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Die Wiederentdeckung der Kommunistischen Linken
Diese kämpferische Auseinandersetzung mit der Geschichte revolutionärer Minderheiten des Proletariats konzentriert sich notwendigerweise auf zwei unterschiedliche Geschichtsabschnitte. Der erste dieser Abschnitte ist der des Kampfes gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationalen - schon Anfang der zwanziger Jahre - sowie gegen die stalinistische Konterrevolution selbst. Jahrzehntelang haben sowohl die stalinistischen wie die bürgerlich-demokratischen Verfälscher der Geschichte alles getan, um die historische Wahrheit über diesen heldenhaften Kampf der Links-Oppositionen gegen den Verrat am Marxismus und an der Weltrevolution unter Verschluss zu halten. Insbesondere die bürgerliche „Demokratie“ des „Westens“ – die gegenüber der Arbeiterklasse bedeutend geschickter ist als ihr stalinistischer Verbündeter - konzentrierte sich darauf, die gesamte proletarische Opposition auf Trotzki zu reduzieren. Trotzki selbst wiederum wurde vom bürgerlichen Trotzkismus der Nachkriegszeit unschädlich gemacht durch einen abstoßenden, an den Praktiken des Stalinismus erinnernden Personenkult Trotzkis, welcher sämtliche Fehler dieses Revolutionärs zu einem neuen, bürgerlichen, quasi-religiösen Dogma erhob. Dabei ging es aber vor allem darum, den großartigen Beitrag der Kommunistischen Linken zu begraben, welche viel früher, entschlossener, klarer und radikaler als Trotzki den Kampf gegen Opportunismus und Stalinismus innerhalb der Internationalen aufnahm, und welche im Gegensatz zum Trotzkismus den proletarischen Internationalismus im 2. Weltkrieg nicht verriet.
Neben Italien gehörte damals inmitten der Revolution am Ende des 1. Weltkrieges vor allem Deutschland zu den wichtigsten Geburtsstätten der Kommunistischen Linken. Die klassischen Positionen der deutsch-holländischen Linken - wie die Ablehnung der bürgerlichen Wahlbeteiligung und der Arbeit in den Gewerkschaften - waren die Mehrheitsposition in der jungen KPD1919-1920, bis diese Mehrheit unter Verletzung der Parteistatuten aus der Partei hinausgedrängt wurde und sich in der Kommunistischen Arbeiterpartei KAPD neu formieren musste. Ebenfalls stützten sich die Lehren, welche Theoretiker wie Pannekoek und Gorter in Holland zogen, hauptsächlich auf die Erfahrungen des revolutionären Massenkampfes in Deutschland. Nichts verdeutlicht klarer die relativen Erfolge der Bourgeoisie im Kampf gegen das Bekanntwerden der Kommunistischen Linken als die Tatsache, dass 30 Jahre nach dem historischen Wiederaufflammen proletarischer Kämpfe 1968 die revolutionären Erfahrungen des deutschen Proletariats am Anfang dieses Jahrhunderts selbst in politisierten Kreisen noch weitgehend unbekannt sind. Diese Erfahrungen sind weltweit noch unbekannt, aber nirgends so unbekannt wie in Deutschland selbst.
Deshalb ist es sehr bezeichnend, dass das noch winzige, aber keimende weltweite Interesse am Erbe des Linkskommunismus sich auch und gerade im deutschsprachigen Raum zeigt. So wurde die erste neue territoriale Sektion der IKS in den 90er Jahren in der Schweiz gegründet. Insgesamt stieß unsere Organisation im Laufe der 90er Jahre auf zunehmendes Interesse und zunehmende Diskussionsbereitschaft auch in Deutschland. In Österreich gelang es Mitgliedern der ehemaligen Gruppe Internationale Kommunisten (GIK), sich vom zerstörerischen Einfluss des politischen Parasitismus zu lösen und sich auf die Auseinandersetzung mit den existierenden Gruppen des proletarischen Milieus (vornehmlich der „Bordigisten“ sowie Battaglia Comunista) zu besinnen. Gerade die Tatsache, dass Cajo Brendels Veranstaltungsreihe in Deutschland Ende 1998 (siehe unseren Bericht in Weltrevolution 92) Hunderte von Interessierten anzog, bestätigte das wachsende Interesse am Linkskommunismus. In politischen Buchläden sowie im Internet tauchen Wiederveröffentlichungen von Texten Pannekoeks, Rühles oder Bordigas auf. Relativ obskure Zeitschriften wie „Rote Luzi“ in Berlin beziehen sich auf Schriften von Mattick oder Korsch in Artikeln über die Russische Revolution. Und eine Strömung wie Wildcat, welche sich als Vertreter des Operaismus in Deutschland bislang kaum um marxistische Theorie oder revolutionäre Organisationsgeschichte geschert hat, veröffentlichte jüngst eine Beilage zum Wildcat-Zirkular 46/47 (Feb. 99), bestehend aus Beiträgen über Bordiga aber auch über Pannekoek.
Die Wiederentdeckung der Geschichte des Milieus nach 1968
Es versteht sich von selbst, dass dieses erwachende Interesse an der revolutionären Geschichte unserer Klasse rasch verpuffen kann, falls sie nicht an eine lebendige, linkskommunistische Tradition der Gegenwart anknüpfen kann. Es droht sich zu wiederholen, was bereits nach 1968 einmal geschah. Damals verschwanden buchstäblich Dutzende von revolutionären Zirkeln und Gruppen, weil sie nicht imstande waren, sich als Teil einer organisierten, weltweiten Wiederaneignung des Erbes der Arbeiterklasse zu begreifen. Ohne die unerlässliche Stütze, welche die politischen und organisatorischen Erfahrungen der Marxisten darstellen, ist es auch kaum möglich, längerfristig eine proletarische politische Arbeit zu leisten. Dieses Unvermögen eines Großteils der 68er Revolutionäre kam nicht von ungefähr. Normalerweise gehen die militanten und organisatorischen Erfahrungen des Proletariats von einer Generation der Revolutionäre auf die Nächste über. Diese Kette der historischen Kontinuität wurde durch die stalinistische Konterrevolution unterbrochen. Zwar gab es 1968 noch Überreste der Kommunistischen Linken. Diese Überreste jedoch, durch Jahrzehnte der Isolation erstarrt, waren außerstande, ihre Erfahrungen an die neue revolutionäre Generation weiter zu vermitteln: die Gruppen der italienischen Linken (Bordigisten, Battaglia Comunista), weil sie die neuen Arbeiterkämpfe nicht verstanden und sich davon fernhielten; die der holländischen Linken (Spartakusbond, Daad en Gedachte), weil sie auf eine Organisation, die zu einer Intervention im Klassenkampf fähig gewesen wäre, überhaupt verzichtet hatten.
Heute ist das anders, weil die Gruppen der Italienischen Linken versuchen, auf die Entwicklung der Lage zu reagieren, und vor allem weil die Gruppen, welche es nach 1968 doch geschafft haben, an die Tradition der Kommunistischen Linken wiederanzuknüpfen (IKS, Communist Workers‘ Organisation - CWO), mittlerweile selbst über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügen.
Somit beginnen Teile der politisch Suchenden heute zu spüren, dass es außer der Zeit der Konterrevolution einen anderen Abschnitt der Organisationsgeschichte unserer Klasse gibt, an den man anknüpfen muss. Und dies ist eben die Geschichte der letzten 30 Jahre. Denn die Geschichte des revolutionären Marxismus ist nichts Totes, Museales, welches sich ausschließlich in vergilbten Dokumenten der Vergangenheit ausgraben lässt. Die Geschichte der Bemühungen der Revolutionäre um Selbstorganisierung, theoretische Klarheit und Intervention in der Klasse ist eine ständige Anstrengung des Proletariats selbst, welche nach der Überwindung der Konterrevolution Ende der 60er Jahren in eine neue und entscheidende Phase eingetreten ist.
So tauchten bei den Brendel-Veranstaltungen in Berlin nicht nur ehemalige Genossen der Gruppe „Soziale Revolution“ wieder auf, sondern auch andere Veranstaltungsteilnehmer, welche die damaligen Publikationen dieser Gruppe wiederentdeckt und schätzengelernt hatten. In Nürnberg wiederum wurde im Dezember 98 auf einer von der Autonomie (Nürnberg) und dem Proletarischen Kommitee (Berlin) organisierten Arbeitskonferenz ein Referat über „parteiunabhängige klassenkämpferische Ansätze in der BRD“ seit Ende der 60er Jahre vorgetragen und diskutiert. Obwohl dort die Rolle linkskommunistischer Gruppen noch nicht zur Kenntnis genommen wurde, befasste man sich mit autonomistischen Gruppen wie „Proletarische Front“, welche damals zumindest versuchten, Anschluss an eine revolutionäre Klassenpolitik zu finden.
Als Teil dieses Bemühens um die Wiederaneignung revolutionärer Politik als Aufgabe der Gegenwart, die die jüngste Geschichte mit einschließt, wollen wir die wichtigsten Erfahrungen und Lehren aus den letzten 30 Jahren in Deutschland und dem deutschsprachigen Raum wiedergeben. Dies wiederum ist nur ein - wenn auch sehr wichtiges - Kapitel aus der internationalen Entwicklung dieser Zeit. (Zur internationalen Geschichte des Milieus seit 1968 siehe unseren zweiteiligen Artikel in der Internationalen Revue Nr. 10 und Nr. 11 und zur Geschichte der IKS in der Internationalen Revue Nr. 16).
Die Gruppe „Soziale Revolution“: Der erste Vertreter des Linkskommunismus in Deutschland seit der Konterrevolution
Im März 1971 erschien in Berlin die erste Ausgabe der Zeitschrift „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“. Im November 71 erschien die zweite Nummer mit dem zusätzlichen Titel „Internationale Information & Korrespondenz“. Der Name der Gruppe ging auf einen Spruch Otto Rühles zurück und war Programm: die Genossen waren rätekommunistisch und leidenschaftlich „anti-leninistisch“. Die Zeitschrift war das Ergebnis einer längeren Diskussion zwischen zwei Gruppen, von denen eine aus der Praxis Westberliner Betriebsgruppen stammte, während die andere - rätekommunistisch - vor allem theoretisch gearbeitet hatte. Auch ein Vortrag Paul Matticks im Juni 1971 in Berlin half, die Diskussionen in der Gruppe voranzutreiben.
Wegen der leidenschaftlichen Gegnerschaft zu den damals entstehenden, bürgerlichen „K-Gruppen“ lieferte die Zeitschrift zugleich eine Art Kriegserklärung sowohl gegen das damals vorherrschende Sektierertum der unzähligen „Organisationsstifter“ als auch gegen die lokalistische Geschichtslosigkeit der aufkeimenden Betriebs- und Stadtteilarbeit. Die Zeitschrift veröffentlichte neben Streikberichten aus aller Welt historische Texte vornehmlich der deutsch-holländischen Linkskommunisten wie von Mattick oder Canne Meijer ebenso wie aktuelle Beiträge des internationalen proletarischen Milieus (Cajo Brendel) sowie damals in der Diskussion stehender Gruppen (Informations Correspondance Ouvrière – ICO in Frankreich, Root and Branch in den USA). Auch der erste Artikel unserer Strömung, welcher auf deutsch erschien, wurde hier veröffentlicht: ein Beitrag der Gruppe „Révolution Internationale“ aus Toulouse zu den Gewerkschaften.
Trotz ihrer rätistischen Schwächen stellte die Gruppe damals einen enormen Fortschritt dar. Die von der Gruppe selbst verfassten Artikel zeugen von einer in der damals sehr aktivistischen Zeit ungewöhnlichen theoretischen Tiefe. Vor allem gegenüber der Frage der Wirtschaftskrise, des Staatskapitalismus und der Gewerkschaften vertraten die Genossen ziemlich klare Positionen, allen Anfeindungen zum Trotz. Während damals alle Welt noch von der Überwindung der Wirtschaftskrisen durch den Kapitalismus und der wirtschaftlichen Integration des Proletariats der Industriestaaten in das System mittels der „Ausplünderung“ peripherer Länder faselte, zeigte „Soziale Revolution“ unbeirrt auf, dass die aufflammenden Arbeiterkämpfe in Europa und Amerika das Ergebnis der Wirtschaftskrise waren, und dass die Klassenauseinandersetzungen aufgrund der objektiven Widersprüche des Systems mit der Zeit an Schärfe gewinnen würden. „Das bedeutet, dass in diesem Zeitpunkt eine weitere Akkumulation mit der absoluten Verelendung des Proletariats erkauft werden muss.“ (SR 1, S. 20).
Es war diese Vorstellung einer historischen Systemkrise, welche es der Gruppe auch erlaubte, den Staatskapitalismus als eine Universaltendenz des Jahrhunderts zu erkennen, welche im Faschismus und im New Deal ihren Ausdruck ebenso findet wie im Stalinismus. Der Staatskapitalismus ist somit ein Mittel, nicht um die Produktivkräfte fortschrittlich voranzutreiben, sondern um den Kapitalismus am Leben zu erhalten, wobei „die staatlich induzierte Nachfrage hauptsächlich den Bereich der Vergeudungs- und Waffenproduktion betrifft. Hier ist aber zu bedenken, dass die Produkte dieser Industriezweige ihren Wert nicht auf einem Markt realisieren, sondern aus dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozess herausfallen, und demzufolge, da sie über Steuern finanziert worden sind, faktisch dem gesellschaftlichen Kapital durch den Staat enteignet wurden. (...) Das Ergebnis dieser Wirtschaftsweise ist deshalb zwar eine vergrößerte materielle Produktion, die sich auch in Geldbegriffen als solche darstellt, die aber im gesellschaftlichen Sinn eine verringerte Wertproduktion zum Ergebnis hat.“ Damit wird der linkskapitalistischen Anhimmelung des staatlichen Eingreifens in das Wirtschaftsleben eine Abfuhr erteilt. „Die durch die Nutzung der eigentlich schon unproduktiven Ressourcen entstandene Prosperität ist ...nur dadurch möglich, dass in der Staatsintervention der Versuch gemacht wurde und wird, durch die teilweise Suspendierung des Wertgesetzes die Wertproduktion aufrechtzuerhalten.“ (SZ 1, S. 18-19).
Auch die Gewerkschaftsfrage wird mit dieser Methode angegangen. „Diese Unfähigkeit der Gewerkschaften, in der Endphase der Akkumulation die Interessen der Arbeiter wirksam gegenüber dem Kapital zu verteidigen, resultiert nicht aus einem Verrat an der Arbeiterklasse, aus einem willentlichen Integrationswunsch der Bürokratie, sondern aus der Tatsache, dass in einer zerfallenden Marktwirtschaft auch deren Institutionen zerfallen bzw. ihrer Funktion verlustig gehen müssen. Damit verlieren die Gewerkschaften ihre eigentliche Funktion und werden zu Werkzeugen des Kapitals..“ (S.23).
Somit werden nicht nur die Gewerkschaften abgelehnt, sondern ebenso die damals in Mode kommende „Betriebsarbeit“, wodurch zunächst Studenten, später „Linke“ schlechthin sich „proletarisieren“ ließen, um die Fabriken zu „revolutionieren“. „In einer nicht-revolutionären Situation ist keine revolutionäre Politik möglich, und die Initiativen der Revolutionäre im Betrieb landen dann in der institutionalen Versteinerung von Vertrauensleuteposten oder Betriebsratsstellen, wenn sie die Mehrheit der anderen Arbeiter „links überholen“. Der Rückschlag ist unvermeidlich, und letztlich stellt sich heraus, dass die Intervention in dem „tagtäglich“ stattfindenden Klassenkampf die allerdings politisch begründete Anpassung an den Konservatismus der anderen Arbeiter verlangt.“ (SR 2, S. 102).
In der Zeit nach 1968 gab es zwei Phasen in der typischen Entwicklung rätistischer Gruppen. Während unmittelbar nach 68 die jungen Rätisten durch eine überschwengliche Überschätzung der spontanen Massenkämpfe oft an eine unmittelbar bevorstehende Revolution glaubten und sie voluntaristisch herbeiführen wollten, nahmen die rätekommunistischen Gruppen der späteren 70er Jahre - angesichts ihres zerrütteten Vertrauens in die Arbeiterklasse - Zuflucht in diversen „Zusammenbruchstheorien“, denen zufolge die Revolution in einer fernen Zukunft mehr oder weniger deterministisch stattfinden sollte. Die „Soziale Revolution“ hingegen war weniger aktivistisch in der Zeit nach 68, ohne aber die historische Wiedergeburt der selbstorganisierten Arbeiterkämpfe gering zu schätzen. Das Verschwinden der Gruppe nach nur kurzer Zeit war eine Tragödie für das Proletariat, weil „Soziale Revolution“ das Zeug besaß, um einen Orientierungspunkt für damals politisch Suchende inmitten von Konfusion und Unerfahrenheit zu werden. Die Gruppe verschwand letztendlich, weil ihre rätekommunistische Weltsicht, ihre Ablehnung des Beitrags der Bolschewiki usw. sie daran hinderte, ihre eigene Wichtigkeit zu erkennen. Zwar kannten die Genossen die Not der Desorientierten gegen Ende der Kampfeswelle Anfang der 70er. „Heute schon greifen kleine Gruppen aus Verzweiflung zu allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen, um das kapitalistische System anzugreifen. Diese Mittel reichen jedoch nicht aus, um eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse zu erzwingen, auch wenn es Maschinengewehre sind.“ (SR 2. S. 106). Und dennoch lautete das rätistische Credo: „Es ist jedoch möglich, dass diese Gruppen an inneren und äußeren Schwierigkeiten bald wieder zerbrechen oder in eine Phase der Inaktivität zurückfallen (...) Dies ist nicht eigentlich ein Unglück, da die Beziehungen jederzeit wieder aktivierbar sind.“ (S. 105) Denn schließlich glaubte man: „Die revolutionäre Organisation ist so nicht eine Bedingung der Revolution, sondern die Revolution bedeutet das objektive Ende jeder revolutionären Gruppe als Organisation.“ (S. 104)
Die Sackgasse der Autonomie
Während „Soziale Revolution“ rasch verschwand, wurde die an der Arbeiterklasse orientierte, sich von den K-Gruppen und Trotzkisten abgrenzende politische Szene Deutschlands Anfang der 70er Jahre von Gruppen wie „Revolutionärer Kampf“ (Frankfurt) oder „Proletarische Front“ (Hamburg) beherrscht. Diese und andere Strömungen aus dem Spektrum der Zeitschrift „Wir Wollen Alles“ nahmen sich die Bewegung der „Arbeiterautonomie“ zum Vorbild, welche in den riesenhaften Arbeiterkämpfen in Italien ab 1969 entstanden war. Während aber in Italien außerdem ein lebendiges Milieu von Gruppen des Italienischen Linkskommunismus weiterhin bestand, und in den meisten anderen westlichen Ländern zu dieser Zeit der Rätekommunismus sehr stark war, war Deutschland der einzig führende Industriestaat, wo die Gruppen der Autonomie damals solch eine vorherrschende Stellung errangen. Dieser Vorrang der Autonomie war ein Zeichen nicht der Vorzüge dieser Richtung, sondern der damaligen relativen politischen Unterentwicklung eines proletarischen politischen Lebens in Deutschland. Zwar gab es Parallelen zwischen autonomen Richtungen wie „Autonomia Operaia“ und der damals vorherrschenden Form des Rätekommunismus: beide hielten sich zunächst am selbständigen Klassenkampf des Proletariats und lehnten die „Führungsansprüche“ der Gewerkschaften und linksbürgerlicher „Kaderparteien“ ab; beide neigten zu blindem Aktivismus und einem naiven Glauben an die grenzenlose Fortsetzung der gerade stattfindenden Kampfeswelle. Doch stellte die Autonomie (wir meinen hier die politische Strömung) einen enormen Rückschritt selbst gegenüber dem Rätekommunismus dar. Am gravierendsten war ihr vollständiger Bruch mit dem Marxismus in der Frage der Wirtschaftskrise. Nachdem die Autonomie Ende der 60er Jahre zunächst die Existenz der Wirtschaftskrise geleugnet hatte und den Ausbruch von Arbeiterkämpfen statt dessen durch die Einführung der mit ungelernten „Massenarbeitern“ bestückten „Großraumfabriken“ zu erklären trachtete, erklärte sie später, die nicht mehr zu übersehende Krise sei vielmehr das Ergebnis der Arbeiterkämpfe, anstatt ihre materielle Grundlage. Als dann, ab Mitte der 70er Jahre die wirtschaftliche Weltlage sich weiter verschlimmerte, obwohl die Arbeiterkämpfe zurückgingen, sah sich der Operaismus genötigt, diesen Absurditäten noch die Krone aufzusetzen: die Massenarbeitslosigkeit sei eine Finte der Kapitalisten, um die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu dämpfen (im Kauderwelsch der Autonomie ausgedrückt: um eine „technische Neuzusammensetzung des Proletariats“ zu erzwingen).
Auch die - zunächst proletarische - Reaktion der Autonomie gegen die gewerkschaftliche und linkskapitalistische Bekämpfung der Selbstorganisierung der Arbeiterkämpfe fand fernab vom Marxismus statt, indem sie den politischen „Führungsanspruch“ der „K-Gruppen“ zu kontern versuchte mit ihrem „echt proletarischen“ politischen Gegenentwurf der „Betriebsarbeit“. Während der Rätekommunismus trotz seines Verzichts auf eine wirkungsvolle Intervention im Klassenkampf immerhin noch die Selbstaktivität der Klasse fördern wollte, trat die Autonomie hingegen mit demselben Anspruch wie die gewerkschaftliche Linke an, die Arbeiterkämpfe zu inszenieren bzw. zu „organisieren“. Die Autonomie fand sich nur in einem Punkt einig mit den Rätekommunisten: im Verzicht auf den Aufbau politischer Organisationen des Proletariats auf der Grundlage klarer Klassenpositionen. Zwar betrachtete sich die Autonomie durchaus als Avantgarde. Aber eine Vorhut der Aktion sollte es sein, wobei nicht politische Prinzipien, sondern die Präsenz im Betrieb für ihren proletarischen Charakter garantieren sollte. Daraus folgte die Krise und Spaltung der „autonomen Zone“, sobald die 1968 begonnene Kampfwelle 1973 nach den Niederlagen von Fiat-Turin und Ford-Köln abflaute. Dieses Milieu war außerstande zu begreifen und zu akzeptieren, was Rosa Luxemburg bereits in ihrer Massenstreikbroschüre von 1906 nachgewiesen hatte: dass die Arbeiterkämpfe im 20. Jahrhundert nicht mehr permanent, sondern explosionsartig stattfinden und in Wellen verlaufen. Somit kehrte der Großteil der Militanten zu diesem Zeitpunkt der Arbeiterklasse den Rücken und wandte sich Häuserkämpfen, der Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Rechte diverser Minderheiten oder dem Aufbau „alternativer Lebensstile“ zu: da war „mehr los“. Hinlänglich bekannt ist auch die Tatsache, dass beispielsweise aus dem Frankfurter Zweig dieses Milieus mehr als eine spektakuläre politische Karriere im deutschen imperialistischen Staat erwuchs.
Zwar gab es in der Geschichte des Operaismus immer wieder Versuche, sich auf die ursprüngliche Hinwendung zur Arbeiterklasse zu besinnen, oder sich sogar theoretisch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen. Unsere Strömung versuchte stets, solche Reaktionen zu fördern. Die Vorläufergruppe der IKS in Amerika, Internationalism, lud u.a. neben „Soziale Revolution“ auch die Gruppe „Revolutionäre Kampf“ dazu ein, sich an einem „international correspondence network“ revolutionärer Gruppen zu beteiligen (Internationalism Nr. 4, 1973). „Révolution Internationale“ in Frankreich war bemüht, mit dem Spektrum von „Wir Wollen Alles“ in Frankfurt zu diskutieren. Auch gab es Ansätze theoretischer Diskussionen in solchen Gruppen. Die Ausgabe Nr. 10 der „Proletarische Front“ beispielsweise befasst sich mit der Geschichte der Arbeiterklasse in Deutschland seit 1933 und ist nahe daran, den imperialistischen Charakter des 2. Weltkriegs anzuerkennen - ohne aber klar Stellung zu beziehen (siehe Kapitel IV. „Die Niederhaltung des Arbeiterkampfs - Garantie der Kontinuität des Ausbeutersystems 1945 bis 1950/51). Ein kleiner Teil dieser Gruppe entwickelte sich später in Richtung IKS. Auch Anfang der 80er Jahre, als operaistisch beeinflusste Leute von der Karlsruher Stadtzeitung (Vorläufer von Wildcat) oder der Jobber-Initiative in der Balduinstrasse, Hamburg, positiv in der damaligen Arbeitslosenbewegung wirkten, haben wir dies unterstützt. Dennoch haben wir immer darauf bestanden, dass eine solche Besinnung auf die Politik der Arbeiterklasse nur gelingen kann, wenn man die Grundsätze der Autonomie infragestellt und sich dem Marxismus annähert (siehe unseren Artikel „The rise and fall of Autonomia Operaia“: International Review 16, 1979, den wir demnächst auf deutsch veröffentlichen werden).