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Die herrschende Ideologie ist nicht der Faschismus, sondern der Antifaschismus
Am 10. Dezember 2005 fand in Zürich eine Diskussionsveranstaltung der IKS statt. Solche Treffen, die wir in der Schweiz alle zwei Monate durchführen, sind öffentlich. Entsprechend rufen wir jeweils auch in der Zeitung, im Internet, über verschiedene Veranstaltungskalender usw. zur Teilnahme an der Diskussion auf. Das Ziel solcher Veranstaltungen ist, dass politisch interessierte Leute ihre Positionen darlegen und Fragen in der Diskussion klären können. Einerseits rufen wir zu Veranstaltungen mit einem bestimmten Thema auf, bei denen die IKS ein Einleitungsreferat hält, andererseits gibt es aber auch Diskussionen ohne festes Thema, wo die TeilnehmerInnen vorschlagen, was sie diskutieren wollen. Am 10. Dezember handelte es sich um eine Veranstaltung der zweiten Art.
Drei Wochen vor der Veranstaltung erschien auf einer rechtsextremen Webseite der folgende Aufruf von jemandem, der sich "Berserker" nannte: "Gemaess Indymedia wir am 10.12.05 in Zuerich eine Veranstaltung der Internationaler Kommunistischen Stroemung (IKS) stattfinden. Unter dem Vorwand ein ,,Disskussionstreffen ohne festes Thema'' zu organisieren, werden die Rotfaschisten ihre Propaganda verbreiten. Das dürfen und können wir nicht tolerieren. Es wird eine oeffentliche Veranstaltung sein.
Die Rotfaschisten wuerden sich sicherlich freuen ueber einen kleinen Besuch an dieser Veranstaltung. Die soll keineswegs ein Aufruf zur Gewalt sein, im Gegenteil, es sollten einige Nationalisten die Veranstaltung besuchen und ihre Argumente und Fragen dort einbringen. Die Devise lautet aber, dass man nicht unvorbereitet auftauchen soll, um eine Blamage zu vermeiden.
Wahrscheinlich wird man als national denkender Widerstandskaempfer nicht eingelassen, man kann aber dann die Zeit immer noch fuer eine Flugblattaktion beim Eingang nuetzen. Fuer entsprechende Flugblaetter koennt ihr gerne anfragen. (...) hoffen wir, dass einige nationalisten Zeit finden, um an diesem Anlass teilzunehmen."
Am 29. November 2005 doppelte derselbe "Berserker" mit einem zweiten Aufruf nach:
"Ich musste leider feststellen, dass mich noch niemand fuer ein Flugblatt angefragt hat....
Es waere eine Schande, wenn dieser Anlass ohne uns von statten gehen wuerde. Darum nochmals der Aufruf:
Wir muessen solche Anlaesse unterbinden!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Vom Nationalen Widerstand zum Nationalen Angriff!!!!!!!!!!
gruss euer Berserker
Ps: Ich wuerde kommen, bin aber nicht im Stande aufgrund meiner Abweseinheit wegen einer Studienreise"
Dieser Aufruf eines Rechtsextremen war offenbar als Drohung zu verstehen, unsere Veranstaltung verbal oder mit Gewalt zu stören. Wir antworteten auf ihn und allfällige weitere "Nationalisten" auf unserer Webseite mit folgender Mitteilung:
"1. Unsere öffentlichen Diskussionstreffen sind in der Tat offen für alle, die politisch interessiert sind und mit uns über Fragen, die für die Arbeiterklasse von Belang sind, diskutieren wollen. In diesem besonderen Fall sind wir aber sicher, dass es keinen Sinn hat, mit euch zu diskutieren. Es ist offensichtlich, dass wir uns gegenseitig nichts zu sagen haben. Wir werden uns nicht von eurem Stanpunkt überzeugen lassen, und ihr euch nicht von unserem.
2. Wir sind entschlossen, unser Treffen nicht sabotieren zu lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass öffentliche Veranstaltungen der IKS Zielscheibe von Sabotageversuchen sind, und zwar nicht bloss von rechtsextremer, sondern in der Vergangenheit auch schon von anarchistischer oder stalinistischer Seite.
3. Wir haben deshalb auch keine "antifaschistischen" Beweggründe, wenn wir euch an jedem Sabotageversuch hindern werden. Vielmehr geht es uns schlicht darum, diesen Ort der Debatte für Fragen, die die Arbeiterbewegung beschäftigen, zu verteidigen."
Dies war denn auch eines der Anliegen bei der Vorbereitung der Veranstaltung: Eine revolutionäre Organisation muss sich die Mittel geben, um ihre Aktivitäten - sei es eine solche Veranstaltung, sei es eine andere Intervention in der Klasse - gegen Angriffe zu schützen und unter Berücksichtigung des bestehenden Kräfteverhältnisses auch durchzusetzen. Mit der Unterstützung auch von SympathisantInnen kehrten wir das Notwendige vor.
Nicht ganz überraschend erschienen keine Rechtsextreme - dafür zivile Polizisten, denen aber dann schliesslich der Vorwand doch fehlte, um den Saal zu betreten oder die TeilnehmerInnen zu behelligen.
Zu Beginn der Veranstaltung schlug die IKS vor, aus aktuellem Anlass das Thema Antifaschismus aufzugreifen. Im Laufe des Nachmittags wurden dann aber auch noch weitere Themen eingebracht, so namentlich die Krawalle vom November 2005 in Frankreich und deren Perspektivlosigkeit sowie die aktuelle Entwicklung der Klassenkämpfe[1].
Diskussion über Faschismus und Antifaschismus
Die IKS legte in einer kurzen Stellungnahme die Position der Linkskommunisten zum Antifaschismus dar. Die wichtigsten Aussagen daraus seien hier wiedergegeben:
Der Faschismus ist ein politischer Ausdruck des dekadenten Kapitalismus. Wir sind gegen jede Barbarei, die dieses System hervorbringt, sei es im Namen des Faschismus, der Demokratie oder des Stalinismus. Der Holocaust, Hiroshima und Nagasaki, der Gulag stehen für diese verschiedenen Formen der Barbarei. Jede dieser drei Formen der staatskapitalistischen Herrschaft ist totalitär, aber je mit anderen Mitteln. Der Faschismus zeichnet sich durch eine besonders brutale Disziplinierung der Arbeiterklasse im Hinblick auf den Krieg, namentlich den Weltkrieg aus. Die Italienische Kommunistische Linke hat bereits in den 1920er Jahren nachgewiesen, dass der Faschismus als Regierungsform nur möglich ist, wenn die Arbeiterklasse zuvor durch die Demokratie (z.B. die Sozialdemokratie in Italien und Deutschland) geschlagen worden ist. Der Faschismus kam nie gegen eine ungeschlagene Arbeiterklasse an die Macht.
Was ist Antifaschismus? - Er ist die Negierung des Faschismus - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Antifaschismus ist weder vom Begriff her antikapitalistisch, noch war er es je in der geschichtlichen Realität[2]. Antifaschismus heisst Verteidigung der Demokratie, also Verteidigung einer anderen totalitären, bürgerlichen Herrschaftsform. Oder Verteidigung des vermeintlich geringeren Übels. Die Demokratie ist für die Bourgeoisie die perfekteste Herrschaftsform. Sie ist flexibel und taugt am besten, wenn es darum geht, dem Volk (also nicht bloss der Arbeiterklasse) vorzugaukeln, es würde selber über seine Geschicke entscheiden, es habe ja an der Urne die freie Wahl. In den 1970er Jahren beispielsweise, als die Arbeiterklasse in vielen Ländern auf der ganzen Welt erwachte und in zahlreiche Kämpfe trat, waren die faschistischen Regime von Franco und Salazar in Spanien und Portugal keine geeigneten Herrschaftsformen mehr, um die Situation im Sinne der Bourgeoisie zu kontrollieren. Der Faschismus musste der Demokratie weichen, die mit ihren Wahlen und Gewerkschaften der kämpfenden Arbeiterklasse viel wirksamer gegenüber treten konnte.
Ob die Bourgeoisie auf die Herrschaftsform des Faschismus zurückgreift, hängt wesentlich vom Kräfteverhältnis zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat ab. Wenn das Proletariat geschlagen ist, hat die Bourgeoisie freie Hand und kann je nach den sonstigen Bedürfnissen ein sehr autoritäres Regime einrichten. Wenn umgekehrt das Proletariat auf seinem eigenen Terrain kämpft, d.h. für seine Ziele und mit seinen Mitteln, so wird sich die bürgerliche Klasse hüten, mit einem faschistischen Regime zu regieren versuchen.
Die Arbeiterklasse hat im Kapitalismus zwei Stärken: ihr Klassenbewusstsein und ihre Einheit. Nur mit diesen beiden Waffen kann sie das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten verschieben. Das Proletariat ist eine besondere Klasse mit besonderen Zielen. Es kann sich nicht mit anderen Klassen zusammenschliessen, um seine Ziele zu erreichen. Es kann sich nur auf seine eigenen Kräfte verlassen und muss ganz auf sie setzen - eben auf die Einheit und das Klassenbewusstsein.
Dies ist gerade beim Antifaschismus das zentrale Problem. Der Kampf gegen den Faschismus, d.h. eben für die Demokratie als das vermeintlich geringere Übel, ist typischerweise das Ziel von anderen als proletarischen Klassen: von Kleinbürgern und Teilen der Bourgeoisie selber. Wenn das Proletariat als Ganzes oder Teile von ihm beginnen, sich in einen solchen Kampf zu begeben, schliessen sie sich notwendigerweise mit fremden Klassen zusammen. Der antifaschistische Kampf ist klassenübergreifend. Die Arbeiter geben dabei ihre Klassenautonomie auf.
Es gibt verschiedene bekannte Beispiele aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, die aufzeigen, dass eine solche Bündnispolitik und insbesondere der Antifaschismus nicht nur den Faschismus nicht aufhielten, sondern im Gegenteil durch die Entwaffnung des Proletariats im dargelegten Sinn den Boden vorbereiteten, damit der Faschismus effektiv siegen konnte. Die Einheitsfrontpolitik der KPD in den 20er Jahren ist ein Beispiel. Ein anderes ist der Antifaschismus, den in Spanien die Stalinisten und offiziellen Anarchisten nach dem proletarischen Aufstand vom Juli 1936 praktizierten.
Aus diesen Gründen ist es wichtig, immer nach dem Klassencharakter einer Bewegung zu fragen. Nur wenn die Arbeiterklasse auf ihrem Terrain, autonom, nicht in einem klassenübergreifenden Bündnis kämpft, kann sie sich verstärken und kommt sie ihrem Ziel näher.
Eine lebendige Diskussion
Von denjenigen, die sich an der Diskussion beteiligten, vertrat niemand die Auffassung, dass die bestehende gesellschaftliche Ordnung gut sei und verteidigt werden sollte. Alle hatten offenbar das Anliegen, dass der Kapitalismus überwunden werden muss, wenn die Menschheit überhaupt noch eine Zukunft haben soll. Eine Mehrheit schien auch die Meinung zu vertreten, dass die Demokratie eine totalitäre Herrschaftsform der Bourgeoisie ist, um das Proletariat besser in Schach zu halten.
Einige Teilnehmer hatten aber dann doch die mehr oder weniger ausgesprochene Neigung zu sagen, dass die Faschisten noch schlimmer seien als die Demokraten. Einer sagte sinngemäss, im Notfall müsse man Bündnisse gegen die "Schlimmsten" eingehen; im Zweiten Weltkrieg sei dies nötig gewesen gegen Nazideutschland, heute sei es notwendig gegen die USA, die ebenso die ganze Welt unterwerfen wollten, wie seinerzeit die Nazis.
Gegen solche Argumente wandten sich diejenigen, welche die Perspektive der proletarischen Revolution verteidigten. Das Proletariat kann sich für seine Revolution auf niemanden verlassen ausser auf sich selber, auf seine eigenen Stärken. Wenn es um die Umwälzung der herrschenden Ordnung geht, wird kein Staat - auch wenn er noch so antiamerikanisch ist - dem Proletariat helfen, im Gegenteil. Die verschiedenen Nationalstaaten stehen zwar in ständiger Rivalität zueinander, aber sobald das Proletariat sich erhebt, sind sich plötzlich die Bourgeoisien aller Länder in dieser einen Frage einig: Die kapitalistische Ordnung muss gegen die proletarische Revolution verteidigt werden. Genau dies geschah im Herbst/Winter 1918, als sich in verschiedenen Ländern Arbeiterräte nach dem Vorbild der Sowjets zu bilden begannen, um die in Russland begonnene Revolution in Mittel- und Westeuropa fortzusetzen; sofort brachen die Herrschenden den Weltkrieg ab, damit die bedrohten Regierungen in Deutschland, Österreich und Ungarn die Waffen gegen das Proletariat richten konnten. Von Bündnissen mit anderen Klassen oder gar einem kapitalistischen Staat hat die Arbeiterklasse also nichts als die eigene Niederlage zu erwarten.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob die Bourgeoisie heute überhaupt auf den Faschismus als Ideologie und Alternative zur Demokratie zurückgreift. Dies ist bei den massgebenden Teilen der herrschenden Klasse offensichtlich nicht der Fall. Trotzdem ist die Frage interessant, da sie es erlaubt, die Spielarten der demokratischen Ideologie genauer zu betrachten. Niemand bestreitet zwar die Tatsache, dass es Neonazis gibt und dass rechtsextreme Schlägerbanden Ausländer, Punks oder andere, die sie für Sündenböcke halten, terrorisieren. Ebenso klar ist, dass die Bourgeoisie, insbesondere ihre Polizei, die Naziszene unterwandert und für Zwecke zu manipulieren versucht, die schlecht zur vorherrschenden demokratischen Ideologie passen: Pogrome, Aufbau von Killerkommandos und Todesschwadronen. Aber eben - all dies muss unter dem demokratischen Deckmantel geschehen. Keine einzige Regierung auf der Welt schreibt in der heutigen Zeit den Faschismus auf ihre Fahnen, im Gegenteil: Jeder Staat will die anderen in der Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte übertrumpfen. Die USA führen ihre Kriege im Namen der Demokratie; ihre Gegner tun dasselbe und werfen den USA Demokratiedefizite und Verletzungen der Menschenrechte z.B. in Guantánamo vor. Die Linken (Sozialdemokraten, Menschenrechtsgruppen, Antirassismus-Kommissionen usw.) sind die Vorreiter dieser Ideologie, die Linksextremen (Antifa, Antiimps, Antideutsche) ihre Speerspitze: Sie sind das mehr oder weniger radikale Feigenblatt jeder Demokratie für ihre undemokratischen "Auswüchse". Sie geben alle vor, der kapitalistische Staat könne, wenn er nur wolle, seine Bürger vor menschenunwürdiger Behandlung schützen. Der Staat und seine Institutionen seien für das Wohl aller zuständig und auch fähig, es zu gewährleisten. Der Antifaschismus ist unersetzbarer Teil dieser Ideologie - egal, ob seine Protagonisten sich dessen bewusst sind oder nicht.
Zur Veranstaltung kamen verschiedene Leute, die sich offen für linkskommunistische Positionen interessierten. Auch in der Schweiz ist festzustellen, dass es vermehrt solche Interessierte gibt[3]. Wir schickten deshalb an verschiedene Leute und Gruppen, die wir kennen, eine Einladung zur Diskussion mit der Aufforderung, uns bei der Verteidigung der Veranstaltung zu unterstützen. Dabei verwiesen wir aber ausdrücklich auf unsere Ablehnung jeder antifaschistischen Bündnispolitik und präzisierten: "Wir können und werden uns nur auf unsere eigenen Kräfte, also auf diejenigen der InternationalistInnen, abstützen und werden uns davor hüten, unseren Schutz auf einer antifaschistischen Grundlage zu organisieren versuchen."
FK, 16.01.06
Fussnoten:
[1] Aus Platzgründen beschränken wir uns in diesem Artikel auf das Thema Faschismus und Antifaschismus. Was die anderen Themen betrifft, verweisen wir einerseits auf den Artikel "Ausschreitungen in den französischen Vorstädten" (book/print/590) und andererseits auf die aktuellen Artikel über den Klassenkampf in jeder Ausgabe der Weltrevolution.
[2] Vgl. dazu den Beitrag eines Lesers in Weltrevolution Nr. 131 und unsere Stellungnahme zu diesem Beitrag in Nr. 132
[3] Ein Indiz dafür ist, dass die Gruppe "Eiszeit" einen mehrmonatigen Diskussionszyklus über "kommunistische Dissidenz" organisiert, bei welchem bei reger Teilnahme bis jetzt mehrheitlich linkskommunistische Themen und Positionen diskutiert werden (Rosa Luxemburg, Deutsch-Holländische Kommunistische Linke, Italienische Kommunistische Linke), vgl. www.eiszeit.tk.