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Dies ist der Wortlaut der Rede, die ein Genosse der türkischen Gruppe Enternasyonalist Komünist Sol (Internationalistische Kommunistische Linke) auf dem 17. Internationalen Kongress der Internationalen Kommunistischen Strömung im Mai dieses Jahres zur Situation in der Türkei gehalten hatte. Wir denken, dass wir unseren Lesern die Aussagen dieser Rede nicht vorenthalten dürfen. Dies ist der Wortlaut der Rede, die ein Genosse der türkischen Gruppe Enternasyonalist Komünist Sol (Internationalistische Kommunistische Linke) auf dem 17. Internationalen Kongress der Internationalen Kommunistischen Strömung im Mai dieses Jahres zur Situation in der Türkei gehalten hatte. Wir denken, dass wir unseren Lesern die Aussagen dieser Rede nicht vorenthalten dürfen. Gerade die Äußerungen des Genossen über die imperialistischen Ambitionen der Türkei im Nordirak, haben bis heute nichts an ihrer Richtigkeit und Aktualität eingebüßt, wie der erst in jüngster Zeit erfolgte Aufmarsch von über 100.000 türkischen Soldaten an der Grenze zum Irak zeigt.
In den letzten fünf Monaten passierten etliche Besorgnis erregende Ereignisse in der Türkei. Nach dem Mordanschlag auf Hrant Dink (einem armenischstämmigen Journalisten) im Januar hat es äußerst brutale Angriffe gegen Ausländer, etliche nationalistische Massendemonstrationen, Bombenanschläge wegen des andauernden blutigen Krieges zwischen bewaffneten kurdischen Nationalisten und der türkischen Armee gegeben. Es hat den Anschein, als wird die Lage immer schlimmer. Die letzte Bombe der Bourgeoisie explodierte vor einigen Tagen in Ankara; sie tötete sechs Menschen und verletzte mehr als hundert. Daraufhin rief der Ministerpräsident zur nationalen Einheit gegen den Terrorismus auf, dem sich auch die meisten linksbürgerlichen Organisationen anschlossen.
Die Türkei ist besonders in den Großstädten mittlerweile in eine künstliche Polarisierung zwischen der säkular-bürokratischen Opposition und den Anhängern der liberalen islamistischen Regierung geraten. Die Presseorgane der säkular-bürokratischen Opposition, die sich wichtiger nimmt, als sie tatsächlich ist, setzten die Behauptung in Umlauf, dass das „Regime in Gefahr“ sei, und begannen Massendemonstrationen gegen ihre politischen Gegner zu organisieren. Obwohl die bürgerlichen, säkular-nationalistischen Medien behaupteten, dass es sich hierbei um eine „Basis“-Bewegung handle, war offensichtlich, dass jenen, die demonstrieren gingen, dies auch leicht gemacht wurde und sie die Unterstützung einer starken Fraktion der Bourgeoisie genossen. Der vielleicht bedeutendste Aspekt dieser Demonstrationen waren jedoch die linksnationalistischen Parolen, die skandiert wurden. Was diese Parolen zeigten, ist, dass das Elend der verknöcherten Staatsbourgeoisie durch den Zerfall der alten kemalistischen Staatsideologie verursacht wird. Die Probleme dieser Ideologie beschränken sich nicht auf solche Parolen: Winzige faschistische Sekten, die von Generälen a.D. gegründet wurden, schwören, zu töten und zu sterben, um das Land zu retten; alte linksextremistische Gruppen, die sich offenbar dem Rechtsextremismus zugewandt haben, schreiben Parolen an die Mauern, mit denen zur Invasion des Nordirak und mehr aufgerufen wird; und gelegentlich rufen hochrangige Armeekader zur „Befreiung“ der irakischen Turkmenen auf. Die Armeebürokratie ist noch immer eine der stärksten Mächte in der Türkei. Jedoch ist nicht alles Gold, was glänzt; die Propaganda ist ein Beweis dafür. Niemals zuvor hatte diese Fraktion der Bourgeois eine solch massive Propaganda machen müssen, um sich den Anschein zu geben, als erhielte sie massive Unterstützung. Auch wenn es ihr gelang, Hunderttausende dazu zu bringen, durch die Straßen zu marschieren, so handelt es sich hier um einen Akt der Verzweiflung. Je verzweifelter die Bourgeoisie ist, desto bösartiger wird sie.
Was den anderen Flügel der Bourgeoisie anbelangt, so scheint auch er große Probleme zu haben. Als die Regierung von Tayyip Erdoğan mit der Unterstützung der Hauptfraktion der kapitalistischen Klasse gewählt worden war, bestand die Absicht, den alten Traum zu verwirklichen, eine Brücke nach Europa für das Öl von Baku zu bilden, um so der Europäischen Union beitreten zu können. Noch bis vor kurzem hatte es den Anschein, als habe der Traum eine Chance auf Verwirklichung; doch anders als Russland, dem es gelang, wovon die Türkei träumte, wurden die imperialistischen Ambitionen der Türkei inzwischen größtenteils zerstört. Die Möglichkeit, der Europäischen Union beizutreten, schwindet. Obwohl Erdoğans Regierung noch immer sehr stark ist, erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass sie auch nach den kommenden Wahlen noch so stark sein wird wie heute. Erdoğans Regierung schien kein Interesse daran zu haben, den Irak zu betreten, als sie von den Vereinigten Staaten dazu eingeladen wurde. Sie wollte durchaus imperialistische Interessen im Nordirak verfolgen, doch sie wollte nicht dorthin gehen, wo es die Vereinigten Staaten wünschten - und dies war damals sicherlich nicht der Nordirak. Es ist auch wichtig zu bemerken, dass die sozialen Bedingungen angesichts der massiven Antikriegswelle sich damals nicht wirklich für eine massenhafte Kriegsmobilisierung eigneten. Doch nun werden Hunderttausende für den Nationalismus mobilisiert und von antikurdischen Ressentiments aufgestachelt. Es stellt sich hier die Frage, ob die Invasion des Nordirak der Fantasie winziger faschistischer Sekten entsprungen ist oder eine tatsächliche Option ist. Wird der amerikanische Imperialismus den türkischen Imperialismus gegenüber den bürgerlichen kurdischen Fraktionen vorziehen, denen es nicht gelang, das Gebiet zu kontrollieren? Könnte die türkische Bourgeoisie ihre imperialistischen Ambitionen auf die Kontrolle des Erdöls im Nordirak richten? Ein neuer imperialistischer Krieg im Mittleren Osten könnte früher als erwartet ausbrechen. Die wichtigsten Fernsehsender in der Türkei, einschließlich des berüchtigten Fox Television Network, der erst kürzlich seinen Sendebetrieb in der Türkei aufgenommen hat, haben bereits mit der Debatte begonnen, ob die Türkei in den Nordirak eindringen soll oder nicht. Obwohl die Linksextremisten in der Türkei eifrig dabei sind, unabhängige Kandidaten für die kommenden Wahlen aufzustellen, um die bürgerliche Versammlung in einen herzlichen und freudvollen Ort zu verwandeln, könnten die Wahlen mit der Bildung eines Kriegskabinetts enden, das die Unterstützung jener erhält, die für die Verteidigung des Säkularismus und Kemalismus mobilisiert worden waren. Es ist eine Möglichkeit: vielleicht nicht die wahrscheinlichste, aber doch eine bedeutende und gefährliche Möglichkeit. Was diese Möglichkeit zeigt, ist die Mentalität der Bourgeoisie in Bezug auf imperialistische Kriege. Im dekadenten Kapitalismus werden imperialistische Kriege der Kriegsführung wegen geführt.
1974, als die türkische Armee in Zypern einmarschierte, schickten Armeekommandeure Panzer und Soldaten an die Grenze zu Griechenland. Wäre es möglich gewesen, hätten sie nicht gezögert, einen blutigen Krieg mit Griechenland anzuzetteln. Heute werden sie, wenn es die Bedingungen ermöglichen, den Nordirak anzugreifen und die endlosen Konflikte, die Zerstörungen, die Gewalt und das Leid ignorieren, die dies mit sich bringen würde. Die Bourgeoisie in der Türkei hat ernste Probleme: Es gibt schwere Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, der Sozialstaat ist im Rückzug begriffen, das alte bürgerliche Konzept vom Staatsbürgertum zerbröselt, die türkische Bourgeoisie ist hinsichtlich ihrer Beziehungen zur kurdischen Bourgeoisie gescheitert, und die alten politischen und ideologischen Strukturen des Kemalismus, die das Fundament des türkischen Regimes bilden, erweisen sich als zu belastend für die Bourgeoisie. Und doch bedeutet die Zerstörung jener alten Strukturen das gesamte Regime aufs Spiel zu setzen, da die politische Rechtfertigung des bürgerlichen Regimes auf dem Kemalismus beruht. Die türkische Bourgeoisie wandelt auf dünnem Eis. Die einzige Lösung, die sie gegenüber ihren Problemen anbieten kann, ist ein neuer imperialistischer Krieg. Wenn dies heute nicht im Nordirak passiert, wird es morgen vielleicht anderswo passieren: Doch es wird passieren. Wie das Manifest der Kommunistischen Linken an die Arbeiter Europas, im Juni 1944 von der Gauche Communiste de France verfasst, erklärte: „Solange es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, ist der Kapitalismus Krieg und der Krieg Kapitalismus.“ Und wenn wir all die vielen endlosen lokalen Kriege, die Explosionen in den Städten, die brutalen Morde auf der Welt betrachten, sehen wir deutlich, dass der Kapitalismus die Menschheit in die Barbarei führt.
Die proletarische Weltrevolution ist die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei
Dies führt zur Frage der Lage des Proletariats in der Türkei. Nach der Niederlage der massiven Welle proletarischer Kämpfe in der Türkei, die 1989 mit den Streiks der öffentlichen Bediensteten begann und sich schnell auf gewerkschaftliche und nicht gewerkschaftliche ArbeiterInnen in den privaten Sektoren ausbreitete, zur Bildung von unabhängigen Fabrikkomitees führte und 1995, nach der Besetzung des Kizilay-Platzes in Ankaras, wo sich die Verwaltungszentren der türkischen Regierung befinden, durch Arbeiter des Öffentlichen Dienstes endete, gelang es den Gewerkschaften, einen sehr großen Einfluss auf das Proletariat zu erringen. In den letzten Jahren gab es ein bemerkenswertes Wachstum in der Zahl von Klassenkämpfen. Besonders in den letzten Monaten gab es etliche ziemlich große Arbeiterdemonstrationen, eine erhebliche Welle von Fabrikbesetzungen und zahllose Streiks in einer ganzen Reihe von Industriezweigen. Jedoch gelang es in nahezu keinem dieser Kämpfe, einen bedeutenden Erfolg zu erlangen, was zumeist auf die Tatsache zurückzuführen war, dass jene Kämpfe – auch wenn sie zahlreich waren – sich auf einzelne Sektoren oder gar einzelne Arbeitsplätze beschränkten und sich nicht ausweiteten. Da es keinen vereinten Kampf gab, hatte die Bourgeoisie keine große Mühe, die kämpfende Arbeiterklasse zu besiegen. Es ist auch wichtig zu bemerken, dass die meisten jener Kämpfe aktiv von den Gewerkschaften sabotiert wurden; beispielsweise bestand während einer Fabrikbesetzung die Methode der Gewerkschaft, um die Arbeiter zum Einlenken zu zwingen, darin, ihnen eine türkische Flagge auszuhändigen, um sie über das Fabriktor aufzuspannen. In der Tat machten Arbeiter in den meisten dieser Kämpfe ihren Unmut über die Gewerkschaften kund. Tatsächlich beteiligen sich die Gewerkschaften in der Türkei zwar nicht aktiv an der Sabotierung des Kampfgeistes der Arbeiter durch die türkische Bourgeoisie, aber sie spielen eine aktive Rolle bei der Mobilisierung des Proletariats für die nationalistische Sache. Selbst linksextreme Gewerkschaften beteiligten sich aktiv dabei, die Arbeiter in den säkularistischen Demonstrationen hinter einer Abteilung der Bourgeoisie aufzustellen.
Die Rolle der Gewerkschaften wurde noch sichtbarer während der letzten 1.Mai-Demonstration in Istanbul. Die wichtigste linksnationalistische Gewerkschaft hatte erklärt, dass sie den Mai-Feiertag in einer „verbotenen“ Zone in Istanbul, auf dem Taksim-Platz, begehen wollte, da sich dieses Jahr der berüchtigte Blutige 1.Mai zum dreißigsten Mal jährte. Damals hatten sich fast eine Million Demonstranten auf dem Taksim-Platz versammelt und waren von unbekannten Schützen aus zwei Gebäuden und einem Auto nahebei unter Feuer genommen worden. Der Istanbuler Bürgermeister, der wegen seiner Sympathien für Erdoğans Partei bekannt ist, war entschlossen, solch eine Demonstration zu verbieten; jedoch hatten etliche linksextremistische Gruppierungen und Parteien bereits erklärt, dass sie sich der Gewerkschaft auf dieser Demonstration anschließen würden. Bald darauf geriet dieses Ereignis aus der Kontrolle der Gewerkschaft und der linksextremistischen Gruppierungen. Der diesjährige 1.Mai in Istanbul war ziemlich brutal: Die Istanbuler Stadtregierung hatte die Polizei angewiesen, kompromisslos einzuschreiten, was diese auch tat. Wo immer sich ArbeiterInnen versammelten, um den Taksim-Platz zu betreten, wurden sie von der Polizei angegriffen. Viele von ihnen wurden zusammengeschlagen, rund eintausend wurden festgenommen, und eine alte Person starb in ihrer Wohnung infolge des Tränengases, mit dem die Polizei um sich warf. Während die rechtsbürgerlichen Medien die Polizisten als Helden darstellten, gaben die liberalen Nationalisten und die Linksextremisten dem Bürgermeister die Schuld an den Verkehrsproblemen, die auftraten, und die Gewerkschaftsführer, denen es von der Polizei gestattet wurde, den Platz zu betreten, und die ihn sogleich wieder verließen, um später vor den Fernsehkameras ihren Sieg zu erklären, wurden als Helden gefeiert. Jedoch hatten die Gewerkschaften erwartungsgemäß nichts zum Klassenkampf beigetragen. Auch wenn die einfache Androhung eines eintägigen Streiks ausgereicht hätte, um viele davor zu bewahren, zusammengeschlagen oder festgenommen zu werden, bewiesen die Gewerkschaften einmal mehr, dass sie der Arbeiterklasse nichts zu geben haben. Stattdessen nannte die Gewerkschaft diesen 1.Mai einen Kampf für die Demokratie, und die Gewerkschaftsführer gingen gar so weit, die Polizeiattacken gegen das Proletariat als die Rache gegen die jüngsten säkular-nationalistischen Demonstrationen darzustellen.
Wenn wir die Lage des Proletariats in der Türkei betrachten, sehen wir, dass das Proletariat unter sehr schlechten Bedingungen lebt. Die Bedingungen des Industrie- und Landproletariats sind in einigen Teilen der Türkei unvorstellbar. Große Teile der Akademiker, selbst Ärzte und Ingenieure, sind stark proletarisiert und äußerst ausgebeutet, wenn sie denn einen Job haben. Es gibt eine massive Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Menschen, und mit dem Zerfall der Staatsideologie sowie in Ermangelung einer starken kommunistischen Stimme werden die meisten Arbeitslosen in bürgerliche Ideologien wie den Islamismus, Nationalismus und die nationale Befreiung hineingezogen. Es gibt sehr kämpferische Teile der Arbeiterklasse, doch die Vorherrschaft der Gewerkschaften und der Einfluss bürgerlicher Ideologien auf die ArbeiterInnen hindern dieselben an einer Vereinigung auf Klassengrundlage. Die einzige Lösung der Probleme des Proletariats, das einzige Heilmittel gegen die Bedrohung des proletarischen Kampfes durch bürgerliche Ideologien ist der proletarische Internationalismus und die internationale Klassensolidarität.
Die Bourgeoisie führt das Proletariat zu noch mehr Leid, zu noch mehr Elend und noch mehr Toten. Der Kommunismus ist die einzige realistische Alternative zum Versinken in die Barbarei. Unter diesen Umständen denken wir, dass es äußerst wichtig für die verschiedenen proletarischen Gruppierungen ist, sich in regelmäßigen Diskussionen und in internationaler Solidarität zu üben.
Dieser Text wurde auch veröffentlicht auf: en.internationalism.org/forum und auf Libcom.
EKS
Juli 2007