Orientierungstext: Militarismus und Zerfall

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Mehrmals sah sich die IKS veranlaßt, auf die Bedeutung der Frage des Militarismus und des Krieges in der Dekadenzperiode (1) sowohl für das  Leben des Kapitalismus selbst wie auch aus der Sicht des Proletariats zu beharren. Aufgrund der vielen Ereignisse während des letzten Jahres, die alle von einer großen historischen Bedeutung sind (Zusammenbruch des Ostblocks, Golfkrieg), die die ganze Weltlage umgeworfen haben, und mit dem Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz, die des Zerfalls (2), müssen sich die Revolutionäre in dieser wesentlichen Frage der Rolle des Militarismus in dieser neuen Weltlage völlige Klarheit verschaffen.


Der Marxismus - eine lebendige Theorie

1. Im Gegensatz zur bordigistischen Strömung hat die IKS nie den Marxismus als eine "invariante (unabänderliche) Doktrin" aufgefaßt, sondern als eine lebendige Gedankenwelt, für die jedes bedeutsame historische Ereignis eine Gelegenheit zur Bereicherung darstellt. Solche Ereignisse erlauben entweder eine Bestätigung des Rahmens und der zuvor entwickelten Analysen und stützen sie, oder sie zeigen auf, daß einige von ihnen überholt sind, was einen Denkprozeß erfordert, um das Anwendungsgebiet der bisher gültigen, nun aber veralteten Schemata zu erweitern oder gar ohne Umschweife neue zu erarbeiten, die der neuen Wirklichkeit Rechnung tragen. Die revolutionären Organisationen und Militanten tragen die besondere und fundamentale Verantwortung, dieses Bemühen um einen Denkprozeß mit Herzblut auszuführen und, wie unsere Ahnen Lenin, Luxemburg, die Italienische Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken (BILAN), die Kommunistische Linke Frankreichs usw., gleichzeitig vorsichtig und kühn vorwärtszuschreiten:

  • indem sie sich fest auf die Errungenschaften der marxistischen Grundlagen stützen,
  • indem sie die Wirklichkeit ohne Scheuklappen untersuchen und indem sie die Gedankenwelt "ohne Verbote und ohne Ächtung" (BILAN) zur Entfaltung verhelfen.

Angesichts solcher historischen Ereignisse ist es besonders wichtig, daß die Revolutionäre in der Lage sind, die veralteten von den nach wie vor gültigen Analysen unterscheiden, um eine doppelte Klippe zu umschiffen: entweder sich in seiner Verknöcherung einzuschließen oder "das Kind mit dem Bade auszuschütten". Konkret: es ist notwendig, das herauszuschälen, was in diesen Analysen essentiell, fundamental bleibt und seine Gültigkeit behält bei all den unterschiedlichen historischen Bedingungen, die zweitrangig und situationsbedingt sind, kurzum: unterscheiden können zwischen dem Wesentlichen einer Wirklichkeit und ihren unterschiedlichen, besonderen Erscheinungsweisen.

2. Seit einem Jahr hat es beträchtliche Umwälzungen auf der Welt gegeben, die das Aussehen der Welt, so wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt hatte, sichtlich verändert haben. Die IKS hat sich emsig darum bemüht, diese Umwälzungen aufmerksam zu verfolgen:

  • um ihrer historischen Bedeutung Rechnung zu tragen,
  • um zu untersuchen, in welchem Maße sie den Rahmen der bis dahin gültigen Analyse bestätigen oder verwerfen.

So können diese historischen Ereignisse (die Agonie des Stalinismus, das Verschwinden des Ostblocks, die Auflösung des westlichen Blocks) - auch wenn sie in ihren Besonderheiten nicht von uns vorausgesehen wurden - voll in den Rahmen der Analyse und des Verständnisses der gegenwärtigen historischen Periode eingegliedert werden, der zuvor von der IKS erarbeitet worden war: die Phase des Zerfalls.
Das gleiche trifft auf den Krieg am Persischen Golf zu. Aber die Bedeutung dieser Ereignisse sowie die Konfusion, die sie in den Reihen der Revolutionäre stifteten, hat unserer Organisation die Verantwortung aufgezwungen, die Auswirkungen und den Widerhall der Merkmale der Zerfallsphase auf die Frage des Militarismus und des Kriegs zu verstehen und zu begreifen, wie sich diese Frage in der neuen historischen Periode stellt.


Der Militarismus im Zentrum der Dekadenz des Kapitalismus

3. Der Militarismus und der Krieg konstituieren ein fundamentales Element im Leben des Kapitalismus seit dem Eintritt dieses Systems in die Epoche seiner Dekadenz. Sobald der Weltmarkt am Anfang dieses Jahrhunderts vollständig gebildet und die Welt in koloniale Jagdgebiete und Handelszonen für die verschiedenen fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen aufgeteilt war, konnte die Verschärfung der wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen den Nationen nur zu einer Zuspitzung der militärischen Spannungen, zur Bildung immer imposanterer Waffenarsenale und zur wachsenden Unterordnung des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens unter die Imperative der militärischen Sphäre führen. In der Tat bilden der Militarismus und der imperialistische Krieg die zentralen Manifestationen des Eintritts des Kapitalismus in den Zeitraum seiner Dekadenz (und die Auslösung des Ersten Weltkriegs steht für den Beginn dieser Epoche), was so weit ging, daß für die damaligen Revolutionäre der Imperialismus und der dekadente Kapitalismus zu Synonymen wurden. Der Imperialismus war keine besondere Erscheinungsform des Kapitalismus, sondern seine Überlebensform in der neuen historischen Periode. Nicht der eine oder andere Staat war imperialistisch geworden, sondern alle Staaten, wie Rosa Luxemburg enthüllte. Wenn der Imperialismus, der Militarismus und der Krieg an diesem Punkt mit der Epoche der Dekadenz identifiziert werden konnten, dann deshalb, weil die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind: Der - auf der Ebene der globalen Ökonomie -völlig irrationale Charakter der Rüstungsausgaben und des Krieges spiegeln nur die Abartigkeit wider, den die Aufrechterhaltung dieser Produktionsverhältnisse bedeuten. Insbesondere die ständige und wachsende Selbstzerstörung des Kapitals, die zwangsläufig aus dieser Existenzweise hervorgeht, ist ein Symbol für die Agonie dieses Systems, das enthüllt, daß Letzteres von der Geschichte abgeurteilt ist.


Staatskapitalismus und imperialistische Blöcke

4. Konfrontiert mit einer Situation, in der der Krieg im gesellschaftlichen Leben allgegenwärtig ist, hat der Kapitalismus in seiner Dekadenz zwei Phänomene entwickelt, die die Hauptcharakteristiken dieser Epoche bilden: den Staatskapitalismus und die imperialistischen Blöcke. Der Staatskapitalismus, dessen erste bedeutsame Manifestation aus der Zeit des Ersten Weltkriegs datiert, antwortet auf das Bedürfnis eines jeden Landes, angesichts der Konfrontation mit den anderen Nationen ein Höchstmaß an Disziplin seitens der verschiedenen Teile der Gesellschaft anzustreben, die Zusammenstöße zwischen den Klassen, aber auch zwischen rivalisierenden Fraktionen der herrschenden Klasse so stark wie möglich zu reduzieren, um insbesondere das gesamte ökonomische Potential zu mobilisieren und zu kontrollieren. Gleichermaßen enstspricht die Formierung von imperialistischen Blöcken der Notwendigkeit, eine solche Disziplin auch den verschiedenen nationalen Bourgeoisien aufzuzwingen, um ihre wechselseitigen Antagonismen einzuhegen und sie für die Hauptkonfrontation, nämlich die zwischen den beiden militärischen Lagern, zusammenzuschließen. Und in dem Maße, wie der Kapitalismus in seine Dekadenz und in seiner historischen Krise versinkt, haben sich auch diese beiden Charakteristiken verschärft. Insbesondere der Staatskapitalismus spiegelt auf der Ebene eines ganzen imperialistischen Blocks, wie er sich nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltet hat, die Zuspitzung dieser beiden Phänomene wider. Daher sind weder der Staatskapitalismus noch die imperialistischen Blöcke und auch nicht die Kombination beider Ausdruck irgendeiner "Befriedung" der Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sektoren des Kapitals und noch weniger eine "Stärkung" beider Phänomene. Im Gegenteil, sie sind nur Mittel, die von der kapitalistischen Gesellschaft abgesondert wurden, um zu versuchen, der wachsenden Tendenz  ihrer Auflösung zu trotzen. (3)


Der Imperialismus in der Zerfallsphase des Kapitalismus

5. Der allgemeine Zerfall der Gesellschaft stellt die letzte Phase in der Epoche der Dekadenz des Kapitalismus dar. In diesem Sinne werden in dieser Phase die typischen Charakteristiken der Dekadenzperiode nicht hinfällig: die historische Krise der kapitalistischen Ökonomie, der Staatskapitalismus und auch die grundlegenden Phänomene wie der Militarismus und der Imperialismus. Mehr noch: in dem Maße, wie der Zerfall sich als der Höhepunkt der Widersprüche präsentiert, derer sich der Kapitalismus seit dem Beginn seiner Dekadenz in wachsendem Maße erwehren muß, spitzen sich auch die typischen Charakteristiken dieser Periode in der ultimativen Phase der Dekadenz zu:

  • infolge des unaufhaltsamen Versinkens des Kapitalismus in die Krise wird der Zerfall immer verheerender;
  • die Tendenz zum Staatskapitalismus wird damit keineswegs infrage gestellt, ganz im Gegenteil, es verschwinden nur einige seiner parasitärsten und absurdesten Formen wie der Stalinismus heute(4).

Das gleiche trifft auf den Militarismus und Imperialismus zu, wie man schon in den 80er Jahren feststellen konnte, als das Phänomen des Zerfalls in Erscheinung trat und sich verbreitete. Und auch die Tatsache, daß die Welt jetzt, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, nicht mehr in zwei Blöcke gespalten ist, ändert nichts an dieser Wirklichkeit. In der Tat befand sich nicht die Bildung zweier imperialistischer Blöcke am Ausgangspunkt des Militarismus und des Imperialismus. Das Gegenteil ist der Fall: die Bildung der Blöcke ist nur die äußerste Konsequenz (die in einem gegebenen Zeitpunkt die Ursachen selbst verschärfen kann), eine Manifestation (und sicher nicht die einzige) des Versinkens des dekadenten Kapitalismus im Militarismus und im Krieg. Auf gewisse Weise verhält es sich mit der Bildung von Blöcken gegenüber dem Imperialismus so wie mit dem Stalinismus gegenüber dem Staatskapitalismus. Genausowenig wie das Ende des Stalinismus die historische Tendenz des Staatskapitalismus infrage stellt, von dem er nur ein Ausdruck war, impliziert das gegenwärtige Verschwinden der Blöcke eine Verringerung oder gar Infragestellung des beherrschenden Einflusses des Imperialismus auf die Gesellschaft. Der fundamentale Unterschied liegt in der Tatsache, daß, wenn das Ende des Stalinismus der Eliminierung einer besonders absurden Form des Staatskapitalismus gleich kam, das Ende der Blöcke die Tür zu einer noch barbarischeren, absurderen, chaotischeren Form des Imperialismus öffnet.

6. Diese Analyse hatte die IKS bereits zur Zeit des Zusammenbruchs des Ostblocks erarbeitet:
„Im Zeitalter der Dekadenz des Kapitalismus sind alle Staaten imperialistisch und treffen Anordnungen, um sich dieser Realität anzupassen: Kriegswirtschaft, Rüstung usw. Daher wird die Zuspitzung der Erschütterungen der Weltwirtschaft die Spannungenzwischen den verschiedenen Staaten auf militärischer Ebene immer weiter  verschärfen. Im Unterschied zu der jetzt zu Ende gegangenen Epoche werden diese Spannungen und Antagonismen, die bisher von den beiden großen imperialistischen Blöcken im Griff gehalten und ausgenutzt wurden, jetzt in den Vordergrund rücken. Das Verschwinden des russischen imperialistischen Gendarmen und damit auch die Auflösung der Gendarmenrolle des amerikanischen Imperialismus gegenüber seinen 'Hauptpartnern' von gestern öffnet die Tür zur Entfesselung einer ganzen Reihe von lokalen Rivalitäten. Diese Rivalitäten und Zusammenstöße können gegenwärtig nicht in einem globalen Konflikt ausarten (selbst wenn das Proletariat nicht mehr in der Lage wäre, sich dagegen zur Wehr zu setzen). Jedoch werden infolge des Verschwindens der durch die Präsenz der Blöcke aufgezwungenen Disziplin diese Konflikte viel häufiger und gewalttätiger werden, insbesondere in den Regionen, wo die Arbeiterklasse am schwächsten ist." ("Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos", INTERNATIONALE REVUE, Nr. 61, engl., franz., span. Ausgabe)
"Die Zuspitzung der  Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft wird zwangsläufig eine neue Verschärfung der inneren Widersprüche der bürgerlichen Klasse hervorrufen. Wie in der Vergangenheit werden sich diese Widersprüche auf der Ebene der kriegerischen Antagonismen manifestieren: im dekadenten Kapitalismus kann der Handelskrieg nur zu einer Flucht nach vorn in den Krieg der Waffen führen. In diesem Sinne muß man den pazifistischen Illusionen, die sich infolge der 'Verbesserung' der Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR verbreiteten, entschlossen entgegentreten: auch wenn die militärischen Konfrontationen zwischen Staaten jetzt nicht mehr von den Großmächten manipuliert und ausgenutzt werden, sind sie nicht im Begriff zu verschwinden. Ganz im Gegenteil, wie die Vergangenheit zeigt, bilden der Militarismus und der Krieg die eigentliche Lebensform des dekadenten Kapitalismus, und die Vertiefung der Krise kann dies nur bestätigen. Was sich jedoch im Vergleich zur Vergangenheit ändert, ist die Tatsache, daß diese militärischen Gegensätze gegenwärtig nicht die Form einer Konfrontation zwischen zwei großen imperialistischen Blöcken annehmen..." (Resolution zur internationalen Lage, Juni 1990, INTERNATIONALE REVUE, Nr. 63, engl., franz., span. Ausgabe).
Diese Analyse wird durch den Krieg am Persischen Golf heute vollauf bestätigt.


Der Golfkrieg: die erste Manifestation der neuen Weltlage

7. Dieser Krieg stellt die erste Manifestation einer Situation dar, in der sich die Welt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks befindet (daher ist sie heute von ungeheurer Bedeutung):

  • Sie dokumentiert mit dem "unkontrollierten" Abenteuer des Irak, der sich ein anderes Land einverleibte, das dem einstigen dominanten Block angehörte, das Verschwinden auch des westlichen Blocks.
  • Sie enthüllt die Zunahme der Tendenz (die typisch ist für die kapitalistische Dekadenz) unter allen Ländern, die bewaffneten Kräfte zu benutzen, um zu versuchen, sich aus dem immer unerträglicheren Würgegriff der Krise zu lösen.
  • Sie zeigt mit dem Aufmarsch der atemberaubenden militärischen Macht der USA und ihrer "Verbündeten" die Tatsache auf, daß  immer mehr allein diese Militärmacht in der Lage ist, ein Mindestmaß an Stabilität in einer Welt aufrechtzuerhalten, die von wachsendem Chaos bedroht ist.

So ist dieser Krieg nicht, wie der größte Teil des politischen Milieus des Proletariats behauptet, ein "Krieg um den Preis des Erdöls". Er kann nicht auf einen "Krieg um die Kontrolle des Mittleren Osten" reduziert werden, wie wichtig diese Region auch sein mag. Auch versucht die militärische Operation am Persischen Golf nicht nur das Chaos, das sich in der Dritten Welt entwickelt, einzuschränken. All diese Elemente spielen natürlich eine Rolle. Es stimmt, daß die Mehrheit der westlichen Länder an einem niedrigen Ölpreis interessiert ist (im Gegensatz zur UdSSR, die trotz ihrer geringen Mittel mit voller Kraft an den Aktionen gegen den Irak mitwirkt), doch mit den Mitteln, die dabei eingesetzt wurden (und die den Ölpreis weit über die Forderungen des Iraks haben anschnellen lassen) wird  solch eine Ölpreissenkung nicht bewirkt. Es stimmt auch, daß die Kontrolle der Erdölfelder für die USA von großem Interesse ist und ihre Position gegenüber den Handelsrivalen (Westeuropa und Japan) stärkt: warum aber unterstützen dann diese Rivalen die USA bei ihrem Vorgehen? Klar ist auch, daß die UdSSR an einer Stabilisierung der Region des Mittleren Ostens interessiert ist, da sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren ohnehin unruhigen zentralasiatischen und kaukasischen Republiken liegt. Doch das Chaos, das sich in der UdSSR ausbreitet, betrifft nicht nur dieses Land; die mitteleuropäischen Ländern und damit auch die westeuropäischen Länder sind besonders davon betroffen, was in der Zone des früheren Ostblocks passiert. Allgemeiner, wenn die fortgeschrittenen Länder sich mit dem Chaos befassen, das sich in bestimmten Regionen der "Dritten Welt" ausbreitet, dann deshalb, weil sie selbst wegen der neuen Weltlage heute durch dieses Chaos geschwächt werden.

8. In Wirklichkeit wird versucht, mit Hilfe der Operation "Wüstenschild" und der mit ihr verbundenen Aktionen das Chaos einzudämmen, das schon einen Großteil der Welt erfaßt und nunmehr direkt die großen, entwickelten Länder und ihre Beziehungen untereinander bedoht. In der Tat ist mit dem Ende der Aufteilung der Welt in zwei große imperialistische Blöcke ein wesentlicher Faktor verschwunden, der einen gewissen Zusammenhalt zwischen diesen Staaten aufrechterhalten hatte. Die für die neue Periode typische Tendenz ist das "Jeder für sich" und, unter Umständen, für die mächtigsten Staaten ihr Anspruch auf die Übernahme der "Führung" eines neuen Blocks. Aber gleichzeitig versucht die Bourgeoisie dieser Länder unter Berücksichtigung der Gefahren, die eine solche Situation mit sich bringt, gegenüber solch einer Tendenz zu reagieren. Mit der neuen Stufe im allgemeinen Chaos, den das irakische Abenteuer zum Ausdruck bringt (das hinter der Hand durch die "konziliante" Haltung der USA gegenüber dem Irak vor dem 2. August begünstigt wurde, mit dem Ziel, anschließend "ein Exempel zu statuieren"), hatte die "internationale Gemeinschaft" (die so von den Medien genannt wird und weit mehr als den alten Westblock umfaßt, seitdem auch die UdSSR mit von der Partie ist) keine andere Wahl, als sich hinter die Autorität der ersten Weltmacht und insbesondere ihre Militärmacht zu stellen, der einzigen, die in der Lage ist, an jedem Ort der Welt für Ordnung zu sorgen.
Der Krieg am Golf zeigt somit, daß es gegenüber der für die Zerfallsphase typischen Tendenz zum allgemeinen Chaos, die durch den Zusammenbruch des Ostblocks erheblich beschleunigt wurde,  für den Kapitalismus bei seinem Versuch, die verschiedenen Teile eines sich auflösenden Körpers zusammenzuhalten,  keinen anderen Ausweg gibt als die Auferlegung eines eisernen Korsetts, das die bewaffneten Kräfte bilden.(5) Deshalb sind die Mittel, die er einsetzt, um dieses immer blutigere Chaos einzudämmen, selbst ein beträchtlicher Faktor bei der Verschärfung der kriegerischen Barbarei, in die der Kapitalismus versinkt.


Keine Aussichten auf eine Bildung neuer Blöcke

9. Währung sich die Konstituierung von Blöcken historisch als die Konsequenz aus der Entwicklung des Militarismus und Imperialismus darstellt, bildet die Zuspitzung der beiden in der gegenwärtigen Phase im Leben des Kapitalismus paradoxeweise ein Haupthindernis bei der Bildung eines neuen Blocksystems, das an die Stelle der alten Blockkonstellation treten könnte. Die Geschichte (insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg) hat verdeutlicht, daß die Auflösung eines imperialistischen Blocks (z.B. den der "Achse") nicht nur die Auflösung des anderen Blocks nach sich zog (die "Alliierten"), sondern auch zur Ausbildung eines neuen "Paares" antagonistischer Blöcke (Ost und West) führte. Aus diesem Grund birgt auch die gegenwärtige Lage unter dem Druck der Krise und der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen die Tendenz zur Bildung von zwei neuen imperialistischen Blöcken in sich. Doch daß die militärische Schlagkraft - wie der Golfkrieg bestätigte - solch ein maßgeblicher Faktor in den Bemühungen der fortgeschrittenen Länder geworden ist, das weltweite Chaos einzudämmen, bildet eine erhebliche Behinderung dieser Tendenz. Tatsächlich hat dieser Krieg die erdrückende Überlegenheit der US-Militärmacht (um es vorsichtig auszudrücken) gegenüber den anderen entwickelten Ländern vor Augen geführt (diese Machtdemonstration war im Grunde eines der Hauptziele dieses Landes): diese Militärmacht allein ist mindestens so groß wie die aller anderen Länder der Erde zusammengenommen. Und solch ein Ungleichgewicht kann nicht so schnell ausgeglichen werden; es gibt auf absehbare Zeit kein Land, das in der Lage wäre, den USA ein Rüstungspotential entgegenzusetzen, das ihm erlauben würde, die Stellung des Führers eines mit den USA rivalisierendes Blocks anzustreben. Und selbst auf längere Zeit ist die Liste der Kandidaten für eine solche Stellung äußerst begrenzt.

10. In Wirklichkeit ist es ausgeschlossen, daß beispielsweise der Führer des Blocks, der gerade zusammenbricht, die UdSSR, diese Stellung eines Tages zurückerobert. Tatsächlich stellt die Tatsache, daß dieses Land in der Vergangenheit solch eine Rolle spielen konnte, an sich schon eine Absurdität, einen Unfall der Geschichte dar. Aufgrund ihrer in jeder Hinsicht beträchtlichen Rückständigkeit (ökonomisch, aber auch politisch und kulturell) verfügte die UdSSR nicht über die Attribute, die es ihr erlaubten, ganz "natürlich" einen Block um sich herum zu bilden(6). Wenn sie dennoch einen solchen Rang erklommen hatte, dann dank der "Gnade" Hitlers, der sie 1941 in den Krieg zog, und der "Verbündeten", die sie auf Jalta dafür "belohnten", daß sie eine zweite Front gegen Deutschland bildete, und die ihren Tribut von 20 Millionen Toten, der von ihrer Bevölkerung bezahlt wurde, dadurch entschädigte, daß sie der UdSSR die mitteleuropäischen Länder überließen, die nach dem Zusammenbruch Deutschlands von russischen Truppen okkupiert worden waren(7). Gerade weil die UdSSR ihre Rolle als Blockführer nicht erfüllen konnte, war sie, um ihr Imperium zu erhalten, gezwungen gewesen, ihrem Produktivapparat eine Kriegswirtschaft aufzuzwingen, die diesen vollständig ruinierte. Abgesehen davon, daß er eine besonders aberwitzige Form des Staatskapitalismus bestrafte (der nicht einer "organischen" Entwicklung des Kapitals entsprang, sondern aus der Eliminierung der klassischen Bourgeoisie durch die Revolution von 1917 resultierte), war der spektakuläre Zusammenbruch des Ostblocks nichts anderes als der Ausdruck der Revanche der Geschichte an dieser ursprünglichen Absurdität. Aus diesen Gründen kann die UdSSR  trotz ihres gewaltigen Waffenarsenals nie mehr diese Hauptrolle auf der internationalen Bühne spielen. Dies umso weniger, als die Dynamik der Auflösung ihres äußeren Reiches sich ebenso in ihrem Innern fortsetzen wird und letztlich Rußland der Territorien berauben wird, die es im Laufe der letzten Jahrhunderte kolonisiert hatte. Weil Rußland versucht hatte, eine Rolle als Weltmacht zu spielen, was seine Kräfte überstieg, fällt es jetzt auf eine drittrangige Position zurück, die es zuletzt vor der Zeit Peters des Großen eingenommen hatte.
Die beiden einzigen potentiellen Aspiranten für die Blockführerschaft, Japan und Deutschland, können jedoch auf absehbarer Zeit solch eine Rolle nicht übernehmen. Japan kann trotz seiner Industriemacht und seiner ökonomischen Dynamik nie Ansprüche auf einen solchen Rang erheben, und zwar aufgrund seiner geographischen Lage weit abgelegen von der größten Industriekonzentration der Welt: Westeuropa. Was Deutschland angeht, dem einzigen Land, das möglicherweise wieder in die Rolle schlüpfen kann, die es schon in der Vergangenheit innehatte, so gestattet es seine gegenwärtige Militärmacht (es verfügt nicht einmal über Atomwaffen!) ihm nicht, auf absehbare Zeit den USA auf diesem Terrain entgegenzutreten. Und in dem gleichen Maße, wie der Kapitalismus in seiner Dekadenz versinken wird, ist es für einen Blockführer immer unerläßlicher, über erdrückende militärische Überlegenheit zu verfügen, um seinen Rang zu verteidigen.


Die Vereinigten Staaten: der einzige Weltpolizist

11. So konnte es zu Anfang der Dekadenzperiode und bis in die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs hinein eine gewisse "Parität" zwischen verschiedenen Partnern einer imperialistischen Koalition geben, obgleich es stets die Notwendigkeit eines Platzhirsches gab. Zum Beispiel existierte im Ersten Weltkrieg in Bezug auf die einsatzfähige militärische Schlagkraft keine grundlegende Disparität zwischen den drei "Siegern": Großbritannien, Frankreich und den USA. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges jedoch hatte sich die Lage beträchtlich verändert, denn die "Sieger" gerieten nunmehr in eine enge Abhängigkeit von den USA, die eine erhebliche Überlegenheit gegenüber ihren "Verbündeten" ausübten. Diese verstärkte sich noch im Verlauf des gesamten "Kalten Krieges" (der jetzt zu Ende geht), als beide Blockführer, die USA und die UdSSR, durch die Kontrolle über die zerstörerischsten Atomwaffen über eine absolut erdrückende Überlegenheit gegenüber den anderen Ländern ihres Blocks verfügten. Eine solche Tendenz erklärt sich aus der Tatsache, daß mit dem Versinken des Kapitalismus in seiner Dekadenz:

  • die Herausforderungen und die Dimension der Konflikte zwischen den Blöcken immer globalere, allgemeinere  Ausmaße annehmen (je mehr Gangster kontrolliert werden müssen, desto stärker muß der "Gangsterboß" sein);
  • die Waffensysteme immer wahnwitzigere Investitionen erfordern (insbesondere können nur die ganz großen Länder die für den Aufbau von kompletten Atomwaffenarsenalen erforderlichen Ressourcen bereitstellen und ausreichende Mittel in die Entwicklung der komplizierter Waffensysteme stecken);
  • vor allem die zentrifugalen Tendenzen zwischen den Staaten, die aus der Zuspitzung der nationalen Gegensätze resultieren, sich nur weiter verstärken können.

Mit diesem letztgenannten Faktor verhält sich so wie mit dem Staatskapitalismus: je mehr sich die verschiedenen Fraktionen einer nationalen Bourgeoisie unter dem Druck der Krise und der damit angefachten Konkurrenz  zerfleischen, umso mehr muß sich der Staat verstärken, um seine Autorität über sie auszuüben. Und je mehr Schäden die historische Krise und ihre offene Form anrichtet, desto stärker muß ein Blockführer sein, um die Auflösungstendenzen der verschiedenen nationalen Fraktionen einzugrenzen und zu kontrollieren. Es liegt auf der Hand, daß sich in der letzten Phase der Dekadenz, im Zerfall, ein solches Phänomen nur noch ins Unermeßliche steigern kann.
Wegen all dieser Gründe und insbesondere aufgrund des letztgenannten ist die Bildung einer neuen imperialistischen Blockkonstellation nicht nur in den nächsten Jahren unmöglich, sondern wird möglicherweise nie mehr eintreten: entweder die proletarische Revolution oder die Zerstörung der Menschheit wird dem zuvorkommen. In der neuen historischen Epoche, in die wir eingetreten sind und die von den Ereignissen am Persischen Golf bestätigt wird, zeigt sich die Welt als ein riesiger Hexenkessel, in dem die Tendenz zum "Jeder für sich" voll zum Tragen kommt und in dem die zwischenstaatlichen Allianzen weit entfernt von jener Stabilität sind, die die Blöcke auszeichnen,  sondern von den Bedürfnissen des Moments diktiert sind. Eine Welt in tödlicher Unordnung, in blutigem Chaos, in dem der amerikanische Gendarm für ein Minimum an Ordnung durch den immer massiveren und brutaleren Einsatz seiner Militärmacht zu sorgen versucht.


Stehen wir vor einem "Super-Imperialismus"?

12. Die Tatsache, daß in der kommenden Zeit die Welt nicht mehr in imperialistische Blöcke gespalten ist, daß eine einzige Macht - die Vereinigten Staaten - die "Führung" der Welt innehat, bedeutet keinesfalls, daß die These vom "Super-Imperialismus" (oder "Ultra-Imperialismus"), wie sie von Kautsky während des Ersten Weltkriegs entwickelt wurde, heute richtig ist. Diese These war bereits vor dem Krieg von der opportunistischen Strömung, die sich in der Sozialdemokratie ausgebreitet hatte, erarbeitet worden. Sie hatte ihre Wurzel in der gradualistischen und reformistischen Auffassung, die davon ausging, daß die Widersprüche (zwischen Klassen und Nationen) innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft abgeschwächt und gar verschwinden würden. Die These Kautskys setzte voraus, daß die verschiedenen Sektoren des internationalen Finanzkapitals in der Lage seien, sich zu vereinigen, um eine stabile und friedliche Herrschaft über die ganze Welt zu etablieren. Diese These, die sich als "marxistisch" präsentierte, wurde freilich von allen Revolutionären bekämpft, insbesondere von Lenin (namentlich in "Der Imperialismus - das höchste Stadium des Kapitalismus"), der aufzeigte, daß ein Kapitalismus ohne Ausbeutung und Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kapitalien kein Kapitalismus mehr ist. Es liegt auf der Hand, daß diese revolutionäre Position auch heute noch gültig ist.
Ebenfalls darf unsere Analyse nicht mit jener, die von Chaulieu (Castoriadis) entwickelt wurde, verwechselt werden, die zumindest den Vorteil hatte, ausdrücklich den "Marxismus" abzulehnen. In dieser Analyse bewegte sich die Welt auf ein "drittes System" zu, nicht auf ein System in Harmonie, die den Reformisten so teuer ist, sondern auf eines brutaler Erschütterungen. Jeder Weltkrieg führe zur Auslöschung einer Großmacht (der Zweite Weltkrieg habe Deutschland eliminiert). Der Dritte Weltkrieg werde nur einen einzigen Block übriglassen, der der Welt sein Regime aufzwinge, unter dem die Wirtschaftskrisen verschwänden und die kapitalistische Ausbeutung der Arbeitskraft durch eine Art Sklaventum ersetzt werde, in dem die "Herrschenden" über die "Beherrschten" regierten.
Die heutige Welt, so wie sie aus dem Zusammenbruch des Ostblocks hervorgegangen ist und wie sie sich angesichts des allgemeinen Zerfalls präsentiert, bleibt weiterhin durch und durch kapitalistisch. Eine unlösbare und sich immer mehr vertiefende  Wirtschaftskrise, eine immer unbarmherzigere Ausbeutung der Arbeitskraft, die Diktatur des Wertgesetzes, die Zuspitzung der Konkurrenz und der imperialistischen Antagonismen zwischen den Nationen, die ungezügelte Herrschaft des Militarismus, massive Zerstörungen und ein Massaker nach dem anderen: dies ist die einzig möglich Wirklichkeit. Und ihre einzige, ultimative Perspektive ist die Zerstörung der Menschheit.


Das Proletariat und der imperialistische Krieg

13. Mehr denn je zuvor wird die Frage des Kriegs eine zentrale Frage im Kapitalismus sein. Mehr als je zuvor ist sie eine grundlegende Frage für die Arbeiterklasse. Die Bedeutung dieser Frage ist freilich nichts Neues. Sie stand schon vor dem Ersten Weltkrieg im Mittelpunkt (wie die internationalen Kongresse von Stuttgart 1907 und von Basel 1912 beweisen). Sie wurde selbstverständlich im Verlauf des ersten imperialistischen Gemetzels noch maßgeblicher (wie der Kampf von Lenin, Rosa Luxemburg, Liebknecht genauso wie die Revolution in Rußland und Deutschland zeigte). Sie behielt ihre ganze Schärfe zwischen den beiden Weltkriegen, insbesondere während des Spanienkriegs, ganz zu schweigen von der Bedeutung, die sie im Verlauf des größten Holocausts dieses Jahrhunderts, zwischen 1939-45, offenbarte. Sie hat schließlich ihre ganze Bedeutung im Laufe der verschiedenen nationalen "Befreiungs"kriege nach 1945 bewahrt, in Momenten der Konfrontation zwischen den beiden imperialistischen Blöcke. Im Grunde war der Krieg seit dem Beginn des Jahrhunderts die entscheidendste Frage, mit der das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten konfrontiert waren, weit vor den Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus z.B. Und dies konnte auch nicht anders sein, stellt doch der Krieg die konzentrierteste Form der Barbarei des dekadenten Kapitalismus dar, die seine Agonie und die Bedrohung, die er für das Überleben der Menschheit bildet, zum Ausdruck bringt.
In der gegenwärtigen Periode, in der noch mehr als in den vergangenen Jahrzehnten die kriegerische Barbarei (zum Leidwesen der Herren Bush und Mitterand mit ihren Prophezeiungen einer "neuen Friedensordnung") ein ständiger und allgegenwärtiger Faktor der Weltlage ist und die entwickelten Länder in wachsender Weise mit impliziert sind (in den Grenzen, die allein vom Proletariat dieser Länder festgelegt werden), ist die Frage des Krieges noch wichtiger für die Arbeiterklasse. Die IKS hat seit langem aufzeigt, daß im Gegensatz zur Vergangenheit die Entfaltung einer nächsten  revolutionären Welle nicht aus dem Krieg, sondern aus der Verschärfung der Wirtschaftskrise hervorgehen wird. Diese Analyse bleibt weiterhin vollkommen gültig: die Mobilisierungen der Arbeiter, Ausgangspunkt der großen Klassenkämpfe, werden sich aus der  Reaktion auf die ökonomischen Angriffe entwickeln. Ebenso wird auf der Ebene der Bewußtwerdung die Verschärfung der Krise ein grundlegender Faktor in der Offenlegung der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise sein. Doch auf eben dieser Ebene der Bewußtwerdung wird die Frage des Krieges wiederum eine vorrangige Rolle spielen:

  • indem die fundamentalen Konsequenzen dieser historischen Sackgasse aufgezeigt werden: die Zerstörung der Menschheit;
  • indem der Krieg die einzige objektive Konsequenz aus der Krise, der Dekadenz und dem Zerfall darstellt, den die Arbeiterklasse jetzt schon (im Gegensatz zu den anderen Manifestationen des Zerfalls) eingrenzen kann, weil sie sich in den zentralen Ländern gegenwärtig nicht hinter den nationalistischen Fahnen mobilisieren läßt.

Die Auswirkungen des Krieges auf das Klassenbewußtsein

14. Es stimmt, daß der Krieg viel einfacher als die Krise selbst und die ökonomischen Angriffe gegen die Arbeiterklasse genutzt werden kann:

  • er kann die Ausbreitung des Pazifismus begünstigen;
  • er kann ein Gefühl der Hilflosigkeit in den Reihen der Arbeiter bewirken und es der Bourgeoisie gestatten, ihre ökonomischen Angriffe auszuführen.

Dies ist übrigens bis jetzt mit dem Golfkrieg eingetroffen. Doch diese Art von Auswirkungen kann zeitlich nur begrenzt anhalten. Langfristig:

  • wird sich mit dem Andauern der kriegerischen Barbarei die ganze Nichtigkeit des pazifistischen Geredes offenbar werden,
  • wird es deutlich werden, daß die Arbeiterklasse das Hauptopfer dieser Barbarei ist, daß  sie es ist, die den Preis dafür als Kanonenfutter und mit einer erhöhten Ausbeutung bezahlt;
  • wird es angesichts immer massiverer und brutalerer ökonomischer Attacken zu einer Wiedererholung des Kampfgeistes kommen;
  • wird sich diese Tendenz dann in ihr Gegenteil verkehren.

Und es ist natürlich eine Aufgabe der Revolutionäre, bei dieser Bewußtwerdung an erster Stelle mitzuwirken: ihre Verantwortung wird immer entscheidender werden.

15. In der gegenwärtigen historischen Situation wird die Intervention der Kommunisten in der Klasse, abgesehen natürlich von der beträchtlichen Zuspitzung der Wirtschaftskrise und den damit verbundenen Angriffen gegen das gesamte Proletariat, bestimmt werden durch:

  • die fundamentale Bedeutung der Frage des Kriegs,
  • die entscheidende Rolle der Revolutionäre in der Bewußtwerdung der Klasse darüber, was heute auf dem Spiel  steht.

Es ist daher wichtig, daß diese Frage im Vordergrund der Propaganda der Revolutionäre steht. Und in Zeiten wie heute, in denen diese Frage unmittelbar im Mittelpunkt der internationalen Lage steht, ist es wichtig, daß sie die besondere Sensibilität der Arbeiter gegenüber diesem Thema nutzen, indem sie ihr Priorität verleihen und sich ihr mit ausgesuchter Hartnäckigkeit widmen.
Insbesondere haben die revolutionären Organisationen zur Aufgabe:

  • die Manöver der Gewerkschaften zu entblößen, die so tun, als ob sie zu ökonomischen Kämpfen aufriefen, um so besser die Kriegspolitik zu unterstützen (beispielsweise im Namen einer "gerechten Aufteilung" der Opfer zwischen Arbeitern und Bosse);
  • mit größter Heftigkeit die widerwärtige Heuchelei der Linken anzuprangern, die im Namen des "Internationalismus" und des "Kampfes gegen den Imperialismus" faktisch zur Unterstützung eines der imperialistischen Lager aufrufen;
  • die pazifistischen Kampagnen abzulehnen, die ein besonders gutes Mittel sind, um die Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus zu demobilisieren, indem sie auf die Ebene des Interklassismus gelockt wird;
  • die Tragweite dessen, was zur Zeit auf dem Spiel steht, aufzuzeigen, indem sie alle Auswirkungen der erheblichen Umwälzungen, die die Welt derzeit erlebt, und namentlich die Periode des Chaos begreifen, in die Welt eingetreten ist.

IKS, 4.10.1990   (überarbeitete Version)

 

Fußnoten:

(1) Siehe "Krieg, Militarismus und imperialistische Blöcke", in: INTERNATIONALE REVUE, Nr. 52 und 53, eng., franz., span. Ausgabe. Der erste Teil dieses Artikels wurde auch in WELTREVOLUTION, Zeitung der IKS in der BRD, veröffentlicht.
(2) Zur Analyse der IKS siehe: INTERNATIONALE REVUE, Nr. 11 und 13, deutsche Ausgabe)
(3) Man muß allerdings auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Staatskapitalismus und imperialistische Blöcke hinweisen. Ersterer wird durch die Konflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der kapitalistischen Klasse nicht in Frage gestellt (ausgenommen im Falle eines Bürgerkrieges, der für gewisse rückständige Zonen des Kapitalismus charakteristisch ist, aber nicht für seine fortgeschrittensten Sektoren): im allgemeinen gelingt es dem Staat als Repräsentant des gesamten nationalen Kapitals, den verschiedenen Komponenten des nationalen Kapitals seine Autorität aufzuzwingen. Die imperialistischen Blöcke dagegen haben nicht die gleichen Charakteristiken der Unverfallbarkeit. Erstens werden sie nur mit Blick auf den Weltkrieg gebildet: in einer Periode, in der der Weltkrieg nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht (wie in den zwanziger Jahren), können sie gar verschwinden. Zweitens gibt es für die Staaten keine endgültige "Vorherbestimmung" zu Gunsten des einen oder des anderen Blocks: die Blöcke entstehen entsprechend der Umstände, als eine Funktion ökonomischer, politischer, geographischer und militärischer Faktoren. So weist die Geschichte eine Vielzahl von Staaten auf, die ihre Blockzugehörigkeit nach der Änderung des einen oder anderen Faktors wechselten. Diese unterschiedliche Stabilität von Staatskapitalismus und Blöcke ist überhaupt nicht geheimnisvoll. Es entspricht der Tatsache, daß das höchste Niveau an Einheit, das die Bourgeoisie erreichen kann, die Nation ist, weil der Nationalstaat das klassische Instrument der Bourgeoisie zur Verteidigung ihrer Interessen ist (Aufrechterhaltung der "Ordnung", Großaufträge, Währungspolitik, Schutzzoll, etc.). Daher ist ein Bündnis in einem imperialistischen Block nie mehr als ein Konglomerat von fundamental gegensätzlichen, nationalen Interessen, ein Konglomerat, das dazu bestimmt ist, diese Interessen im internationalen Dschungel zu schützen. Wenn sie sich eher dem einen als dem anderen Block anschließt, dann verfolgt eine Bourgeoisie keine andere Sorge als die Garantie ihrer eigenen Interessen. Letzten Endes dürfen wir, wenn wir den Kapitalismus als ein globales Gebilde betrachten, nie außer acht lassen, daß er konkret in Gestalt rivalisierender und konkurrierender Kapitalien existiert.
(4) In Wirklichkeit ist es ja die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Gesamtheit, die in ihrer Dekadenz und noch mehr in ihrer Zerfallsphase vom Standpunkt der Interessen der Menschheit aus eine Widersinnigkeit dar. Doch in dieser barbarischen Agonie des Kapitalismus rühren bestimmte Formen desselben, wie der Stalinismus, aus besonderen historischen Umständen her (wie wir später sehen werden), die Merkmale tragen, welche sie noch anfälliger machen und zum Verschwinden verurteilen, bevor das ganze System durch die proletarische Revolution oder durch die Vernichtung der Menschheit zerstört wird.
(5) So tendiert die Art und Weise, wie die "Ordnung" auf der Welt in dieser neuen Periode garantiert wird, immer mehr dazu, der Art und Weise zu ähneln, wie die UdSSR die Ordnung in ihrem alten Block aufrechterhielt: durch Terror und die Gewalt der Waffen. In der Zerfallsperiode und mit der Zuspitzung der wirtschaftlichen Erschütterungen des im Todeskampf liegenden Kapitals werden die barbarischsten und brutalsten Formen der internationalen Beziehungen zur Regel für jedes Land auf dieser Welt.
(6) In der Tat waren die Gründe hinter Rußlands Unfähigkeit, als Lokomotive für die Weltrevolution zu handeln (weshalb Revolutionäre wie Lenin und Trotzki die Revolution in Deutschland erwarteten, damit sie die russische Revolution anschieben könnte), die gleichen, die Rußland als Blockführer gänzlich ungeeignet machten.
(7) Ein anderer Grund, warum die westlichen Alliierten Rußland die freie Verfügungsgewalt über die osteuropäischen Länder überlassen hatten, besteht in der Tatsache, daß sie auf diese Macht setzten, um gegen das Proletariat in dieser Region für "Ordnung zu sorgen". Die Geschichte (Warschau insbesondere) hat bewiesen, daß dieses Vertrauen vollauf berechtigt war .