Zwischenbilanz im Kampf bei Swissmetal in Reconvilier: Welche Lehren für die Arbeiterklasse insgesamt?

Printer-friendly version

Vom 25. Januar bis Ende Februar 2006 standen die Maschinen bei Swissmetal in Reconvilier zum zweiten Mal innert 15 Monaten still. Die über 300 Arbeiter streikten erneut, nachdem sie bereits im November 2004 in den Ausstand getreten waren. Im Buntmetallwerk von Reconvilier (genannt La Boillat) beschlossen die Arbeiter spontan in Solidarität mit 27 Entlassenen den Streik und besetzten die Fabrik (vgl. Weltrevolution Nr. 128 und 135). Der erste Streik war seinerzeit beendet worden, weil die Konzernleitung zugesagt hatte, den Standort Reconvilier und die Arbeitsplätze zu erhalten.  Ein Monat nach Beginn des zweiten Streiks stellte die inzwischen aktiv gewordene Gewerkschaft UNIA die kämpfenden Arbeiter vor die Alternative, den Vorschlag des von der Regierung eingesetzte Vermittlers Rolf Bloch anzunehmen oder keine Streikgelder mehr zu erhalten... Vom 25. Januar bis Ende Februar 2006 standen die Maschinen bei Swissmetal in Reconvilier zum zweiten Mal innert 15 Monaten still. Die über 300 Arbeiter streikten erneut, nachdem sie bereits im November 2004 in den Ausstand getreten waren. Im Buntmetallwerk von Reconvilier (genannt La Boillat) beschlossen die Arbeiter spontan in Solidarität mit 27 Entlassenen den Streik und besetzten die Fabrik (vgl. Weltrevolution Nr. 128 und 135). Der erste Streik war seinerzeit beendet worden, weil die Konzernleitung zugesagt hatte, den Standort Reconvilier und die Arbeitsplätze zu erhalten. 

Ein Monat nach Beginn des zweiten Streiks stellte die inzwischen aktiv gewordene Gewerkschaft UNIA die kämpfenden Arbeiter vor die Alternative, den Vorschlag des von der Regierung eingesetzte Vermittlers Rolf Bloch anzunehmen oder keine Streikgelder mehr zu erhalten. Blochs Vorschlag beinhaltete im Wesentlichen, dass die Kündigungen vorübergehend aufgehoben, das Vermittlungsgespräch fortgesetzt und der Streik beendet werden sollen. Der Streik wurde dann nach dieser Erpressung durch die Gewerkschaft je nach Standpunkt ab- bzw. unterbrochen. Wir haben bereits in der April/Mai-Ausgabe dieser Zeitung darüber berichtet, wie frustriert die Arbeiter über die Gewerkschaft waren. „Es war ein Fehler, dass wir die Verhandlungen aus unseren Händen gegeben“, d.h. der Gewerkschaft überlassen haben, war eine der Lehren, die schon damals gezogen wurden.

Der Konflikt dauert an. Es wird zwar nicht mehr gestreikt. Aber Swissmetal hat Ende März trotz laufenden Vermittlungsgesprächen 112 Kündigungen ausgesprochen. Weitere Verschlechterungen sind absehbar. Die Vorschläge der so genannten Vermittler und Experten laufen alle darauf hinaus, dass man sich mit irgendwelchen Zusagen der Konzernleitung zufrieden geben soll - nachdem diejenigen vom Dezember 2004 schon nicht eingehalten wurden!

Die Gewerkschaft diskreditiert

Die Gewerkschaft UNIA hat einige Mühe, den Arbeitern weis zu machen, dass sie doch auf ihrer Seite stehe: „UNIA ist eine Bande von organisierten Dümmköpfen, ich erkläre meinen Austritt, Fabienne (gemeint ist Fabienne Blanc-Kühn, UNIA-Verantwortliche für den Industriebereich, die Red.), du verdienst das Vertrauen nicht, das wir Arbeiter in dich gesetzt haben (...). Und deine Chefs sind Haie, nicht besser als MH (Martin Hellweg, CEO von Swissmetal, die Red.), ich habe soeben mit jemandem geschwatzt, der für euch schuftet, und diese Person hat mir von euren Praktiken erzählt, wie ihr die Basis zum Schweigen bringt, von euren Drohungen gegenüber dem eigenen Personal, bravo UNIA, (...) ihr widert mich zutiefst an“ (eine Stimme vom 27.06.06 auf dem Blog https://laboillat.blogspot.com/, von uns aus dem Französischen übersetzt).

„UNIA hat die Angestellten hängen lassen und verraten.“ (Zitat aus einem Brief der UNIA vom 12. Juli 2006, mit dem sie sich gegenüber den Mitgliedern rechtfertigt)

Diese Wut ist nicht nur verständlich, sondern zu begrüssen. Wir können uns weder hier noch sonst wo auf die Gewerkschaften verlassen. Im Gegenteil: Sie sind längst zu einem Teil des staatlichen Apparates geworden, sie sind Gegner der Arbeiterklasse, und nicht ihre Interessensvertreter.

Der Ausgangspunkt dieses Kampfes war eine unmittelbare Solidarisierung der Arbeiter mit Kollegen, die entlassen werden sollten. Den Streik begann die Belegschaft der Boillat am 25. Januar selbstständig, ohne Gewerkschaft. Die Arbeiter der Boillat wussten, dass jede Entlassung ein Schritt zur Stilllegung des Werks ist. Sie begannen diesen Kampf im Bewusstsein, dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Vom ersten Streiktag an fanden in der Fabrikhalle der Boillat täglich Streikversammlungen statt. Die Gewerkschaft UNIA schaltete sich erst nach dem Streikbeschluss ein. Dafür umso vehementer. Die UNIA entsandte eine nicht geringe Anzahl von Gewerkschaftsfunktionären, welche vor allem die organisatorischen Rahmenbedingungen ausserhalb der Streikversammlungen schnell an sich rissen. Dazu kommt, dass dieser Streik für die Gewerkschaft UNIA, abgesehen von ihrer üblichen Sabotagearbeit, ein geeignetes Mittel für ihre mediale Inszenierung und zur Steigerung ihrer „gesellschaftlichen Reputation“ war.

Die UNIA befürwortete den Abbruch des Streiks nach fast einem Monat zu Bedingungen, die ein Hohn für die Arbeiter sind.

Solange der Streik lief, wurde die Gewerkschaft UNIA in den Medien unwesentlich kritisiert. Eher wurden die Arbeiter und die Konzernleitung von Swissmetal für die „verfahrene“ Situation verantwortlich gemacht. Es gibt jedoch ein weiteres bezeichnendes Beispiel für den eigennützigen Umgang der Gewerkschaft mit diesem Streik in Reconvilier. Es ist der offensichtliche Wechsel des Tenors innerhalb der Woche, die zur Beendigung des Streiks führte. Dies kann mit zwei Interviews des SP-Nationalrates A. Daguet belegt werden. Er ist auch Mitglied der Geschäftsleitung der UNIA. Am 19. Februar äusserte er sich in der eher linksbürgerlich ausgerichteten Sonntagszeitung dahingehend: „Jede Woche, ja jeder Streiktag, der darüber hinausgeht ist gefährlich. (…) Heldentum bringt niemanden weiter.“ Da ging es ihm darum, den Streik zu beenden. Eine Woche später, nachdem er sein Ziel erreicht hatte, schmückte er sich in der bekanntermassen konservativen NZZ am Sonntag mit fremden Federn: „Stolze Arbeiterinnen und Arbeiter sind – zum Glück – aufmüpfig. Und signalisieren nicht jedes Mal mit dem Kopf Zustimmung, wenn eine Direktion über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheidet.“ Aber wenn die UNIA-Geschäftsleitung in derselben Woche „über die Köpfe der Betroffenen hinweg“ entscheidet, ist das anscheinend etwas ganz Anderes. Es ist etwas Anderes, wenn es die Gewerkschaft tut. Denn die Gewerkschaft spricht im Namen der Arbeiter. Oder anders gesagt: Die Arbeiter im Namen ihrer angeblich eigenen Interessen hinters Licht zu führen  – das ist das Kerngeschäft der Gewerkschaften.

Welche Fragen stellen sich heute?

Die Bourgeoisie hat viele Gesichter und Institutionen, die den Arbeitern gegenüber arbeitsteilig in Aktion treten: nicht nur die Konzernleitung von Swissmetal, sondern auch die Gewerkschaften[1], die Vermittler und Experten, die Regierung. Ihre ganze Strategie läuft darauf hinaus, die Arbeiter und ihren Kampfwillen zu zermürben.

Dem gegenüber fragen sich die Betroffenen und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren: „Welches sind die wirklichen „Aktions“mittel, über die die Arbeiter der Boillat gegenwärtig verfügen?“ [2]

Welches sind unsere Stärken? Wir haben deren zwei:

- unsere Einheit als Klasse über die Fabrik hinaus, über die Sprach- und alle anderen Grenzen hinweg;

- unser Bewusstsein, unsere Fähigkeit aus der gegenwärtigen Situation und aus der Geschichte unserer Klasse Lehren zu ziehen.

Wir können uns nur auf die eigenen Kräfte verlassen - nicht auf die Gewerkschaften, die den Kampf sabotieren und in systemverträgliche Bahnen zu lenken versuchen. Die eigenen Kräfte befinden sich aber nicht nur in der unmittelbar betroffenen Fabrik, dem Betrieb, der Branche. Wenn wir ein Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten schaffen wollen, müssen wir den Kampf auf andere Arbeitsstätten, auf möglichst weite Teile der Arbeiterklasse ausdehnen, auf Arbeiter des privaten und des öffentlichen Sektors. In diesem Frühjahr haben es die Stundenten in Frankreich im Kampf gegen den CPE vorgemacht: Sie haben Flugblätter gedruckt und verteilt, mit denen sie die Arbeiter in den Bahnhöfen, bei den Poststellen, vor den Fabriktoren aufforderten, ebenfalls in den Kampf zu treten[3]. Dieser Reflex spielte auch im Mai beim Kampf der Metallarbeiter in Vigo/Spanien: Die Streikenden entsandten massive Delegationen zu den Grossbetrieben (Schiffswerften, Citroen usw.), um sie zur Beteiligung an der Bewegung aufzurufen[4]. Erst wenn die Ausdehnung der Kämpfe gelingt, schaffen wir ein Kräfteverhältnis, das die Bourgeoisie zum Nachgeben zwingen kann. Die französische Regierung hätte den CPE nicht zurückgezogen, wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, dass sich der Kampf effektiv auf weitere Teile der Arbeiterklasse ausdehnt.

Dabei ist es auch nötig, über die Ziele unseres Kampfes zu diskutieren. Niemand macht sich Illusionen darüber, dass Swissmetal gezwungen werden kann, den Standort Reconvilier längerfristig beizubehalten. Obwohl die Produkte aus der Boillat höchste Qualität haben, ist nach der Profitlogik nicht garantiert, dass der Konzern weiterhin hier produzieren lässt. Schon lange wird deshalb die Idee diskutiert, dass der Betrieb in Reconvilier in den Konkurs fallen sollte, damit er dann von den Arbeitern in Selbstverwaltung übernommen werden kann. Doch ist dies der einzige Ausweg: als Arbeiter einen Betrieb im Kapitalismus zu führen, der dann doch der Konkurrenz standhalten und letztlich nach Rentabilitätskriterien funktionieren muss? Sollte es nicht vielmehr darum gehen, sich ganz grundsätzlich Gedanken zu machen, wie dieses System insgesamt überwunden werden kann?

Es braucht eine Politisierung der Kämpfe, ein Durchbrechen der rein ökonomischen, d.h. immer noch kapitalistischen Logik. Gerade zu diesem Zweck sind Diskussionen sehr wichtig, wie sie gegenwärtig z.B. auf dem Blog https://laboillat.blogspot.com/ geführt werden.

Kein Zurück in der Haltung gegenüber den Gewerkschaften!

Gewisse Errungenschaften dieses Kampfes sollten aber nicht mehr aufgegeben werden. Eine der wichtigsten Lehren ist, dass sich die Gewerkschaften als Gegner der Arbeiter entlarvt haben.

Hüten wir uns auch vor all denen, die zwar den bestehenden Gewerkschaften oder ihrer Bürokratie kritisch gegenüberstehen, aber doch ihr Wesen verteidigen und uns die Idee verkaufen wollen, dass wir an diesen Organisationen festhalten müssten! Zu diesen linken Unterstützern der Gewerkschaften gehört beispielsweise die trotzkistische SolidaritéS, die alle zwei Wochen die gleichnamige Zeitung herausgibt. In ihrer Ausgabe vom 28. Februar 2006 veröffentlichte sie einen Artikel, in welchem sie zuerst zugibt, dass die „Bitterkeit gegen die Gewerkschaften“ bei gewissen Teilnehmern der Bewegung gross sein müsse. Dann aber fährt sie fort: „Zu behaupten, dass die Gewerkschaft UNIA verraten habe, ist nicht wahr. UNIA hat sich voll eingesetzt, um die Rücknahme der Kündigungen zu erreichen, um ohne Bedingungen Verhandlungen aufzunehmen. Diese Wut gleicht derjenigen des Arbeiters, der abends nach Hause kommt und seine Frau zusammenscheisst, weil er seinen Chef nicht mehr erträgt. (...) Eigentlich liegt der Kern des Problems darin, dass die Regierung in der Schweiz keine voluntaristische Industriepolitik hat im Gegensatz zu Frankreich, wo in solchen Fällen der Staat sofort interveniert.“ (von uns aus dem Französischen übersetzt)

Das also sind die Rezepte von SolidaritéS: Die Gewerkschaft und die Arbeiterklasse verhalten sich angeblich zueinander wie Frau und Mann in einer Ehe – wenn es mal Streit gibt, so ändert dies doch nichts daran, dass sie im Grunde zusammen gehören …

Und wenn es Krach gibt zwischen Arbeitern und den Chefs, dann soll man sich nicht bloss auf die Gewerkschaften verlassen, sondern auch gleich auf die Regierung, vorausgesetzt sie betreibt die gleiche Politik wie die französische ... Was wohl die Arbeiter auf der anderen (französischen) Seite des Juras dazu sagen würden?

Mit solchen Rezepten wollen uns diese Verteidiger des Staates an die kapitalistische Ordnung binden, damit wir sie nur ja nicht in Frage stellen. V/T, 13.07.06

 


[1] Nebst der UNIA trat noch eine zweite Gewerkschaft in Aktion, die die Aufgabe hatte, die Arbeiter zu spalten: Der Schweizer Angestelltenverband VSAM, kritisierte im Namen der Belegschaft von Swissmetal in Dornach, dem zweiten Standort, öffentlich die Streikenden in Reconvilier und forderte sie zum Abbruch des Streiks auf.

[2] Ein Diskussionsteilnehmer am 27.06.06 auf dem Blog https://laboillat.blogspot.com/

[3] vgl. die "Thesen über die Studentenbewegung in Frankreich im Frühling 2006" (Beilage zur Internationalen Revue Nr. 37 bzw.)

Geographisch: 

Aktuelles und Laufendes: 

Theoretische Fragen: 

Erbe der kommunistischen Linke: