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Die Ursachen des imperialistischen Krieges Die Anarchie als Wesensmerkmal des Kapitalismus
In der Weltrevolution 124 berichteten wir über die erste einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen des Internationalen Büros für die revolutionäre Partei (IBRP) in Berlin. Die zweite Veranstaltung fand am 15. Mai 2004 statt. Dort wurde über die Ursachen des imperialistischen Krieges debattiert. Ein Vertreter von Battaglia Comunista (BC) hielt das Einleitungsreferat, welches die Hintergründe des Irakkrieges sowie die gegenwärtige Außenpolitik der USA beleuchtete. Der Genosse trug die Analyse des IBRP vor, der zufolge der amerikanische “Kreuzzug gegen den Terrorismus” hauptsächlich ökonomischen Zielen dient: Die Befestigung der amerikanischen Kontrolle über die Ölreserven der Welt, um die Vorherrschaft des Dollars über die Weltwirtschaft abzustützen, um die weitere Abschöpfung einer zusätzlichen Ölrente sicherzustellen. Auf Grund ihrer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit seien die USA auf eine parasitäre Absaugung des Mehrwerts angewiesen, um ihre eigene Wirtschaft über Wasser zu halten. Zudem würden strategische Überlegungen eine Rolle spielen, welche oft mit der Beherrschung von Ölreserven einhergehen und darauf abzielen, Russland und China von einander bzw. von wichtigen Ölfeldern abzutrennen, und die Europäische Union schwach und uneins zu halten.
Diese Analyse löste unterschiedliche Reaktionen unter den Veranstaltungsteilnehmern aus. Während ein Genosse der “Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft” (FKG) – der vormals die Gruppe “Aufbrechen” mit ins Leben gerufen hatte – die Fähigkeit des IBRP lobte, die konkreten wirtschaftlichen Ursachen des Krieges zu identifizieren, äußerte einer der anwesenden Sprecher der “Gruppe internationaler Sozialisten” (GIS) Zweifel gegenüber dieser Analyse. Er wies darauf hin, dass der Vorgang der Aufnahme von internationalen Finanzmitteln durch die USA in erster Linie Ausdruck und Fortsetzung einer klassischen Verschuldungspolitik der USA sei. Zudem wiederholte er die Auffassung, welche er bereits auf der ersten IBRP-Veranstaltung in Berlin vorgetragen hatte (siehe: Weltrevolution 124), der zufolge das Bestreben nach militärischer Beherrschung der Ölquellen weniger wirtschaftlichen als politischen und militärstrategischen Zielen diene. Ein Mitglied der Gruppe “Internationale KommunistInnen” wiederum wies darauf hin, dass nicht nur die USA, sondern auch andere führende imperialistische Staaten – allen voran die europäischen – gegenwärtig um die Weltvorherrschaft kämpften. Er stellte die These auf, dass während in diesem Kampf der US-Imperialismus hauptsächlich seine militärische Überlegenheit in die Waagschale werfe, Europa auf die Karte seiner wirtschaftlichen Stärke setzen würde.
Die Kritik der IKS an der Analyse des IBRP
Die IKS befasste sich in ihrem ersten Diskussionsbeitrag mit der Argumentationslinie des Büros. Dieser Auffassung zufolge hätten die USA weitgehend ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt eingebüßt. Um die Folgen dieser Entwicklung – gigantische Handels- und Zahlungsbilanzdefizite, zunehmend auch wieder Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand – auszugleichen, führten die USA in aller Welt Kriege, um mittels der Kontrolle über Erdöl sowie die Vormachtsstellung des Dollars Kapital an sich zu ziehen.
Erstens ist aus der IKS diese Analyse politisch sehr gefährlich, weil sie die Ursachen des imperialistischen Krieges in der besonderen Lage eines bestimmten Staates sucht, anstatt in der Entwicklungsstufe und dem Reifegrad der Widersprüche des kapitalistischen Systems insgesamt. Kein Wunder also, wenn diese Analyse große Ähnlichkeiten aufweist mit der Argumentationslinie, welche von den pro-europäischen “Globalisierungsgegnern” bzw. von linken deutschen Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine vertreten werden, welche die Zuspitzung der imperialistischen Spannungen auf einen angeblich besonders parasitären Charakter der US-Wirtschaft zurückführen.
Zweitens lässt diese Analyse zwei Fragen unbeantwortet:
* Weshalb hat ausgerechnet die Wirtschaft der USA – des immer noch mächtigsten kapitalistischen Staates der Welt mit den größten Konzernen, und mit einer nationalen Kultur, welche sich den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise besonders gut angepasst hat – solche Probleme mit ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit?
* Weshalb reagiert die amerikanische Bourgeoisie nicht auf dieses Problem, indem sie das tut, was am einfachsten, am naheliegendsten wäre, nämlich, massiv in ihren Produktionsapparat zu investieren, um ihre Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen? Weshalb sollte sie statt dessen auf dieses wirtschaftliche Problem reagieren, indem sie – wie Battaglia behauptet – die ganze Welt mit Krieg übersäht?
Tatsächlich verwechselt das Internationale Büro in diesem Fall Ursache und Wirkung. Die USA rüsten nicht deshalb so hoch, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind, sondern – insofern sie tatsächlich Wettbewerbsvorteile verloren haben – rührt dies vielmehr im großen Maße aus ihren riesigen Aufwendungen für die Rüstung.
Diese Entwicklung allerdings ist keine Besonderheit des US-Imperialismus. Bereits die UdSSR, Jahrzehnte Hauptrivale der USA, ist nicht zuletzt an dieser Rüstungsspirale zugrunde gegangen. In Wahrheit ist das Aufblähen des Kriegsbudgets auf Kosten der Entwicklung der Produktivkräfte sowie die zunehmende Indienstnahme der Wirtschaft durch den Militarismus ein Wesensmerkmal des niedergehenden Kapitalismus.
Drittens gibt es zwar einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Krise und Krieg im Kapitalismus. Aber dieser Zusammenhang lässt sich nicht auf die vereinfachende These eines Krieges um Öl oder um die Hegemonie des Dollars reduzieren. Der wirkliche Zusammenhang dieser beiden Faktoren zeigt beispielsweise die Konstellation auf, welche zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Damals gab es noch keine Weltwirtschaftsdepression wie die, welche erst später, 1929, ausbrach. Die Wirtschaftskrise von 1913 wies immer noch einen im Wesentlichen zyklischen Charakter auf und fiel vergleichsweise milde aus. Auch gab es damals keine mit heute vergleichbare Handels-, Zahlungs- oder Haushaltskrise Großbritanniens, Deutschlands oder anderer führender Protagonisten, und keine besonderen Währungsturbulenzen (damals wurde der Goldstandard noch weltweit anerkannt). Und dennoch brach der erste imperialistische Weltbrand vom Zaun. Weshalb? Wie lautet das allgemeine Gesetz des Imperialismus, dem die Kriege der Moderne zugrunde liegen?
Je entwickelter ein bürgerlicher Staat ist, je mächtiger die Konzentration seines Kapitals, je größer schließlich seine Abhängigkeit vom Weltmarkt, desto mehr ist der Staat auf gesicherte Zugänge zu den Ressourcen der Welt und deren Beherrschung angewiesen. In der Epoche des Imperialismus ist somit jeder Staat gezwungen zu versuchen, eine Einflusssphäre zu etablieren. Die Großmächte ihrerseits betrachten notwendigerweise die ganze Welt als ihre Einflusssphäre – nichts weniger reicht aus, um ihre Existenzgrundlage abzusichern. Je stärker die Wirtschaftskrise, je härter umkämpft der Weltmarkt wird, desto dringender wird dieses Bedürfnis.
Deutschland erklärte Großbritannien 1914 den Krieg, nicht auf Grund seiner unmittelbaren Wirtschaftslage, sondern, weil es für eine solche Macht - für die die Weltwirtschaft ihr Schicksal geworden war – nicht mehr politisch hinnehmbar war, dass ihr Zugang zum Weltmarkt auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen Großbritanniens (der damaligen Beherrscherin der Weltmeere sowie eines Großteils der Kolonien) abhing. Dies bedeutet, dass die deutsche Bourgeoisie gar nicht erst bis 1929 abzuwarten brauchte, bis es angesichts der weltweiten Depression von Seiten der alten Kolonialmächte vom Weltmarkt ausgeschlossen wurde. Sie zog es vielmehr vor, gewissermaßen vorbeugend, zu versuchen ihre missliche Lage zu verändern, bevor das Schlimmste eintraf. Dies erklärt weshalb am Anfang des 20. Jahrhunderts der Weltkrieg vor der Weltwirtschaftskrise ausbrach.
Die Tatsache, dass die kapitalistischen Mächte immer brutaler auf einander stoßen, bedeutet, dass der imperialistische Krieg immer mehr zum gegenseitigen Ruin der teilnehmenden Staaten führt. Darauf hat bereits Rosa Luxemburg in ihrer ‚Juniusbroschüre‘ hingewiesen. Auch der jüngste Irakkrieg zeigt diese Entwicklung. Der Irak war einst an der Peripherie des Kapitalismus einer der wichtigsten Großauftraggeber der europäischen und amerikanischen Industrie. Heute haben nicht nur die kapitalistische Wirtschaftskrise, sondern noch mehr die Kriege gegen den Iran und gegen die USA dieses Land vollständig ruiniert. Aber auch die amerikanische Wirtschaft blutet zusätzlich auf Grund der Kosten des Irakeinsatzes. Hinter der Idee, dass der Krieg heute um Dollarspekulationen oder eine angebliche Ölrente geführt wird, steckt die Annahme, dass der Krieg noch lukrativ, dass der Kapitalismus noch ein expandierendes System sei. Nicht nur die Politik der USA, sondern auch der Terrorismus vom Schlage Bin Ladens wurde durch den Vertreter Battaglias in diesem Sinne interpretiert: als Ausdruck des Bestrebens “200 saudi-arabische Familien” um einen größeren Anteil der Profite aus der eigenen Ölproduktion.
Die Gefahr des bürgerlichen Empirismus
Nachdem sowohl das IBRP als auch die IKS je die eigene Sichtweise der Kriegsursachen dargelegt hatten, folgte eine interessante und lebhafte Debatte. Dabei fiel auf, dass die Veranstaltungsbesucher großen Wert darauf legten, die jeweilige Position der beiden anwesenden linkskommunistischen Organisationen besser zu verstehen. Sie drängten darauf, dass beide Gruppen aufeinander antworten sollten. Diese Genossen beschränkten sich auch nicht darauf, Fragen zu stellen, sondern trugen ihrerseits Einwände vor und äußerten Kritiken.
So bezeichnete beispielsweise ein Genosse der FKG den von der IKS gemachten Vergleich der Analyse des IBRPs mit der von den Globalisierungsgegnern als “billige Polemik”. Er unterstrich, dass Battaglias Hinweis auf die Aggressorrolle der USA heute nichts mit der Verharmlosung der Rolle der europäischen Imperialismen durch deren bürgerliche Sympathisanten zu tun habe. Und er wies zu Recht darauf hin, dass auch in der Vergangenheit proletarische Internationalisten die Rolle bestimmter Staaten als Auslöser imperialistischer Kriege analysiert haben, ohne sich dadurch irgendwelche Konzessionen gegenüber den Rivalen dieser Staaten zu Schulden kommen zu lassen.
Allein: die Kritik der IKS bezog sich gar nicht auf die Identifizierung der gegenwärtigen Rolle der USA als Hauptauslöser der heutigen Kriege, sondern darauf, dass die Ursachen des Krieges nicht auf die Lage des Imperialismus insgesamt, sondern auf die besondere Stellung der USA zurückgeführt werden.
Der Sprecher Battaglias seinerseits bestritt gar nicht die Ähnlichkeit der von seiner Organisation erstellten Analyse mit denen verschiedener bürgerlicher Strömungen. Er argumentierte jedoch, dass die vom Büro angewandte Analyse innerhalb einer ganz anderen Weltsicht, und zwar einer proletarischen Weltsicht, verankert sei. Dies trifft glücklicherweise noch immer zu. Doch wir bleiben dabei, dass eine solche Analyse nicht nur die Wirksamkeit unseres Kampfes gegen die Ideologie des Klassengegners schwächen, sondern darüber hinaus die Festigkeit des eigenen proletarischen Standpunktes untergraben muss. Unserer Meinung nach ist die Ähnlichkeit der Analyse des IBRP mir der gängigen bürgerlichen Auffassung darauf zurückzuführen, dass sich die Genossen selbst eine bürgerliche Herangehensweise zu Eigen gemacht haben. Diese Betrachtungsweise haben wir Empirismus genannt. Damit meinen wir die Grundtendenz des bürgerlichen Denkens sich durch bestimmte besonders herausragende Tatsachen in die Irre führen zu lassen, anstatt durch eine tiefergehende theoretische Herangehensweise den wirklichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Tatsachen aufzudecken. Diese Herangehensweise des Büros zeigte sich in der Diskussion exemplarisch daran, wie das IBRP die Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaft ohne ausländischen Kapitalzufluss zusammenbrechen würde als Beweis dafür anführte, dass der Irakkrieg dazu gedient habe, die anderen Bourgeoisien zu zwingen, weiterhin ihr Geld in Amerika anzulegen. Doch die Gewißheit, dass die US-Ökonomie ohne diese Zuwendungen untergehen würde, ist schon Zwang genug, dass die europäischen und japanischen Kapitalismen weiterhin amerikanische Bonds und Anlagen kaufen – sie selbst würden einen Zusammenbruch der USA nicht überleben. (1)
Die Verbindung zwischen Krise und Krieg
Vor allem in diesem Teil der Diskussion wurden von verschiedenen Seiten kritische Fragen an die IKS gerichtet. Die Genossen hinterfragten die so betonte Bedeutung strategischer Fragen in unserer Analyse der imperialistischen Rivalitäten. Der Genosse von FKG kritisierte, dass die IKS – wie er meinte – die imperialistischen Spannungen allein aus den militärischen Rivalitäten ableiten würde, ohne Bezug zur Wirtschaftskrise und scheinbar unter Ausschluss wirtschaftlicher Motive. Er wies auf das Beispiel der wirtschaftlichen Kriegsziele Deutschlands im Zweiten Weltkrieg hin, um gegenüber den Auffassungen der IKS darauf zu bestehen, dass die imperialistischen Staaten durch den Krieg eine Lösung für die Wirtschaftskrise suchen. Ein Genosse aus Österreich (einst ein Gründungsmitglied der Gruppe “Internationale Kommunisten” – GIK) wollte von uns wissen, ob die IKS überhaupt die Rolle des Erdöls berücksichtige oder ob wir es für puren Zufall halten würden, dass der “Kampf gegen den Terrorismus” ausgerechnet dort schwerpunktmäßig geführt wird, wo sich die größten Erdölvorkommen der Welt befinden. Und auch der Vertreter der GIS verlangte eine Präzisierung unserer Aussage, dass moderner Krieg nicht die Lösung, sondern selbst ein Ausdruck, ja, eine Explosion der Krise darstellt.
Die Delegation der IKS antwortete, dass aus unserer Sicht der Marxismus, weitentfernt davon, den Zusammenhang zwischen Krise und Krieg zu verneinen, diesen Zusammenhang viel tiefer und umfassender zu begreifen im Stande ist. Für die IKS jedoch, ist der imperialistische Krieg nicht Ausdruck der zyklischen Krisen, welche für das 19. Jahrhundert charakteristisch waren, sondern der Krieg das Produkt der permanenten Krise des niedergehenden Kapitalismus ist. Als solches ist er Ausdruck der Rebellion der zu mächtig gewordenen Produktivkräfte gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft. In seinem Werk “Anti-Dühring” behauptet Friedrich Engels, dass der zentrale Widerspruch des Kapitalismus der zwischen der bereits vergesellschafteten Produktion und der noch immer privaten, anarchischen Aneignung des Produktes ist. In der Epoche des Imperialismus ist einer der Hauptausdrücke dieses Widerspruchs der zwischen dem weltweiten Charakter des Produktionsprozesses und dem Nationalstaat als wichtigstem Instrument der kapitalistischen Privataneignung. Die Krise des dekadenten Kapitalismus ist eine Krise der gesamten bürgerlichen Gesellschaft. Sie findet ihren rein ökonomischen Ausdruck in Wirtschaftsdepressionen, Massenarbeitslosigkeit usw. Sie äußert sich aber auch auf der politischen, militärischen Ebene, z.B. durch immer zerstörerischere militärische Auseinandersetzungen. Charakteristisch für diese Krisenhaftigkeit des gesamten Systems ist die stetige Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten sowohl auf wirtschaftlicher wie auch auf militärischer Ebene. Somit sprachen wir uns gegen die Hypothese des Vertreters der “Internationalen KommunistInnen” aus, der zufolge die amerikanische Bourgeoisie mit militärischen, die europäische Bourgeoisie aber mit wirtschaftlichen Mitteln um die Weltherrschaft kämpfen würden. In der Realität wird dieser Kampf von allen Seiten mit allen Mitteln ausgetragen. Es tobt der Handelskrieg ebenso wie der militärische Krieg.
Zwar stimmt es, dass die Bourgeoisie nach wie vor im Krieg einen Ausweg aus der Krise sucht. Doch weil die Welt seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits aufgeteilt ist, kann diese ‚Lösung‘ jeweils nur auf Kosten anderer, in der Regel benachbarter kapitalistischer Staaten gehen. Im Falle der Großmächte liegt diese ‚Lösung‘ in der Weltherrschaft und erfordert somit den Ausschluss oder die vollständige Unterwerfung anderer Großmächte. Das bedeutet, dass diese Suche nach einer Lösung der Krise einen stets utopischeren oder unrealistischeren Charakter annimmt. Die IKS spricht von einer zunehmenden ‚Irrationalität‘ des Krieges.
In der Dekadenzphase des Kapitalismus stellt sich regelmäßig heraus, dass diejenige Macht, welche die Rolle des Kriegstreibers übernehmen muss, als Verlierer hervorgeht: z.B. Deutschland in zwei Weltkriegen. Dies zeigt den zunehmend irrationalen und immer schwerer beherrschbaren Charakter des modernen Krieges.
Was wir an der Kriegsanalyse des IBRP kritisieren, ist gar nicht die Behauptung, dass der Krieg wirtschaftliche Ursachen hat, sondern die Gleichsetzung von wirtschaftlichen Ursachen und wirtschaftlicher Gewinnträchtigkeit. Darüber hinaus kritisieren wir eine aus unserer Sicht vulgärmaterialistische Tendenz, jeden Schritt in der imperialistischen Auseinandersetzung von einer unmittelbaren wirtschaftlichen Ursache abzuleiten. Dies zeigt sich gerade in der Ölfrage. Das Vorhandensein der Erdölquellen im Nahen Osten spielt selbstverständlich eine große Rolle. Jedoch müssen die Industriestaaten – allen voran die USA – diese Quellen nicht erst militärisch besetzen, um ihre ökonomisch vorherrschende Rolle gegenüber diesen und anderen Rohstoffen durchzusetzen. Es geht vielmehr um die militärstrategische Hegemonie über diese möglicherweise kriegsentscheidenden Energiequellen.
Krieg und Niedergangsphase des Kapitalismus
Das Büro bestritt vehement die Behauptung der IKS, dass der moderne Krieg Ausdruck der Ausweglosigkeit des Kapitalismus sei. Zwar würde das zerstörerische Wesen des Kapitalismus irgendwann zur Zerstörung der Menschheit führen – so der Vertreter von Battaglia Comunista. Doch solange dieser endgültige Kladderatsch noch nicht eingetreten sei, könne der Kapitalismus unbegrenzt weiter expandieren. Nicht die gegenwärtigen, von den USA angezettelten Kriege, sondern die ‚wirklichen imperialistischen Kriege‘ der Zukunft, beispielsweise zwischen Amerika und Europa, seien dem Genossen von Battaglia zufolge die Mittel zu dieser Expansion, indem eine allgemeine Zerstörung eine neue Akkumulationsphase eröffnen würde. Wir stimmen darin überein, dass der Kapitalismus imstande ist, die Menschheit zu vernichten. Jedoch die Vernichtung überschüssiger Produkte reichte, historisch betrachtet, nicht mal aus, um die konjunkturellen, zyklischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zu überwinden. Dazu war laut Marx und Engels auch noch die Erschließung neuer Märkte erforderlich. Denn während im Rahmen der Naturalwirtschaft Überproduktion immer nur als Überschuss über die maximale physiologische Konsumtionsgrenze hinaus auftreten kann, tritt sie in der Warenwirtschaft – und erst recht im Kapitalismus – stets im Verhältnis zu der Nachfrage der Geld besitzenden Konsumenten auf. Es handelt sich um eine ökonomische und nicht so sehr um eine physiologische Kategorie.
Das bedeutet aber, dass die Kriegszerstörung das Problem der fehlenden, zahlungskräftigen Nachfrage nicht lösen kann. Vor allem aber ist die hier vom Büro vertretene Auffassung hinsichtlich der möglichen Expansion des Kapitalismus bis zum Moment der physischen Vernichtung nicht vereinbar mit der Vorstellung von der Dekadenz des Kapitalismus – eine Auffassung, von der sich das IBRP faktisch immer mehr zu verabschieden scheint.
Denn nach der marxistischen Auffassung geht der Niedergang einer Produktionsweise stets einher mit der wachsenden Fesselung der Produktivkräfte durch die bestehenden Produktions- und Eigentumsverhältnisse. Aus der Sicht Battaglias jedenfalls scheint der Krieg wie im 19. Jahrhundert weiterhin die Rolle eines Motors der wirtschaftlichen Expansion spielen zu können.
Wenn der Vertreter des Büros von den kommenden ‚wirklichen imperialistischen Kriegen‘ redet, so festigt sich bei uns der Eindruck, dass diese Organisation die Kriege der Gegenwart lediglich als Fortsetzung der Wirtschaftspolitik der USA mit anderen Mitteln, nicht aber als imperialistische Konflikte betrachtet. Wir für unseren Teil bestanden darauf, dass auch diese Kriege inter-imperialistische Auseinandersetzungen sind. Auch die imperialistischen Großmächte geraten jetzt schon aneinander, zwar nicht direkt, aber in der Form von Stellvertreterkriegen. Die ursprünglich von Deutschland ausgelöste Kette kriegerischer Konflikte in Jugoslawien verdeutlicht zudem, dass dabei nicht allein die USA als Aggressor auftreten.
Eine sehr nützliche Debatte
In seinem Schlusswort vertrat der Sprecher des Büros die Auffassung, dass die Diskussion gezeigt habe, dass – so wörtlich - ‚die Debatte zwischen dem IBRP und der IKS nutzlos sei.‘
Dem IBRP zufolge zeige sich das darin, dass das Büro der IKS seit Jahrzehnten Idealismus‘, die IKS hingegen dem IBRP ‚Vulgärmaterialismus‘ vorwerfe, ohne dass die beiden Organisationen von ihren jeweiligen Positionen abgerückt wären.
Aus unserer Sicht ist das ein ziemlich herablassendes Urteil über eine Diskussion, an der sich außer den beiden Organisationen so unterschiedliche Positionen und politische Gruppen sehr rege beteiligt haben. Es liegt auf der Hand, dass die neue Generation politisch interessierter Menschen im deutschsprachigen Raum ein großes Interesse daran haben muss, die Positionen der bestehenden internationalistischen Organisationen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von deren Auffassungen möglichst umfassend kennenzulernen. Was könnte diesem Bedürfnis zweckdienlicher sein als die öffentliche Debatte?
Soweit wir wissen, ist kein Revolutionär bisher auf die Idee gekommen, beispielsweise die Debatte zwischen Lenin und Rosa Luxemburg über die nationale Frage nur deshalb als ‚nutzlos‘ zu bezeichnen, weil keiner der beiden Kontrahenten seine jeweilige Position geändert hat. Im Gegenteil: Vielmehr fußt die heutige ‚linkskommunistische‘ Position zur Frage der sog. ‚nationalen Befreiungsbewegungen‘ zum bedeutenden Teil auf dieser Debatte.
Die IKS für ihren Teil jedenfalls hat keine Angst vor der öffentlichen Diskussion, und wird sich weiterhin dafür einsetzen und sich daran beteiligen. Denn diese Debatte ist der unverzichtbare Bestandteil des Prozesses der Bewusstseinsentwicklung. -Weltrevolution
(1) Wir wollen an dieser Stelle hinzufügen, dass unabhängig von der Rivalität mit den USA, ihre Rivalen weiterhin ihr Kapital in der stabilsten Wirtschaft der Welt anlegen werden, da dieses Land militärisch und ökonomisch in absehbarer Zeit weltweit das mächtigste Land bleiben wird.