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Europa: Wirtschaftsbündnis und Terrain für imperialistische Manöver
Fast ein halbes Jahrhundert lang hat die herrschende Klasse jetzt über den Bau Europas gesprochen. Die Einführung einer gemeinsamen Währung – der Euro – wurde als ein bedeutsamer Meilenstein auf dem Weg zur Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa dargestellt. Dieser Prozess ist angeblich in vollem Gange, seitdem geplant ist, die Europäische Union mit dem 1.Mai 2004 von 15 auf 25 Länder zu erweitern, und der Vorschlag einer europäischen Verfassung bereits erarbeitet worden ist.
Wird sich die herrschende Klasse tatsächlich als fähig erweisen, über den engen Rahmen der Nationen hinauszugehen? Wird sie imstande sein, die ökonomische Konkurrenz und ihre eigenen imperialistischen Antagonismen zu überwinden? Wird sie in der Lage sein, dem Wirtschaftskrieg und den militärischen Konflikten, die so oft den Kontinent auseinandergerissen hatten, tatsächlich ein Ende zu setzen? Mit anderen Worten: Wird sich die Bourgeoisie als fähig erweisen, den Ansatz einer Lösung des Problems der Spaltung der Welt in konkurrierende Nationen durch den Kapitalismus anzubieten, einer Spaltung, die den Tod von zig Millionen Menschen bewirkte und den gesamten Planeten in Blut ertränkte, besonders seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts? Wird die Bourgeoisie tatsächlich fähig sein, die nationalistische Ideologie aufzugeben, die das Fundament ihrer eigenen Existenz als Klasse bildet und die Quelle ihrer ganzen ökonomischen, politischen, ideologischen und imperialistischen Legitimation ist?
Doch wenn all diese Fragen verneint werden, wenn die Vereinigten Staaten von Europa nichts als eine Fata Morgana sind, was für eine Bedeutung hat dann die Bildung und Weiterentwicklung der Europäischen Union? Ist die herrschende Klasse so masochistisch geworden, dass sie ewig einer Unmöglichkeit nachrennt? Weshalb bemüht sie sich darum, ein Haus zu errichten, das nicht lebensfähig ist? Dient es lediglich dem Zweck eines illusorischen Wetteiferns mit den Vereinigten Staaten von Amerika? Oder reiner Propaganda?
Die Unmöglichkeit, in der Dekadenz des Kapitalismus über den nationalenRahmen hinauszugehen
Wir können die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens ermessen, wenn wir die Vorbedingungen für seine Lebensfähigkeit berücksichtigen. Nicht nur, dass diese Voraussetzungen für dieses Projekt völlig fehlen, sie sind ganz einfach eine Utopie im gegenwärtigen historischen Zusammenhang. Da die Existenz der verschiedenen nationalen Bourgeoisien eng mit dem Privat- und/oder Staatseigentum verknüpft ist, das sich historisch innerhalb des nationalen Rahmens entwickelt hatte, würde jede wirkliche Vereinigung auf einer höheren Stufe die Entmachtung dieser Nationen bedeuten. Diese Perspektive ist um so unrealistischer, als dass eine kontinentweite Schaffung eines tatsächlich vereinigten Europas nur durch einen Prozess der Enteignung der verschiedenen bürgerlichen Fraktionen in allen Mitgliedsländern stattfinden kann. Dies wäre notwendigerweise ein gewaltsamer Prozess, so wie die bürgerlichen Revolutionen gegen das feudalistische Ancien Régime oder die Unabhängigkeitskriege der neuen Nationen gegen ihre Vormundschaftsmacht. Für einen solchen Prozess wäre es unmöglich, „den politischen Willen der Regierungen“ und/oder „das Verlangen der Völker, Europa zu erschaffen“, zu ersetzen. Während des 19. Jahrhunderts spielte der Krieg stets eine vorrangige Rolle im Prozess der Bildung neuer Nationen, um entweder den inneren Widerstand reaktionärer Bereiche in der Gesellschaft zu eliminieren oder um auf Kosten der Nachbarländer die eigenen Grenzen neu zu ziehen.1 Wir können uns daher leicht ausmalen, was der Prozess der europäischen Vereinigung kosten würde. Dies unterstreicht, dass die Idee einer friedlichen Union von verschiedenen Ländern, so europäisch sie auch sein mögen, entweder eine Utopie oder heuchlerisch und verlogen ist. Denn eine solche Vereinigung zu ermöglichen würde das Auftreten einer neuen gesellschaftlichen Gruppe implizieren, der Trägerin emanzipatorischer supranationaler Interessen, die, gestählt durch einen wahrhaft revolutionären Prozess und mit Hilfe ihrer eigenen politischen (Parteien, etc.) und Zwangsmittel (Streitkräfte, etc.), jene bürgerlichen Interessen enteignet, die an den verschiedenen nationalen Kapitalien gebunden sind, und ihnen ihre Macht aufzwingt.
Ohne uns länger über die nationale Frage auszulassen, ist es klar, dass all jene (ungefähr 100) Nationen, die nach dem Krieg von 1914–18 gegründet worden waren, das Ergebnis nationaler Probleme waren, die während des 19. Jahrhunderts und bis zu Beginn des
20. Jahrhunderts ungelöst geblieben waren. Alle von ihnen waren nationale Totgeburten, die sich als unfähig erwiesen, ihre bürgerliche Revolution zu vervollständigen und mit genügendem Nachdruck eine industrielle Revolution zu initiieren; alle von ihnen fühlten so die Dynamik der massiven Konflikte, die seit dem Ersten Weltkrieg stattgefunden hatten. Nur jene Länder, die sich während des 19. Jahrhunderts gebildet hatten, waren imstande gewesen, einen ausreichenden Grad an Kohärenz, Wirtschaftskraft und politischer Stabilität zu erreichen. Die sechs größten Mächte von heute waren es bereits, wenn auch in anderer Reihenfolge, am Vorabend des I. Weltkrieges. Selbst bürgerliche Historiker sehen diese Tatsache, doch sie kann nur wirklich im Rahmen des historischen Materialismus erklärt werden.
Um sich auf einem soliden Fundament zu bilden, muss eine Nation auf einer realen Zentralisierung ihrer Bourgeoisie begründet sein, und diese Zentralisierung wird in einem erbitterten, Einheit stiftenden Kampf gegen den Feudalismus des Ancien Régime geschmiedet. Sie muss genügend solide ökonomische Grundlagen für ihre industrielle Revolution besitzen, um sich ihren Platz auf einem Weltmarkt zu sichern, welcher sich noch in der Entstehung befindet. Diese beiden Bedingungen existierten während der Epoche des kapitalistischen Aufstiegs, die sich im Wesentlichen vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum I. Weltkrieg erstreckte. Danach verschwanden diese Bedingungen, und daher war von da an die Entstehung neuer, lebensfähiger nationaler Projekte nicht mehr möglich. Warum also sollte es heute plötzlich wieder möglich geworden sein, etwas durchzuführen, was schon während des 20. Jahrhunderts unmöglich gewesen war? Da keine der neuen Nationen, die seit dem Ersten Weltkrieg gebildet worden waren, in der Lage gewesen war, adäquate Existenzmittel zu sammeln, warum sollte die Entstehung einer neuen Großmacht – wie es die Vereinigten Staaten von Europa wären – plötzlich nun möglich sein?
Die dritte logische Konsequenz einer hypothetischen europäischen Einheit setzt eine Abschwächung der Tendenz zur Verschärfung imperialistischer Antagonismen unter den konkurrierenden Ländern Europas voraus. Doch wie Marx Mitte des 19. Jahrhunderts (im Kommunistischen Manifest) hervorhob, ist der Antagonismus zwischen den einzelnen Fraktionen der Bourgeoisie eine Konstante: „Die Bourgeoisie befindet sich in fortwährendem Kampf; anfangs gegen die Aristokratie; später gegen Teile der Bourgeoisie selbst, deren Interessen mit dem Fortschritt der Industrie in Widerspruch geraten; stets gegen die Bourgeoisie aller auswärtigen Länder.“ (Karl Marx, „Manifest der Kommunistischen Partei“, MEW Bd. 4, S. 459-492) Während die Widersprüche zwischen der Bourgeoisie und den Überbleibseln des Feudalismus oder ihrer eigenen rückwärts gewandten Sektoren von der kapitalistischen Revolution größtenteils überwunden worden waren, zumindest in den entwickelten Hauptländern, haben sich im Gegensatz dazu die Antagonismen zwischen den Nationen im gesamten 20. Jahrhundert nur vertieft. Warum also sollten wir erwarten, dass sich dieser Prozess umkehrt, wenn sich die Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse während der gesamten Periode der Dekadenz immer weiter verschärft haben?
In der Tat besteht ein unzweideutiges Kennzeichen einer Produktionsweise, die die Periode ihrer Dekadenz betreten hat, in der Explosion von Antagonismen zwischen den Fraktionen der herrschenden Klasse. Diese können nicht mehr ausreichend Mehrwert aus den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen ziehen, die fortan obsolet geworden sind, und neigen somit dazu, dies durch die Ausplünderung ihrer Rivalen zu tun. Dies traf auf die Dekadenz der feudalen Produktionsweise (1325–1750) zu, als dem Hundertjährigen Krieg die Kriege zwischen den großen europäischen absolutistischen Monarchien folgten: „... Gewalttätigkeiten waren ohne Zweifel ein permanenter und besonderer Charakterzug der mittelalterlichen Gesellschaft. Dennoch erreichten sie während der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert eine neue Dimension (...) Der Krieg wurde zu einem endemischen Phänomen, genährt von gesellschaftlichen Frustrationen (...) Die Generalisierung von Kriegen war vor allem der ultimative Ausdruck von Funktionsstörungen einer Gesellschaft, die sich im Würgegriff von Problemen befand, die sie nicht meisterte. Und so suchte sie Zuflucht in Kriegen, um den Problemen des Alltags zu entgehen.“ (Guy Bois, La Grande dépression médiévale)2.Diese Periode der Dekadenz der feudalen Produktionsweise steht in einem großen Kontrast zum Aufstieg des Mittelalters (1000–1325): „Noch deutlicher als zu Feudalzeiten erlebte die Periode zwischen – grob gesagt – 1150 und 1300 über weite geographische Gebiete hinweg Phasen eines beinahe vollständigen Friedens, dank dessen die wirtschaftliche und demographische Expansion wachsen konnte.“ (P. Contamine, La Guerre au Moyen Age)3 Dasselbe trifft auf die Produktionsweise der Sklavenhaltergesellschaften, auf die Zerstückelung des Römischen Reiches und die Ausbreitung von endlosen Konflikten zwischen Rom und seinen Provinzen zu.
Dies war auch der Fall, als der Kapitalismus seine Dekadenzperiode betrat. Um sich eine Vorstellung von der Kluft zwischen den Existenzbedingungen während des Aufstiegs des Kapitalismus und denen seiner Dekadenz zu machen, wollen wir hier aus Eric Hobsbawns „Das Zeitalter der Extreme“ (1994)2 zitieren, in dem er sehr gut den fundamentalen Unterschied zwischen dem „langen 19. Jahrhundert“ und dem „kurzen 20. Jahrhundert“ aufzeigt: „Wie sollen wir dem kurzen 20. Jahrhundert einen Sinn abgewinnen – Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion? (...) während des Kurzen 20. Jahrhunderts wurden mehr Menschen auf Weisung und mit Erlaubnis ermordet als jemals zuvor in der Geschichte. (...) Es war ohne Zweifel das mörderischste Jahrhundert von allen, über das wir Aufzeichnungen besitzen: mit Kriegszügen von nie gekannten Ausmassen und von nie dagewesener Häufigkeit und Dauer, sowohl was das Niveau, die Häufigkeit und die Dauern dieser Kriege betrifft (und welche in den zwanziger Jahren kaum ein Unterbruch hatten), als auch bezüglich dem Ausmass der grössten Hungersnöte der Geschichte und den systematischen Genoziden. Im Unterschied zum langen 19. Jahrhundert, welches eine Periode des nahezu ununterbrochenen materiellen, intellektuellen und moralischen Fortschritts zu sein schien und auch wirklich war, sind wir seit 1914 Zeugen eines markanten Rückgangs dieser bis anhin für die entwickelten Länder als selbstverständlich angenommenen Werte. (...) Dies alles änderte um 1914 (...) Kurz gesagt, 1914 leitete die Epoche der Massaker ein (...) Die Mehrzahl der nicht-revolutionären und nicht-ideologischen Kriege der Vergangenheit waren nicht als Kämpfe auf Leben und Tod bis zur totalen Erschöpfung geführt worden. (...) Warum führten die dominanten Mächte unter diesen Umständen der Ersten Weltkrieg bis zum Nichts, also als Krieg, der nur entweder ganz gewonnen oder ganz verloren werden konnte? Der Grund dafür ist, dass dieser Krieg, im Unterschied zu den vorausgegangenen Konflikten mit begrenzten und genau festgelegten Zielen, mit uneingeschränkten Absichten geführt wurde. (...) Dies war ein absurdes und selbstzerstörerisches Ziel, welches zugleich Sieger und Besiegte ruinierte. Letztere führte er in die Revolution, die Sieger zum Zusammenbruch und zur physischen Erschöpfung. (...) Im modernen Krieg werden alle Bürger hineingezogen und die Mehrheit von ihnen wird mobilisiert; sei es, dass er mit Rüstung geführt wird, deren Produktion eine Umleitung der ganzen Wirtschaft erfordert und in unvollstellbarem Umfang eingesetzt wird; sei es, dass er unglaubliche Zerstörungen erzeugt, aber auch die Existenz der in ihn verwickelten Länder dominiert und verändert. So sind alle diese Phänomene dem Krieg des 20. Jahrhunderts eigen. (...) Diente der Krieg dem Wirtschaftswachstum? Es ist klar, dass dem nicht so ist.“4 Der Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenzperiode machte fortan die Entstehung neuer, wirklich lebensfähiger Nationen unmöglich. Die relative Sättigung zahlungskräftiger Märkte – im Verhältnis zu den enormen Bedürfnissen der Akkumulation, die von der Entwicklung der Produktivkräfte geschaffen wurden – , die der Dekadenz des Kapitalismus zugrunde liegt, verhindert jede „friedliche“ Lösung seiner unüberwindlichen Widersprüche. Daher ist seither die Zahl der Handelskriege zwischen den Nationen und die Entwicklung des Imperialismus nur gewachsen. In einem solchen Kontext sind Nationen, die spät die Weltbühne betreten haben, unfähig, ihre Rückständigkeit zu überwinden: Im Gegenteil, der Abstand zu den entwickelten Ländern wächst unerbittlich.
Selbst in der Zeit vor dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts, in einer Epoche, die eigentlich günstig für die Entstehung neuer Nationen gewesen war, war die nationale Einheit Europas ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen für diese Einheit nicht existierten; seither ist ihre Existenz noch irrelevanter geworden. Ja, in der gegenwärtigen und finalen Phase der Dekadenz, in der Phase des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft5, sind die Bedingungen für die Entstehung einer neuen Ausgangslage nicht nur noch ungünstiger, sie üben darüber hinaus Druck auf existierende, aber weniger stabile Nationen aus und führen zu deren Auflösung (die UdSSR, Jugoslawien, Tschechoslowakei, etc.) sowie zur Verschärfung der Spannungen selbst zwischen den stärksten und stabilsten Ländern (siehe weiter unten das Kapitel über Europa in der Zerfallsperiode).
Eine historische Parallele:Die absolutistischen Monarchien
Kommt dieser Prozess der europäischen Vereinigung inmitten der kapitalistischen Dekadenz überraschend? Ist er ein Zeichen dafür, dass die kapitalistische Produktionsweise ihre alte Stärke wiederentdeckt hat, dass sie der Dekadenz ein Schnippchen geschlagen hat? Allgemein ausgedrückt: Können wir ein ähnliches Phänomen während der Dekadenz früherer Gesellschaften beobachten, und wenn ja, worin bestand seine Bedeutung?
Die Dekadenz der feudalen Produktionsweise ist in diesem Zusammenhang interessant, da sie Zeuge der Bildung der großen absolutistischen Monarchien war, die über zerstreute Lehnsgüter hinauszugehen schienen, welche so kennzeichnend für die feudale Produktionsweise waren. Während des 16. Jahrhunderts verhalf dies dem absolutistischen Staat im Westen zum Leben. Die zentralisierten Monarchien stellten einen entscheidenden Bruch mit der pyramidenhaften und zerstreuten Souveränität in den mittelalterlichen gesellschaftlichen Gebilden dar. Diese Zentralisierung der monarchischen Macht bewirkte den Aufstieg eines stehenden Heeres und einer Bürokratie, einer nationalen Steuererhebung sowie einer kodifizierten Rechtsprechung und den Beginn eines vereinigten Marktes. Obgleich all diese Elemente als Charakteristikum des Kapitalismus erscheinen mögen – dies um so mehr, als sie mit dem Verschwinden der Leibeigenschaft zusammenfallen – sind sie dennoch ein Ausdruck des verfallenden Feudalismus.
Tatsächlich ging die „nationale Vereinigung“, die auf mannigfaltigen Ebenen von den absolutistischen Monarchien durchgeführt worden war, nicht über den geohistorischen Rahmen des Mittelalters hinaus, sondern drückte vielmehr die Tatsache aus, dass Letzterer zu eng geworden war, um die fortdauernde Entwicklung der Produktivkräfte zu umfassen. Die absolutistischen Staaten stellten eine Form der Zentralisierung der feudalen Aristokratie dar, indem sie ihre Macht stärkten, um der Dekadenz der feudalen Produktionsweise zu widerstehen. Die Zentralisierung der Macht ist in der Tat ein weiteres Kennzeichen der Dekadenz einer jeden Produktionsweise – im Allgemeinen durch eine Wiederverstärkung des Staates, der die kollektiven Interessen der herrschenden Klasse repräsentiert – um einen stärkeren Widerstand gegen die ruinösen Krisen ihres historischen Abstiegs auf die Beine zu stellen.
Wir können eine Analogie dazu in der Bildung der Europäischen Union im Besonderen und in all den regionalen Wirtschaftsabkommen auf der ganzen Welt im Allgemeinen feststellen. Sie sind Versuche, über den zu engen Rahmen der Nation hinauszugehen, um sich der Verschärfung der ökonomischen Konkurrenz in der kapitalistischen Dekadenz zu stellen. Die Bourgeoisie ist daher gefangen zwischen einerseits der immer größeren Notwendigkeit, über den nationalen Rahmen hinauszugehen, um ihre wirtschaftlichen Interessen besser zu verteidigen, und andererseits den nationalen Grundlagen ihrer Macht und ihres Eigentums. Europa ist keinesfalls eine Überwindung dieses Widerspruchs, sondern ein Ausdruck des bürgerlichen Widerstandes gegen die Widersprüche der Dekadenz ihrer eigenen Produktionsweise. Als Louis XIV. die Granden des Reiches dazu einlud, in seinen Hof in Versailles zu ziehen, geschah dies nicht zu ihrem Wohlgefallen, sondern vielmehr um sie zu unter kaiserliche Kuratel zu stellen und sie daran zu hindern, Komplotte in ihren Provinzen gegen ihn zu schmieden. In gewisser Weise ist das strategische Kalkül innerhalb der Europäischen Union dem nicht unähnlich. So zieht es Frankreich vor, Deutschland an Europa gebunden und die Deutsche Mark mit dem Euro verschmolzen zu sehen, statt Zeuge zu werden, wie Deutschland bei seiner Expansion in Mitteleuropa, wo die Deutsche Mark bereits zur heimlichen Leitwährung geworden war, seine historische Interesssen entfaltet. Nach seinem Versuch, die EFTA gegen die EWG zu bilden, zieht es Großbritannien nun vor, in letztgenanntem Verein mitzumachen, um so die Politik der EWG zu beeinflussen bzw. zu sabotieren, statt sich auf seiner Insel zu isolieren, wohingegen Deutschland im Sinn hat, unter dem Mantel der europäischen Fiktion die Entfaltung seiner tatsächlich imperialistischen Ambitionen als künftiger Anführer eines imperialistischen Blocks weiter zu betreiben, der in der Lage ist, mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu rivalisieren.
Europa – eine Kreation des Imperialismus aus Gründen des Kalten Krieges
Die Wurzeln der Europäischen Gemeinschaft lagen in der Existenz des Kalten Krieges, der unmittelbar nach dem II. Weltkrieg folgte. Durch die Wirtschaftskrise und die gesellschaftlichen Verwerfungen destabilisiert, war Europa eine potenzielle Beute des russischen Imperialismus und wurde daher von den Vereinigten Staaten gestützt, um einen Schutzwall gegen die Avancen des Ostblocks zu bilden. Dies wurde dank des Marshallplans erreicht, der im Juni 1947 allen europäischen Ländern in Aussicht gestellt worden war. Auch die Schaffung einer Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft entsprach dem Kalkül, Europa im Zusammenhang mit einer dramatischen Zuspitzung der Ost-West-Spannungen anlässlich des Koreakrieges zu stärken. Die Schaffung der EWG 1957 vervollständigte die Stärkung des westlichen Blocks auf dem Kontinent. Diese Entwicklung in Europa, die im Wesentlichen auf wirtschaftlichem Gebiet und, mit der Präsenz von Truppen und Waffen der NATO, auf militärischer Ebene erfolgte, beweist, dass Europa, weit davon entfernt, eine friedliche Idylle zu sein, die Hauptbühne von interimperialistischen Konflikten blieb, so wie es in der gesamten Geschichte des Kapitalismus gewesen war.
Im Gegensatz zur Propaganda der herrschenden Klasse war der Friede, der seit dem Ende des II. Weltkrieges in Europa herrschte, nicht die Folge eines Prozesses der europäischen Vereinigung oder der Friedfertigkeit, die plötzlich unter den historischen Rivalen ausgebrochen war, sondern die Folge des Zusammentreffens von drei ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren. So erlaubte die wirtschaftliche Wiederbelebung in Kombination mit keynesianischen Regulierungen dem Kapitalismus, sein Überleben zu verlängern, ohne gezwungen zu sein, sofort Zuflucht zu suchen in einem dritten Weltkonflikt, wie es zwischen dem I. und II. Weltkrieg der Fall gewesen war, als 1929 nach nur zehn Jahren des Wiederaufbaus, zwischen 1919 und 1929, die schlimmste Überproduktionskrise in der Geschichte ausbrach und bis zum Vorabend des II.Weltkrieges anhielt. So bildeten sich im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg zwei imperialistische Blöcke (NATO und Warschauer Pakt), die sich auf dem Kontinent gegenüberstanden; die Vereinigten Staaten und die UdSSR, die beiden jeweiligen Blockführer, waren eine Zeitlang in der Lage, ihre direkten Konfrontationen an die Peripherie zu drängen. Dies hinderte jedoch lokale Konflikte zwischen 1945 und 1989 nicht daran, mehr Opfer zu verursachen als sämtliche Schlachten des II.Weltkrieges zusammen! Und schließlich versperrte die Tatsache, dass das Proletariat ideologisch nicht bereit war, in den Krieg zu ziehen, nachdem es 1968 die historische Bühne wieder betreten hatte, den Weg zur Kriegshetze der beiden imperialistischen Blöcke genau in dem Augenblick, als es für sie immer dringlicher wurde, angesichts der sich ausbreitenden Wirtschaftskrise zu offenen Feindseligkeiten zu schreiten.
Europa – eine leere Hülle und politische Handgreiflichkeiten
Unter ziemlich günstigen Umständen waren die europäischen Staaten in der Lage gewesen, im Wesentlichen auf wirtschaftlicher Ebene zu Übereinkünften zu gelangen: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit Europas, die europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft, die Schaffung einer europaweiten Mehrwertsteuer, der Gemeinsame Markt und das Europäische Währungssystem sind allesamt Beispiele dafür. Im Gegensatz dazu waren die politischen Misshelligkeiten eine Konstante in der Politik der EWG und EU, die unmittelbar nach der Niederlage Deutschlands im Krieg mit der deutschen Frage ihren Anfang nahm. Frankreich wollte ein schwaches und unbewaffnetes Deutschland. Die Vereinigten Staaten hingegen erzwangen wegen der Erfordernisse des Kalten Kriegs den Wiederaufbau eines starken, wiederaufgerüsteten Deutschland, was 1949 zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland führte. 1954 lehnte Frankreich die Ratifizierung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft trotz der Tatsache ab, dass das EWG-Abkommen bereits 1952 von den fünf europäischen Partnern unter dem Druck der Amerikaner unterzeichnet worden war. Das Vereinigte Königreich, das sich geweigert hatte, der 1957 gebildeten EWG beizutreten, versuchte seinerseits, eine weiter gefasste Freihandelszone zu errichten, die alle Länder der OECD umfasste und den Gemeinsamen Markt beinhalten sollte, was ihn so seiner Exklusivität beraubt hätte. Als die Franzosen sich weigerten, taten sich die Briten mit anderen europäischen Ländern zusammen, um am 20. November 1959 mit der Unterzeichnung des Stockholmer Vertrages die European Free Trade Association (EFTA) zu gründen. Bei zwei Gelegenheiten, 1963 und 1967, lehnte Frankreich die EWG-Kandidatur Großbritanniens ab, da es in ihm ein trojanisches Pferd der Amerikaner erblickte. 1967 provozierte Frankreich dabei eine ernste Krise, die sechs Monate andauerte, indem es eine Politik des „leeren Stuhls“ betrieb; sie endete mit einem Kompromiss, der Europa zwar das weitere Überleben ermöglichte, dabei aber das Einstimmigkeitsprinzip bei allen EWG-Beschlüssen etablierte. Nachdem Großbritannien im Januar 1973 der EWG beigetreten war, zögerte es nicht, bei zahllosen Gelegenheiten Sand in das Getriebe der EWG-Politik zu streuen, beginnend mit der Neuaushandlung des Beitrittsvertrages ein Jahr später und im weiteren mit Veränderungen in der EG-Agrarpolitik, Neuverhandlungen über den britischen Beitrag zum EG-Etat (s. Margaret Thatchers berühmtes „Ich will mein Geld zurück“), mit der Weigerung, einer gemeinsamen Währung beizutreten, etc. Erst kürzlich haben die Unstimmigkeiten über das Datum der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU die Spaltung Europas auf der Ebene seiner imperialistischen Rivalitäten enthüllt. Frankreich verhält sich offen feindselig gegenüber diesem Land, das sich entweder mit Deutschland oder mit den USA eng verbunden fühlt. Letztere haben tatsächlich einen unerhörten Druck ausgeübt, damit die Türkei als künftiger Kandidat akzeptiert wird, sei es durch direkte Telefonate des Präsidenten mit europäischen Führern oder indirekt, via des britischen Lobbyismus, durch eine unterschwellige, aber offiziell abgesegnete Strategie, die da lautet: Je mehr die EU erweitert wird, desto weniger wird sie zur politischen Integration und vor allem zur Entwicklung einer gemeinsamen Politik und Strategie auf der internationalen Bühne in der Lage sein.
Die vollständige Abwesenheit jeglicher gemeinsamen Politik oder der Instrumente für diese Politik (eine gemeinsame Armee), das Fehlen eines substanziellen Etats der EU in der Größenordnung nationaler Etats (derzeit knapp 1,27% des BSP von Euroland!) und der völlig überproportionierte Anteil der Landwirtschaft am EU-Etat (nahezu die Hälfte dessen wird für einen Bereich ausgegeben, der nicht mehr als 4–5% der Wertschöpfung in der EU repräsentiert), etc. – all dies demonstriert deutlich genug, dass die fundamentalen Attribute eines europäischen supranationalen Staates fehlen oder da, wo sie existieren, keine wirkliche Macht oder Unabhängigkeit besitzen. Die politische Funktionsweise der Europäischen Union ist eine reine Karikatur, typisch für die Funktionsweise der Bourgeoisie in der Epoche der Dekadenz. Das Parlament hat keine Macht, der Schwerpunkt des politischen Lebens wird von der Exekutive, dem Rat der Minister, so stark vereinnahmt, dass selbst die Bourgeoisie sich regelmäßig über das „Defizit an demokratischer Legitimation“ beschwert!
Dies ist insofern kaum überraschend, als dass die politische Strategie der Europäer bereits während des Kalten Krieges nur sehr bedingt vorkam und durch die Disziplin des amerikanischen Blocks in engen Grenzen gehalten wurde. Diese Strategie hatte schon zu jener Zeit nur geringe Konsistenz, doch nach dem Fall der Berliner Mauer, der das Verschwinden der beiden Blöcke markierte, verringerte sie sich noch mehr. Seitdem gibt es keine außenpolitische Frage, zu der Europa in der Lage wäre, eine gemeinsame Position zu definieren. Es ist zerrissen zwischen verschiedenen oder gar gegensätzlichen Positionen in der Frage des Nahen Ostens, des Golfkrieges, des Konflikts in Jugoslawien und im Kosovo, etc. Dasselbe trifft auf den Vorschlag der Schaffung einer europäischen Armee zu. Während einige (wie Frankreich und Deutschland zum Beispiel) auf mehr Integration drängen, einschließlich einer größeren Unabhängigkeit gegenüber den verbliebenen Militärstrukturen der NATO, wollen andere (Großbritannien und die Niederlande zum Beispiel) in ihnen verbleiben.
Europa: eine im Wesentlichen wirtschaftliche Übereinkunft
Wenn die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa eine Illusion ist, wenn eine wirkliche, allumfassende europäische Integration ein Aberglauben ist, wenn die Wurzeln der Existenz einer begrenzten europäischen Einigung in den Erfordernissen des Kalten Krieges lagen – was steckt dann hinter der politischen Absicht, heute diese Strukturen zu stärken?
Wie wir gesehen haben, waren die Geburt der Europäischen Gemeinschaft und ihre Erstarkung zuallererst Ausdrücke der Notwendigkeit, den sowjetischen Expansionsdrang nach Europa zu bremsen. Obgleich sie für die imperialistischen Bedürfnisse des amerikanischen Blocks geschaffen wurde und sich gar für die wirtschaftliche Expansion durch Letzteren als nützlich erwies (wie Japan und die „neu industrialisierten Länder“), wurde sie Zug um Zug zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Konkurrenten für die Vereinigten Staaten, einschließlich ihrer Domänen in der Hochtechnologie (Airbus, Arianespace, etc.). Dies ist eines der Resultate der wirtschaftlichen Konkurrenz während des Kalten Krieges. Bis zum Fall der Berliner Mauer war die europäische Integration im Wesentlichen ökonomischer Natur. Beginnend als eine Binnenfreihandelszone für Waren und dann als Zollunion gegen andere Länder, wurde sie schließlich zu einem gemeinsamen Markt für Güter, Kapital und Arbeit. Schließlich krönte Europa diese Integration mit der Aufstellung des EU-Regelwerks. Das Ziel dieser wirtschaftlichen Integration war von Beginn an gewesen, Europas Stellung auf dem Weltmarkt zu stärken. Die Schaffung eines erweiterten Marktes, der eine großräumige Ökonomie ermöglichte, sollte die Mittel schaffen, um europäische Firmen gegenüber fremder Konkurrenz, besonders durch die Amerikaner und Japaner, zu stärken. Die Schaffung des Single Act 1985/86 wurde aus der allgemeinen wirtschaftlichen Lage Europas geboren: Europa litt mehr an den zehn Krisenjahren als Japan und die Vereinigten Staaten.
Europa im Angesicht des Zerfalls und des Zusammenbruchs der Blöcke
Seit dem Beginn der 80er Jahre ist der Kapitalismus durch eine Situation gezeichnet, in der die beiden grundsätzlichen und antagonistischen Klassen der Gesellschaft in Konfrontation und Gegensatz zueinander stehen, ohne dass eine von beiden in der Lage ist, ihre Alternative durchzusetzen. Doch noch weniger als all den anderen, vorausgegangenen Produktionsweisen ist es dem gesellschaftlichen Leben unter dem Kapitalismus möglich, ein „Einfrieren“ oder eine „Stagnation“ zu ertragen. Während die Widersprüche des krisengeschüttelten Kapitalismus sich immer weiter verschärfen, können die Unfähigkeit der Bourgeoisie, auch nur den Hauch einer Perspektive für die gesamte Gesellschaft anzubieten, und die Unfähigkeit des Proletariats, sich selbst offen zu behaupten, nur zum Phänomen eines allgemeinen Zerfalls führen, zu einer Gesellschaft, die am lebendigen Leib verrottet. Der Kollaps des Ostblocks 1989 war lediglich der spektakulärste einer Reihe von unmissverständlichen Ausdrücken der Tatsache, dass die kapitalistische Produktionsweise in ihre letzte Lebensphase angelangt ist.
Dies trifft auch auf die ernste Zuspitzung der politischen Verwerfungen in den peripheren Ländern zu, die die Großmächte in wachsendem Maße daran hindert, sie zu benutzen, um im eigenen Gebiet für Ordnung zu sorgen, und sie somit dazu zwingt, immer direkter in militärische Konfrontationen zu intervenieren. Dies wurde bereits in den 1980er Jahren deutlich, im Libanon und vor allem im Iran. Besonders im Iran erlangten die Ereignisse eine bis dahin unbekannte Dimension: Ein Land, das einem Block angehört, ja, wichtiges Mitglied eines Militärbündnisses ist, gerät aus dessen Kontrolle, ohne auch nur ansatzweise unter die Vorherrschaft des anderen Blocks zu gelangen. Dies war nicht die Folge der Schwäche des Blocks als Ganzes, ja, nicht einmal eine Frage der Entscheidung dieses Landes, die auf die Verbesserung der Stellung des nationalen Kapitals abzielt – ganz im Gegenteil, denn diese Politik hätte nur zu einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe geführt. Tatsächlich ließen sich vom Standpunkt der Interessen des nationalen Kapitals die Ereignisse im Iran – nicht einmal illusorisch – rational erklären. Am deutlichsten wird dies durch die Machtergreifung der Geistlichen veranschaulicht, einer Gesellschaftsschicht, die niemals eine Kompetenz im Management der wirtschaftlichen oder politischen Angelegenheiten besessen hatte. Der Aufstieg des islamischen Integrationismus und sein Sieg in einem verhältnismäßig wichtigen Land sind Lehrbeispiele für die Zerfallsphase und sind seitdem durch die Entwicklung dieses Phänomens in etlichen anderen Ländern bestätigt worden.
Hier können wir die Entstehung von Phänomenen erblicken, die den klassischen Charakteristiken der kapitalistischen Dekadenz eine qualitative Änderung attestieren.
Historisch obsolet geworden, entwickeln herrschende Klassen stets eine Reihe von Mechanismen und Strukturen, um die Kräfte zu konfrontieren, die ihre Macht untergraben (wachsende Wirtschaftskrisen und militärische Konflikte, die Verwerfungen des Gesellschaftskörpers, der Zerfall der herrschenden Ideologie, etc.). Was die Bourgeoisie betrifft, bestehen diese Mechanismen im Staatskapitalismus, in einer immer totalitäreren Kontrolle der Zivilgesellschaft, in der Unterwerfung der verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie unter die höheren Interessen der Nation, in der Bildung von Militärbündnissen, um der internationalen Konkurrenz zu begegnen, etc.
Solange die Bourgeoisie in der Lage ist, das Gleichgewicht der Klassenkräfte zu beherrschen, können die Ausdrücke des Zerfalls, Kennzeichen einer jeden dekadenten Produktionsweise, in gewisse Grenzen gehalten werden, die mit dem Überleben ihres Systems vereinbar sind. In der Zerfallsphase selbst jedoch bestehen diese Charakteristiken fort und werden von der wachsenden allgemeinen Krise verschärft, während die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, ihre Lösung durchzusetzen, und der Arbeiterklasse, ihre eigenen Perspektiven aufzustellen, das Feld allen Arten gesellschaftlicher und politischer Auflösungserscheinungen überlässt – bis hin zur Explosion des Jeder-gegen-Jeden: „Elemente des Zerfalls können in allen dekadenten Gesellschaften gefunden werden: die Verwerfungen des Gesellschaftskörpers, das Dahinrotten ihrer politischen, ökonomischen und ideologischen Strukturen, etc. Dasselbe traf seit dem Beginn seiner dekadenten Epoche auf den Kapitalismus zu (...) in einer historischen Situation, in der die Arbeiterklasse noch nicht in der Lage ist, in den Kampf um die eigenen Interessen und um die einzig ‚realistische‘ Perspektive – die kommunistische Revolution – zu treten, wo aber auch die herrschende Klasse nicht imstande ist, auch nur den Hauch einer Perspektive für sich selbst zu verschaffen, selbst kurzfristig nicht, hilft die frühere Fähigkeit der Letzteren während der Dekadenzperiode, das Phänomen des Zerfalls zu begrenzen und zu kontrollieren, nicht mehr weiter, sondern fällt unter den wiederholten Schlägen der Krise in sich zusammen.“ (ebenda siehe Fussnote 4)
Die Geschichte zeigt, dass die Gesellschaft, wenn sie in ihren eigenen Widersprüchen verfangen ist, ohne sie lösen zu können, in ein wachsendes Chaos, in endlose Kämpfe zwischen Warlords stürzt. Das Bild des Zerfalls ist voll von wachsendem Chaos und Jeder-gegen-Jeden. Einer der Hauptausdrücke des Zerfalls des Kapitalismus zeigt sich in der wachsenden Unfähigkeit der Bourgeoisie, die politische Lage der verschiedensten Art zu kontrollieren: bei der Disziplin unter ihren verschiedenen imperialistischen Fraktionen, bei der Zügelung ihres imperialistischen Heißhungers, etc. Die Unfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, der Gesellschaft auch nur die leiseste Perspektive anzubieten, führt unvermeidlich zu wachsendem, allgemeinem Chaos.
Ende der 80er Jahre sollte sich diese Diagnose auf spektakulärste Weise bestätigen. Die Auflösung des Ostblocks und der UdSSR, der Tod des Stalinismus, die Auflösung Russlands selbst, dem kurz darauf der Golfkrieg folgte, verliehen diesen Charakteristiken einer zerfallenden Produktionsweise unmissverständlich Ausdruck: die Explosion des „Jeder-für-sich-selbst“, die Zerstörung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und wachsendes Chaos.
In diesem Zusammenhang müssen wir die Reorientierung der europäischen Politik während der 1990er Jahre sehen. Die bis dahin im Wesentlichen ökonomische Ausrichtung schlug nach dem Fall der Berliner Mauer im Dezember 1989 eine deutlich politischere Richtung ein; der Gipfel von Straßburg beschleunigte den Prozess der Etablierung des Euros und lud die osteuropäischen Länder an den Verhandlungstisch. Zu diesem Zeitpunkt war es beschlossene Sache, dass künftig neue Mitglieder integriert werden würden, und die materiellen Mittel, um dies zu erreichen, führten im Mai 1980 zur Bildung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBAE), zu Investitionen in mannigfaltigen Bereichen, zu Kooperationsprogrammen, etc. Der im Wesentlichen geostrategische Charakter dieser Erweiterung Europas in Richtung Osten wurde durch die Tatsache demonstriert, dass der wirtschaftliche Nutzeffekt sich als nichtexistent oder gar negativ erweisen sollte, wie zum Beispiel die Integration Ostdeutschlands in die Bundesrepublik. Das durchschnittliche Bruttosozialprodukt pro Einwohner in den zehn Kanididaten-Ländern ist nicht einmal halb so groß wie in den 13 EU-Staaten. Die Handelsbeziehungen sind zutiefst asymmetrisch. Während 70% der Exporte der ost- und mitteleuropäischen Länder in die Europäische Union gehen, können Erstere nur 4–5% der Exporte Letzterer für sich verbuchen. Während die östlichen Länder sich in einer empfindlichen Abhängigkeit von der Wirtschaftslage Westeuropas befinden, ist dies umgekehrt nicht der Fall. Ein weiteres Element ihrer Verwundbarkeit rührt aus der Tatsache, dass es ein strukturelles Handelsdefizit in sämtlichen ost- und mitteleuropäischen Ländern gibt, was sie vom Zufluss fremden Kapitals abhängig macht. Die Beschäftigungsquote ist seit 1990 in dieser Region um 20% gesunken, und viele Länder sind noch immer in ernsten ökonomischen Problemen verstrickt.
Die wahren Gründe für die Integration der neuen Kandidaten in die EU sind woanders zu suchen. Der erste Grund ist klar imperialistisch. Was ansteht, ist der Ausverkauf der Überbleibsel des ehemaligen Ostblocks. Der zweite ergibt sich aus den Konsequenzen des Zerfalls selbst: Für die EU ist es lebenswichtig, eine relativ stabile Pufferzone an ihren östlichen Grenzen zu installieren, um sich nicht vom wirtschaftlichen und sozialen Chaos anstecken zu lassen, das von der Auflösung des Ostblocks ausgeht. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist es wichtig, dass die wichtigeren der neuen Mitgliedsländer wirtschaftlich am stärksten und geographisch Westeuropa am nächsten sind (Polen, Tschechien, Slowakei und Slowenien), während die drei baltischen Länder (Estland, Lettland und Litauen) den Zugang Russlands zur Ostsee einschränken. Im Endeffekt ist die EU-Politik gegenüber Osteuropa das Ergebnis der überragenden Stellung der imperialistischen Ziele. Einerseits wetteifert die EU, mit Deutschland an der Spitze, mit den Vereinigten Staaten um das Eigentum der Überbleibsel des alten Ostblocks. Das Ziel der Europäischen Union ist es, so viel ost- und mitteleuropäische Länder wie möglich unter ihren Einflussbereich zu bringen, möglichst einschließlich Russlands, das trotz seiner Anlehnung an Amerika heute Deutschland zum Haupthandelspartner hat. Frankreich auf der anderen Seiten ist ebenfalls an einer Expansion der EU in den Osten interessiert, wenn sie von der EU, und nicht von einem unabhängigen Deutschland, das seine alten Vorkriegsreflexe wiederentdeckt, ausgeführt wird. Deutschland ist seinerseits bereit, diese Strategie zu akzeptieren, weil es dadurch die Betreibung seiner imperialistischen Ambitionen bedeckt halten kann, eingedenk dessen, dass es noch nicht bereit ist, offen die Führungsrolle eines neuen imperialistischen Blocks als Widerpart der Vereinigten Staaten anzunehmen.
Die Bedeutung des Euro
Die Zerfallsphase und der Zusammenbruch der imperialistischen Blöcke sind der Rahmen zum Verständnis für die Schaffung einer einzigen Währung. Sie hat vier Grundlagen:
1) Die erste ist geostrategischer und imperialistischer Natur. Die französische und deutsche Bourgeoisie ist daran interessiert zu verhindern, dass die deutsch-französische Allianz unter dem Druck divergierender imperialistischer Interessen zusammenbricht. Einerseits befürchten die Franzosen, dass ein vereinigtes Deutschland zu einem Expansionsfeld im Osten gelangt, während Frankreich dem nichts entgegensetzen kann. Frankreich ist es gelungen, sicher zu stellen, dass die osteuropäische Währung nicht die Deutsche Mark ist, was dazu geführt hätte, Frankreich wirtschaftlich aus dieser Zone auszuschließen. Andererseits war es die Politik Deutschlands seit 1989 gewesen, unter dem Mantel der EU zu verbleiben, um seine eigenen imperialistischen Interessen zu verbergen. Es hat daher ein großes Interesse daran, Frankreich und andere, zweitrangige europäische Länder an seine Expansionspolitik zu binden. Es ist schon banal, darauf hinzuweisen, dass Mitglieder der deutschen Bourgeoisie geäußert haben, dass „Deutschland heute wirtschaftlich das erreicht hat, was Hitler mit dem Krieg erreichen wollte“!
2) Die zweite Grundlage ist die Notwendigkeit, sich den zerstörerischen Kräften der Krise zu widersetzen, die durch Phänomene wesentlich vergrößert wurden, welche eine Besonderheit der Zerfallsphase sind. Durch die Installierung des Euro machte die EU der Destabilisierung durch Währungsspekulationen ein Ende, unter der sie schon etliche Male in der Vergangenheit gelitten hatte (Spekulationen gegen die Lire, der erzwungene Austritt des englischen Pfunds aus dem EWS, etc.). Schon die Installierung des EWS (Europäisches Währungssystem) 1979 war ein Versuch, eine Währungsschlange zu bilden, die stabiler gegenüber dem Dollar und dem Yen sein sollte, und so die EU besser von der monetären Anarchie abzuschirmen, die mittlerweile besonders in den Ländern an der Peripherie des Kapitalismus Schäden verursacht hatte. Dies ist einer der Hauptunterschiede zur Krise von 1929, unter der zunächst die Vereinigten Staaten und daraufhin die europäischen Länder gelitten hatten. Obwohl die Wurzeln der Überproduktionskrisen sowohl in den 30er Jahren als auch heute in den entwickelten kapitalistischen Ländern liegen, ist es in der gegenwärtigen Krise den Letzteren gelungen, die Hauptauswirkungen der Krise bis jetzt in die Peripherie abzulenken. Während auf der Ebene der interimperialistischen Spannungen ihre zentrifugalen Kräfte sich jederlei Art von Disziplin entzogen haben, ist die Bourgeoisie auf der ökonomischen Ebene noch zu einem Minimum an Zusammenarbeit fähig, worin die eigentliche Essenz ihrer Herrschaft als eine Klasse zum Ausdruck kommt: die Gewinnung von Mehrarbeit. So war, im Gegensatz zu den 30er Jahren, die herrschende Klasse im Wirtschaftsbereich in der Lage, ihre Bemühungen zu koordinieren, um wiederholte Marktzusammenbrüche moderat zu gestalten und die zerstörerischsten Auswirkungen der Krise und des Zerfalls einzuschränken.
3) Die dritte Grundlage ist sowohl wirtschaftlicher als auch imperialistischer Natur. Alle europäischen Bourgeoisien wollen ein starkes Europa, das imstande ist, der internationalen und besonders der amerikanischen sowie japanischen Konkurrenz Paroli zu bieten. Dieses Bedürfnis wird um so heftiger verspürt, als dass die europäischen Länder die Ambition haben, die Nationen Osteuropas einschließlich Russland in ihren Einflussbereich zu holen, was weitaus schwieriger wäre, wenn ihre Ökonomie dollarisiert wird.
4) Der dritte Grund ist rein technischer Art: die Eliminierung der Kosten für den Devisenaustausch innerhalb Euroland und der mit dem Floaten der Austauschraten verknüpften Unsicherheit (einschließlich der Kosten, die das Devisensicherungsgeschäft mit sich bringt). Da der größte Teil des Handels der europäischen Länder innerhalb der EU abgewickelt wird, ließ das Beharren auf verschiedene nationale Währungen im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und Japan die Produktionskosten steigen. Eine einzige Währung war in diesem Sinn eine natürliche Folgerung aus der ökonomischen Integration. Es gab immer weniger wirtschaftliche Argumente, um in einem Markt, in dem Steuern und Handelsregeln größtenteils vereinheitlicht sind, an verschiedenen nationalen Währungen festzuhalten.
Europa – die Basis für einen neuenimperialistischen Block?
Als Vorposten des amerikanischen imperialistischen Blocks in Europa gegründet, wurde die EWG immer mehr zu einer ökonomischen Einheit in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten. Politisch jedoch blieb sie in der Periode des Kalten Kriegs und bis zum Fall der Berliner Mauer von Letzteren dominiert. Mit dem Verschwinden der beiden imperialistischen Blöcke 1989 fand sich Europa erneut mitten im Zentrum imperialistischer Begierden. Seither haben die Gestaltung und die geostrategischen Interessen der verschiedenen imperialistischen Mächte paradoxerweise nicht in Richtung einer Auflösung, sondern einer größeren Integration Europas gedrängt!
Auf der ökonomischen Ebene unterstützen sämtliche europäischen Bourgeoisien das Projekt eines großen, einheitlichen Marktes, um mit den Amerikanern und Japanern zu konkurrieren. Doch in Fragen ihrer imperialistischen Interessen haben wir gesehen, wie jede der drei Großmächte Europas ihre Karte gegen die beiden anderen ausspielt. Und schließlich ermuntern selbst die Amerikaner die EU zur Erweiterung, wohl wissend, dass, je mehr heterogene Bestandteile und imperialistische Orientierungen in die EU integriert werden, desto weniger die EU in der Lage sein wird, irgendeine wichtige Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.
Ein genauerer Blick erspart uns Illusionen über die Fortsetzung der europäischen Integration heute. Jeder Teilnehmer in diesem Prozess nimmt nur infolge seines eigenen temporären imperialistischen Interesses und Kalküls teil. Der Konsens zugunsten einer Erweiterung der Europäischen Union ist in seiner Struktur zerbrechlich, denn er basiert auf heterogenen und divergierenden Grundlagen, die nur infolge einer Änderung in den Konstellationen des internationalen Kräftegleichgewichts zu Stande gekommen waren. Keine der Grundlagen für die Existenz der EU rechtfertigt heute die Schlussfolgerung, dass es bereits Formen eines mit dem amerikanischen Block rivalisierenden neuen imperialistischen Blocks gäbe. Worin bestehen die Hauptgründe, die zu dieser Schlussfolgerung führen?
1) Anders als eine wirtschaftliche Koordinierung, die auf einem Vertrag zwischen souveränen Bourgeoisien beruht, wie heute in der EU, ist ein imperialistischer Block eine Zwangsjacke, der einer Gruppe von Staaten durch die militärische Überlegenheit eines Landes aufgezwängt und nur aufgrund des gemeinsamen Wunsches akzeptiert wird, einer anderen Gefahr zu widerstehen oder ein feindliches Militärbündnis zu zerstören. Die Blöcke im Kalten Krieg erschienen nicht als Resultat langwieriger Verhandlungen und Übereinkünfte, wie die Europäische Union: Sie waren das Resultat des militärischen Kräfteverhältnisses, das auf dem Boden der Niederlage Deutschlands etabliert worden war. Der westliche Block wurde geboren, weil Westeuropa und Japan von den Vereinigten Staaten besetzt worden war, während der Ostblock nach der Okkupation Osteuropas durch die Rote Armee ins Leben gerufen worden war. Genausowenig kollabierte der Ostblock wegen irgendwelcher Änderungen seiner wirtschaftlichen Interessen oder seiner Wirtschaftsbündnisse, sondern weil sein Anführer, der den Zusammenhalt des Blocks durch seine Streitkräfte sicherte, nicht mehr in der Lage war, seine Autorität mit Panzern aufrechtzuerhalten, wie er es während des ungarischen Aufstandes 1956 oder in der Tschechoslowakei 1968 getan hatte. Der westliche Block schied einfach deswegen dahin, weil sein gemeinsamer Feind und damit alles, was ihn zusammengehalten hat, verschwunden war. Ein imperialistischer Block ist stets ein Zweckbündnis, niemals eine Liebesheirat. Wie Winston Churchill einst schrieb, sind militärische Allianzen nicht das Ergebnis der Liebe, sondern der Angst: die Angst vor einem gemeinsamen Feind.
2) Noch fundamentaler ist, dass Europa historisch nie einen homogenen Block gebildet hatte und stets von konfliktträchtigen Begierden zerrissen wurde. Europa und Amerika sind die beiden Zentren des Weltkapitalismus. Die USA als vorherrschende Macht in Nordamerika war durch ihre kontinentalen Dimensionen, durch ihre Lage, die potenzielle Feinde in Europa und Asien auf sicherem Abstand hielt, und durch ihre ökonomische Stärke dazu bestimmt, zur führenden Macht in der Welt zu werden. Wie wir 1999 schrieben:
„Seine ökonomische und strategische Stellung hat im Gegensatz dazu Europa dazu verdammt, zum hauptsächlichen Brennpunkt imperialistischer Spannungen im dekadenten Kapitalismus zu werden. Als Hauptschlachtfeld in beiden Weltkriegen und als der Kontinent, der im Kalten Krieg durch den ‚Eisernen Vorhang‘ geteilt worden war, hatte Europa nie eine Einheit gebildet, und im Kapitalismus wird es diese auch nie erreichen.
Wegen seiner historischen Rolle als Geburtsort des modernen Kapitalismus und seiner geographischen Lage als Halbkontinent von Asien gegenüber Nordafrika war Europa im 20. Jahrhundert zum Schlüssel des imperialistischen Ringens um die Weltherrschaft geworden. Gleichzeitig ist Europa, nicht zuletzt wegen seiner geographischen Lage, militärisch besonders schwierig zu beherrschen. Großbritannien musste selbst zu jenen Zeiten, als es noch ‚die Weltmeere beherrschte‘, zu einem komplizierten System des ‚Kräftegleichgewichts‘ greifen, um Europa in Schach zu halten. Was Deutschland unter Hitler angeht, so war selbst 1941 seine Vorherrschaft über den Kontinent mehr äußerlich als real, solange Großbritannien, Russland und Nordafrika sich in Feindeshand befanden. Selbst den Vereinigten Staaten auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges gelang es nie, mehr als die Hälfte des Kontinents zu beherrschen.
Die Ironie will es, dass seit ihrem ‚Sieg‘ über die UdSSR die Position der Vereinigten Staaten in Europa mit dem Verschwinden des ‚Reichs des Bösen‘ beträchtlich geschwächt worden war. Obgleich die einzige Supermacht der Welt eine enorme militärische Präsenz in der Alten Welt aufrechterhält, ist Europa nicht ein unterentwickeltes Gebiet, das von einer Handvoll GI-Kasernen in Schach gehalten werden kann: Vier der führenden G8-Industrieländer sind europäisch (...) wenn Europa heute das Zentrum der imperialistischen Spannungen ist, so vor allem deswegen, weil die Hauptmächte Europas selbst unterschiedliche militärische Interessen haben. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass beide Weltkriege vor allem als Kriege zwischen den europäischen Mächten begannen – so wie die Balkankriege der 1990er Jahre.“ (Bericht über die imperialistischen Konflikte für den 13. Kongress der IKS, Internationale Revue Nr 24)
3) Der Marxismus hat bereits aufgezeigt, dass interimperialistische Konflikte nicht notwendigerweise identisch sind mit Wirtschaftsinteressen. Während in den beiden Weltkriegen sich in der Tat zwei Pole gegenüberstanden, die die wirtschaftliche Hegemonie für sich beanspruchten, war dies im Kalten Krieg nicht mehr der Fall, als der westliche Block alle großen Wirtschaftsmächte um sich scharte gegen den wirtschaftlichen schwachen Ostblock, dessen ganze Stärke auf der Atommacht der UdSSR beruhte. Euroland ist eine perfekte Illustrierung der Tatsache, dass die imperialistischen strategischen Interessen und die Welthandelsinteressen der Nationalstaaten nicht identisch sind. Frankreich und Deutschland, die beiden Nationen, die die Triebkraft der EU darstellen, sind dreimal in den letzten 150 Jahren gegeneinander in den Krieg gezogen, während seit Napoleons Zeiten Großbritannien stets versucht hat, die Spaltungen Kontinentaleuropas aufrechtzuerhalten. „Die Volkswirtschaft der Niederlande zum Beispiel ist vom Weltmarkt im Allgemeinen und von der deutschen Wirtschaft im Besonderen äußerst abhängig. Daher ist dieses Land einer der leidenschaftlichsten Anhänger der deutschen Politik für eine gemeinsame Währung gewesen. Auf imperialistischer Ebene jedoch widersetzt sich die holländische Bourgeoisie gerade wegen ihrer geographischen Nähe zu Deutschland den Interessen ihres mächtigen Nachbarn, wo immer sie kann, und stellt einen der loyalsten Verbündeten der USA in der ‚Alten Welt‘ dar. Wenn der Euro zuallererst ein Eckpfeiler eines künftigen deutschen Blocks wäre, so wäre Den Haag der erste, der sich dem widersetzen würde. Doch in Wirklichkeit unterstützen Holland, Frankreich und andere Länder, die sich vor einer imperialistischen Wiederauferstehung Deutschlands fürchten, die gemeinsame Währung, gerade weil sie nicht ihre nationale Sicherheit, d.h. ihre militärische Souveränität, beeinträchtigt.“ (ebenda) Angesichts der imperialistischen Rivalitäten zwischen den europäischen Ländern selbst und auch in Anbetracht der Tatsache, dass Europa heute sich im eigentlichen Herzen der interimperialistischen Spannungen des Planeten befindet, ist es wenig realistisch anzunehmen, dass wirtschaftliche Interessen allein die europäischen Länder zusammenschweißen können. Dies ist um so mehr ausgeschlossen, als Europa, auch wenn es auf ökonomischer Ebene integriert ist, auf politischer Ebene weit davon entfernt ist, geschweige denn auf militärischer Ebene oder in der Außenpolitik. Wie können wir annehmen, dass Euroland bereits ein imperialistischer Block ist, der mit den Vereinigten Staaten rivalisiert, wenn es nicht einmal zwei wesentlichen Eigenschaften eines imperialistischen Blocks besitzt: eine Armee und eine imperialistische Strategie. Diese Tatsachen demonstrieren täglich, dass ein vereintes Europa eine Utopie ist, was wir insbesondere im Dissens unter seinen Mitgliedsländern und in der Unfähigkeit sehen können, die Regelung internationaler Konflikte zu beeinflussen, selbst wenn diese vor der eigenen Tür, wie in Jugoslawien, stattfinden.
Fritz
Fußnoten:
1 s. unsere Broschüre „Nation oder Klasse“
2 eigene Übersetzung
3 eigene Übersetzung
4 eigene Übersetzung
5 s. unsere Thesen in „Der Zerfall – die letzte Phase des Kapitalismus“ in Internationale Revue Nr. 13.