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Das Jahr 2005 ist als das Jahr mit dem höchsten Stand der Arbeitslosigkeit seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Ob im Handwerk, im Dienstleistungsbereich oder in der Industrie - in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft kam es, vornehm ausgedrückt, zu einem stellenweise massiven Einbruch in der Beschäftigungsquote. Kaum eine Woche verging, ohne dass die Öffentlichkeit im Allgemeinen und die Arbeiterklasse im Besonderen mit neuen Hiobsbotschaften konfrontiert wurden. Die Deutsche Bank kündigt den Abbau von 2.000 Arbeitsplätzen an, die Telekom sogar mehr als 30.000. Bei Opel und VW ist die Streichung von 8.500 bzw. 10.000 Arbeitsplätzen längst beschlossene Sache, und Mercedes, einst Inbegriff des krisensicheren Arbeitsplatzes, plant bis 2008 sogar die Streichung von 16.000 Arbeitsplätzen. Diese Welle verschonte dabei keinen Bereich der Arbeiterklasse: Selbst so hochqualifizierte Arbeiter wie die Beschäftigten von Infineon mussten in das bittere Brot der Arbeitslosigkeit beißen. Niemand kann sich heute noch einbilden, ungeschoren davon zu kommen.
Die Arbeiterklasse: Totgesagte leben länger
Doch wie reagiert die Arbeiterklasse auf diese unerhörten, existenziellen Angriffe des Kapitals? Sie denkt nicht daran, sich widerstandslos der wahnsinnigen Logik ihres Klassenfeindes zu fügen. Langsam, fast unmerklich gerät unsere Klasse in Bewegung. Nachdem die Mercedes-Arbeiter von Untertürkheim und Bremen sowie die Opelaner in Bochum den Anfang gemacht hatten, folgten im Herbst und Winter etliche andere Bereiche der Arbeiterklasse ihrem Beispiel. In Nürnberg protestierten die AEG-Arbeiter gegen die beabsichtigte Schließung ihres Werks mit wilden Streiks und Demonstrationen. Gegen die Pläne des Telekom-Vorstandes gingen 25.000 Beschäftigte auf die Straße. In Hamburg nahmen Tausende von Hafenarbeiter an einer 24stündigen Marathondemonstration Teil, um gegen Pläne der EU zu demonstrieren, die ihre Arbeitsplätze gefährden.
Sicherlich wehrt sich die Arbeiterklasse noch völlig unspektakulär, voller Zaudern und Zaghaftigkeit gegen ihr Schicksal. Kein Zweifel, dass sich die Klasse noch nicht einmal im Ansatz aus der gewerkschaftlichen Umklammerung befreit hat. Und auch der Anlass dieser Kämpfe, die Frage der Massenentlassungen, ist nichts Neues. Man erinnere sich nur an den Kampf der von der Arbeitslosigkeit bedrohten Stahlarbeiter im französischen Denain und Longwy Ende der 70er Jahre, der eine ganze Region lahmlegte. Oder an den Kampf der Stahlarbeiter von Krupp/Rheinhausen gegen die Schließung ihres Stahlwerks im Herbst 1987, der damals die Schlagzeilen der bürgerlichen Medien in Deutschland beherrschte. Verglichen mit der Militanz und Entschlossenheit, die diese Arbeiterkämpfe auszeichneten, nehmen sich die aktuellen Widerstandsaktionen der Klasse in der Tat geradezu schüchtern aus.
Dennoch verbergen sich hinter den noch ziemlich verhaltenen Reaktionen mehr als nur bedeutungslose Geplänkel. Die Streiks, Demonstrationen und Betriebsbesetzungen, die in den letzten Monaten den Alltag in Deutschland bereicherten, sind ein Indiz dafür, dass die Arbeiterklasse am Beginn einer neuen Kampfperiode steht. Sie deuten den Beginn einer Entwicklung an, die weit über das Niveau von Denain, Longwy und Rheinhausen hinausgehen könnte. Wenn dieser Beginn dennoch auf solch leisen Sohlen daherkommt, dann liegt dies auch daran, dass, anders als beim ersten Anlauf, der im Mai 1968 mit dem Paukenschlag des Generalstreiks der Arbeiter in Frankreich begann und eine völlig ahnungslose Bourgeoisie überrumpelte, die Arbeiterklasse es mittlerweile mit einer herrschenden Klasse zu tun hat, die alles andere als unvorbereitet ist.
Es gibt noch einen weiteren Grund für die Schwierigkeiten des Proletariats bei der Wiederbelebung seines Kampfes: die Frage der Arbeitslosigkeit selbst. Im Gegensatz zur Periode zwischen 1968 und 1989 stehen heute ausnahmslos alle Angehörigen unserer Klasse unter dem Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit. Dies wirkt sich, wie wir bereits an anderer Stelle in unserer Presse festgestellt haben, zunächst lähmend auf den Arbeiterkampf aus. Denn - so stellt sich zumindest die Frage - was macht es für einen Sinn, einen Betrieb zu bestreiken, der sowieso geschlossen werden soll?
Doch gleichzeitig birgt die Massenarbeitslosigkeit auch gesellschaftlichen Sprengstoff in sich. Wie keine andere Erscheinung stellt sie die ideologische Legitimation des System in Frage und regt die Arbeiter zu einem vertieften Nachdenken über die Perspektiven innerhalb des Kapitalismus und über die Alternativen außerhalb desselben an. Die Massivität der Entlassungswelle, die die Arbeiter auch und besonders in Deutschland überflutete, sorgt zudem dafür, dass sich allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Arbeitslosigkeit weder selbstverschuldet oder der Unfähigkeit einzelner Kapitalisten geschuldet ist noch wie ein Naturereignis hingenommen werden muss. Es geht nun nicht mehr nur um die Verteidigung des erreichten Lebensstandards, sondern zunehmend um die nackte Existenz. Immer mehr Arbeiter begreifen, dass sie reagieren müssen. Und die jüngsten Kämpfe in Deutschland, so bescheiden sie sich ausnehmen, demonstrieren leise, aber nachdrücklich die ungebrochene Kampfbereitschaft der Klasse. Daran ändern auch die Niederlagen nichts, mit denen alle bisherigen Abwehrversuche der betroffenen Arbeiter, ob bei Mercedes-Untertürkheim oder anderswo, endeten. In der Tat ist die Arbeiterklasse, die in den 90er Jahren im Rahmen der "Der Kommunismus ist tot"-Kampagne bereits begraben worden war, wieder auferstanden und kehrt langsam auf ihr ureigenes Terrain zurück.
Die Strategie der Herrschenden: Gute Kapitalisten - böse Kapitalisten
Die deutsche Bourgeoisie hat mittlerweile begriffen, dass sich der Wind gedreht hat. Nachdem es ihr noch in den 90er Jahren gelungen war, die Massenarbeitslosigkeit gleichsam als ein Naturereignis darzustellen, als eine naturnotwendige Logik, aus der es kein Entkommen gibt, hat sie nun, angesichts des wachsenden Widerstands, notgedrungen ihre Strategie geändert. Denn wenn sich schon kämpferische Reaktionen seitens der Arbeiter nicht vermeiden lassen, so muss unter allen Umständen verhindert werden, dass all die Angriffe einen Denkprozess in der Klasse auslösen, an dessen Ende die offene Infragestellung des kapitalistischen Gesellschaftssystems durch das Proletariat stehen kann.
Es war der damalige SPD-Vorsitzende und jetzige Vizekanzler und Arbeitsminister Müntefering, der mit seiner berüchtigten "Heuschrecken"-Tirade im vergangenen Frühjahr den Anfang machte. Weit entfernt davon, nur eine Eintagsfliege zu sein, läutete er den Beginn einer Kampagne der Herrschenden ein, mit der sie, anders als in den 90er Jahren, den Klassenkampf nicht länger leugnen, dafür aber versuchen, ihn mit einer Art "guten" Kapitalismus zu versöhnen. Seither werden die bürgerlichen Moralapostel aus Politik, Gewerkschaften, Kirchen und andere nicht müde, zwischen den patriotischen Unternehmern sowie den internationalen Spitzenmanagern und Großbankern, zwischen dem bodenständigen Mittelstand und den globalen Investmentgesellschaften, kurz: zwischen den "guten" und den "bösen" Kapitalisten zu unterscheiden.
Es fällt jedoch auf, dass diese "kritische" Öffentlichkeit dabei auch sehr fein zwischen dem massiven Arbeitsplatzabbau in den einheimischen Automobilwerken (Daimler, VW) einerseits und den Schließungsplänen von oftmals ausländisch geführten Gesellschaften (wie im Falle der AEG in Nürnberg, Samsung in Berlin, der Hamburger Aluminiumwerke oder der Firma Grohe) andererseits zu differenzieren wissen. Das eine begrüßen sie als längst überfällige Maßnahme, um deutsche Unternehmen für die internationale Konkurrenz fit zu machen. Das andere prangern sie hingegen als Ausverkauf deutscher Traditionsfirmen durch ausländische Finanzhaie und Konzerne an. Dabei verweisen sie gern auf den Umstand, dass es sich bei den betroffenen Werken um wirtschaftlich gesunde, ja hochprofitable Unternehmen handle, um neben der Profitgier vor allem die "ökonomische Unvernunft" der Verantwortlichen zu geißeln.
Neben dem chauvinistischen Beigeschmack, den diese Kampagne besitzt, zeichnet sie sich also auch dadurch aus, dass sie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse auf den Kopf stellt. Ihre Urheber wollen uns mit ihrem Gewäsch von der "sozialen Verantwortung" des Unternehmers allen Ernstes weismachen, dass die Kapitalisten die Verpflichtung hätten, ihre Profite in den Dienst der Arbeitsplatzerhaltung zu stellen. Und nicht nur das: so forderten Wirtschaftsminister Glos und Bundespräsident Köhler angesichts der Ertragslage der Unternehmen höhere Tariflöhne in diesem Jahr bzw. eine bessere Beteiligung der Arbeiter an den Unternehmensvermögen. All diese Demagogen übersehen dabei geflissentlich, dass die Jagd des Kapitalisten nach Profiten und Extraprofiten in Zeiten schrumpfender Märkte eben nicht zur Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern im Gegenteil zum Abbau derselben führt. Sie verschweigen wissentlich, dass die Unternehmen, selbst wenn sie es wollten, ihre Beschäftigten nicht an den wachsenden Renditen teilhaben lassen können, würde dies doch bei ihren Großaktionären auf wenig Gegenliebe stoßen.
Kurzum: sie gaukeln uns einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz vor (den es selbst im Wohlfahrtsstaat der 60er und 70er Jahre nicht gegeben hat), um uns Sand in die Augen zu streuen und den Bewusstwerdungsprozess, der in unserer Klasse eingesetzt hat, bereits im Keim zu ersticken.
Die Gewerkschaften:Keine Bündnispartner der Arbeiterklasse, sondern Agenten des Staatskapitalismus
Noch ein Wort zu den Gewerkschaften und ihren "betrieblichen Bündnissen für Arbeit". Es verhält sich mit ihnen so wie mit der Braut, die sich zunächst noch ein bisschen vor dem Werben ihres Angebeteten ziert, weil sie um ihren guten Ruf fürchtet. Auch wenn die Gewerkschaftsspitzen anfangs noch so taten, als sträubten sie sich gegen betriebliche Bündnisse, so begleiteten sie stets augenzwinkernd die Bemühungen ihres verlängerten Arms in den Betrieben, den Betriebsräten, um die Schaffung eben solcher Bündnisse. Im Kern bestehen diese Bündnisse in einem Quid pro quo: Gibst du mir dieses, gebe ich dir jenes. Sorgen Gewerkschaften und Betriebsräte dafür, dass die Beschäftigten massive Einbußen wie z.B. die unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeiten hinnehmen, sichern die Unternehmen ihrerseits für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum den Erhalt der Arbeitsplätze verbindlich zu.
Diese "Bündnisse für Arbeit" verbinden gleich zwei Vorteile für die Gewerkschaften. Zum einen sind sie ein vorzügliches Erpressungsmittel gegen die Beschäftigten, die vor die scheinheilige Wahl gestellt werden, die Kröte der Arbeitszeitverlängerung, des Lohnraubs u.ä. zu schlucken oder aber den Verlust des Arbeitsplatzes zu riskieren. Zum anderen haben sie sich bisher auch als wirksames Besänftigungsmittel gegenüber den besonders kämpferischen Teilen der Arbeiterklasse erwiesen. Dies wird besonders an den Kämpfen bei Mercedes und Opel deutlich, die erst dann eingedämmt werden konnten, als den Arbeitern entsprechende "Arbeitsplatzgarantien" zugesichert wurden.
Hinter dem heuchlerischen Vorwand, im Interesse der Arbeiterklasse zu handeln, verbirgt sich jedoch durchaus auch ein ernstes Anliegen der Gewerkschaftsfunktionäre. Mit den "Bündnissen für Arbeit" ist ihnen bisher recht erfolgreich der Spagat zwischen der Wahrung der Interessen des staatskapitalistischen Regimes (dessen treueste Vertreter die Gewerkschaften sind), dem schon aus Gründen der Selbsterhaltung und seiner imperialistischen Bedürfnisse nicht an einer Auszehrung der industriellen Substanz der deutschen Wirtschaft durch die Verlagerung von Industriewerken ins Ausland gelegen sein kann, und der Berücksichtigung der Bedürfnisse und Zwänge für die nationalen Konzerne und Unternehmen gelungen, die einem erheblichen Kostendruck durch die Billigwaren aus Fernost ausgesetzt sind.
Die Leidtragenden dieser Bündnisse sind, wen wundert's, die Arbeiter - und das gleich im doppelten Sinn. Nicht genug damit, dass sie es sind, die für diesen Kuhhandel ihren Rücken herhalten müssen. Es stellt sich darüber hinaus immer deutlicher heraus, dass die viel gerühmten Beschäftigungsgarantien nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, wie der Fall Conti in Hannover beweist, wo die Konzernspitze den bis Ende 2007 datierten "Beschäftigungspakt" kurzerhand kündigte. Dass der Aufschrei der Gewerkschaften angesichts eines solchen Affronts groß ist, liegt auf der Hand. Neben dem Rückschlag, den ihr Bestreben erleidet, den deutschen Staat vor einer weiteren Aushöhlung seiner industriellen Basis zu bewahren, nimmt auch ihre Glaubwürdigkeit in der Arbeiterklasse Schaden.
Für Letztere kann es nur eine Konsequenz geben. Sie dürfen weder den "guten" Kapitalisten noch ihren Versprechungen trauen. Und schon gar nicht den Gewerkschaften, die noch immer die effektivsten Fallensteller des bürgerlichen Staates sind. Es gibt kein Bündnis zwischen Arbeit und Kapital, sondern vielmehr ein epochales und tagtägliches Ringen zweier historischer Klassen, Arbeiterklasse und Bourgeoisie, in dem allein das jeweilige Kräfteverhältnis über das Schicksal der Arbeiterklasse entscheidet - und nicht irgendwelche "Beschäftigungsgarantien". Mit anderen Worten: die Arbeiter müssen den Kampf aufnehmen, um den Kurs der Bourgeoisie in die Verelendung großer Teile der Menschheit aufzuhalten. Sie muss lernen, ihren Kampf selbständig und gegen die Gewerkschaften zu organisieren. Und sie muss vor allem ihre Fähigkeit entwickeln, aus den Niederlagen, die ihren Kampf begleiten, Lehren für den künftigen Sieg der sozialen Revolution zu ziehen. 15.1.2006