Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Weltrevolution - 2000s > Weltrevolution - 2008 > Weltrevolution Nr. 146

Weltrevolution Nr. 146

  • 2953 Aufrufe
Weltrevolution Nr. 146

Che Guevara – Mythos und Wirklichkeit

  • 4806 Aufrufe
Vor einigen Monaten haben wir in Frankreich eine Zuschrift von einem Genossen, der sich EK nennt, zu Che Guevara erhalten. Da sich in diesen Monaten zum 40. Mal der Todestag von Che Guevara jährt und wir als IKS nicht in den Lobgesang auf ihn einstimmen wollen, sondern uns dazu äußern wollen, ob Che Guevara wirklich ein Revolutionär war und ob die Arbeiterklasse sowie die junge Generation sich heute auf seine Taten berufen sollen oder nicht, möchten wir den Großteil der Korrespondenz mit dem Genossen EK an dieser Stelle veröffentlichen.  Aus der Sicht von EK war Che Guevara ein „echter Kämpfer für die Sache der unterdrückten Völker“. Für EK steht „der Internationalismus Ches außer Frage, er war das Modell des internationalen Kämpfers und der Solidarität unter den Völkern“. Auch sei er einer der wenigen Revolutionäre, die es gewagt haben, das Regime in der UdSSR zu kritisieren.  „Im zweiten afro-asiatischen Solidaritätsseminar kritisierte Ches ohne Vorbehalte die konservativen und ausbeuterischen Positionen der UdSSR“. (…) Da er andere Ziele verfolgte, distanzierte sich Che später vom sozialimperialistischen Modell der UdSSR. Die CIA und der KGB arbeiteten gar zusammen, um sich seiner während seiner revolutionären Aktivitäten in Bolivien zu entledigen. Erneste Che Guevara hat seine intellektuelle Redlichkeit mit seinem Leben bezahlt. Ihn zu würdigen heißt, seine Texte zu lesen, Erinnerungen an ihn zu verewigen, den Kampf fortzusetzen, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, seine Werte zu unterstützen. Anlässlich des 40. Jahrestages seiner Ermordung im Kampf ist es mehr denn je Zeit, seine Gedanken und seine Ideen neu zu beleben.“ Im Oktober 2007 gedachte man des 40. Todestages von Che Guevara, der damals von der bolivianischen Armee, welche von den USA ausgerüstet wurde, umgebracht wurde. Seit 1967 ist Che zum Symbol der unsterblich „romantischen revolutionären Jugend“ geworden: jung gestorben,  mit der Waffe in der Hand, im Kampf gegen den US-Imperialismus, großer „Verteidiger der armen Massen Lateinamerikas“. Jeder hat dieses Bild Che’s vor Augen, mit dem Stern an seiner Baskenmütze, dem traurigen und abwesenden Blick. Seine berühmten „Tagebücher“ haben sehr zur Verbreitung der Geschichte dieses Revoltierenden beigetragen, der aus einer wohlhabenden argentinischen Familie stammte, mit einem Einschlag der Boheme behaftet, der eine abenteuerliche Reise auf dem Motorrad auf den Straßen Südamerikas antrat und seine medizinischen Kenntnisse zugunsten der Armen einsetzte… Er lebte 1956 in Guatemala, zu einer Zeit, als die USA einen der unzähligen Staatsstreiche gegen eine Regierung anzettelten, die ihnen nicht passte. Diese ständige Einmischung  der USA in die Politik der Länder Lateinamerikas sollte sein ganzes Leben lang seinen Hass gegen die USA bestimmen. Später schloss er sich in Mexiko der Gruppe Castros an, die dort nach einem fehlgeschlagenen Umsturzversuch des kubanischen Diktators Batista, welcher von den USA lange Zeit unterstützt wurde, Unterschlupf gefunden hatte (2). Nach einer Reihe von Abenteuern ließ sich diese Gruppe in den Bergen Kubas nieder, bis sie Anfang Januar 1959 Batista zu Fall brachten. Die neue Ideologie dieser Gruppe war der Nationalismus, der Marxismus war nur die Schutzhülle für einen gegen die US-Amerikaner, gegen die „Yankees“ gerichteten „Widerstand“, auch wenn sich einige ihrer Mitglieder wie Guevara selbst als „Marxisten“ bezeichneten. Die kubanische Kommunistische Partei, die seinerzeit übrigens Batista unterstützt hatte, schickte erst wenige Monate nach dem Sieg Castros einen ihrer Führer, Carlos Rafael Rodríguez, zu diesem. Diese Guerrilla war keinesfalls der Ausdruck irgendeiner Bauernrevolte und noch weniger eines Aufstands der Arbeiterklasse. Sie war der militärische Ausdruck einer Fraktion der kubanischen Bourgeoisie, die einen anderen Flügel stürzen wollte, um deren Platz einzunehmen. Es gab keine „Volkserhebung“ bei der Machtergreifung der von Castro geführten Guerilla. Wie so oft in Amerika trat diese „Erhebung“ in Gestalt einer Ersetzung der einen militärischen Clique durch eine andere bewaffnete Gruppierung auf, bei der die Ausgebeuteten und Verarmten der Inselbevölkerung, die oft von den kämpfenden Putschisten der Guerilla rekrutiert worden waren, keine wichtige Rolle spielten, sondern den neuen Machthabern nur zujubeln durften. Gegenüber dem eher schwachen militärischen Widerstand der Truppen Batistas erschien Guevara als ein Guerillakämpfer, dessen Entschlossenheit und wachsender Charme schnell seinen Herren, Fidel Castro, in den Schatten stellten. Nach dem Sieg über Batista beauftragte Fidel Castro Che mit der Bildung von „Revolutionstribunalen“, die insbesondere in Lateinamerika ein blutiges Schauspiel in der besten Tradition der Begleichung von alten Rechnungen zwischen verschiedenen nationalen Fraktionen lieferten. Che Guevara nahm sich seine Rolle sehr zu Herzen; dies geschah aus Überzeugung und mit Eifer. Er schuf eine „Volksjustiz“, die zur Ablenkung des Volkes die alten Folterer des Batistaregimes aburteilte. Aber auch haltlose Beschuldigungen und Verleumdungen wurden aufgegriffen. Übrigens verteidigte Guevara dies später vor der UNO, als er in seiner Antwort auf lateinamerikanische Repräsentanten, die als gute „Demokraten“ diese Methoden beanstandeten, unterstrich: „Wir haben Leute erschossen, wir erschießen weiter und werden dies solange wie notwendig machen.“  Diese Methoden haben nichts mit der fehlerhaften Praxis einer revolutionären Justiz zu tun. Sie sind typische Methoden einer Fraktion der Bourgeoisie, die eine andere gewaltsam beherrscht. Man kann sich natürlich stets träumerisch mit dem schlichten „Helden“ der Sierra Maestra identifizieren, mit dem „heroischen Guerillakämpfer“, der einige Jahre später in den Anden Boliviens starb, aber im realen Leben hat dieser nur eine ausführende Rolle in der schmutzigen Praxis eines Regimes gespielt, das den Begriff Kommunismus nur im Namen führt.

Che Guevara – Internationalist ?

Du schreibst: «Der Internationalismus Ches steht außer Frage“ und „Im zweiten afro-asiatischen Solidaritätsseminar kritisierte Che ohne Vorbehalte die konservativen und ausbeuterischen Positionen der UdSSR“ und Du behauptest: „Che distanzierte sich später logischerweise vom sozial-imperialistischen Modell der UdSSR“.

Das nationalistische Regime Castros hat sich schnell die Etikette „kommunistisch“ umgehängt, es hat sich dabei aber nur dem von der UdSSR angeführten imperialistischen Lager angeschlossen. Da sich Kuba nur wenige Seemeilen von der US-Küste befindet, musste dies natürlich für die USA als Blockführer Anlass großer Sorge sein. Der Prozess der Stalinisierung der Insel, der von einer großen Zahl zivilen, militärischen Personals und von Geheimagenten aus Osteuropa begleitet war, fand 1962 zur Zeit der „Raketenkrise“ seinen Höhepunkt. In diesem Verlauf wurde Ché Guevra, der in der Zwischenzeit zum Industrieminister ernannt worden war (1960-1961), um das neue Bündnis mit dem „sozialistischen Lager“ zu festigen, von Castro in eben diese Länder geschickt, in denen er sich lobpreisend über die UdSSR äußerte: „dieses Land, das so tief mit dem Frieden verbunden ist“, „in dem die Meinungsfreiheit herrscht“, das „die Mutter der Freiheit“ ist… Er rühmte ebenso das „außergewöhnliche“ Nordkorea oder das China Maos, wo „jeder voll von Enthusiasmus ist, jeder Überstunden leistet“, und die anderen Länder des Ostblocks. „Die Leistungen der sozialistischen Länder sind außergewöhnlich. Man kann ihre Gesellschaft, ihre Entwicklung einfach nicht mit der kapitalistischen Gesellschaft vergleichen“. Er war ein wahrer Prediger des stalinistischen Modells. Wir kommen später auf die Trennung Ches von der UdSSR zurück. Aber im Gegensatz zu Deinen Behauptungen hat Ché nie einen Zweifel an den Prinzipien des stalinistischen Systems aufkommen lassen. Aus seiner Sicht war die UdSSR und ihr Block das „sozialistische, fortschrittliche“ Lager und sein eigener Kampf war Teil des Kampfes des russischen Blocks gegen den westlichen Block. Der von Ché Guevara erhobene Schlachtruf: „Schaffen wir ein, zwei, viele Vietnams“ ist kein internationalistischer Schlachtruf, sondern nationalistisch und nichts als eine Unterstützung des russischen Blocks. Sein wirkliches Kriterium war nicht die gesellschaftliche Umwälzung, sondern der Hass auf den anderen Blockführer, die USA. Nach dem 2. Weltkrieg war die Welt in zwei feindliche Blöcke gespalten, die jeweils von den USA bzw. der UdSSR angeführt wurden. Die „nationale Befreiung“ stellte sich als eine perfekte ideologische Verschleierung und regelmäßige Rechtfertigung der militärischen Mobilisierungen der Bevölkerung heraus. In diesen Kriegen hatten weder die Arbeiterklasse noch die anderen ausgebeuteten Klassen irgendetwas zu gewinnen, da sie nur als Kanonenfutter für die verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und ihre imperialistischen Paten dienten. Die in Jalta erfolgte Aufteilung der Welt in zwei imperialistische Blöcke bedeutete, dass jedes Ausscheiden aus einem Block nur den Beitritt zum gegnerischen Block zur Folge haben kann. Es gibt kein besseres Beispiel dafür als Kuba. In diesem Land wurde die korrupte Diktatur Batistas, der unter amerikanischer Abhängigkeit, der US-Geheimdienste und aller möglichen Mafien  stand, durch die Herrschaft des russischen Blocks ersetzt. Die Geschichte Kubas bündelt die tragische, ein halbes Jahrhundert dauernde Geschichte der „nationalen Befreiungskämpfe“ Bevor man sich darüber äußert, wann und wie sich Guevara angeblich von der UdSSR „losgelöst“ hat, muss man sich klar zum Wesen der UdSSR und ihrem Block äußern. Hinter der Verteidigung eines Ché Guevaras als Revolutionär steckt die Idee, dass die UdSSR trotz all ihrer Schwächen mehr oder weniger doch der „sozialistische, fortschrittliche Block“ sei. Dies ist aber die größte Lüge des 20. Jahrhunderts. In Russland hat sehr wohl eine proletarische Revolution stattgefunden, aber sie hat eine Niederlage erlitten. Die stalinistische Form der Konterrevolution entwickelte die Losung des „Aufbaus des Sozialismus in einem Land“. Diese Losung ist genau das Gegenteil der Grundlagen des Marxismus. Aus marxistischer Sicht haben die Arbeiter kein Vaterland. Der Internationalismus diente der revolutionären Bewegung, die 1917 ausbrach, und allen damaligen Revolutionären, von Lenin und den Bolschewiki bis Rosa Luxemburg und den Spartakisten, als Kompass. Die Übernahme der abscheulichen Theorie des „Sozialismus in einem Lande“  ging einher mit der Verbreitung von Terror und Staatskapitalismus, dieser eisernen Faust, die der totalitärste und schrecklichste Ausdruck der kapitalistischen Ausbeutung ist.

Hat sich Ché von dem sozial-imperialistischen Modell Russlands gelöst?

Der Ausgangspunkt der Kritik Ché Guevaras an der UdSSR war die „Raketenkrise“ von 1962. Für die UdSSR war Kuba ein großer Fang. Sie konnte jetzt endlich den USA mit gleicher Münze heimzahlen, welche die UdSSR direkt von deren Nachbarländern wie z.B. der Türkei bedrohen konnten. Die UdSSR begann, nur wenige Kilometer vor der US-Küste entfernt Abschussbasen für nuklearbestückte Raketen zu errichten. Die Reaktion der USA: sie verhängten ein totales Embargo über die Insel, zwangen die russischen Boote auf halbem Weg zur Umkehr. Chrutschow, damaliger Herrscher im Kreml, wurde schließlich gezwungen, seine Raketen zurückzuziehen. Einige Tage lang im Oktober 1962 brachten die imperialistischen Zusammenstöße zwischen jenen, die sich als die „freie Welt“ darstellten, und jenen, die von sich behaupteten die „fortschrittliche, sozialistische Welt“ zu sein, die ganze Menschheit an den Rand des Abgrunds. Chrutschow wurde von die Castro-treuen Führung als „Weichling“ beschimpft, der keinen „Mumm“ habe, die USA anzugreifen. In einem hysterischen patriotischen Anfall, angesichts dessen Castros Losung „Vaterland oder Leben“ seinen ganzen schrecklichen Sinn enthüllt, zeigten sie sich bereit, das Volk (von dem sie später behaupteten, dass es bereit war, sich zu opfern) auf dem Altar des Atomkrieges zu opfern. In diesem perversen Delirium stand Ché Guevara mit an vorderster Stelle. Er schrieb: „Sie (die Organisation Amerikanischer Staaten) haben zurecht Angst vor der ‚kubanischen Subversion‘, das Angst einjagende Beispiel eines Volkes, das bereit ist, in einem Atomkrieg zu sterben, damit seine Asche als Zement für die neuen Gesellschaften dient, und welches nach der Unterzeichnung des Abkommens über den Rückzug der Atomsprengköpfe, wozu es überhaupt nicht befragt wurde, keinen Ton des Aufatmens von sich gibt und den Rückzug nicht dankend anerkennt. Es bekräftigt im Gegenteil seine Entschlossenheit zu kämpfen, dies gar alleine zu tun gegen alle Gefahren und gegen die atomare Bedrohung selbst, die vom Yankee-Imperialismus ausgeht.“(6) Dieser „Held“ hatte beschlossen, dass das kubanische Volk bereit war, im Kampf für das Vaterland zu sterben. So lag der „Enttäuschung“ und der Kritik gegenüber der Sowjetunion nicht der Verlust des Glaubens an die Werte des „Sowjetkommunismus“ (der eigentlich ein stalinistischer Kapitalismus war) zugrunde, sondern die Tatsache, dass das System auf dem Höhepunkt der Zeit des Kalten Krieges nicht bis ans Ende der Kriegslogik ging. Als Ché Guevara von der CIA und der Armee Boliviens 1967 ermordet wurde, war er nicht nur Opfer des US-Imperialismus, sondern auch der neuen politischen Orientierung des Kremls, die als „friedliche Koexistenz“ mit dem Westblock  in die Geschichte einging. Wir können hier nicht näher darauf eingehen, warum die Führung der UdSSR und ihr Block diesen Kurs eingeschlagen haben. Aber dieser Kurs hat nichts mit irgendeinem Verrat an den Völkern zu tun, die sich vom Imperialismus „befreien“ wollten, und erst recht nichts mit einem Verrat am Proletariat. Die Politik der herrschenden stalinistischen Klasse hat oft je nach Interessenslage Kurswechsel vollzogen, und gerade die Frage der Raketenkrise führte den Führern des stalinistischen Ostblocks vor Augen, dass sie nicht die Mittel hatten, den gegnerischen Blockführer vor seiner Tür herauszufordern und dass sie in Lateinamerika vorsichtiger vorgehen mussten. Guevra und ein Teil der kubanischen Führer wollten dies nicht begreifen, so dass sie ab einem gewissen Zeitpunkt für die UdSSR wie auch für ihre eigenen kubanischen Freunde hinderlich wurden. Von da an war das Schicksal Ché Guevaras besiegelt: Nach dem desaströsen Abenteuer im Kongo (7) fand er sich plötzlich in Bolivien isoliert wieder, unterstützt nur von einer Handvoll bewaffneten Genossen, von der bolivarianischen KP aufgegeben, die auf die Linie Moskaus eingeschwenkt war. Aus der Sicht der Treuesten unter den Moskautreuen waren die Anhänger des „Foco“ (Guerilla-Brände)  Abenteuer suchende, „von den Massen losgelöste“ Kleinbürger. Und aus der Sicht der Fraktionen der KP, die dem bewaffneten Kampf am günstigsten gewogen waren und überall „kritische Unterstützung“ betrieben, waren die Offiziellen“ der KP „Salonrevolutionäre“, verbürgerlichte Bürokraten, die ebenfalls von „den Massen losgelöst“ seien. Aus unserer linkskommunistischer Sicht handelt es sich um zwei Formen der gleichen Konterrevolution, um zwei Varianten der gleichen großen Lüge des Jahrhunderts, die die stalinistische Konterrevolution als die Fortsetzung der Oktoberrevolution und die UdSSR als kommunistisch dargestellt hat.

Welche Auffassung hatte Ché Guevara von der Arbeiterklasse ?

Aus Deiner Sicht wäre die Aufgabe der Intellektuellen: „in die Arbeiterklasse ein Bewusstsein über die Verhältnisse zu tragen…“ Du scheinst dich hier auf die Sicht Ché Guevaras über die „revolutionäre Elite“ zu stützen. Aber verdeckt diese Position Ché Guevaras nicht eine tiefgreifende Verachtung der Arbeiterklasse? Denn was zeigen seine lyrischen Aussagen über „den neuen Menschen in der kubanischen Revolution“ tatsächlich?Die revolutionäre Einheit des Proletariats stützt sich auf eine sehr konkrete Grundlage: die Klassensolidarität. Diese spontane Solidarität bei der Organisierung des Kampfes, die auf gegenseitiger Unterstützung und Brüderlichkeit fußt, hat ihre Quelle in der Hingabe des revolutionären Proletariats und verstärkt dieses. Aber diese Hingabe wird bei Ché Guevara im besten Fall zu einem fast mystischen Aufruf zum höchsten Martyrium (man muss anerkennen, dass er stets zum größten Opfer bereit war, und sicherlich war er bereit,  ein Märtyrer der imperialistischen Konflikte wie die der Raketenkrise zu werden, und dabei willens, das ganze kubanische Volk zum Märtyrer zu machen). Abgesehen von seinem „beispielhaften“ Verhalten sollte man näher auf seine Auffassung von „Opfergabe“ und vom „Heldentum“ eingehen (welche vom gleichen Verschnitt ist wie der begeisterte patriotische Idealismus der Stalinisten während der französischen Résistance im 2. Weltkrieg), welche von Oben aufgezwungen wurden und den Bedürfnissen des Staates dienten. Dabei sollte alles der eisernen Faust des „obersten Führers“ folgen. Diese Auffassung verbirgt die Verachtung der intellektuellen Kleinbürger für die Arbeiterklasse, die nur von oben betrachtet wird und welche „erzogen“ werden müsse, damit sie die „Vorteile der Revolution“ versteht.  „Die Masse“, erklärte Guevara herablassend, „handelt wie eine zahme Herde. Es stimmt, dass sie ohne zu zögern ihren Führern folgt, vor allem Fidel Castro (...) Wenn man die Dinge oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, diejenigen, die von Unterwerfung des Einzelnen unter den Staat sprechen, Recht haben, aber die Massen verwirklichen  mit Enthusiasmus und unglaublicher Disziplin die von der Regierung definierten Aufgaben im Bereich Wirtschaft, Kultur,  Verteidigung  oder Sport (...) Die Initiative kommt im Allgemeinen von Fidel Castro oder dem Oberkommandierenden der Revolution, und dann wird sie dem Volk erklärt, das diese dann übernimmt“ (Sozialismus und der Mensch in Kuba, 1965).  Indem Du uns sagst, dass es keinen Grund gibt, „das Konzept des Proletariats auf die Arbeiterklasse zu reduzieren“, führt Deine Argumentation offensichtlich und unbewusst zu den Wurzeln dieser verächtlichen Auffassung von der Arbeiterklasse (8). Eines der gemeinsamen Merkmale der stalinistischen Gruppen (von den Maoisten bis zu den Castristen) ist ihr Misstrauen und ihre Verachtung  gegenüber der Arbeiterklasse. Sie machten die mystifizierte arme Bauernschaft zum „Träger der Revolution“, die von den Intellektuellen geführt werde, welche das notwendige Bewusstsein besäßen und es in die Köpfe der Massen „einimpften“. Bestenfalls war die Arbeiterklasse für diese Neostalinisten eine Manövriermasse, eine Art Komparsen der Revolution, die ihnen als historischer Bezug diente. In den Schriften dieser Pseudorevolutionäre findet man nie einen Bezug auf eine als solche organisierte Arbeiterklasse und auf die Organisationen, die die Macht der Arbeiterklasse widerspiegeln – die Arbeiterräte. Diese stalinistischen Ableger verdecken nicht mal ihre staatskapitalistische Ideologie und sie müssen nicht einmal von den Arbeiterräten oder den anderen Zeichen des proletarischen Lebens in der Russischen Revolution reden. Für sie gibt es nur den Staat, der von diesen „Aufgeklärten“ geleitet wird und wo unten die Massen stehen, die manchmal die „Initiative“ ergreifen können, die aber durch „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ und andere Organe gesellschaftlicher Überwachung kontrolliert werden müssen. In Kuba waren – dies ist keine Überraschung – die Gewerkschaften eine der ersten und wichtigsten Kontroll- und Steuerungsorgane der Arbeiterklasse. Die kubanischen Gewerkschaften (CTC) handelten schon als Gewerkschaften im amerikanischen Stil und waren völlig in den „liberalen“ Kapitalismus integriert und ebenso korrupt. 1960 wurden sie sehr schnell von ihren kubanischen Führern in Gewerkschaften stalinistischer Prägung umgewandelt, die unter bürokratische und staatliche Herrschaft gestellt wurden. Die ersten Entscheidungen des Castro-Regimes betrafen die Angleichung der Löhne nach unten und die Durchsetzung des Streikverbots in den Betrieben, kurzum: sie spielten die Rolle der Polizei in den Betrieben. Als seinerzeit Arbeiter gegen die Niedriglöhne in einem US-amerikanischen Betrieb streikten, verurteilten die neuen, Castro-treuen Führer der CTC diesen Streik der „Bessergestellten“ und “erklärten den Streiks den Streik“. (…) Lieber Genosse EK, wir meinen, bei all den Jugendlichen, die ein T-Shirt mit dem Konterfei Ché Guevaras tragen, gibt es sicherlich aufrichtige Absichten; Jugendliche, die die Ungerechtigkeiten und die Schrecken dieser Welt bekämpfen wollen. Wenn immer wieder Ché hochgehalten wird, so soll damit nur die revolutionäre Leidenschaft der Jugendlichen sterilisiert werden. Aber Ché war tatsächlich nur ein Glied in der langen Reihe der nationalistischen und stalinistischen Führer, der vielleicht mehr als andere einen sympathischen Eindruck machte, der aber trotzdem ein Repräsentant dieses tropischen Ablegers der stalinistischen Konterrevolution war, den der Castrismus darstellt. Trotz all der Divergenzen zwischen uns, Genosse EK, sind wir zur Diskussion bereit, ja wir möchten Dich herzlich dazu auffordern. IKS

Der Streik der Lokführer: Die Spitze des Eisbergs einer allgemeinen Unzufriedenheit

  • 3329 Aufrufe
Der Lohnkampf bei den Deutschen Eisenbahnen, der jetzt schon neun Monate anhält, kam Mitte November 2007 mit einem dreitägigen landesweiten Streik zu einem Höhepunkt. Dieser Streik lähmte den Gütertransport und stürzte den öffentlichen Personenverkehr in ein Chaos. Zum ersten Mal in vielen Jahren stand das öffentliche Leben in Deutschland im Licht des Klassenkampfs. Was die herrschende Klasse am meisten überraschte, war die enorme Popularität des Streiks. Trotz einer intensiven Medienkampagne, die darauf abzielte, die Bahnarbeiter/Innen in Misskredit zu bringen, drückten die meisten von jenen, die vergeblich auf ihre Zugverbindungen warteten,  Sympathie und sogar offene Solidarität mit den Forderungen der Streikenden aus. Eine Stimmung, die von halb offiziellen Meinungsumfragen völlig bestätigt wurde. Kaum überraschend. Dank dieses Streiks hat die "Öffentlichkeit" herausgefunden, dass  die Lokführer und Zugschaffner, weit entfernt davon, einer "privilegierten Minderheit" anzugehören, ein gutes Beispiel dafür sind, was heutzutage die "working poor" genannt wird, dass sie wenig mehr als 1500 Euro im Monat nach Hause bringen. Was die herrschende Klasse außerdem überraschte, war, dass dieser Streik in demselben Moment wie der Arbeitskonflikt bei den französischen Eisenbahnen stattfand. Zufällig am Bahnhof vom Fernsehen interviewt, drückten Pendler spontan ihre Bewunderung für die sprichwörtliche Kampfbereitschaft der französischen Arbeiter/Innen und ihre Zufriedenheit darüber aus, dass dieses Mal, die "Flamme der Rebellion" auch in Deutschland aufloderte. Die Gleichzeitigkeit der Streiks auf beiden Seiten des Rheins widerlegte mit einem  Schlag die Propaganda der Bourgeoisie: in Frankreich dergestalt, dass die Bahnarbeiter eine privilegierte Minderheit (bezüglich ihrer Renten) seien, und in Deutschland, dass es die Bahnarbeiter verdienten, als besonderer Fall sorgfältig behandelt zu werden, weil  sie im Vergleich mit ihren "wohlhabenden" Kollegen in den anderen  europäischen Ländern besonders schlecht bezahlt werden.  

Neun Monate Kampf

Der Konflikt bei den Deutschen Eisenbahnen hat seit dem frühen Sommer 2007 geschwelt. Nachdem die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL für einen uneingeschränkten Streik für höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingung gestimmt hatten, antwortete die herrschende Klasse mit der Drohung offener Repression. Das Arbeitsgericht entschied, dass Streiks nur im Nahverkehr erlaubt, aber im Güterverkehr sowie Intercity Personenverkehr verboten sind, weil sie dort die Volkswirtschaft schädigten. Der folgende isolierte Streik im Nahverkehr stellte sich natürlich als völlig unwirksam heraus. Er traf ausschließlich den ärmsten Teil der arbeitenden Bevölkerung, jene, die sich kein eigenes Auto leisten können und die jetzt nicht zur Arbeit gelangten. Die Reaktion der GDL: Sie warnte ihre Mitglieder, nur ja keine illegalen Maßnahmen zu ergreifen, und sagte, dass sie nichts tun werde, um sie gegen die Folgen der staatlichen Repression zu verteidigen. Stattdessen zog sie den Konflikt Monate lang auf die gerichtliche Ebene, wo geprüft werden sollte, ob das erstinstanzliche Verbot eines landesweiten Streiks korrekt sei. Aber diese Phase, die den ganzen Herbst 2007 andauerte, war alles andere als in der Lage, die  Kampfbereitschaft der Bahnangestellten zu brechen, wie die herrschende Klasse gehofft hatte. Sie machte einer allgemeineren Entrüstung über den offenen Klassencharakter des Eingriffs des "demokratischen Staats" Platz - einer Entrüstung und eines kritischen Nachdenkens in breiten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung. Dies war der Grund, warum das Arbeitsgericht in Chemnitz sich gezwungen sah, das Streikverbot Anfang November aufzuheben und damit den Weg frei zu machen für den dreitätigen Streik Mitte November. Bis dahin hatte die deutsche Regierung erklärt, dass Lohnverhandlungen die private Angelegenheit der "Verhandlungspartner" seien, der halbstaatlichen Eisenbahngesellschaft Deutsche Bahn und der Gewerkschaften. Doch nach diesem Streik hat die Regierung massiv in die Verhandlungen eingegriffen, wild entschlossen, den Konflikt sobald wie möglich zu beenden. Es ist offensichtlich, dass die Regierung als der offizielle Vertreter des kapitalistischen Staats befürchtet, dass dieser Konflikt im neuen Jahr Kristallisationspunkt für die allgemeine Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse zu werden droht.  

Die "Bahnreform" und zunehmende Unruhe

Hintergrund dieses Streiks ist ein seit langem andauernder, massiver, allgemeiner Angriff gegen alle Bahnarbeiter. Er begann im Jahr 1994, nach der Fusion der staatlichen Bahngesellschaften von West- und Ostdeutschland als Folge der "deutschen Wiedervereinigung". Seitdem war die Anzahl von Bahnangestellten im Namen einer viel gerühmten "Bahnreform" um über die Hälfte auf unter 200.000 reduziert worden. Zur gleichen Zeit haben die Arbeitsbedingungen sich fürchterlich verschlechtert, während die Realeinkommen fünfzehn Jahre hintereinander stagnierten und real um zehn Prozent in den letzten Jahren gesunken sind. Das Ziel dieser "Bahnreform" war nicht nur, die Rentabilität der Bahngesellschaft auf Kosten der Arbeiter zu erreichen, sondern die Deutsche Bahn (DB) zu einem privatisierten Global Player zu machen, der dazu fähig ist, Eisenbahnen,  Hafen- und Transportsysteme überall auf der Welt aufzukaufen. Weit davon entfernt, lediglich die Angelegenheit der Deutschen Bahn zu sein, ist dies ein Ziel von strategischer Bedeutung, das von der gesamten deutschen Bourgeoisie geteilt und unterstützt wird. Dies hilft, die ungewöhnliche Offensichtlichkeit und Brutalität zu erklären, mit denen der Staat mittels seiner Gerichte versuchte, die Bahnarbeiter im Sommer 2007 einzuschüchtern. Man war bereit zu riskieren, dass der Klassencharakter des angeblich unparteiischen Staats deutlich wird, um der Unruhe und Unzufriedenheit Einhalt gebieten zu können. Die Tatsache, dass die Bourgeoisie gezwungen war, das Streikverbot im November aufzuheben, ist nicht das einzige Zeichen ihrer wachsenden Schwierigkeiten, die Situation vollständig zu kontrollieren. Schon im Frühjahr 2007, als bei der DB neue Lohnverhandlungen aufgenommen wurden, war es klar, es würde diesmal nicht möglich sein, eine weitere Lohnsenkung zu erzwingen. Um den Druck in dem offensichtlich überhitzten Dampfkessel zu mildern, gewährte  der Bahnkonzern der größten Bahngewerkschaft, Transnet, eine Lohnerhöhung von 4.5 Prozent. Obwohl diese Lohnerhöhung kaum die Inflationsrate und die Folgen der Mehrwertsteuererhöhung vom Anfang des Jahres ausglich, war dieses Verhandlungsergebnis 2007 das beste, welches den Arbeitern gewährt wurde, und es wurde als solches auch eifrig publik gemacht. Zur gleichen Zeit erhob die Lokführergewerkschaft GDL noch weitaus höhere Lohnforderungen für ihre Mitglieder, um die schwelende Kampfbereitschaft noch weiter zu schwächen. In bestimmten Ausnahmefällen konnte dies eine Lohnerhöhung von bis zu 31 Prozent für bestimmte Kategorien bedeuten. Obgleich klar war, dass es nur um eine  durchschnittliche Lohnerhöhung von etwa 12 Prozent ging, und dass solch eine Erhöhung, selbst wenn sie erreicht worden wäre, nicht einmal die Verluste der Vorjahre kompensiert hätte, starteten die Arbeitgeber und die Medien sofort eine breite Kampagne gegen die "unerhörte" und "habgierige" 31%-Forderung. Die GDL für ihren Teil entschied sich eingestandenermaßen, dieser Darstellung der Dinge "nicht in der Öffentlichkeit zu widersprechen". Das Ziel war eindeutig: die Arbeiterklasse und darüber hinaus die Bahnarbeiter untereinander in die "egoistischen" Lokführer, die "Privilegien" wollen, und die anderen, von Transnet "vertretenen" KollegInnen zu spalten, die sich mit viel weniger "begnügen". Seither kommen die unerhörtesten und verleumderischsten Denunziationen des Bahnstreiks nicht etwa von den Bossen, von der Regierung oder von der Boulevardpresse, sondern von der Transnet und ihren Freunden vom Riesen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Transnet selbst hat systematisch Streikbruch organisiert und massiv ihre Mitglieder mit Strafmaßnahmen seitens des Unternehmens und von ihrer Seite bedroht, sollten sie am "GDL"-Streik teilnehmen. Es ging darum, die Bahnbeschäftigter vom Rest ihrer Klasse zu trennen, ihre Forderungen als Kampf für besondere Privilegien darstellen oder als ein Bitten darum, als "Sonderfall" zu gelten, was der allgemeinen Notwendigkeit von "Lohnverzicht" nicht widersprechen würde. Nun, diese Karte ging wie das Streikverbot nach hinten los. Auch wenn sich die Transnet-Arbeiter nicht aktiv dem Streik anschlossen - sie hätten riskiert , sofort rausgeschmissen zu werden -, ist das Internet voll von  Solidaritätserklärungen ihrer Mitglieder für die Streikenden und von Berichten über Solidaritätsbesuche anderer Bahnbeschäftigter bei Versammlungen der Streikenden. Und wie wir schon gesagt haben, sah sich die herrschende Klasse veranlasst, sowohl die allgemeine Beliebtheit der Eisenbahn zuzugeben als auch ihr Erstaunen über diese Tatsache. Ja, die Bourgeoisie vergegenwärtigt sich gut genug, dass hinter dieser "Beliebtheit" in der arbeitenden Bevölkerung die Gefahr lauert, dass die Bahnarbeiter als eine Art Vorhut für  einen allgemeinen Kampf um Lohnerhöhungen betrachtet werden, dessen Notwendigkeit  zunehmend geahnt wird!  

Einheitsgewerkschaft oder Spartengewerkschaften - eine falsche Wahl

Aber auch wenn die herrschende Klasse mit einigen ihrer Tricks bisher keinen Erfolg gehabt hat, so hat sie doch einen wichtigen Erfolg auf politischer Ebene errungen. Dieser Erfolg besteht darin, dass es ihr gelang, zwar nicht das Prestige des bestehenden Gewerkschaftsbundes DGB, wohl aber die Gewerkschaftsideologie im Allgemeinen mittels "radikaler" Spaltengewerkschaften wie der GDL zu erhalten. Wir sind auf öffentlichen Solidaritätsversammlungen für den Bahnstreik gewesen, wo die IKS die einzige politische Organisation und Strömung war, die die GDL nicht unterstützte. Nicht nur die traditionellen Linken, sondern auch radikalere Strömungen wie jene um die autonomistische Zeitschrift Wildcat ("operaistischer" Anhänger der " militanten Arbeiteruntersuchung ", einst propagiert von Potere Operaio in Italien) oder die Strömung GegenStandpunkt - ein "Kapital"-Studienkreis, welcher regelmäßig den bürgerlichen Charakter der Gewerkschaftsideologie (und der Arbeiter, deren Weltbild die Gewerkschaften angeblich ausdrücken) anprangert, drückten mehr oder.weniger kritisch ihre Solidarität mit der GDL aus. Angesichts des schwindenden Einflusses der etablierten DGB-Gewerkschaften können wir sicher sagen, dass die Propagierung der angeblichen Alternative zu den engstirnigen, korporatistischen Gewerkschaften ein zentraler Teil der politischen Strategie der deutschen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse geworden ist. Darin folgt sie nur dem Beispiel anderer Länder wie Frankreich, wo kleinere, scheinbar radikalere Gewerkschaften dazu beigetragen haben, das Wiederauftauchen von Tendenzen unter den Arbeitern zu behindern, ihre Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber dass heute die deutsche Bourgeoisie auch gezwungen ist, diese Karte zu spielen, ist von besonderer Bedeutung. Nach dem Krieg wurde Deutschland wie andere nordeuropäische Länder (z.B. Schweden), wo die Sozialdemokratie traditionell stark ist, jahrzehntelang als Modell dafür betrachtet, was man Einheitsgewerkschaft nannte. Was bedeutet dieser Ausdruck? Als in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg zunehmend deutlich geworden war, dass die existierenden Gewerkschaften wegen ihrer korporatistischen Enge und ihres Philistertums zu Fesseln für den Klassenkampf im modernen Kapitalismus geworden waren, antwortete die syndikalistische Strömung innerhalb der Arbeiterklasse auf diese Entwicklung mit der Forderung nach "einer großen Gewerkschaft", die alle Arbeiter umfasst. Auf diese Utopie einer großen Gewerkschaft, die die Einheit aller Arbeiter garantiert, zielten die "Wobblies" (Internationale Arbeiter der Welt - IWW) in den Vereinigten Staaten ab oder auch die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT in Spanien im frühen 20. Jahrhundert. Eine solche Gewerkschaft wurde im Feuer des Klassenkampfes nie erreicht, da die Unmöglichkeit dauerhafter Reformen im dekadentem Kapitalismus beinhaltet, dass sich die Arbeiter nicht mehr in permanenten Massenorganisationen organisieren können, um sich zu verteidigen, sondern nur im Verlauf des Kampfs durch Massenversammlungen und durch gewählte und jederzeit abrufbare Streikkomitees. Aber sie wurde paradoxerweise erreicht durch den bürgerlichen Staat in Gestalt des DGB in Deutschland oder der LO in Schweden - Gewerkschaftsföderationen von Millionen Beschäftigter der verschiedensten Branchen und Berufen, die angeblich offen für alle Arbeiter sind, aber in Wirklichkeit nicht nur die Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeiter, sondern vor allem auch die kämpferischsten und politisch radikalsten Arbeiter ausschließen, die im Namen der "politischen Neutralität" und "Demokratie" systematisch verfolgt werden. Doch dies hinderte die deutsche Bourgeoisie nicht daran, die ganze Nachkriegsperiode hindurch den angeblichen Nutzen solcher Gewerkschaften für die Einheit der Arbeiter zu preisen und zu propagieren. Es ist nicht weniger paradox, dass die Bourgeoisie heute versucht, die Arbeiterklasse zu überreden, zur Borniertheit der offen korporatistischen Gewerkschaften zurückzukehren, welche das Proletariat schon ein Jahrhundert zuvor als ungeeignet für seinen Kampf befunden hatte. 

Die wachsende Gleichzeitigkeit von Lohnkämpfen und Kämpfen gegen die Arbeitslosigkeit

Diese plötzliche Rückkehr zu einem engstirnigen, korporatistischen Gewerkschaftswesen in Deutschland zeigt vor allem zwei Dinge. vor allem die große Flexibilität und politische Intelligenz der herrschenden Klasse, welche, nachdem sie ein halbes Jahrhundert lang das Lied der "Einheitsgewerkschaft"  gesungen hatte, in der Lage ist, plötzlich neue Karten auszuspielen. Und zweitens das Ausmaß, in welchem in den letzten 30 Jahren der langsamen, oft wenig spektakulären, aber unbarmherzigen Zuspitzung der Wirtschaftskrise und des Klassenkampfes die großen, etablierten Gewerkschaften als Bollwerke der herrschenden Ordnung erodiert sind. Doch diese Änderungen in der Art und Weise, wie die Bourgeoisie ihre Gewerkschaftsideologie verbreitet, geben uns auch einen wichtigen Hinweis darauf, welche Stufe wir seit der jüngsten Wiederbelebung der Kampfbereitschaft um 2003 herum in der Entwicklung der Arbeiterkämpfe erreicht haben. 2004 gab es in Deutschland zwei spektakuläre wilde Streiks in der Automobilindustrie gegen die Androhung von Entlassungen: bei Daimler-Mercedes in Stuttgart und Bremen im Sommer und bei Opel/Bochum später im Jahr. Seitdem sind die Arbeitskämpfe, die die öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben, Reaktionen auf Entlassungen oder Fabrikschließungen (AEG, Siemens, Siemens-Bosch in Berlin usw.) gewesen, oder sie fanden im Zeichen der Erpressung - Lohnverzicht oder Rausschmiss - statt (Airbus, Telekom). In dieser Zeit stieg die offizielle Arbeitslosigkeit auf über 4,5 Millionen an, in fast allen Sektoren wurden Zehntausende von Jobs gestrichen. Die Arbeitskämpfe waren äußerst defensiv, und fast niemand wagte Lohnerhöhungen zu fordern. Jedoch gab es einige Ausnahmen von dieser Regel. Ausnahmen, die sich als ziemlich bedeutsam herausstellten, da sie eine allgemeinere Entwicklung ankündigen. In allen diesen Fällen handelte es sich um Teile der Arbeiterklasse, die seit Jahren, manchmal über ein Jahrzehnt lang in aller Stille besonders massive Angriffe ertragen mussten und darüber so wütend und frustriert waren, dass selbst die Drohung der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr ihren Kampfgeist zügeln konnte. Das erste solche Beispiel war das der Flugzeugpiloten und des Bordpersonals, deren Arbeitsbedingungen sich im Zusammenhang mit der "Liberalisierung" der europäischen Luftfahrt massiv und stetig verschlechtert hatten. Das neueste Beispiel für die Kampfbereitschaft dieses Sektors war letzten Sommer die Streikwelle des LTU Personals, die trotz der Drohung der Arbeitgeber, den Betrieb zu schließen, Lohnerhöhungen erzwangen. Diesem Beispiel folgten die Krankenhausärzte und jetzt die Lokführer. In allen diesen Fällen sehen wir dasselbe Muster: großer Kampfgeist und hohe Lohnforderungen der betroffenen Arbeiter. Die Medien versuchen, diese Forderungen als egoistisch dazustellen und eine Atmosphäre der Klassenspaltung zu schaffen. Die Streiks werden organisiert von offen korporatistischen Spartengewerkschaften (Vereinigung Cockpit, der Marburger Bund für die Ärzte und die GDL für die Lokführer) Wobei die DGB-Föderation im Namen der "Einheit" offen die Rolle des Streikbrechers übernimmt. Die bornierten Spartengewerkschaften waren in der Lage, ein beträchtliches Prestige zu gewinnen - vor allem als offizieller Veranstalter von Streiks, in denen kämpferische Arbeiter wirkliche Lohngewinne erreicht haben. Die Bourgeoisie ist zurzeit gezwungen, diese Karte zu spielen und ihnen so viel Glaubwürdigkeit wie möglich zu verleihen. Trotz der Tatsache, dass wichtige Teile der Bourgeoisie, insbesondere die SPD, über die Entwicklung von Gewerkschaften abseits des DGB unzufrieden sind, da das den Einfluss der Sozialdemokratie auf den Staatsapparat zu vermindern droht, kann niemand innerhalb der herrschenden Klasse derzeit interessiert sein, einer solchen Organisation wie die GDL zu schaden. Doch früher oder später werden auch diese Gewerkschaften beginnen, ihre wirkliche Funktion - die Kontrolle der Arbeiterklasse im Interesse des Kapitals - zu offenbaren. Trotz der Verstärkung, die die herrschende Klasse durch diese Gewerkschaften erfahren hat, können sie die Aktivität des "alten Maulwurfs", wie Marx ihn nannte, nicht ungeschehen machen - die unterirdische Reifung des proletarischen Klassenbewusstseins. Zum ersten Mal seit den 1960ern und 1970ern haben Tausende von kämpferischen ArbeiterInnen in Deutschland sich mit Abscheu von den offiziellen Gewerkschaften abgewandt. Und obwohl solche Gewerkschaften wie die GDL in der Lage waren, Erstere wieder unter die Kontrolle des Gewerkschaftswesens zu bringen, zeigten die Eisenbahner deutlich, dass das, was die GDL für gegenwärtige Generation der Arbeiter anziehend macht, nicht deren heimtückischer Korporatismus ist, sondern die Illusion, dass sie kämpferischer sei, eine Illusion, die noch immer weit verbreitet ist. Obwohl die GDL wieder und wieder erklärt hat, sie wolle nur die Lokführer vertreten, musste sie zulassen, dass Tausende von verärgerten Zugschaffnern und vom Bordrestaurantpersonal, die den DGB leid sind, aufgenommen wurden. Wir sind zuversichtlich, dass Letztere eine Alternative finden werden, aber nicht in den Rängen der GDL, wohl aber in der vereinten und selbstorganisierten Solidarität aller Arbeiter. Am Anfang des neuen Jahres konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Zeitung der Börse, die Änderung in der sozialen Situation 2008, wie er durch den Kampf der Eisenbahner ankündigt wurde. Sie formulierte das Problem mit folgendem Satz: Die zentrale Sorge und das Hauptanliegen der arbeitenden Bevölkerung ist nicht mehr die Arbeitslosigkeit, sondern die "soziale Gerechtigkeit" (das Lohnniveau im Vergleich mit der Entwicklung der Profite). Die Formulierung ist ungenau. Seitens der Bourgeoisie ist das Problem nicht länger die Alternative zwischen Rezession oder Inflation, sondern die Gefahr, dass beides gleichzeitig eintritt (in Gestalt der "Stagflation"). Aus der Sicht des Proletariats geht es nicht nur um die Gleichzeitigkeit des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit und gegen die dramatischen Reallohnsenkungen bei steigender Inflation, sondern auch und gerade um die Einheit zwischen beiden einerseits und um den Kampf gegen das System der Ausbeutung, Kapitalismus genannt, andererseits.                                                                                                                                                           Weltrevolution, 6. Januar 20

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [1]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [2]

Hinter der Finanzkrise: Rezession, Inflation, Verarmung

  • 8358 Aufrufe
Die IKS hat vor kurzem in Köln eine Diskussionsveranstaltung zur jüngsten Finanzkrise und ihren Konsequenzen für die Arbeiterklasse abgehalten. Wir veröffentlichen nachfolgend die wesentlichen Aussagen unserer Einleitung zur Diskussion. In den letzten Monaten ist es zu einer rasanten Beschleunigung der Krise gekommen. An vorderster Stelle steht die Finanzkrise, welche unmittelbar ausgelöst wurde durch Zusammenbruchstendenzen des Immobilienmarktes in den USA. Schätzungen zufolge wurden allein 2007 in den USA 1.35 Millionen Häuser zwangsvollstreckt, weitere 1.44 Millionen stehen 2008 an. Mehr als zwei Millionen Amerikaner verlieren derzeit ihre Häuser, werden aus ihren Wohnungen geschmissen, müssen somit billigere Wohnungen suchen oder werden im schlimmsten Fall gar obdachlos. Die Immobilienkrise, welche die Erschütterungen im Finanzwesen auslöste, brachte an den Tag, dass der Großteil der Hypotheken im Bausektor auf „faulen“ Krediten fußte. Fast 500 Milliarden Dollar an Hypotheken gelten als faul (subprime) d.h. es gab keine wirklichen Absicherungen durch tatsächlich vorhandene Werte in Form von Gebäuden oder greifbarem Kapital,  sondern die ‚Sicherheiten’ waren meist nur  Schuldscheine. Im Sog dieses Strudels sind schon mehr als einhundert Hypothekenbanken in den USA pleite gegangen. Hedge-Fonds und Anlagefonds müssen reihenweise geschlossen werden. Der Kreis der Banken, die vom Abwärtssog erfasst werden, wird immer größer. Vor allem immer mehr Großbanken stecken tief im Schlamassel. Die amerikanische Citygroup (in den USA die Nr 1, weltweit die Nr. 3) muss Wertverluste von zweistelligen Mrd. Euro ankündigen,  2007 verlor ihr Aktienkurs fast die Hälfte seines Wertes. Merrill Lynch, ebenso eine US-Großbank, büßte ebenfalls mehrere Mrd. Euro ein. Diese strauchelnden Banken mussten sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus China und von arabischen Banken und Staaten helfen lassen. Zunehmend geraten auch Kreditkartenanbieter in Schwierigkeiten. American Express beklagt massive Zahlungsausfälle. In Großbritannien kam es seit 1866 zum ersten Mal zu einem regelrechten Run auf eine Bank - Northern Rock. Diverse Rettungsaktionen dieser Bank sind fehlgeschlagen; sie wird wahrscheinlich vom Staat übernommen werden. In Deutschland wurden diverse Landesbanken von den Erschütterungen erfasst: die sächsische Landesbank stand vor dem Bankrott, die deutsche IKB saß plötzlich auf Milliarden fauler Kredite. Auch hier konnten diese Banken nur dank staatlich gesteuerter und größtenteils auch staatlich finanzierter Rettungspakete vor der Schließung bewahrt werden. Das Vermögen der schweizer Großbank USB schrumpft nahezu um ein Drittel. Das Ausmaß der bisher geschnürten Rettungspakete übertrifft alles bisher da gewesene. Niemand hat einen Überblick, aber mehrfach wurden von der US-Bundesbank, von der EZB, von japanischen und anderen Notenbanken und in konzertierter Aktion mit anderen Banken Rettungspakete geschnürt, deren weltweiter Umfang mehrere Hundert Mrd. Euro umfasst (allein im Herbst stellte die US-amerikanische FED 105 Mrd. $, die EZB 263 Mrd. Euro zur Verfügung). Allein diese Reaktion der Bundesbanken, wie wild Geld zu drucken, um die Gefahr der ‚Austrocknung‘ des Kreditmarktes entgegenzusteuern, facht schon merklich die Inflation an. Hinzu kommt ein weiterhin schwacher Dollarkurs, der das Vertrauen in die US-Währung weiter untergräbt. Infolge dieser Entwicklung ist der Goldpreis (gegenwärtig 900$ pro Feinunze) auf sein höchstes Niveau seit 1974 gestiegen.  

`Flurbereinigung` oder Zuspitzung der Krise?

Kann man die jetzige Beschleunigung der Krise als nur eine „Flurbereinigung“, eine „Wertberichtigung“ ansehen oder was kündigt sie an?  Während der vergangenen 25 Jahre kam es zu mehreren großen Finanzbeben: 1982: Schuldenkrise in Mexiko und Lateinamerika1987: New Yorker Börse 1992/93: Krise des Europäischen Währungssystems1994/95: Neue Mexikokrise1997/98: Asienkrise1998: Russlandkrise1998/99: Brasilienkrise2000/01 Türkeikrise2001-: Argentinienkrise2002: neue BrasilienkriseEnde der 1990er Jahre platzte die Blase der New Economy. Nach allen vorherigen Erschütterungen ist es offensichtlich, dass die jüngste Krise eine neue gravierende Stufe darstellt, welches dieses Mal die größte Wirtschaftsmacht der Erde, die USA voll trifft. Während die Finanzkrisen früher meist auf einige wenige Länder oder Bereiche begrenzt werden konnten, wird jetzt neben den USA auch Europa erfasst. Diese Krise ist also geographisch viel breiter und schwererwiegend. Allein deshalb können wir schon von einem qualitativ neuen Schritt reden. Dieser wird aber auch daran ersichtlich, dass im Gegensatz zu früher, als die Erschütterungen meist nur einige Wochen, vielleicht Monate dauerten, dieses Beben noch länger anhalten wird und das Ende noch nicht absehbar ist. Zuvor ließen sich durch Rettungspakete hier oder da die gebrochenen Dämme wieder reparieren, dagegen sieht die Situation jetzt viel gefährlicher aus, denn, auch nachdem sehr viele staatliche Maßnahmen ergriffen wurden, haben diese den Abwärtstrend nicht aufhalten können. Es gibt die Gefahr des Kontrollverlustes,  nicht nur weil die Zentren des Finanzkapitals in den USA und Europa in den Sog geraten sind, sondern auch aufgrund des Umfangs der aufgestauten Widersprüche, wo sich nun ein viel explosiveres Gemisch zusammengebraut hat als bei früheren Erschütterungen. In den letzten Jahren hat sich im Finanzbereich ein krebsartiges Geschwulst entwickelt, das völlig undurchsichtig und absolut unübersichtlich geworden ist. „Bis 1970 hatten 80% des Finanztransfers etwas mit dem Handel von Waren oder Dienstleistungen zu tun. Mitte der 1970er Jahre war das Verhältnis schon umgekehrt, nur 20% der Finanztransfers bezogen sich auf Warenproduktion oder Warenzirkulation. Ende der 1990er Jahre war dieser Prozentsatz auf nahezu 1% geschrumpft. In der Zeit von 1985-2000 stieg die US-Warenproduktion lediglich 50%, aber die Menge des in Umlauf befindlichen Geldes stieg um das Dreifache. Die Geldmenge ist sechsmal schneller gewachsen als die Produktionszunahme. 1997 – vor dem damaligen Aktienverfall – umfassten die globalen Finanztransfers 600 Billionen $, aber die Güterproduktion machte nur 1% aus“ (Financial Reckoning Day, Wiggin/Bonner, The soft depression of the 21st century, www.dailyreckoning.com [3]). So sind eigentlich nur auf Papier bestehende Finanzimperien entstanden, in deren Mitte Hedge Funds, Equity Funds stehen. Sie haben zum Entstehen  einer riesigen Spekulationsblase beigetragen, die jetzt dabei ist, ihre Luft abzulassen.  Banken haben sich in Projekte gestürzt, deren Finanzierung völlig ungewiss und total risikobehaftet ist. Das deutlichste Beispiel ist die Vorgehensweise am US-Immobilienmarkt:  Auf der verzweifelten Suche nach Absatzmärkten für Immobilien lockten US-Hypothekenbanken unzählige Käufer, die eigentlich über gar kein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung von Immobilien verfügen. So sind vielen Geringverdienern Kaufverträge für Immobilien aufgeschwätzt worden, die eine Anfangszinsbelastung von beispielsweise 300 $ im Monat ausmachten. Nach 1-2 Jahren verdoppelt oder verdreifacht sich diese jedoch, um somit zum Beispiel auf 900$ pro Monat zu klettern. Konsequenz: Millionen Immobilienerwerber können die Raten nicht mehr bezahlen. Hier liegt ein Schlüssel für die Erklärung des großen Baubooms in den USA während der letzten Jahre – ein auf Pump, auf ‚faulen Krediten’ (subprime =’minderwertig’) basierendes Wachstum, das jetzt zusammengebrochen ist. Die Käufer können nicht nur ihre Zinsen nicht mehr zahlen, sie müssen ihre Immobilien verkaufen, der Wert des Hauses sinkt. Durch die Zwangsversteigerungen  sind sie dann zwar ihr Haus oder ihre Wohnung los, nicht jedoch ihre Schulden. Zudem sind die Realeinkommen der Beschäftigten gesunken, was ihre Zahlungsfähigkeit drastisch untergräbt. Diese Tatsache des Reallohnverlustes der arbeitenden Bevölkerung, welche lange Zeit von den Herrschenden bestritten wurde, muss jetzt in Anbetracht der Zahlungsunfähigkeit dieser Kreditnehmer auch von der Obrigkeit eingestanden werden.

Nachdem nun für zahlreiche Immobilienbesitzer damit Obdachlosigkeit zu einer realen Bedrohung wird, schliddern die Banken selbst in große Liquiditätsnöte.  Denn die angeblichen Garantien der Banken werden pulversiert. Während jeder kleine Kreditnehmer in Deutschland durch die Schufa durchleuchtet wird, bevor ihm auch nur ein geringfügiger Kredit eingeräumt wird, sieht es bei den Banken offensichtlich anders aus. Eine Unmenge von Banken hat sich ganz waghalsig an diesen Geschäften mit faulen Krediten beteiligt, versucht diese aber zu verbergen. Eine Bank nach der anderen muss eingestehen doch mehr verwickelt zu sein als bisher zugegeben. Ob Citibank, Merrill Lynch, Hypo-Estate, IKB, Sächsische Landesbank usw. – die Bankenwelt sitzt auf „faulen Krediten“. Konsequenz: keine Bank traut der anderen mehr. Sie weigern sich, anderen Banken neue Kredite zu gewähren; ein riesiger Liquiditätsnotstand hat sich breit gemacht. Die EZB sah sich gezwungen, um Kettenreaktionen auszuschließen,  zur Jahreswende 2007/08 den Kapitalmarkt mit einem Betrag von 350 Mrd. Euro zu versorgen. Das ist die größte Geldspritze in der Geschichte der EZB. Theoretisch soll dieses Geld wieder an den Kreditgeber EZB zurückfließen, aber in der Praxis werden solche Kredite immer wieder refinanziert, so dass  das Geld in Umlauf bleibt.  Wenn ein Banker dem anderen nicht mehr traut, weil jeder dem anderen etwas vorlügt und das wahre Ausmaß der jeweiligen „Abschreibungen“ verschweigt, ruft diese eine tiefe Krise, ja die Gefahr der Lähmung hervor.

 

Konsequenzen: Es drohen Inflation, Rezession, Verarmung

All dies sind nicht nur Beben in der Finanzwelt, sondern sie sind längst übergeschwappt in die ‚reale‘ Wirtschaft. Schrumpfende Kaufkraft der US-Konsumenten haben die Wachstumsprognosen der USA stark gedämpft. Da die USA der größte Einzelabnehmer der chinesischen Exporte sind, sind die Tage gezählt bis die chinesischen Exporte von dem Schrumpfungsprozess erfasst werden. Die jüngste Krise hat notwendigerweise schwerwiegende Auswirkungen auf Asien bzw. überhaupt den Rest der Welt. Jetzt schon sind 2 Millionen US-Amerikaner dabei, ihre Wohnung zu verlieren. Hunderttausende verlieren ihre Jobs im Bausektor, Hunderttausende illegale Einwanderer, die sich  als Billiglöhner u.a. im Bausektor verdingt haben, werden vielleicht gezwungen sein nach Lateinamerika oder wo sie sonst noch herkommen, zurückzukehren. Allerdings ist bislang das ganze Ausmaß dieser weltweiten Konsequenzen noch nicht zu erfassen, da wir erst am Anfang dieses Abstiegs stehen. Man muss davon ausgehen, dass die Konsequenzen in der ganzen Weltwirtschaft zu spüren sein werden. Und keine andere Wirtschaft -  weder für sich allein genommen noch mit anderen zusammen- wird die Rolle der USA übernehmen können. China, Indien, Russland usw. werden die Pumpwirtschaft der USA nicht ersetzen können. Jetzt schon werden überall die Wachstumsprognosen massiv nach unten korrigiert. Eine weitere Konsequenz ist das Ansteigen der Inflation. Die Notenpresse wird angekurbelt, um die riesigen Geldmengen für Rettungspakete für vor dem Bankrott stehende Banken aufzubringen – was der Geldentwertung Vorschub leistet. Aber auch aufgrund einer Vielzahl anderer Faktoren sind die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel und Energie explodiert. Ob Butter oder Milch, ob Weizen oder Mais oder  Erdöl – die Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel und Energie liegen weit im zweistelligen Bereich. Mit dem Anziehen der Inflation und gleichzeitiger rückläufiger Produktion zieht die Gefahr einer Stagflation auf, d.h. Rezession bei gleichzeitiger Inflation. Wie schnell sich diese ausbreiten wird, kann niemand vorhersagen. Jedenfalls sind die Widersprüche derart gewachsen, dass die zu erwartende Verschärfung der Krise alles bisher seit dem 2. Weltkrieg Dagewesene in den Schatten stellen wird. Und die herrschende Klasse sinnt jetzt schon über neu aufzulegende Konjunkturankurbelungsprogramme nach. Außer einer weiteren Verschuldung sieht sie keine Lösung. So hat  George W. Bush – mit Parteien übergreifenden Konsens – schon angekündigt, die erlahmende US-Wirtschaft mit einem massiven Konjunkturprogramm ankurbeln zu wollen. Es ist die Rede von Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen in einer Größenordnung von etwa 100 Milliarden Dollar (68 Milliarden Euro), die möglichst bald in die Wirtschaft gepumpt werden sollen. Für eine Volkswirtschaft in der Größenordnung der USA ein Tropfen auf den heißen Stein.  Jetzt schon ist ersichtlich, dass der Arbeiterklasse dafür die Rechnung aufgebürdet werden soll. Nach all den bisherigen Angriffen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen wird sich die Lage für die Arbeiterklasse noch dramatischer verschlechtern. Nicht vorzustellen was passiert, wenn zudem die Inflation langfristig die Pensionskassen wegnagt und viele Arbeiter realisieren, dass sie auch im Pensionsalter nach Jahren der Schufterei nichts als Misere erwartet. Die Arbeiterklasse wird die Krise dazu zwingen, sich stärker zur Wehr zu setzen.       Mitte Januar 2008

NOKIA, allgemeiner Lohnraub - Arbeitersolidarität gegen den kapitalistischen Terror

  • 3994 Aufrufe

NOKIA, allgemeiner Lohnraub

Arbeitersolidarität gegen kapitalistischen Terror

Beiläufig, zufällig nur erfuhren gut 2000 Mitarbeiter des Handyherstellers Nokia Mitte letzter Woche, dass das Werk Bochum, von dem ihre Existenzen leider abhängen, geschlossen werden soll. Keine drei Tage später wurde schon Hunderten von mit Zeitverträgen ausgestatteten MitarbeiterInnen gekündigt. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie ab sofort auf  dem Firmengelände nichts mehr zu suchen haben. Die Restlichen „dürfen“ eine kurze Zeit noch die Arbeit der bereits Entlassenen mitverrichten, bis auch sie auf die Straße gesetzt werden. So werden die Lebensplanungen von über 4000 Menschen im Werk Bochum und in der Zulieferindustrie über Nacht zunichte gemacht.  

Das wahre Gesicht des Kapitalismus

Die deutsche politische Obrigkeit hat diese Umgangsweise des finnischen Weltkonzerns mit markigen Worten quittiert. Der NRW Ministerpräsident Rüttgers sprach von „Subventionsheuschrecken“, Bundesfinanzminister Steinbrück von „Karawanenkapitalismus“. Sie wollen uns damit sagen, Nokia habe einen sonst überall vorherrschenden “rücksichtsvollen“ und „sozial verantwortlichen“ Umgang der Kapitalisten mit der arbeitenden Bevölkerung verletzt. Da können wir den hohen Herren von der Politik nicht folgen. Es ist vielmehr so, dass die Brutalität und Unverfrorenheit von Nokia absolut typisch ist für das heutige Verhalten der Besitzerklasse gegenüber der Arbeiterklasse. Keine Firmenzentrale im fernen Helsinki, sondern ein deutsches Arbeitsgericht war es, welches monatelang den bundesweiten Streik der Eisenbahner schlichtweg verbot, den Arbeitskampf der Ausgebeuteten unter Strafe stellte. Die deutsche Telekom war es, welche 10.000 MitarbeiterInnen auf einen Schlag ausgliederte, um sie für deutlich weniger Geld länger arbeiten zu lassen. Und als im vergangenen Sommer viele Jugendliche, die für sich keine Perspektive mehr innerhalb dieses Gesellschaftssystems sehen, sich aufmachten, um gegen den G-8 Gipfel in Heiligendamm zu protestieren,  erblickte die Bundesanwaltschaft darin die Bildung von terroristischen Vereinigungen. Die Antwort der Staatsgewalt auf die neue Generation ließ nicht lange auf sich warten: Vorbeugehaft sowie das Einsperren von Demonstranten in Käfige wie auf Guantanamo. Und dieselben Politiker, die sich nun mit den „Nokianern“ solidarisch erklären, haben monatelang in aller Öffentlichkeit gegen die Eisenbahner gehetzt, als diese sich aus guten Gründen zur Wehr gesetzt haben. Dieselben Vertreter des Bundes und des Landes NRW, welche Nokia vor zehn Jahren 88 Millionen Euro in den Rachen warfen, um den Kapitalisten ihr Bochumer Werk mitzufinanzieren, hetzen jetzt angesichts der bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen gegen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst! Ja die Zeiten, als Belegschaften  regelmäßig „stufenweise“ und „sozialverträglich“ abgetragen wurden, gehören der Vergangenheit an. Die ungeheuere Verschärfung des Konkurrenzkampfes auf Weltebene, die hinter der Immobilienkrise sich abzeichnende Zuspitzung der Überproduktionskrise des Kapitalismus zwingen die alten Industriestaaten, die Maske der „Sozialpartnerschaft“ fallen zu lassen, welche in den meisten Weltteilen ohnehin nie groß aufgesetzt wurde.  Was hat beispielsweise NRW-Chef Rüttgers getan, nachdem er auf dem Nokiagelände in Bochum die Betroffenen mit leeren Worthülsen abzuspeisen versucht hatte? Er eilte nach Düsseldorf zurück, um ein weiteres „Rettungspaket“ von voraussichtlich 2 Milliarden Euro für seine Landesbank WestLB zu schnüren, welche sich bei der US Immobilienkrise ein wenig verspekuliert hatte. Die vom deutschen Staat an Nokia verschenkten 88 Millionen Euro, worüber die politische Klasse sich nun öffentlich ereifert, sind eine lächerliche Summe im Vergleich zu den Milliarden, welche in den letzten Monaten locker gemacht wurden, um einen Zusammenbruch des maroden kapitalistischen Finanz- und Bankensektors zu vermeiden. Da hat die Besitzerklasse nicht mal mehr das Bisschen für die Lohnabhängigen übrig, das sie in früheren Zeiten eingesetzt hatte, um den „sozialen Frieden“ abzusichern. Hier liegt der Grund, warum das Kapital mit immer unverblümterer Brutalität gegenüber der Arbeiterklasse vorgeht. Nicht an der „Taktlosigkeit“ eines einzelnen Konzerns liegt es, sondern an der Notwendigkeit eines ganzen Systems, wenn heute immer systematischer versucht wird, die Lohnabhängigen einzuschüchtern. Die Brutalitäten gegenüber den Nokianern oder gegenüber den Lokführern sind kein Ausrutscher Einzelner, sondern pure Absicht. Sie zielen darauf ab, uns zu terrorisieren, um uns gefügig zu machen. Da arbeiten die „bösen“ Kapitalisten“ und der uns angeblich umsorgende Staat Hand in Hand. Nicht nur die Kündigung droht den Betroffenen bei Nokia und anderswo, sondern das, was danach kommt: Hartz IV!  

Die Bochumer Werksschließung: Ein Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse

Die Nachricht von der beabsichtigten Werksschließung bei Nokia in Bochum wurde genau drei Tage bekannt, nachdem die Lokführer bei der Deutschen Bahn 8% mehr Lohn und eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit um eine Stunde durchgesetzt hatten. Das muss nicht Zufall sein. Dieser Teilerfolg bei der Bahn nach Jahren der Reallohnsenkung ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für die Pläne der herrschenden Klasse, auf Kosten der Beschäftigten die DB in ein international tätiges Logistikunternehmen zu verwandeln. Es ist eine Ermutigung für die ganze Arbeiterklasse, dem Beispiel der Eisenbahner zu folgen und sich einen Ausgleich für die rapide steigenden Preise und Steuerlast zu erkämpfen. Ob beabsichtigt oder nicht, ob mit der Staatsmacht abgesprochen oder nicht (welche in Deutschland bei  Entlassungen von über 50 Beschäftigten auf einmal vorab informiert wird): Die Nachricht von der Bochumer Werksschließung kam für das Kapital genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie dient als Warnung an die gesamte arbeitende Bevölkerung, angesichts des Teilerfolgs bei der Bahn nicht „übermütig“ zu werden. Die Botschaft lautet: „erkämpfte Lohnerhöhungen der Beschäftigten werden durch Massenentlassungen von Seiten des Kapitals quittiert! Vergesst nicht, wer in dieser Gesellschaft am längeren Hebel sitzt, nämlich die Besitzer der Produktionsmittel!“Nachdem es ein Jahrzehnt lang die Reallöhne – auch im internationalen Vergleich – besonders stark abgesenkt, und sich dadurch Wettbewerbsvorteile erzwungen hatte, weiß das deutsche Kapital heute sehr genau, dass eine allgemeine Unzufriedenheit der arbeitenden Klasse sich angestaut hat. So ist die Kapitalseite heute emsig bemüht, durch v.a. kosmetische „Korrekturen“ beim Arbeitslosengeld, dem Gerede von „Mindestlöhnen“, „Reichenbesteuerung“ und „sozialer Gerechtigkeit“ die Wogen zu glätten. Denn eine allgemeine Streikwelle würde uns Lohnabhängigen einen Teil unserer Klassenidentität und unser  Selbstvertrauen wieder geben. Der „Standort Deutschland“ will außerdem verhindern, dass durch eine solche allgemeine Kampfeswelle ein Teil der angesammelten Konkurrenzvorteile wieder verloren gehen könnten. Zwar hat in dieser Hinsicht die Regierung vorgesorgt: Maßnahmen wie die seit Anfang 2007 in Kraft getretene Mehrwertsteuererhöhung oder die geplante massive Besteuerung von Sparkonten ab 2009 sollen den größten Teil eventueller Reallohnerhöhungen wieder in die Taschen des Staates und der Unternehmen umleiten. Dennoch setzt das Kapital auch auf offene Einschüchterung, damit weder die bevorstehenden Lohnkämpfe noch die daraus hervorgehenden Abschlüsse zu umfangreich werden. Auch in dieser Hinsicht richtet sich der Angriff gegen die Nokiabeschäftigten in Wahrheit gegen die gesamte Arbeiterklasse! 

Arbeitersolidarität gegen die Gewalt des Kapitals

Gegenüber der Wucht der kapitalistischen Angriffe kann es nur eine Antwort geben: Die Arbeitersolidarität. Dass die Betroffenen die Notwendigkeit dieser Klassensolidarität immer deutlicher spüren, zeigt die erste Reaktion der Bevölkerung des Ruhrgebiets auf die Nachricht von der Werksschließung bei Nokia. Die Beschäftigten spürten sofort das Bedürfnis, sich auf dem Werksgelände zu versammeln. Da standen die ZeitarbeiterInnen und die (nur scheinbar) „Festangestellten“ Schulter an Schulter, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Wichtiger noch: Nicht allein die üblichen rituellen Gewerkschaftsdelegationen waren vertreten, sondern es strömten Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Betrieben der Region herbei, um ihre Solidarität kundzutun. Die Leute von Opel erklärten: Ihr habt uns 2004 in unserem Kampf gegen die Werksschließung unterstützt, jetzt unterstützen wir euch! Bei den Gesprächen bezog man sich wie selbstverständlich auf die gemeinsamen Kampferfahrungen unserer Klasse, um gegenüber der jetzigen Lage eine Perspektive zu gewinnen. So war von der beispielhaften Kampfkraft der Eisenbahner die Rede. Auch wurde darauf hingewiesen, dass die Werksschließung bei Opel in Bochum vor vier Jahren nicht durch Unterordnung und „Opferbereitschaft“ der Beschäftigten, sondern allein durch die große Kampfkraft der Betroffenen und die Solidarität der gesamten arbeitenden Bevölkerung verhindert wurde. Die Lehren von vor 20 Jahren bei Krupp wurden ebenfalls aufgegriffen: Die Kraft der Solidarität, aber auch die Verelendung, welche auf der doch noch durchgesetzten Werksschließung damals in Duisburg-Rheinhausen folgte. Dort auf dem Nokiagelände und in den darauffolgenden Tagen tauchte ein Ausdruck der Arbeitersolidarität wieder auf, welcher zukunftsweisend ist. In den letzten Jahren wurde der Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen hauptsächlich von den unmittelbar Betroffenen getragen, während andere Beschäftigte oder Erwerbslose sich mehr unterstützend, sozusagen von außen helfend beteiligten. Das war 2006 bei der AEG in Nürnberg so, 2004 bei Opel Bochum und auch 1987 bei Krupp. Jetzt war aus dem Opelwerk in Bochum zu vernehmen, dass die Beschäftigten dort sich an einem eventuellen Streik der Nokianer beteiligen wollen. Das hat es im Ansatz bereits 2004 bei Mercedes gegeben, als die Beschäftigten im Werk Bremen mitgestreikt haben aus Solidarität mit ihren KollegInnen in Stuttgart. Damals handelte es sich noch um eine Solidarität unter Beschäftigten ein und desselben Konzerns, die sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wollten. Nun keimt ein Bewusstsein wieder auf, dass auch die Lohnsklaven aus verschiedenen Firmen, Branchen usw. gemeinsame Interessen haben, die nur gemeinsam verteidigt werden können. Diese Einsicht gewinnt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an Boden. So haben gegen Jahresende 2006 in Frankreich kämpfende Eisenbahner und Studenten gemeinsame Kampfversammlungen abgehalten.Auch die große Popularität, welche der Eisenbahnerstreik in Deutschland innerhalb der arbeitenden Bevölkerung genossen hat, muss in diesem Lichte gesehen werden. Der herrschenden Klasse ist es zwar gelungen, die massive Unzufriedenheit eines Teils der Eisenbahner mit den bestehenden, v.a. dem DGB angegliederten Gewerkschaften wieder in kapitalistisch geordnete – sprich gewerkschaftliche – Bahnen zu lenken   mittels einer Scheinradikalisierung der fossilen GDL. Dadurch ist ein Bild in der Öffentlichkeit gestiftet worden, welches der herrschenden Klasse nur recht sein kann. Dies ist das Bild von einer Berufsgruppe – in diesem Fall die Lokführer –, welche sich von einem gemeinsamen Kampf mit anderen Berufsgruppen oder Sektoren der Klasse verabschiedet, um zu versuchen, auf eigene Faust das Beste für sich herauszuholen. Aller Erfolge der GDL bei der Isolierung des Lokführerstreiks zum trotz entspricht dieses Bild heute nicht der Stimmung der Arbeiterklasse. Die Lokführer werden vielmehr als Vorkämpfer eines notwendig gewordenen allgemeinen Kampfes angesehen. Mit ihrer Bekundung der Bereitschaft zur aktiven Solidarität mit den Nokianern ist es den Opelaner in Bochum gelungen, dieser Gemeinsamkeit, welche nur indirekt durch die allgemeine Beliebtheit des Lokführerstreiks zum Ausdruck kam, eine direkte Konkretisierung zu geben. Wir können und müssen dem Terrorsystem der kapitalistischen Konkurrenz die Stirn bieten! Wir können und wir müssen den Versuch der herrschenden Klasse durchkreuzen, mittels Angriffe wie bei Nokia nicht nur die Betroffenen, sondern uns alle einzuschüchtern. Begreifen wir die Gleichzeitigkeit der Angriffe mittels Arbeitslosigkeit und Inflation als Herausforderung, unsere eigenen Kräfte zu bündeln. Während bei Nokia, bei Motorola in Flensburg oder bei BMW Jobs vernichtet werden, stehen in vielen Branchen Tarifverhandlungen an, es wächst der Unmut gegenüber Reallohnverlusten. Es gilt, direkte Verbindungen zwischen den kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeitern der verschiedenen Bereiche zu knüpfen, ohne gewerkschaftliche „Vermittlung“. Es gilt, sich den Versammlungen und Demonstrationen anderer Bereiche zielstrebig anzuschließen bzw. die eigenen Aktionen für andere zu öffnen. Es gilt, dort die Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängigen hervorzuheben und gemeinsame Forderungen zur Sprache zu bringen. Es gilt, den Kampf gegen Massenentlassungen und die Lohnkämpfe bewusst zu verbinden, sie immer mehr zusammenzuführen. Gegenüber der gewerkschaftlichen Absonderung, wie von der GDL vorexerziert, und dem gewerkschaftlichen Streikbrechertum, wie zuletzt von Transnet gegenüber dem Lokführerstreik praktiziert, müssen die Kämpferischsten sich für die Eigenständigkeit der Aktionen der Betroffenen selbst stark machen. Nur eine breite, allgemeine Aktion, welche die Logik des Kapitals in Frage stellt, welche gegen das Prinzip der kapitalistischen Konkurrenz das sozialistische Prinzip der Solidarität geltend macht, kann Angriffe wie bei Nokia aufhalten. Gegen den Terror des Kapitalismus hilft nur die Solidarität der Arbeiterklasse!     20.01.08

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [1]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [2]

Von schwarzen und weissen Schafen - oder wer schwingt die Schweizer Fahne am besten ?

  • 2431 Aufrufe

Von schwarzen und weissen Schafen Oder: Wer schwingt die Schweizer Fahne am besten?

 

“Anfang vom Ende der SVP - Der Geheimplan des Schwarzen Schafes ist aufgegangen – Blocher weg, der Niedergang der SVP eingeläutet” – so frohlockte das Komitee “Das Schwarze Schaf” am 13. Dezember 2007 nach der Abwahl des rechtspopulistischen Christoph Blocher aus der Landesregierung. Dieses Komitee war im August 2007 gegründet worden, um die parlamentarische Linke “von links unten unter Druck zu setzen”[1].

Die Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) umgekehrt jammern, dass mit dieser Wegwahl Blochers aus dem Bundesrat der Wille des Volkes missachtet worden sei, da dieses die SVP zur stärksten Partei im Parlament gemacht habe. Es sei undemokratisch, wenn die wählerstärkste Partei nicht die von ihr selbst nominierten Kandidaten in der Exekutive habe.

 Für den Ausgang der Parlaments- und Regierungswahlen verweisen wir auf den Kasten “Zahlen und Fakten den Wahlen”.

Am 13. Dezember schnaubte also die SVP, und die Linke frohlockte. Diese feierte ihren Sieg, jene kündigte an, in die Opposition zu gehen und schloss ihre beiden Bundesräte, die sich nicht auf der Mehrheitslinie befinden, aus der Fraktion, nicht aber aus der Partei aus[2].

 

Wessen Sieg?

Es waren keineswegs nur ein paar sozialdemokratische und grüne Parteistrategen, die sich am 13. Dezember 2007 über den geglückten Schachzug freuten. Fast alle, die sich als fortschrittlich gesinnt betrachten, atmeten auf. Junge Leute zogen mit roten Fahnen – ohne Schweizerkreuz – nach Bern, um diesen “Sieg der fortschrittlichen Kräfte” zu feiern. Wer hat nun gewonnen? – Werden die Ausschaffungen von papierlosen Ausländern aufhören? Werden mehr Flüchtlinge in der Schweiz aufgenommen? Werden weniger Knäste gebaut? Werden die Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und Arbeiterinnen aufhören? Wird die neue Regierung weniger nationalistisch sein als die alte?Bleiben wir bei den Fakten! Das Parlament – diese Schwatzbude, wie sie von Revolutionären seit über 100 Jahren genannt wird – wählte den Wunschkandidaten der SVP, Blocher, nicht mehr. Die SVP ist nun in der Landesregierung mit zwei Mitgliedern vertreten, die nicht die offizielle rechtspopulistische, sondern die für eine Bauernpartei normale rechtskonservative Linie vertreten. Doch selbst wenn die SVP überhaupt nicht mehr im Bundesrat wäre, würde die Mitte-Links-Regierung sämtliche Angriffe gegen die Arbeiterklasse genau so durchziehen, wie sie es schon in den 1990er Jahren getan hat. Es waren Sozialdemokraten, die in jener Zeit die bisher erfolgten Angriffe auf die Altersrenten, den Bau von Ausschaffungsgefängnissen, die Verabschiedung ausländerfeindlicher Gesetze (Asylgesetzrevision, neues Ausländergesetz) usw. vorbereiteten und umsetzten. Die Rentenreform des aktuellen FDP-Innenministers Pascal Couchepin wurde von seiner Vorgängerin, der sozialdemokratischen Bundesrätin Ruth Dreifuss, eingeleitet. Das grösste Ausschaffungsgefängnis der Schweiz, dasjenige am Flughafen Zürich, wurde unter der Verantwortung der kantonalen SP-Justizdirektoren Moritz Leuenberger (heute Bundesrat) und Markus Notter gebaut und eingeführt. Wer hat also gesiegt? – Gesiegt haben diejenigen, die uns ein X für ein U vormachen wollen. Gesiegt hat in erster Linie die parlamentarische Linke, die behauptet, dass man mit Wahlen und Abstimmungen “etwas” bewirken könne. Gesiegt haben diese Teile des Staatsapparats, die die Arbeiterklasse möglichst lange mit solcher Propaganda einlullen wollen: “Vertraut uns! Wir vertreten in Bern in den nächsten vier Jahren eure Interessen! Wählt uns, die Linken!” 

Schäfchenplakate und schlechtes Image der Schweiz im Ausland

Doch die herrschende Klasse konnte in Bern noch einen weiteren wichtigen Erfolg verbuchen: Sie konnte das ramponierte Ansehen im Ausland wieder etwas aufbessern. Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Oktober 2007 zeigten sich die (mehr oder weniger) demokratischen Medien der ganzen Welt schockiert über den Rassismus der SVP im Allgemeinen und ihre Schäfchenplakate im Besonderen. Dieses Wahlplakat zeigt drei weisse Schafe, die auf einer Schweizerfahne stehen, eines von ihnen tritt ein schwarzes Schaf und stösst es weg. Die ausserparlamentarische Linke (Hand in Hand mit der parlamentarischen) gründete im Vorfeld der Wahlen das Komitee “Das Schwarze Schaf”. Dieses organisierte am 6. Oktober eine Gegendemonstration gegen eine Demonstration der SVP vom gleichen Datum, gegen den “Marsch nach Bern”, mit welchem Motto das Komitee auf Mussolinis Marsch auf Rom 1922 anspielte. Die rot-grüne Stadtregierung von Bern verweigerte der Gegendemonstration die Bewilligung. Es kam zum Einsatz von Tränengas und Gummischrot und der erwartungsgemässen Antwort in der Form von eingeschlagenen Schaufenstern und brennenden Containern. Diese Bilder gingen um die Welt. Nicht alle Medien berichteten so wohlwollend über die “Schwarzen Schafe” wie die New York Times, welche die Gegendemonstranten als Beschützer einer weltoffenen Demokratie lobte. Aber alle – von den US-amerikanischen über die westeuropäischen bis zu türkischen und russischen Zeitungen – waren sich einig in der Ablehnung der ausländerfeindlichen SVP und ihres geplanten “Marsches auf das Parlament”.Und genau diese Weltöffentlichkeit zeigte sich beruhigt, als Christoph Blocher am 13. Dezember in der Regierung durch eine “gemässigte” SVP-Frau ersetzt wurde. Die spanische Tageszeitung El Pais beispielsweise kommentierte noch am selben Tag erleichtert die Abwahl des “Caudillo von Zürich”.Diese Vermeidung eines weiteren Imageschadens war für die Schweizer Bourgeoisie wichtig. Sie kann es sich auf keinem Gebiet leisten, sich gegenüber dem Ausland im Allgemeinen oder der EU im Besonderen abzuschotten. Die massgebenden Kreise der herrschenden Klasse, die durch den nun gewählten Bundesrat ganz tauglich vertreten sind, lehnen sich in der Aussen- und Wirtschaftspolitik an die EU an, da an eine Unabhängigkeit im Stile Wilhelm Tells ohnehin nicht zu denken ist. 

Alle Probleme der Herrschenden gelöst?

Soweit wäre also alles in Butter für die Regierenden in der Schweiz: Die Demokratie hat gesiegt, und dies hat sie den Linken (auch denen von links unten) zu verdanken.

Doch die Gesellschaft, in der wir immer noch zu leben gezwungen sind, wäre nicht der Kapitalismus, wenn sich die Probleme so leicht lösen liessen. Es darf daran gezweifelt werden, dass die irrationale Mythen mobilisierende, fremdenfeindliche SVP durch das geglückte Manöver der Linken ernsthaft geschwächt wird. Rechtspopulistische Parteien haben in der Opposition in der Regel mehr Erfolge als in der Regierung[3].

Aber ein zweites Problem ist durch den vollzogenen Schritt noch weniger gelöst: Die Bourgeoisie wird über kurz oder lang mit Kämpfen der Arbeiterklasse konfrontiert sein. Die linken Parteien der Bourgeoisie haben die Aufgabe, diese Kämpfe ins Korsett der bestehenden Ordnung (z.B. Parlamentarismus und gewerkschaftliche Kämpfe) zu zwängen. Dies gelingt denjenigen Kräften am besten, die nicht durch Regierungsverantwortung kompromittiert sind. Die Sozialdemokraten befinden sich seit über 60 Jahren in der Regierung. Kein Zufall, dass sie selbst in Zeiten zunehmender Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse je länger je mehr Stimmen verlieren. Seit der Abwahl von Blocher gilt der Bundesrat als wesentlich von der SP geprägt (Mitte-Links-Regierung). Und links der SP gibt es keine bedeutende Partei, die als “Arbeiterpartei” auftreten könnte. Weder Stalinisten noch Trotzkisten haben in der Schweiz ein nennenswertes Gewicht. Insofern hat die Bourgeoisie in der Schweiz längerfristig ein Problem.

Doch die Arbeiterklasse kann in ihrem Kampf für die eigene Befreiung nicht auf die Schwächen des Gegners setzen. Sie muss ihre eigenen Stärken in die Waagschale werfen: erstens ihre Einheit und Solidarität in den Kämpfen gegen die Verschlechterungen der Lebensbedingungen und zweitens ihr Bewusstsein. Das Bewusstsein darüber, dass diese kapitalistischen Ordnung nicht durch neue Bundesräte belebt, sondern durch eine Revolution der Arbeiter und Arbeiterinnen überwunden werden muss.  MD, 17.1.08  

Zahlen und Fakten zu den Wahlen

Im Oktober 2007 fanden die nationalen Parlamentswahlen statt. Traditionell gibt es in der Schweiz vier grosse Parteien:- die Sozialdemokratische Partei (SP),- die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, katholisch),- die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP, liberal),- die Schweizerische Volkspartei (SVP, bis vor etwa 20 Jahren die Partei der Bauern und Kleinunternehmer, heute in ihrer Mehrheit rechtspopulistisch).Bei diesen Parlamentswahlen war einmal mehr die SVP die Siegerin. In der grösseren der beiden Kammern des Parlaments, im Nationalrat, kam sie auf 29 % der Stimmen, d.h. auf 2,3 % mehr als bei den letzten Wahlen vor vier Jahren. Die Verliererinnen waren einerseits die SP, die im Nationalrat noch gerade auf 19,5 % der Stimmen kam im Vergleich zu 23,3 % vor vier Jahren, und die FDP mit einem Verlust von 1,7 % (jetzt noch 15,6 %). Umgekehrt haben die Grünen ebenso viele Stimmen gewonnen wie die FDP verloren und besetzen im Nationalrat nun 10 % der Sitze.Die CVP mobilisierte 14,6 % der Wähler und ist damit etwa gleich stark geblieben wie bei den letzten Wahlen. In der kleinen Kammer, dem Ständerat, der die Kantone repräsentiert (zwei Ständeräte pro Kanton) ist die CVP mit 15 von insgesamt 46 Sitzen stärker vertreten, da hier die kleinen, ländlichen und oft katholischen Kantone relativ ein grösseres Gewicht haben.

Eine der ersten Aufgaben des neu gewählten Parlaments ist jeweils die Wahl der Regierung, die aus sieben Ministern (Bundesräten) besteht. Da dem Nationalstaat Schweiz mit seiner Viersprachigkeit und dem grossen Gewicht der verschiedenen Regionen je nach Situation starke Zentrifugalkräfte innewohnen, ist die Bourgeoisie im Laufe des Zweiten Weltkriegs dazu übergegangen, alle gewichtigen politischen Parteien in die Regierung zu integrieren. Damals wählte sie zum ersten Mal einen Sozialdemokraten in den Bundesrat. Ende der 1950er Jahre wurde diese Regel noch verfeinert mit der so genannten Zauberformel: Von nun an sollten die grössten vier Parteien ungefähr entsprechend ihrem Wähleranteil im Bundesrat vertreten sein. Vor vier Jahren erhielt deshalb die SVP einen zweiten Sitz im Bundesrat, und zwar auf Kosten der CVP, deren Bundesrätin Ruth Metzler damals abgewählt wurde; seither stellt die CVP nur noch einen Bundesrat. Das Aushängeschild der SVP, Christoph Blocher, wurde neu in den Bundesrat gewählt (vgl. Artikel in Weltrevolution Nr. 122, /content/914/bundesratswahlen-der-schweiz [4]).

Im Gegensatz zu jenen Bundesratswahlen vor vier Jahren, die nach einem im Voraus von allen vier grossen Parteien bestimmten Plan abliefen, kam es diesmal, am 12./13. Dezember 2007, zu einer Überraschung: Christoph Blocher wurde als Bundesrat nicht bestätigt; an seiner Statt wurde die gemässigte SVP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf gewählt, die nicht die Mehrheitslinie der Partei verfolgt, sondern dem traditionellen Bauern- und Kleingewerbler-Flügel angehört wie der schon länger in der Regierung sitzende SVP-Mann Samuel Schmid. Diesen “Putsch” fädelten sozialdemokratische und grüne Parlamentarier ein. Er konnte dank Unterstützung v.a. aus CVP-, aber auch FDP-Kreisen realisiert werden. 


[1] https://das-schwarze-schaf.ch [5]

[2] Die Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Parlamentariern der gleichen Partei, wobei sich auch mehrere Parteien zu einer Fraktion zusammenschliessen können.

[3] Vgl. FPÖ in Österreich oder Pim Fortuyns Partei in den Niederlanden.   

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in der Schweiz [6]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/1592/weltrevolution-nr-146

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/11/151/nationale-lage-deutschland [2] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterkampf [3] https://dailyreckoning.com/ [4] https://de.internationalism.org/content/914/bundesratswahlen-der-schweiz [5] https://das-schwarze-schaf.ch [6] https://de.internationalism.org/tag/nationale-situationen/nationale-lage-der-schweiz