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Anfang November 2005 führte die Gewerkschaft Unia eine
Aktionswoche zum Thema Jugendarbeitslosigkeit durch, die am 5. November
mit einer Demonstration in Zürich endete. Der Slogan der Gewerkschaften
lautete: "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen".
Obwohl die politische Unterstützung breiter nicht hätte sein können -
von der Christlichen Volkspartei bis zum "Revolutionären Aufbau" -
nahmen nur einige Hundert Leute daran teil, wobei ein Grossteil davon
Gewerkschaftsaktivisten waren.
Die nur mässige Beteiligung an der Aktion der vereinigten Linken kann
nicht daran liegen, dass das Thema Jugendarbeitslosigkeit niemanden
interessieren würde. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Schweiz noch
nicht die gleichen Ausmasse angenommen hat wie in Deutschland,
Frankreich oder Spanien, ist sie doch deutlich spürbar und nimmt
ständig zu. Immer mehr Arbeitsplätze gehen verloren. Gerade für
diejenigen, die die Schule verlassen, wird es immer schwieriger, eine
Lehrstelle oder überhaupt eine Lohnarbeit zu finden.
Obwohl die staatlichen Statistiken längst nicht alle Arbeitslosen
erfassen, sprechen sie mindestens in der Tendenz eine deutliche
Sprache: Die offizielle Quote aller Arbeitslosen liegt gegenwärtig bei
3.7% (Oktober 2005). Zwischen 2001 und 2004 ist sie von 1.7% auf 3.9%
angestiegen. Niemand rechnet ernsthaft mit einem Rückgang. In dieser
Statistik gilt nur als "arbeitslos", wer in den letzten 14 Monaten
seine Stelle verloren hat und bei der Arbeitslosenversicherung gemeldet
ist. Das sind gegenwärtig etwa 145'000. Diejenigen, die nach 14 Monaten
ausgesteuert worden sind, werden also nicht mehr als "Arbeitslose"
erfasst. Hinzu kommen deshalb noch einmal 70'000 "Stellensuchende", die
nicht als "arbeitslos" gelten, weil sie sich z.B. in einer Umschulung
oder einem Beschäftigungsprogramm befinden oder einen Zwischenverdienst
erzielen. Und schliesslich kommen all diejenigen hinzu, die überhaupt
nicht mehr von diesen Statistiken registriert werden, weil sie die
Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben und mit der Sozialhilfe oder
sonst irgendwie überleben. Auch hier zeigen die Zahlen die Tendenz mehr
als deutlich auf: In der Stadt Zürich gab es Ende 2001 rund 6'000
Haushalte, die Sozialhilfe beanspruchten; Ende 2004 waren es schon über
9'000, was mit 15'500 betroffenen Personen 6.3% der Stadtbevölkerung
ausmachte.
Weiter ist klar, dass viele, die vor der Arbeitslosigkeit stehen, eine
andere "Lösung" suchen: Ältere Arbeiter lassen sich früher
pensionieren, als es eigentlich vorgesehen wäre; wer kann oder muss,
meldet sich bei der Invalidenversicherung an; ImmigrantInnen verlassen
die Schweiz wieder, weil sie schon lange nicht mehr hält, was sie als
vermeintliches Schokoladenparadies versprochen hat; die Jugendlichen
drücken weiterhin die Schulbank, weil sie keine Stelle finden. Gerade
bei ProletarierInnen zwischen 15 und 25 Jahren ist die Arbeitslosigkeit
besonders hoch; sie stieg von 1.7% im Jahr 2001 auf 5.5% im Januar
2005, wobei die Quote in den Städten wesentlich höher, nämlich bei bis
zu 10%, liegt. Auch bei der Sozialhilfe trifft es allen voran die junge
Generation; in Zürich sind es 12% und in Basel gar 15% der Kinder, die
Sozialhilfe beziehen müssen.
Welch ein Hohn: Dieses Wirtschaftssystem zu Beginn des 21.
Jahrhunderts, nach Tausenden von Jahren des Fortschritts, dieser
Kapitalismus mit Produktivkräften, wie sie nie zuvor eine menschliche
Gesellschaft gekannt hat, kann nicht einmal mehr der Jugend eine
Zukunft anbieten, geschweige denn den Menschen, die wegen ihres Alters
oder der Gesundheit nicht mehr arbeiten können. Und niemand kann sich
einer Illusion hingeben: Die sich verschlimmernden Verhältnisse in der
Schweiz sind erst ein Vorgeschmack dessen, was der Kapitalismus dem
Proletariat auch hier bereit hält. Die Lebensbedingungen in den
französischen Vorstädten, in den argentinischen und brasilianischen
Elendsvierteln zeigen die Richtung auf, in welche dieses todkranke
System sich bewegt.
Der Staat kann sich in dieser Gesellschaft, die nach der Profitlogik
funktioniert, die Ernährung der Arbeitslosen, die Pflege der Kranken,
einen würdigen Lebensabend der Pensionierten je länger je weniger
leisten. Nach 30 Jahren Krise, nachdem alle Kniffe mit Verschuldung,
Subventionen, Protektionismus, Steuererhöhung für die Armen,
Steuerreduktionen für die Reichen usw. ausgereizt worden sind, kann der
Kapitalismus auch in den höchstentwickelten Ländern die
Sozialversicherungen - diese verstaatlichte "Solidarität" - nicht mehr
bezahlen. Es liegt nicht an den falschen Rezepten der jeweils gerade
Regierenden. Vielmehr gibt es im Kapitalismus gar kein Rezept mehr. Es
bleibt nur die Abschaffung des Kapitalismus, die revolutionäre
Überwindung dieses Systems, das auf der einen Seite immer mehr Waren
produziert, die nicht verkauft werden können, und auf der anderen Seite
immer mehr Elend bei denjenigen, die diesen Reichtum eigentlich
geschaffen haben, aber der Mittel beraubt sind, um ihn zu konsumieren.
Sabotageversuche des Kapitals
Um die Reifung dieses Bewusstseins über
die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung dieses Systems zu
verhindern oder wenigstens so lange wie möglich hinauszuzögern,
organisiert die Linke des Kapitals - d.h. die Gewerkschaften und die
linken Parteien und Organisationen - solche Veranstaltungen wie die
eingangs erwähnte Aktionswoche mit der krönenden Demonstration. Dabei
gibt es innerhalb dieser Linken eine Arbeitsteilung:
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die vorgeben, dieses
kapitalistische System verbessern zu können. Sich bei den Jugendlichen
anbiedernd, proklamieren sie "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für
alle Jugendlichen", als ob der Kapitalismus eine Zukunft hätte, und
bieten eine Party mit R'n'B, Hip Hop und House an (vgl. offizieller
Flyer der Gewerkschaften). Die Unia als Hauptorganisatorin fordert:
"Ein Recht auf eine Ausbildung oder Lehrstelle, für alle. 10 Prozent
mehr Ausbildungsplätze an Handelsmittelschulen und in Lehrwerkstätten.
(...) Jeder Lehrling, jede Lehrtochter soll vom ausbildenden Betrieb
während mindestens einem Jahr weiterbeschäftigt werden." (aus dem
Flugblatt zur Aktionswoche). Dabei verschweigt sie, dass im
Kapitalismus das Geld längst fehlt, um solche Massnahmen zu
finanzieren: Entweder bezahlen es letztlich die Kapitalisten, die
entsprechend ihre Profite schwinden sehen und angesichts der billiger
produzierenden Konkurrenz bankrott gehen oder ihre Produktion in ein
anderes Land ohne solche Vorschriften auslagern. Oder die von der Unia
geforderten Massnahmen werden ganz oder teilweise von der
Arbeiterklasse bezahlt, was noch mehr Angriffe auf ihre
Lebensbedingungen bedeutet.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die zwar vollmundig gegen
"Profite", "Ausbeutung" und "Kapitalismus" wettern und den
"Kommunismus" als Lösung anpreisen, aber verschweigen, was sie damit
meinen. Dazu zählen insbesondere die Stalinisten verschiedener Couleur,
namentlich die Partei der Arbeit (PdA) und der "Revolutionäre
Aufbau". Für diese Organisationen ist Stalins Russland oder der so
genannte Realsozialismus, wenn nicht gerade das Paradies auf Erden, so
doch ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Der "Aufbau"
unterstützt nach wie vor von der Bourgeoisie als "kommunistisch"
bezeichnete Staaten wie Nordkorea oder Kuba und die
"linksnationalistische Chavez-Regierung" in Venezuela . Die Antwort des
Realsozialismus (im ehemaligen Ostblock) auf die Wirtschaftskrise war
das Stachanow-Prinzip: Wer am schnellsten und längsten arbeitete,
erhielt einen Orden als "Held der Arbeit". Die fehlende Entwicklung der
Produktivkräfte, wurde durch die umso längere und intensivere
Auspressung der verfügbaren Arbeitskräfte kompensiert . Dadurch
"lösten" diese Staaten auch das Problem der Arbeitslosigkeit; alle
mussten arbeiten - nicht zuletzt auch im Gulag. Das System beruhte aber
auf der Warenproduktion, der Lohnarbeit und der Kapitalakkumulation, es
war also durch und durch kapitalistisch. Als solches musste es sich auf
dem Weltmarkt, in der Konkurrenz mit dem westlichen Kapitalismus
bewähren, was ihm misslang. 1989 ist dieser als "Sozialismus" verkaufte
Ostblock-Kapitalismus wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit
zusammengebrochen. Das hindert die Stalinisten der verschiedenen
Richtungen aber nicht daran, dieses Modell als Lösung zu verkaufen,
wenn auch in einer Mogelpackung, auf der in knallroten Lettern
"Kommunismus" und "revolutionär" steht. Wer die Arbeitslosigkeit heute
mit solchen Schlagworten anprangert, dies aber auf der Grundlage der
Sympathie mit dem Stalinismus und seinen Methoden zur
"Vollbeschäftigung" tut, steht nicht auf der Seite der Arbeiterklasse.
Wie kämpfen gegen die Arbeitslosigkeit?
Es scheint absurd: Einerseits werden ständig Arbeitsplätze abgebaut,
weil Überkapazitäten bestehen, also zuviel produziert wird;
andererseits leiden etwa eine Milliarde Menschen an Unterernährung. Die
Arbeitslosigkeit nimmt immer grössere Ausmasse an, gleichzeitig müssen
diejenigen, die noch eine Stelle haben, sich immer mehr bis zur
körperlichen und psychischen Erschöpfung auspressen lassen. Die
Jugendlichen finden keine Stelle; gleichzeitig erhöhen die Regierungen
das Rentenalter, zwingen also die älteren ArbeiterInnen zu noch mehr
Arbeit.
All diese Widersprüche sind im Kapitalismus nicht lösbar. Die
Profitlogik steht einer Lösung entgegen. Umgekehrt zeigen aber diese
Widersprüche auf, wie überreif diese Gesellschaft und die mittlerweile
entwickelten Produktivkräfte für eine neue Produktionsweise sind - für
eine andere Gesellschaft, in der nicht für den Profit, sondern für die
Bedürfnisse der Menschen produziert wird. Es kann genug produziert
werden, niemand braucht Hunger zu leiden oder auf die Gesundheitspflege
zu verzichten. Darüber hinaus ist es auch nicht nötig, dass wir alle
den ganzen Tag malochen.
Aber diese klassenlose Gesellschaft wird erst das Resultat von Kämpfen
der Arbeiterklasse sein. Diese Kämpfe beginnen heute mit der
Verteidigung gegen die Angriffe, denen wir täglich als Arbeiter - ob
jung oder alt, männlich oder weiblich, arbeitslos, Rentner oder
erwerbstätig, gelernt oder ungelernt - ausgesetzt sind. Lassen wir uns
nicht spalten! Wenn die Gewerkschaften und die Linken die
Jugendarbeitslosigkeit in den Vordergrund stellen, ist dies ein
typischer Spaltungsversuch. Als ob nur die "Jugendlichen Arbeit und
Ausbildung" bräuchten. Diese Organisationen der Bourgeoise wollen gar
nicht, dass die Arbeiterklasse als ganze zusammen kommt. Sie wollen
hier und dort etwas Luft ablassen, die gärende Unzufriedenheit
kanalisieren und in Forderungen nach einer Umverteilung der Arbeit
versickern lassen. Dies steckt in Wirklichkeit hinter Mobilisierungen
wie derjenigen am 5. November, die sich mit jugendfreundlichen Parolen
schmücken.
Selbstverständlich ist es notwendig, dass sich jugendliche Arbeitslose
zur Wehr setzen und das scheinbare Schicksal nicht passiv hinnehmen.
Dazu gehört aber vor allem auch die Diskussion über die Ursachen dieser
im Kapitalismus tatsächlich ausweglosen Situation. Ebenso wichtig ist
die Überprüfung der vermeintlichen Lösungen und "Kampfmittel", die uns
die kapitalistischen Organe von links bis rechts schmackhaft machen
wollen, wie z.B. am 5. November. Dies ist ein erster Schritt, um sich
dem Kampf der Arbeiterklasse als ganze anzuschliessen und so erst eine
wirkliche Perspektive zu eröffnen.
Die Entlassungen gehen weiter. Die Stärke der Arbeiterklasse ist ihre
Einheit. Wir müssen gegen die Angriffe auf die Löhne, die Renten, die
Arbeits- und Lebensbedingungen überhaupt die Solidarität zum Tragen
bringen; die Einheit mit anderen Arbeitern suchen; das allgemeine
Interesse der ganzen Klasse in den Vordergrund stellen; die Kämpfe
ausweiten, und zwar unabhängig von den Gewerkschaften und allen anderen
staatskapitalistischen Organisationen. E/N, 14.11.05
(1) vgl. dazu auch den Artikel "Massenarbeitslosigkeit: Bankrotterklärung des Kapitalismus" in Weltrevolution Nr. 129
(2) Die PdA, die bis zum Zusammenbruch des Ostblocks offizielle
prosowjetische Partei in der Schweiz, figuriert zwar unter den
unterstützenden Organisationen der Demo gegen Jugendarbeitslosigkeit,
scheint aber weder dafür mobilisiert noch ein Flugblatt geschrieben zu
haben.
(3) "Aufbau" Nr. 39 S. 6
(4) vgl. für eine vertiefte Analyse über die kapitalistische
Krise in den Ländern des Ostblocks den Artikel in Internationa