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'Der Kommunismus ist tot! Der Kapitalismus hat gesiegt, weil er das einzige System ist, das wirklich funktionieren kann. Es ist nutzlos und gar gefährlich, von einer anderen Gesellschaft zu träumen!' Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der angeblich "kommunistischen" Regimes wurde von der herrschenden Klasse eine beispiellose Kampagne entfesselt. Gleichzeitig und in die gleiche Kerbe schlagend hat die Propaganda der Herrschenden ein weiteres Mal versucht, die Arbeiterklasse zu demoralisieren, indem sie ihr einzureden versuchte, daß sie keine gesellschaftliche Kraft mehr sei, daß sie nicht mehr zähle, ja nicht einmal mehr existiere. Und damit ihre Rechnung aufgeht, hat sie sich eifrig darum bemüht, die Bedeutung des Rückgangs in der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse aufzubauschen, der aus den Konfusionen resultierte, die die Umwälzungen der letzten Jahre in den Rängen der Arbeiter ausgelöst hatten. Das Wiedererstarken des Klassenkampfes, das sich bereits andeutet, wird solche Lügen in der Praxis widerlegen; doch die Bourgeoisie wird selbst im Verlaufe großer Arbeiterkämpfe nicht aufhören, uns die Idee einzutrichtern, daß diese Kämpfe keinesfalls die Überwindung des Kapitalismus und die Errichtung einer Gesellschaft anstreben können, die von all den Geißeln befreit ist, die dieses System der Menschheit aufzwingt. So bleibt heute entgegen all der Lügen der Herrschenden, aber auch gegen den Skeptizismus einiger Möchtegern-Revolutionäre die Bekräftigung des revolutionären Charakters des Proletariats in der Verantwortung der Kommunisten. Dies ist der Zweck dieses Artikels.
Ein Hauptthema in den Kampagnen, denen wir in den letzten Jahren ausgesetzt waren, war die "Widerlegung" des Marxismus. Letzterer sei, nach den Worten der von der Bourgeoisie gedungenen Ideologen, gescheitert. Seine praktische Umsetzung und sein Versagen in den osteuropäischen Ländern seien eine Veranschaulichung dieses Scheiterns. Wir haben immer wieder in unserer Revue aufgezeigt, daß der Stalinismus mit dem Kommunismus, so wie Marx und die gesamte Arbeiterbewegung ihn aufgefaßt hatten, nichts zu tun hat.(1) In Hinblick auf das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse ist es die Aufgabe der Kommunisten, die marxistische Position in dieser Frage zu bekräftigen und in erster Linie daran zu erinnern, was der Marxismus unter einer revolutionären Klasse versteht.
Was ist eine revolutionäre Klasse nach marxistischem Verständnis?
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" (2). So beginnt einer der wichtigsten Texte des Marxismus und der Arbeiterbewegung: "Das Kommunistische Manifest". Diese These ist keine Besonderheit des Marxismus (3), sondern eine der fundamentalen Grundlagen in der kommunistischen Theorie, die besagt, daß die Klassenkonfrontationen in der kapitalistischen Gesellschaft als ultimative Perspektive den Sturz der Bourgeoisie durch das Proletariat und die Machtausübung durch Letzteres über die gesamte Gesellschaft zum Ziel haben - eine These, die freilich von den Vertretern des kapitalistischen Systems abgelehnt wird. Doch während die Bourgeoisie in der Aufstiegsperiode dieses Systems (natürlich unvollständig und mystifiziert) eine gewisse Zahl von gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten entdeckt hat (4), gibt es heute kaum Aussichten, daß sich dies wiederholt: die Bourgeoisie der kapitalistischen Dekadenz ist völlig unfähig geworden, solche Denker hervorzubringen. Für die Ideologen der herrschenden Klasse beschränkt sich die fundamentale Priorität ihrer gesamten gedanklichen Anstrengungen darauf zu beweisen, daß die marxistische Theorie falsch ist (auch wenn einige von ihnen sich auf den einen oder anderen Beitrag von Marx berufen). Und der Eckpfeiler ihrer "Theorien" ist die Behauptung, daß der Klassenkampf keine Rolle mehr in der Geschichte spiele, wenn nicht gar die schlichte Leugnung eines solchen Kampfes oder - schlimmer noch - der Existenz sozialer Klassen.
Nicht nur die erklärten Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft bringen solche Behauptungen vor. Einige "radikale Denker", die mit der Anfechtung der etablierten Ordnung Karriere gemacht haben, haben sich ihnen seit einigen Jahrzehnten angeschlossen. Der Guru der Gruppe SOCIALISME OU BARBARIE (und Inspirator der Gruppe SOLIDARITY in Großbritannien), Cornelius Castoriadis, hatte vor nahezu vierzig Jahren - zur gleichen Zeit, als er die Ablösung des Kapitalismus durch ein "drittes System", die "bürokratische Gesellschaft", vorhergesagt hatte - angekündigt, daß der Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, unweigerlich dem Antagonismus zwischen "Führern und Geführten" weichen werde.(5) In der jüngeren Geschichte haben andere "Denker", die ihre Sternstunde hatten, wie der Universitätsdozent Marcuse, behauptet, daß die Arbeiterklasse in die kapitalistische Gesellschaft "integriert" worden sei und daß die einzigen Kräfte, die diese Gesellschaft infrage stellen könnten, nunmehr von gesellschaftlichen Randgruppen wie den Schwarzen in den USA, den Studenten oder auch den Bauern der unterentwickelten Staaten verkörpert würden. So stellen die Theorien über das "Ende der Arbeiterklasse", die heute wieder aufzublühen beginnen, keine Neuigkeit dar: Eines der Merkmale im "Denken" dieser Klasse, eines, das ihre Senilität gut zum Ausdruck bringt, ist die Unfähigkeit, auch nur eine neue Idee, so geringfügig sie auch sein mag, zu kreieren. Die einzige Sache, die sie zu verwirklichen imstande ist, ist, in den Mülleimern der Geschichte zu wühlen, um alte Klischees hervorzukramen, die dem heutigen Geschmack entsprechend überstrichen und als die "Entdeckung des Jahrhunderts" präsentiert werden.
Ein bevorzugtes Mittel, das die Bourgeoisie zur Verschleierung der Wirklichkeit der Klassengegensätze und selbst der Existenz von Gesellschaftsklassen benutzt, sind soziologische "Studien". Statistisch gestützt, "beweist" man, daß die wahren sozialen "Spaltungen" nichts mit Klassenunterschieden zu tun hätten, sondern auf Kriterien wie das Bildungsniveau, den Wohnort, die Altersstufe, die ethnische Herkunft, ja sogar die Religion (6) zurückzuführen seien. Als Beweis für diese Sorte von Behauptungen beeilt man sich beispielsweise auf die Tatsache zu verweisen, daß die Stimmabgabe eines "Bürgers" zugunsten der Rechten oder der Linken weniger von der wirtschaftlichen Situation als von anderen Kriterien abhänge. In den Neuenglandstaaten in den USA wählen die Schwarzen und Juden traditionell demokratisch, die praktizierenden Katholiken in Frankreich, die Elsässer und die Einwohner von Lyon wählen traditionell rechts. Man vermeidet jedoch, darauf hinzuweisen, daß die Mehrheit der amerikanischen Arbeiter nie wählt und daß die Kirchgänger unter den französischen Arbeitern in Streiks nicht zwangsläufig weniger kämpferisch sind. Im allgemeinen unterläßt es die "Soziologie" stets, ihre Behauptungen mit einer historischen Dimension zu versehen. So verschweigt man, daß dieselben russischen Arbeiter, die sich in die erste proletarische Revolution dieses Jahrhunderts, die von 1905, stürzten, am 9. Januar (der "rote Sonntag") mit einer Demonstration begannen, an deren Spitze ein Pope marschierte, und das Wohlwollen des Zaren ersuchten, damit er ihre Armut lindert.(7)
Wenn sich die "Experten" der Soziologie auf die Geschichte beziehen, dann, um zu behaupten, daß sich die Lage seit dem letzten Jahrhundert grundlegend geändert habe. Damals, meinen sie, seien der Marxismus und die Theorie des Klassenkampfes sinnvoll gewesen, da die Arbeits- und Lebensbedingungen der Industriearbeiter wirklich entsetzlich gewesen seien. Doch seitdem seien die Arbeiter "verbürgerlicht" und hätten Zugang zur "Konsumgesellschaft" erlangt, bis sie "ihre Identität verloren" hätten. Auch hätten die Bourgeois mit Zylinder und Goldkette bezahlten "Managern" Platz gemacht. All diese Überlegungen sollen die Tatsache verwischen, daß sich die Grundstrukturen der Gesellschaft in ihrem Kern nicht verändert haben. Tatsächlich sind die Bedingungen, die im vergangenen Jahrhundert der Arbeiterklasse ihren revolutionären Charakter verliehen haben, immer präsent. Die Tatsache, daß der Lebensstandard der Arbeiter heute über dem ihrer Klassenbrüder der vergangenen Generationen liegt, verändert keinesfalls ihre Stellung in den Produktionsverhältnissen, die die kapitalistische Gesellschaft dominieren. Die Gesellschaftsklassen bestehen nach wie vor, und die Kämpfe zwischen ihnen bilden stets den Hauptantrieb der historischen Entwicklung.
Es ist wirklich eine Ironie der Geschichte, daß die offiziellen Ideologien der Bourgeoisie einerseits vorgeben, daß die Klassen keine besondere Rolle mehr spielen (ja sogar nicht mehr existieren), und andererseits anerkennen, daß die ökonomische Lage der Welt die ausschlaggebende Frage ist, mit der die dieselbe Bourgeoisie konfrontiert ist.
In Wirklichkeit rührt die grundlegende Bedeutung der Klassen in der Gesellschaft aus dem herausragenden Platz her, den die wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen einnehmen. Eine der Grundaussagen des historischen Materialismus lautet, daß die Ökonomie letzten Endes alle anderen Bereiche der Gesellschaft, die juristischen Verhältnisse, die Regierungsformen, die Denkweisen, bestimmt. Diese materialistische Auffassung der Geschichte schlägt freilich eine Bresche in jene Philosophien, die die historischen Ereignisse mal als reine Zufallsergebnisse, mal als Ausdruck eines göttlichen Willens, mal als das simple Resultat der Leidenschaften oder des menschlichen Denkens betrachten. Doch wie Marx schon damals sagte, übernimmt die Krise die Aufgabe, die Dialektik in die Köpfe der Bourgeois zu treiben. Die heute offensichtliche Tatsache dieser Vorherrschaft der Ökonomie in der Gesellschaft ist entscheidend für die Bedeutung der Gesellschaftsklassen, eben weil sie im Gegensatz zu anderen soziologischen Kategorien von ihrer Stellung in den ökonomischen Verhältnissen bestimmt werden. Dies war seit der Existenz von Klassen stets der Fall gewesen, doch im Kapitalismus drückt sich diese Realität am deutlichsten aus.
In der Feudalgesellschaft beispielsweise war die soziale Differenzierung per Gesetz festgehalten. Es existierte ein fundamentaler juristischer Unterschied zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten: die Adligen besaßen offiziell, per Gesetz, einen privilegierten Status (Befreiung von der Steuerpflicht, Einziehung eines Tribut, der von ihren Leibeigenen gezahlt wurde, z.B.), während die ausgebeuteten Bauern an ihrer Scholle gefesselt waren und einen Teil ihres Einkommens an ihren Fronherrn abführen mußten (oder kostenlos auf seinem Land zu arbeiten hatten). In einer solchen Gesellschaft schien die Ausbeutung, weil sie leicht meßbar war (beispielsweise in Gestalt des von dem Leibeigenen abzuführenden Tributs), aus dem jeweiligen juristischen Status hervorzugehen. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen erlauben die Abschaffung der Privilegien, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die Gleichheit und die Freiheit, die ihre Verfassungen proklamieren, keine Ausbeutung und Differenzierung in Klassen mehr, die sich hinter den Unterschieden des juristischen Status verstecken. Es ist das Eigentum, oder Nicht-Eigentum, von Produktionsmitteln (8) und auch ihre Anwendung, das im wesentlichen den Platz des Einzelnen in der Gesellschaft und über seinen Zugang zu ihren Reichtümerin der Gesellschaft bestimmt, das heißt, die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse und die Existenz von gemeinsamen Interessen mit den anderen Mitgliedern derselben Klasse. In groben Zügen bestimmt die Tatsache, Produktionsmittel zu besitzen und sie individuell in Bewegung zu setzen, die Zugehörigkeit zum Kleinbürgertum (Handwerker, Bauern, freiberuflich Tätige, etc.).(9) Die Tatsache, jeglicher Produktionsmittel beraubt und gezwungen zu sein, seine Arbeitskraft an jene zu verkaufen, die sie besitzen und die diesen Tausch nutzen, um sich einen Mehrwert anzueignen, bestimmt die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse. Schließlich gehören zur Bourgeoisie jene, die (im strikt juristischen oder globalen Sinn ihrer individuellen oder kollektiven Kontrolle) über die Produktionsmittel verfügen, welche die Arbeitskraft in Arbeit versetzt, und die von der Ausbeutung Letzterer durch die Aneignung des Mehrwerts leben, den diese erzeugen. Im Wesentlichen ist diese Differenzierung in Klassen heute genauso präsent, wie sie es im vergangenen Jahrhundert gewesen war. Auch die jeweiligen Interessen dieser unterschiedlichen Klassen und die Interessenskonflikte zwischen ihnen bleiben bestehen. Daher befinden sich die Antagonismen zwischen den Hauptbestandteilen der Gesellschaft, die dadurch bestimmt sind, was ihr Skelett bildet - die Ökonomie -, weiterhin im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens.
Abgesehen davon, drücken sich die Antagonismen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, auch wenn sie einer der Hauptantriebe in der Geschichte der Gesellschaften sind, nicht identisch in jeder Gesellschaft aus. In der Feudalgesellschaft führten die oftmals unbarmherzigen und großangelegten Kämpfe zwischen den Leibeigenen und den Fürsten nie zu einem radikalen Sturz Letzterer. Der Klassengegensatz, der zum Sturz des Ancien Régime führte und die Privilegien des Adels abschaffte, war nicht jener, in dem sich der Adel und die Klasse, die er ausbeutet, die unterjochte Bauernschaft, gegenüberstanden, sondern die Konfrontation zwischen eben jenem Adel und einer anderen ausbeutenden Klasse, der Bourgeoisie (englische Revolution Mitte des 17. Jahrhunderts, französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts). Auch die Sklavenhaltergesellschaft des Römischen Imperiums wurde nicht durch die Sklavenklasse abgeschafft (ungeachtet der oft gewaltigen Kämpfe der Sklaven, wie z.B. der Aufstand von Spartakus und seinen Anhängern 73 v.Chr.), sondern durch den Adel, der über ein Jahrtausend lang den christlichen Westen beherrschen sollte.
In Wirklichkeit waren in den vergangenen Gesellschaften die revolutionären Klassen nie ausgebeutete Klassen, sondern neue ausbeutende Klassen. Und dies ist natürlich kein Zufall. Für den Marxismus unterscheiden sich die revolutionären Klassen (die er auch als "historische" Klassen bezeichnet) von den anderen Klassen der Gesellschaft darin, daß sie im Gegensatz zu Letzteren die Fähigkeit besitzen, die Führung der Gesellschaft zu übernehmen. Und solange die Entwicklung der Produktivkräfte noch unzureichend war, um einen Überfluß von Gütern für die gesamte Gesellschaft zu gewährleisten, solange die Gesellschaft mit der Aufrechterhaltung von ökonomischen Ungleichheiten und somit von Ausbeutungsverhältnissen behelligt wurde, war nur eine ausbeutende Klasse in der Lage, sich an die Spitze des gesellschaftlichen Körpers zu setzen. Ihre historische Rolle bestand darin, die Entstehung und Entwicklung der Produktionsverhältnisse, deren Träger sie war, zu begünstigen, um so die alten, überholten Produktionsverhältnisse zu verdrängen und die Widersprüche zu meistern, die unüberwindbar waren, solange diese Verhältnisse aufrechterhalten blieben.
So war die dekadente römische Sklavenhaltergesellschaft durch den Umstand, daß die Abhängigkeit bei der "Versorgung" mit Sklaven von neuen territorialen Eroberungen auf das wachsende Problem Roms stieß, die Grenzen seines immer aufgeblähteren Imperiums zu kontrollieren, und gleichzeitig durch die Unfähigkeit gekennzeichnet, die erforderliche Sorgfalt im Umgang mit neuen landwirtschaftlichen Techniken unter den Sklaven durchzusetzen. In solch einer Lage waren feudale Herrschaftsverhältnisse, in denen die Ausgebeuteten nicht mehr den gleichen Status hatten wie das Vieh (wie dies bei den Sklaven der Fall gewesen war) (10) und in der sie an einer größeren Produktivität des von ihnen bestellten Bodens stark interessiert waren, weil sie davon lebten, am besten geeignet, um die Gesellschaft aus ihrer Talsohle herauszuführen. Daher haben sich die neuen Verhältnisse insbesondere durch die Emanzipation der Sklaven verbreitet (was an bestimmten Orten durch das Erscheinen der "Barbaren" beschleunigt wurde, von denen einige bereits in einer Art von Feudalgesellschaft lebten).
Auch besteht der Marxismus (der mit dem KOMMUNISTISCHEN MANIFEST beginnt) auf der herausragenden revolutionären Rolle, die die Bourgeoisie im Laufe der Geschichte gespielt hatte. Diese Klasse, die innerhalb der Feudalgesellschaft entstanden war und sich verbreitet hatte, hatte einen Machtzuwachs gegenüber einem Adel und einer Monarchie erlebt, die sowohl bezüglich der Beschaffung aller möglichen Güter (Textilien, Möbel, Gewürze, Waffen) als auch hinsichtlich der Finanzierung ihrer Ausgaben immer mehr von ihr abhingen. Als mit dem Wegfall der Möglichkeiten der Urbarmachung und der Ausweitung des kultivierten Landes eine der Quellen der Dynamik der feudalen Produktionsverhältnissees versiegte, als mit der Bildung von Königreichen der Adel zusammen mit der Rolle des Beschützers des Volkes, die anfangs die Hauptaufgabe des Adels gewesen war, seinen Daseinsgrund verlor, wurde die Kontrolle der Gesellschaft durch diese Klasse zu einem Hemmnis für die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Und dies wurde von der Tatsache verstärkt, daß diese Weiterentwicklung immer mehr vom Wachstum des Handels, der Banken und des Handwerks in den Städten abhing, die einen beträchtlichen Fortschritt der Produktivkräfte erlebten.
Indem sie sich an die Spitze der Gesellschaft stellte, zunächst im wirtschaftlichen, dann im politischen Bereich, befreite die Bourgeoisie die Gesellschaft aus den Fesseln, die sie in die Krise gestürzt hatten; sie schuf die Voraussetzungen für das Wachstum des gewaltigsten Reichtums, den die menschliche Geschichte jemals erlebt hatte. Dabei ersetzte sie nur eine Form der Ausbeutung, die Leibeigenschaft, durch eine andere Form der Ausbeutung, die Lohnarbeit. Um dies zu erreichen, sah sie sich veranlaßt, in der Periode, die Marx die primitive Akkumulation nannte, barbarische Maßnahmen zu ergreifen, die denen der Sklavenhalter ebenbürtig waren, damit die Bauern gezwungen wurden, ihre Arbeitskraft in den Städten zu verkaufen (siehe dazu die eindrucksvollen Schilderungen im ersten Band des Kapitals). Und diese Barbarei kündigte selbst nur die Barbarei an, mit der das Kapital das Proletariat ausbeuten sollte (Kinderarbeit, Nachtarbeit für Frauen und Kinder, Arbeitstage von bis zu 18 Stunden, die "Arbeitshäuser" usw.), ehe es den Kämpfen der Arbeiter gelang, die Kapitalisten zu zwingen, die Brutalität ihrer Methoden zu mildern.
Seit ihrer Entstehung hat die Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung aufbegehrt. Auch waren diese Revolten stets von Entwürfen begleitet, die auf die Umwälzung der Gesellschaft, auf die Abschaffung der Ungleichheiten, auf die gemeinsame Verfügung über die gesellschaftlichen Güter abzielten. Hier unterschied sie sich nicht grundlegend von den früheren ausgebeuteten Klassen, insbesondere nicht von den Leibeigenen, die sich selbst auch in manchen Revolten hinter einem Vorhaben der gesellschaftlichen Transformation zusammengeschlossen hatten. Dies traf insbesondere auf den Bauernkrieg im 16. Jahrhundert in Deutschland zu, wo die Ausgebeuteten Thomas Müntzer, der eine Art Kommunismus befürwortete, zu ihrem Sprachrohr machten.(11) Doch im Gegensatz zum Entwurf der gesellschaftlichen Transformation anderer ausgebeuteter Klassen ist jener des Proletariats keine schlichte, unrealisierbare Utopie. Der Traum von einer egalitären Gesellschaft ohne Herrschaft und Ausbeutung, den die Sklaven und Leibeigenen täumten, konnte nur ein schlichtes Trugbild sein, denn das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte, das die Gesellschaft damals erlangt hatte, erlaubte keine Abschaffung der Ausbeutung. Dagegen ist das kommunistische Projekt des Proletariats völlig realistisch, nicht nur weil der Kapitalismus die Grundlagen für eine solche Gesellschaft gelegt hat, sondern auch weil der Kommunismus das einzige Gesellschaftsprojekt ist, das die Menschheit aus der Barbarei retten kann, in der sie versinkt.
Warum das Proletariat heute die revolutionäre Klasse ist
Seitdem das Proletariat begonnen hatte, sein eigenes Gesellschaftsprojekt vorzubringen, hatte die Bourgeoisie nur Verachtung dafür übrig und betrachtete dies als die Hirngespinste eines Rufenden in der Wüste. Und wenn sie sich mal die Mühe macht, über diese schlichte Verachtung hinauszugehen, ist die einzige Sache, die sie sich vorstellen kann, die, daß es sich mit den Arbeitern genauso wie mit den früheren Ausgebeuteten verhält: alles, was sie können, ist, unmögliche Utopien zu träumen. Offensichtlich scheint die Geschichte der Bourgeoisie recht zu geben; ihre Philosophie kann man wie folgt zusammenfassen: 'Es hat immer Arme und Reiche gegeben, es wird sie immer geben. Die Armen können durch ihre Revolten gar nichts gewinnen. Man muß dafür sorgen, daß die Reichen keinen Mißbrauch mit ihrem Reichtums betreiben und sich darum kümmern, daß das Elend der Ärmsten gelindert wird'. Die Priester und die Damen der Wohltätigkeitsorganisationen haben sich zu Sprachrohren und Praktikern dieser "Philosophie" gemacht. Die Bourgeoisie weigert sich, einzusehen, daß ihr Wirtschafts- und Gesellschaftssystem genausowenig wie die vorhergehenden auf ewig hält und daß es wie die Sklavenhaltergesellschaft oder der Feudalismus dazu verurteilt ist, einer neuen Gesellschaftsform Platz zu machen. Und so wie die Charakteristiken des Kapitalismus die Lösung der Widersprüche ermöglicht hatte, die die Feudalgesellschaft niedergestreckt hatten (wie dies auch schon mit dem Feudalismus gegenüber der antiken Gesellschaft der Fall gewesen war), rühren die Merkmale jener Gesellschaft, die dazu berufen ist, die tödlichen Widersprüche zu lösen, die den Kapitalismus bedrängen, aus derselben Notwendigkeit her. Wenn man also von diesen Widersprüchen ausgeht, ist es möglich, die Merkmale der zukünftigen Gesellschaft zu definieren.
Natürlich können wir im Rahmen dieses Artikels nicht im Einzelnen auf die Widersprüche eingehen. Seit mehr als einem Jahrhundert hat sich der Marxismus damit systematisch befaßt, und auch unsere eigene Organisation hat ihnen zahlreiche Texte gewidmet (12). Doch wir wollen in groben Zügen die Ursprünge dieser Widersprüche umreißen. Sie wohnen den Hauptmerkmalen des kapitalistischen Systems inne: es ist eine Produktionsweise, die den Warentausch auf alle erzeugten Güter ausgeweitet hat, während in den früheren Gesellschaften nur ein Teil dieser Güter, oft ein sehr geringer, in Waren umgewandelt wurde. Diese Kolonisierung der Ökonomie durch die Ware hat im Kapitalismus auch die menschliche Arbeitskraft erfaßt, die von den Menschen bei ihren produktiven Tätigkeiten angewendet wird. Der Produktionsmittel beraubt, hat der Produzent, um zu überleben, keine andere Möglichkeit, als seine Arbeitskraft jenen verkaufen, die über diese Produktionsmittel verfügten - die kapitalistische Klasse -, während es in der Feudalgesellschaft beispielsweise, in der bereits eine Warenwirtschaft existierte, die Früchte seiner Arbeit waren, die der Handwerker oder der Bauer verkaufte. Und es ist ebendiese Verallgemeinerung der Waren, die die Wurzel der Widersprüche des Kapitalismus bildet: die Überproduktionskrise ist darauf zurückzuführen, daß das Ziel des Systems nicht in der Produktion von Gebrauchswerten besteht, sondern in der Produktion von Tauschwerten, die Käufer finden müssen. Aus der Unfähigkeit der Gesellschaft, die Gesamtheit der produzierten Waren zu kaufen (obwohl die tatsächlichen Bedürfnisse noch längst nicht befriedigt sind), rührt diese Kalamität her, die wirklich absurd erscheint: der Kapitalismus bricht zusammen, nicht weil er zu wenig, sondern weil er zuviel produziert.(13)
Das wichtigste Merkmal des Kommunismus wird also die Abschaffung der Ware, die Verbreitung der Produktion von Gebrauchswerten und nicht von Tauschwerten sein.
Darüber hinaus haben der Marxismus und insbesondere Rosa Luxemburg aufgezeigt, daß der Ursprung der Überproduktion aus der Notwendigkeit für das Kapital in seiner Gesamtheit herrührt, den Teil des erzeugten Werts, der dem aus den Proletariern herausgepreßten Mehrwert entspricht und der für die Akkumulation bestimmt ist, durch den Verkauf außerhalb seiner eigenen Sphäre zu realisieren. Aber in dem Maße, wie die außerkapitalistischen Regionen zusammenschrumpfen, nehmen die ökonomischen Erschütterungen immer katastrophalere Formen an.
So besteht der einzige Weg zur Überwindung der Widersprüche des Kapitalismus in der Abschaffung aller Warenformen und insbesondere der Ware Arbeitskraft, d.h. der Lohnarbeit.
Die Abschaffung des Warentauschs setzt voraus, daß auch dessen Grundlage, das Privateigentum, abgeschafft wird. Nur wenn die Reichtümer von der Gesellschaft kollektiv angeeignet werden, können Kauf und Verkauf dieser Reichtümer verschwinden (was es in embryonaler Gestalt bereits in der Urgemeinde gab). Eine solche kollektive Aneignung der von ihr produzierten Reichtümer und an erster Stelle der Produktionsmittel durch die Gesellschaft bedeutet, daß es nicht mehr möglich sein wird, daß ein Teil von ihr, eine soziale Klasse (auch in Gestalt einer Staatsbürokratie), über die Mittel verfügt, um einen anderen Teil auszubeuten. So kann die Abschaffung der Lohnarbeit nicht durch die Einführung einer neuen Ausbeutungsform, sondern allein durch die Abschaffung der Ausbeutung in all ihren Formen verwirklicht werden. Und im Gegensatz zur Vergangenheit darf die Art der Transformation, die heute die Menschheit retten kann, nicht wiederum zu neuen Ausbeutungsverhältnissen führen; der Kapitalismus selbst hat die materiellen Voraussetzungen für einen Überfluß geschaffen, der eine Überwindung der Ausbeutung ermöglicht. Dieser Umstand eines Überflusses deutet sich auch in der Existenz der Überproduktionskrisen an (wie das KOMMUNISTISCHE MANIFEST enthüllte).
Die Frage, vor der wir stehen, ist also: welche Kraft in der Gesellschaft ist in der Lage, diese Transformation durchzuführen, die das Privateigentum abschafft und jeglicher Form von Ausbeutung ein Ende bereitet?
Das erste Merkmal dieser Klasse besteht darin, ausgebeutet zu werden, denn nur eine ausgebeutete Klasse kann ein Interesse an der Abschaffung der Ausbeutung haben. Während in den Revolutionen der Vergangenheit die revolutionäre Klasse keinesfalls eine ausgebeutete Klasse sein konnte, weil die neuen Produktionsverhältnisse zwangsläufig neue Ausbeutungsverhältnisse waren, ist heute genau das Gegenteil der Fall. Seinerzeit hegten die utopischen Sozialisten (wie Fourier, Saint-Simon, Owen) (14) die Illusion, daß die Revolution von Elementen der Bourgeoisie in die Hand genommen werden könnte. Sie hofften, daß sich innerhalb der herrschenden Klasse aufgeklärte und vermögende Menschenfreunde finden, die die Überlegenheit des Kommunismus über den Kapitalismus erkennen und bereit sind, Projekte idealer Gemeinschaften zu finanzieren, deren Beispiel sich dann wie ein Lauffeuer verbreiten sollten. Da die Geschichte nicht von Individuen, sondern von Klassen gemacht wird, wurden diese Hoffnungen innerhalb weniger Jahrzehnte zunichtegemacht. Selbst wenn sich einige wenige Mitglieder der Bourgeoisie fanden, die sich den großmütigen Ideen der Utopisten anschlossen (15), hat sich die herrschende Klasse isgesamt freilich davon abgewandt, wenn sie diese Ideen nicht gar offen bekämpft hat, zielten diese doch darauf ab, die herrschende Klasse dazu zu bringen, als eine Klasse zu verschwinden.
Allerdings reicht die Tatsache, eine ausgebeutete Klasse zu sein, keineswegs aus, um eine revolutionäre Klasse zu sein. Es gibt zum Beispiel heute noch auf der Welt und insbesondere in den unterentwickelten Ländern eine Vielzahl von armen Bauern, die unter der Ausbeutung infolge der Aneignung der Früchte ihrer Arbeit durch die herrschende Klasse leiden, sei es direkt, sei es durch die Steuern oder durch die Zinsen, die sie an Banken oder Wucherer abführen müssen, bei denen sie verschuldet sind. Die Mystifikationen der Ideologien der Drittweltaktivisten, der Maoisten, Guevaristen usw. ruhen auf der oft unerträglichen Armut dieser Bauernschichten. Als diese Bauern dazu verleitet wurden, zu den Waffen zu greifen, taten sie dies nur als das Fußvolk dieser oder jener Cliquen der Bourgeoisie, die, sobald sie an der Macht waren, sich beeilten, die Ausbeutung noch weiter zu verschärfen, und dies oft in besonders grauenhafter Manier (siehe z.B. das Abenteuer der Roten Khmer in Kambodscha in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre). Der Rückzug dieser Mystifikationen (die sowohl von den Stalinisten als auch von den Trotzkisten und einigen "radikalen Denkern" wie Marcuse verbreitet wurden) spiegelt schlicht das offenkundige Scheitern der "revolutionären Perspektive" wider, deren Träger angeblich die arme Bauernschaft ist. Obgleich die Bauern auf die verschiedenste Art ausgebeutet werden und obwohl sie auch manchmal sehr gewaltsame Kämpfe führen, um ihrer Ausbeutung Grenzen zu setzen, können sie diesen Kämpfen nie die Abschaffung des Privateigentums zum Ziel setzen, da sie selbst kleine Eigentümer sind oder Letztere zum Nachbarn haben und ihnen nacheifern.(16)
Und wenn sich die Bauern kollektive Strukturen zulegen, um ihr Einkommen durch Verbesserungen in ihrer Produktivität oder durch den Verkauf ihrer Erzeugnisse aufzubessern, nimmt dies üblicherweise die Gestalt von Genossenschaften an, die weder das Privateigentum noch den Warentausch infragestellen.(17) Kurz und gut, die gesellschaftlichen Klassen und Schichten, die als Überreste der Vergangenheit auftreten (Bauern, Handwerker, Freiberufler usw.) (18) und nur fortbestehen, weil der Kapitalismus, unabhängig davon, daß er die Weltwirtschaft vollständig beherrscht, unfähig ist, alle Produzenten in Lohnarbeit umzuwandeln, können nicht Träger eines revolutionären Gesellschaftsprojektes sein. Ganz im Gegenteil, die einzige Perspektive, von der sie unter Umständen träumen können, ist die Rückkehr in ein mystisches "goldenes Zeitalter" der Vergangenheit: die Dynamik ihrer spezifischen Kämpfe kann nur reaktionär sein.
Da die Abschaffung der Ausbeutung im wesentlichen mit der Abschaffung der Lohnarbeit einhergeht, ist nur die Klasse, die dieser besonderen Form der Ausbeutung ausgesetzt ist, d.h. das Proletariat, imstande, ein revolutionäres Gesellschaftsprojekt zu tragen. Allein die Klasse, die in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ausgebeutet wird, die das Produkt dieser Produktionsverhältnisse ist, ist imstande, sich eine Perspektive zuzulegen, um diese Verhältnisse zu überwinden.
Infolge der Entwicklung der Großindustrie, einer Vergesellschaftung des Produktionsprozesses, wie es sie noch nie in der Geschichte der Menschheit gegeben hat, kann das moderne Proletariat nicht von einer Rückkehr in die Vergangenheit träumen.(19) Während beispielsweise die Umverteilung oder die Aufteilung des Landes eine "realistische" Forderung der armen Bauern sein kann, wäre es absurd, wenn die Arbeiter, die auf assoziierte Weise Waren herstellen, dabei Einzelteile, Rohstoffe und Technologien aus der ganzen Welt einverleibend, fordern, ihre Firma in ihre Einzelteile zu zerlegen, um sie unter sich aufzuteilen. Selbst die Illusionen über die Selbstverwaltung, d.h. über den Betrieb als gemeinsames Eigentum aller Beschäftigten (was eine moderne Auffassung von Arbeitergenossenschaften darstellt), verliert an Einfluß. Nach zahlreichen, auch jüngsten Erfahrungen (wie die LIP-Werke in Frankreich Anfang der 70er Jahre), die im allgemeinen in einer Konfrontation zwischen der Gesamtheit der Arbeiter und jenen endeten, die zuvor zu Geschäftsführern berufen worden waren, ist sich die Mehrheit der Arbeiter sehr wohl bewußt, daß in Anbetracht der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit des Unterehmens auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu wahren, Selbstverwaltung nur Selbstausbeutung heißen kann. Wenn die Arbeiterklasse ihren historischen Kampf entwickelt, kann sie nur nach vorn blicken: nicht in Richtung einer Zerstückelung des kapitalistischen Eigentums und der kapitalistischen Produktion, sondern in Richtung einer Vollendung des Vergesekllschaftungsprozesses, den der Kapitalismus beträchtlich vorangetrieben hat, den er aber aufgrund seines Charakters nicht zum Abschluß bringen kann, selbst wenn er alle Produktionsmittel in den Händen des Staates (wie im Fall der stalinistischen Regimes) konzentriert.
Für die Erfüllung dieser Aufgabe besitzt das Proletariat ein beachtliches Potential.
Einerseits wird in der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft der Hauptteil des gesellschaftlichen Reichtums durch die Arbeit der Arbeiterklasse hergestellt, auch wenn diese heute noch eine Minderheit in der Weltbevölkerung ist. In den Industriestaaten ist der Anteil des Nationalprodukts, der von den unabhängigen Erwerbstätigen (Bauern, Handwerker usw.) hergestellt wird, unerheblich. Dies ist selbst in den rückständigen Ländern der Fall, obgleich die Mehrheit der Bevölkerung von der Bearbeitung des Landes lebt (bzw. überlebt).
Andererseits hat das Kapital die Arbeiterklasse in gigantischen Produktionseinheiten konzentriert, die nichts mit jenen gemeinsam haben, die zu Lebzeiten Marx' existiert hatten. Auch sind diese Produktionseinheiten im allgemeinen mitten im Zentrum oder in der Nähe von immer größeren Städten angesiedelt. Die Konzentration der Arbeiterklasse sowohl am Arbeitsplatz wie in den Wohnorten bietet eine Kraft ohnegleichen, sobald sie wirklich wirksam eingesetzt wird, d.h. insbesondere durch die Entwicklung ihres kollektiven Kampfes und ihrer Solidarität.
Schließlich besteht eine der Hauptstärken des Proletariats in seiner Fähigkeit, sein Bewußtsein weiterzuentwickeln. Alle Klassen und insbesondere die revolutionären Klassen haben auch eine Form des Bewußtseins gepflegt. Aber dieses konnte nur mystifizierend sein, entweder weil die angestrebte Gesellschaft nicht von Erfolg gekrönt werden konnte (wie der Bauernkrieg in Deutschland z.B.) oder weil die revolutionäre Klasse dazu gezwungen war, zu lügen und die Wirklichkeit gegenüber jenen zu maskieren, die sie mit sich reißen wollte, die sie aber weiter ausbeutete (wie in den bürgerlichen Revolutionen mit ihrem Schlachtruf "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"). Da es als ausgebeutete Klasse und als Träger einer zukünftigen revolutionären Gesellschaft, die die Ausbeutung abschafft, weder gegenüber anderen Klassen noch gegenüber sich selbst die ultimativen Ziele seines Handelns verschleiern muß, kann das Proletariat im Laufe seines historischen Kampfes ein Bewußtsein entwickeln, das frei von allen Mystifikationen ist. So kann es sich auf ein solch hohes Niveau erheben, das vom Klassenfeind, die Bourgeoisie, niemals erreicht wurde. Und diese Fähigkeit zur Bewußtwerdung bildet neben seiner Organisierung als Klasse die ausschlaggebende Kraft des Proletariats.
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Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir sehen, wie das Proletariat trotz aller Kampagnen, die über seine "Integration" oder sein"Verschwinden" sprechen, all seine grundlegenden Eigenschaften bewahrt, die es zur revolutionären Klasse in unserer Zeit machen.
FM
1) Siehe insbesondere den Artikel "Die russische Erfahrung – Privateigentum und Gemeineigentum " in: INTERNATIONALE REVUE, Nr. 12, sowie unsere Artikelreihe: "Der Kommunismus ist keine schöne Idee, sondern eine materielle Notwendigkeit".
2) Marx und Engels präzisierten später, daß diese Aussage für die historischen Epochen gültig sind, die der Auflösung der Urgemeinde folgten, deren Existenz durch die enthnologische Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigt wurde, wie z.B. durch die Arbeiten Morgans über die nordamerikanischen Indianer.
3) Einige "Denker" der Bourgeoisie (wie im 19. Jahrhundert der französische Politiker Guizot, der unter der Herrschaft von Louis-Philippe Regierungschef war) gelangten ebenfalls zu dieser Aufassung.
4) Dies trifft auch auf die "klassischen" Nationalökonomen wie Smith und Ricardo zu, deren Arbeiten für die Entwicklung der marxistischen Theorie von besonderem Nutzen gewesen waren.
5) Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Cornelius Castoriadis, was ihm gebürt. Alle Voraussagen von Cornelius wurden von den Tatsachen widerlegt: hatte er nicht "vorausgesagt", daß der Kapitalismus nunmehr seine Wirtschaftskrisen überwunden habe (siehe namentlich seine Artikel über "Die Dynamik des Kapitalismus" Anfang der 60er in SOCIALISME OU BARBARIE)? Hatte er nicht 1981 der Welt angekündigt (siehe sein Buch Devant la guerre, auf dessen zweiten Teil, der für den Herbst 1981 angekündigt war, wir noch immer warten), daß die UdSSR endgültig den "Kalten Krieg" gewonnen habe ("massives Ungleichgewicht zugunsten Rußlands", "ein für die USA uneinholbarer Vorsprung")? Solche Äußerungen waren freilich willkommen in einer Zeit, als Reagan und die CIA uns alles Mögliche über das Reich des Bösen erzählten. Dies hinderte die Medien nicht daran, ihm um seine Expertenmeinung über die großen Ereignisse unserer Epoche zu bitten: trotz seiner Sammlung von Schnitzern blieb die Bourgeoisie ihm dankbar für seine Überzeugungen und seine durchschlagenden Argumente gegen den Marxismus; Überzeugungen, die die Wurzel all seiner chronischen Fehlschläge sind.
6) Es stimmt, daß in vielen Ländern diese Merkmale teilweise mit der Zugehörigkeit zu einer Klasse übereinstimmen. So rekrutiert in vielen Ländern der Dritten Welt, besonders in Afrika, die herrschende Klasse die meisten ihrer Mitglieder aus dieser oder jener ethnischen Gruppe: dies bedeutet jedoch nicht, daß alle Mitglieder dieser ethnischen Gruppe Ausbeuter sind, ganz im Gegenteil. Auch sind in den USA die WASP (White Anglo-Saxon Protestants) in der Bourgeoisie am proportional stärksten vertreten. Dies hat aber nicht die Existenz einer schwarzen Bourgeoisie verhindern können (Colin Powell, US-Generalstabschef, ist Schwarzer), auch nicht, daß es eine große Masse von "armen Weißen" gibt, die sich des Elend erwehren müssen.
7) "Herr! Wir Arbeiter (...) sind gekommen, Herr, um Wahrheit und Schutz bei Dir zu suchen (...) Befiehl und schwöre, daß Du (unsere hauptsächlichsten Bedürfnisse) erfüllest - und Du wirst Rußland glücklich und glorreich machen, wirst Deinen Namen unseren Herzen und den Herzen der Nachkommen einprägen." Dies waren einige Worte, die die Petition der Arbeiter an den Zaren von Rußland richtete. Aber wir sollten auch erwähnen, daß die Resolution bekräftigte: "Die Grenze der Geduld ist da; für uns ist jener furchtbare Augenblick gekommen, wo der Tod besser ist, als die Fortdauer unerträglichster Qualen (...) kehrst Du Dich nicht an unser Flehen - so werden wir hier sterben, auf diesem Platze, vor Deinem Palast." (aus: Die russiche Revolution 1905, Leo Trotzki, Erster Teil, Der Blutsonntag)
8) Dieses Eigentum nimmt nicht, wie aus der Entwicklung des Staatskapitalismus, besonders in seiner stalinistischen Version, ersichtlich wird, zwangsläufig die Form eines individuellen, persönlichen (und zum Beispiel per Erbe übertragbaren) Eigentums an. Dies zeigte die Entwicklung des Staatskapitalismus insbesondere in seiner stalinistischen Gestalt. Die Kapitalistenklasse "besitzt" die Produktionsmittel (in dem Sinn, daß sie über sie verfügt, sie kontrolliert und von ihnen profitiert) immer mehr im Kollektiv, auch wenn die Produktionsmittel verstaatlicht sind.
9) Das Kleinbürgertum ist keine homogene Klasse. Es gibt verschiedene Varianten, die nicht sämtlichst materielle Produktionsmittel besitzen. So gehören beispielsweise die Schauspieler, die Schriftsteller, die Rechtsanwälte dieser gesellschaftlichen Kategorie an, ohne jedoch über besondere Werkzeuge zu verfügen. Ihre Produktionsmittel" wohnen einem Wissen oder einem "Talent" inne, das sie in ihre Arbeit einbringen.
10) Der Leibeigene war kein simpler "Gegenstand" für den Lehnherrn. Mit seiner Scholle verbunden, wurde er mit ihr verkauft (worin er dem Sklaven gleicht). Doch am Anfang gab es einen "Vertrag" zwischen dem Leibeigenen und dem Lehnherrn: Letzterer, der Waffen besaß, sicherte ihm Schutz zu und erhielt als Gegenleistung vom Leibeigenen Arbeit, die dieser auf den Ländereien des Lehnherrn (die Fronarbeit) ableistete, oder einen Teil seiner Ernte.
11) Siehe Der Kommunismus - kein schönes Ideal, sondern eine materielle Notwendigkeit, "Vom Urkommunismus zum utopischen Sozialismus", in: https://de.internationalism.org/kommunismus2.
12) Siehe besonders unsere Broschüre "Die Dekadenz des Kapitalismus".
13) Zu diesem Thema siehe in dem Artikel: Der Kommunismus - kein schönes Ideal, sondern eine materielle Notwendigkeit, in: https://de.internationalism.org/kommunismus2, die Art und Weise, wie die Überproduktionskrise das Scheitern des Kapitalismus zum Ausdruck bringt.
14) Siehe zu diesem Thema Der Kommunismus - kein schönes Ideal, sondern eine materielle Notwendigkeit, in: https://de.internationalism.org/kommunismus2.
15) Owen selbst war ursprünglich ein großer Textilfabrikbesitzer, der viele Versuche sowohl in Amerika als auch in Großbritannien unternommen hatte, um ideale Gemeinschaften aufzubauen, die alle an den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zerschellten. Er leistete dennoch einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung der Gewerkschaften. Die französischen Utopisten waren weniger erfolgreich mit ihren Unternehmungen. Jahrelang wartete Fourier vergeblich in seinem Büro auf einen Mäzen zur Finanzierung seiner idealen Stadt, und die Versuche seiner Schüler (besonders in den Vereinigten Staaten), "Phalansterien" zu errichten, endeten alle in einem wirtschaftlichen Fiasko. Was die Dktrin von Saint-Simon anbetrifft - wenn sie erfolgreich waren, dann als Credo für eine Reihe von Männern der Bourgeoisie, wie die Péreire-Brüder, Gründer einer Bank, oder Ferdinand Lesseps, dem Konstrukteur des Suezkanals.
16) Es gibt ein Agrarproletariat, dessen einziges Existenzmittel darin besteht, seine Arbeitskraft den Landbesitzern gegen Lohn zu verkaufen. Dieser Teil der Bauernschaft gehört zur Arbeiterklasse und wird im Moment der Revolution ihren Brückenkopf auf dem Lande bilden. Da er jedoch seine Ausbeutung als Folge von "Pech" erlebt, durch das ihm die Erbschaft eines Landstücks vorenthalten wurde oder ihm ein zu kleines Stück Land zugeteilt wurde, neigt der Landarbeiter, der oft nur Saisonarbeiter oder Knecht in einem Familienbetrieb ist, meistens dazu, vom Eigentumserwerb und von einer besseren Landaufteilung zu träumen. Nur der Kampf des städtischen Proletariats in einem fortgeschrittenen Stadium erlaubt es ihm, sich von diese Trugbildern abzuwenden, indem ihm die Vergesellschaftung des Bodens zusammen mit den anderen Produktionsmittel geboten wird.
17) Das heißt nicht, daß in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus die Sammlung von kleinen Landeigentümern in Genossenschaften nicht einen Schritt in Richtung einer Vergesellschaftung des Landes bedeuten kann, insbesondere weil ihnen ermöglicht wird, den Individualismus zu überwinden, der aus ihren Arbeitsbedingungen resultiert.
18) Was auf die Bauern zutrifft, trifft noch mehr auf die Handwerker zu, deren Stellung in der Gesellschaft noch weitaus radikaler reduziert wurde als die der Bauern. Was die Freiberufler (private Ärzte, Rechtsanwälte usw.) angeht, so ermuntert deren Status und ihr Einkommen (auf die die Bourgeoisie oft voller Neid blickt)sie keineswegs dazu, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen. Und was die Studenten betrifft, die noch keinen Platz in der Wirtschaft haben, so besteht ihr Schicksal darin, sich zwischen den verschiedenen Klassen aufzuspalten, je nach ihrer Qualifikation und Herkunft.
19) Mit Anbruch der Entwicklung der Arbeiterklasse richteten einige ihrer Teile, nachdem sie durch die Einführung neuer Maschinen arbeitslos geworden waren, ihre Revolte gegen die Maschinen selbst und zerstörten sie. Dieser Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren, war nur eine embryonale Form des Klassenkampfes, die schnell durch die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Arbeiterklasse überwunden wurde.
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