklasse Reaktionen hervorrufen, und zwar nicht nur im Bereich des öffentlichen Dienstes. Sie ist sich bewusst, dass die Arbeiterklasse international bereits bewiesen hat, dass sie Jahrzehnte rückläufiger Kämpfe überwunden hat. Deshalb legt die Bourgeoisie Wert darauf, gut vorbereitet zu sein und auch die notwendigen Kräfte zu mobilisieren, um den zu erwartenden Widerstand aufzufangen und umzuleiten.
Die belgischen Gewerkschaften sahen die Besorgnis und Unzufriedenheit unter den Arbeitern von Woche zu Woche wachsen und blieben nicht untätig, um zu verhindern, dass sich die Unzufriedenheit in „unkontrollierten“ Aktionen manifestiert. Am Sonntag, dem 8. Dezember 2024, erklärte Ann Vermorgen (Vorsitzende der Gewerkschaft ACV) im Fernsehen, dass die Gewerkschaften gemeinsam beschlossen hätten, in der kommenden Zeit jeden Monat am 13. einen Aktionstag zu veranstalten. Es folgten Aktionstage im Dezember und Januar, an denen die Gewerkschaften versuchten, die Mobilisierungen auf bestimmte Sektoren (insbesondere das Bildungswesen) und bestimmte Forderungen (Rentenreform im Bildungswesen) zu beschränken. Die Gewerkschaften wenden eine bewährte Taktik an: Die Isolierung und Aufteilung verschiedener Sektoren und Regionen in einer Reihe von Aktionstagen wird den Kampfeswillen schließlich erschöpfen.
Die Stärke und Dynamik der Mobilisierung vom 13. Januar war jedoch so groß, dass sie sich auf andere Sektoren und alle Regionen ausweitete und die Gewerkschaften selbst überraschte. Der Unmut zeigt nämlich deutlich, dass es nicht nur um eine bestimmte Maßnahme oder angekündigte „Reform“ geht. Er ist Ausdruck einer allgemeineren Unzufriedenheit und Empörung und der Realität der Rückkehr des Kampfgeists angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten, der sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, der unsicheren Arbeitsplätze und des Schreckgespenstes der Armut.
Seit Jahren wird uns gesagt, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei und dass die Demokratie die beste und perfekteste politische Institution ist, die man sich nur vorstellen kann. Diese Mystifizierungen haben kein anderes Ziel, als die Arbeiterklasse zu demobilisieren, die Arbeitnehmer zu isolieren und sie in die Ohnmacht zu treiben, sie von der Stärke und Solidarität ihrer Klasse abzuschneiden. Doch trotz der unaufhörlichen Appelle, sich auf die Wahlurnen zu verlassen, um ein „Gegengewicht“ zur Austerität zu bilden, und trotz der Aufrufe zur „Verteidigung der Demokratie“ gegen den schändlichen Diskurs der Populisten, entdeckt die Arbeiterklasse den Weg des Kampfes wieder, die Notwendigkeit, gemeinsam auf ihrem eigenen Klassenterrain zu kämpfen. Es ist auch bezeichnend, dass diese Dynamik der sich entwickelnden Klassenkämpfe vor dem Hintergrund eines Krieges und ständig steigender Militärausgaben stattfindet, die von der Arbeiterklasse bezahlt werden müssen.
Solidarität und Einigkeit sind die Stärken unseres Kampfes
Um die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen wirklich abwehren zu können, muss der Kampf von einer möglichst breiten Basis ausgehen, indem er alle Arbeiterinnen und Arbeiter vereint, unabhängig davon, in welchem Unternehmen, welcher Institution, welchem Sektor oder welcher Region sie arbeiten. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen sitzen „im selben Boot“. All diese Gruppen sind keine getrennten Bewegungen, sondern ein kollektiver Ausdruck: “Wir sind eine Stadt der Arbeiter - Arbeiter und Angestellte, gewerkschaftlich organisierte und nicht gewerkschaftlich organisierte, Immigranten und Einheimische“, wie es ein streikender Lehrer in Los Angeles im März 2023 ausdrückte. Die Streiks in Belgien sind voll und ganz Teil der Bewegung, die in den letzten drei Jahren in anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien, den USA und Frankreich, stattgefunden hat.
Aber es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse in Belgien wie auch anderswo in der Lage ist, bestimmte Schwächen zu überwinden, die in den jüngsten Kämpfen aufgetreten sind:
- 2022-23 in Großbritannien, wo die Arbeiter und Arbeiterinnen von Unternehmen aus verschiedenen Sektoren, die manchmal weniger als 100 Meter voneinander entfernt sind, keine Versuche unternommen haben, die strenge Politik der Streikposten am eigenen Arbeitsplatz zu durchbrechen, anstatt sich zu solidarisieren und ihre Kämpfe zu vereinigen.
- 2023 in Frankreich, wo die Arbeitnehmer massenhaft an 14 „Aktionstagen“ gegen die Rentenpläne der Regierung teilnahmen, es aber versäumten, den Kampf auf Streiks in Betrieben und Büros auszuweiten.
In Belgien verbreiten die Bourgeoisie und ihre Gewerkschaften unablässig das Gift der Spaltung: zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie zwischen den Arbeitnehmern auf beiden Seiten der wallonisch-flämischen Sprachbarriere. Dies ist eine traditionell schwer zu überwindende Hürde, aber nicht unmöglich, wie wir am 23. April 2023 gesehen haben, als die französischsprachigen und niederländischsprachigen Lehrer und Lehrerinnen in Brüssel gemeinsam demonstrierten. In der Vergangenheit hatten schon die Streiks von 1983 und 1986 Hunderttausende von Arbeitnehmern aus dem öffentlichen und privaten Sektor sowie aus den Regionen Wallonien, Brüssel und Flandern zusammengebracht. Die Lehren aus den vergangenen Kämpfen zu ziehen, ist mehr denn je unerlässlich, wenn wir uns gegen die Fallen der Bourgeoisie wappnen wollen.
Unsere Stärke ist die Einigkeit, die Solidarität im Kampf! Nicht getrennt zu kämpfen, sondern den Kampf in ein und derselben Bewegung zu vereinen; zu streiken und Delegationen zu entsenden, um sich den Anderen im Kampf anzuschließen; Vollversammlungen zu organisieren, um gemeinsam über die Bedürfnisse des Kampfes zu diskutieren; sich um gemeinsame Forderungen zu vereinen. Es ist diese Dynamik der Solidarität, der Expansion und der Einheit, die die Bourgeoisie im Laufe der Geschichte immer wieder erschüttert hat.
Lac, 21.01.2025