Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Weltrevolution - 2000s > Weltrevolution - 2009 > Weltrevolution Nr. 154

Weltrevolution Nr. 154

  • 2686 Aufrufe

Als Antwort auf die Krise: internationale Arbeitersolidarität

  • 2178 Aufrufe

Ende April warnten Politiker wie der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Sommer oder die Kandidatin der Sozialdemokratie für das deutsche Staatspräsidentenamt Gesine Schwan vor der Gefahr von großen sozialen Unruhen aufgrund der Schwere der jetzigen Wirtschaftskrise und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Als kurz darauf die Maifeiern in Berlin und Hamburg durch besonders gewaltsame Zusammenstöße mit der Staatsmacht auffielen, warfen Politiker der Christdemokraten Sommer und Schwan Verantwortungslosigkeit vor. Ihre Mahnungen hatten – so der Vorwurf – den Teufel an die Wand gemalt, die Gefahr heraufbeschworen, wovor sie warnen wollten. Sie hätten darüber hinaus den „Krawallen“ von Berlin und Hamburg Legitimität verliehen, indem sie am Vorabend des 1. Mai die Verbindung zwischen Krise, „sozialer Ungerechtigkeit“ und sozialen Protesten hergestellt hatten.

Diese aufgeregt inszenierte Debatte innerhalb der politischen Kaste hat natürlich auch etwas mit Wahlkampf zu tun. Schließlich stehen nicht nur die Wahl des Bundespräsidenten oder die Europawahlen an; im September wird der Bundestag neu gewählt. Und dennoch verrät das Ganze eine gewisse Nervosität innerhalb der herrschenden Klasse. Wie groß ist die Gefahr des Klassenkampfes, und wie soll man damit umgehen?

Was ist mit der Antwort der Arbeiterklasse?

Nicht nur die Vertreter des Kapitals befassen sich mit dieser Frage. Auch diejenigen Minderheiten innerhalb der Arbeiterklasse, welche das kapitalistische System für das eigentliche Problem halten und es entsprechend bekämpfen wollen, werden nervös. Es geht die Sorge um, dass die Antwort der Lohnabhängigen auf die tiefste Krise in der Geschichte des Kapitalismus nicht auf der Höhe der Zeit ist. Deutlich vernehmbar sind inzwischen die Stimmen aus dem Lager der proletarischen Linken, die sich darüber beklagen, dass die Kämpfe bisher zu wünschen übrig lassen. Man beklagt das niedrige Niveau des Widerstandes vor allem im „eigenen“ Land, was verständlich ist. Bezeichnenderweise werden diese Warnungen oft an die Hoffnung gekoppelt, dass die Entwicklung in anderen Ländern – etwa in Griechenland oder Frankreich – weiter sein mag. Man setzt also – zu recht – auf die internationale Dimension des Klassenkampfes (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Denn gerade dort, wo der Blick für den internationalen Charakter des Widerstandes fehlt, kann sich rasch ein Gefühl der Verzweifelung breit machen. Einer der Gründe, weshalb ein Teil der proletarischen Jugend sich in die ritualisierte Gewalt der „Maikrawalle“ hinein ziehen lässt, mag gerade in dem Fehlen dieses internationalen Blickwinkels zu suchen sein. Die herrschende Klasse hat davon profitiert, um Klassenkampf mit purer Gewaltentladung gleichzusetzen, welche keine Perspektive entwickelt oder zur Debatte stellt, und keine organisierte, kollektive Kraftentfaltung ermöglicht. Wir werden vor die falsche Alternative gestellt zwischen „Riots“ und braven gewerkschaftlichen Sonntagspredigten (so ein Artikel in Der Spiegel vom 27. April, welcher die soziale Lage in Deutschland unter dem Titel „schwer entflammbar“ umschreibt).

Tatsächlich: Noch ist der proletarische Klassenkampf nicht auf der Höhe der Zeit. Woran liegt das? Der Spiegel hat den üblichen Verdächtigen ausgemacht. „Deutsche mögen es harmonisch. Sie mögen den Chef vielleicht nicht, aber muss man es ihm gleich sagen? Konsens-Menschen.“ Dieses Argument überzeugt nicht. Denn die Schwierigkeiten des Klassenkampfes sind international. Aber der besagte Artikel führt noch einen anderen Grund an, welcher auch für andere Industriestaaten gelten kann: Die Herrschenden versuchen, auf Zeit zu spielen. Durch Konjunkturprogramme, Abwrackprämie, Kurzarbeitergeld, astronomische Neuverschuldung werden die schlimmsten Angriffe ein wenig hinausgeschoben. Freilich haben die Hoffnungen der Regierenden auf einen zwar schmerzhaften, aber kurzen Konjunktureinbruch sich in Luft aufgelöst. Somit ist das Problem der sozialen Konfrontationen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Aber gerade in Deutschland kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Die bevorstehenden Bundestagswahlen. Die bürgerliche Klasse tut das Mögliche, um die schlimmsten Angriffe bis nach den Wahlen hinauszuschieben, damit sie der vollen Wucht der Angriffe eine demokratische Legitimität der dann neu gewählten Regierung verleihen kann. Darüber hinaus hilft der Wahlkampf hier und jetzt, den Klassenkampf wie auch ein kritisches Nachdenken über das System zu bremsen. Die Illusion wird verbreitet, die Bevölkerung könne selbst, an der Wahlurne entscheiden zwischen mehr oder weniger „Sozialstaat“, indem sie zwischen „Neoliberalen“ und „Keynesianern“ wählt. In dieser Hinsicht war eine Truppe wie die Linkspartei von Lafontaine und Gysi für das Kapital nie so wertvoll wie heute.

Aber das Zögern der Arbeiterklasse angesichts der Notwendigkeiten des Klassenkampfes hat auch andere, tiefere Gründe. Das Proletariat ist nicht wie der Hund in den Experimenten des Naturwissenschaftlers Pavlow, welcher auf bestimmte Reize wie vorprogrammiert mit einem bestimmten Reaktionsmuster reagiert – etwa: auf einen gewissen Grad der Angriffe mit einem gewissen Niveau von Kämpfen. Sondern: Die Proletarier sind Menschen, und als solche perspektivisch denkende, in die Zukunft gerichtete Wesen. Als solche reagieren sie nicht nur auf die unmittelbare Situation. Die Proletarierinnen und Proletarier haben Kinder und denken nicht nur an sich sondern an die Aussichten der kommenden Generation. Hier ist es entscheidend wichtig, in Betracht zu ziehen, dass die Klasse in den letzten Jahren – intensiviert in den letzten 18 Monaten der Krisenverschärfung – mit einem radikalen Perspektivenwechsel fertig werden muss. Es geht um die Realisierung, dass es weltweit und in absehbarer Zukunft keine Besserung, sondern nur noch Verschlechterungen im Los der Lohnabhängigen geben wird; dass es im Kampf nur noch um die Abwehr des Schlimmsten gehen wird. Das ist ein Schock, der erst verdaut werden will, welcher zunächst lähmend wirken kann. Angst kommt auf, was erst einmal nicht gerade förderlich für die Entwicklung des Bewusstseins ist – ein Prozess, welcher Zuversicht und das Gefühl der eigenen Stärke braucht. Auch werden solche unangenehmen Wahrheiten zunächst einmal gerne verdrängt. Jedoch werden die Unerbittlichkeit der Krise, das Ausmaß der Angriffe und die Perspektivlosigkeit der Sackgasse, in welche der Kapitalismus die Menschheit geführt hat, auf Dauer weder Verdrängung noch Ausweichen dulden. Da die heutige Generation des Weltproletariats keine entscheidende Niederlage erlitten hat, und heute die Unterstützung einer neuen, unverbrauchten Generation der Arbeiterklasse erhält, wird sich die Klasse der Herausforderung des Kampfes stellen müssen und auch stellen können. Auch gibt es keine andere Perspektive als den Kampf der Lohnabhängigen selbst gegen ihre eigene Ausbeutung.

Die Antwort der Klasse: Internationale Solidarität

Dieser Kampf ist nicht nur Zukunftsmusik. Er hat bereits begonnen. Die Auseinandersetzungen, die sich heute vor unseren Augen abspielen, die zumeist so unspektakulär daher kommen, sie enthalten die Keime der Zukunft. Es stimmt, vielfach verhalten sich die Betroffenen noch wie Bittsteller, voller Illusionen, auf die Hilfe des kapitalistischen Staates und die Gnade neuer Investoren hoffend, wie bei Opel, Schäffler oder auf den Schiffswerften. Aber auch diese Illusionen werden durch die Realität bald gnadenlos zertrampelt. Zugleich vermehren sich die Zeichen, dass bereits die Kämpfe von heute Kennzeichen der neuen Phase, des neuen Blickwinkels aufweisen. So der derzeitige Kampf der Beschäftigten in den Kindertagesstätten. Bemerkenswert an dieser Auseinandersetzung ist nicht allein, dass ein Sektor der Arbeiterklasse zum ersten Mal überhaupt Kampferfahrung sammelt. Bezeichnend ist auch, dass es dabei nicht nur um das Lohnniveau und nicht nur um das Ummittelbare geht, sondern um die langfristige Gesundheit der Beschäftigten, um die Arbeitsbedingungen und um das Wohl der Kinder.

Bezeichnend ist aber auch das Vorgehen der herrschenden Klasse. So haben die europäischen Gewerkschaften Mitte Mai Demonstrationen in verschiedenen europäischen Hauptstädten – so Madrid, Brüssel, Berlin oder Prag – organisiert. Die Gewerkschaften geben sich somit den Anschein von Radikalität und sogar von Internationalismus. Solche Aktionen dienen als Demonstration der Macht und der Unerlässlichkeit der Gewerkschaften, nach dem Motto: ‚Wer außer uns mit unserem Apparat ist imstande, solche internationalen Verbindungen herzustellen?’ Angesichts von bevorstehenden Werksschließungen bei dem international operierenden Reifenhersteller Continental haben die Gewerkschaften 1,500 Betroffene aus Frankreich zu einer gemeinsamen Kundgebung nach Hannover gebracht. Bei dieser scheininternationalistischen Aktion ging es den Gewerkschaften auch darum, eine „firmeneigene“ Form der Solidarität anzubieten, welche die Beschäftigten letztendlich an ihre unmittelbaren Ausbeuter bindet, sie davon abhält, an das Nächstliegende zu denken, nämlich auf eigene Faust zu versuchen, ihren Kampf auf andere von Entlassungen betroffene Betriebe in der Region auszudehnen. Denn ein wirklich internationaler Kampf kann nur von unten, selbstorganisiert entstehen. Dennoch scheint es uns bezeichnend, dass die Herrschenden und ihre Gewerkschaften in der heutigen Zeit sich überhaupt genötigt sehen, diese Frage des Internationalismus überhaupt aufzugreifen. Sie greifen sie auf, um zu versuchen, sie zu entstellen und kaputtzumachen. Aber sie greifen sie auf, weil sie sie aufgreifen müssen. Denn noch nie waren die weltweiten Dimensionen der Krise des Systems und die Wucht der Angriffe gegen die Arbeiterklasse so sehr mit Händen zu greifen wie heute. Als sich bei Continental in Hannover die Demonstrationszüge aus Deutschland und Frankreich trafen, brach spontaner Jubel aus. Gerade auf der „deutschen“ Seite war die Freude groß. Denn in Punkto Klassenkampf blickt man zu Frankreich auf und hofft auf die Unterstützung, ja auf das führende Beispiel der Klassenschwestern- und Brüder von der anderen Rheinseite. Derweil treffen sich an den deutschen Universitäten und noch mehr in den Schulen kleine aber kämpferische Minderheiten, welche sich von dem Widerstand der proletarischen Jugend in Frankreich und Griechenland inspiriert fühlen, Kontakte dorthin knüpfen wollen, und die eigenen Kampfperspektiven erörtern wollen.

Der Klassenkampf ist weltweit. Als neulich in den französischen Überseedepartments Generalstreiks ausbrachen, sah sich die französische Regierung schließlich gezwungen, gegenüber einigen Forderungen der Streikenden nachzugeben (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Der vielleicht wichtigste Beweggrund hierfür war wohl die Angst davor, dass diese Bewegung der Solidarität in Frankreich selbst Schule machen könnte.

Diese keimhaften Sehnsüchte und Bestrebungen nach einer internationalen Solidarität sind das eigentliche Zeichen der Zeit. Denn sie tragen in sich das Potential für die Entwicklung einer Perspektive, welche über die Konkurrenzgesellschaft des Kapitalismus hinaus weist, eine Gesellschaft der weltweiten Solidarität, welche die Menschheit umfasst. Das Potential ist da. Nicht zuletzt an den revolutionären Minderheiten liegt es, welche diese Perspektive verteidigen, diesem Potential in den nächsten Jahren zum Durchbruch zu verhelfen. 16.05.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterklasse und Krise [1]
  • Klassenkampf 2009 [2]

Barikad Kollektiva in Ungarn - Der Klassenkampf in Ungarn aus internationaler Perspektive

  • 2731 Aufrufe

Ende Januar dieses Jahres haben wir einen Text der ungarischen Gruppe Barikad Kollektiva erhalten. Dieser Text mit dem Titel „Anstelle von proletarischen Kämpfen ... - Bericht über die Situation in Ungarn" ist der aktuellste in einer Serie von Artikeln, in denen Barikad Kollektiva die politischen und ökonomischen Veränderun­gen in Ungarn seit dem Zusammenbruch des Ostblocks analysiert. (1) Am meisten scheint Barikad die noch ungenügende Antwort der Arbeiterklasse auf die Krise zu beschäftigen. Wir sind der Überzeugung, dass die Fragen mit denen sich diese Gruppe auseinandersetzt, von internationalem Interesse sind. Mit diesem Artikel wollen wir die Diskussion mit Barikad aufnehmen.

Der Text „Anstelle von proletarischen Kämpfen ..." haben wir mit grossem Interesse gelesen. Da wir als Organisation in Ungarn selbst nicht „vor Ort" präsent sind und die Situation in Ungarn oft nur durch die bürgerlichen Medien verfolgen können, sind wir sehr froh sein um die dargebotenen Kenntnisse und die Einschätzung der Lage. Was uns immer beeindruckt hat an Barikad Kollektiva, ist die internationalistische Haltung und die Offenheit zu einer politischen Debatte. Dies, auch wenn wir uns in manchen Punkten nicht einig sind. Wir verstehen unsere Antwort auf diesen Text zuallererst als Teil einer proletarischen Debattenkultur und gemein­samen Erarbeitung einer Perspektive des inter­nationalen Klassenkampfes.

Wir sind einverstanden damit, dass die welt­weite Krise die Arbeiterklasse in Ungarn in besonderer Härte trifft, wie es der Text eingangs beschreibt: „Die permanente Krise des Kapita­lismus versetzt der weltweiten Arbeiterklasse einen Schlag nach dem anderen: heute sind die Finanzmärkte zusammengebrochen, die Pro­duktion geht weltweit zurück, es gibt immer neue Betriebsschliessungen. Die Rezession fordert auch in Ungarn ihren Tribut. Dennoch ist die Situation hier anders als in Westeuropa, denn die ungarische herrschende Klasse begann ihren Frontalangriff gegen die Lebensbedin­gungen der Arbeiterklasse viel früher als die Bourgeoisie in Westeuropa. Während des Som­mers 2006 begann eine brutale Erhöhung der Steuern und Preise. Fast alles - über Lebens­mittel, Gas, Strom und Benzin bis zu den öffent­lichen Transportmitteln - verteuerte sich, und die ungarische Bourgeoisie setzte alles daran, ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den anderen herrschenden Klassen in der Region zu erhalten. Zudem drängte sie die Entwicklung des Weltmarktes in diese Richtung."

Die Klassenkämpfe in Ungarn in der Welt­perspektive

Richtig, die Krise hat heute unbestreitbar eine noch nie erlebte internationale Dimension und Heftigkeit. Dass kein Land davor gefeit ist, zeigt deutlich das Beispiel des „Lohnparadieses" Schweiz, in dem der Einbruch des Finanzsektors und die Rückgänge in der Automobilzulieferin­dustrie die Wirtschaft brutal erschüttern. Wie Barikada richtig schon in einem Text (2) von 2006 geschrieben hat, standen die Karten für die ungarische Ökonomie, für den „kranken Mann der EU" - natürlich schon vor dem erneuten offenen Ausbruch der Krise im letzten Herbst schlechter als für man­che andere Staaten Europas. Demzufolge litt die Arbeiterklasse in Ungarn sicher mit am inten­sivsten auf diesem Kontinent.

Auch mit den letzten Sätzen des Textes sind wir vollauf einverstanden: „Die ungarische Bour­geoisie befindet sich in Aufregung, sie befindet sich in einer derartigen Misere, dass sie ein­gestehen muss, nicht sicher zu sein über die nahe Zukunft. Die Zeichen stehen schlecht: die weltweite Rezession wird die Arbeiterklasse mehr angreifen - dasselbe wird in Ungarn geschehen. Langfristig wird der Unmut der Arbeiterklasse vermutlich ansteigen und deshalb spielt die Regierung die ideologische Karte des Aufrufs zur nationalen Einheit und zum natio­nalen Frieden. Die Gewerkschaften werden ebenfalls versuchen ihre reformistischen Spiele zu treiben. Unter nationalistischen Massen und denjenigen unter der Kontrolle der Gewerk­schaften werden diese Manöver für eine Weile erfolgreich sein. Doch wenn die Arbeiterklasse überall auf der Welt versteht, als Resultat der dauernden Verschlechterung der Lebensbedin­gungen, dass es keinen Ausweg gibt, und wenn sie die demokratischen Illusionen überwindet, dann muss die Arbeiterklasse, die sich als Klasse organisiert, früher oder später die herr­schende Klasse überall entmachten. Und dies auch hier, - und damit die weltweite menschli­che Gemeinschaft gründen: den Kommunis­mus."

Die internationale Dynamik im Klassenkampf

Hier berührt der Beitrag aus Ungarn einen äus­serst wichtigen Punkt. Es ist die internationale Dimension der Krise, der Angriffe des Kapitals und des Kampfes der Arbeiterklasse, welche allein imstande ist, eine Kampfesperspektive zu entwickeln, die über den Kapitalismus hinaus weist. Der Kapitalismus ist ein Konkur­renzsystem, und die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Einheiten dieser Konkurrenz sind die Nationalstaaten. Solange der Abwehr­kampf der Arbeiterklasse als ein Kampf auf nationalem Boden gedacht wird, erscheint er als ein Kampf auf dem Boden des Systems, welcher dann stets die Bereitschaft in sich schliessen muss, nichts zu unternehmen, was die Konkurrenzfähigkeit der „eigenen" Kapitalisten gefährden könnte. Es ist nicht nur die Tiefe der Krise, sondern zugleich ihr weltweiter Charak­ter, welcher diese reformistische Illusion zu zerstören imstande ist. Denn von dieser Warte aus gesehen erscheint diese „Rücksicht" auf die „eigene“ Konkurrenzfähigkeit als das, was es wirklich ist, nämlich ein sinnloser Unterbietungs­wettlauf der Lohnsklaven, welcher die ganze Arbeiterklasse in ihr eigenes Verderben führen muss. Umgekehrt gewinnen die Abwehrkämpfe hier und dort ihre wahre Bedeutung, wenn sie Äusserungen der internationalen Solidarität des Proletariats gegen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt für Arbeitskräfte sind.

Diese Optik ist aber nicht nur perspektivisch, in Bezug auf die Zukunft wichtig. Sie ist schon heute wichtig, um die Dynamik der gegenwärti­gen Arbeiterkämpfe richtig zu erfassen. In den letzten paar Jahren hat es einige Streiks und Mobilisierungen der Arbeiterklasse auch in Ungarn gegeben. Diese Aktionen, wie die Ge­nossen von Barikada zu Recht schildern, waren wenig spektakulär. Sie haben bisher nirgends die gewerkschaftliche Kontrolle und Abwür­gung der Kämpfe ernsthaft in Frage stellen können. Diese Schilderungen von Seiten der GenossInnen erscheinen uns umso glaubwürdi­ger, da sie mehr oder weniger dem entsprechen, was man in anderen Ländern ant­rifft. Aber die wahre Bedeutung der Kämpfe auch in Ungarn liegt eben darin, dass sie Teil einer internationalen Kampfeswelle sind, welche auch noch erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Barikada selbst hat zu Recht geschrieben: „die permanente Krise des Kapitalismus ver­setzt der weltweiten Arbeiterklasse einen Schlag nach dem anderen ..." und begeht nicht den Irrtum, die Krise als ein „nationales Phänomen" zu sehen. Das trifft aber nicht weniger für die Kämpfe selbst zu.

Seit 2003 stellen wir weltweit eine deutliche Zunahme von Klassenkämpfen fest: Textilar­beiter und Arbeiter des öffentlichen Verkehrs in Ägypten, Busfahrer im Iran, Beschäftigte in Schuh- und Spielzeugbetrieben in Vietnam, Renault-Dacia Beschäftigte in Rumänien, Berg­arbeiter in Polen, öffentlicher Dienst und Lehrer in England, Nokia, Opel-Beschäftigte und Eisenbahner in Deutschland, Flughafenbeschäftigte und Honda-Belegschaft in Indien, Cargo-Eisenbahner in der Schweiz oder die Proteste auf den Antillen diesen Februar. Dies sind nur einige Beispiele einer lan­gen Liste. Auch ihr habt von Protesten in Un­garn geschrieben, „bei Malev (Fluggesellschaft), bei einigen Betrieben von Volan (Busfahrer) und anderen Grossbetrieben".

Bei genauerer Betrachtung hat sich aber nicht nur die Anzahl der Proteste der Arbeiterklasse vervielfacht, sondern vor allem auch die Quali­tät dieser Kämpfe! Mit den Protesten der Schü­ler und Studenten in Frankreich 2006 und in Italien und Griechenland 2008 ist die junge Generation (deren Perspektive nach der Ausbil­dung tatsächlich düster ist!) massiv auf die Bühne des Klassenkampfes getreten. Es ist diejenige Generation der Arbeiterklasse, welche auch die Zukunft prägen wird. Überdies haben wir vermehrt den Drang streikender Beschäf­tigter verspürt, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen, wie im spanischen Vigo. Erst wenn man die Lage weltweit untersucht, wird diese Tendenz deutlich, denn sie zeigt sich erst im Keim, noch nicht systematisch und überall. Durch die vermehrten Klassenkämpfe in Län­dern der 3.Welt, wie z.B. in Bangladesh, sind immer mehr auch neue Teile der Arbeiterklasse auf den Plan getreten und wegweisend gewor­den, welche nicht dieselbe jahrzehntelange Tradition haben wie die Arbeiter der alten In­dustriestaaten. Eine Realität sind in den letzten Monaten auch zunehmend die Revolten gegen den Hunger, der die Arbeiterklasse mehr und mehr erfasst: Burkina Faso, Kamerun, Haiti, Ägypten...

Die Genossen von Barikada äussern sich eher enttäuscht und frustriert über die bisherigen Kämpfe in Ungarn. Und natürlich haben sie recht, darauf hinzuweisen, dass angesichts der gewaltigen Sackgasse des Kapitalismus und der Angriffe auf die Arbeiterklasse das Proletariat eigentlich schon heute viel kräftiger reagieren und seine Perspektive durchsetzen müsste. Andererseits ist das heutige, noch nie da gewe­sene internationale Vorhandensein von Klassen­kämpfen selbst ein wichtiger Schritt nach vorne, der die Grundlage einer Reifung auch des Be­wusstseins der Klasse bilden kann. Um dies zu unterstreichen, möchten wir einen Vergleich mit den Kämpfen der 1950er Jahre in Osteuropa heranziehen. Damals gab es eine Kampfeswelle, welche viele Teile des Ostblocks erfasste, von der CSSR und v.a. die DDR 1953 über Polen bis zu den Aufständen in den Arbeitslagern Sibi­riens. Die Krönung dieser Welle war wohl die Entstehung der Ar­beiterräte 1956 in Ungarn. Im Vergleich dazu erscheinen die Kämpfe von heute sehr unbe­deutend zu sein. Auf der anderen Seite aber waren die Kämpfe der 1950er Jahre international sehr isoliert. Denn im Westen hatte der Nachkriegskonjunkturaufschwung bereits eingesetzt. Ausserdem überschattete der Kalte Krieg damals alle gesellschaftlichen Geschehnisse. Das Ergebnis: Die Massenstreiks in Osteuropa konnten keine eigene Klassen­perspektive entwickeln, sondern gerieten in den Sog von Nationalismus, demokratischer Illu­sionen und des Glaubens an Befreiung durch Annäherung an den „freien" und „goldenen" Westen. Seitdem hat sich die Welt radikal gewandelt. Bereits Ende der 1960er Jahre begannen die Illusionen über die Nachkriegs­prosperität zu platzen – v.a. in den Metropolen des Westens selbst. Zwar wirkte der Sog des westlichen Kapitalismus 1989 noch stark ge­nug, um in den ehemaligen stalinistischen Ländern Illusionen über einen möglichen neuen Aufbruch zu erzeugen. Heute aber gibt es weltweit keine Modelle der Prosperität mehr, keine „Inseln der Seligen".

Wir sollten also nicht zu enttäuscht sein über die Unzulänglichkeiten der ersten Kampf­schritte heute, zumal in einem Land wie Ungarn, wo das Proletariat den Alptraum des Stalinis­mus, das Trauma der „Schockthera­pie" des „liberalen" Kapitalismus nach 1989, und nun auch noch die Erdbeben der jüngsten weltweiten Krisenzuspitzung verarbeiten muss. Wenn wir aber zusammen den Willen der Arbeiterklasse sich gegen die Krise auf internationaler Ebene zu wehren betrachten, ändert dies nicht etwas das eher düstere Bild, welches die GenossInnen von der Lage in Ungarn skiz­zieren? Dabei haben die GenossInnen selber schon in einem Text 2005 geschrieben: „... wir sind überall auf der Strasse, und wir sollten uns immer auf den internationalen Charakter unseres Kampfes besinnen! Nur in diesem Kontext können wir die Lage der Ar­beiterklasse in Ungarn begreifen." (3)

Die Bedingungen für den Klassenkampf gleichen sich an

All diese aufgeführten Arbeiterproteste haben den Kapitalismus bisher nicht überwinden können – richtig! Wir verstehen auch die Ent­täuschung, wenn die GenossInnen zum Pro­testtag vom 21. November 2007 in Ungarn schreiben: „Im ganzen Land streikten mehrere Tausend Arbeiter und am Abend marschierten sie vor das Parlament, um die herrschende Klasse zumindest um einige kleine Konzessio­nen zu bitten - diese scherte sich aber einen Dreck darum. Vom Standpunkt der herrschen­den Klasse aus verlief alles perfekt: es gab keine bemerkenswerten Unterbrechungen in der Produktion, die Kontrolle der Gewerkschaften war wirkungsvoll, die Arbeiter konnten ihren Unmut im Rahmen der demokratischen Rechte ausdrücken. Der soziale Frieden war bestätigt." Das mag wohl so gewesen sein. Andererseits ist es aber nicht weniger bedeutend, dass sich gerade heute im internationalen Massstab die Bedingungen der Arbeiterklasse immer mehr angleichen. Aller furchtbaren Leiden, die das immer mehr verursacht, zum Trotz: Die Krise ist heute nach wie vor „der beste Verbündete der Arbeiterklasse", weil immer deutlicher und international die Bedingungen für zukünftige politische Massenstreiks langsam heranreifen. Schon die heutigen Proteste gegen die Krise haben vermehrt auch politische Fragen wie die Empörung gegen den permanenten Krieg und die weltweite Zerstörung der Umwelt als be­gleitende Triebkräfte aufgegriffen und geniessen immer mehr eine Ausstrahlung, die Landesgrenzen überschreitet.

Es geht nicht um „Wahrsagerei" des Klassen­kampfes oder Spekulationen, sondern um eine Methode, eine Betrachtungsweise der allgemeinen und internationalen Dynamik in unserer Klasse. Wir sind überzeugt, dass auch Ungarn keine Insel des kompletten sozialen Friedens oder der Lähmung des Proletariats darstellt, auch wenn die von den GenossInnen beschriebenen Proteste von der herrschenden Klasse vorerst abgewehrt werden konnten. Dies war schlussendlich auch in allen anderen Län­dern, von denen wir hier gesprochen haben, der Fall.

Auch vom Aktionstag vom 21. November, der in einem Gang vor das Parlament endete, und der, was die Fakten anbelangt, sicher korrekt beschrieben wurde, sollte man sich nicht allzu sehr bedrücken lassen.

Die GenossInnen kennen die Geschichte der Arbeiterklasse zu gut, um die Lehren aus Russland am Anfang des Jahrhunderts zu ver­gessen. Als in Sankt Petersburg am 22. Januar 1905 tausende Arbeiter mit einer Bittschrift vor den Zarenpalast zogen, in der sie den Zaren um Einsicht in ihre verzweifelte Lage baten, hätte man enttäuscht die Hände über dem Kopf zu­sammenschlagen können ob der Illusionen der russischen Arbeiter in ein allfälliges Mitgefühl des Zaren. Dieser Bittgang wurde brutal und blutig niedergeschossen. Bekannt ist, dass nur Tage darauf in ganz Russland gewaltige Mas­senstreiks ausbrachen, in deren Verlauf die ersten Arbeiterräte entstanden.

Die herrschende Klasse in Ungarn hat 2007 wesentlich geschickter reagiert als der Zarismus 1905, wie Barikada richtig schreibt: „die Arbeiter konnten ihren Unmut im Rahmen der demokratischen Rechte ausdrücken". Doch das Beispiel des „Blutsonntags" von 1905 hat ge­zeigt, wie im Klassenkampf oft alte, läh­mende Illusionen und explosionsartige Arbei­terkämpfe nahe einander liegen können und wie schnell das Proletariat fähig ist, Illusionen zu überwinden – vermutlich auch das ungarische! Natürlich schreiben wir nicht das Jahr 1905, und die Entwicklung heute wird viel mühsamer vor sich gehen.

Enttäuschung über das Bewusstsein der Arbeiterklasse ...

Ähnlich wie Arbeiterkämpfe, die oft ungestüm ausbrechen, kann auch das Bewusstsein Sprünge nach vorn machen. Es entwickelt und manifestiert sich in der Arbeiterklasse nicht so, dass es sich tagtäglich um ein messbares Stück erhöhen würde. Die Arbeiterklasse kennt in ihrem Wesen auch eine unterirdische Reifung des Bewusstseins, einen stillen Verlust von Illusionen in das bestehende System des Kapi­talismus, der nicht unmittelbar in offenen Klas­senkämpfen sichtbar ist. Wir gehen davon aus, dass aufgrund der augenscheinlichen generellen Sackgasse des Kapitalismus – der Krise, der Kriege, der Umweltzerstörung, der offensichtli­cher werdenden Ratlosigkeit der Herrschenden - ein solcher Prozess im Gange ist. Die Arbei­terklasse steht heute weltweit auch Regierungen gegenüber, welche nicht mehr mit demselben oberflächlichen Hochmut der 1990er Jahre von ihrem System überzeugt sind, sondern oft in Panik feststellen, dass sie ihre Welt nicht mehr im Griff haben und all ihre ökonomischen Manöver zur Begleitung der Krise nicht mehr taugen. Barikad hat zu Recht darauf hingewie­sen.

Wir verstehen nur allzu gut, wenn man eine Diskrepanz zwischen dem, was historisch notwendig wäre, und dem, was heute ist, fest­stellt. Eine solche Situation existiert tatsächlich, dies ist nicht nur in Ungarn, son­dern weltweit so. Notwendig wären eine unauf­haltsame Verstärkung der Arbeiterkämpfe und die Überwindung des Kapitalismus durch eine proletarische Revolution. Wir befinden uns aber heute in einer kapitalistischen Welt, welche ins Chaos abgleitet und sind selbst Teil einer Ar­beiterklasse, welche zugestandenermassen die Geschichte der Menschheit noch nicht wirklich in ihre Hände genommen hat. Auch wir gehen davon aus, dass trotz all der erwähnten positi­ven Beispiele von internationalen Kämpfen seit 2003 die Arbeiterklasse angesichts der harten Krise noch zu abwartend ist. In unseren Augen stellt dieses Abwarten nicht nur Angst, ja Ein­schüchterung angesichts der Tiefe der Krise und des Ausmasses der Arbeitslosigkeit dar, sondern auch eine Phase des Nachdenkens und Begreifens und eben eines Verlustes von Illu­sionen in den Kapitalismus. Auch wenn sich Arbeitskämpfe meist an konkreten Problemen wie Lohnabbau, Entlassungen oder Betriebs­schliessungen entzünden, spüren viele Arbeiter, dass es heute nicht mehr genügt bei den „eige­nen" Forderungen Halt zu machen. Heute steht greifbar im Raum, dass es um die Zukunft der Menschheit geht.

... oder gar ein Stück Verachtung?

Die Arbeiterklasse führt heute noch keine Massenstreiks, welche in eine greifbar revolu­tionäre Richtung gehen. Sie führt im Wesentli­chen Verteidigungskämpfe. Doch gilt es der eigenen Enttäuschung darüber nicht zuallererst ein Nachdenken über die hemmenden Faktoren im Klassenkampf entgegenzustellen? Barrikad hat dies in ihrem Text versucht: „Das Fehlen proletarischer Selbstorganisierung hat viele Gründe. Zuerst gibt es ein unheilvolles Erbe der Vergangenheit, einen zerstörerischen Effekt, den wir heute noch spüren: während der Ka­dar-Epoche befriedigte die bolschewistische Macht die Arbeiterklasse mit der Aufrecht­erhaltung einer relativen sozialen Sicherheit, sie liquidierte jegliche proletarische Selbstorganisation und enteig­nete selbst die Terminologie der kommunisti­schen Bewegung. Auf der anderen Seite wurde die Arbeiterklasse nach dem „Wechsel" atomi­siert durch die verstärkte Konkurrenz untereinander, die Arbeitslosigkeit, dann die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, relativ stabile Arbeitsplätze und die Mobilität des Arbeitsmarktes. Heute agieren die Arbeiter lediglich aus ihren individuellen Interessen, die Arbeitsplatzgemeinschaften sind verschwunden, Klassensolidarität existiert praktisch nicht mehr und viele der dummen ungarischen Ar­beiter sind sich nicht einmal bewusst, dass sie zu einer sozialen Klasse gehören. Und diese egoistischen, nihilistischen Arbeiter mit ihrem falschen Bewusstsein kön­nen durch die vielen bürgerlichen Medien leicht manipuliert werden, welche Dank der so ge­nannten „Informationsgesellschaft" eine tag­täglich immer grössere konterrevolutionäre Propaganda verbreiten. Deshalb folgen die Arbeiter, die heute Angst um ihre Arbeitsplätze haben, die unzufrieden sind mit dem sinkenden Lebensstandart, die durch­drungen sind von verschiedensten bürgerlichen Ideologien, den Gewerkschaften wie gut dres­sierte Tiere."

Eine Beschönigung der Stärke der Arbeiter­klasse ist immer fehl am Platz, unbestritten! Doch hier droht man unseres Erachtens eine irritierende Betrachtungsweise einzuschlagen. Mit euren Beschreibungen einer Arbeiterklasse als „Schafherde" (wie an einer anderen Stelle beschrieben) löst man sich eigenartig ab von der eigenen Klasse und nimmt den Platz des enttäuschten Klagenden über die fehlende Intelligenz des Proletariats ein. Überlassen wir Gefühle der Verachtung gegenüber der Arbei­terklasse den Vertretern des Kapitalismus, welche nicht müde werden zu behaupten, das Proletariat sei niemals fähig der Menschheit eine Perspektive anzubieten. Selbst in einer Situation wie 1939, in der sich die Arbeiterklasse ideologisch geschlagen in einen Weltkrieg mobilisieren liess, ein Moment der unvergleichlich grösseren Schwäche als heute (4), haben sich die wirklichen Revolutionäre nicht mit enttäuschtem Geist von der Materie ihrer Klasse getrennt. Auch wenn auf der Ebene der menschlichen Gefühle der Wunsch nach einer möglichst baldigen Überwindung des Kapitalismus verständlich ist, und wir dies auch noch selber erleben möchten, gilt es sich vor dem Wechselspiel von revolutionärer Ungeduld und Enttäuschung in Acht zu nehmen. Als politischer Ausdruck des Proletariates sollten wir Revolutionäre unsere Energie dazu verwen­den, geduldig zu bleiben und innerhalb der Reihen unserer Klasse zu erklären, was Sache ist. Dies bedeutet heute vor allem die Vertei­digung des Internationalismus, eine klare Hal­tung gegenüber der ökonomischen Sackgasse des Kapitalismus und selbstver­ständlich gute Argumente gegenüber all den gewerkschaftlichen und parlamentarischen Fallen, so wie die GenossInnen von Barikad es ja immer wieder getan haben!

Ja, Illusionen in den Reihen unserer Klasse bekämpfen!

Gegen den Einfluss der Gewerkschaften, wel­che nicht nur in Ungarn ganz offensichtlich im „ Wagen des Kapitals sitzen“ (5), werden wir selbst in einer revolutionären Situation noch massiv zu kämpfen haben. Dies zeigte deutlich das Beispiel der Deutschen Revolution 1918/19. Ihre Stärke bis hin zum Moment, in dem der Kapitalismus aus dem letzten Loch pfeift, hat nichts mit „Dummheit" der Arbeiterklasse zu tun, sondern damit, dass sie die effektivste Waffe der herrschenden Klasse gegen den Klassenkampf sind! Wir selbst haben im Gegenteil den Ein­druck erhalten, dass die vermehrten gewerk­schaftlichen Aktivitäten der letzten Zeit auf­grund des anwachsenden Drucks und Unmuts von Seiten der Arbeiterklasse entstanden sind, die sich in einer vermehrten Kampfbereitschaft äussern. Angesichts der Ausweglosigkeit der Krise hat die herrschende Klasse vor allem Angst vor einer Arbeiterklasse, die ihre Kämpfe in die eigenen Hände nimmt, und die Bourgeoisie versucht, der Arbeiterklasse mit dem Instrument der Gewerkschaften jegliche Initiative von vorneherein aus den Händen zu nehmen und den Zug nicht zu ver­passen.

Die Genossinnen schreiben: „Und diese egoistischen, nihilistischen Arbeiter mit ihrem falschen Bewusstsein können durch die vielen bürgerlichen Medien leicht manipu­liert werden, welche dank der sogenannten „Informationsgesellschaft" eine tagtäglich immer grössere konterrevolutionäre Propa­ganda verbreiten", so wäre es doch gerade angesichts der weltweiten Krise unsere Auf­gabe, etwas genauer zu formulieren, worin denn diese „konterrevolutionäre Propaganda" be­steht, eben um sie in den Reihen unserer Klasse auch aktiv bekämpfen zu können.

Haupttenor ist heute der Ruf nach der „Beschüt­zerrolle" des Staates. Die Gewerkschaften bilden dabei die Sperrspitze dieser Propaganda. Ebenfalls grassieren heute Erklärungen für die Krise, welche darauf abzielen, „schwarze Schafe" für diese Situation zu suchen, Einzel­kapitalisten, Banken oder Staatspräsidenten, welche die Krise durch Unverantwortlichkeit und Korruption verursacht hätten. Auch werden wieder Sün­denböcke ausgesucht, auf die „des Volkes Zorns" sich abladen soll. In Ungarn und ande­ren Ländern die Roma und Sinti, wie der Text der GenossInnen hervorhebt. Die Gefahr von Pogromen unterstreicht umso mehr das drin­gende Bedürfnis, einen bewussten proletarischen Internationalismus zu verteidigen und zu verbreiten. Da helfen nur revolutionäre Perspektiven, und kein „Yes we can" und keine verstärkten staatskapitalistischen Interventionen als Krisenlösung.

Wir wissen, dass nach jahrelanger internatio­naler Krisenbegleitung durch die Regierungen sich in Teilen der Arbeiterklasse auch ein Gewöhnungseffekt oder gar Resignation breit gemacht haben. Wäre eine solche Stimmung in Ungarn stärker als in anderen Ländern, ändert dies nichts an der Notwendigkeit, der Analyse über „fehlende proletarische Kämpfe" eine aktive und aufmunternde Teilnahme an der Bewusstseins­entwicklung unserer Klasse folgen zu lassen!

(1) Siehe: „Instead of proletarian struggles ..." in Englisch unter: https://www.anarcom.lapja.hu/ [3] Wir wollen aber hier schon die Genossen von Barikad Kollektiva mit längeren, von uns über­setzten Zitaten, zu Wort kommen lassen!

(2) siehe: „Speed Tour blood", auf derselben Website

(3) siehe: "The reality of the nightmare" Bari­kad Kollektiva, 2005

(4) Im Gegenteil gehen wir davon aus, dass gerade aufgrund der internationalen Ungeschla­genheit der Arbeiterklasse heute ein generali­sierter Krieg, wie die Weltkriege es waren, nicht möglich ist.

(5) Siehe: „The reality of the nigthmare", Ka­pitel "Über Reformismus und Gewerkschaften ...“

Aktuelles und Laufendes: 

  • Barikad Kollektiva [4]
  • Klassenkampf Ungarn [5]

Debatte: Faschismus = Demokratie?

  • 2874 Aufrufe

Neuerdings haben wir auf der Webseite der IKS die Möglichkeit für Leser eingerichtet, ihre Kommentare zu den veröffentlichten Artikeln zu hinterlassen. In letzter Zeit haben mehrmals solche Kommentare zu Debatten zwischen unseren Lesern Anlass gegeben. So Mitte April gegenüber unserem Artikel zur Berliner Luftbrücke. Dort hatten wir beschrieben, wie Ende der 1940er Jahre, im Rahmen des einsetzenden Kalten Krieges, der westliche imperialistische Block die von seinem östlichen Gegenüber verhängte Blockade gegen West-Berlin als Vorwand nutzte, um die Bevölkerung der entstehenden Bundesrepublik hinter sich zu bringen, und ihre eigenen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung während und am Ende des Zweiten Weltkrieges vergessen zu machen. Dieser Beitrag hat einen wütenden Kommentar einer/eines wohl aus der antifaschistischen Szene stammenden Leserin oder Lesers provoziert: „Was ist das denn für eine reaktionäre Scheiße? Wolltet ihr euch nicht gleich mit der NPD zusammenschließen und den nationalen Sozialismus aufbauen? Zum Kotzen.“

Dieser Kommentar löste wiederum eine Anzahl von Antworten anderer Leser aus, welche die Haltung des proletarischen Internationalismus gegenüber dem Zweiten Weltkrieg verteidigten. So z.B. „Guapi“:

„Derjenige, der hier reaktionär argumentiert, bist DU selber, DU gehörst wohl auch zu den „Linken“ für die Bush, Obama und Konsorten das kleinere Übel sind. Dieses kleinere Übel, nämlich der „demokratisch-antifaschistische Kapitalismus muss gegen das große Übel den „faschistischen Kapitalismus“ verteidigt werden. Es ist aber NICHT die Aufgabe von Kommunisten irgendeine Fraktion innerhalb der Kapitalistenklasse gegen eine andere zu verteidigen, sondern der Kampf gilt dem Kapitalismus IN ALL SEINEN FORMEN.

Das Gerede von dem kleinen Übel ist in Theorie und Praxis der Ausstieg aus dem Klassenkampf und die Versöhnung mit dem sich „demokratisch und antifaschistisch gebenden Klassenfeind.“

Eine Reihe von Argumenten, um diese Haltung zu untermauern, findet man unter den Kommentaren auf unserer Webseite.

Auch „Hama“ unterstützt die internationalistische Position gegenüber dem Zweiten Weltkrieg, wie er schreibt. Aber auch er übt Kritik an dem Artikel zur Berliner Luftbrücke.

„Der Artikel, den du zum Kotzen findest, zählt sicher zum Problematischsten, was aus den Reihen der linken Kommunisten veröffentlicht wurde. Ginge es dir tatsächlich darum, so wäre es für dich eine gute Gelegenheit gewesen, diesen schwarzen Fleck auf der Map der Linkskommunisten aufzuzeigen und vor allem zu überlegen, wie es dazu kommt.

Die Einzigartigkeit der Judenvernichtung wie auch der spezifische Charakter des Nationalsozialismus wird hier tatsächlich ausgeblendet zugunsten eines vereinfachten Weltbildes aus Weltbourgeoisie und Weltarbeiterklasse – ich gehe hier nicht in die Details – der Artikel spricht für sich

‚... die Verbrechen der Alliierten Imperialisten während des 2. Weltkrieges nicht weniger ruchlos waren als die der faschistischen imperialistischen Staaten ...‘

Das muss scharf kritisiert werden aber, mit nationalem Sozialismus, NPD etc., wie du schreibst, hat es gar nichts zu tun.“

Worauf Hama hinaus will, wenn er von einem vereinfachten Weltbild aus Weltbourgeoisie und Weltarbeiterklasse spricht, macht er in einem späteren Beitrag klar. Bezug nehmend auf einen Beitrag von Guapi, welcher das Vorhandensein von Unterschieden zwischen den kriegführenden Mächten einräumt, betont Hama, was er für den „großen Zusammenhang“ hält:

„Systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden überall auf der Welt (soweit sie den Nazis und Kollaborateuren zugänglich waren), Menschenversuche und schrecklichste Folter in den KZs und Vernichtungsstätten, Erfassung und Vernichtung „unwerten Lebens“ – unglaubliches Wüten der deutschen Armeen und Sonderstäbe in den überfallenden Ländern – .

Wenn ich da hergehe und sage, es war Krieg der Imperialisten in all seiner Grausamkeit und nur die Arbeiterklasse konnte dem ein Ende bereiten. Und dann einsetze mit Nachkrieg und sage, die Alliierten haben die Arbeiterklasse bewusst dezimieren wollen, weil sie sich gefürchtet haben, es könne erneut zu einer revolutionären Erhebung kommen [...] dann bin ich auch ohne die „Todeslager“ Argumentation (die direkt aus dem Arsenal der Holocaustleugner und Neofaschisten stammt) mitten dabei, über all das, was ich oben aufgezählt habe, elegant hinwegzusehen.“

Hama will am Internationalismus gegenüber dem imperialistischen Krieg festhalten. Er wirft der Kommunistischen Linken aber etwas vor, was er „Schematismus“ nennt. Unter Schematismus hat man zu verstehen die Unfähigkeit, die Entwicklung lebendig zu erfassen, die Neigung, alle Ereignisse in ein lebloses Erklärungsmuster oder Schema hineinzupressen. Kern dieses Schematismus sei, so Hama, die mangelnde Differenzierung zwischen faschistischem und demokratischem Kapitalismus bzw. betreffs des Ausmaßes ihrer jeweiligen Verbrechen. Das führe, so Hama, dazu, Argumente „1 zu 1 aus dem Arsenal der Holocaustgegner und Neofaschisten“ zu übernehmen. Und er schließt einen seiner Beiträge, indem er schreibt, „dass für Millionen Menschen Demokratie = Faschismus im Grunde bedeutet, noch im Nachhinein auf ihre Gräber zu spucken.“ (Siehe die Kommentare auf unserer Webseite).

Das Problem des Schematismus

Hama hat sich – wir zitierten es oben – positiv auf einen Beitrag von Guapi bezogen. Dort schreibt Guapi:

„Wenn Lenin „Antifaschist“ gewesen wäre, dann hätte es keine Oktoberrevolution“ gegeben. Warum? Weil es damals natürlich auch qualitative Unterschiede zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten gegeben hat. Nach der Theorie des „Antifaschismus“ hätte also Lenin zunächst untersuchen müssen, welcher imperialistischer Staat im 1. Weltkrieg das „kleinere Übel“ gewesen sei und sich dann auf dessen Seite schlagen müssen, um dieser zu helfen, sich gegen die böseren imperialistischen Staaten zu wehren. So wie es dann die kommunistischen Weltbewegung im 2. Weltkrieg (mit Ausnahme der Linkskommunisten) tat.“

Wir halten die Formulierung, der zufolge es „qualitative Unterschiede“ zwischen den kriegführenden imperialistischen Mächten gegeben hat, für unklar und wollen sie nicht übernehmen. Dennoch schließen wir uns der Stoßrichtung der Argumentation von Guapi an. In der Tat: Im Gegensatz zu der Unterstellung Hama‘s war es und ist es nicht die Position der Kommunistischen Linken, dass „Demokratie = Faschismus“ sei. Als Formen der Herrschaft des Kapitals sind sie nicht gleich. Die Demokratie ist die subtilere und politisch gefährlichere Form dieser Herrschaft, die einzig geeignete Form, um eine nicht geschlagene Arbeiterklasse niederzuringen. Der Faschismus kann nur siegen, wenn das Proletariat zuvor eine entscheidende Niederlage erlitten hat. Faschismus und Antifaschismus sind nicht „gleich“, aber sie sind gleichermaßen reaktionär. Die Formulierung von Amadeo Bordiga, beispielsweise (einer der Wegbereiter der Kommunistischen Linken) war nicht „Faschismus = Antifaschismus“ sondern: Der Antifaschismus ist das schlimmste Produkt des Faschismus. Und, wie Guapi zurecht aufzeigt, ist die prinzipielle Grundlage des proletarischen Internationalismus im Krieg keineswegs, dass alle Staaten die gleiche Rolle im imperialistischen System spielen, sondern dass sie alle Teil ein und desselben, vollkommen reaktionär gewordenen Weltsystems sind. Dazu Rosa Luxemburg in ihrer „Krise der Sozialdemokratie“ (Juniusbroschüre): „Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.“ Und: „Die allgemeine Tendenz der jetzigen kapitalistischen Politik beherrscht dabei so gut als übermächtiges blindwaltendes Gesetz die Politik der einzelnen Staaten, wie die Gesetze der wirtschaftlichen Konkurrenz die Produktionsbedingungen des einzelnen Unternehmers gebieterisch bestimmen.“ (Luxemburg Werke Bd. 4 Seite 17f)

Innerhalb dieses Systems spielt jeder Staat die ihm durch die geschichtliche Entwicklung sozusagen vorgeschriebene Rolle. In einem im Juni 1918 veröffentlichten Beitrag geht Rosa Luxemburg auf die Rolle der Hauptmächte Europas im Ersten Weltkrieg wie folgt ein: „Der englische und der französische Imperialismus haben ihre Macht- und Expansionsgebiete in Übersee, der deutsche hat im Herzen Europas seine Zelte aufgeschlagen; ganz Osteuropa stöhnt seit dem Gewaltfrieden von Brest-Litowsk unter dem deutschen Joch.

Der englische Imperialismus ist aus geschichtlichen Gründen an gewisse demokratische Formen gebunden, der französische aus wirtschaftlichen Gründen an ein langsames Tempo und stagnierenden Charakter gewöhnt. Der deutsche Imperialismus verbindet das brutale Draufgängertum des preußischen Junker- und Polizeistaates mit der ungestümen Gier eines modernen Finanzkapitals, das gerade in der Bluttaufe dieses Krieges seine größte Zusammenballung erreicht hat.

Während deshalb der anglo-französische Imperialismus im Laufe des letzten Jahrhunderts alle vorkapitalistischen Verhältnisse in Asien und Afrika umgestürzt hat, war und ist seine Politik in Europa selbst wesentlich konservativ. Der deutsche Imperialismus wirft jetzt die Brandfackel des Umsturzes und der Anarchie in europäische kapitalistische Verhältnisse selbst. [...] Von Finnland bis zum Schwarzen Meer hat er ein Elend, einen Ruin, ein unentwirrbares Durcheinander, eine Verschärfung der nationalen und der Klassengegensätze und einen tödlichen Hass erzeugt, die ganz Osteuropa in einen brodelnden Vulkan verwandeln. Nur mit Mühe äußerlich zurückgehalten, ist die Explosion im Osten nur eine Frage der Zeit“. (Werke Band 4, S. 382).

In dieser Sichtweise werden alle Verbrechen des Kapitalismus, egal von welcher Seite begangen, als Ergebnisse des Weltkapitalismus begriffen. Hier liegt kein Schematismus vor, sondern tiefstgreifende marxistische Analyse. Und das ist kein Zufall. Zwar ist es immer leicht, im Nachhinein klug zu sein. Aber in dem geschichtlichen Augenblick ist es für eine politische Strömung unheimlich schwer, dem Sog des imperialistischen Krieges zu entgehen. Nur auf der Grundlage eines wirklichen Verständnisses der Welt – nicht auf der Grundlage des Schematismus – kann dies auf längere Sicht gelingen.

So finden wir auch bei den klarsten Ausdrücken der Kommunistischen Linken eine ähnliche Tiefe der Analyse wie bei Rosa Luxemburg. Geradezu ein Paradebeispiel hierfür bietet die Analyse des „historischen Kurses“ (d.h. des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat) durch die „italienische“ Fraktion der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren. Damals deutete die Zeitschrift Bilan die „Machtergreifung“ Hitlers als Zeichen einer „historischen“ Niederlage des Weltproletariats. Die Ereignisse in Deutschland verstand Bilan als eine nicht nur „ideologische“ sondern auch „physische“ Zerschlagung der Klasse. Das bedeutet, dass das Proletariat in Deutschland nicht nur politisch desorientiert, sondern auch seine Widerstandskraft gebrochen war. Bilan erkannte, wie Trotzki auch, dass in den westlichen Ländern, in den USA und Großbritannien, in Frankreich, Spanien oder Belgien, dies noch nicht der Fall war. Diese Abteilungen der Arbeiterklasse hatten sich in viel geringerem Maß an der ersten revolutionären Welle am Ende des Ersten Weltkrieges beteiligt. Dafür war ihre Kampfkraft noch intakt.

Der Antifaschismus als perfidestes Ergebnis des Faschismus

Aber nun das Entscheidende: Anders als Trotzki erkannte Bilan, dass es für das Kapital gar nicht mehr nötig war, die Kampfkraft der Arbeiter der westlichen Länder durch eine „physische“ Niederlage zu brechen, um sie für einen neuen Weltkrieg zu mobilisieren. Es reichte, dies in Deutschland allein durchgesetzt zu haben. Denn Deutschland war der führende imperialistische Staat Europas. Die schiere Brutalität des Hitlerregimes dort reichte aus, um die Arbeiterklasse der anderen Länder schon von sich aus auf die Idee zu bringen, ihre eigene, „demokratische“ Bourgeoisie als das „kleinere Übel“ zu verteidigen. So erkannte die italienische Linke die Fähigkeit des Antifaschismus, die Kampfkraft des Proletariats dieser Länder sozusagen umzuwandeln in Energie, um für den Krieg zu mobilisieren.

Dieser von Bilan analysierte Unterschied in der Art der Niederlage der Arbeiterklasse hatte natürlich Konsequenzen für die Art und Weise der Kriegsführung der entsprechenden Staaten. Den Demokratien gelang es besser als dem Naziregime, „ihre“ Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft, „ihre“ Soldaten für die Schlachtfelder zu mobilisieren. So war das Regime der Nachtarbeit, der Überstunden und das Einspannen weiblicher Arbeitskräfte in Großbritannien während des Krieges viel weit reichender als in Nazideutschland. Auch gab es deutlich weniger Kriegsdeserteure. Der Grund ist einfach: Die meisten ArbeiterInnen glaubten, für eine gute Sache zu kämpfen. Die Kehrseite dieser Situation war, dass es für die Demokratien problematischer war als beispielsweise für die deutsche Wehrmacht in Russland, die Masse des Fußvolks der Armeen für große Massaker an der Zivilbevölkerung einzuspannen. Das Hauptverbrechen auch dieses imperialistischen Krieges war der Krieg selbst. Während aber die charakteristischen Formen der Verbrechen der deutschen Bourgeoisie gegenüber der Zivilbevölkerung Erschießungen und Vergasungen waren, besaßen die entsprechenden Verbrechen der Alliierten zwei hervorstechende Merkmale. Zum einem die Bevorzugung des Luftkrieges, des Massakers aus größer Höhe, wo nicht mal die unmittelbar Ausführenden die Auswirkungen ihres Tuns zu Gesicht bekamen. Zum Anderen das Töten durch Unterlassung. Ein Beispiel hierfür war die bewusste Entscheidung der amerikanischen und britischen Regierungen, ihre Landung in Frankreich bis 1944 hinauszuschieben, damit sich an der Ostfront Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig ausbluten. Hier wurde der Tod von Millionen von Menschen nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern aktiv erwünscht. Das andere große Beispiel, welches die Leser unserer Webseite in ihren Kommentaren bereits angegeben haben (siehe dort), war die Weigerung der Westmächte, irgendetwas zu unternehmen, um den Holocaust zu verhindern oder auch nur zu erschweren. Vom ethischen Standpunkt betrachtet ist es klar, dass diejenigen, die sich weigern, gegenüber einem Verbrechen einzugreifen, obwohl sie dies tun könnten, ohne sich selbst und ihre eigenen Interessen zu gefährden, sich zu Komplizen auch dieses Verbrechens machen.

Wir sagten bereits, dass die Art der Niederlage der Arbeiterklasse und ihrer Mobilisierung für den Krieg Einfluss ausübte auf die Art der Kriegsführung selbst. Nicht dieser Aspekt jedoch war das Ausschlaggebende. Das Ausschlaggebende war, dass spätestens seit dem Zustandekommen der Kriegsallianz zwischen Amerika, Großbritannien und der Sowjetunion, die Gegner Deutschlands eine überwältigende Überlegenheit besaßen. Andernfalls hätten die Antifaschisten nicht gezögert, ihre Atombomben und Milzbrandbomben massiv und auch in Europa einzusetzen.

Im übrigen: BILAN, welches die entscheidende Niederlage des Weltproletariats in Deutschland erkannte, konnte genau so wenig wie die Bourgeoisie selbst im Voraus wissen, wie lange eine solche Konterrevolution andauern würde. Anders als Hama zu denken scheint, hielten weder die Revolutionäre noch die Konterrevolutionäre es damals für ausgeschlossen, dass der kommende Zweite Weltkrieg wie der Erste mit Arbeiteraufständen zu Ende gehen könnte. Dass die herrschende Klasse auch am Kriegsende an diese Möglichkeit dachte und Maßnahmen dagegen ergriff, ist kein linkskommunistischer Schematismus. Dass der Genosse Hama heute weiß, dass das Szenario einer proletarischen Revolution 1945 unrealistisch gedacht war, steht auf einem anderen Blatt.

Hama tritt zu Recht gegen die Gefahr des Schematismus auf. Gleichwohl: Es reicht nicht aus, vor dieser Gefahr zu warnen, um sie auch wirklich zu vermeiden. Im Gegenteil: Der Kampf gegen Schematismus kann leicht selbst zu einer neuen Form des Schematismus führen. In etwa nach folgendem Schema: Das Anprangern der Verbrechen der Antifaschisten führt dazu, oder stützt sich darauf, Faschismus mit Demokratie gleichzusetzen. Mehr noch. Es kann dazu führen, den Widerstand des proletarischen Internationalismus gegenüber dem Antifaschismus aufzuweichen.

(Anfang Mai 2009) Die Redaktion.

Historische Ereignisse: 

  • Faschismus [6]
  • Antifaschismus [7]
  • Gefährdung der Demokratie [8]
  • Holocaust und Kommunisten [9]
  • Schematismus [10]

Guadeloupe, Martinique, La Réunion : Warum die herrschende Klasse nachgab?

  • 3396 Aufrufe

Gegenüber den Streikbewegungen, die Guadeloupe, Martinique und in einem geringerem Maß La Réunion erschütterten, hat der französische Staat schließlich nachgegeben und fast alle Arbeiterforderungen erfüllt.

In Guadeloupe sieht das „Jacques Bino“ Abkommen (so hieß der während der Februaraufstände ermordete Gewerkschaftsaktivist), das Ende Februar, Anfang März unterzeichnet wurde, eine Lohnerhöhung von 200 Euro für die Niedriglöhner (weniger als 1.4 mal der Niedriglohn) vor sowie Zugeständnisse gegenüber den 146 Forderungen der LKP (1) hinsichtlich der Kaufkraft (Brotpreise, Einstellung von Lehrern…). Auf Martinique wurde ein ähnlicher Abschluss am 10. März getätigt; auch dort wurden Lohnerhöhungen für die Niedriglöhner zugestanden sowie die 62 Forderungen des „Kollektivs des 5. Februars“ erfüllt (2). Auf La Réunion ist die Situation unklarer. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels ist die vom Staat vorgeschlagene Lohnerhöhung (150 Euro für die Niedriglöhner und wenig Konkretes zu den 62 Forderungen der Bewegung) bislang noch nicht von COSPAR (3) unterzeichnet worden. Die Verhandlungen laufen noch. Egal wie sie ausgehen, lassen sie dennoch ein gewisses Zurückweichen der französischen Bourgeoisie erkennen.

Warum hat die Bourgeoisie nachgegeben? Wovor hat sie Angst? Wie ist es den Arbeitern dieser Inseln gelungen, diese Forderungen durchzusetzen? Wenn wir darauf eine Antwort haben, können wir die zukünftigen Kämpfe besser vorbereiten.

Die Stärke der Bewegung auf den Antillen

Es ist offensichtlich, dass die herausragende Stärke dieser Bewegung auf den Antillen das Ausmaß der Kampfbereitschaft war. 44 Tage lang auf Guadeloupe, 38 Tage lang auf Martinique waren die Arbeiter massiv mobilisiert und es gelang ihnen, die gesamte Wirtschaft lahmzulegen. Firmen, Häfen, der Handel… alle waren blockiert. (4)

Dieser lange und intensive Kampf war möglich, nicht nur weil er von einer großen Wut über die wachsende Verarmung getragen wurde, sondern auch weil er ein tiefgreifendes Gefühl der Solidarität entwickelt hatte. Auf der ersten Demonstration am 20. Januar kamen auf Guadeloupe 15.000 Teilnehmer zusammen. Drei Wochen später überstieg die Teilnehmerzahl 100.000 (d.h. fast ein Viertel der Bevölkerung). Dahinter steckte die unaufhörliche Suche nach Solidarität der Arbeiter. Die Streikenden hatten alles unternommen, um ihren Kampf so schnell wie möglich auszudehnen. Vom 29. Januar an gab es ständig Arbeitsniederlegungen in Pointe-à-Pitre und seinen Vororten. Gruppen von Streikenden zogen von Straße zu Straße, von Firma zu Firma, um eine größtmögliche Zahl von Arbeitern und anderen Bevölkerungsteilen mit in den Kampf zu ziehen.

Das zweite herausragende Merkmal der Stärke bestand darin, dass die Arbeiter den Kampf selbst in die Hand genommen haben. Es stimmt, dass die LKP eine wichtige Rolle gespielt hat. Sie hat die Forderungen aufgestellt und die Verhandlungen geführt. In den Medien wurde dies alles zwar so dargestellt, als ob die Arbeiterklasse der LKP blind gehorchte und diese nur der charismatischen Führerin Elie Domata hinterherlief. Aber das stimmt überhaupt nicht. Es waren die Arbeiter und nicht die Gewerkschaftsführer, die den Kampf geführt haben! Die LKP wurde nur gebildet, um diese Unzufriedenheit besser im Griff zu haben, sie zu kanalisieren und zu verhindern, dass die Arbeiter den Kampf nicht zu sehr in die eigenen Hände nehmen. So bestand einer der wichtigsten Momente der Bewegung auf Guadeloupe darin, dass die Verhandlungen zwischen der LKP und dem Staat in den Medien, im Radio und im Fernsehen direkt und öffentlich übertragen wurden. In der von der LKP (5) erstellten Chronologie der Ereignisse kann man lesen: „Samstag, 24. Januar, großer Massenauflauf in den Straßen von Pointe-à-Pitre – 25.000 Teilnehmer. Aufruf zu Verhandlungen zwischen allen Teilen um 16.30 h im World Trade Center […] Offene Diskussion über die Methode. Außergewöhnliche Anwesenheit von Canal 10 [Fernsehsender], die leicht zeitversetzt direkt übertragen werden.“ Am nächsten Tag ein neuer Massenauflauf mit 40.000 Teilnehmern. Die Übertragung der Verhandlungen hat die Massen angefeuert, denn sie bewies, dass es ihr Kampf war und dass er nicht in den Händen einiger weniger „Gewerkschaftsexperten“ lag, die hinter verschlossenen Türen mit den staatlichen Instanzen verhandeln. Die öffentliche Direktübertragung der Verhandlungen (auf Canal 10, RFO oder Radyo Tambou) wurde systematisch in der ganzen nächsten Woche bis zum 5. Februar fortgesetzt. An diesem Tag verstand der Staatssekretär Yves Jégo, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte wie der Kampf ablief, vor allen anderen die Gefahren für seine Klasse und verlangte deshalb die sofortige Einstellung der Direktübertragung. Die LKP protestierte nur sehr verhalten, denn dieses „Kollektiv“ fühlt sich aufgrund seines gewerkschaftlichen Wesens viel wohler bei Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zwischen „Experten“ (was beweist, dass die LKP die Live-Übertragung in der Anfangsphase nur aufgrund des Drucks der Arbeiter akzeptiert hatte).

Diese Bewegung besaß also eine große innere Kraft, aber das reicht nicht aus um zu erklären, warum der französische Staat so weit zurückgewichen ist und eine Lohnerhöhung von 200 Euro für die Niedriglöhner zugestanden hat. Darüber hinaus haben die Bürgerlichen auch auf La Réunion nachgegeben, obwohl die Bewegung dort viel schwächer war. Dort war es nämlich den Gewerkschaften dank dem Kollektiv COSPAR gelungen, die Bewegung teilweise zu sabotieren, als sie am 5. März, dem Tag des Generalstreiks in Guadeloupe, zu Kundgebungen aufriefen und betonten, dass sie dem Modell der „Bewegung auf den Antillen“ nicht folgten (Le Point, 4. März 2009). Damit hatte das Kollektiv für die Isolierung dieses Streiks gesorgt. In der Tat wären die Kundgebungen am 5. Und 10. März ohne die Schubkraft des Kampfes auf Guadeloupe mehr oder weniger gescheitert, denn die Mobilisierung fiel viel geringer aus als erwartet (jeweils 20.000 und 10.000 Teilnehmer). Und dennoch auch dort gab der französische Staat nach. Warum?

Die Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiter entwickeln sich in allen Ländern

Die Mobilisierung auf den Antillen und La Réunion ist ein Teil des internationalen Wiedererstarkens des Klassenkampfes. In Großbritannien zum Beispiel kam es Ende Januar in der Raffinerie der Gruppe Total in Lindsey zu spontanen Streiks. Nach einem erfolglosen Versuch der Spaltung der Arbeiter zwischen ‚englischen‘ und ‚ausländischen‘ Beschäftigten und in Anbetracht der gegenteiligen Wirkung, nämlich der Einheit der Streikenden (auf den Kundgebungen tauchten Slogans auf wie „Kraftwerk von Langage – Die polnischen Arbeiter haben sich dem Streik angeschlossen: Solidarität“, „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!“), war die britische Bourgeoisie auch zum Nachgeben gezwungen. Sie musste auch vorgesehene Stellenstreichungen fallenlassen und gar die Schaffung von 102 neuen Stellen ankündigen (6).

Auf internationaler Ebene hat die herrschende Klasse überhaupt kein Interesse daran, dass ein Kampf immer mehr Auftrieb erhält und andere Arbeiter in anderen Ländern inspiriert, zudem wenn in diesen Kämpfen Methoden benutzt werden wie Umzüge von einem Betrieb zum anderen, um zur Ausdehnung des Streiks aufzufordern, oder wenn die Beschäftigten die Kämpfe in die eigenen Hand nehmen und die Kontrolle über die Verhandlungen durch Live-Übertragungen ausüben wollen…

Und das trifft umso mehr auf Frankreich zu. Der französische Staat hat sehr schnell auf La Réunion nachgegeben, weil auf dem französischen Festland am 19. März eine große Demonstration angekündigt war. Der herrschenden Klasse war sehr daran gelegen, dass die Streiks in ihren Überseegebieten unbedingt zu Ende gebracht werden, um zu verhindern, dass diese eine zu starke Aufmunterung für die Arbeiter in Frankreich selbst darstellen. Die Zeitung Libération hat diese Furcht der Herrschenden in einem Artikel vom 6. März deutlich zum Ausdruck gebracht: „Ansteckung. In Paris ist diese „Revolte“ in den Überseegebieten sehr wenig durch die Machthaber verstanden worden, mit Ausnahme von Yves Jégo, der sich sehr schnell dazu entsprechend geäußert hat. Aber aus Furcht vor der Ausdehnung haben sich Nicolas Sarkozy und Francois Fillon schwankend verhalten; zunächst wollten sie die Sache aussitzen und auf ein Austrocknen der Bewegung hoffen, bis sie schlussendlich doch mit staatlichen Zugeständnissen nachgeben mussten“ (7).

Der wahre Sieg ist der Kampf selbst

Sicher war der Kampf in den Überseegebieten ein Sieg. Eine Lohnerhöhung von 200 Euro im Niedriglohnbereich ist nicht zu unterschätzen. Aber dennoch darf man sich keine Illusionen machen: die Lebensbedingungen der Arbeiter auf den Inseln wie auch woanders werden sich weiterhin verschlechtern. Jetzt schon versucht die herrschende Klasse das Abkommen zu untergraben. Von den zugestandenen 200 Euro sollten 100 Euro vom Staat, 50 Euro von den Kommunen und 50 Euro von den Arbeitgebern bezahlt werden. Jetzt schon hat der Unternehmerverband Medef angekündigt, dass er nicht bzw. nur einen Teil der versprochenen Erhöhung auszahlen werde (und das auch noch unterschiedlich je nach Branche). Und der Staat hat diese Zahlung nur für zwei Jahre zugesagt. Wie Charles Pasqua sagte: „Die Versprechen gelten nur für diejenigen, die sie hören“. Der Zynismus und die Heuchelei der herrschenden Klasse brauchen nicht mehr unter Beweis gestellt werden.

Die Auswirkungen der Krise werden für eine weitere Verarmung sorgen. Falls die Beschäftigten heute Lohnerhöhungen abringen können, werden sie morgen wieder durch die Preissteigerungen aufgefressen werden. Jetzt schon sind 10.000 Stellenstreichungen für das Jahr 2009 auf Martinique vorgesehen.

Der wahre Sieg dieser Bewegung ist der Kampf selbst. Die Erfahrung, die die Kämpfenden dort gewonnen haben, sind wichtige Lehren für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe. Durch ihre Einheit, ihre Solidarität, ihr Selbstvertrauen in die Fähigkeit, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen werden die Kämpfe der Arbeiter gestärkt. Pawel, 26.3.09

(1) LKP (Lyannaj kont profitasyon) – Union contre la surexploitation – Bund gegen die Überausbeutung) ist ein Verband, welcher 49 gewerkschaftliche, politische, kulturelle Organisationen und Verbände zusammenschließt, und der am 20. Januar einen Forderungskatalog aufgestellt hat.

(2) Ein auf dem Modell der LKP am 5. Februar zu Beginn der Bewegung auf Martinique aufgebautes Kollektiv. Ihm gehören 25 gewerkschaftliche, politische und kulturelle Organisationen an.

(3) COSPAR – Collectif d’organisations syndicales, politiques et associatives de la La Réunon (46 Organisationen)

(4) Siehe unseren Artikel , der während des Kampfes verfasst wurde: „Antillen – der massive Kampf zeigt uns den Weg“ (https://fr.internationalism.org/book/export/html/3712 [11]).

(5) Quelle: www.lkp-gwa.org/chronologie.htm [12]

(6) Siehe unseren Artikel „Streiks in Großbritannien: Arbeiter fangen an, den Nationalismus infrage zu stellen“ – deutsche Webseite

(7) Quelle: www.liberation.fr/politiques/0101513929-la-societe-geadeloupeenne-entre-... [13]

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Streiks auf Guadeloupe [14]
  • Martinique [15]
  • La Réunion [16]

Zum Buch Patrick Torts « Der Darwin-Effekt : eine materialistische Auffassung des Ursprungs der Moral und der Zivilisation »

  • 3749 Aufrufe

Anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin und 150 Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes “Die Entstehung der Arten” ist eine Reihe von Büchern mit viel versprechenden Titeln veröffentlicht worden, die mittlerweile ganze Regale in den Buchgeschäften füllen. Viele Autoren beginnen plötzlich für Darwin zu schwärmen. Jeder hofft darauf, einen eigenen Bestseller auf den Markt zu bringen, nachdem das Sensationswerk von Richard Dawkins “Der Gotteswahn” weltweit mehr als zwei Millionen mal verkauft wurde. Für die breite Öffentlichkeit ist es deshalb schwierig, sich in dem Thema zurechtzufinden und unter den vielen wissenschaftlichen Büchern die richtigen auszuwählen. Wir haben, ohne zu zögern, Patrick Torts Buch “L‘Effet Darwin. Sélection naturelle et naissance de la civilisation” (Éditions du Seuil), (“Der Darwin Effekt – Natürliche Auswahl und Geburt der Zivilisation”) gewählt. Der Autor bietet eine besonders bereichernde Erklärung der materialistischen Auffassung Darwins über die Moral und die Zivilisation an.

Darwin und die natürliche Auswahl der sozialen Triebe

Patrick Tort ist, soviel wir wissen, der einzige Autor, der die Polarisierung der Medien hinsichtlich der “Entstehung der Arten” überwindet und das zweite große Werk Darwins (das kaum bekannt ist oder oft schlecht interpretiert wird), “Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl”, 1871 erschienen, vorstellt und erklärt.

Das Buch Patrick Torts zeigt deutlich auf, wie die Epigonen Darwins sich der Theorie der veränderten Abstammung mittels der natürlichen Auswahl bemächtigt haben, die in “Die Entstehung der Arten” entwickelt wird, und wie sie das lange Schweigen Darwins über den Ursprung des Menschen ausgeschlachtet haben, um die Eugenik (welche von Galton theoretisiert wurde) und den “Sozialdarwinismus” (deren Initiator Herbert Spencer war) zu rechtfertigen.

Im Gegensatz zur lange vorherrschenden Auffassung hat Darwin die Malthus‘sche Theorie der Eliminierung des Schwächsten im gesellschaftlichen Kampf auf der Ebene des Bevölkerungswachstums nie ideologisch unterstützt. In “Die Entstehung der Arten” benutzt er diese Theorie nur als ein Modell, um die Mechanismen der organischen Evolution zu erklären. Es ist deshalb völlig falsch, Darwin als den Vater all dieser ultraliberalen Ideologien zu bezeichnen, die den Individualismus, die kapitalistische Konkurrenz und das “Gesetz des Stärkeren” predigen.

In seinem Grundlagenwerk “Die Abstammung des Menschen” wendet sich Darwin im Gegenteil sehr energisch gegen jede mechanische und schematische Anwendung auf die “Zivilisation”. Patrick Tort erklärt sehr überzeugend, mit guten Argumenten und mithilfe von Zitaten die Art und Weise, wie Darwin die Anwendung seines Entwicklungsgesetzes auf den Menschen und die menschlichen Gesellschaften sah.

Zunächst ordnete Darwin den Menschen phylogenetisch der Kategorie der Tiere zu, insbesondere einem gemeinsamen Erben, den es mit den Altweltaffen oder Schmalnasenaffen (Catarrhini) in der Alten Welt gegeben haben muss. Er erweiterte ebenfalls die Übertragung auf die Menschengattung. Dabei zeigte er auf, dass auch die natürliche Zuchtwahl seine biologische Geschichte geprägt hat. Darwin zufolge hat die natürliche Zuchtwahl jedoch nicht nur organisch vorteilhafte Variationen geschaffen, sondern auch Instinkte, insbesondere soziale Instinkte, die sich im Laufe der Entwicklung der Kategorie der Tiere gebildet haben. Diese sozialen Triebe haben bei der Gattung Mensch einen Höhepunkt erreicht und sind mit der Entwicklung der rationalen Intelligenz (und damit dem bewussten Denken) zusammengeflossen.

Diese miteinander verbundene Entwicklung der sozialen Triebe und der Intelligenz ging beim Menschen einher mit der “unbestimmten Ausdehnung” der moralischen Gefühle und des Altruismus. Die selbstlosesten und solidarischsten Individuen und Gruppen verfügen über Entwicklungsvorteile gegenüber den anderen Gruppen.

Der angebliche “Rassismus”, der Darwin noch heute vorgeworfen wird, kann durch ein einziges Zitat widerlegt werden: “Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet und kleine Stämme zu größeren Gemeinwesen sich vereinigen, so führt die einfachste Überlegung jeden Einzelnen schließlich zu der Überzeugung, dass er seine sozialen Instinkte und Sympathien auf alle, also auch auf die ihm persönlich unbekannten Glieder desselben Volkes auszudehnen habe. Wenn er einmal an diesem Punkte angekommen ist, kann ihn nur noch eine künstliche Schranke hindern, seine Sympathien auf die Menschen aller Nationen und aller Rassen auszudehnen. Wenn die Menschen sich in ihrem Äußern und ihren Gewohnheiten bedeutend von ihm unterscheiden, so dauert es, wie uns leider die Erfahrung lehrt, lange, bevor er sie als seine Mitmenschen zu betrachten lernt.” (Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen, 4. Kapitel, Die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere, Frankfurt, 2009, S. 152) 2

Patrick Tort zufolge gibt uns Darwin eine naturalistische und somit materialistische Erklärung des Ursprungs der Moral und der Zivilisation.

Was den Ursprung der Moral und der Zivilisation angeht, so findet man in den Kapiteln in “Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl” die markantesten Aussagen. Patrick Tort erklärt, dass nach Darwin der erste Faktor der Selbstlosigkeit vieler Tiergattungen (hauptsächlich der Säugetiere und der Vögel) im Instinkt der Reproduktion besteht, der so natürlich wie sozial ist. Die sekundären Geschlechtsmerkmale (wie das Brautfederkleid und andere ornamentale Auswüchse), die prahlerisch zur Schau gestellt werden und dazu dienen, die Weibchen in der Balzperiode anzulocken, beschwören gleichzeitig auch ein tödliches Risiko herauf: “Bedeckt mit seinem prachtvollen und schweren Hochzeitsschmuck, erscheint der Paradiesvogel sicher als unwiderstehlich; aber er kann kaum noch fliegen, so dass ihm Gefahr durch seine Jäger droht. Die Weibchen umsorgen ihre Brut und setzen sich bei deren Verteidigung ebenfalls Gefahren aus. Der Sozialinstinkt hat also eine Entwicklungsgeschichte durchlaufen, die auch die Möglichkeit der Selbstaufopferung beinhaltet, die in der menschlichen Moral ihren Gipfel erreicht. So erstellt Darwin eine Entstehungsgeschichte der Moral, ohne sich in irgendeiner Form auf außernatürliche Kräfte zu beziehen" (Patrick Tort, Darwin et la science de l'évolution, Verlag Découvertes / Gallimard).

Entgegen der vorherrschenden Meinung, derzufolge Darwin ein eifriger Verfechter der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gewesen sei und dabei das “starke” Geschlecht im Vorteil gesehen habe, traf genau das Gegenteil zu, wenn man die Evolution betrachtet. Aus Darwins Sicht (und hierin stimmt er mit Engels‘ Auffassung, die dieser in “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates” entwickelt hat, und auch mit der Auffassung August Bebels in “Frau und Sozialismus” überein) sind es die weiblichen Wesen, die die ersten Trägerinnen des Instinkts der Selbstlosigkeit sind, die sich viel häufiger als die Männchen vor ihre Jungen stellen, um sie vor den Raubtieren zu schützen. Im Tierreich wählen die Weibchen das reproduzierende Männchen aus und nehmen damit die Wahl eines “Objektes” vor (die erste Form der Anerkennung des Andersartigen).

Die Theorie der “Umkehrwirkung der Evolution”

Weil er das Werk Darwins und die Dialektik bemerkenswert beherrscht, gelang es Patrick Tort, eine Theorie der “Umkehrwirkung der Evolution” zu erarbeiten, die er schon 1983 in seinem Buch “Das hierarchische Denken und die Evolution” entworfen hatte.

Worin besteht diese Theorie? Sie kann in einem Satz zusammengefasst werden: Mittels der sozialen Instinkte wählt die natürliche Zuchtwahl die Zivilisation aus, welche sich der natürlichen Zuchtwahl entgegenstellt. Um nicht zu paraphrasieren, wollen wir aus dem Buch zitieren:

“Mittels der sozialen Instinkte hat die natürliche Zuchtauswahl ohne 'Sprung' und ohne Brüche ihr Gegenteil ausgewählt, d.h. ein normiertes Ganzes und, davon ausgehend, ein gegen die Eliminierung gerichtetes Sozialverhalten – also gegen die Auswahl, wie sie der Begriff bedeutet, der in der Theorie der ‚Abstammung der Arten‘ entwickelt wurde. Sowie entsprechend eine ‚gegen die Auswahl, d.h. gegen die Eliminierung gerichtete Ethik, die in Prinzipien, Verhaltensregeln und in Gesetzen formuliert wurde. Die schrittweise Entstehung der Moral erscheint somit als ein von der Evolution untrennbares Phänomen. Sie ist eine normale Fortsetzung des Materialismus Darwins und eine unvermeidbare Erweiterung seiner Theorie der natürlichen Zuchtauswahl auf die Erklärung der Zukunft der menschlichen Gesellschaften. Viele Theoretiker, die vom Schleier abgeschreckt werden, in den die Entwicklungsphilosophie Spencers Darwin gehüllt hat, haben diese Erweiterung vorschnell in Form des simplistischen und falschen Modells des liberalen ‚Sozialdarwinismus‘ (die Anwendung des Prinzips der Eliminierung der weniger Fähigen im Rahmen einer allgemeinen Konkurrenz) angewandt. Doch dies kann richtigerweise nur unter dem Umkehrprinzip erfolgen, d.h. man muss die Umkehrung der ‚selektiven Operation‘ als Grundlage und Bedingungen des Eintritts in die ‚Zivilisation' (…) begreifen. Die Umkehroperation begründet somit den richtigen Unterschied zwischen Natur und Kultur. Damit vermeidet man die Falle eines wundersamen ‚Bruchs' zwischen den beiden Begriffen: die Kontinuität der Entwicklung durch diesen Vorgang der schrittweisen Umkehrung, der mit der (ebenfall selektiven) Entwicklung der sozialen Instinkte verbunden ist. Diese bewirkt somit keinen effektiven Bruch, sondern den Effekt eines Bruchs, der darauf zurückzuführen ist, dass die Zuchtauswahl im Laufe ihrer Entwicklung selbst diesem Gesetz unterworfen wurde – die neue Form der Auswahl, die den Schutz der ‚Schwachen' begünstigt. Damit erweist sie sich als stärker, weil vorteilhafter als die alte Form, die deren Eliminierung begünstigte. Der neue Vorteil ist somit kein Vorteil biologischer Art – er ist sozial geworden.”

Die “Umkehrwirkung der Entwicklung” ist also diese Bewegung der schrittweisen grundlegenden Wandlung, welche einen “Bruch” bewirkt, ohne jedoch einen völligen Bruch im Prozess der “natürlichen Zuchtwahl” hervorzurufen. 3. Wie Patrick Tort richtigerweise erklärt, sind die Vorteile, die die natürliche Zuchtwahl der sozialen Instinkte ermöglichen, für die menschliche Gattung nicht mehr biologischer, sondern gesellschaftlicher Art.

Gemäß Darwin gibt es eine materialistische Kontinuität in den Verknüpfungen zwischen dem sozialen Instinkt, der von kognitiven und rationalen Erkenntnissen begleitet wird, der Moral und der Zivilisierung. Dieser Theorie der “Umkehrwirkung der Entwicklung”, die eine wissenschaftliche Erklärung der Entstehung der Moral und der Zivilisation liefert, gebührt das Verdienst, den falschen Widerspruch zwischen Natur und Kultur, Kontinuität und Diskontinuität, Biologie und Gesellschaft, Angeborenem und Erworbenem usw. zu überwinden.

Die Anthropologie Darwins und die Perspektive des Kommunismus

In dem auf unserer Webseite veröffentlichten Artikel “Darwin und die Arbeiterbewegung” haben wir in Erinnerung gerufen, dass die Marxisten das Werk Darwins begrüßt haben, insbesondere sein Hauptwerk “Die Entstehung der Arten”. Sofort nach der Veröffentlichung von Darwins Buch haben Marx und Engels in seiner Methode eine dem historischen Materialismus analoge Methode erkannt. Am 11. Dezember 1859 schrieb Engels in einem Brief an Marx: “Übrigens ist der Darwin, den ich jetzt grade lese, ganz famos. Die Teleologie war nach einer Seite hin noch nicht kaputt gemacht, das ist jetzt geschehen. Dazu ist bisher noch nie ein so großartiger Versuch gemacht worden, historische Entwicklung in der Natur nachzuweisen…” (Engels an Marx, 11.12.1859, MEW Bd. 29, S. 524)

Ein Jahr später, am 19. Dezember 1860, schrieb Marx, nachdem er das Buch “Die Entstehung der Arten” gelesen hatte, an Engels : “(Es) ist dies das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht enthält.” (19.12.1860, Marx an Engels, MEW Bd. 30, S. 131)

Doch einige Zeit später, am 18. Juni 1862, revidierte Marx in einem Brief an Engels seine frühere Einschätzung, als er unbegründete Kritik an Darwin äußerte : “Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englischer Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluß neuer Märkte, ‚Erfindungen‘, und Malthusschem ‚Kampf ums Dasein‘ wiedererkennt. Es ist Hobbes ‚bellum omnium contra omnes‘ (Krieg aller gegen alle), und es erinnert an Hegel in der ‚Phänomenologie‘, wo die bürgerliche Gesellschaft als ‚geistiges Tierreich‘, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.” (Marx an Engels, 18.Juni 1862, MEW, Bd. 30, Briefe, S. 249).

In seinem Buch “Anti-Dühring” und in “Dialektik der Natur” stützte sich Engels teilweise auf die Kritik von Marx (er bezog sich auf die malthusianischen Fehler Darwins).

Aufgrund des langen Schweigens Darwins zur Abstammung der Menschen (sein Buch über die Abstammung des Menschen wurde erst 1871 veröffentlicht, elf Jahre nach dem Erscheinen von “Die Entstehung der Arten”) haben seine Kritiker, insbesondere Galton und Spencer, die Theorie der natürlichen Zuchtauswahl ausgeschlachtet, um diese schematisch auf die gegenwärtige Gesellschaft anzuwenden. “Die Entstehung der Arten” 4) wurde also leichterhand mit der Verteidigung der Malthus‘schen Theorie des “Gesetz des Stärkeren” im Existenzkampf in Verbindung gebracht.

Leider hat dieses lange Schweigen Darwins zur Abstammung des Menschen bei Marx und Engels für Verwirrung gesorgt, die - weil sie die Darwinsche Anthropologie, die erst 1871 entwickelt wurde 5), noch nicht kannten - das Denken Darwins mit dem liberalen Integrismus oder dem “Reinigungszwang” seiner beiden Kritiker verwechselten.

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Marx und Darwin, zwischen dem Marxismus und dem Darwinismus könne im Grunde als ein “verpasstes Rendez-vous” betrachtet werden, wie Patrick Tort es auf einigen seiner öffentlichen Buchvorstellungen bezeichnete. Doch dies trifft nicht ganz zu, da Marx trotz seiner Kritik von 1862 den Materialismus Darwins weiterhin hoch schätzte. Ohne “Die Abstammung des Menschen” zu kennen, bot Marx 1872 Darwin ein Exemplar der deutschen Ausgabe seines Hauptwerkes “Das Kapital” mit einer persönlichen Widmung an: “Für Charles Darwin, von einem aufrichtigen Bewunderer” . Wenn man sich heute dieses Buch anschaut (das sich in der Bibliothek Darwins befindet), kann man sehen, dass lediglich die ersten Seiten aufgeschnitten wurden. Darwin beachtete die Theorie von Marx kaum, denn er hielt sich im Bereich der Wirtschaft nicht für sehr kompetent. Doch ein Jahr später, 1873, bekundete er ihm seine Sympathie in einem Dankesschreiben: “Ich glaube aufrichtig, dass diese Huldigung durch Sie mir eher zustehen würde, wenn ich besser das tief greifende und wichtige Thema der politischen Ökonomie verstehen würde.”

So haben die beiden Flüsse trotz des “verpassten Rendez-vous” dennoch teilweise ihr Wasser vermengen können.

Übrigens hat die Arbeiterbewegung nach Marx dessen Kritik an Darwin aus dem Jahre 1862 nicht weiter aufgegriffen. Auch wenn die große Mehrheit der marxistischen Theoretiker (Anton Pannekoek in seiner Broschüre “Darwinismus und Marxismus” eingeschlossen) “Die Abstammung des Menschen” etwas vernachlässigt hat.

Natürlich haben Pannekoek und Kautsky (in seinem Buch “Ethik und die materialistische Geschichtsauffassung”) und Plechanow in “Zur Frage der Entwicklung des monistischen Geschichtsauffassung” Darwins Theorie der sozialen Triebe begrüßt. Sie hatten jedoch nicht ausreichend verstanden, dass Darwin eine Theorie der Genealogie der Moral und der Zivilisation und eine materialistische Auffassung des Ursprungs derselben entwickelt hatte. Diese Theorie deckt sich in mancherlei Hinsicht mit der monistischen Geschichtsauffassung, und sie führt letzten Endes zur Perspektive des Kommunismus, d.h. dem Streben nach Vereinigung der Menschheit in einer menschlichen Weltgemeinschaft. Dies war die Ethik Darwins, auch wenn er kein Marxist war und keine revolutionäre Auffassung über den Klassenkampf vertrat.

Man könnte heute in gewisser Hinsicht behaupten, dass, wenn Marx und Darwin Ende des 19. Jahrhunderts nicht ihr “Rendez-vous” verpasst hätten, es ziemlich wahrscheinlich gewesen wäre, dass Marx und Engels der “Abstammung des Menschen” die gleiche Bedeutung beigemessen hätten wie der Untersuchung L.H. Morgans über den primitiven Kommunismus – “Die archaische Gesellschaft” (auf die sich Engels in seinem Buch “Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats” größtenteils bezieht).

Morgan und Darwin waren keine Marxisten. Aber ihre Beiträge (der erste im Bereich der Ethnologie, der zweite im Bereich der Naturwissenschaften) werden von dauerhaftem Wert für die Arbeiterbewegung bleiben.

Heute wird die Menschheit mit einer bislang ungekannten Entfesselung des “Jeder für sich”, des “Krieges aller gegen alle” und der mörderischen Konkurrenz konfrontiert, die durch den Bankrott des Kapitalismus verursacht wird.

Konfrontiert mit dem Zerfall dieses dekadenten Systems, muss die Weltarbeiterklasse, die Klasse der assoziierten Produzenten, durch ihren Kampf gegen die kapitalistische Barbarei die Ausdehnung der sozialen Gefühle der Menschengattung mehr als je zuvor fördern, damit sich in ihren Reihen ein revolutionäres Klassenbewusstsein entfaltet. Dies ist das einzige Mittel, damit die Menschheit die nächste Stufe der Zivilisation erklimmen kann: die kommunistische Gesellschaft, d.h. eine wahre menschliche Weltgemeinschaft, die solidarisch und vereint ist. 6

Sofiane (23.03 2009)

1 Patrick Tort arbeitet mit dem Naturgeschichtlichen Nationalmuseum zusammen. Als Verantwortlicher für die Veröffentlichung des monumentalen “Dictionnaire du darwinisme et de l'évolution" gründete und leitet er das Institut Charles Darwin International (www.charlesdarwin.fr [17] ). 30 Jahre schon hat er sich mit dem Studium des Werkes von Darwin befasst. Er beabsichtigt im Rahmen seines Instituts dessen Gesamtwerk auf Französisch herauszubringen (35 Bände, die im Slatkine-Verlag erscheinen sollen. Bislang sind schon zwei Bände veröffentlicht).

2 Man muss ebenso unterstreichen, dass sich Darwin vehement gegen die Sklaverei gewandt hat. Er prangerte mehrfach die Barbarei der Kolonialisierung an.

3 Um seine Theorie zu verdeutlichen, benutzt Patrick Tort einen topologische Methaper, den des Möbiusbandes. Somit kann man verstehen, wie man dank des Phänomens des schrittweisen Übergangs zur Umkehrung bruchlos zur “anderen Seite” des Bandes übergeht (siehe die Verdeutlichung dieser “Bruchwirkung” ohne “punktuellen Bruch” in “Der Darwin Effekt: Natürliche Zuchtauswahl und Geburt der Zivilisation”.

4 Darwin wollte nicht zu schnell einen neuen “Schock” in der angepassten Gesellschaft seiner Zeit auslösen. Deshalb zog er es vor zu warten, bis der erste Schock über “Der Ursprung der Arten” nachließ, bevor er einen Schritt weiterging. Es war keineswegs selbstverständlich, auch nicht in den Reihen der Wissenschaftler, dass die Idee, derzufolge der Mensch mit den großen Affen gemeinsame Vorfahren hatte, akzeptiert wurde.

5 Als Darwin sich 1871 entschloss, “Die Abstammung des Menschen” zu veröffentlichen, schenkten Marx und Engels diesem neu erschienen Buch keine Aufmerksamkeit, denn sie waren zu stark mit den Ereignissen der Pariser Kommune und den organisatorischen Schwierigkeiten der I. Internationale beschäftigt, die sich mit den Manövern Bakunins auseinandersetzen musste.

6 Natürlich hat diese “kommunistische Gesellschaft” nichts mit dem Stalinismus gemeinsam, d.h. mit den staatskapitalistischen Regimes, die die UdSSR und Osteuropa bis 1989 beherrschten. Ihre wahren Umrisse wurden im Kommunistischen Manifest von 1848 und in der Kritik des Gothaer Programms (1875) entwickelt, insbesondere in dem folgenden Absatz. “In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"

[Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 19. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 13180 (vgl. MEW Bd. 19, S. 21)]

 

 

 

 

Leute: 

  • Darwin [18]
  • Pannekoek [19]
  • Patrick Tort [20]

Historische Ereignisse: 

  • Darwinismus und Materialismus [21]
  • Darwinismus und Marxismus [22]
  • Darwin und Kommunismus [23]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/1786/weltrevolution-nr-154

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterklasse-und-krise [2] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/klassenkampf-2009 [3] https://www.anarcom.lapja.hu/ [4] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/barikad-kollektiva [5] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/klassenkampf-ungarn [6] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/faschismus [7] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/antifaschismus [8] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/gefahrdung-der-demokratie [9] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/holocaust-und-kommunisten [10] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/schematismus [11] https://fr.internationalism.org/book/export/html/3712 [12] http://www.lkp-gwa.org/chronologie.htm [13] http://www.liberation.fr/politiques/0101513929-la-societe-geadeloupeenne-entre-dans-l-apres-greve [14] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/streiks-auf-guadeloupe [15] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/martinique [16] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/la-reunion [17] https://www.charlesdarwin.fr/ [18] https://de.internationalism.org/tag/leute/darwin [19] https://de.internationalism.org/tag/leute/pannekoek [20] https://de.internationalism.org/tag/leute/patrick-tort [21] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/darwinismus-und-materialismus [22] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/darwinismus-und-marxismus [23] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/darwin-und-kommunismus