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Das verbrecherische stalinistische Regime in der DDR ist nach 40 Jahren zusammengebrochen. Aber an seine Stelle ist noch keine Freiheit getreten. Was sich derzeit in der DDR abspielt, gleicht eher einem Zusammenbruch am Ende eines verloren gegangenen Kriegs. Schwarzmarkt-Handel, Schmuggel, Versorgungseinbrüche, Chaos und Lynchjustiz blühen auf. Die Lage der arbeitenden Bevölkerung hat sich in keiner Weise gebessert. Selbst die Reisefreiheit wird zum einzigen Frust, wenn man die in Schaufenstern ausgestellten Waren mangels Westgeld nicht erwerben kann.
In der DDR wird die Lage der Bevölkerungsmehrheit immer bedrohlicher. Gesundheitsdienste, Transport und Lebensmittelversorgung sind schon ansatzweise zusammengebrochen. Gleichzeitig verschärft sich die Lage vieler frisch in den Westen Übergesiedelter. Das Leben in den hoffnungslos überfüllten Aufnahmelagern ist für abertausende jetzt schon die Hölle. Die dort auftretenden Spannungen und Gewalt, die um sich greifende Hackordnung, das brutale Vorgehen mancher von den Hilfsorganisationen eingesetzter Ordnungshüter ist insbesondere für die vielen Turnhallenkinder ein schlimmes Erlebnis.
Während aber für die Bevölkerung der DDR noch keine Besserung in Sicht ist, sprechen die alten und neuen Parteien sowie die Medien im Osten und im Westen andauernd von "Neubeginn", "Aufbruch", von einer "leuchtenden, demokratischen, ökologischen und sozialen Zukunft". Aber keiner bietet einen wirklichen Ausweg aus dem Chaos. Keiner warnt vor den jetzt schon abzusehenden millionenfachen Opfern, die der Übergang von der stalinistischen Miss- und Mangelwirtschaft zur Marktwirtschaft von den Arbeitern fordern wird. Keiner sagt die Wahrheit über die darauf folgende Verschärfung der Massenarbeitslosigkeit, der Preisexplosion usw. im Rahmen der Überproduktionskrise auf dem Weltmarkt.
Aber viel schlimmer noch: unter den Arbeitern selber herrscht Schweigen über die wirklichen Probleme. Die Demos und Versammlungen werden durch die Wahlkampfparolen der alten und neuen Streber nach der Macht beherrscht. In den Betrieben wird erschreckend wenig diskutiert. Nirgends drängen Forderungen an die Öffentlichkeit, die konsequent Arbeiterinteressen zum Ausdruck bringen.
DIE WIRKLICHEN PROBLEME DER ARBEITER
Die zentralen Fragen des Übergangs vom Stalinismus zur Marktwirtschaft sind zurzeit die Probleme einer Währungsreform sowie die Integration der DDR in die internationale Arbeitsteilung auf dem Weltmarkt. Die Bewältigung dieser Probleme ist mit riesigen Kosten verbunden, welche die Kapitalisten im Osten wie im Westen auf die Schulter der Arbeiter abwälzen wollen.
Beispielsweise die Währungsreform: die DDR-Mark konnte jahrzehntelang nur deshalb als reine Binnenwährung dienen, weil die Wirtschaft durch die Mauer von dem Westen abgeschottet wurde. Aber jetzt, wo Menschen und Kapital sich zwischen Ost und West zunehmend frei bewegen, kann die bisherige Ost-Mark ihre Aufgabe als Geldmittel nicht mehr wahrnehmen, weil sie auf dem Weltmarkt kaum Kaufkraft besitzt. Das Ergebnis: wer im Westen ein Wochenende lang schwarzarbeitet, und das Geld anschließend "inoffiziell" in Ost-Mark umtauscht, hat schon soviel verdient wie durch einen ganzen Monat Schufterei in der DDR.
Dass unter diesen Umständen in der DDR mit der Zeit niemand mehr arbeiten wird, ist abzusehen. Deshalb wird es irgendeine Art von Währungsreform geben, auch wenn die Regierung Modrow & Luft dieses Vorhaben öffentlich abstreitet. Die Ost-Mark wird radikal abgewertet. Dazu sind verschiedene Modelle denkbar. Vielleicht wird es einen Währungsschnitt geben wird wie 1948 in der BRD. Dann könnten beispielsweise jeweils 5 alte gegen eine neue Mark eingetauscht werden. Damit hätten die Löhne nur noch 20 % ihres bisherigen Werts. Sicher ist jedenfalls, dass die z.T. riesigen Sparguthaben der Bevölkerung über Nacht damit wie Schnee von gestern wegschmelzen werden. Zwar wäre dieses Geld dann konvertierbar - man könnte damit im Westen einkaufen. Dafür wird man aber zugleich westliche Preise in der DDR selbst bekommen, da die Umtauschbarkeit des Geldes in beiden Richtungen funktioniert. Reiche Leute aus dem Westen, die alles aufkaufen wollen, werden damit die Preise in die Höhe treiben. Das Wohnen z.B. wird dann nicht mehr 60 Mark kosten, sondern vielleicht 600,-. Diese Preisspirale ist im Übrigen keine Zukunftsmusik, sondern hat bereits eingesetzt. Die Folge: EINE UNVORSTELLBARE VERARMUNG DER BEVÖLKERUNGSMEHRHEIT DER DDR.
Beispielsweise die Frage der internationalen Arbeitsteilung: obwohl der Stalinismus andauernd von Internationalismus faselt, sind die Wirtschaften des Ostens viel "nationaler" orientiert als etwa in Westeuropa. Die internationale Arbeitsteilung im COMECON (RGW) war sehr wenig entwickelt. Jedes Land stellte zumindest tendenziell alles selber her, was es brauchte - wie der Bauer im Hinterwald. Dieses Verfahren ist sehr unproduktiv, bindet aber enorm viel Arbeitskräfte, so dass statt Arbeitslosigkeit Arbeitskräftemangel vorherrschte. Ganz typisch: Ceaucescu ließ in Bukarest eine U-Bahn-Linie ausschließlich durch rumänische Kräfte bauen. Aber das Werk war 5-mal teurer, als wenn man es mit ausländischer Beteiligung errichtet hätte.
Integration in den Westen heißt für die RGW-Staaten jetzt, wie vergleichbare kleinere Länder im Westen sich auf einige wenige Industriezweige zu konzentrieren, die auf dem Weltmarkt konkurrieren können. Alles andere muss importiert werden. Für die Länder des Ostens wird das heißen, dass die übrigen Betriebe alle geschlossen werden. Die Folge: Massenarbeitslosigkeit.
Massenverarmung und Massenarbeitslosigkeit : Dass die alten Blockparteien und die neuen Gruppen über diese bevorstehenden Angriffe gegen die arbeitende Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen wollen, sondern allen das Blaue vom Himmel versprechen, beweist nur, dass sie auf keinen Fall die Interessen der Arbeiter vertreten.
DIE KOHLS UND MODROWS WOLLEN DIE KOSTEN DES UMBRUCHS IM OSTEN AUF DIE SCHULTER DER ARBEITER IM OSTEN UND WESTEN UMWÄLZEN
Die Herrschenden im Osten wie im Westen fragen sich vor allem, wie die Kosten der Integration der RGW-Länder in den westlichen Wirtschaftsbereich auf die Schulter der Arbeiter am radikalsten abgewälzt werden können.
Die Kosten sind wirklich riesig. Selbst nach einer Währungsreform wird z.B. die DDR-Mark nicht ohne massive Aufkäufe (Stützungsaktionen) der Bundesbank in Frankfurt zu stabilisieren sein. Die Modernisierung der Infrastruktur der DDR - die Voraussetzung dafür, dass man das Land profitabel ausbeuten kann - wird ebenfalls Milliarden verschlingen. Manche Bankiers rechnen damit, dass nur der erste Teil dieser Operation (die Umstellung auf eine 'Marktwirtschaft') bereits über 100 Milliarden DM allein in der DDR verschlingen wird.
Nun ist es so, dass die Kapitalisten (weder im Osten noch im Westen) gar keine Lust verspüren, diese Summe selber aufzubringen. Ein Kapitalist legt sein Geld gewöhnlich an, nicht weil er der Bevölkerung des Ostens "helfen" will, sondern weil für ihn dabei was rausspringt. Ob zwischen Seiters und Modrow, auf Konferenzen oder in den 'Denkfabriken' wird pausenlos darüber geredet und nachgedacht, wie man die Arbeiter dazu bringen kann, die Rechnung zu übernehmen.
Dem Vorhaben, die Arbeiter im Osten alles bezahlen zu lassen, sind natürlich Grenzen gesetzt. Zum einem weil die Arbeiter im Osten Widerstand dagegen leisten können. Zum anderen aber weil ein zu großes 'Wohlstandsgefälle' dazu führen würde, dass z.B. die 16 Millionen Bewohner der DDR geschlossen in den Westen überzusiedeln versuchen.
Eine solche Aktion wollen die Ausbeuter verhindern. Im Osten wollen sie es verhindern, weil sie sonst keine Arbeiter haben, auf deren Rücken sie leben können. Im Westen wollen sie es verhindern, weil es ein komplettes Chaos verursachen würde. Außerdem würde eine solche Massenübersiedlung die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Westen so plötzlich und drastisch verschlechtern, dass die Arbeiter dort rebellieren und auf die Strasse gehen würden. Und so etwas will von den Bonzen natürlich keiner!
Für das Kapital liegt die Lösung des Problems aber nicht darin, die Kosten selber zu übernehmen. Oh nein! Sie werden dafür sorgen wollen, dass DIE ARBEITER IM OSTEN WIE IM WESTEN GEMEINSAM DIE ZECHE BEZAHLEN, während sie die Beute unter sich aufteilen.
Während der erste Anlauf dazu - den Vorschlag von SPD und CDU-Politikern, dass die Arbeiter der Bundesrepublik an dem Feiertag des 17. Juni UMSONST ARBEITEN, um angeblich "der DDR zu helfen" - so plump und unverschämt war, dass er sofort Empörung in den Betrieben auslöste, werden die Kapitalisten auch im Westen durch niedrige Tarifabschlüsse, Steuermehrbelastungen und Sozialabbau versuchen, das Gleiche zu erreichen.
DIE FALSCHEN PERSPEKTIVEN
Nicht zuletzt um von den wirklichen Problemen abzulenken, versuchen alle möglichen falschen "Freunde des Volkes", die Bevölkerung für Ziele zu mobilisieren, die mit den Interessen der Arbeiter nichts zu tun haben. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Streit um die Alternative: Erhaltung der DDR als "sozialistische Alternative" (zynischer kann man sich gar nicht über den stalinistischen Staatskapitalismus äußern) - oder "Wiedervereinigung". Dieser Streit dient dem Überlebenskampf der DDR-Staatsbürokratie oder den Herrschaftsansprüchen des BRD-Großkapitals. Vor allem aber führt diese falsche Alternative zwischen kleindeutschem "DDR-Patriotismus" oder großdeutschem Chauvinismus zu eine weiteren Spaltung der ohnehin geschwächten Arbeiterschaft der DDR - eine Spaltung, die jeder Woche in Leipzig von neuem vorgeführt wird. Für die Arbeiter ändert sich gar nichts, ob die formelle "Wiedervereinigung" stattfindet, oder ob das Feigenblatt eines "selbstständigen" DDR-Staats belassen wird, um "das Ausland" zu beruhigen. Die WIRTSCHAFTLICHE "Wiedervereinigung" des Kapitals hat längst schon eingesetzt. Aber im Interesse der Bevölkerung läuft sie auf jeden Fall nicht.
Die zweite große Ablenkung ist der jetzt schon anlaufende Wahlkampf. Aber auch hier ist es nicht das wirkliche Problem der Arbeiter, darüber zu bestimmen, welche der neuen Parteien anstelle der SED auf Kosten der Bevölkerung regieren wird. An den Problemen von Verarmung und Arbeitslosigkeit wird sich auch dadurch NICHTS ÄNDERN. Im Gegenteil : gerade um diese Angriffe , diese Verarmung über die Bühne zu bringen, ohne dass sich die Arbeiter dagegen wehren - dafür brauchen die Bonzen jetzt eine "demokratische" Alternative zur SED, die zu abgewirtschaftet hat, als dass sie noch glaubhaft Opfer von der Bevölkerung verlangen könnte.
EINE FRIEDLICHE REVOLUTION ?
Nirgendwo auf der Welt sind die eigenständigen Interessen und Forderungen der Arbeiter so sehr in Vergessenheit geraten wie in den letzten Wochen und Monaten in der DDR. Zwar geht das geflügelte Wort von einer "friedlichen Revolution" in der DDR und in der CSSR täglich durch die Medien. Aber was in Wirklichkeit im Osten geschieht, ist keine Revolution auf der Strasse, sondern der Zusammenbruch des ganzen Ostblocks am Ende des für den Warschauer Pakt verloren gegangenen kalten Kriegs.
Nichts hätten wir uns sehnlicher gewünscht, als dass die stalinistische Terrorherrschaft überall, von Peking über Ostberlin bis Havanna, von UNTEN durch eine Arbeiterrevolution gestürzt worden wäre. Erste Ansätze in dieser Richtung gab es auch schon durch die Arbeiterkämpfe 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn sowie 1980 in Polen. Jetzt aber war der wirkliche Auslöser der Umstürze in Ostberlin und Prag in erster Linie die Spaltung der osteuropäischen Stalinisten untereinander. Während die Betonköpfe in der DDR, CSSR und Rumänien angesichts der offenen Auflösungserscheinungen des Ostblocks eine Vogel-Strauss-Politik betrieben und sich noch mehr einmauerten, entschlossen sich die Reformstalinisten in Ungarn und Polen, sich dem Westen anzunähern und öffneten folgerichtig ihre Grenzen zum Westen. Sie rissen damit riesige Löcher in den eisernen Vorhang und vernichteten so mit einem Schlag die Existenzgrundlage der stalinistischen DDR, die schon seit 1961 nur noch durch das Einsperren der eigenen Bevölkerung überleben konnte. Sobald die Massenflucht aus der DDR Richtung Westen im Spätsommer einsetzte, stand das SED-Terrorregime bereits auf verlorenem Posten. Solange das Loch in der Mauer gähnte, konnte nicht mal mehr die Brutalität des Stasi die Entwicklung aufhalten. Die SED musste abdanken, weil die Bevölkerung davonzulaufen drohte.
Die Massendemos in Leipzig und Prag gaben der stalinistischen Bestie nur noch den Rest. Der entscheidende Umbruchsfaktor war vielmehr der Niedergang der Sowjetunion als Weltmacht. Ohne die durch Wirtschaftskrise und Nationalitätenkonflikte bedingte Lähmung der UdSSR als ehemaliger Gendarm des Ostblocks hätten die ungarischen Reformstalinisten niemals die Sperranlagen an der Grenze zu Österreich abbauen können. Während 1953, 56 und 1968 die Sowjetpanzer jegliche "Unordnung" im Ostreich noch niederwälzen konnten, war es jetzt nicht mehr zu verhindern, dass Budapest durch die Gewährung der freien Ausreise für DDR-Flüchtlinge seine Eintrittskarte in den Westen einhandelte, und dafür auch direkt mit einem Begrüßungsgeld von einer halben Milliarde DM aus Bonn belohnt wurde.
Es ist wichtig, die wirklichen Ursachen des Umbruchs in Osteuropa zu erkennen, damit man die jetzige Lage nüchtern und realistisch beurteilen kann. Wenn die Umwälzungen im Osten wirklich durch eine "Revolution von unten" verursacht worden wären, müsste jetzt ein neues Zeitalter der Freiheit über diese Länder hereinbrechen. Und: die Stellung der Arbeiter als die überwiegende Bevölkerungsmehrheit in diesen Ländern müsste gerade jetzt besonders stark sein. Aber die Wirklichkeit sieht ja ganz anders aus. Die einzige Freiheit, die jetzt aufblüht, ist der neue Bewegungsspielraum, die Freiheit des großen Geldes. Gegenüber dieser Macht stehen die Arbeiter des Ostens völlig unvorbereitet und zersplittert da.
DIE WIRKLICHEN PERSPEKTIVEN
Gerade jetzt ist es besonders wichtig, dass die Arbeiter zuerst und vor allem an ihre eigenen Interessen denken. Sie müssen auf der Hut sein vor allen Versuchen des Kapitals, auf Kosten der Bevölkerung neue Profite abzusahnen. Zurzeit muss man in den Betrieben besonders wachsam sein. Stehen Entlassungen oder Lohnkürzungen
bevor? Sollen Betriebe gar dicht gemacht werden? Was hecken die Kombinatsdirektoren in ihren Verhandlungen mit den westlichen Firmen hinter unserem Rücken aus? Stehen Preiserhöhungen oder Abwertungen bevor? Welche Maßnahmen werden gegen die Arbeiter bereits durchgeführt, ohne dass überhaupt in den jetzt so "offenen Glasnost-Medien" darüber berichtet wird? Man muss überhaupt eine Bestandsaufnahme der wirklichen Lage der Arbeiter anstreben, um darauf antworten zu können. Es müssen Forderungen aufgestellt werden, die die Interessen der Arbeiter in der jetzigen Situation ganz konkret zum Ausdruck bringen.
Es ist jetzt ganz wichtig, dass Arbeiter untereinander diskutieren. Diese Diskussionen sollen sich keineswegs auf Stammtischgespräche beschränken. Direkte Kontakte, von Arbeitern zu Arbeitern, zwischen Beschäftigten verschiedener Betriebe und Branchen müssen geknüpft und möglichst aufrechterhalten werden. Über die wirklichen Probleme, über die notwendigen Forderungen, und über die möglichen Kampfmittel muss jetzt schon diskutiert werden.
Ebenso wichtig ist, dass die Arbeiter die Entscheidungsgewalt über ihre eigenen Forderungen und Kampfmöglichkeiten in den eigenen Händen behalten. Wir können nicht misstrauisch genug sein gegenüber alten oder neuen Parteien, gegenüber der jetzigen Flut von neuen Karrieristen sowie den Wendehälsen von gestern, die mit verlogenen Wahlkampfprogrammen uns das Beste vom Besten versprechen, anstatt die wirklichen Probleme der Arbeiter aufzuzeigen. Wir dürfen unsere eigene Diskussion, das eigenständige Handeln an niemand anders delegieren. Die Interessen der Arbeiter können nur durch die Arbeiter selber vertreten und verteidigt werden. Mit eigenen Diskussionen, Forderungen, mit eigenen Flugblättern usw. müssen wir uns selber zu Wort melden. Es wäre fatal, wenn man nach 40 Jahren stalinistischer Bevormundung es jetzt zulassen würde, dass weiterhin nun durch andere Herren über unsere Köpfe hinweg über unser Schicksal entschieden wird. Dies gilt nicht nur gegenüber den alten Blockparteien und dem FDGB, sondern genauso gegenüber den neuen DDR-Patrioten, sowie den Gruppen, die sich jetzt zum Sprecher des Westens aufschwingen. Anstatt falsche Hoffnungen in die "Hilfe" des großen Kapitals aus dem Westen zu setzen, anstatt naiv alles zu glauben, was die westlichen Medien erzählen, ist es unbedingt notwendig, als Arbeiter zu versuchen, direkten Kontakt zu Arbeitern aus den Betrieben im Westen zu knüpfen. Das sind die Leute, die uns am besten und am ehrlichsten erzählen können, was die westliche Form des Kapitalismus für die Arbeiter bedeutet und worauf man sich auch im Osten gefasst machen kann. Wenn wir solche Kontakte zwecks gemeinsamer Diskussionen und Aktionen nicht suchen, dann ist die Öffnung der Mauer für die arbeitende Bevölkerung im Osten wie im Westen nutzlos gewesen.
Für die Arbeiter im Westen ist es jetzt entscheidend, es nicht zuzulassen, dass das Kapital den Zustrom von Aussiedlern als Vorwand nimmt, um uns noch mehr zu spalten und einzuschüchtern. Wir müssen verstehen, dass das ganze Gerede über Opfer, die man bringen soll, um dem Osten angeblich zu helfen, erlogen und erstunken ist. Wir helfen unseren Klassenschwestern und -brüdern in Osteuropa am allerbesten, wenn wir ein Beispiel setzen, wie die Arbeiter sich wirkungsvoll gegen das Kapital zur Wehr setzen können und müssen. Während die Medien mit ihrem Freiheitsgejubel und ihrem Siegesgeschrei über den Sieg des Westens im Kalten Krieg gegen Osteuropa uns dazu verlocken wollen, dass wir uns mit der eigenen Regierung, mit dem eigenen Staat identifizieren, müssen wir auch hier darauf beharren, unsere eigenen Arbeiterinteressen zu verteidigen. Die kommenden Tarifverhandlungen müssen ausgenutzt werden, um in diesem Sinne ein Zeichen zu setzen. Insbesondere: um kräftige Lohnerhöhungen durchzusetzen als Antwort auf die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen in den letzten Jahren.
Trotz Kaltem Krieg haben 40 Jahre lang die Arbeiter im Osten und Westen gegen einen gemeinsamen Feind ankämpfen müssen - gegen die kapitalistische Ausbeutung, ob in ihrer stalinistischen oder in ihrer westlichen Form. Heute nach der Öffnung der Berliner Mauer und der verstärkt einsetzenden Zusammenarbeit zwischen Kapital in Ost und West, ist der Kampf der Arbeiter beidseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs wichtiger als je. Und dieser Kampf muss als gemeinsamer Kampf verstanden werden.
18.12.89