Submitted by InternationaleRevue on
In den „Thesen über den Zerfall“ (Erstpublikation in der International Review Nr. 62 und in Deutsch in: Internationale Revue Nr. 13) sowie im Artikel „Der Zerfall des Kapitalismus“ (Internationale Review Nr. 57, engl., franz., span. Ausgabe) haben wir gezeigt, dass der Kapitalismus in eine neue und letzte Phase seiner Dekadenz eingetreten ist, in die des Zerfalls. Sie wird charakterisiert durch die Verstärkung und Zuspitzung aller Widersprüche des System.
Leider sah sich unsere Organisation mit dem Bemühen, diese wichtige Entwicklung im Leben des Kapitalismus zu analysieren, einerseits der blossen Gleichgültigkeit einiger Gruppen der Kommunistischen Linken gegenüber; anderseits sind wir auch auf völliges Unverständnis, ja gar auf Anschuldigungen jeglicher Art gestossen wie z.B. auf den Vorwurf, wir seien von der marxistischen Methode abgekommen.
Die vielleicht groteskeste Stellungnahme kommt von Parti Communiste International (PCI), deren Presseorgane Le Prolétaire und
Il Comunista. In einer von ihr kürzlich publizierten Broschüre mit dem Titel „Le Courant Communiste International: à contre-courant du marxisme et de la lutte de classe“ (Die Internationale Kommunistische Strömung gegen den Marxismus und Klassenkampf) äussert sich diese Organisation zu unserer Analyse des Zerfalls wie folgt: „Wir wollen an dieser Stelle auch keine detaillierte Kritik an dieser nebulösen Theorie anbringen, sondern begnügen uns damit, auf die vom Marxismus und Materialismus am stärksten abweichenden Entdeckungen hinzuweisen.“ Und dies ist auch schon alles, was die PCI zu unserer Analyse zu sagen weiss, während sie an anderer Stelle auf siebzig Seiten gegen unsere Organisation polemisiert.
Nun ist aber die theoretische Reflexion für eine Organisation, die beansprucht, die historischen Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, eine Pflicht ersten Ranges. Diese Reflexion soll die Kampfbedingungen verdeutlichen und die Analysen der Gesellschaft, die sie ja als falsch beurteilt, kritisieren. Diese Notwendigkeit ist um so akuter, da ebendiese Analysen gar von anderen revolutionären Organisationen verteidigt werden. (1)
Das Proletariat und die ihm zugehörigen avantgardistischen Minderheiten brauchen einen globalen Rahmen für das Verständnis der Situation. Ohne einen solchen Rahmen können sie den Ereignissen lediglich mit empirischen und immediatistischen Reaktionen begegnen. Und diese werden durch die Ereignisabfolge selbst überrumpelt.
Die Communist Workers Organisation (CWO) ihrerseits, britischer Zweig des Internationalen Büros für die Revolutionäre Partei (IBRP), geht in drei Artikeln ihrer Presseorgane (2) auf unsere Analyse des Zerfalls des Kapitalismus ein. Wir werden weiter unten die genauen Argumente der CWO betrachten. Vorerst sei nur gesagt, dass ihre Kritik im Prinzip besagt, unsere Analyse sei nicht marxistisch.
Angesichts dieses Urteils (und die CWO ist damit nicht allein unter den revolutionären Organisationen) erscheint es uns wichtig, die marxistischen Wurzeln des Begriffs „Zerfall“ des Kapitalismus aufzudecken und verschiedene Aspekte und Bedeutungen dieses Begriffs zu präzisieren und zu entwickeln. Deshalb haben wir uns für die Veröffentlichung einer Artikelserie mit der Überschrift „Den Zerfall verstehen“ entschieden. Diese Artikelserie versteht sich als Fortsetzung einer früheren, nämlich der vor einigen Jahren erschienenen Serie „Die Dekadenz des Kapitalismus verstehen“ (3). Schliesslich ist der Zerfall ein Phänomen der Dekadenz und kann nicht isoliert von ihr verstanden werden.
Der Zerfall – ein Phänomen der Dekadenz des Kapitalismus
Die marxistische Methode liefert einen materialistischen und historischen Rahmen, um die unterschiedlichen Momente des Lebens des Kapitalismus sowohl in der aufsteigenden als auch in der absteigenden Phase zu charakterisieren.
„Genauso wie der Kapitalismus verschiedene Zeiträume in seiner historischen Entwicklung durchlaufen hat – Entstehung, Aufstieg, Niedergang – beinhaltete jeder dieser Zeiträume auch unterschiedliche und voneinander abgegrenzte Phasen. So gab es z.B. in der aufsteigenden Phase die nacheinander folgenden Phasen des freien Marktes, der Aktiengesellschaften, der Monopole, des Finanzkapitals, der kolonialen Eroberungen und der Entwicklung des Weltmarkts. In der Periode der Dekadenz gibt es auch verschiedene Phasen: Imperialismus, Weltkriege, Staatskapitalismus, permanente Krise und heute der Zerfall. Es handelt sich dabei um verschiedene, nacheinander folgende Ausdrücke des Lebens des Kapitalismus, mit jeweils typischen Charakteristiken, selbst wenn diese Ausdrücke vorher schon bestanden oder beim Anbruch einer neuen Phase gar weiterbestehen.“ (4) Die geläufigste Illustration dieses Phänomens ist zweifelsohne der Imperialismus, der „streng genommen nach 1870 beginnt, als sich der Kapitalismus merklich neu gestaltet. Die Periode der Bildung der Nationalstaaten in Europa und Nordamerika ist abgeschlossen und an Stelle von Grossbritannien als Weltfabrik haben sich verschiedene andere nationale Kapitalfraktionen entwickelt, die sich im Wettbewerb um die Vorherrschaft des Weltmarktes befinden, nicht nur im Wettbewerb um die inneren Märkte, sondern auch um die Kolonialmärkte.“ (5) Der Imperialismus erlangt „jedoch erst mit dem Eintritt des Kapitalismus in die Epoche seiner Dekadenz (...) eine vorherrschende Stellung in der Gesellschaft, in der Politik der Staaten und in den internationalen Verhältnissen (...), so dass er in der ersten Phase seiner Dekadenz diese besonders stark prägt. Dadurch identifizierten viele Revolutionäre der damaligen Zeit ihn mit der Dekadenz des Kapitalismus schlechthin.“ (6)
Die Dekadenzphase des Kapitalismus trägt sehr wohl von Anfang an Elemente des Zerfalls in sich. Kennzeichen davon sind die Auflösung der Gesellschaft, das Versagen ihrer ökonomischen, politischen und ideologischen Strukturen. Nichtsdestotrotz wird der Zerfall erst an einem bestimmten Entwicklungspunkt und unter sehr bestimmten Umständen innerhalb der Dekadenz zu einem oder gar zu dem entscheidenden Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung, indem sie eine besondere Phase eröffnet, nämlich die des Zerfalls der Gesellschaft. Dass diese Phase die Vervollständigung jener Phasen darstellt, die ihr während der Dekadenz vorausgingen, wird von der Geschichte dieser Periode attestiert.
Der erste Kongress der Kommunistischen Internationale (2. bis 6. März 1919) zeigte auf, dass der Kapitalismus in eine neue Epoche, die seines historischen Niedergangs, eingetreten ist, in dem er die Keime des inneren Zerfalls des Systems identifizierte: „Eine neue Epoche ist geboren: die Epoche der Auflösung und des inneren Zusammenbruchs des Kapitalismus, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“ (7) Die gesamte Menschheit sieht sich der Gefahr einer Selbstzerstörung ausgesetzt, sollte der Kapitalismus die proletarische Revolution überleben: „Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. (...) Die alte kapitalistische „Ordnung“ existiert nicht mehr, sie kann nicht mehr bestehen. Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos.“ (8) „Heute steht die Verelendung vor uns, nicht nur die soziale, sondern die physiologische, die biologische in ihrer ganzen erschütternde Wirklichkeit.“ (9)
Diese neue Epoche wird auf gesellschaftlicher Ebene durch das historische Ereignis des Ersten Weltkrieges markiert, der sie eröffnet hat: „Wenn der freie Wettbewerb als Regulator der Produktion und der Verteilung in den Hauptgebieten der Wirtschaft von dem System der Trusts und Monopole noch in den dem Kriege vorangegangenen Jahrzehnten verdrängt wurde, so wurde durch den Gang des Krieges die regelnde Rolle den Händen der ökonomischen Vereinigungen entrissen und direkt der militärischen Staatsmacht ausgeliefert.“ (10) Das genannte Phänomen ist nicht von konjunktureller Natur, hervorgerufen durch den Ausnahmezustand des Krieges, sondern eine permanente und unumkehrbare Tendenz: „…hat die völlige Unterordnung der Staatsmacht unter die Gewalt des Finanzkapitals durch diese Massenabschlachtung nicht nur den Staat, sondern auch sich selbst vollends militarisiert und ist nicht mehr fähig, seine wesentlichen ökonomischen Funktionen anders als mittels Blut und Eisen zu erfüllen (…) Die Verstaatlichung des wirtschaftlichen Lebens, gegen welche der kapitalistische Liberalismus sich so sträubt, ist zur Tatsache geworden. Nicht nur zum freien Wettbewerb, sondern auch zur Herrschaft der Trusts, Syndikate und anderer wirtschaftlicher Ungetüme gibt es keine Rückkehr. Die Frage besteht einzig darin, wer künftig der Träger der verstaatlichten Produktion sein wird: der imperialistische Staat oder der Staat des siegreichen Proletariats?“ (11)
Die darauf folgenden acht Jahrzehnte haben diesen eindeutigen Wendepunkt der kapitalistischen Gesellschaft nur bestätigt. Sie erlebten eine massive Entwicklung des Staatskapitalismus und der Kriegsökonomie nach der Krise von 1929, den Zweiten Weltkrieg, die darauf folgende Wiederaufbauphase und den Start eines verrückten nuklearen Wettrennens, den Kalten Krieg, der ebenso viele Tote wie die beiden Weltkriege zusammen gefordert hat, und seit 1967 – mit dem Ende der Wiederaufbauperiode nach dem Krieg – das zunehmende Versinken der Wirtschaft in der Krise. Diese Krise dauert nun schon seit dreissig Jahren an und wird begleitet von einer endlosen Spirale militärischer Erschütterungen. Kurz gesagt: es ist eine Welt, die keine andere Perspektive als die eines unaufhörlichen Todeskampfes anbietet, geprägt durch Zerstörung, Elend und Barbarei.
Eine solche historische Entwicklung kann nur den Zerfall der kapitalistischen Produktionsweise auf allen Ebenen des Gesellschaftslebens – Wirtschaft, Politik, Moral, Kultur etc. – fördern. Offensichtlich wurde dies einerseits durch den irrationalen Wahnsinn und die Bestialität des Nazismus mit seinen Konzentrationslagern sowie durch den Stalinismus mit seinem Gulag und andererseits durch den Zynismus und die Heuchelei ihrer demokratischen Gegenspieler mit ihren mörderischen Bombardierungen, die verantwortlich sind für Hunderttausende von Opfern unter der deutschen (besonders in Dresden) und japanischen Bevölkerung (besonders die beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki), obwohl diese beiden Länder bereits geschlagen waren. Die Kommunistische Linke Frankreichs argumentierte 1947, dass die Zerfallstendenzen des Kapitalismus das Produkt der ihm innewohnenden unüberwindbaren Widersprüche sind: „Angesicht ihres eigenen Zerfalls, wählt die Bourgeoisie immer das geringere Übel, sie flickt hier zusammen und stopft dort ein Loch, obschon sie weiss, dass der Sturm stärker wird“. (12)
Der Zerfall – die Endphase der Dekadenz des Kapitalismus
Die Widersprüche und Manifestationen der Dekadenz des Kapitalismus, die ihre verschiedenen Momente hintereinander auszeichnen, verschwinden nicht mit der Zeit, sondern behaupten sich. So erscheint die Zerfallsphase, die ihren Anfang in den 80er-Jahren nahm, „als das Ergebnis der Anhäufung all der Charakteristiken eines im Sterben liegenden Systems. Die Phase des Zerfalls ist nach einem dreiviertel Jahrhundert Todeskampf der Gipfel einer durch die Geschichte zum Tode verurteilten Produktionsform. Nicht nur, dass das imperialistische Wesen aller Staaten, die Drohung eines neuen Weltkrieges, die Absorption der Gesellschaft durch den Staatsmoloch und die ständige Krise der kapitalistischen Wirtschaft in der Phase des Zerfalls fortbestehen, sie erreichen darüber hinaus im Zerfall ihre höchste Synthese und äusserste Konsequenz“.(13)
Der Beginn der Phase des Zerfalls (Zerfall (14)) ist also kein Blitz aus heiterem Himmel, sondern muss als Kristallisierung eines Prozesses verstanden werden, der schon in den vorhergehenden Etappen des dekadenten Kapitalismus latent war, aber erst ab einem bestimmten Moment zum zentralen Faktor der Situation wurde. Somit kann den Phänomenen des Zerfalls, die, wie erwähnt, die bisherige Dekadenzphase bis anhin begleitet haben, quantitativ und qualitativ nicht dieselbe Bedeutung zugeschrieben werden, die sie seit Beginn der 80er-Jahre haben. Der Zerfall ist nicht einfach eine „neue Phase“, welche die Abfolge früherer Phasen innerhalb der Dekadenz (Imperialismus, Weltkriege, Staatskapitalismus) fortsetzt, sondern die Endphase des Systems.
Die Phase des allgemeinen Zerfalls, der Verwesung der Gesellschaft, wird durch die Tatsache verursacht, dass die Widersprüche des Kapitalismus sich noch weiter verschlimmern, da die Bourgeoisie unfähig ist, der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit auch nur den Hauch einer Perspektive anzubieten, und das Proletariat nicht imstande ist, seine eigene Perspektive unmittelbar zu behaupten.
In einer Klassengesellschaft handeln die Individuen, ohne ihr eigenes Leben wirklich und bewusst zu kontrollieren. Das bedeutet aber nicht, dass eine solche Gesellschaft völlig blind und ohne Orientierung bzw. Perspektive funktionieren kann. „Tatsächlich kann sich keine Produktionsform am Leben erhalten, sich entfalten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherstellen, wenn sie nicht in der Lage ist, der gesamten, von ihr beherrschten Gesellschaft eine Perspektive anzubieten. Dies trifft besonders auf den Kapitalismus zu, der die dynamischste Produktionsform der bisherigen Geschichte ist.“ (15)
Dieser immer stärkere Verlust eines Wegweisers für die Gesellschaft ist kennzeichnend für die aktuelle Phase des kapitalistischen Zerfalls. Hier besteht ein wichtiger Unterschied zur Periode des Zweiten Weltkrieges. Der Zweite Weltkrieg legte die Barbarei des kapitalistischen Systems auf erschreckende Weise offen. Aber Barbarei ist nicht gleichzusetzen mit Zerfall. Inmitten der Barbarei des Zweiten Weltkriegs entbehrte die Gesellschaft keiner „Orientierung“: Die kapitalistischen Staaten waren fähig, die gesamte Gesellschaft mit eiserner Hand anzuführen und sie für den Krieg zu mobilisieren. In dieser Hinsicht hat die Periode des Kalten Krieges ähnliche Charakteristiken: Das gesamte gesellschaftliche Leben wurde durch die Staaten kontrolliert, die am blutigen Kampf der beiden Blöcke teilnahmen. Die gesamte Gesellschaft wurde von einer „organisierten“ Barbarei umhüllt. Im Unterschied dazu ist seit Beginn der Zerfallsphase diese „organisierte“ Barbarei durch eine anarchistische und chaotische Barbarei ersetzt worden, in der das „Jeder-für-sich“, die Instabilität von Bündnissen, die Kriminalisierung der internationalen Beziehungen vorherrscht.
Zerfall und Klassenkampf
Im Sinne des Marxismus ändern sich also „die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse (...), verwandeln sich mit der Veränderung und Entwicklung der materiellen Produktionsmittel, der Produktionskräfte. Die Produktionsverhältnisse in ihrer Gesamtheit bilden das, was man die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gesellschaft nennt, und zwar eine Gesellschaft auf bestimmter, geschichtlicher Entwicklungsstufe, eine Gesellschaft mit eigentümlichem, unterscheidendem Charakter. Die antike Gesellschaft, die feudale Gesellschaft, die bürgerliche Gesellschaft sind solche Gesamtheiten von Produktionsverhältnissen, deren jede zugleich eine besondere Entwicklungsstufe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet“. (16) Aber ebenso bilden diese Produktionsverhältnisse den Rahmen für ihre eigene Entwicklung und für den Antrieb des Klassenkampfes, zur Entwicklung der Menschheit. So stellt Engels fest, „dass die ökonomische Produktion und die aus ihr mit Notwendigkeit folgende gesellschaftliche Gliederung einer jeden Geschichtsepoche die Grundlage bildet für die politische und intellektuelle Geschichte dieser Epoche; dass demgemäss (seit Auflösung des uralten Gemeinbesitzes an Grund und Boden) die ganze Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen ist, Kämpfen zwischen ausgebeuteten und ausbeutenden, beherrschten und herrschenden Klassen auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung“. (17) Die Verknüpfungen zwischen den Produktionsverhältnissen und der Entwicklung der Produktivkräfte einerseits und dem Klassenkampf andererseits wurden vom Marxismus nie als simpel und mechanisch aufgefasst, so als werde Letztgenanntes allein von Erstgenanntem bestimmt. In dieser Frage warnte Bilan in Reaktion auf die Linksopposition vor der vulgär-marxistischen Interpretation, dass „die ganze Entwicklung der Geschichte auf das Gesetz der Entwicklung der Ökonomie und der Produktivkräfte reduziert werden kann„, und dass diese Interpretation das neue Element im Marxismus ist im Vergleich zu den vorangegangenen historischen Theorien, welche von der Weiterentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft völlig überzeugt waren. Für solch eine vulgär-materialistische Interpretation repräsentiert „der produktive Mechanismus nicht nur die Quelle der Klassenformierungen, sondern er bestimmt auch automatisch das Handeln und die Politik der Klassen und die Menschen, die sie ausführen. Somit wird das Problem des sozialen Kampfes nur simplifiziert. Menschen und Klassen wären nur von den ökonomischen Kräften gesteuerte Marionetten“. (18)
Die Gesellschaftsklassen handeln nicht nach einem durch die wirtschaftliche Entwicklung im Voraus festgesetzten Szenario. Bilan fügt hinzu, dass „die Klassenaktion nur als Folge der historischen Einsicht in die Rolle und die Mittel möglich ist, die für ihren Triumph angemessen sind. Die Klassen sind in ihrem Aufstieg und Niedergang vom ökonomischen Mechanismus abhängig (...) aber für ihren Sieg müssen sie sich eine politische und organische Gestaltung geben, ohne die sie, auch wenn von der Entwicklung der Produktivkräfte auserwählt, riskieren, für lange Zeit Gefangene der alten herrschenden Klasse zu bleiben, die ihrerseits in ihrem Sträuben den Gang der ökonomischen Entwicklung aufhält.“ (19)
An dieser Stelle müssen zwei äusserst wichtige Schlussfolgerungen aus dem Gesagten gezogen werden.
Erstens sind die ökonomischen Mechanismen, obschon bestimmend, selbst auch determiniert, weil der Widerstand der alten Klasse – von der Geschichte zum Tode verurteilt – den Lauf ihrer Entwicklung hemmt. Die Menschheit hat heute beinahe ein Jahrhundert der kapitalistischen Dekadenz hinter sich, die diese Realität veranschaulicht. Um brutale Zusammenbrüche zu vermeiden und die Zwänge der Kriegswirtschaft zu schultern, hat sich der Staatskapitalismus auf Dauer dem Wertgesetz entzogen. (20) Damit stürzt er die Wirtschaft in Widersprüche, die immer unüberwindbarer werden. Weit davon entfernt, die Widersprüche des kapitalistischen Systems zu überwinden, hat solch ein Eskapismus keine andere Konsequenz als die beträchtliche Verschärfung dieser Widersprüche. Bilan zufolge wurde dadurch die historische Entwicklung in einen gordischen Knoten unüberwindbarer Widersprüche gezwängt.
Zweitens ist es der revolutionären Klasse, die durch die Geschichte dazu bestimmt ist, den Kapitalismus zu überwinden, bisher nicht gelungen, diese historische Mission zu erfüllen. Die lange Periode der letzten dreissig Jahre ist eine klare Bestätigung der Analyse Bilans. Diese Analyse gehört in eine Reihe mit den all den anderen marxistischen Positionen. Zwar hat historische Wiederauftauchen des Proletariats 1968 die Bourgeoisie daran gehindert, die Gesellschaft in einen erneuten allgemeinen Krieg zu ziehen, doch war das Proletariat nicht imstande, seine Defensivkämpfe in eine offensive Schlacht zur Zerstörung des Kapitalismus zu verwandeln.
Dieser Rückschlag – für die Analyse ihrer allgemeinen und historisch ursächlichen Faktoren ist in diesem Artikel kein Platz (21) – war entscheidend für den Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase.
Ausserdem ist der Zerfall das Resultat der Schwierigkeiten des Proletariats und trägt gleichzeitig zu ihrer Verschärfung bei: „Und ganz zuoberst haben die Auswirkungen des Zerfalls, wie wir oft festgestellt haben, eine zutiefst negative Auswirkung auf das Bewusstsein des Proletariats, auf seinen Sinn für sich selbst, da sie in all ihren verschiedenen Aspekten – Bandenmentalität, Rassismus, Kriminalität, Drogenmissbrauch, etc. – dazu dienen, die Klasse zu atomisieren, die Spaltungen in ihren Reihen zu vergrössern und sie im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf aufzulösen.“ (22)
Tatsächlich: – tendiert das Verhalten der Zwischenschichten oder gar des Lumpenproletariats unter dem Einfluss der Zerfallsphase zu Verhaltensweisen, die den gröbsten Absurditäten des Kapitalismus oder gar anderer, vorhergehender Systeme entsprechen. Ihre hoffnungs- und zukunftslosen Revolten können das Proletariat kontaminieren oder einige Sektoren desselben mit sich reissen;
– beeinträchtigt die allgemeine Atmosphäre des moralischen und ideologischen Zerfalls die Möglichkeiten der Bewusstseinsentwicklung, der Einheit, des Vertrauens und der Solidarität des Proletariats: „Jawohl, die Arbeiterklasse ist nicht durch eine chinesische Mauer von der alten, der bürgerlichen Gesellschaft getrennt. Und wenn die Revolution anbricht, so geht es nicht so zu wie beim Tode eines einzelnen Menschen, wo die Leiche einfach hinausgetragen wird. Wenn die alte Gesellschaft zugrunde geht, kann man ihren Leichnam nicht in einem Sarg vernageln und ins Grab senken. Dieser Leichnam geht mitten unter uns in Verwesung über, er verfault und steckt uns selber an.“ (23);
– die Bourgeoisie die Auswirkungen des Zerfalls gegen das Proletariat einsetzen kann. Dies war besonders der Fall beim ohne Krieg oder Revolution erfolgten Zusammenbruch des alten sowjetischen Blocks, der eine wichtige und typische Demonstration des Zerfalls darstellt. Dieses Ereignis erlaubte der Bourgeoisie, eine enorme antikommunistische Kampagne auszulösen, die in einen wichtigen Rückfluss von Bewusstsein und Kampfkraft in den proletarischen Reihen mündete.
Marxismus contra Fatalismus
Der Übergang von einer niedrigen Produktionsweise zu einer höheren Produktionsweise ist nicht das fatale Produkt der Entwicklung der Produktivkräfte. Dieser Übergang kann nur im Rahmen einer Revolution geschehen, durch die die neue, dominierende Klasse die alte stürzt und neue Produktionsverhältnisse bildet.
Der Marxismus verteidigt den historischen Determinismus, doch dies bedeutet nicht, dass der Kommunismus das unausweichliche Ergebnis der Entwicklung des Kapitalismus ist. Eine solche Ansicht wäre eine vulgärmaterialistische Verfälschung des Marxismus. Tatsächlich bedeutet der historische Determinismus im marxistischen Sinn Folgendes:
1. Eine Revolution ist erst dann möglich, wenn alle Kapazitäten der bisherigen Produktionsweise erschöpft sind: „Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoss der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.“ (24)
2. Vom Kapitalismus gibt es kein Zurück zu früheren Produktionsformen (zum Feudalismus oder anderen vorkapitalistischen Produktionsweisen): Der Kapitalismus kann nur entweder durch die proletarische Revolution überwunden werden oder aber er stürzt die Menschheit in ihre Zerstörung.
3. Der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft. Die Gruppe Socialisme ou Barbarie und gewisse Abspaltungen des Trotzkismus (25) verteidigen hingegen eine „Theorie“, welche das Aufkommen einer „dritten Gesellschaft“ ankündigt, die weder kapitalistisch noch kommunistisch sei. Aus marxistischer Sicht ist dies abwegig, denn für den Marxismus sind die „bürgerlichen Produktionsverhältnisse die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses (…) Mit dieser Gesellschaftsformation schliesst daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab“. (26)
Der Marxismus hat das Ergebnis historischer Entwicklung immer in Form von Alternativen gezeichnet: Entweder setzt sich die revolutionäre Klasse durch und eröffnet den Weg zur neuen Produktionsform, oder die Gesellschaft verfällt der Anarchie und Barbarei. Das Kommunistische Manifest zeigt auf, wie sich der Klassenkampf manifestiert hat. „Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ (27)
Gegen alle idealistischen Verirrungen, die das Proletariat vom Kommunismus abbringen wollen, definierte Marx den Kommunismus als die „reale Bewegung“ des Proletariats. Marx bestand auf der Tatsache, dass die Arbeiterklasse „keine Ideale zu verwirklichen (hat); sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoss der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben.“ (28) In Die Deutsche Ideologie kritisieren Marx und Engels eine solche Vision heftig: „Die Geschichte ist nichts als die Aufeinanderfolge der einzelnen Generationen, von denen Jede die ihr von allen vorhergegangenen übermachten Materiale, Kapitalien, Produktionskräfte exploitiert, daher also einerseits unter ganz veränderten Umständen die überkommene Tätigkeit fortsetzt und andrerseits mit einer ganz veränderten Tätigkeit die alten Umstände modifiziert, was sich nun spekulativ so verdrehen lässt, dass die spätere Geschichte zum Zweck der früheren gemacht wird, z.B., dass der Entdeckung Amerikas der Zweck zugrunde gelegt wird, der französischen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen…“ (29)
Angewandt auf die derzeitige Entwicklungsphase des Kapitalismus ermöglicht die marxistische Methode zu verstehen, dass der Zerfall, wenn er auch reell existiert, kein rationales Phänomen der historischen Entwicklung ist. Der Zerfall ist in keiner Weise ein notwendiges Glied in einer Entwicklungskette, die zum Kommunismus führt. Im Gegenteil: die Zerfallsphase birgt die Gefahr einer fortschreitenden Zerstörung der materiellen Grundlagen des Kommunismus. Denn der Zerfall bedeutet eine langsam fortschreitende Zerstörung der Produktivkräfte, möglicherweise bis zu dem Punkt, wo der Aufbau des Kommunismus nicht mehr möglich ist: „Man kann also nicht, wie die Anarchisten, behaupten, dass eine sozialistische Perspektive offen war, als sich die Produktivkräfte zurückbildeten oder auf ihrem Niveau stehen blieben. Der Kapitalismus stellt eine notwendige und unumgängliche Etappe zur Errichtung des Sozialismus dar. Nur der Kapitalismus kann die objektiven Bedingungen für den Sozialismus entwickeln. Aber im aktuellen Stadium des Kapitalismus, und darüber sprechen wir, ist der Kapitalismus eine Bremse zur Entwicklung der Produktivkräfte geworden. Je länger der Kapitalismus andauert, desto mehr verschlechtern sich die Bedingungen für den Sozialismus. Die Frage, die sich heute stellt, ist die zwischen der historische Alternative Sozialismus oder Barbarei.“ (30)
Des Weiteren vernichtet der Zerfall auch allmählich die Grundlagen zur Einheit und Identität der proletarischen Klasse: „.. der Prozess der Desintegration, der durch die massive und andauernde Arbeitslosigkeit besonders unter den jungen Menschen, durch die Auflösung traditioneller militanter Arbeiterkonzentrationen im Herzen der Industrie hervorgerufen wurde, was die Atomisierung und die Konkurrenz unter den Arbeitern intensivierte (…) Die Fragmentierung der Klassenidentität, die wir besonders im letzten Jahrzehnt erlebt haben, ist kein irgendwie gearteter Fortschritt, sondern eine Manifestation des Zerfalls, die immense Gefahren für die Arbeiterklasse in sich birgt.“ (31)
Der Klassenkampf: Motor der Geschichte
Die geschichtliche Etappe des Zerfalls birgt die Gefahr einer Zerstörung der Grundlagen für die kommunistische Revolution in sich. In diesem Sinn unterscheidet sie sich nicht von den anderen Etappen innerhalb der Dekadenzphase des Kapitalismus, die ebenfalls diese Gefahr beinhalteten und von den Revolutionären damals vorgebracht wurden. Verglichen mit den vorhergehenden Phasen gibt es aber dennoch einige Unterschiede:
1. Früher führte der Krieg in eine Wiederaufbauperiode. Doch unter dem Einfluss des Zerfalls ist der Prozess der Menschheitszerstörung zwar langsamer und versteckter, aber unumkehrbar. (32)
2. Früher war die Zerstörungsgefahr mit dem Ausbruch eines Dritten Weltkrieges verknüpft, heute hingegen, in der Etappe des Zerfalls, wirken die unterschiedlichsten Gründe (lokale Kriege, die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts, der langsame Abbau von Produktivkräften, der allmähliche Untergang der produktiven Infrastruktur, die graduelle Zerstörung der gesellschaftlichen Beziehungen) mehr oder weniger gleichzeitig bei der Zerstörung der Menschheit mit.
3. Früher präsentierte sich die Gefahr der Vernichtung in der brutalen Form eines neuen Weltkrieges, heute dagegen hüllt sie sich in einer weniger sichtbaren Kostüm, ist heimtückischer, viel schwerer zu beurteilen und noch schwerer zu bekämpfen. (33)
4. Die Tatsache, dass der Zerfall zentraler Faktor bei der Entwicklung der gesamten Gesellschaft ist, bedeutet, wie schon erwähnt, dass er auf allen Ebenen einen direkten und permanenter Einfluss auf das Proletariat ausübt: Bewusstseinsentwicklung, Einheit, Solidarität, etc.
Dennoch darf das „Verständnis der grossen Gefahren, die für die Arbeiterklasse und die ganze Menschheit vom Zerfall ausgehen, die Arbeiterklasse und mit ihr die revolutionären Minderheiten nicht dazu verleiten, eine fatalistische Haltung einzunehmen.“ (34)
Tatsächlich:
– hat das Proletariat keine bedeutenden Niederlagen erlitten und bleibt seine Kampffähigkeit weiterhin intakt;
– bildet derselbe Faktor, der die grundlegende Ursache des Zerfalls ist – die unabwendbare Verschärfung der Krise – auch „die Bedingung für die Fähigkeit der Klasse, dem ideologischen Gift der Fäulnis der Gesellschaft entgegenzutreten“. (35)
Nur die kommunistische Revolution selbst kann die Gefahr des Zerfalls für die Gesellschaft definitiv bannen. Die Verteidigungskämpfe der Arbeiter gegenüber der Krise reichen dagegen für die Bewältigung dieser Aufgabe nicht aus. Denn das Bewusstsein über die Krise allein kann die Probleme und Schwierigkeiten nicht lösen, mit denen das Proletariat konfrontiert ist und in immer stärkerem Masse konfrontiert wird. Daher muss das Proletariat:
„– ein Bewusstsein darüber, was in der gegenwärtigen historischen Situation auf dem Spiel steht, und insbesondere ein Bewusstsein über die tödlichen Gefahren entwickeln, die der Zerfall für die Menschheit mit sich bringt,
– entschlossen die Weiterentwicklung und Vereinigung seines Klassenkampfes fortsetzen,
– seine Fähigkeit weiterzuentwickeln, den verschiedenen Fallen auszuweichen, den die vom Zerfall selbst befallene Bourgeoisie den Arbeitern stellt…“ (36)
Der Zerfall zwingt das Proletariat dazu, seine Waffen des Bewusstseins, der Einheit, des Selbstvertrauens, der Solidarität, des Willens und des Heroismus zu schmieden. Trotzki nannte dies die subjektiven Faktoren und betonte in seiner Geschichte der Russischen Revolution ihre Wichtigkeit für dieses historische Ereignis. An allen Fronten des proletarischen Klassenkampfes (Engels sprach von dreien: der ökonomischen, der politischen und der theoretischen Front) müssen die Revolutionäre und die fortgeschrittensten Minderheiten des Proletariats diese Qualitäten kultivieren sowie tiefgehend und ausgiebig weiterentwickeln.
Die Zerfallsphase zeigt, dass von den beiden Faktoren, die die historische Weiterentwicklung bestimmen – der ökonomische Mechanismus und der Klassenkampf – der erstere überreif ist und daher die Gefahr der Zerstörung der Menschheit heraufbeschwört. Dadurch wird der zweite zum entscheidenden Faktor. Mehr denn je ist der proletarische Klassenkampf jetzt Motor der Geschichte. Bewusstsein, Einheit, Vertrauen, Solidarität, Wille und Heroismus sind Qualitäten, die das Proletariat im Klassenkampf auf einem völlig anderen, höheren Niveau einbringen kann als die anderen gesellschaftlichen Klassen der Geschichte. Es sind diese Qualitäten, die, aufs Höchste entwickelt, dem Proletariat erlauben, die dem Zerfall innewohnenden Gefahren zu überwinden und den Weg zur kommunistischen Befreiung der Menschheit zu eröffnen.
C. Mir
(*) Notiz
In einem Flugblatt der „IFIKS“ (jene selbst ernannte „Interne Fraktion der IKS“ ist zusammengesetzt aus Ex-Mitgliedern unserer Organisation) mit dem Titel „Fragen an die aktuellen Militanten und Sympathisanten der IKS“, welches im Vorfeld unserer öffentlichen Treffen sowie auf der pazifistischen Demonstration vom 20. März in Paris verteilt wurde, kommentiert diese Gruppe Auszüge aus der am 15. Internationalen Kongress der IKS angenommenen Resolution über die internationale Situation.
Erster Auszug: „Obgleich der Zerfall des Kapitalismus aus einer historischen ‚Sackgasse‘ zwischen den Klassen resultiert, ist diese Situation beileibe nicht statisch. Die Wirtschaftskrise, die am Anfang sowohl des Kriegskurses als auch der proletarischen Antwort steht, vertieft sich weiter, doch im Gegensatz zur Periode von 1968–89, als das Ergebnis der damaligen Klassenkonfrontationen nur der Weltkrieg oder die Weltrevolution sein konnte, eröffnet die neue Periode eine dritte Alternative: die Zerstörung der Menschheit nicht durch einen apokalyptischen Krieg, sondern durch ein allmähliches Fortschreiten des Zerfalls, der nach einer gewissen Zeit die Fähigkeit des Proletariats untergraben könnte, als Klasse zu antworten, und der den Planeten durch eine endlose Spirale von regionalen Kriegen und ökologischen Katastrophen gleichermassen unbewohnbar machen könnte. Um einen Weltkrieg zu führen, müsste die Bourgeoisie zunächst die Hauptbataillone der Arbeiterklasse offen konfrontieren, besiegen und sie anschliessend dazu mobilisieren, mit Begeisterung hinter den Bannern und der Ideologie eines neuen imperialistischen Blocks zu marschieren. In dem neuen Szenario könnte die Arbeiterklasse schleichend und indirekt besiegt werden, wenn es ihr nicht gelingt, auf die Krise des Systems zu antworten, und sie hinnimmt, dass sie immer tiefer in den Pfuhl des Zerfalls gedrängt wird.“ (37)
Kommentar der IFIKS: „Das ist eindeutig die opportunistische Einführung eines ‘dritten Weges’, der im Widerspruch zur klassisch marxistischen These einer historischen Alternative steht. Wie bei Bernstein, Kautsky und ihren Epigonen steht die Idee eines dritten Weges im Widerspruch zur – gemäss dem Opportunismus ‘vereinfachenden’ – historischen Alternative von ‘Krieg oder Revolution’. Es handelt sich hier um eine offene und ausdrückliche Revision einer klassischen These der Arbeiterbewegung“
Zweiter Auszug unserer Resolution:
„Was mit dem Zerfall hinzu gekommen ist, ist die Möglichkeit einer historischen Niederlage nicht durch einen Frontalzusammenstoss zwischen den Hauptklassen, sondern durch ein langsames Dahinsiechen der Fähigkeit des Proletariats, sich selbst als eine Klasse zu konstituieren, was es erschweren würde, den point of no return wahrzunehmen, da dieser bereits vor dem eigentlichen katastrophalen Ende erreicht wäre. Dieser tödlichen Gefahr steht die Klasse heute gegenüber.“
Kommentar der IFIKS:
„Hier drückt sich die opportunistische und revisionistische Tendenz aus, den Klassenkampf zu liquidieren.“
In Wirklichkeit zeigt sich in diesen Zeilen die gezielte Absicht der IFIKS, unserer Organisation mit allen Mitteln Schaden zuzufügen – mit dem Ziel, sie zu zerstören. Die Mitglieder der IFIKS haben nach mehreren Jahrzehnten der Militanz innerhalb der IKS ihre kommunistischen Überzeugungen verloren und den Untergang der IKS beschworen. So sind sie zu den gröbsten Erbärmlichkeiten bereit, um an ihr Ziel zu kommen: Raub, spitzel-ähnliches Verhalten (38) sowie offensichtliche und schamlose Lügen. Doch die IKS hat ihre Positionen keineswegs „revidiert“, seitdem die weissen Ritter der IFIKS nicht mehr da sind, um sie vor der „Entartung“ zu beschützen.
In ihrem auf dem 13. Kongress der IKS angenommenen Bericht über den Klassenkampf, der einstimmig, also auch von den späteren Gründern der IFIKS, angenommen wurde, kann man u.a. lesen:
„Die Gefahren der neuen Periode für die Arbeiterklasse und für die Zukunft ihrer Kämpfe darf nicht unterschätzt werden. Während der Klassenkampf in den 70er und 80er-Jahren definitiv eine Barriere gegen den Krieg darstellte, wird der Prozess des Zerfalls von den Tageskämpfen weder gestoppt noch verlangsamt. Um einen Weltkrieg auszulösen, müsste die Bourgeoisie eine Reihe wichtiger Siege über die zentralen Bataillone der Arbeiterklasse erringen. Heute sieht sich das Proletariat einer längerfristigen, aber nicht minder gefährlichen Bedrohung des ‚Todes auf Raten‘ gegenüber, wo die Arbeiterklasse in wachsendem Masse durch den ganzen Prozess bis zu dem Punkt niedergerungen werden kann, an dem sie die Fähigkeit verliert, sich selbst als Klasse zu behaupten, während der Kapitalismus von einer Katastrophe in die nächste stürzt (lokale Kriege, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, Seuchen, etc.), bis jener Punkt erreicht ist, an dem die Aussicht auf eine kommunistische Gesellschaft auf Generationen hinaus zerstört würde – ganz zu schweigen von der eigentlichen Vernichtung der Menschheit selbst.“ (Internationale Revue, Nr. 25)
Ebenso liest man in einem von der IKS auf ihrem 14. Kongress vom Frühling 2001 (mit der Zustimmung der gleichen künftigen Mitglieder der IFIKS) angenommenen Bericht über den Klassenkampf:
„Gleichzeitig ist diese Entwicklung wenig tröstlich für die Sache des Kommunismus, da sie eine Situation geschaffen hat, in der die Basis einer neuen Gesellschaft auch ohne Weltkrieg und somit ohne die Notwendigkeit, das Proletariat für den Krieg zu mobilisieren, untergraben werden kann. Im ersten Szenario ist es der Nuklearkrieg, der die Möglichkeit des Kommunismus definitiv aufs Spiel setzt, indem er den Planeten oder zumindest einen grossen Teil der globalen Produktivkräfte, einschliesslich des Proletariats, zerstört. Das neue Szenario sieht die Möglichkeit eines langsameren, aber nicht weniger tödlichen Rutsches in einen Zustand vor, in dem das Proletariat irreparabel zersplittert ist und die natürlichen sowie wirtschaftlichen Fundamente für die gesellschaftliche Umwandlung durch die Zunahme von lokalen und regionalen militärischen Konflikten, von Umweltkatastrophen und durch den gesellschaftlichen Zusammenbruch gleichermassen ruiniert werden.“ (Internationale Revue
Nr. 30)
Bezüglich dieser vom Kongress angekommenen Resolution erklärt der Punkt 13, dass „... die Gefahr bleibt, dass der eher schleichende Prozess des Zerfalls die Klasse allmählich überwältigen könnte, ohne dass der Kapitalismus ihre totale Niederlage herbeiführen muss…“ (Resolution zur internationalen Lage des 14. IKS-Kongress, in: Weltrevolution, Nr. 107)
Muss man annehmen, dass die glorreichen Verteidiger der „wahren IKS“ (wie sie sich definieren) am Schlafen waren, als diese Dokumente angenommen wurden, oder dass sich ihre Arme von allein erhoben, um für die Annahme des Berichts zu stimmen? Dann müsste man aber davon ausgehen, dass sie mehr als elf Jahre lang geschlafen haben, da es nämlich in einem im Januar 1990 vom Zentralorgan der IKS angenommenen (und von seinen Mitgliedern vorbehaltlos befürworteten) Bericht heisst: „Während der Weltkrieg gegenwärtig keine und vielleicht nie mehr eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt, kann diese Bedrohung wiederum noch aus dem Zerfall der Gesellschaft herorgehen. Während die Auslösung eines Weltkrieges die Unterstützung der Arbeiterklasse für die Werte der Bourgeoisie erfordert (...) erfordert der Zerfall überhaupt nicht die Unterstützung der Arbeiter für die Zerstörung der Menschheit.“ (39)
Fußnoten:
1 Wir haben unsererseits zahlreiche Artikel unserer Presse der Kritik diesen unser Erachtens falschen Ansichten gewidmet. An erster Stelle sei die, bezogen auf den Marxismus, fälschliche „Innovation“ mit dem paradoxen Namen „Invarianz“ genannt. Im Namen dieser „Invarianz“ weigert sich die bordigistische Strömung (sie gehört wie die IKS der Kommunistischen Linken an) auf dogmatische Weise, die Realität einer weitreichenden Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft seit 1848 anzuerkennen. Damit widerspricht sie auch der Auffassung, dass das System in seine dekadente Phase getreten ist (siehe unsere Artikel über die Ablehnung der Dekadenztheorie durch die Internationale Kommunistische Partei
(Kommunistisches Programm), in: International Review Nrn. 77 und 78 und über die Ablehnung des IBRP, The Conception of Decadence in Capitalism, in: International Review, Nr. 79 (engl., franz., span. Ausgabe).
2 Es handelt sich um folgende Artikel: War and the ICC (Der Krieg und die IKS) in Revolutionary Perspectives, Nr. 24, Workers’ Struggles in Argentina: Polemic with the ICC (Arbeiterkämpfe in Argentinien: eine Polemik mit der IKS) in Internationalist Communist, Nr. 21 und Imperialsm’s New World Order“ (Die neue Weltordnung des Imperialismus) in: Revolutionary Perspectives, Nr. 27.
3 s. International Review Nrn. 48, 49, 50, 54, 55 und 56 (engl., franz., span. Ausgabe). und in Deutsch Die Dekadenz des Kapitalismus verstehen in: Internationale Revue Nrn. 10–12.
4 s. Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, Punkt 3, in: Internationale Revue Nr. 13.
5 s. On Imperialisme, in: Internationale Review
Nr. 19 (engl., franz., span. Ausgabe).
6 s. Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, in: Internationale Revue Nr. 13.
7s. Richtlinien der Kommunistischen Internationale, angenommen auf dem 1. Kongress, Die Kommunistischen Internationale: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd, 1, Intarlit (1984) und: www.sinistra.net/komintern/dok/1krichtkid.html
8 Ebd.
9 s. Manifest der Kommunistischen Internationale an das Weltproletariat, weitere Quellenangabe siehe Fussnote 7 auf dieser Seite.
10 s. Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, in: Internationale Revue Nr. 13.
11. Ebd.
12 s. Instabilité et décadence capitaliste, in: Internationalisme Nr. 23.
13 s. Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, Punkt 3, in: Internationale Revue Nr. 13.
14 Wenn wir den Begriff des Zerfalls benutzen, so beziehen wir uns auf die Phase des Zerfalls. Die Ausdrücke „Phase des Zerfalls“ und „Phänomen des Zerfalls“ sind zu unterscheiden. Wie wir oben gesehen haben, begleitet das Phänomen des Zerfalls mehr oder weniger deutlich den gesamten Prozess der Dekadenz und wird zum bestimmenden Faktor erst in der Zerfallsphase selbst.
15 s. Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, Punkt 3, Internationale Revue Nr. 13.
16 Karl Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW 6, S. 408.
17 Friedrich Engels, Vorwort zur deutschen Neuausgabe des Kommunistischen Manifests von 1883, in: MEW 21, S. 3.
18 s. Les principes, armes de la révolution, in: Bilan, Nr. 5.
19 Ebenda. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass eine Idee nicht auf Anhieb bei den Lesern als unbestreitbar marxistisch empfunden wird, nur weil sie von der linkskommunistischen Strömung Italiens entwickelt wurde. Zumindest sollte diese Tatsache aber die Genossen und Sympathisanten von Organisationen interessieren, die sich zu dieser historischen Strömung zählen – etwa das IBRP oder die verschiedenen sich Internationale Kommunistische Partei nennenden Gruppen.
20 Siehe das Kapitel in unserer Broschüre Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse: Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus.
21 s.Why the proletariat has not yet overtrown capitalism, in: Internationale Review Nr. 103 und 104 (engl., franz., span. Ausgabe).
22 s. Bericht über den Klassenkampf – das Konzept des historischen Kurses in der revolutionären Bewegung, angenommen vom 14. Kongress der IKS; Internationale Revue Nr. 29 und 30.
23 Lenin, Referat über den Kampf gegen die Hungersnot, in: Werke, Bd. 27, S. 432.
24 Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, S. 9.
25 Burnham und seine neue Theorie einer „Managerklasse“.
26 Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, S. 9.
27 Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der kommunistischen Partei, in: MEW 4, S. 462.
28 Karl Marx Der Bürgerkrieg in Frankreich, in: MEW 17, S. 343.
29 Karl Marx/Friedrich Engels Die deutsche Ideologie, in: MEW 3, S. 45.
30 L’évolution du capitalisme et la nouvelle perspective, Kommunistische Linke Frankreichs, Internationalisme, Nr. 46, 1952; wiederveröffentlicht in: InternationaleRevew Nr. 21 (engl., franz., span. Ausgabe/Der Text ist auch in Deutsch erhältlich)
31 Bericht über den Klassenkampf – das Konzept des historischen Kurses in der revolutionären Bewegung, angenommen vom 14. Kongress der IKS, in: Internationale Revue Nrn. 29 und 30.
32 Die Periode des Kalten Krieges zeigte schon mit ihrem wahnwitzigen nuklearen Rüstungswettlauf das Ende jeglicher Möglichkeit eines Wiederaufbaus infolge eines möglicherweise ausbrechenden Dritten Weltkrieges.
33 siehe die Notiz * am Ende des Artikels.
34 s. Der Zerfall der Kapitalistischen Gesellschaft, Punkt 17, in: Internationale Revue Nr. 13.
35 Ebd.
36 Ebd.
37 s. Resolution über die internationale Situation vom 15. Kongress der IKS, in: Internationale Revue Nr. 31, Hervorhebungen von der IFIKS.
38 s Die Polizeimethoden der IFIKS, in Weltrevolution Nr. 117.
39 s. Der Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos, in: Internationale Revue Nr. 12.