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Die Rolle der Partei im proletarischen Klassenkampf
Im ersten Teil dieses Artikels (Weltrevolution 119) kritisierten wir die unserer Meinung nach nicht-marxistische Sicht des proletarischen Klassenkampfes durch die Zeitschrift Soziale Befreiung, insbesondere deren Ablehnung der Vorstellung, dass das revolutionäre Proletariat eine historische Aufgabe bzw. Mission zu erfüllen hat. (1)
Im zweiten Teil wollen wir uns mit den Vorstellungen der SB über die Rolle revolutionärer Organisationen befassen. Im Kapitel 3.3 des Bandes Der Terror des Kapitals, der die Zwischenüberschrift “Der bürgerliche Charakter der Sozialdemokratie und des Leninismus” trägt, lesen wir folgende Grundaussagen über das Wesen politischer Parteien. “Die bürgerliche Partei reproduziert die kapitalistische Klassengesellschaft in der politischen Form der Partei durch BerufspolitikerInnen auf der einen Seite und der mehr oder weniger entmündigten lohnabhängigen Parteibasis. Indem die ArbeiterInnenbewegung die politische Form der Partei übernahm, übernahm sie die politische Form der Klassenherrschaft und reproduzierte in einem längeren oder kürzeren Prozess den sozialen Inhalt, das heißt sie wurde zu einer Stütze der bürgerlichen Produktionsverhältnisse” (S.30).
“Die Feststellung des deutschen Rätekommunisten Otto Rühle, wonach eine Partei eine bürgerliche Organisationsform und nicht die des proletarischen Befreiungskampfes sei, ist durch die Geschichte und Gegenwart von Leninismus und Sozialdemokratie belegt. Die soziale Revolution wird das Werk der selbstorganisierten ArbeiterInnen sein, oder sie hat diesen Namen nicht verdient. Leninistische Sekten (Stalinismus, Maoismus, Trotzkismus, Bordigismus..) und sozialdemokratische Wahlvereine sind nichts anderes als Sackgassen (...) Nein, wir sind nicht Organisationsfeindlich. Wir lehnen nur die bürgerlichen Organisationsformen ab und betonen, daß die revolutionären Organisationsformen nur dem möglicherweise (nicht schematisch-naturgesetzmäßigen) revolutionären Klassenkampf in Krisenzeiten erwachsen können. Auch lehnen wir die heutige Organisation von Minderheiten sozialrevolutionärer ArbeiterInnen nicht ab. Was wir ablehnen ist jede Übernahme von BerufspolitikerInnen – und StellvertreterInnentum innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, die aber genau die gesellschaftliche Basis des Parteikommunismus ist. Der Parteimarxismus ist eine bürgerlich-bürokratische Ideologie oder anders formuliert: die verschiedenen parteimarxistischen Ideologien sind der geistige Ausdruck der verschiedenen Parteibürokratien.” (S.31)
Die Gefahren einer soziologischen Definition der Klassenzugehörigkeit
Es fällt auf, dass die Rolle politischer Organisationen im Klassenkampf hier nach soziologischen Kriterien ausgemacht wird. Aus Sicht des Marxismus wird die Klassennatur einer politischen Gruppe aber von ihrem Programm abgeleitet, nicht davon, ob dort “Berufspolitiker” tätig sind oder nicht. Es ist sehr bezeichnend, dass SB den “Bordigismus” in einem Atemzug mit dem Stalinismus, Maoismus oder Trotzkismus nennt. Das erste politische Kriterium der Zugehörigkeit einer politischen Strömung zur Arbeiterklasse ist die Verteidigung des proletarischen Internationalismus gegenüber dem imperialistischen Krieg. Während die Stalinisten, Maoisten und Trotzkisten Millionen von Arbeitern zur Schlachtbank des zweiten imperialistischen Krieges führten, gehörten die “Bordigisten” zu den ganz wenigen, welche der Grundlosung unserer Klasse – das Proletariat hat kein Vaterland – treu geblieben sind.
Wenn Bordiga und manche seiner Genossen innerhalb der KP Italiens Anfang der 1920er Jahre “Berufspolitiker” waren, dann nicht, um über die Arbeiter oder die Parteimitglieder zu herrschen, sondern weil eine kommunistische Organisation in einer revolutionären Lage eine Tagespresse herausgeben, eine vom Zugriff der bürgerlichen Repressionsorgane gesicherte, illegale Struktur aufbauen muss usw. – Aufgaben, welche nicht mehr unbedingt mit dem “normalen” Berufsleben zu vereinbaren sind. Auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren von Beruf nicht Arbeiter, sondern Politiker, und diese Tatsache wurde 1918 von den konterrevolutionären Schergen der Sozialdemokratie demagogisch dazu verwendet, um diese beiden, in ihrer Hingabe für die Sache des Proletariats beispielhaften Revolutionäre vom ersten Rätekongress in Berlin auszuschließen.
Hinter der scheinradikalen, unterschiedslosen Ablehnung aller politischen Parteien, unabhängig von der Klassennatur ihres Programms, steckt unserer Meinung nach eine gefährliche Unklarheit über linkskapitalistische Gruppierungen. Beispielsweise schreibt SB über die stalinistische Jugendorganisation in Deutschland: “Die SDAJ kann als radikal-reformistische Kraft einfach nicht begreifen, daß die Grundlagen der Sozialdemokratie noch nie revolutionär waren, sondern schon immer reformistisch und daß jene Grundlagen in Krisenzeiten konterreformistisch und konterrevolutionär wirken müssen. Indem die SDAJ Illusionen über die Reformierbarkeit der Gewerkschaften verbreitet, stärkt sie die linksbürgerliche Ideologie in der ArbeiterInnenklasse.” (S. 11) Daraus geht hervor, dass die Sozialdemokratie nur in Krisenzeiten konterrevolutionär wäre, während der Stalinismus selbst offenbar nicht für konterrevolutionär gehalten wird. Auf Seite 31 ringt SB mit der Tatsache, dass innerhalb von DKP und SDAJ die Hauptamtlichkeit “weitgehend abgeschafft” wurde, stellt aber fest: “Auch in ihrer Ehrenamtlichkeit liegt ihre Abgehobenheit zur lohnabhängigen Basis begründet, die nur in viel weniger Zeit Politik machen kann. Zweitens besitzt eine Ideologie ein gewisses Eigenleben, d.h. sie kann auch noch dann existieren wenn ihr die materielle Basis weitgehend abhanden gekommen ist.”
Auch diese Aussage zeigt die ganze Schwäche der soziologischen Definition der Klassenzugehörigkeit. In Wahrheit ist der stalinistischen Ideologie keineswegs ihre “materielle Basis” abhanden gekommen, denn diese Basis liegt keineswegs in der “Hauptamtlichkeit”, sondern in ihrer unumkehrbaren Integration im bürgerlichen Staatsapparat begründet.
Die Rolle der Partei in der Geschichte
SB macht sich die Auffassung Otto Rühles zu eigen, derzufolge die politische Partei ein wesentliches Attribut der Bourgeoisie, nicht aber des Proletariats sei. Die Geschichte zeigt aber, dass die politischen Parteien im Leben der Bourgeoisie keine sehr wesentliche Rolle gespielt haben. Bis zum 20. Jahrhundert gab es niemals und in keinem Land eine politische Partei, welche die bürgerliche Klasse einheitlich vertrat. Die Parteien waren v.a. Lobbyisten bestimmter Gruppen der Besitzerklasse, während der Regierung und damit dem Staatsapparat die Aufgabe zukam, die Interessen der Kapitalistenklasse insgesamt gegenüber der Arbeiterklasse wie auch gegenüber anderen nationalen Kapitalien zu verteidigen. Erst nach dem 1. Weltkrieg kommt das Phänomen des Einparteienstaates auf, wie etwa in Stalins Russlands oder im faschistischen Italien und Deutschland. Doch dies geschieht wiederum im Rahmen des Staatskapitalismus und geht einher mit der Integration der politischen Parteien in den Staatsapparat. Hier ist es erst recht der Staat, und nicht die politischen Parteien, welcher die Interessen des Kapitals maßgeblich vertritt.
Ganz anders beim Proletariat. Sobald die Arbeiterklasse zu einem eigenständigen Klassenbewusstsein gelangt, ist sie bestrebt, einheitliche politische Organisationen und Parteien hervorzubringen, welche einheitlich die Interessen des gesamten Proletariats verfechten. Mehr noch: das Proletariat strebt den Aufbau, nicht von national eigenständigen, sondern von Weltparteien an, wie die Geschichte der politischen Arbeiterbewegung vom Bund der Kommunisten über die drei Internationalen bis hin zu den linkskommunistischen Gruppierungen der Gegenwart belegt.
Erst das Proletariat bringt politische Parteien hervor, welche einheitlich für die weltweiten Interessen ihrer Klasse kämpfen und dabei eine zentrale, unverzichtbare Rolle übernehmen. Denn das Proletariat ist die erste eigentumslose, revolutionäre Klasse der Geschichte. Das bedeutet einerseits, dass es nicht durch unterschiedliche Interessen gegeneinander konkurrierender Eigentümer gespalten wird, und andererseits, dass es sich nur auf seine Bewusstseinsentwicklung und seine Organisationsfähigkeit stützen kann, um den Kapitalismus zu stürzen. Genau darin liegt die ganze Bedeutung der politischen Partei für die Arbeiterklasse begründet. Denn die Partei, wie die ihr vorangehenden, vorbereitenden, politischen Gruppierungen, dienen vornehmlich dem Vorantreiben des Klassenbewusstseins und der Selbstorganisation der Klasse. Alle anderen, falschen, von der Bourgeoisie entlehnten Vorstellungen über die Rolle der Arbeiterpartei – die Übernahme der Regierungsgeschäfte, die Organisierung der Arbeiterkämpfe – haben sich hingegen als unrichtig erwiesen.
Entwicklung des Klassenbewusstseins – eine Aufgabe des gesamten Proletariats
Die scheinradikale Ablehnung von Parteien per se und von “Berufspolitikern” schützt SB keineswegs davor, an den Vorstellungen Lenins in Was Tun beeinflussten Auffassungen anzuknüpfen, sobald sie die Aufgabe der Revolutionäre definieren wollen. “Ihr Platz” in der Revolution “ist dann in der proletarischen Selbstorganisation, welche von der Klasse im Kampf spontan und bewußt zugleich geschaffen wird. Dort ist es ihre Aufgabe den historischen Materialismus der Minderheit mit dem Klasseninstinkt der Mehrheit zum revolutionären Massenbewusstsein zu verschmelzen. Parteiorganisationen sind dazu nicht fähig.” (S.32)
SB zitiert wohlwollend den Rätekommunisten Paul Mattick, der den internationalistischen Marxisten Franz Mehring dafür kritisierte, dass er Wissenschaft, Literatur und Schulen für Arbeiter befürwortete (S.34).
Wir jedenfalls glauben, dass die Arbeiterklasse insgesamt sich mit der Geschichte, Theorie, Wissenschaft befassen muss, und sich niemals selbst befreien wird, wenn die Mehrheit der Arbeiter nichts als ihren “Klasseninstinkt” beizusteuern hat. Zwar ist es die spezifische Aufgabe der revolutionären Organisation, die programmatischen Errungenschaften, die historischen Lehren, die sozialistische Theorie sowie die marxistische Methode zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Doch heißt dies keineswegs, dass dies ausschließlich Aufgaben der Revolutionäre wären. Im Gegenteil – die proletarische Revolution kann nur als bewusste Bewegung der großen Arbeitermassen siegen. Wie Marx schon 1843/44 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie anmerkte, wird “auch die Theorie zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift”.
FR.
(1)Die Soziale Befreiung schreibt uns in Bezug auf diesen ersten Artikel:
“In Eurer Polemik gegen uns sind euch bei der Wiedergabe von Zitaten leider sinnentstellende Fehler unterlaufen. Wir möchten euch bitten, diese Fehler in eurer nächsten Ausgabe zu berichtigen.
Erster Fehler: Ihr gebt folgenden Satz so wider: Erst dann wird auch der nationalen Ideologie die proletarische Folgschaft aufgekündigt.
Im Original steht aber: Erst dann wird auch der nationalen Ideologie massenhaft die proletarische Folgschaft aufgekündigt.
Zweiter Fehler: Ihr gebt folgenden Satz so wider: Sie führen also einen ebenfalls durch das Kapitalverhältnis gegebenen Konkurrenzkampf um Jobs und Sozialleistungen gegen andere Lohnabhängige – Sexismus und Rassismus sind die Ideologien dieses Klassenkampfes.
Im Original heißt es dagegen:
Sie führen also einen ebenfalls durch das Kapitalverhältnis gegebenen Konkurrenzkampf um Jobs und Sozialleistungen gegen andere Lohnabhängige – Sexismus und Rassismus sind die Ideologien dieses Konkurrenzkampfes.”
Hiermit entschuldigen wir uns für diese Flüchtigkeitsfehler.