In den letzten fünf Jahren haben wir eine internationale Entwicklung des Klassenkampfes erlebt. Diese Kämpfe haben in Reaktion auf die Brutalität der kapitalistischen Krise und auf die dramatische Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen überall auf der Welt stattgefunden. Heute, beim Eintritt in eine neue Stufe der Krise, die sich durch die Immobilienkrise in den USA angekündigt hat, können wir von einer Intensivierung dieser Kämpfe ausgehen. In einigen Ländern, wo die Bedingungen für die ArbeiterInnen am schlimmsten sind – Ägypten, Dubai, Bangladesh -, haben wir bereits Keime künftiger Massenstreiks gesehen. In Europa gab es 2006, mit den Studentenprotesten in Frankreich, die Wiederauferstehung einer proletarischen Protestbewegung mit Massencharakter und Tendenzen zur Selbstorganisierung.
In diesem Moment erleben wir in Deutschland den Beginn einer neuen Stufe in dieser Entwicklung. In einem führenden Industrieland der alten kapitalistischen Kernländer droht die Gleichzeitigkeit von Arbeitskonflikten sich lawinenartig zu einer veritablen Welle von Arbeiterkämpfen auszuwachsen.
Das Jahr 2008 begann damit, dass die Deutsche Bahn (DB) gezwungen wurde, 11%-ige Lohnerhöhungen und die Reduzierung der Wochenarbeitszeit der Lokführer um eine Stunde zuzugestehen. Dies war das Resultat eines monatelang glimmenden Konfliktherdes, der weder durch die Illegalisierung landesweiter Streiks bei der Eisenbahn noch durch die Spaltung der DB-Belegschaft durch die Gewerkschaften ausgetreten werden konnte. Ihm folgte im Ruhrgebiet die Mobilisierung rund um die Schließung der Nokia-Handyproduktion. An einem Aktionstag aus Solidarität mit den Nokia-Beschäftigten gingen ArbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen auf die Straße; Delegationen aus verschiedenen Teilen Deutschlands wurden entsendet. Insbesondere die ArbeiterInnen in Opels Autofabrik in Bochum traten in den Streik, um die „Nokianer“ dieser Tage zu unterstützen.
Und schon hatte das jährliche Ritual der Tarifverhandlungen begonnen. Den Warntreiks der Stahlarbeiter folgten die Warnstreiks Zehntausender Beschäftigter aus dem öffentlichen Dienst überall im Land. Doch es ist vor allem der unbefristete Totalstreik der lokalen Transportarbeiter in Berlin, der seit Ende der ersten Märzwoche demonstriert hat, dass in diesem Jahr die Tarifverhandlungsrunden direkt mit der kapitalistischen Offensive gegen die Arbeiterklasse kollidieren. Dieser Streik von 10.000 Arbeitern – schon jetzt der größte und längste seiner Art in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands – hat eine Kampfbereitschaft und Entschlossenheit demonstriert, die die Bourgeoisie anfangs überraschte. Dieser Konflikt eskalierte in einem Moment, wo die Deutsche Bahn einen letzten Versuch unternahm, die Konzessionen zurückzunehmen, die sie zu machen gezwungen war, und wo die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst kurz vor dem Scheitern standen. In diesem Bereich „bietet“ der Staat seinen Beschäftigten eine 5%-ige Lohn“erhöhung“ über zwei Jahre verteilt an, um im Gegenzug die Verlängerung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden zu fordern! In Berlin, wo sich der gesamte öffentliche Nahverkehr (außer die S-Bahn, die sich im Besitz der DB befindet) im Streik befindet, tat sich plötzlich die Perspektive auf, dass die Beschäftigten des gesamten öffentlichen Dienstes in den Streik treten, und das nicht nur in Berlin, sondern im gesamten Land! Die herrschende Klasse musste die Notbremse ziehen. (1) Die Deutsche Bahn gab Stunden, bevor der nationale Generalstreik der Lokführer ausgerufen werden sollte, nach. Gleichzeitig beriefen die öffentlichen Arbeitgeber und Ver.di eine Schlichtungskommission zur Lösung des Konfliktes im öffentlichen Dienst, was bedeutet, dass Streiks in den kommenden Wochen illegal sind. Auf diese Weise isolierten die Regierung, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften den Streik in den Berliner Verkehrs-Betrieben (BVG). Doch das Potenzial einer Simultanität der Arbeiterkämpfen, ihrer objektiven Vereinigung rührt nicht allein aus dem allgemeinen, massiven Unmut über den Fall der Löhne her. Es häufen sich auch Massenentlassungen. Einige Tage nach Nokia wurde der Bankrott der halbstaatlichen Bank von Nordrhein-Westfalen, die WestLB, durch eine 2-Milliarden-Rettungsaktion des Staates abgewendet. Die Kosten für die Beschäftigten: 2.000 Entlassungen - ein Drittel der Belegschaft - und massive Lohnkürzungen für die Verbliebenen. Derselbe Staat, der Milliarden ausgegeben hat, um weitere Kreditinstitute wie die IKB in Düsseldorf oder die Landesbank von Sachsen aufzupäppeln, erzählt nun den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, dass die Kassen leer sind, um den Lohnforderungen nachzukommen!
Doch zu den Opfern des gegenwärtigen Erdbebens auf dem Immobilienmarkt kommt noch hinzu, dass in den vergangenen Wochen eine Reihe von Industriekonzernen – Siemens, BMW, Henkel (Persil) – im gleichen Atemzug Rekordprofite und Massenentlassungen ankündigte. Die alte Lüge, die den ArbeiterInnen von in Schwierigkeiten geratenen Betrieben erzählt wird – dass der Erhalt der Profitabilität durch „Opfer“ ihre Jobs retten werde -, ist von der Wirklichkeit erschüttert worden.
Diese unerhörten Angriffe haben in diesem Jahr nicht nur zu ersten Ausdrücken des Widerstands geführt: Nokia, aber auch die Bergarbeiterdemonstrationen gegen Grubenschließungen. (2) Sie trugen ebenfalls dazu bei, die Propaganda der herrschenden Klasse zu unterminieren. Nach den Kampagnen der „nationalen Einheit“ der Gewerkschaften und der politischen Klasse gegen den finnischen Nokia-Konzern handelte einer der beliebtesten Witze von populären Kommödianten und Kabarettisten vom schrecklichen finnischen Kapitalisten, der auch Siemens und die WestLB leitet...
Eines der bedeutendsten Anzeichen für die gegenwärtige Reifung der Situation ist der Beginn einer immer offenkundigeren Politisierung des Arbeiterkampfes. Die jüngste Entwicklung liefert uns drei wichtige Beispiele:
1. die Rolle der Bochumer „Opelaner“ im jüngsten Konflikt bei Nokia. Es ist wahr, dass sich die Beschäftigten von Nokia von der provokanten Brutalität demoralisiert und eingeschüchtert fühlten, mit der die Schließung des Betriebs angekündigt wurde. Es war zu einem großen Teil die massive Intervention der Opel-ArbeiterInnen bei Nokia, ihre Aufforderung zu kämpfen und ihr Versprechen, sich jedem eventuellen Streik anzuschließen, die die Mobilisierung ermöglichte, welche stattfand. Bereits 2004 verhinderte ein einwöchiger wilder Streik bei Opel Bochum die Schließung des eigenen Werkes. Heute sind die „Opelaner“ entschlossen, diese Lehre den ArbeiterInnen in ihrer Gesamtheit zugänglich zu machen: Arbeiterwiderstand und Solidarität zahlen sich aus! Was wir hier sehen, ist das Auftauchen einer kämpferischen Vorhut in großen Arbeiteranballungen, die sich ihres Gewichtes im Klassenkampf bewusst und entschlossen ist, es zugunsten aller ArbeiterInnen in die Waagschale zu werfen. Eine andere solche Arbeiterzusammenballung ist die von Mercedes-Daimler, die bereits in den 90er Jahren durch breite Kämpfe die Kürzung des Krankengeldes verhinderten. 2004 erklärten die Daimler-Arbeiter, die sich auf den Straßen Stuttgarts und Bremen gegen die Kürzung der Löhne und Zuschläge sammelten, dass sie nicht nur für sich selbst kämpften, sondern für alle ArbeiterInnen. Darüber hinaus wollen wir in Erinnerung rufen, dass Deutschland noch immer ein Land der Großbetriebe und Industriekonzentrationen mit Millionen hochqualifizierter ArbeiterInnen ist.
2. Der Beginn einer offenen Konfrontation zwischen den ArbeiterInnen und den linken Kontrollorganen des Kapitals wird konkretisiert im BVG-Streik in Berlin. Dieser Streik ist nicht nur eine Reaktion auf die gegenwärtigen Einbußen bei den Reallöhnen angesichts einer wachsenden Inflation. Die ArbeiterInnen rebellieren auch gegen die Konsequenzen der Tarifvereinbarung von 2005, die in allgemeinen Lohnkürzungen von bis zu 12 Prozent, in einer unglaublichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und im „Outsourcen“ von Personal unter noch schlimmeren Bedingungen resultierten. Ein Deal, den Ver.di, die wichtigste Gewerkschaft in diesem Sektor, noch immer vehement verteidigt. Im Wissen, dass das neue „Lohnangebot“, das die Bosse im Begriff waren zu unterbreiten, eine Provokation für die Arbeitskräfte war, setzte Ver.di einen Protesttag im Voraus an, der an einem Samstag nachmittag gegen Ende Februar beginnen (und bis Sonntag nachmittag dauern) sollte, damit er keine allzu großen Störungen verursachte. Doch als die Arbeiter hörten, dass ihre Gehälter auf das Niveau von 2007 eingefroren werden sollten und nur jenen Beschäftigten Gehaltserhöhungen angeboten werden sollten, die erst seit 2005 angestellt sind, traten sie außerplanmäßig in einen 24-Stunden-Streik, ohne auf die gewerkschaftliche Genehmigung zu warten. So groß war die Empörung nicht nur über die faktischen Lohnkürzungen, sondern auch über den offenkundigen Versuch, die Arbeiter zu spalten, dass Ver.di gezwungen war, ihr Trachten nach einem „fairen Verhandlungsergebnis“ aufzugeben und zu einem unbefristeten Streik aufzurufen. Dieser Streik führte auch zu einer offenen Konfrontation mit der rot-roten Koalition der SPD und der Linkspartei, die in Berlin regiert. Letztere Partei, die aus der einst in der DDR herrschenden stalinistischen SED entstand und nun mit der Hilfe des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine ins frühere Westdeutschland expandiert, denunzierte den Streik als Ausdruck der „privilegierten Mentalität“ im „gehätschelten“ Westberlin! Dies alles geschieht in einem Augenblick, wo mächtige Fraktionen der deutschen Bourgeoisie versuchen, die Partei von Lafontaine und Gysi als fünfte Parlamentskraft zu etablieren, die fähig ist, den Unmut der ArbeiterInnen wieder zurück auf die Wahlebene zu führen. Kein Wunder, dass es den Fernsehnachrichten Abend für Abend gelingt, den Streik nicht einmal zu erwähnen, der in der Hauptstadt des Landes für Chaos sorgt!3. Es sind die ersten Internet-Blogs erschienen, in denen zum Beispiel Bahnarbeiter ihre Bewunderung und Solidarität für und mit dem BVG-Streik ausdrücken. Dies ist umso wichtiger, als in Bereichen wie die der BahnarbeiterInnen, Piloten und des medizinischen Krankenhauspersonal, bei denen das Gewicht des Korporatismus besonders groß ist, die Bourgeoisie auf die wachsende Unzufriedenheit mit den etablierten DGB-Gewerkschaften mit der Profilierung pseudoradikaler, aber strikt korporatistischer Gewerkschaften antwortet. Dies wird getan, nicht nur um den Kampfgeist durch den gewerkschaftlichen Rahmen einzudämmen und die Selbstorganisierung zu verhindern, sondern auch um der politischen Radikalisierung entgegenzuwirken. Die Lokführergewerkschaft, die GDL, der gegenwärtige Favorit des politischen Linksextremismus, ist tatsächlich die Karikatur einer engstirnigen Beschränktheit und eines nicht-politischen Konformismus.
Die deutsche Bourgeoisie war jahrzehntelang stolz auf ihr System der so genannten Tarifautonomie, die einen streng definierten legalen Rahmen schuf, innerhalb dessen Bosse und Gewerkschaften auf der Grundlage der sektorellen und regionalen Spaltung der ArbeiterInnen den Willen des Kapitals erzwingen. Dennoch geschieht es 2008 nicht zum ersten Mal im Nachkriegsdeutschland, dass die Arbeiterklasse diesen bürgerlichen Rahmen in Frage stellt. Von den Septemberstreiks 1969 bis zu den massiven Kämpfen bei Ford in Köln 1973 fochten ArbeiterInnen in wilden Streiks immer wieder die von Gewerkschaften und Bossen durchgesetzten „Vereinbarungen“ an. Diese autonomen Interventionen der Klasse waren vor allem durch die Folgen der Inflation provoziert worden. Auch geschieht es nicht zum ersten Mal, dass es Arbeitermobilisationen und Klassensolidarität als Antwort auf Betriebsschließungen gibt. Besonders der Kampf bei Krupp Rheinhausen ist im kollektiven Gedächtnis verblieben.Doch heute haben wir beide Phänomene zusammen. Die Inflation und die eskalierenden Auswirkungen aus den jahrelangen Reallohnkürzungen haben zu einer allgemeinen Wut geführt. Nachdem sie anfangs häufig einen einschüchternden Effekt auf den Kampfgeist hatten, provozieren Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit nunmehr ein immer tieferes Nachdenken über den Charakter des kapitalistischen Systems.Die gegenwärtigen Kämpfe sind somit die Fortsetzung der Kämpfe der 60er, 70er und 80er Jahre, deren Lehren sie sich bewusst aneignen müssen. Doch sie sind nicht nur eine Fortsetzung. Sie sind auch eine Vertiefung dieser Kampftradition. Nach 1968 nahm Deutschland an der internationalen Wiederbelebung des Klassenkampfes teil. Doch es hinkte aufgrund der besonderen Brutalität der Konterrevolution und der anfänglichen Fähigkeit Deutschlands, den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu widerstehen, stets anderen Ländern hinterher.Jetzt hingegen beginnt das deutsche Proletariat Anschluss an seinen Klassenschwestern und –brüdern in Frankreich und anderen Ländern an der Spitze des internationalen Klassenkampfes zu finden.Weltrevolution, 14. März 2008
(1) In den jüngsten Jahren brach die „öffentliche Hand“ Berlins mit der Tarifgemeinschaft der deutschen Bundesländer, um selbst Tarifverhandlungen zu führen und so die Staatsangestellten von ihren Kollegen anderswo zu isolieren. Hintergrund ist die zeitgenössische deutsche Besonderheit, dass die Hauptstadt zwar die größte, aber auch die ärmste Großstadt im Lande ist.
(2) Seit nunmehr Jahren hat der Bergbau im Saarland regelmäßig Erdbeben ausgelöst, die häufig zu beträchtlichem Sachschaden führten. Bis jetzt hat dies die herrschende Klasse nie gestört. Nun schafft solch ein Vorfall plötzlich einen Vorwand, um alle verbliebenen Gruben in der Region zu schließen.
Während offizielle Regierungsstatistiken diesen Winter die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit Jahren verkündeten, ereilte die Beschäftigten zahlreicher Großbetriebe die Hiobsbotschaft von bevorstehenden Stellenstreichungen oder Werksschließungen. Bei Henkel, BMW, Siemens, Opel, Post und Telekom sollen jeweils Tausende ihren Job verlieren; zahlreiche Banken planen massiven Stellenabbau mit der Begründung, die durch die Finanzkrise entstandenen Kosten einzusparen. Im Saarland sollen unter dem Vorwand des Bergbebens Zechen geschlossen und der Bergbau 2012 ganz eingestellt werden. Bei der Deutschen Bahn sollen, um die Lohnerhöhungen an die Lokführer zu kompensieren, in anderen Bereichen des Konzerns Stellen gestrichen werden. Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen...Bei Nokia konnten die Medien, Politiker, Gewerkschaften usw. noch heuchlerisch wehklagen, dass eine ausländische Firma „unnötig“ Arbeitsplätze verlagert, wo doch der Konzern Rekordgewinne vermeldet. Jetzt aber entlassen deutsche Großkonzerne, von denen jeder große Gewinne einfahren konnte, massenweise Beschäftigte. Gleich, ob die Betriebe Gewinne einfahren oder nicht, ob staatliche oder privatkapitalistische Betriebe, Banken oder Versicherungen – überall und stets lautet die Devise des Kapitals Arbeitsplatzabbau. Für die Firmen ist dies zudem eine gute Gelegenheit, die Beschäftigten zu erpressen, sie zu terrorisieren und von ihnen beispielsweise unbezahlte Überstunden zu verlangen. Wer muss heute nicht um seinen Arbeitsplatz fürchten? Jedem ist klar: wer länger in der Arbeitslosigkeit landet oder gar zum Dauerarbeitslosen wird, wird zum Hartz IV-Empfänger und muss mit zehn Euro am Tag überleben. Für viele Beschäftigte heißt dies, dass man nach vielen Jahren Beitragsleistungen in die Arbeitslosenkasse auf ein Bettlerdasein herabgedrückt wird. Vielen droht Armenspeisung. In Anbetracht dieser Entwicklung gerät die Kapitalistenklasse in Rechtfertigungsnöte. Bürgerliche Politiker selbst warnen, dass sich diese Verhältnisse und dieses Verhalten nicht mehr „vermitteln“ lassen. Wenn gar die Firmen, die Rekordgewinne vermelden, unter dem Konkurrenzdruck rücksichtslos Arbeitsplatzabbau betreiben, wenn nicht ausländische Konzerne als Alleinschuldige an den Pranger gestellt werden können, sondern auch deutsche Großkonzerne, die wesentlich zum deutschen Exportüberschuss beigetragen haben, sich als Arbeitsplatzvernichter erweisen, dann gerät auch die gewerkschaftliche Argumentation ins Schleudern (siehe dazu unseren Leitartikel) Jetzt stöhnt jede Firma über den mörderischen Konkurrenzdruck; ob Milliardengewinn oder Milliardenverlust, der Konkurrenzkampf treibt sie alle zu brutalen Angriffen gegen die Beschäftigten. Arbeitsplatzabbau, größere Arbeitshetze und Einkommensverluste, Lohnsenkungen stehen überall auf dem Programm.
Die Rettung einer Reihe von notleidenden Landesbanken in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen mithilfe milliardenschwerer Rettungspakete hat nicht nur die Notenpressen angekurbelt und damit die Inflation angeheizt. Darüber hinaus müssen die dafür erforderlichen Gelder auch durch Einsparungen in den Landeshaushalten aufgetrieben werden. Auch wenn Ver.di diese Sachlage nicht zur Sprache bringt, ja sich, was die Folgen dieser katastrophalen Entwicklung bei den Landesbanken anbetrifft, tunlichst in Schweigen hüllt und diesen Zusammenhang in den stattgefundenen Warnstreiks im öffentlichen Dienst bewusst ausklammerte, liegt es auf der Hand, dass insbesondere die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, aber auch der Rest der Arbeiterklasse dafür zur Kasse gebeten werden. Dabei ist die Bankenkrise keineswegs ausgestanden. Nahezu täglich müssen neue Rettungspakete geschnürt werden. Leidtragende sind früher oder später Tausende Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Eine Ende der Finanzkrise ist noch nicht absehbar. Die Auswirkungen in der Wirtschaft sind längst zu spüren. Überall sind die Produktionszahlen rückläufig, werden die Wachstumsprognosen nach unten revidiert. Bei Ford-Köln ist schon Kurzarbeit in der Motorenproduktion angekündigt worden.
Gleichzeitig ist es in den letzten Monaten hauptsächlich bei Lebensmitteln und Energieerzeugnissen zu großen Preissteigerungen gekommen. Nach Jahren des Lohnverzichts und der Gehaltskürzungen reicht bei vielen Beschäftigten das Geld einfach nicht mehr. Dabei hatten die letzten Tarifabschlüsse, die beispielsweise von Ver.di ausgehandelt worden waren, für die meisten Beschäftigten zu massiven Lohneinbußen geführt. Denn die von den Gewerkschaften, allen voran Ver.di, geforderten Lohnerhöhungen reichen in der Regel nicht einmal die Inflation aus. Tatsache ist, dass die Inflation, die jetzt wieder deutlich anzieht, auf mehreren Ebenen schwerwiegende Konsequenzen nach sich zieht. So wirkt sie u.a. als Bremse für die Wirtschaft, da sie die Massenkaufkraft reduziert und die Nachfrage schmälert. Die rasante Preisentwicklung bringt nicht nur immer mehr Menschen in den sog. Entwicklungsländern in Existenznöte. Auch in den Industrieländern selbst reicht für immer weniger Menschen das Geld zum Überleben. Nicht nur die Arbeitslosen, die von Hartz IV leben müssen, sondern auch viele prekär Beschäftigte geraten durch die Inflation unter starkem Druck. Des Weiteren verzehrt die Inflation langfristig Ersparnisse, Rücklagen usw. Damit sind auf längere Sicht Rentenfonds, Lebensversicherungen, Gesundheitsfonds usw. bedroht. Deshalb ist es eine Illusion zu glauben, es werde später genügend Geld für die Rente da sein. Zudem zwingen die Firmen des öfteren vor allem ältere Beschäftigte dazu, in Frühpension zu gehen. Bei General Motors in den USA wurde nahezu der Hälfte der Beschäftigten – ca. 74.000 meist ältere und angeblich besser bezahlte Kollegen – Abfindungen angeboten und dazu gedrängt, sich woanders einen Job zu suchen. Die Lohnkosten sollen dadurch um nahezu ein Drittel gekürzt werden. All die oben erwähnten Erschütterungen der Wirtschaft haben schon zu einem deutlichen Rückgang des Wachstums geführt. Die Prognosen zeigen alle nach unten.
Aber nicht nur Arbeitslose und prekär Beschäftigte stehen vor einer wachsenden Verarmung. Besonders hart betroffen sind im Land des Exportweltmeisters Kinder. Laut einer Unicef-Studie von 2005 hat die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 stärker zugenommen als in den meisten anderen Industrieländern. Schätzungen zufolge leben in der Bundesrepublik inzwischen mehr als 2,5 Millionen Kinder auf oder unter dem Sozialhilfeniveau von 207 Euro pro Monat. Laut des Mitte November vorgestellten Kinderreports 2007 des Deutschen Kinderhilfswerks gelten 14 Prozent aller Kinder in Deutschland als arm. Seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II am 1. Januar 2005 hat sich die Zahl der auf Sozialhilfe oder Sozialgeld angewiesenen Kinder verdoppelt. 20.03.08 D.
Wir begrüßen und bedanken uns für die uns vom Genossen G. zugesandte Buchbesprechung des o.g. Buches von Naomi Klein. Wir möchten hiermit unsere Leser/Innen zu solchen Zuschriften ermuntern.
Es ist noch keine 40 Jahre her seit Paul Samuelson den Nobelpreis für sein ökonomisches Lebenswerk erhielt, aber die Welt scheint eine völlig andere geworden zu sein. Der Verfasser der „Volkswirtschaftslehre“, des immer noch in den meisten Auflagen erschienenen universitären wirtschaftlichen Lehrbuchs, war der Apologet des Nachkriegskapitalismus schlechthin. Ausgehend von der Prosperität seit den beginnenden 50er Jahren galt sein Streben dem Nachweis der Stabilität gegenüber Krisenerscheinungen durch die mit dem Namen von John Maynard Keynes verbundene Wirtschaftspolitik, in der der Staat zunehmend als Wirtschaftssubjekt agierte. Doch die tiefen Krisenerscheinungen seit den 70er Jahren haben diese Hoffnungen jäh zerstört und die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus zurück ins öffentliche Bewusstsein geholt, was Samuelsons Theorien in der Versenkung der ausgedienten bürgerlichen Ideologien verschwinden ließ.
Waren es bis in die siebziger und teilweise achtziger Jahre hinein lediglich einige wenige marxistische Theoretiker wie etwa Paul Mattick oder vor allem linkskommunistische Gruppierungen (wie z.B. auch die IKS), die vom Kapitalismus als permanentem Krisenzusammenhang ausgingen, überschlägt sich spätestens seit dem Platzen der New-Economy-Blase nun auch die bürgerliche Presse beim Ausmalen von Krisenszenarien. Schlechte Zeiten eigentlich für ein theoretisches Revival des Keynesianismus. So wie aber auch der politische Reformismus in den Industrieländern fröhliche Urständ feiert, so bringt er natürlich auch auf theoretischer Ebene den alten Ballast wieder auf die Tagesordnung. Samuelsons Fahne hebt nun so die einst von der „New York Times“ zur „Ikone der Globalisierungskritiker“ hochstilisierte Naomi Klein auf. In ihrem im letzten Herbst erschienen zweiten Buch mit dem Titel „Die Schock-Strategie“ legt sie eine politisch-ökonomische Analyse vor, die alles hat, um zu einer Bibel des neuen Reformismus zu werden. Aus diesem Grunde lohnt auch ein genauerer Blick auf die entscheidenden theoretischen Aussagen gerade seitens kommunistischer Kräfte.
Im Zentrum von Kleins Studie steht die Analyse einer Entwicklung, über deren Erscheinungsformen es kaum Zweifel geben kann: Der Ablösung der in der Nachkriegsperiode dominierenden keynesianischen Wirtschaftspolitik durch den Dreischritt aus Privatisierung, Senkung der Sozialtransfers und Deregulierung der Märkte samt dazugehöriger Apologie und der daraus resultierenden weiteren Enteignung derer, die sich auch Klein scheut Proletariat zu nennen. Auf fast 660 Seiten plus den 70 weiteren des Anmerkungsapparates und dem Ritt durch verschiedene mit Gewinn zu lesende Fallbeispiele von Chile bis in den Irak versucht sie den Nachweis für ihre These zu erbringen, dass dies ein bewusst gesteuertes Projekt darstellte, an dessen Anfang stets ein die Gesellschaft paralysierendes Schockereignis stand, und das immer mit einer autoritären Formierung des umsetzenden Staates einherging, um potentiellen Widerstand gegen ein nur einer winzigen Oberschicht nützlichem Projekt schon im Keim ersticken zu können.
Wenn wir uns hier nur mit den krisentheoretischen Teilen des Buches beschäftigen, so geschieht dies nicht ausschließlich aus Platzgründen. „Die Schock-Strategie“ bietet gerade in Hinsicht auf die Fallbeispiele und einer Skizze der zunehmend autoritären Wende der kapitalistischen Staaten viel Wissenswertes. In politischer Hinsicht steht und fällt das von Klein zum Abschluss beworbene Projekt eines neuen Reformismus, der ganz in der Manier der globalisierungskritischen Linken nicht nur traditionelle sozialdemokratische Politikformen umfassen soll, sondern auch Basisinitiativen, NGO’s, Kooperativen, aber natürlich auch das Venezuela von Hugo Chavez als löbliche Beispiele benennt, allerdings mit ihrer Analyse des „Aufstiegs des Katastrophenkapitalismus“.
Dieses Modell bezeichnet Klein nicht mit dem so modischen, gleichzeitig aber unglaublich unpräzisen Begriff des Neoliberalismus, sondern mit dem des Korporatismus. Darunter versteht sie einerseits die „massive Umverteilung von öffentlichem Besitz in Privathände“ und andererseits die Indienstnahme des Staates durch die Kapitalisten selbst und dessen autoritäre Wende. Und hier schon verbirgt sich die Schwäche ihres Ansatzes, der personalisierend ein Bündnis gieriger Kapitalisten und zynischer marktgläubiger Ökonomen für die „neoliberale Wende“ verantwortlich macht. Und diese Verschwörung hat sogar einen Namen: Milton Friedman. Dabei kommt ihr zugute, dass sie an einer Aussage Friedmans selbst ansetzen kann, der Krisen die Funktion zuschrieb, dass aus ihnen echter Wandel hervorgehe, was in seiner Diktion das Zurückdrängen der wirtschaftlichen Staatsfunktionen bezeichnete. Nur: Ihre Schlussfolgerung daraus ist eine rein verschwörerische Vorstellung, auch wenn sie dies an mehreren Stellen bestreitet, die nicht nur zu einer Jubelarie des „goldenen Zeitalters“ verkommt, sondern auch die ökonomischen Hintergründe eher verdunkelt als beleuchtet. Denn warum, so muss gefragt werden, konnte eine gegenüber Krisen absolut unanfällige Wirtschaftsordnung, und so bezeichnet sie den Nachkriegskapitalismus mehrfach, durch die „Chicago Boys“ und einige politisch und wirtschaftlich einflussreiche Sympathisanten torpediert werden und warum konnte sich dieser Trend unter so verschiedenen Regimes wie dem vom ANC regierten Südafrika, den westlichen Demokratien, dem nationalrevolutionären China oder eben lateinamerikanischen Juntas durchsetzen?
Kleins Vorstellung ist dabei, dass fundamentale Krisen vor allem (und eigentlich ausschließlich) durch fehlende Kreditvergaben, wie etwa in Russland während der Jelzin-Ära hervorgerufen würden. Sie sind damit für sie nicht etwa Produkt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, sondern würden politisch kreiert werden. Der Keynesianismus hätte dies erkannt und die Krisen somit aus dem kapitalistischen Zyklus verbannt. Erst aufgrund der korporatistischen Verschwörer seien die tiefen ökonomischen Krisenerscheinungen in die Welt des Kapitalismus zurückgekehrt. „Je mehr die Welt seinen (denen Friedmans) Rezepten folgte,“ schreibt sie, „desto krisenanfälliger wurde das System und produzierte mehr und mehr GAUs, die Friedman als die einzigen Umstände identifiziert hatte, unter denen Regierungen noch mehr auf seine radikalen Ratschläge hören würden.“
Was dabei peinlich verschwiegen wird ist, dass der Siegeszug des „Katastrophenkapitalismus“ nur auf dem Boden des Bankrotts des „Gemischten Wirtschaftssystems“ in den 1970er Jahren gedeihen konnte. Die wegen tiefer Krisenerscheinungen erfolgte Kündigung des Bretton-Woods-Systems 1971, die galoppierende Inflation, die dramatische Verschuldung der öffentlichen Haushalte und nicht zuletzt die auch durch das „deficit spending“ nicht aufzuhaltende Zunahme der Arbeitslosigkeit – kein Wort darüber. Hier rächt sich, dass Klein das analytische Instrumentarium des Marxismus links liegen lässt. Der Zwang des Kapitals, immer mehr unproduktive Arbeit in die Mehrwertproduktion zu integrieren und so der Überakkumulation entgegenzuwirken, findet nur negativ in der Aburteilung sog. „sektiererischer Linker“ Erwähnung, aber keine Auseinandersetzung. Dass diese Ignoranz zumindest teilweiser Opportunität geschuldet sein könnte, ist sicherlich mehr als nur Spekulation.
So ist dieses Buch weniger in wissenschaftlicher, sondern in politischer Hinsicht interessant. Es bietet den Anhängern Kleins die Möglichkeit, den Sachzwanglitaneien entgegenzutreten ohne den Kapitalismus generell in Frage zu stellen. Heraus kommt ein letztlich zahnloses Werk, weil jeder neue Reformismus in einer sterbenden Ordnung keinen Spielraum mehr finden wird und weil die reformistischen Strömungen selbst nicht die politische Rechte des Proletariats repräsentieren, sondern eine bürgerliche Linke, die dem Zwang zu Angriffen auf das Proletariat genauso unterliegt wie die anderen politischen Fraktionen der Bourgeosie. So beweist der derzeitige wirtschaftspolitische Mainstream trotz seiner Apologie und seiner Menschenverachtung ein höheres Maß an Realismus als die neuen Reformisten, weil seine Protagonisten um die Grenzen kapitalistischer Akkumulation wissen. Auch die gefeierten Helden der Naomi Klein werden sich letztlich zu entscheiden haben zwischen der Seite des Kommunismus und der der Barbarei.
Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus; S. Fischer, Frankfurt/M. (2007); 763 S.; 22,90€.
G.
In der letzten Ausgabe der Weltrevolution (Nr. 146) veröffentlichten wir einen Bericht über verschiedene Diskussionen auf der Nürnberger Buchmesse im Dezember 2007. In diesem Bericht haben wir versucht, dem Leser einen Eindruck nicht nur von unseren eigenen Wortmeldungen auf den verschiedenen Veranstaltungen, sondern insgesamt von den Debatten und der Meinungsvielfalt dort zu vermitteln.
Inzwischen wurden wir von einem Leser angesprochen, der beanstandete, dass wir in diesem Artikel diverse, zum Teil recht kontroverse Meinungen wiedergegeben haben, ohne deutlich erkennen zu geben, ob wir diese Meinungen selbst teilen oder sie verwerfen. Die von dem Genossen kritisierten Stellen befinden sich im Abschnitt unter dem Zwischentitel: “RAF und Antisemitismus“. Es handelt sich dabei um unseren Bericht über die Vorstellung des Buches „Rote Armee Fiktion“ von Joachim Bruhn und Jan Gerber (Verlag ça ira, Freiburg im Breisgau). Dort haben wir tatsächlich verschiedene Äußerungen der Autoren dieses Buches wiedergegeben, ohne sie zu kommentieren - beispielsweise in Hinblick auf Jutta Ditfurths „Ulrike Meinhof-Biographie“ die Behauptung, dass diese Biographie das Niveau eines deutschen Klatschmagazins erreichen würde. Vor allem aber kritisierte der Genosse, dass wir der Wiedergabe dieser Buchvorstellung den besagten Zwischentitel „RAF und Antisemitismus“ vorangestellt haben, wodurch der Eindruck entstehen konnte, als ob wir die Einschätzung teilten, die RAF wäre antisemitisch gewesen.
Wir halten diese Einwände für berechtigt. Wir haben diesen Zwischentitel gewählt, weil dies das Thema der von ça ira abgehaltenen Veranstaltung war. Dass Bruhn und Gerber der Auffassung sind, dass die RAF antisemitisch war, steht zweifelsfrei fest. Was uns betrifft, so lag es gar nicht in unserer Absicht, uns dazu zu äußern, nicht zuletzt deswegen, weil wir uns noch gar nicht damit befasst haben. Insofern war der Zwischentitel irreführend und ist zu kritisieren. Was wir zu diesem Thema sagen wollten, haben wir auf der Veranstaltung bereits geäußert. Wir haben das in unserem Artikel wiedergegeben, und wir zitieren es an dieser Stelle erneut. „Was die Rolle des Antisemitismus betrifft, so hat bereits Trotzki darauf hingewiesen, wie dieser wesentlich zum System des Stalinismus gehörte und zur Stabilisierung des eigenen Regimes zielstrebig eingesetzt wurde.“ Inwieweit die RAF von der Ideologie des Stalinismus im Allgemeinen und von seinem Antisemitismus im Besonderen beeinflusst wurde, ist eine spannende Frage. Es würde sich sicher lohnen, sich näher damit zu befassen. Vielleicht können wir demnächst die Bücher von Ditfurth sowie von Bruhn und Gerber besprechen und in einem solchen Rahmen auch diese Frage untersuchen. In diesem Zusammenhang könnte man auch auf die Frage zurückkommen, inwiefern, wie Bruhn und Gerber behaupten, die RAF eine so genannte „leninistische“ Auffassung über die Rolle der Revolutionäre hatte. Soll heißen, dass sie glaubte, man müsse das revolutionäre Bewusstsein „von außen“ in die Arbeiterklasse hineintragen (eine Vorstellung übrigens, welche zuerst Kautsky entwickelt hatte, während Lenin diese Vorstellung nach kurzer Zeit überwand).
Ein anderer Kritikpunkt des Genossen war, dass wir in Bezug auf die Einführungen der Autoren, ohne das weiter konkret auszuführen, geschrieben haben: „In unseren Wortmeldungen unterstützten wir viele Aussagen der beiden Referenten.“ Auch diese Kritik ist berechtigt. Daher ergänzen wir unseren Bericht an dieser Stelle. Was wir unterstützt haben, waren im Wesentlichen deren Aussagen über den Terrorismus als kleinbürgerliche und ohnmächtige Revolte. Wir stimmten damit überein, dass der Terrorismus die Unfähigkeit zum Ausdruck bringt zu begreifen, dass die Zielscheiben der Terroristen lediglich „Charaktermasken“ darstellen, deren Eliminierung dem System absolut nicht weh tut. Wir haben die Wiedergabe unserer eigenen Wortmeldung nur deshalb um diese Punkte gekürzt, weil die Diskussion (zumindest solange wir anwesend waren) sich überhaupt nicht um diese Fragen drehte. Außerdem ging die Hauptachse unserer eigenen Intervention in eine andere Richtung: in die der Verteidigung der historischen Arbeiterbewegung gegen den Vorwurf des Antisemitismus bzw. der Verteidigung der Arbeiterklasse gegen den Vorwurf, in der kapitalistischen „Volksgemeinschaft“ aufzugehen.
Der ganze Geist der Kritik des Genossen an unserem Nürnberg-Artikel war eine solidarische, und wir sind ihm sehr dankbar dafür. Seine Hauptsorge war den Eindruck zu vermeiden, dass die IKS die Auffassungen der sog. Antideutschen teilt. Dazu sagte uns der Genosse, dass die „Antideutschen“ alle Prinzipien der Linken aufgegeben haben, indem sie zur Unterstützung des israelischen und amerikanischen Imperialismus aufrufen und die Linke pauschal als antisemitisch beschimpfen.
Wir teilen diese Ablehnung der „antideutschen“ Unterstützung einer imperialistischen Seite gegen eine andere in den räuberischen Konflikten der bürgerlichen Staaten untereinander. Eine solche Einstellung ist das genaue Gegenteil des proletarischen Internationalismus. Mit einer solchen Parteiergreifung stellt man sich selbst politisch auf die Seite des Imperialismus.
Wir teilen allerdings nicht die Auffassung, dass die „Antideutschen“ die Prinzipien der „Linken“ aufgegeben hätten. Wir sehen in der Einstellung der „Antideutschen“ vielmehr eine direkte Kontinuität mit dem „antiimperialistischen“ Spektrum, dem viele ihre Vordenker entstammen. Einst unterstützten sie – schon damals im Namen des Antifaschismus – den Ostblock, China oder Albanien gegen ihre imperialistischen Feinde, vornehmlich die USA. Heute umgekehrt, da die Vereinigten Staaten Gegner Deutschlands geworden sind. Damals unterstützten sie die palästinensische Seite gegen Israel. Heute umgekehrt. Das Wesentliche ihres Verhaltens bleibt. Denn das Wesentliche ist nicht, welche Seite man im imperialistischen Konflikt unterstützt. Wesentlich ist die Parteiergreifung für den Imperialismus an sich.
Als Ende der 1980er Jahre der „anti-imperialistischen“ Linken ihre „antifaschistischen Bollwerke“ verloren gingen, suchten viele von ihnen nach alternativen Bollwerken – anstatt ihren bisherigen bürgerlichen Politikansatz in Frage zu stellen. Manche klammerten sich an die letzten Überreste des Stalinismus, v.a. an Kuba. Andere wurden Unterstützer des islamischen Terrorismus. Und schließlich gab es jene, die in Israel eine neue antifaschistische Heimat gesucht und gefunden haben. Schließlich war der Antisemitismus ein Wesensmerkmal insbesondere des Nationalsozialismus. Diese neue Spielart des linken Antifaschismus in Deutschland stellt somit nichts prinzipiell Neues dar. Aber sie brachte zwei interessante Neuigkeiten mit sich. Zum einen musste das traditionelle anti-imperialistische und antifaschistische Milieu erfahren, wie sein ureigenes „Totschlagargument“, das da lautete: Wer kein Antifaschist ist, könnte ein Befürworter oder zumindest ein Leugner von Auschwitz sein (ein Argument, das es immer wieder gegen die Internationalisten, insbesondere die Linkskommunisten verwendete), nun gegen sie selbst verwendet wurde.
Zum anderen konnte der Übergang eingefleischter „Anti-Imperialisten“ ins Lager Israels nicht ohne seelische Krisen geschehen. Denn die werdenden „antideutschen“ Militanten mussten – jeder für sich – die Frage beantworten, weshalb sie erst jetzt Israel als Hort des Antifaschismus entdeckten, während sie es bis dahin oft genug als neben den USA wichtigsten Hort des Weltimperialismus, als eigentlichen Hauptfeind oder Nebenhauptfeind angesehen hatten. Mancher mag bei dieser Selbstprüfung eigene antisemitische Motive, eigene antisemitische Impulse entdeckt haben. Dieses psychologische Moment mag dazu beitragen, dass man in diesem Milieu geneigt ist, überall nur noch Antisemitismus zu erblicken. Und dennoch: Das Problem des Antisemitismus ist eine sehr wichtige Frage, mit der die historische Arbeiterbewegung sich auf Parteitagen und sogar auf internationalen Kongressen (z.B. in der 2. Internationale) befasst hatte. Und auch die Frage, welchen Einfluss antijüdische bzw. antisemitische Einflüsse auf die kapitalistische Linke ausgeübt haben und noch ausüben, ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern muss mit Ernst untersucht und diskutiert werden. NN.
Mit Unterstützung des US-Imperialismus erklärte sich die Provinz Kosovo, die einen Großteil des südlichen Serbiens ausmacht, jüngst von Serbien unabhängig. Damit rückt ein „Großalbanien“ näher, das auch Mazedonien im Osten umfassen würde, wodurch Serbien weiter zurückgedrängt werden würde. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind sehr weitreichend und schwerwiegend. Sie führen zu einer weiteren gefährlichen Destabilisierung der inter-imperialistischen Beziehungen. Im Kosovo selbst, in der 90 Prozent der Bevölkerung (1.9 Millionen Menschen) Albaner sind, sind drei serbische Kommunen, darunter die Stadt Mitrovica, geteilt. Ca. 120.000 Serben leben in dieser Region, die Serbien als sein historisches und ideelles Kernland betrachtet. Es spiegelt den Zerfall des Kapitalismus wider, dass diese Enklave Kosovo mit seiner darniederliegenden Wirtschaft, mit Massenarbeitslosigkeit, chronischer Korruption und Verbrecherunwesen „Nationalstaat“ genannt wird. Aber so sieht die Wirklichkeit der Nationen und des Nationalismus seit dem 1. Weltkrieg bis heute aus. Im Kosovo selbst, das nur so vor Waffen strotzt, sind seit zehn Jahren allein 17.000 Soldaten der Nato-Truppen stationiert; ihre Zahl soll um weitere 2.000 aufgestockt werden. Die Mitgliedsstaaten der „internationalen Gemeinschaft“ liegen sich mit ihren unterschiedlichen Stellungnahmen hinsichtlich des Kosovo heillos in den Haaren. Die EU, alles andere als eine „Union“, ist bei dieser Frage völlig gespalten. Bislang haben Frankreich, Großbritannien, Italien, die USA und Deutschland die Unabhängigkeitserklärung des Kovoso anerkannt. Russland, Griechenland, Slowakei, Bulgarien, Spanien, Rumänien und andere Staaten (Aserbaidschan, Sri Lanka und China), welche sich selbst mit Unabhängigkeitsbewegungen herumschlagen, stellen sich entschlossen dagegen. Die Opposition gegenüber dem neuen Zwergstaat Kosovo wird von dem wiedererstarkten russischen Imperialismus angeführt, welcher schon Vergeltung angedroht hat. Russland hatte schon Präzedenzfälle bei der Intervention in Georgien und Moldawien geschaffen. „Wir dürfen vor allem nicht vergessen, dass hinter dem serbischen Nationalismus der russische Imperialismus steckt“, schrieb Rosa Luxemburg in ihrer Juniusbroschüre. Auch wenn es wenig wahrscheinlich erscheint, dass Russland unter den jetzigen Bedingungen militärisch eingreift, darf man nicht vergessen, dass der Krieg 1999 in eine militärische Beinahe-Konfrontation zwischen russischen und Nato-Truppen auf dem Flughafen von Kosovo, Pristina, endete. Und obgleich er ein direktes militärisches Eingreifen Russlands ausschloss, sprach der Befehlshaber der EU-Kräfte in Bosnien dennoch letzten November von der Notwendigkeit für Europa, direkt militärisch intervenieren zu können, falls es „zu einem neuen Krieg“ kommt (The Observer, 18.11.07).
Die komplexe Struktur des Balkans, seiner Staaten, seiner Politik und Kultur ist sehr verwirrend. Immer wieder suchen Kriege den Balkan heim, seitdem der Kapitalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Menschheit in eine Reihe von immer größeren und ausgedehnteren Kriegen gestürzt hat. Seitdem spiegelt der Balkan die Entwicklung des Imperialismus wider; eine Entwicklung, die nur in einem globalen und historischen Zusammenhang begriffen werden kann. In dieser Region kam diese neue Epoche des Imperialismus 1914 am stärksten zum Tragen. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand war der Auftakt für die Auseinandersetzungen, welche in den 1. Weltkrieg mündeten. Der Balkan war ein Hauptschauplatz der sich zuspitzenden Barbarei im 2. Weltkrieg; dort wurden auch die Rivalitäten zwischen den beiden imperialistischen Blöcken zwischen 1945 und 1989 ausgetragen. Er spielte eine Schlüsselrolle in den 1990er Jahren während der chaotischen Kriege nach dem Zusammenbruch der alten Blockstrukturen. Rosa Luxemburg erfasste die Lage in ihrer Junius-Broschüre vollkommen, die sie 1915, ein Jahr nach Kriegsbeginn, verfasste: „Isoliert für sich und formal betrachtet, waren die jungen Balkanstaaten in ihrem guten historischen Recht, führten das alte demokratische Programm des Nationalstaates durch. In dem realen historischen Zusammenhang jedoch, der den Balkan zum Brennpunkt und Wetterwinkel der imperialistischen Weltpolitik gemacht hat, waren auch die Balkankriege objektiv nur ein Fragment der allgemeinen Auseinandersetzung, ein Glied in der verhängnisvollen Kette jener Geschehnisse, die zu dem heutigen Weltkrieg mit fataler Notwendigkeit geführt haben“ (Ges. Werke, Bd 4, S. 141). Die Schüsse von Sarajevo leiteten 1914 den 1. Weltkrieg ein, weil sie die imperialistischen Bündnisse auf den Plan riefen, die schon seit langem ihre Messer wetzten, um in der Region die Vorherrschaft auszuüben: Serbien, Russland, Großbritannien und Frankreich auf der einen Seite, Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich auf anderen Seite. Am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die imperialistischen Spannungen verschärft. Nach dem Auseinanderbrechen von Jugoslawien 1991 ließ Deutschland die Jagdhunde des Nationalismus in der Region los, als es offen Slowenien und Kroatien unterstützte. Großbritannien, Russland und Frankreich schauten aufgrund ihrer eigenen, entgegengesetzten imperialistischen Interessen weg, als Milosovic und seine Kohorten, die großserbischen Nationalisten, ethnische Säuberungen praktizierten. Stattdessen gaben sie ihm bei diesen Verbrechen Rückendeckung. Und die USA errichteten und bewaffneten ihre eigenen nationalistischen Banden (in Bosnien), um den Winkelzügen ihrer imperialistischen Rivalen (d.h. all der anderen) Paroli zu bieten. Dank ihrer „humanitären“ Luftwaffe gelang es ihnen, im Krieg von 1999 die Oberhand zu gewinnen. Mindestens 10.000 Albanier wurden getötet und ca. 800.000 wurden bei dem brutalen Vorgehen des serbischen Präsidenten Milosevic 1989/1999 vertrieben. Mit Hilfe der Nato (die in diesem Falle die Interessen der USA verfolgte) vertrieb man die Serben 1999 durch Luftangriffe aus dem Kosovo. Dabei übte die albanische Bourgeoisie mittels der Befreiungsarmee Kosovos (KLA) blutige Rache und bereitete die Grundlagen für die jüngste „Unabhängigkeitserklärung“ vor. Die Bildung des neuen Staates Kosovo wird die nationalistischen Spannungen auf dem Balkan nicht aus der Welt schaffen. Im Gegenteil – der Prozess der Balkanisierung (die Entstehung von kleinen, nicht überlebensfähigen Staaten) ging in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer einher mit dem Abgleiten in den Krieg. Und dieser Prozess ist auch Teil der grauenvollen Dynamik in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts. Für die Arbeiterklasse der Region sind die euphorischen Unabhängigkeitserklärungen der albanischen Nationalisten oder die Gegenreaktion der pro-serbischen Kräfte (die schon zu gewalttätigen Zusammenstößen an der serbisch-kosovarischen Grenze und zu Angriffen auf die US-Botschaft in Belgrad geführt haben) gefährlich und reaktionär. Sie dienen nur dazu, die Ausgebeuteten und Unterdrückten in die schmutzigen Auseinandersetzungen zwischen ihren Ausbeutern und Unterdrückern zu verstricken. Baboon 1.3.08
Wir haben dieses Flugblatt gegen die laufende Militäroperation der türkischen Armee in Kurdistan erhalten. Es wurde von den Genossen der EKS verteilt.
Die türkische Armee hat eine Offensive gestartet, um die PKK auszulöschen, oder genauer gesagt: sie hat den Krieg wieder aufgenommen. Dieses blutige Spiel wiederholt sich zum erneuten Male, seit die Türkei 1983 erstmals in den Irak einmarschiert war.
Die Behauptung, dieser Krieg habe das Ziel, den „Terror“ zu stoppen, ist eine Lüge. Entspräche dies der Wahrheit, dann hätte dieses Ziel bereits durch die „Operationen“ erreicht werden müssen, welche seit 1983 unternommen worden waren. Der türkische Staat hat aber auch in den letzten Jahren, als die PKK[1] schwach war und Tayyip Erdogan[2] sogar im Fernsehen behaupten konnte, der Terror sei praktisch beendet, solche Militäroperationen unternommen. Talibani und Barsani, die heute als Feinde betrachtet werden, waren lange Zeit Verbündete der türkischen Armee. Die türkische Armee hatte gemeinsam Militäroperationen mit ihnen unternommen. Der wirkliche Grund für diesen Krieg ist die Installation einer neuen Kontrolle im Mittleren Osten durch die neu gebildete Allianz zwischen dem türkischen Imperialismus und den USA. Diese Allianz, von der MHP[3] zwischen der „weltlichen“ hochrangigen Bürokratie und der „demokratischen“ AKP[4] eingefädelt, bedeutet verschleiert die Wahl eines Lagers in der imperialistischen Arena. Es wurde die Seite der USA gewählt, die darauf bedacht sind, ihre undisziplinierten Verbündeten wieder zu zügeln und die Kontrolle über das Öl gegen alle Begehrlicheiten der imperialistischen Rivalen China, Russland und Iran aufrechtzuerhalten. Die lange Zeit schwankende AKP hat schlussendlich diese Seite gewählt und das Einverständnis für den Krieg im Parlament absegnen lassen. Doch all dies ist nur ein erster Schritt des türkischen Imperialismus zur Vorbereitung weiterer Kriege und zur Aufheizung der Lage.Dieser Krieg ist Ausdruck der kriegerischen Spirale im Kapitalismus. Kapitalistische Staaten stürzen sich nicht freiwillig in den Krieg; es ist vielmehr die ausweglose Sackgasse, in der sich der Kapitalismus befindet, die sie dazu treibt. Seit dem Ersten Weltkrieg hat der Kapitalismus der ganzen Welt nur Kriege gebracht. Alle „nationalen Befreiungskriege“, alle Kriege zwischen Ländern, aus welchem Grund auch immer, sind angetrieben von der Zerstörung des akkumulierten Kapitals und der Arbeiterklasse der feindlichen Staaten.
Die heuchlerischen Aufrufe der DTP[5] und der Linksliberalen aus ihren komfortablen Sesseln helfen keinesfalls, den Krieg zu beenden. Denn dieser Krieg hat seine Gründe nicht in einer mangelnden „demokratischen Lösung“ oder in den schlechten Absichten der Bürokratie, sondern in der Ausweglosigkeit des Kapitalismus. Noch schlimmer ist, dass diese Aufrufe einen möglichen Widerstand in den Reihen der Arbeiterklasse gegen den Krieg schwächen. Denn sie stoßen die ArbeiterInnen, welche den Krieg für die Interessen des imperialistischen Staates ablehnen, in die Arme der angeblich „demokratischeren“, „gutgesinnten“ und „friedliebenden“ Parteien, gegen den „bösen und aggressiven“ Teufel „Bürokratie“. All diese demokratisch-kapitalistischen Träume werden den Krieg nicht beenden, sondern nur die Arbeiter auf die sich als „besser“ darstellende Seite ziehen.
Dieser Krieg ist nicht der Krieg der Lohnabhängigen. Dieser Krieg ist nicht der Krieg derjenigen, deren Lebensbedingungen durch die kapitalistische Krise nach unten gedrückt werden, die mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert sind, die bis zum Umfallen auf Schiffswerften arbeiten und Knochenjobs ausüben oder die den ganzen Arbeitstag von 6 bis 16 Uhr ihrer Pensionierung entgegenfiebern. Es ist auch nicht der Krieg der Arbeiter und Hausfrauen oder der Studenten, den künftigen ArbeiterInnen oder Arbeitslosen. Genauso wenig ist es der Krieg der Soldaten, die an der Front sterben. Ganz im Gegenteil verstärken Kriege nur das Elend, die Arbeitslosigkeit, die Armut und den sozialen Zerfall, welche durch die Krise des Kapitalismus erzeugt werden. Das Resultat dieser „Operation“ sind bombardierte Dörfer, gefallene Soldaten oder Bombenexplosionen in den großen Städten. Dieser Krieg wird im Namen des Nationalismus ein verstärktes Elend sowie einen gesellschaftlichen Zerfall mit sich bringen. Diesen Krieg stoppen kann lediglich die Solidarität zwischen den türkischen und kurdischen Arbeitern, die 25 Jahre lang im Interesse der Bosse und des Kapitals betrogen wurden. Der Erste Weltkrieg wurde durch eine weltrevolutionäre Welle beendet. Die Soldaten an der Front und die ArbeiterInnen richteten sich gemeinsam gegen die herrschende Klasse im eigenen Land und nicht mehr gegen die Klassenbrüder und -schwestern in den anderen Ländern. In den 1960er Jahren wurde ein drohender 3. Weltkrieg durch die Entschlossenheit und den Kampfgeist der weltweiten Arbeiterklasse verhindert. Heute kann die Arbeiterklasse, die noch mehr oder weniger defensiv ist, nicht mehr still bleiben angesichts der kapitalistischen Barbarei, die sich gegen sie ausbreitet!
Gegen alle Ausbeuter, die Krieg oder „Frieden“ unterstützen!Es lebe die Klassensolidarität!Es lebe die internationale Solidarität in der Arbeiterklasse!
Vor genau 40 Jahren, am 22. März 1968, begann in Nanterre in einem westlichen Vorort von Paris, eine der Hauptepisoden der internationalen Geschichte seit dem 2. Weltkrieg, die von den Medien und den französischen Politikern als die „Ereignisse von 1968" bezeichnet werden. Als solche waren die Ereignisse jenes Tages nichts Besonderes. Um gegen die Verhaftung eines linksextremen Studenten der Universität Nanterre zu protestieren, der unter dem Verdacht stand, an einem Attentat gegen ein Büro von American Express in Paris zu einem Zeitpunkt beteiligt gewesen zu sein, als in Paris viele gewalttätige Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg stattfanden, hielten 300 seiner Kommilitonen ein Treffen in einem Hörsaal ab. 142 von ihnen beschlossen die nächtliche Besetzung des Gebäudes des Akademischen Rates der Universität. Die Studenten der Uni Nanterre hatten nicht zum ersten Mal ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht. So war es kurz zuvor schon zu einem Konflikt zwischen Studenten und Polizisten wegen des Zugangs zum Studentenheim der Studentinnen gekommen, dessen Zugang den männlichen Studenten verboten war. Am 16. März 1967 hatte eine Versammlung von 500 Studenten, ARCUN, die Abschaffung der Hausordnung beschlossen, die unter anderem besagte, dass die Studentinnen (auch die Volljährigen, was damals erst mit 21 Jahren der Fall war) weiterhin als Minderjährige anzusehen seien. Daraufhin hatte die Polizei am 21. März 1967 auf das Verlangen der Uni-Verwaltung hin das Studentinnenwohnheim umzingelt, um dort 150 Studenten festzunehmen, die sich in deren Gebäude befanden und sich in der obersten Etage verbarrikadiert hatten. Aber am nächsten Tag waren die Polizisten selbst von mehreren Tausend Studenten umzingelt worden. Diese hatten daraufhin den Befehl erhalten, die verbarrikadierten Studenten ohne irgendeine Belästigung abziehen zu lassen. Aber sowohl dieser Vorfall als auch andere Demonstrationen der Studenten, in denen sie ihre Wut abließen, insbesondere gegen den im Herbst 1967 verkündeten ‚Fouchet-Plan’ der Universitätsreform blieben ohne Folgen. Nach dem 22. März 1968 verlief aber alles anders. Innerhalb weniger Wochen sollte eine Reihe von Ereignissen nicht nur zur größten Studentenmobilisierung seit dem Krieg führen, sondern auch zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung: Mehr als 9 Millionen Beschäftigte legten nahezu einen Monat lang die Arbeit nieder.
Im Gegensatz zu dem jetzt schon verbreiteten Gerede waren aus kommunistischer Sicht die Studentenproteste, auch wenn diese noch so massiv und ‚radikal’ waren, nicht das Bedeutendste an den ‚Ereignissen von 1968’ in Frankreich, sondern die Arbeiterstreiks standen an herausragendster Stelle; ihnen kommt eine große historische Bedeutung zu. Wir werden diese Frage in unserer Zeitung in weiteren Artikeln aufgreifen. In diesem Artikel werden wir uns darauf beschränken, die Studentenproteste der damaligen Zeit zu untersuchen, insbesondere um deren Bedeutung zu beleuchten.
Bevor sie das Gebäude verließen, beschlossen die 142 Besetzer des Akademischen Rates der Uni die Bildung einer Bewegung des 22. März (M22), um so die Agitation aufrechtzuerhalten und sie voranzutreiben. Es handelte sich um eine informelle Bewegung, der zu Beginn die Trotzkisten der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und die Anarchisten (zu ihnen gehörte unter anderem Daniel Cohn-Bendit) angehörten; Ende April traten ihnen die Maoisten der Union der marxistisch-leninistischen kommunistischen Jugend (UCJML) bei. Insgesamt beteiligten sich in den darauf folgenden Wochen ca. 1200 Studenten daran. An den Wänden der Universität tauchten mehr und mehr Plakate und Graffitis auf: „Professoren, Ihr seid alt und Eure Kultur ebenso."; „Lasst uns leben!", „Nehmt Eure Wünsche für Wirklichkeit!" Die M22 kündigte für den 29. März einen Tag der „kritischen Universität" an und trat damit in die Fußstapfen der deutschen Studenten. Der Universitätsrektor beschloss die Schließung der Universität bis zum 1. April, aber die Agitation flammte sofort wieder nach der Öffnung der Universität auf. Vor 1000 Studenten erklärte Cohn-Bendit: „Wir wollen nicht die zukünftigen Manager der kapitalistischen Ausbeutung sein." Die meisten Lehrenden reagierten ziemlich konservativ: Am 22. April verlangten 18 von ihnen, darunter „linke Dozenten", „Maßnahmen und Mittel, damit die Agitatoren entlarvt und bestraft" werden. Der Rektor beschloss eine Reihe von Repressionsmaßnahmen, insbesondere gestattete er der Polizei freien Zugang und Bewegungsfreiheit auf dem Unigelände. Gleichzeitig hetzte die Presse gegen die „Wütenden", die „Sekten" und „Anarchisten". Die „Kommunistische" Partei Frankreichs hieb in die gleiche Kerbe: Am 26. April kam Pierre Juquin, Mitglied des Zentralkomitees, zu einem Treffen in Nanterre: „Die Störenfriede, die wohlbetuchte Muttersöhnchen sind, hindern die Arbeiterkinder daran, ihre Prüfungen abzulegen." Er konnte seine Rede nicht zu Ende bringen, sondern musste stattdessen die Flucht antreten. In der Humanité vom 3. Mai, hetzte dann Georges Marchais, die Nummer 2 der PCF, wiederum: „Diese falschen Revolutionäre müssen energisch entlarvt werden, denn objektiv dienen sie den Interessen der Macht der Gaullisten und der großen kapitalistischen Monopole."
Auf dem Unigelände in Nanterre kam es immer häufiger zu Schlägereien zwischen linksextremen Studenten und faschistischen Gruppen, die aus Paris angereist waren, um „Bolschewiki zu verprügeln". In Anbetracht dieser Lage beschloss der Rektor am 2. Mai die Universität erneut zu schließen, die danach von der Polizei abgeriegelt wurde. Die Studenten von Nanterre beschlossen am darauf folgenden Tag eine Versammlung im Hof der Universität Sorbonne abzuhalten, um gegen die Schließung der Universität und gegen die disziplinarischen Maßnahmen gegen 8 Mitglieder der M22, darunter Cohn-Bendit, durch den Akademischen Rat zu protestieren.
An dem Treffen nahmen nur 300 Leute teil. Die meisten Studenten bereiteten aktiv ihre Jahresabschlussprüfungen vor. Aber die Regierung, die die Agitation endgültig auslöschen wollte, wollte zu einem großen Schlag ausholen, als sie die Besetzung des Quartier Latin (Univiertel in Paris) und die Umzingelung der Sorbonne durch die Polizei anordnete. Die Polizei drang zum ersten Mal seit Jahrhunderten in die Universität Sorbonne ein. Den Studenten, die sich in die Sorbonne zurückgezogen hatten, wurde freies Geleit zugesagt. Und während die Studentinnen unbehelligt abziehen konnten, wurden die Studenten systematisch in Polizeiwagen verfrachtet, sobald sie das Unigelände verlassen hatten. In Windeseile versammelten sich Hunderte von Studenten auf dem Platz der Sorbonne und beschimpften die Polizisten. Die Polizei schoss mit Tränengas auf die Studenten. Die Studenten wurden gewaltsam von dem Platz vertrieben, aber im Gegenzug fingen immer mehr Studenten an, die Polizisten und ihre Fahrzeuge einzukreisen. Die Zusammenstöße dauerten an jenem Abend vier Stunden: 72 Polizisten wurden verletzt, 400 Demonstranten verhaftet. In den darauf folgenden Tagen riegelte die Polizei das Gelände der Sorbonne vollständig ab. Gleichzeitig wurden vier Studenten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Diese Politik der „entschlossenen Hand" bewirkte jedoch das Gegenteil dessen, was die Regierung von ihr erhoffte: anstatt die Agitation zu beenden, wurde diese noch massiver. Ab Montag, dem 6. Mai kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit den um die Sorbonne zusammengezogenen Polizeikräften und den zahlenmäßig immer größer werdenden Demonstrationen, zu denen von der M22, UNFEF (Studentische Gewerkschaft) und Snesup (Gewerkschaft des Uni-Lehrkörpers) aufgerufen wurde. Bis zu 45.000 Studenten beteiligten sich an ihnen mit dem Schlachtruf „Die Sorbonne gehört in die Hände der Studenten", „Bullen raus aus dem Quartier Latin", und vor allem „Befreit unsere Genossen". Den Studenten schlossen sich immer mehr Schüler, Lehrer, Arbeiter und Arbeitslose an. Am 7. Mai überschritten die Demonstrationszüge überraschenderweise die Seine und zogen die Champs-Elysées entlang und drangen bis in die Nähe des Präsidentenpalastes vor. Die Internationale wurde unter dem Triumphbogen angestimmt, dort wo man meistens die Marseillaise hört oder Totengeläut. Die Demonstrationen griffen auch auf einige Provinzstädte über. Die Regierung wollte einen Beweis für ihren guten Willen zeigen und öffnete die Universität von Nanterre am 10. Mai. Am Abend des gleichen Tages strömten Zehntausende von Demonstranten im Quartier Latin zusammen und fanden sich den Polizeikräften gegenüber, die die Sorbonne abgeriegelt hatten. Um 21 Uhr fingen einigen Demonstranten an, Barrikaden zu errichten (insgesamt wurden ca. 60 errichtet). Um Mitternacht wurde eine Delegation von drei Studenten (unter ihnen Cohn-Bendit) von dem Rektor der Akademie von Paris empfangen. Der Rektor stimmte der Wiedereröffnung der Sorbonne zu, konnte aber keine Versprechungen hinsichtlich der Freilassung der am 3. Mai verhafteten Studenten machen. Um zwei Uhr morgens starteten die CRS (Bürgerkriegspolizei) den Sturm auf die Barrikaden, nachdem sie zuvor viele Tränengasgeschosse auf sie gefeuert hatten. Die Zusammenstöße verliefen sehr gewalttätig; Hunderte von Menschen wurden auf beiden Seiten verletzt. Mehr als 500 Demonstranten wurden verhaftet. Im Quartier Latin bekundeten viele Anwohner ihre Sympathie mit den Demonstranten; sie ließen sie in ihre Wohnungen rein oder schütteten Wasser auf die Straße, um sie vor dem Tränengas und den anderen Geschossen der Polizei zu schützen. All diese Ereignisse, insbesondere die Berichte über die Brutalität der Repressionskräfte, wurden im Radio permanent von Hunderttausenden Menschen verfolgt. Um sechs Uhr morgens ‚herrschte Ordnung’ im Quartier Latin, das wie von einem Tornado durchpflügt schien.
Am 11. Mai war die Empörung in Paris und in ganz Frankreich riesengroß. Die Menschen strömten überall zu spontanen Demonstrationszügen zusammen. Diesen schlossen sich nicht nur Studenten sondern Hunderttausende anderer Demonstranten mit unterschiedlichster Herkunft an, insbesondere junge Arbeiter oder Eltern von Studenten. In der Provinz wurden viele Universitäten besetzt; überall auf den Straßen, auf den Plätzen fing man an zu diskutieren und verurteilte die Haltung der Repressionskräfte.
In Anbetracht dieser Entwicklung kündigte der Premierminister Georges Pompidou abends an, dass vom 13. Mai an, die Polizeikräfte aus dem Quartier Latin abzuziehen, die Sorbonne wieder zu öffnen und die verhafteten Studenten freizulassen sind.
Am gleichen Tag riefen die Gewerkschaftszentralen, die CGT eingeschlossen (die bis dahin die ‚linksextremen’ Studenten angeprangert hatten), sowie einige Polizeigewerkschaften zum Streik und Demonstrationen für den 13. Mai auf, um gegen die Repression und die Regierungspolitik zu protestieren.
Am 13. Mai fanden in allen Städten des Landes die größten Demonstrationen seit dem 2. Weltkrieg statt. Die Arbeiterklasse beteiligte sich massiv an der Seite der Studenten. Einer der am meisten verbreiteten Schlachtrufe lautete „10 Jahre, das reicht" (man bezog sich auf den 13. Mai 1958, als De Gaulle wieder die Macht übernommen hatte). Am Ende der Demonstrationen wurden fast alle Universitäten nicht nur von den Studenten besetzt, sondern auch von vielen jungen Arbeitern. Überall ergriff man das Wort. Die Diskussionen begrenzten sich nicht nur auf die universitären Fragen oder die Repression. Man fing an, alle möglichen gesellschaftlichen Fragen aufzugreifen: die Arbeitsbedingungen, die Ausbeutung, die Zukunft der Gesellschaft.
Am 14. Mai gingen die Diskussionen in vielen Betrieben weiter. Nach den gewaltigen Demonstrationen am Vorabend, die den ganzen Enthusiasmus und ein Gefühl der Stärke zum Vorschein gebracht hatten, war es schwierig die Arbeit wieder aufzunehmen, so als ob nichts passiert wäre. In Nantes traten die Beschäftigen von Sud-Aviation in einen spontanen Streik und beschlossen die Besetzung des Werkes. Vor allem die jüngeren Beschäftigten trieben die Bewegung voran. Die Arbeiterklasse war auf den Plan getreten.
In Anbetracht der weiteren Ereignisse, die zur gewaltigen Mobilisierung am 13. Mai 1968 führte, wurde schnell klar, dass nicht so sehr die Aktionen der Studenten für das Ausmaß der ganzen Mobilisierung verantwortlich waren, sondern die Behörden selbst, die ständig nur Öl aufs Feuer gossen, bevor sie jammernd den Rückzug antraten. Die Studentenkämpfe in Frankreich waren vor der Eskalation der Kämpfe im Mai 1968 weit weniger massiv und tiefgreifend als die Studentenproteste in vielen anderen Ländern, insbesondere den USA und Deutschland.
Im größten Land der Erde, den USA, entfalteten sich damals ab 1964 die massivsten und radikalsten Bewegungen jener Zeit. Insbesondere in der Universität in Berkeley, im Norden Kaliforniens, breiteten sich die Studentenproteste zum ersten Mal in größeren Umfang aus. Die von den Studenten erhobene Hauptforderung war die der „free speech movement" (Bewegung für Redefreiheit) zugunsten der freien politischen Äußerung (insbesondere gegen den Vietnamkrieg und gegen die Rassentrennung) in den Universitäten. Anfänglich reagierten die Behörden sehr repressiv, insbesondere durch den Einsatz von Polizeikräften gegen die „sit-ins", die friedliche Besetzung der Uniräume, wobei 800 Studenten verhaftet wurden. Anfang 1965 gestatteten die Universitäten politische Aktivitäten an den Unis, die damit zu einem Hauptzentrum des Studentenprotestes in den USA wurden. Gleichzeitig wurde damals Ronald Reagan 1965 unerwartet zum Gouverneur von Kalifornien mit der Parole gewählt „Räumen wir mit der Unordnung in Berkely auf". Die Bewegung erlebte einen mächtigen Auftrieb und radikalisierte sich in den darauf folgenden Jahren durch die Proteste gegen die Rassentrennung, für die Verteidigung der Frauenrechte und vor allem gegen den Vietnamkrieg. Während gleichzeitig viele junge Amerikaner, vor allem Studenten, scharenweise ins Ausland flüchteten, um einer Einberufung nach Vietnam zu entgehen, wurden die meisten Universitäten des Landes meist zum Schauplatz von Antikriegsbewegungen, während gleichzeitig die gewaltsamen Aufstände in den schwarzen Ghettos der Großstädte aufflammten (der Anteil junger Schwarzer, die in den Vietnamkrieg geschickt wurden, lag viel höher als der nationale Durchschnitt der nach Vietnam-Einberufenen). Vom 23. bis 30. April 1968 wurde die Columbia-Universität von New York aus Protest gegen die Zusammenarbeit mit dem Pentagon und aus Solidarität mit den Bewohnern des schwarzen Ghettos von Harlem besetzt. Dies war ein Höhepunkt des Studentenprotestes in den USA, die Ende August in Chicago einen ihrer gewalttätigsten Momente erlebten, als es zu großen gewaltsamen Auseinandersetzungen anlässlich der Konferenz der Demokratischen Partei kam.
In vielen anderen Ländern entwickelten sich damals ebenso Studentenproteste:
Japan: Von 1965 an protestierten Studenten gegen den Vietnamkrieg, insbesondere unter Mitwirkung der Zengakuren, die äußerst gewalttätige Zusammenstöße mit der Polizei organisierten. 1968 verbreiteten sie die Parole: „Wandeln wir den Kanda [Universitätsviertel von Tokio] in ein Quartier Latin um."
Großbritannien: Es fing schon Ende 1967 in der sehr respektablen „London School of Economics" an zu brodeln, die eine Hochburg der bürgerlichen Wirtschaftsschulen ist, wo die Studenten gegen die Nominierung einer Persönlichkeit zum Präsidenten ihrer Schule protestierten, die für ihre Beziehungen zum rassistischen Regime des damaligen Rhodesiens und Südafrikas bekannt war. Die Proteste gingen 1968 weiter, insbesondere mit massiven Protesten gegen die Botschaft der USA, während sich gleichzeitig andere Universitäten, insbesondere Cambridge, ihnen anschlossen. Hunderte Studenten wurden verletzt oder verhaftet.
Italien: Im März kam es zu zahlreichen Studentenprotesten, insbesondere in Rom, die sich insbesondere gegen den Vietnamkrieg und auch gegen die Politik der Universitätsleitungen richteten.
Spanien: Ebenso im März wurde die Universität in Madrid endgültig geschlossen, um die Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg und das Franco-Regime abzuwürgen.
Deutschland: Ab 1967 entfalteten sich Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg. Der Einfluss der linken Studentenorganisation SDS, der aus einer Abspaltung von der SPD hervorging, wuchs ständig. Die Bewegung radikalisierte sich und nahm nach dem Attentat gegen Rudi Dutschke in Berlin massive Formen an. Das Attentat wurde von einem Mann ausgeübt, der durch die Hetzkampagne der Springerpresse aufgestachelt worden war. Mehrere Wochen lang wirkte die Studentenbewegung in Deutschland als Bezugspunkt für all die Studentenproteste in den meisten europäischen Ländern, bevor sich dann der Blick auf Frankreich richtete.
Diese Liste ist sicherlich nicht erschöpfend. Viele Länder der Peripherie wurden 1968 ebenfalls von den Protesten erfasst (unter anderem Brasilien und die Türkei). Aber besonders erwähnt werden muss Mexiko, wo sich im Sommer eine starke Protestbewegung entfaltete, die blutig niedergeschlagen wurde (mehrere Dutzend Tote, wahrscheinlich Hunderte, die auf dem Platz der drei Kulturen Tlatelolco in Mexico-City am 2. Oktober massakriert wurden), damit die Olympischen Spiel ohne Störungen am 12. Oktober beginnen könnten.
Ein Merkmal dieser ganzen Bewegung war natürlich vor allem die Ablehnung des Vietnamkrieges. Aber während man eigentlich hätte erwarten können, dass die stalinistischen Parteien, die mit dem Regime in Hanoi und Moskau verbunden waren, wie zuvor bei den Antikriegsbewegungen während des Koreakrieges zu Beginn der 1950er Jahre, die Führung dieser Bewegung übernehmen würden, geschah dieses nicht. Im Gegenteil; diese Parteien verfügten praktisch über keinen Einfluss, und sehr oft standen sie im völligen Gegensatz zu den Bewegungen. Dies war eines der Merkmale der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre; es zeigte die tiefgreifende Bedeutung auf, die ihnen zukommen sollte, was wir im nächsten Artikel behandeln wollen.
Fabienne, März 2008, aus unserer Zeitung Révolution Internationale, Organ der IKS in Frankreich
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Die drohenden Entlassungen sind keine Einzelsituation der Arbeiter im Tessin oder beim SBB Cargo Betrieb. Auf internationaler Ebene ist die Arbeiterklasse in den letzten Jahren immer heftiger unter Druck. Sie hat aber auch international darauf reagiert. Erinnern wir uns an den Streik der deutschen Eisenbahner im November 2007 der heute noch schwelt. Erinnern wir uns: Als Airbus vor genau einem Jahr den Abbau von 10`000 Arbeitsplätzen vor allem in Frankreich, Spanien, Grossbritannien und Deutschland ankündigte, kam es als Antwort der Beschäftigten zu grossen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Zur selben Zeit traten beim deutschen Telekom Konzern 12`000 Beschäftigte in den Streik. Die Liste liesse sich buchstäblich um Beispiele aus allen Kontinenten erweitern, bei denen sich dasselbe abgespielt hat: Der Kapitalismus wälzt seine Krise auf die Arbeiterklasse ab, doch diese nimmt es nicht mehr geduckt hin.
Die Schweizer Regierung hat auf ihre Art postwendend auf den spontan ausgebrochenen Arbeitskampf reagiert. Was von der Regierung als „straffes Reinemachen" in der SBB Cargo Führung angekündigt wird ist ein Ablenkungsmanöver: Es werden „schuldige Köpfe" im Management gesucht, welche die Verantwortung tragen. Eine andere Management-Strategie hätte angeblich Gewinne bringen können. Die Manager gilt es gewiss nicht zu verteidigen, doch das Problem liegt bei weitem tiefer als bei der Unfähigkeit einiger Manager. Die gleiche Sündenbock-Strategie finden wir bei den als „Stützpfeiler" der Schweizer Wirtschaft geltenden Banken. UBS-Chef Ospel habe eine allzu riskante Investitionspolitik betrieben. Die Schuld auf sich zu nehmen fällt einem Top-Manger leicht, der auch in Zeiten von Milliardenabschreibungen Millionen in den eigenen Sack streichen kann. Was die Regierung mit dieser Politik der Jagd nach „Schuldigen" will, ist mit allen Mittel verbergen, dass es ihr System ist, der Kapitalismus, der eine Sackgasse darstellt. Der Kapitalismus treibt heute die Menschheit nicht nur in ökonomische Verarmung, sondern er kann auch seine eigene Dynamik von Krise, Krieg und ökologischer Zerstörung nicht aufhalten.
Klar ist, auch wenn der Streik der Belegschaft von SBB Cargo in Bellinzona zahlenmässig noch gering ist, so haben die Vertreter des Kapitalismus in der heutigen Krisensituation Angst: sie fürchten ein Übergreifen des Selbstvertrauens der Arbeiter in Bellinzona auf andere Sektoren der Arbeiterklasse. Der Warnstreik der Cargo Belegschaft im Werk Fribourg vom 12. März und die breite Solidarität aus den Reihen der Arbeiterklasse im Tessin zeigen dieses Potential deutlich. Deshalb hat die Regierung mit dem Sozialdemokraten Leuenberger an der Spitze nicht zugewartet und sofort zu einem gross angelegten Erpressungsmanöver angesetzt. Fünf Tage nach Streikbeginn, am 12. März, inszeniert Verkehrsminister Leuenberger ein Treffen in Bern mit SBB Führungsspitze und Vertretern der Tessiner Regierung. Letztere präsentieren sich heuchlerisch als die Vertreter der Streikenden, weil sie die an der Urne gewählten „Repräsentanten des Tessiner Volkes" seien!
Das Resultat ist eine reine Erpressung: Der Belegschaft in Bellinzona wird versprochen vorerst die angedrohten Kündigungen aufs Eis zu legen um an einem „Runden Tisch" die Sache später gütlich zu bereinigen. Alles aber unter einer Bedingung: Die Belegschaft soll den Streik sofort beenden! Im Klartext: Die Streikenden sollen also ihre einzige Stärke die sie besitzen, die gemeinsame Solidarität und die Entschlossenheit sich gegen die Angriffe zu wehren, beiseite legen. Erst wenn sie in die Knie gegangen sind, sich selbst ihrer Kraft beraubt haben, dann wird über ihre Forderungen gesprochen. Wie das Prozedere weitergehen soll formulierte SBB Chef Meyer deutlich: Verhandlungen im kleinen Kreis - Bundesrat, Tessiner Regierung, SBB Führung und Eisenbahnergewerkschaft SEV.
Der SEV hat nach dem Treffen am 12. März der Regierung auch sofort versprochen die streikenden Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zu ermuntern und diese Bedingungen anzunehmen. Nicht verwunderlich, die Gewerkschaften sind heute fester Teil des bürgerlichen Staatsapparates und keine Organe der Arbeiterklasse. Mit diesem Erpressungsmanöver wollen uns Regierung, SBB-Führung und Gewerkschaften vormachen, der wirkliche Ort zur Verteidigung unserer Interessen seien Verhandlungen hinter geschlossenen Türen - zwischen Vertretern des bürgerlichen Staates! Die Arbeiter sollen danach die neue Version der ausgehandelten Sanierungspläne - sprich Personalabbau - als Sieg verstehen.
Mit einem gesunden Misstrauen hat die Streikversammlung bei SBB Cargo in Bellinzona am 13. März diesen scheinheiligen Vorschlägen eine klare Absage erteilt. Die Stärke der Arbeiterklasse liegt nicht im Glauben an leere Versprechungen sondern in unserem eigenen Kampf, den wir selbst in unsere Hände nehmen - so wie es die Belegschaft bisher gezeigt hat.
Der Streik im SBB Werk Bellinzona hat eine starke Welle der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse in der Region ausgelöst. Nicht nur die direkt betroffene Belegschaft von SBB Cargo, sondern auch alle anderen Lohnabhängigen wissen genau, dass dieser Angriff auch sie betrifft. Mit der grossen Demonstration vom 8. März, einen Tag nach Streikbeginn, haben die Arbeiter sofort einen richtigen Schritt gemacht: Raus aus der Isolation des eigenen Betriebes, damit sich auch andere Lohnabhängige anschliessen können. Einige Tausend haben ihre Solidarität mit der Cargo Belegschaft gezeigt. In den Medien wurde dies verfälscht: Es seien vor allem „Gewerkschafter und lokale Politiker" gewesen die sich dem Kampf angeschlossen hätten, es sei eine Tessiner „Volksbewegung" und kein Kampf der Arbeiterklasse.
Tatsächlich ist die gesamte Garde der bürgerlichen Parteien im Tessin, von Links bis zur rechten Lega dei Ticinesi, sofort auf den Zug aufgesprungen und hat sich als grosse Freunde der Streikenden präsentiert. Sie versuchen das Steuer an sich zu reissen. Die Tessiner Regierungsräte eilen entrüstet nach Bern um dort „den Kanton Tessin" gegen die Politik aus Bern zu verteidigen. Die bürgerliche Stadtregierung von Lugano und Bellinzona spenden mehrere Zehntausend Franken in die Streikkasse. Urplötzlich mausern sich Parteien, die mit uns wahrlich nichts am Hut haben, zu beflissenen Advokaten der Arbeiterklasse. Dies ist keine wirkliche Solidarität, sondern ein abgekartetes Spiel! Denn es geht in diesem Kampf nicht um eine Auseinandersetzung zwischen dem Kanton Tessin und der Berner Landesregierung auf der anderen Seite der Alpen, wie dies Tessiner Lokalpolitiker behaupten. Es ist ein Angriff auf die Arbeiterklasse. Wenn heute die SBB Arbeiter in der Südschweiz betroffen sind, ist dies nur eine Vorankündigung der Angriffe die auch ihre Kollegen in allen anderen Regionen erwartet.
Die lokalen Vertreter des Kapitals versuchen mit diesem Manöver folgendes zu erreichen:
- Sie wollen den Streik so schnell als möglich unter ihre eigene Kontrolle bringen und möglichst nach ihren Bedingungen beenden die sie in Bern aushandeln.
- Sie versuchen den Arbeitskampf der Cargo-Belegschaft in die Bahnen der bürgerlichen Politik zu drängen, um ihre eigene Position in Bern zu verstärken.
- Drittens wollen sie das Gesicht ihrer Parteien gegenüber den Arbeitern aufpolieren.
- Und das Wichtigste: sie wollen den Streik den Arbeitern aus den Händen reissen indem sie ihn von der Ebene „Arbeiterklasse gegen Kapitalismus" auf die Bühne „Region gegen Zentralregierung" lenken.
Schon vor 12 Jahren konnte man bei der Schliessung der Cardinal Brauerei in Fribourg dasselbe Spiel beobachten. Die lokale Regierung und Parteien von Links bis Rechts, versuchten es als einen „Angriff auf die Region" darzustellen. Auch 2006, im jurassischen Reconvilier bei Swissmetall, waren die Streikenden mit dieser lokalpatriotischen „Solidarität" konfrontiert, welche das Ziel verfolgt, den Arbeitskampf vom Klassenterrain wegzuführen und im lokalistischen Sumpf zu ersticken. Die Arbeiterklasse hat vom Lokalpatriotismus nie einen Nutzen. Die herrschende Klasse im Tessin versucht den Kampf der Cargo Arbeiter mit dieser Farbe zu übertünchen. Wir müssen uns gegen solche Manöver stemmen indem wir unsere Stärke in der Einheit mit allen anderen Beschäftigten suchen, egal in welcher Region oder in welchem Land.
Die Diskussion ob der Betrieb rentabel sei oder nicht, ist ein Verschleierungsmanöver der Gewerkschaften gegenüber der tiefsitzenden kapitalistischen Krise. Sie behaupten „Wir sind deshalb gegen Entlassungen weil der Betrieb nicht wie behauptet rote Zahlen schreibt, sondern sich die Produktion lohnt". Genau das haben Exponenten der Sozialdemokratie wie Nationalrätin Carobbio und Gewerkschafter in Bezug auf den Standort Bellinzona behauptet. Mit anderen Worten: Wenn es wirkliche Verluste gibt sind Entlassungen notwendig und unvermeidlich. Aber für die Arbeiterklasse ist die Frage ob sie sich gegen Entlassungen wehrt nicht an die Rentabilität ihres Betriebes gebunden, es ist schlicht eine Frage des Überlebens!
Die Eisenbahnergewerkschaft SEV hat als traditionell staatstreue Gewerkschaft mit ihrem sofortigen Einschwenken in die Bedingungen des Verkehrsministers Leuenberger nicht überrascht. Es wird ihr auch kaum gelingen die Kontrolle über den Streik in die Hände zu bekommen. Der SEV hat das Feld daher sofort der UNIA überlassen, die als radikal auftretende Gewerkschaft das wirksamere trojanische Pferd in den Reihen der Streikenden ist. Die Arbeiter dürfen sich nicht von den kämpferischen Parolen der UNIA blenden lassen! Ihre Sabotage gegen die Tendenz zur Solidarität unter allen Beschäftigten besteht meist darin Kämpfe entweder lokal zu isolieren bis den Streikenden die Kraft ausgeht (z. B. Swissmetall Reconvillier) oder Mobilisierungen aufzugleisen, die sich strikte nur in den Grenzen des Berufes oder der Sparte bewegen (Bauarbeiterstreik im Winter 2007). Am Ende handeln sie mit Unternehmern und Regierung hinter geschlossenen Türen neue Vorschläge zur Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse aus.
Eine beliebte Vorgehensweise, wie man die Initiative aus der Hand der Arbeiter nimmt, hat die UNIA in Reconvillier gezeigt. Man spaltete die Arbeiter in Radikale und Verhandlungswillige. Diese Spaltung schwächte den Kampf enorm und die UNIA neutralisierte den ursprünglich eigenständigen Kampf der Arbeiter in Reconvillier zu Gunsten einer klaren Unterwerfung der Arbeiterinteressen unter die Kapitallogik. Gegen eine solche Spaltung kann man nur vorgehen, wenn die Arbeiterklasse geeint kämpft und sich nicht in sogenannte Radikale und Gemässigte spalten lässt. Wie die nächsten Schritte des Kampfes (oder des geordneten Rückzugs) aussehen, soll breitest möglich abgestützt von den Vollversammlungen der Arbeiter bestimmt werden.
Wenn möglich sollten die Arbeiter von SBB Cargo den Kampf weiter Ausweiten, und versuchen sich mit anderen Teilen der Arbeiterklasse zusammenschliessen, welche die gleiche Wut über ihre missliche Lage im Bauch haben. Nur die Einheit mit allen anderen Arbeitern ist ein Mittel gegen die Sabotage durch den Lokalpatriotismus und gegen die Erpressungsmanöver der Kapitalisten.
Der Kampf der Cargo Arbeiter ist Ausdruck des wachsenden Bewusstseins in der Arbeiterklasse, dass sie sich gegen die zunehmenden Angriffe des Kapitals wehren muss. Das Zurückdrängen der Angriffe gelingt hier den Cargo Arbeitern aber auch nur, wenn sie weiterhin versucht den Kampf selber in den Händen zu behalten und kein Vertrauen in ihre angeblichen Freunde wie die Gewerkschaften und Politiker hat.
15. 3. 2008
Internationale Kommunistische Strömung / IKS
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In den Jahren nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion gab es einen gemeinsamen Tenor in den Medien, der Wissenschaft und sogar in Teilen der arbeitenden Bevölkerung: „Der Kommunismus ist tot!“ und „Marx hatte unrecht – der Kapitalismus ist das beste Gesellschaftssystem!“ Wer damals auch nur die Begriffe „Marx“ oder „klassenlose Gesellschaft“ in den Mund nahm, erntete bestensfalls ein müdes Lächeln.
Nun, 19 Jahre nach dem Fall der Mauer, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Am 14. März 2008 jährte sich der Todestag von Karl Marx, dem – neben Friedrich Engels – Begründer des wissenschaftlichen Sozialismu, zum 125. Mal. Ob im Radio oder im Fernsehen, überall erscheinen aus diesem Anlass Interviews und Berichte über Marx und seine Bedeutung für heute. Eine interessante Entwicklung... Interessant ist auch, wie man über ihn spricht - jetzt, wo sich die Abgründe der Finanzkrise immer mehr auftun, wo die Beschäftigten länger und für weniger Geld arbeiten müssen, wo so getan wird, als sei es unverschämt, wenn ArbeiterInnen für Gehaltserhöhungen streiken, obwohl selbst die paar Prozent mehr Lohn nicht einmal die allgemeinen Preissteigerungen und die Inflation ausgleichen. Wie sprechen die Medien heute also über Marx? Marx habe wie kein anderer die kapitalistische Funktionsweise untersucht und offengelegt. Er habe Stärken wie Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise verstanden und erklärt. Vermutlich sei er der größte Ökonom des 19. Jahrhunderts, wenn nicht gar der Geschichte insgesamt gewesen. So weit, so gut. Dann jedoch folgt das große ABER. Karl Marx habe zwei Seelen in seiner Brust gehabt. Neben der Kapitalismuskritik, die begrüßenswert sei, sei er auch noch für eine Art „radikale Demokratie“ gewesen. Er habe allen Ernstes die Selbstbestimmung jedes Einzelnen im Einklang mit sich, allen Mitmenschen und der Natur gefordert. Dies aber sei eine Utopie. Was wollen uns die bürgerlichen „Marxologen“ damit also sagen? Marx habe zwar Recht damit, den Kapitalismus zu kritisieren, aber der Kampf für die Überwindung eben dieses Systems, sprich: der revolutionäre Klassenkampf, sei eine Utopie, die man lieber bleiben lassen solle. Marx‘ Leben war ein permanentes Ringen – theoretisch wie praktisch – gegen die bestehenden Verhältnisse und für die klassenlose Gesellschaft, ob in der I. Internationale, in seinen Schriften oder auf den Barrikaden 1848. Nicht von ungefähr schrieb Marx: „Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Interessant ist auch, dass immer öfter zu vernehmen ist, dass das Regime im Ostblock kein Kommunismus gewesen sei, da es ja weiterhin Klassen (Staat vs. ArbeiterInnen), Lohnarbeit und (verstaatlichtes) Kapital gegeben habe. Daher habe das Modell des so genannten Realsozialismus mit den Zielen von Marx und des Marxismus nichts zu tun gehabt. Die Tatsache, dass nach Jahren der totalen Diffamierung von Marx derselbe in Ansätzen wieder positiver dargestellt wird, ist kein Zufall. Es hat sehr viel damit zu tun, dass die Krise des Kapitalismus immer mehr eskaliert und mit den Händen zu greifen ist. Einerseits macht sich diese Erkenntnis in Perspektivlosigkeit und Depression bemerkbar. Andererseits sieht man eine Entwicklung in der Arbeiterklasse, die sich in einem Verlust an Illusionen und in einer Suche nach ehrlichen Antworten, echter Veränderung ausdrückt. Diese Antwort gaben Marx und Engels bereits 1847 im Kommunistischen Manifest, Antworten, die gerade heute nicht richtiger sein könnten: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ In diesem Sinn ist Karl Marx heute für die weltweite Arbeiterklasse überaus wichtig. Und in diesem Sinne gedenken wir, entgegen dem Tenor in den bürgerlichen Medien, Marx eben nicht nur wegen seiner Verdienste in der Kapitalismus-Kritik, sondern auch und gerade als einen großartigen Mitstreiter für die Befreiung der ganzen Menschheit, für die Sache des Kommunismus.
Leserbrief:
Sehr geehrte Autoren,Ich verfolge schon seit längerer Zeit immer wieder die Artikel Ihrer Seite, doch ein Artikel hat mich veranlasst, Ihnen zu schreiben. Ich las gerade den Artikel "Klimakatastrophe: Der Kapitalismus ist verantwortlich für die Klimaerwärmung". Schön und gut. Davon abgesehen, dass ich mit der Aussage des Titels übereinstimme, wirft der Text einige Fragen auf.Es wird unablässig auf das kapitalistische Weltsystem geschimpft und mächtig Stimmung gegen die herrschende Klasse gemacht. Das soll auch so sein, doch warum werden dort keine Lösungsvorschläge dargelegt? Der Kommunismus wird lediglich als Universallösung für unsere Probleme angeboten, ohne das dem Leser klar wird, wie genau eine solche kommunistische Alternative im Bereich der Klimapolitik aussehen soll. Dass das nach bloßer marxistischer Hetze gegen die bestehenden Verhältnisse aussieht, dürfte doch eigentlich jedem ersichtlich sein.Diese Stimmungsmache zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch vieleIhrer Texte, sondern allgemein durch linke Stellungnahmen. Dadurch werden den Liberalen und generell unserer Ideologie feindlich gesinnten Menschen derart viele Angriffspunkte geliefert, dass es um die Glaubwürdigkeit der Linken und die Überzeugungskraft ihrer nicht vorhandenen Argumente bei den Zuhörern und Lesern wirklich schlecht bestellt ist.
Wo sind die Argumente geblieben? Die wasserdichten Argumentationsstrukturen, die jeglichen Einwänden und niveaulosen Kritiken der Kapitalisten standhalten?
So kann es mit Ihrer noch so hoch angepriesenen Weltrevolution wahrlich kein gutes Ende nehmen, wenn denn gar auf dieser Grundlage ein Anfang gemacht werden kann, der zu eben diesem Ende zu führen vermag. Mit freundlichen GrüßenDer BrandenburgerAntwort der IKS
Lieber BrandenburgerVielen Dank für Ihre Zuschrift. Wenn wir richtig gelesen haben, stimmen Sie mit uns damit überein, dass der Kapitalismus für die Klimakatastrophe verantwortlich ist und dass der Kommunismus dafür eine Lösung bieten kann. Sie bemängeln aber, dass die Umrisse einer alternativen kommunistischen Klimapolitik, welche imstande wäre, die jetzt zunehmende Bedrohung auf diesem Gebiet abzuwenden, von uns niemals konkretisiert werden. Sie äußern zudem die Befürchtung, dass unsere Behandlung der Frage, die es bei allgemeinen Losungen und Stimmungsmache belassen würde, die Argumente der Kommunisten im Verruf bringen werden.Wenn nicht alles täuscht, verbindet uns somit eine gemeinsame Kritik am Kapitalismus – auch und gerade in der „Klimapolitik“ - sowie einen gemeinsamen Lösungsansatz. Daher begrüßen wir ausdrücklich Ihre Sorge um die Glaubwürdigkeit der kommunistischen Alternative.Es bleibt immerhin die Frage, was man unter einer kommunistischen Alternative überhaupt zu verstehen hat. Es gibt viele linke Kritiker des Kapitalismus, welche sich beispielsweise zur Wahl stellen oder außerparlamentarisch eine Reform des Kapitalismus einfordern, dabei Forderungslisten aufstellen und mit wasserdichten Argumente zu untermauern versuchen. Diese Forderungen sind an und für sich oft sinnvoll: die Förderung von „erneuerbaren Energien“ etwa, des öffentlichen Verkehrs auf Kosten des Individualverkehrs, die Beseitigung des unsinnigen Hin-und-Her-Transportierens von Güten oder der Schutz und Ausbau der Regenwälder wie des Waldes überhaupt. Das Besondere am Lösungsansatz des Kommunismus liegt nicht etwa darin, dass wir bessere Einzellösungen hätten als Andere. Das Besondere liegt vielmehr in der Überzeugung begründet, dass der Kapitalismus nicht reformierbar ist. Das Besondere liegt in der Einsicht, dass die vielen von der Wissenschaft, von der Ökologie bereits ausgearbeiteten Lösungsansätze nur greifen können, nachdem die größte Umwälzung in der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat. Eine Umwälzung, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen zueinander ebenso radikal verändert wie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wir sind damit einverstanden, dass man die kommunistische Lösung konkretisieren muss, auch und gerade in der Klimapolitik. Die schwache Stellung der kommunistische Alternative im Bewusstsein der Menschen von heute liegt vor allem darin begründet, dass die meisten Menschen Kommunismus mit Stalinismus oder mit einem linksradikalen Reformismus verwechseln. Soll heißen, sie glauben, der Lösungsansatz der Kommunisten liege darin, anstelle der Anarchie des Konkurrenzkampfes der Kapitalisten untereinander die lenkende Hand des Staates zu setzen. An diese Alternative zweifeln gerade viele arbeitende Menschen, die ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem Staat gemacht haben. Sie zweifeln zu Recht daran, dass die Staaten dieser Welt diesem Konkurrenzkampf weniger unterworfen sind wie der Einzelkapitalist. Der Sieg der sozialdemokratischen und stalinistischen Konterrevolution über die revolutionäre Arbeiterklasse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die marxistische Kritik an der kapitalistischen Zerstörung der natürlichen Grundlagen unserer Gesellschaft bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Aber aus dieser Kritik erst ergibt sich die Überzeugungskraft des Kommunismus.Dabei hat bereits Marx erkannt, dass die Umweltzerstörung durch den Menschen keineswegs erst mit dem Kapitalismus eingesetzt hat. Der Marxismus hat bereits im 19. Jahrhundert nachgewiesen, wie Hochkulturen immer wieder nicht zuletzt an dem zugrunde gegangen sind, was man heutzutage Umweltzerstörung nennt.Für uns liegen die tieferen Wurzeln der Umweltkatastrophe in der Beherrschung des Menschen durch die Ökonomie. Mit anderen Worten, dieses Problem ist in der Notwendigkeit des Kampfes unserer Gesellschaft um das nackte Überleben begründet. Daher entstand das Problem sogar lange vor der Entstehung der ersten Klassengesellschaften. Zwar steht es außer Frage, dass die klassenlosen Urgesellschaften in der Regel viel „umweltfreundlicher“ und ökologisch „nachhaltiger“ waren als die darauffolgenden, auf Ausbeutung beruhenden Strukturen. Aber bereits in der Zeit der Urgesellschaft scheint die Artenvielfalt aufgrund menschliches Einwirken gelitten zu haben. Vor allem dort, wo der gesellschaftliche Mensch sich nicht über Jahrtausende an seine natürliche Umgebung allmählich anpassen konnte, sondern im Prozess der Besiedlung neuer Weltteile und Lebensräume sich behaupten musste, scheint dies der Fall gewesen zu sein. Denn der Aufstieg der Menschheit geschah nicht planmäßig und bewusst, sondern urwüchsig, von der Hand in den Mund im Kampf ums tägliche Überleben. So entstanden denn auch, unabhängig vom Willen der geschichtlichen Akteure, gesellschaftliche Arbeitsteilung, Ausbeutung, Warenwirtschaft und schließlich Kapitalismus. Ein Prozess, welcher die Menschheit immer mehr von der Natur entfremdete, um dann im Kapitalismus alle natürlichen Ressourcen, einschließlich des Menschen selbst, zu Waren zu degradieren. Dieser Prozess hat die kulturellen, wissenschaftlichen, technischen Voraussetzungen dafür geschaffen, um den Kampf ums nackte Überleben überflüssig zu machen. Was so viel bedeutet, dass die Menschheit, von der Diktatur der Ökonomie befreit, zum ersten Mal imstande ist, ihre gesellschaftlichen Verhältnisse zur Natur bewusst und planmäßig zu gestalten. Was dann alles möglich sein wird, klingt nur im Rahmen der heutigen Gesellschaft „utopisch“. Und da können wir gern „konkret“ werden – wohl wissend, dass unsere diesbezüglichen Argumente stets die Einwände der Anhänger des Kapitalismus hervorrufen werden. Dazu gehört beispielsweise nicht nur das Verschwinden der heutigen Megastädte, sondern überhaupt das Verschwinden des Gegensatzes zwischen Stadt und Land bzw. die Ausbeutung des Landes durch die Stadt. Wie auf anderen Gebieten, so wird es auch auf der Ebene der Umweltpolitik eine Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus geben müssen. Während dieser Phase wird es vornehmlich darum gehen, die aus der Vorgeschichte der Menschheit übernommenen, v.a. die vom Kapitalismus verursachten Schäden nach Möglichkeit zu reparieren bzw. wieder gutzumachen. Gerade auf diesem Gebiet wird der Übergang lang und schwierig sein. Gerade in dieser Phase wird es für das revolutionäre Proletariat lebenswichtig sein, alle heute bestehenden Einsichten und Vorschläge sowie alle, die noch kommen werden, kritisch zu prüfen und gegebenenfalls auszuprobieren. Die revolutionäre Klasse sollte jetzt schon beginnen, sich mit dieser Materie zu befassen, um sich auf die Aufgabe der Führung und Umgestaltung der Welt vorzubereiten. Es wäre in der Tat notwendig und auch faszinierend (ohne sich zu „verspekulieren“), solche Möglichkeiten zu konkretisieren, die man z.B. nach einer solchen Machtergreifung auf Weltebene als erstes in Auge fassen sollte. Vielleicht haben Sie selbst konkrete Vorschläge auf diesem Gebiet zu machen, die uns allen weiterhelfen können. Wichtig dabei ist aber, eine Leitlinie zu besitzen, ein Richtschnur. Diese kann aus unserer Sicht nur in dem Ziel bestehen, welches einem solchen Übergang dient. Dieses Ziel besteht in der Schaffung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Not, ohne Konkurrenz. Eine bewusste und einheitlich gelenkte Gesellschaft muss es sein, denn nur eine solche Gesellschaft kann erreichen, was unsere Meinung nach zum „Minimalprogramm“, zur unverzichtbaren Grundlage einer realistischen Klima- und Umweltpolitik der Moderne gehört: nämlich die bewusste Wiedereingliederung der Menschheit als Teil der Natur in die Gesamtheit der Umwelt, das Wiedererlangen eines „ökologischen Gleichgewichts“ auf höherer Ebene.
Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/11/151/nationale-lage-deutschland
[2] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/soziale-foren
[3] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/antiglobalisierung
[4] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/deutschland
[5] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/europa
[6] https://de.internationalism.org/tag/3/43/imperialismus
[7] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/irak
[8] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterkampf
[9] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/mai-1968-frankreich
[10] https://de.internationalism.org/files/de/sbb_cargo.pdf
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[13] https://de.internationalism.org/tag/nationale-situationen/nationale-lage-der-schweiz
[14] https://de.internationalism.org/tag/3/45/kommunismus
[15] https://de.internationalism.org/tag/3/52/umwelt