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Dass Mitglieder revolutionärer Organisationen sich gegenüber Verleumdungen und Beschuldigungen, zu deren Zielscheibe sie meinen geworden zu sein, verteidigen müssen, hat immer zu den Prinzipien der revolutionären Organisationen gehört. Diese dürfen nämlich keinen Verdacht in ihren Reihen dulden. Das Vertrauen zwischen Genossen, die Loyalität von Mitgliedern gegenüber der Organisation und ihre Verpflichtung, nur den Interessen der Arbeiterklasse zu dienen, sind die Grundlagen der Organisationsprinzipien der Avantgarde des Proletariats. Auf diesem politischen Vertrauen zwischen Militanten untereinander und eines jeden Militanten gegenüber der Organisation fußt die Einheit und die Solidarität der Kämpfer für die Sache des Kommunismus. Deshalb besteht eine der Waffen der Bourgeoisie zur Zerstörung der revolutionären Organisationen gerade in dem Infiltrieren von Abenteurern oder politischen Provokateuren, deren Funktion darin liegt, dieses Vertrauen zu zerstören (insbesondere indem man hinter den Kulissen gegen die Organisation, gegen ihre vom Kongress gewählten Zentralorgane und gegen ihre Mitglieder Gerüchte und Verleumdungen in Umlauf setzt).
Gegenüber dieser Gefahr, die kommunistische Organisationen immer bedroht hat, ist es deren Verantwortung, eine besondere Kommission mit der Aufgabe zu benennen, jeweils eine Untersuchung dann durchzuführen, wenn sie mit zerstörerischem Verhalten in ihren Reihen konfrontiert werden wie das bei der I. Internationalen der Fall war, die auf ihrem Haager Kongress 1872 eine Untersuchungskommission ernannt hatte, um den Fall Bakunin und seiner Geheimen Allianz zu untersuchen.
Die politische Funktion eines Ehrengerichts
Wenn gegenüber einem Mitglied schwerwiegende Beschuldigungen gemacht werden, ist es seine Aufgabe und Verantwortung, den Beweis für die Loyalität seines Engagements zu erbringen, indem es die Einberufung eines Gerichts fordert, das aus Genossen zusammengesetzt ist, die zur Aufgabe haben, eine gründliche Untersuchung über seinen Lebenslauf, seinen Werdegang und seine Umtriebe anzufertigen. Jedes Mitglied einer kommunistischen Organisation, das sich gegenüber solchen Beschuldigungen weigert, seine Ehre als kommunistischer Militant zu verteidigen, nährt durch dieses Verhalten der Kapitulation nur den Verdacht, der auf ihm lastet, und es verstärkt damit die Verbreitung des Giftes des Misstrauens innerhalb der Organisation. Eines der Kriterien zur Einschätzung der Loyalität eines Mitglieds ist gerade die Entschlossenheit, die ganze notwendige Klarheit über das Wesen seines Verhaltens vor einem Ehrengericht zu schaffen.
Aber ein Ehrengericht einzuberufen (oder ein revolutionäres Gericht), ist nicht nur erforderlich für die Rettung des Militanten oder für die moralische Gesundheit der Organisation. Diese politische Instanz stellt ebenfalls ein Abwehrmittel des gesamten proletarischen politischen Milieus dar gegenüber den undurchsichtigen Elementen, seien es Polizeiagenten oder einfache Abenteurer, die in ihrem eigenen Interesse handeln.
Wenn eine revolutionäre Organisation die Existenz solcher Individuen in ihren Reihen aufdeckt, hat sie die Verantwortung, den Schutz anderer Organisationen des proletarischen politischen Milieus zu übernehmen. Die Einberufung eines Ehrengerichts zielt deshalb darauf ab zu vermeiden, dass diese Gruppen ihrerseits Opfer der zerstörerischen Umtriebe solcher Elemente werden.
Die Geschichte der Arbeiterbewegung, insbesondere zu Beginn dieses Jahrhunderts, liefert viele Beispiele, wo in bestimmten Situationen, die das Leben der revolutionären Organisationen oder den Ruf von Militanten gefährdeten, revolutionäre Gerichte einberufen wurden, sei es auf Wunsch der Partei oder auf die Initiative hin von Genossen, die Opfer von Verleumdungskampagnen waren (wie das insbesondere bei Trotzki 1937 der Fall war, der von den Stalinisten beschuldigt wurde, ein Agent Hitlers zu sein).
Hier führen wir nur zwei Beispiele eines Ehrengerichts von vielen auf, die es in der Geschichte der Arbeiterbewegung gegeben hat: das Ehrengericht, das von den Sozialrevolutionären (SR) 1908 einberufen wurde, um den Fall Asew aufzuklären und das von der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL) 1912 einberufe Ehrengericht zur Aufklärung der ‘Radek-Affäre’.
Der Schutz der revolutionären Organisationen gegenüber dem Eindringen von Staatsagenten
Im Falle Asews, der als Agent der zaristischen Polizei (Okrana) in die Sozialrevolutionäre Partei vorgedrungen war, war es der Journalist und Historiker Burzew, der gleichzeitig den SR wohlgesonnen war, der Asew auffliegen ließ, nachdem er eine persönliche Untersuchung über den Werdegang und die Umtriebe desselben angestellt hatte (Burzew war zu einem Spezialisten des Aufspürens von Okrana-Agenten geworden, die in russische revolutionäre Organisationen eingedrungen waren)[1]. Als sich sein Verdacht bestätigte, dadurch dass der ehemalige, mittlerweile zurückgetretene Leiter des Büros der Okrana in Warschau diesen Verdacht bekräftigt hatte, trat Burzew an das Zentralkomitee der SR heran und warnte die SR-Partei. Das ZK beschuldigte Burzew, die Partei diskreditieren zu wollen, indem er den beispielhaft handelnden Asew mit Dreck besudelte. Das ZK der SR dachte nicht im geringsten daran, dass Asew schuldig sein könnte; es betrachtete die Enthüllungen Burzews als ein Manöver zur Destabilisierung der Partei.
In seinem Buch ‘Was jeder Revolutionär über die Repression wissen Muss’ erinnert Victor Serge an die Haltung, die die revolutionären Organisationen gegenüber den Verdächtigungen einnehmen müssen, welche gegenüber einem ihrer Mitglieder geäußert werden: ‘Die Vorbedingung jedes siegreichen Kampfes gegen die wirklichen Provokationen, die jede verleumderische Beschuldigung gegen ein Mitglied darstellt, besteht darin, dass ein Mitglied niemals leichtfertig beschuldigt wird, und niemals darf eine Beschuldigung gegen einen Revolutionär einfach beiseitegeschoben werden. Jedes Mal wenn eine Beschuldigung gegen ein Mitglied erhoben wird, muss ein aus verschiedenen Genossen zusammengesetztes Gericht über die Beschuldigung oder die Verleumdung befinden und sich dazu äußern. Dies ist eine einfache Regel, die aber mit großer Strenge angewandt werden muss, wenn man die moralische Gesundheit der revolutionären Organisationen bewahren will.’
So beschloss das ZK der SR ein Ehrengericht einzuberufen, das nicht nur aus Mitgliedern der SR bestand, sondern auch aus bekannten Militanten, die anderen politischen Organisationen angehörten (unter ihnen der Anarchist Kropotkin). Dieses Ehrengericht hatte das Hauptziel, Asew von jedem Verdacht reinzuwaschen und die Manöver Burzews zu verwerfen, der einen Artikel in seiner Zeitung ‘Byloe’ (Die Vergangenheit) veröffentlicht hatte, in dem er öffentlich seine Beschuldigungen gegen Asew erhob. Sobald der Artikel erschienen war, verlangte Asew, der Angst hatte vor dem Urteil des Ehrengerichts, von seinem Vorgesetzten, General Gerassimow in Sankt-Petersburg, dass er von seinem Posten bei der Okrana entbunden werde. Aber diese Beendigung seiner Funktion für die Okrana reichte Asew nicht aus, um die Verdächtigungen beiseite zu schieben, die auf ihm lasteten. Um das Vertrauen der SR zu bewahren und um sie weiter zu täuschen, beschloss er, ein Attentat gegen den Zar anzuzetteln. Dieses Manöver ermöglichte Burzew, Asew bei dem ehemaligen Polizeidirektor Lopuchin zu denunzieren, der aufgrund seines mangelnden harten Durchgreifens bei der Repression gegenüber den Arbeiterdemos 1905 abgesetzt worden war. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Lopuchin im September 1908, in dem dieser gegenüber Burzew bestätigte, dass Asew sehr wohl ein Agent der Okrana war, konnte Burzew das revolutionäre Gericht von der nicht zu mehr zu leugnenden Schuld Asews überzeugen und die gegen ihn von den SR erhobenen Beschuldigungen aus dem Weg räumen (Lopuchin, der sich geweigert hatte, gegenüber dem revolutionären Gericht seine Zeugenaussage zu machen, war zumindest damit einverstanden, einen Brief zu schreiben, in dem Asew beschuldigt wurde, und der schließlich von den SR später veröffentlicht wurde).
Diese verantwortliche Haltung der SR, ein Ehrengericht zur Klärung der Beschuldigungen gegenüber Asew einzuberufen, entsprach leider nicht der Haltung Lenins 1914 gegenüber dem Fall Malinowski. Als dieser verdächtigt wurde, für die Okrana zu arbeiten, schlugen die Bolschewiki vor, seinen Fall vor einem revolutionären Gericht zu behandeln. Lenin aber verweigerte die Einberufung solch einer Instanz der Partei, da er sich sicher fühlte, dass Malinowski ein Militant war, der sich der Sache des Proletariats voll und ganz verschrieben hatte. Erst nach der Oktoberrevolution 1917 wurde, nachdem man die Archive der Okrana geöffnet hatte, bewiesen, dass Malinowski ein Agent der zaristischen Polizei war, der in das Zentralkomitee der Bolschewistischen Partei eingedrungen war, und dessen Aufgabe gerade darin bestand, Freundschaftsbeziehungen mit Lenin aufzubauen, um sein Vertrauen zu erschleichen.
So hatte sich sogar Lenin, dessen Sorgfalt und Strenge bei Organisationsfragen bekannt war, von der scheinbaren ‘Aufrichtigkeit’ des Arbeiters Malinowski täuschen lassen.
Die Haltung der Revolutionäre gegenüber organisationsfeindlichem Verhalten
Beim Ehrengericht, das sich mit der Angelegenheit Radek befasste, handelte es sich um eine ganz andere Lage. Dieses Gericht hatte nicht zur Aufgabe, Zweifel aus der Welt zu schaffen, ob Radek ein Staatsagent sei, sondern es ging darum, das politische Verhalten Radeks innerhalb der Partei zu beurteilen. Im Dezember 1911 ernannte die SDKPiL eine Kommission, die den Fall Radek untersuchen sollte, der verschiedener Diebstähle beschuldigt worden war: des Diebstahls von Kleidern eines Genossen, von Büchern aus der Parteibibliothek und von Geld.
Nachdem diese Kommission zu keinem Untersuchungsergebnis kam (obgleich Radek schließlich gestand, die Bücher und die Kleider gestohlen zu haben), wurde sie am 30. Juli 1912 aufgelöst. Im August 1912 wurde ein revolutionäres Gericht der Partei gebildet; es Schloss Radek aus der Partei nicht nur wegen der ihm vorgeworfenen Diebstähle aus, sondern vor allem wegen seiner Umtriebe, denn er stiftete ständig Unruhe, insbesondere indem er die Unstimmigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie zu seinem persönlichen Nutzen ausschlachtete.
Innerhalb der SDKPiL waren Leo Jogiches und Rosa Luxemburg am entschlossensten, Radek auszuschließen. Die Führung der SPD, der Radek ebenfalls angehörte, wurde sofort über den Ausschluss informiert; und ungeachtet der Divergenzen Rosa Luxemburgs mit Leo Jogiches über die Behandlung dieser Angelegenheit, erhielt sie die Zustimmung zur Übermittlung einer Zusammenfassung der Beschuldigungen gegen Radek. Auf dem Parteikongress von Jena Schloss die SPD 1913 ihrerseits Radek aus ihren Reihen aus. Die Härte dieser Strafmaßnahme verdeutlicht die Unnachgiebigkeit der revolutionären Organisationen gegenüber den Fragen politischen Verhaltens. So riet Rosa Luxemburg im April mehrere Monate vor der Sitzung des Parteigerichtes ihren Parteigenossen der SPD, den Zetkins, misstrauisch gegenüber Radek zu sein. Sie schrieb: ‘Radek gehört zu dieser Art Huren. Man muss sich auf alles gefasst machen, wenn er in der Nähe ist. Man muss ihn besser fernhalten.’
Unabhängig von den politischen Positionen Radeks (der 1912 den Positionen Rosa Luxemburgs zum Imperialismus sehr nahe stand), und den Dienst, den er der Sache der Arbeiterklasse aufrichtig leistete, insbesondere innerhalb der Bolschewistischen Partei während der revolutionären Periode, mussten sein organisationsfeindliches Verhalten in der Sozialdemokratie, seine Umtriebe als kleiner Dieb, die alle unvereinbar waren mit dem Verhalten eines kommunistischen Militanten, durch eine Instanz der Partei verurteilt und bestraft werden.
Diese beiden Beispiele zeigen unterschiedliche Fälle auf, für die ein revolutionäres Gericht einberufen werden kann und muss. Ein Ehrengericht Muss nicht nur die Ehre und die Loyalität eines Militanten garantieren können, sondern auch die Verteidigung der Organisation gegen das Eindringen von Staatsagenten oder gegen zerstörerisches Verhalten, das Misstrauen innerhalb der Organisation hervorrufen und das Organisationsgewebe zerstören kann.
Diese Art politischer Instanz kann entweder innerhalb derselben Organisation gebildet werden oder durch Mitglieder mehrerer Organisationen, insbesondere wenn die Sorge besteht, dass es zu Parteilichkeit kommen könnte, oder wenn zerstörerisches Verhalten eines Militanten eine Bedrohung für andere revolutionäre Organisationen darstellen kann.
Nachdem die IKS mit dem Falle JJ konfrontiert wurde, hat sie bei der Wiederaneignung der Erfahrung der Arbeiterbewegung in dieser Frage dieses ehemalige Mitglied dringend dazu aufgefordert, da er die Gründe seines Ausschlusses mit dem Argument verwarf, dass diese Entscheidung eine ‘schwerwiegende Entgleisung’ der IKS darstelle, er soll ein Ehrengericht einberufen lassen, das aus Mitgliedern verschiedener revolutionärer Organisationen besteht. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wird sehen, wie JJ gegenüber unserem Vorschlag eines Ehrengerichts reagiert hat, aber auch wie die Gruppen der Kommunistischen Linken sich gegenüber der Frage verhalten. IKS 21.12.1996
[1]Jean Longuet, Georgi Silber, ‘Die Bombe tötete den Großfürsten auf der Stelle, Terroristen und Geheimpolizei im alten Russland’, 1924, Berlin.