Anfang November 2005 führte die Gewerkschaft Unia eine
Aktionswoche zum Thema Jugendarbeitslosigkeit durch, die am 5. November
mit einer Demonstration in Zürich endete. Der Slogan der Gewerkschaften
lautete: "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen".
Obwohl die politische Unterstützung breiter nicht hätte sein können -
von der Christlichen Volkspartei bis zum "Revolutionären Aufbau" -
nahmen nur einige Hundert Leute daran teil, wobei ein Grossteil davon
Gewerkschaftsaktivisten waren.
Die nur mässige Beteiligung an der Aktion der vereinigten Linken kann
nicht daran liegen, dass das Thema Jugendarbeitslosigkeit niemanden
interessieren würde. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Schweiz noch
nicht die gleichen Ausmasse angenommen hat wie in Deutschland,
Frankreich oder Spanien, ist sie doch deutlich spürbar und nimmt
ständig zu. Immer mehr Arbeitsplätze gehen verloren. Gerade für
diejenigen, die die Schule verlassen, wird es immer schwieriger, eine
Lehrstelle oder überhaupt eine Lohnarbeit zu finden.
Obwohl die staatlichen Statistiken längst nicht alle Arbeitslosen
erfassen, sprechen sie mindestens in der Tendenz eine deutliche
Sprache: Die offizielle Quote aller Arbeitslosen liegt gegenwärtig bei
3.7% (Oktober 2005). Zwischen 2001 und 2004 ist sie von 1.7% auf 3.9%
angestiegen. Niemand rechnet ernsthaft mit einem Rückgang. In dieser
Statistik gilt nur als "arbeitslos", wer in den letzten 14 Monaten
seine Stelle verloren hat und bei der Arbeitslosenversicherung gemeldet
ist. Das sind gegenwärtig etwa 145'000. Diejenigen, die nach 14 Monaten
ausgesteuert worden sind, werden also nicht mehr als "Arbeitslose"
erfasst. Hinzu kommen deshalb noch einmal 70'000 "Stellensuchende", die
nicht als "arbeitslos" gelten, weil sie sich z.B. in einer Umschulung
oder einem Beschäftigungsprogramm befinden oder einen Zwischenverdienst
erzielen. Und schliesslich kommen all diejenigen hinzu, die überhaupt
nicht mehr von diesen Statistiken registriert werden, weil sie die
Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben und mit der Sozialhilfe oder
sonst irgendwie überleben. Auch hier zeigen die Zahlen die Tendenz mehr
als deutlich auf: In der Stadt Zürich gab es Ende 2001 rund 6'000
Haushalte, die Sozialhilfe beanspruchten; Ende 2004 waren es schon über
9'000, was mit 15'500 betroffenen Personen 6.3% der Stadtbevölkerung
ausmachte.
Weiter ist klar, dass viele, die vor der Arbeitslosigkeit stehen, eine
andere "Lösung" suchen: Ältere Arbeiter lassen sich früher
pensionieren, als es eigentlich vorgesehen wäre; wer kann oder muss,
meldet sich bei der Invalidenversicherung an; ImmigrantInnen verlassen
die Schweiz wieder, weil sie schon lange nicht mehr hält, was sie als
vermeintliches Schokoladenparadies versprochen hat; die Jugendlichen
drücken weiterhin die Schulbank, weil sie keine Stelle finden. Gerade
bei ProletarierInnen zwischen 15 und 25 Jahren ist die Arbeitslosigkeit
besonders hoch; sie stieg von 1.7% im Jahr 2001 auf 5.5% im Januar
2005, wobei die Quote in den Städten wesentlich höher, nämlich bei bis
zu 10%, liegt. Auch bei der Sozialhilfe trifft es allen voran die junge
Generation; in Zürich sind es 12% und in Basel gar 15% der Kinder, die
Sozialhilfe beziehen müssen.
Welch ein Hohn: Dieses Wirtschaftssystem zu Beginn des 21.
Jahrhunderts, nach Tausenden von Jahren des Fortschritts, dieser
Kapitalismus mit Produktivkräften, wie sie nie zuvor eine menschliche
Gesellschaft gekannt hat, kann nicht einmal mehr der Jugend eine
Zukunft anbieten, geschweige denn den Menschen, die wegen ihres Alters
oder der Gesundheit nicht mehr arbeiten können. Und niemand kann sich
einer Illusion hingeben: Die sich verschlimmernden Verhältnisse in der
Schweiz sind erst ein Vorgeschmack dessen, was der Kapitalismus dem
Proletariat auch hier bereit hält. Die Lebensbedingungen in den
französischen Vorstädten, in den argentinischen und brasilianischen
Elendsvierteln zeigen die Richtung auf, in welche dieses todkranke
System sich bewegt.
Der Staat kann sich in dieser Gesellschaft, die nach der Profitlogik
funktioniert, die Ernährung der Arbeitslosen, die Pflege der Kranken,
einen würdigen Lebensabend der Pensionierten je länger je weniger
leisten. Nach 30 Jahren Krise, nachdem alle Kniffe mit Verschuldung,
Subventionen, Protektionismus, Steuererhöhung für die Armen,
Steuerreduktionen für die Reichen usw. ausgereizt worden sind, kann der
Kapitalismus auch in den höchstentwickelten Ländern die
Sozialversicherungen - diese verstaatlichte "Solidarität" - nicht mehr
bezahlen. Es liegt nicht an den falschen Rezepten der jeweils gerade
Regierenden. Vielmehr gibt es im Kapitalismus gar kein Rezept mehr. Es
bleibt nur die Abschaffung des Kapitalismus, die revolutionäre
Überwindung dieses Systems, das auf der einen Seite immer mehr Waren
produziert, die nicht verkauft werden können, und auf der anderen Seite
immer mehr Elend bei denjenigen, die diesen Reichtum eigentlich
geschaffen haben, aber der Mittel beraubt sind, um ihn zu konsumieren.
Um die Reifung dieses Bewusstseins über
die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung dieses Systems zu
verhindern oder wenigstens so lange wie möglich hinauszuzögern,
organisiert die Linke des Kapitals - d.h. die Gewerkschaften und die
linken Parteien und Organisationen - solche Veranstaltungen wie die
eingangs erwähnte Aktionswoche mit der krönenden Demonstration. Dabei
gibt es innerhalb dieser Linken eine Arbeitsteilung:
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die vorgeben, dieses
kapitalistische System verbessern zu können. Sich bei den Jugendlichen
anbiedernd, proklamieren sie "Future Now! - Arbeit und Ausbildung für
alle Jugendlichen", als ob der Kapitalismus eine Zukunft hätte, und
bieten eine Party mit R'n'B, Hip Hop und House an (vgl. offizieller
Flyer der Gewerkschaften). Die Unia als Hauptorganisatorin fordert:
"Ein Recht auf eine Ausbildung oder Lehrstelle, für alle. 10 Prozent
mehr Ausbildungsplätze an Handelsmittelschulen und in Lehrwerkstätten.
(...) Jeder Lehrling, jede Lehrtochter soll vom ausbildenden Betrieb
während mindestens einem Jahr weiterbeschäftigt werden." (aus dem
Flugblatt zur Aktionswoche). Dabei verschweigt sie, dass im
Kapitalismus das Geld längst fehlt, um solche Massnahmen zu
finanzieren: Entweder bezahlen es letztlich die Kapitalisten, die
entsprechend ihre Profite schwinden sehen und angesichts der billiger
produzierenden Konkurrenz bankrott gehen oder ihre Produktion in ein
anderes Land ohne solche Vorschriften auslagern. Oder die von der Unia
geforderten Massnahmen werden ganz oder teilweise von der
Arbeiterklasse bezahlt, was noch mehr Angriffe auf ihre
Lebensbedingungen bedeutet.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die zwar vollmundig gegen
"Profite", "Ausbeutung" und "Kapitalismus" wettern und den
"Kommunismus" als Lösung anpreisen, aber verschweigen, was sie damit
meinen. Dazu zählen insbesondere die Stalinisten verschiedener Couleur,
namentlich die Partei der Arbeit (PdA) und der "Revolutionäre
Aufbau". Für diese Organisationen ist Stalins Russland oder der so
genannte Realsozialismus, wenn nicht gerade das Paradies auf Erden, so
doch ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Der "Aufbau"
unterstützt nach wie vor von der Bourgeoisie als "kommunistisch"
bezeichnete Staaten wie Nordkorea oder Kuba und die
"linksnationalistische Chavez-Regierung" in Venezuela . Die Antwort des
Realsozialismus (im ehemaligen Ostblock) auf die Wirtschaftskrise war
das Stachanow-Prinzip: Wer am schnellsten und längsten arbeitete,
erhielt einen Orden als "Held der Arbeit". Die fehlende Entwicklung der
Produktivkräfte, wurde durch die umso längere und intensivere
Auspressung der verfügbaren Arbeitskräfte kompensiert . Dadurch
"lösten" diese Staaten auch das Problem der Arbeitslosigkeit; alle
mussten arbeiten - nicht zuletzt auch im Gulag. Das System beruhte aber
auf der Warenproduktion, der Lohnarbeit und der Kapitalakkumulation, es
war also durch und durch kapitalistisch. Als solches musste es sich auf
dem Weltmarkt, in der Konkurrenz mit dem westlichen Kapitalismus
bewähren, was ihm misslang. 1989 ist dieser als "Sozialismus" verkaufte
Ostblock-Kapitalismus wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit
zusammengebrochen. Das hindert die Stalinisten der verschiedenen
Richtungen aber nicht daran, dieses Modell als Lösung zu verkaufen,
wenn auch in einer Mogelpackung, auf der in knallroten Lettern
"Kommunismus" und "revolutionär" steht. Wer die Arbeitslosigkeit heute
mit solchen Schlagworten anprangert, dies aber auf der Grundlage der
Sympathie mit dem Stalinismus und seinen Methoden zur
"Vollbeschäftigung" tut, steht nicht auf der Seite der Arbeiterklasse.
Es scheint absurd: Einerseits werden ständig Arbeitsplätze abgebaut,
weil Überkapazitäten bestehen, also zuviel produziert wird;
andererseits leiden etwa eine Milliarde Menschen an Unterernährung. Die
Arbeitslosigkeit nimmt immer grössere Ausmasse an, gleichzeitig müssen
diejenigen, die noch eine Stelle haben, sich immer mehr bis zur
körperlichen und psychischen Erschöpfung auspressen lassen. Die
Jugendlichen finden keine Stelle; gleichzeitig erhöhen die Regierungen
das Rentenalter, zwingen also die älteren ArbeiterInnen zu noch mehr
Arbeit.
All diese Widersprüche sind im Kapitalismus nicht lösbar. Die
Profitlogik steht einer Lösung entgegen. Umgekehrt zeigen aber diese
Widersprüche auf, wie überreif diese Gesellschaft und die mittlerweile
entwickelten Produktivkräfte für eine neue Produktionsweise sind - für
eine andere Gesellschaft, in der nicht für den Profit, sondern für die
Bedürfnisse der Menschen produziert wird. Es kann genug produziert
werden, niemand braucht Hunger zu leiden oder auf die Gesundheitspflege
zu verzichten. Darüber hinaus ist es auch nicht nötig, dass wir alle
den ganzen Tag malochen.
Aber diese klassenlose Gesellschaft wird erst das Resultat von Kämpfen
der Arbeiterklasse sein. Diese Kämpfe beginnen heute mit der
Verteidigung gegen die Angriffe, denen wir täglich als Arbeiter - ob
jung oder alt, männlich oder weiblich, arbeitslos, Rentner oder
erwerbstätig, gelernt oder ungelernt - ausgesetzt sind. Lassen wir uns
nicht spalten! Wenn die Gewerkschaften und die Linken die
Jugendarbeitslosigkeit in den Vordergrund stellen, ist dies ein
typischer Spaltungsversuch. Als ob nur die "Jugendlichen Arbeit und
Ausbildung" bräuchten. Diese Organisationen der Bourgeoise wollen gar
nicht, dass die Arbeiterklasse als ganze zusammen kommt. Sie wollen
hier und dort etwas Luft ablassen, die gärende Unzufriedenheit
kanalisieren und in Forderungen nach einer Umverteilung der Arbeit
versickern lassen. Dies steckt in Wirklichkeit hinter Mobilisierungen
wie derjenigen am 5. November, die sich mit jugendfreundlichen Parolen
schmücken.
Selbstverständlich ist es notwendig, dass sich jugendliche Arbeitslose
zur Wehr setzen und das scheinbare Schicksal nicht passiv hinnehmen.
Dazu gehört aber vor allem auch die Diskussion über die Ursachen dieser
im Kapitalismus tatsächlich ausweglosen Situation. Ebenso wichtig ist
die Überprüfung der vermeintlichen Lösungen und "Kampfmittel", die uns
die kapitalistischen Organe von links bis rechts schmackhaft machen
wollen, wie z.B. am 5. November. Dies ist ein erster Schritt, um sich
dem Kampf der Arbeiterklasse als ganze anzuschliessen und so erst eine
wirkliche Perspektive zu eröffnen.
Die Entlassungen gehen weiter. Die Stärke der Arbeiterklasse ist ihre
Einheit. Wir müssen gegen die Angriffe auf die Löhne, die Renten, die
Arbeits- und Lebensbedingungen überhaupt die Solidarität zum Tragen
bringen; die Einheit mit anderen Arbeitern suchen; das allgemeine
Interesse der ganzen Klasse in den Vordergrund stellen; die Kämpfe
ausweiten, und zwar unabhängig von den Gewerkschaften und allen anderen
staatskapitalistischen Organisationen. E/N, 14.11.05
(1) vgl. dazu auch den Artikel "Massenarbeitslosigkeit: Bankrotterklärung des Kapitalismus" in Weltrevolution Nr. 129
(2) Die PdA, die bis zum Zusammenbruch des Ostblocks offizielle
prosowjetische Partei in der Schweiz, figuriert zwar unter den
unterstützenden Organisationen der Demo gegen Jugendarbeitslosigkeit,
scheint aber weder dafür mobilisiert noch ein Flugblatt geschrieben zu
haben.
(3) "Aufbau" Nr. 39 S. 6
(4) vgl. für eine vertiefte Analyse über die kapitalistische
Krise in den Ländern des Ostblocks den Artikel in Internationa
Die Ursachen des imperialistischen Krieges Die Anarchie als Wesensmerkmal des Kapitalismus
In der Weltrevolution 124 berichteten wir über die erste einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen des Internationalen Büros für die revolutionäre Partei (IBRP) in Berlin. Die zweite Veranstaltung fand am 15. Mai 2004 statt. Dort wurde über die Ursachen des imperialistischen Krieges debattiert. Ein Vertreter von Battaglia Comunista (BC) hielt das Einleitungsreferat, welches die Hintergründe des Irakkrieges sowie die gegenwärtige Außenpolitik der USA beleuchtete. Der Genosse trug die Analyse des IBRP vor, der zufolge der amerikanische “Kreuzzug gegen den Terrorismus” hauptsächlich ökonomischen Zielen dient: Die Befestigung der amerikanischen Kontrolle über die Ölreserven der Welt, um die Vorherrschaft des Dollars über die Weltwirtschaft abzustützen, um die weitere Abschöpfung einer zusätzlichen Ölrente sicherzustellen. Auf Grund ihrer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit seien die USA auf eine parasitäre Absaugung des Mehrwerts angewiesen, um ihre eigene Wirtschaft über Wasser zu halten. Zudem würden strategische Überlegungen eine Rolle spielen, welche oft mit der Beherrschung von Ölreserven einhergehen und darauf abzielen, Russland und China von einander bzw. von wichtigen Ölfeldern abzutrennen, und die Europäische Union schwach und uneins zu halten.
Diese Analyse löste unterschiedliche Reaktionen unter den Veranstaltungsteilnehmern aus. Während ein Genosse der “Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft” (FKG) – der vormals die Gruppe “Aufbrechen” mit ins Leben gerufen hatte – die Fähigkeit des IBRP lobte, die konkreten wirtschaftlichen Ursachen des Krieges zu identifizieren, äußerte einer der anwesenden Sprecher der “Gruppe internationaler Sozialisten” (GIS) Zweifel gegenüber dieser Analyse. Er wies darauf hin, dass der Vorgang der Aufnahme von internationalen Finanzmitteln durch die USA in erster Linie Ausdruck und Fortsetzung einer klassischen Verschuldungspolitik der USA sei. Zudem wiederholte er die Auffassung, welche er bereits auf der ersten IBRP-Veranstaltung in Berlin vorgetragen hatte (siehe: Weltrevolution 124), der zufolge das Bestreben nach militärischer Beherrschung der Ölquellen weniger wirtschaftlichen als politischen und militärstrategischen Zielen diene. Ein Mitglied der Gruppe “Internationale KommunistInnen” wiederum wies darauf hin, dass nicht nur die USA, sondern auch andere führende imperialistische Staaten – allen voran die europäischen – gegenwärtig um die Weltvorherrschaft kämpften. Er stellte die These auf, dass während in diesem Kampf der US-Imperialismus hauptsächlich seine militärische Überlegenheit in die Waagschale werfe, Europa auf die Karte seiner wirtschaftlichen Stärke setzen würde.
Die IKS befasste sich in ihrem ersten Diskussionsbeitrag mit der Argumentationslinie des Büros. Dieser Auffassung zufolge hätten die USA weitgehend ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt eingebüßt. Um die Folgen dieser Entwicklung – gigantische Handels- und Zahlungsbilanzdefizite, zunehmend auch wieder Haushaltsdefizite der öffentlichen Hand – auszugleichen, führten die USA in aller Welt Kriege, um mittels der Kontrolle über Erdöl sowie die Vormachtsstellung des Dollars Kapital an sich zu ziehen.
Erstens ist aus der IKS diese Analyse politisch sehr gefährlich, weil sie die Ursachen des imperialistischen Krieges in der besonderen Lage eines bestimmten Staates sucht, anstatt in der Entwicklungsstufe und dem Reifegrad der Widersprüche des kapitalistischen Systems insgesamt. Kein Wunder also, wenn diese Analyse große Ähnlichkeiten aufweist mit der Argumentationslinie, welche von den pro-europäischen “Globalisierungsgegnern” bzw. von linken deutschen Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine vertreten werden, welche die Zuspitzung der imperialistischen Spannungen auf einen angeblich besonders parasitären Charakter der US-Wirtschaft zurückführen.
Zweitens lässt diese Analyse zwei Fragen unbeantwortet:
* Weshalb hat ausgerechnet die Wirtschaft der USA – des immer noch mächtigsten kapitalistischen Staates der Welt mit den größten Konzernen, und mit einer nationalen Kultur, welche sich den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise besonders gut angepasst hat – solche Probleme mit ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit?
* Weshalb reagiert die amerikanische Bourgeoisie nicht auf dieses Problem, indem sie das tut, was am einfachsten, am naheliegendsten wäre, nämlich, massiv in ihren Produktionsapparat zu investieren, um ihre Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen? Weshalb sollte sie statt dessen auf dieses wirtschaftliche Problem reagieren, indem sie – wie Battaglia behauptet – die ganze Welt mit Krieg übersäht?
Tatsächlich verwechselt das Internationale Büro in diesem Fall Ursache und Wirkung. Die USA rüsten nicht deshalb so hoch, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind, sondern – insofern sie tatsächlich Wettbewerbsvorteile verloren haben – rührt dies vielmehr im großen Maße aus ihren riesigen Aufwendungen für die Rüstung.
Diese Entwicklung allerdings ist keine Besonderheit des US-Imperialismus. Bereits die UdSSR, Jahrzehnte Hauptrivale der USA, ist nicht zuletzt an dieser Rüstungsspirale zugrunde gegangen. In Wahrheit ist das Aufblähen des Kriegsbudgets auf Kosten der Entwicklung der Produktivkräfte sowie die zunehmende Indienstnahme der Wirtschaft durch den Militarismus ein Wesensmerkmal des niedergehenden Kapitalismus.
Drittens gibt es zwar einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Krise und Krieg im Kapitalismus. Aber dieser Zusammenhang lässt sich nicht auf die vereinfachende These eines Krieges um Öl oder um die Hegemonie des Dollars reduzieren. Der wirkliche Zusammenhang dieser beiden Faktoren zeigt beispielsweise die Konstellation auf, welche zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Damals gab es noch keine Weltwirtschaftsdepression wie die, welche erst später, 1929, ausbrach. Die Wirtschaftskrise von 1913 wies immer noch einen im Wesentlichen zyklischen Charakter auf und fiel vergleichsweise milde aus. Auch gab es damals keine mit heute vergleichbare Handels-, Zahlungs- oder Haushaltskrise Großbritanniens, Deutschlands oder anderer führender Protagonisten, und keine besonderen Währungsturbulenzen (damals wurde der Goldstandard noch weltweit anerkannt). Und dennoch brach der erste imperialistische Weltbrand vom Zaun. Weshalb? Wie lautet das allgemeine Gesetz des Imperialismus, dem die Kriege der Moderne zugrunde liegen?
Je entwickelter ein bürgerlicher Staat ist, je mächtiger die Konzentration seines Kapitals, je größer schließlich seine Abhängigkeit vom Weltmarkt, desto mehr ist der Staat auf gesicherte Zugänge zu den Ressourcen der Welt und deren Beherrschung angewiesen. In der Epoche des Imperialismus ist somit jeder Staat gezwungen zu versuchen, eine Einflusssphäre zu etablieren. Die Großmächte ihrerseits betrachten notwendigerweise die ganze Welt als ihre Einflusssphäre – nichts weniger reicht aus, um ihre Existenzgrundlage abzusichern. Je stärker die Wirtschaftskrise, je härter umkämpft der Weltmarkt wird, desto dringender wird dieses Bedürfnis.
Deutschland erklärte Großbritannien 1914 den Krieg, nicht auf Grund seiner unmittelbaren Wirtschaftslage, sondern, weil es für eine solche Macht - für die die Weltwirtschaft ihr Schicksal geworden war – nicht mehr politisch hinnehmbar war, dass ihr Zugang zum Weltmarkt auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen Großbritanniens (der damaligen Beherrscherin der Weltmeere sowie eines Großteils der Kolonien) abhing. Dies bedeutet, dass die deutsche Bourgeoisie gar nicht erst bis 1929 abzuwarten brauchte, bis es angesichts der weltweiten Depression von Seiten der alten Kolonialmächte vom Weltmarkt ausgeschlossen wurde. Sie zog es vielmehr vor, gewissermaßen vorbeugend, zu versuchen ihre missliche Lage zu verändern, bevor das Schlimmste eintraf. Dies erklärt weshalb am Anfang des 20. Jahrhunderts der Weltkrieg vor der Weltwirtschaftskrise ausbrach.
Die Tatsache, dass die kapitalistischen Mächte immer brutaler auf einander stoßen, bedeutet, dass der imperialistische Krieg immer mehr zum gegenseitigen Ruin der teilnehmenden Staaten führt. Darauf hat bereits Rosa Luxemburg in ihrer ‚Juniusbroschüre‘ hingewiesen. Auch der jüngste Irakkrieg zeigt diese Entwicklung. Der Irak war einst an der Peripherie des Kapitalismus einer der wichtigsten Großauftraggeber der europäischen und amerikanischen Industrie. Heute haben nicht nur die kapitalistische Wirtschaftskrise, sondern noch mehr die Kriege gegen den Iran und gegen die USA dieses Land vollständig ruiniert. Aber auch die amerikanische Wirtschaft blutet zusätzlich auf Grund der Kosten des Irakeinsatzes. Hinter der Idee, dass der Krieg heute um Dollarspekulationen oder eine angebliche Ölrente geführt wird, steckt die Annahme, dass der Krieg noch lukrativ, dass der Kapitalismus noch ein expandierendes System sei. Nicht nur die Politik der USA, sondern auch der Terrorismus vom Schlage Bin Ladens wurde durch den Vertreter Battaglias in diesem Sinne interpretiert: als Ausdruck des Bestrebens “200 saudi-arabische Familien” um einen größeren Anteil der Profite aus der eigenen Ölproduktion.
Nachdem sowohl das IBRP als auch die IKS je die eigene Sichtweise der Kriegsursachen dargelegt hatten, folgte eine interessante und lebhafte Debatte. Dabei fiel auf, dass die Veranstaltungsbesucher großen Wert darauf legten, die jeweilige Position der beiden anwesenden linkskommunistischen Organisationen besser zu verstehen. Sie drängten darauf, dass beide Gruppen aufeinander antworten sollten. Diese Genossen beschränkten sich auch nicht darauf, Fragen zu stellen, sondern trugen ihrerseits Einwände vor und äußerten Kritiken.
So bezeichnete beispielsweise ein Genosse der FKG den von der IKS gemachten Vergleich der Analyse des IBRPs mit der von den Globalisierungsgegnern als “billige Polemik”. Er unterstrich, dass Battaglias Hinweis auf die Aggressorrolle der USA heute nichts mit der Verharmlosung der Rolle der europäischen Imperialismen durch deren bürgerliche Sympathisanten zu tun habe. Und er wies zu Recht darauf hin, dass auch in der Vergangenheit proletarische Internationalisten die Rolle bestimmter Staaten als Auslöser imperialistischer Kriege analysiert haben, ohne sich dadurch irgendwelche Konzessionen gegenüber den Rivalen dieser Staaten zu Schulden kommen zu lassen.
Allein: die Kritik der IKS bezog sich gar nicht auf die Identifizierung der gegenwärtigen Rolle der USA als Hauptauslöser der heutigen Kriege, sondern darauf, dass die Ursachen des Krieges nicht auf die Lage des Imperialismus insgesamt, sondern auf die besondere Stellung der USA zurückgeführt werden.
Der Sprecher Battaglias seinerseits bestritt gar nicht die Ähnlichkeit der von seiner Organisation erstellten Analyse mit denen verschiedener bürgerlicher Strömungen. Er argumentierte jedoch, dass die vom Büro angewandte Analyse innerhalb einer ganz anderen Weltsicht, und zwar einer proletarischen Weltsicht, verankert sei. Dies trifft glücklicherweise noch immer zu. Doch wir bleiben dabei, dass eine solche Analyse nicht nur die Wirksamkeit unseres Kampfes gegen die Ideologie des Klassengegners schwächen, sondern darüber hinaus die Festigkeit des eigenen proletarischen Standpunktes untergraben muss. Unserer Meinung nach ist die Ähnlichkeit der Analyse des IBRP mir der gängigen bürgerlichen Auffassung darauf zurückzuführen, dass sich die Genossen selbst eine bürgerliche Herangehensweise zu Eigen gemacht haben. Diese Betrachtungsweise haben wir Empirismus genannt. Damit meinen wir die Grundtendenz des bürgerlichen Denkens sich durch bestimmte besonders herausragende Tatsachen in die Irre führen zu lassen, anstatt durch eine tiefergehende theoretische Herangehensweise den wirklichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Tatsachen aufzudecken. Diese Herangehensweise des Büros zeigte sich in der Diskussion exemplarisch daran, wie das IBRP die Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaft ohne ausländischen Kapitalzufluss zusammenbrechen würde als Beweis dafür anführte, dass der Irakkrieg dazu gedient habe, die anderen Bourgeoisien zu zwingen, weiterhin ihr Geld in Amerika anzulegen. Doch die Gewißheit, dass die US-Ökonomie ohne diese Zuwendungen untergehen würde, ist schon Zwang genug, dass die europäischen und japanischen Kapitalismen weiterhin amerikanische Bonds und Anlagen kaufen – sie selbst würden einen Zusammenbruch der USA nicht überleben. (1)
Die Verbindung zwischen Krise und Krieg
Vor allem in diesem Teil der Diskussion wurden von verschiedenen Seiten kritische Fragen an die IKS gerichtet. Die Genossen hinterfragten die so betonte Bedeutung strategischer Fragen in unserer Analyse der imperialistischen Rivalitäten. Der Genosse von FKG kritisierte, dass die IKS – wie er meinte – die imperialistischen Spannungen allein aus den militärischen Rivalitäten ableiten würde, ohne Bezug zur Wirtschaftskrise und scheinbar unter Ausschluss wirtschaftlicher Motive. Er wies auf das Beispiel der wirtschaftlichen Kriegsziele Deutschlands im Zweiten Weltkrieg hin, um gegenüber den Auffassungen der IKS darauf zu bestehen, dass die imperialistischen Staaten durch den Krieg eine Lösung für die Wirtschaftskrise suchen. Ein Genosse aus Österreich (einst ein Gründungsmitglied der Gruppe “Internationale Kommunisten” – GIK) wollte von uns wissen, ob die IKS überhaupt die Rolle des Erdöls berücksichtige oder ob wir es für puren Zufall halten würden, dass der “Kampf gegen den Terrorismus” ausgerechnet dort schwerpunktmäßig geführt wird, wo sich die größten Erdölvorkommen der Welt befinden. Und auch der Vertreter der GIS verlangte eine Präzisierung unserer Aussage, dass moderner Krieg nicht die Lösung, sondern selbst ein Ausdruck, ja, eine Explosion der Krise darstellt.
Die Delegation der IKS antwortete, dass aus unserer Sicht der Marxismus, weitentfernt davon, den Zusammenhang zwischen Krise und Krieg zu verneinen, diesen Zusammenhang viel tiefer und umfassender zu begreifen im Stande ist. Für die IKS jedoch, ist der imperialistische Krieg nicht Ausdruck der zyklischen Krisen, welche für das 19. Jahrhundert charakteristisch waren, sondern der Krieg das Produkt der permanenten Krise des niedergehenden Kapitalismus ist. Als solches ist er Ausdruck der Rebellion der zu mächtig gewordenen Produktivkräfte gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft. In seinem Werk “Anti-Dühring” behauptet Friedrich Engels, dass der zentrale Widerspruch des Kapitalismus der zwischen der bereits vergesellschafteten Produktion und der noch immer privaten, anarchischen Aneignung des Produktes ist. In der Epoche des Imperialismus ist einer der Hauptausdrücke dieses Widerspruchs der zwischen dem weltweiten Charakter des Produktionsprozesses und dem Nationalstaat als wichtigstem Instrument der kapitalistischen Privataneignung. Die Krise des dekadenten Kapitalismus ist eine Krise der gesamten bürgerlichen Gesellschaft. Sie findet ihren rein ökonomischen Ausdruck in Wirtschaftsdepressionen, Massenarbeitslosigkeit usw. Sie äußert sich aber auch auf der politischen, militärischen Ebene, z.B. durch immer zerstörerischere militärische Auseinandersetzungen. Charakteristisch für diese Krisenhaftigkeit des gesamten Systems ist die stetige Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten sowohl auf wirtschaftlicher wie auch auf militärischer Ebene. Somit sprachen wir uns gegen die Hypothese des Vertreters der “Internationalen KommunistInnen” aus, der zufolge die amerikanische Bourgeoisie mit militärischen, die europäische Bourgeoisie aber mit wirtschaftlichen Mitteln um die Weltherrschaft kämpfen würden. In der Realität wird dieser Kampf von allen Seiten mit allen Mitteln ausgetragen. Es tobt der Handelskrieg ebenso wie der militärische Krieg.
Zwar stimmt es, dass die Bourgeoisie nach wie vor im Krieg einen Ausweg aus der Krise sucht. Doch weil die Welt seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits aufgeteilt ist, kann diese ‚Lösung‘ jeweils nur auf Kosten anderer, in der Regel benachbarter kapitalistischer Staaten gehen. Im Falle der Großmächte liegt diese ‚Lösung‘ in der Weltherrschaft und erfordert somit den Ausschluss oder die vollständige Unterwerfung anderer Großmächte. Das bedeutet, dass diese Suche nach einer Lösung der Krise einen stets utopischeren oder unrealistischeren Charakter annimmt. Die IKS spricht von einer zunehmenden ‚Irrationalität‘ des Krieges.
In der Dekadenzphase des Kapitalismus stellt sich regelmäßig heraus, dass diejenige Macht, welche die Rolle des Kriegstreibers übernehmen muss, als Verlierer hervorgeht: z.B. Deutschland in zwei Weltkriegen. Dies zeigt den zunehmend irrationalen und immer schwerer beherrschbaren Charakter des modernen Krieges.
Was wir an der Kriegsanalyse des IBRP kritisieren, ist gar nicht die Behauptung, dass der Krieg wirtschaftliche Ursachen hat, sondern die Gleichsetzung von wirtschaftlichen Ursachen und wirtschaftlicher Gewinnträchtigkeit. Darüber hinaus kritisieren wir eine aus unserer Sicht vulgärmaterialistische Tendenz, jeden Schritt in der imperialistischen Auseinandersetzung von einer unmittelbaren wirtschaftlichen Ursache abzuleiten. Dies zeigt sich gerade in der Ölfrage. Das Vorhandensein der Erdölquellen im Nahen Osten spielt selbstverständlich eine große Rolle. Jedoch müssen die Industriestaaten – allen voran die USA – diese Quellen nicht erst militärisch besetzen, um ihre ökonomisch vorherrschende Rolle gegenüber diesen und anderen Rohstoffen durchzusetzen. Es geht vielmehr um die militärstrategische Hegemonie über diese möglicherweise kriegsentscheidenden Energiequellen.
Das Büro bestritt vehement die Behauptung der IKS, dass der moderne Krieg Ausdruck der Ausweglosigkeit des Kapitalismus sei. Zwar würde das zerstörerische Wesen des Kapitalismus irgendwann zur Zerstörung der Menschheit führen – so der Vertreter von Battaglia Comunista. Doch solange dieser endgültige Kladderatsch noch nicht eingetreten sei, könne der Kapitalismus unbegrenzt weiter expandieren. Nicht die gegenwärtigen, von den USA angezettelten Kriege, sondern die ‚wirklichen imperialistischen Kriege‘ der Zukunft, beispielsweise zwischen Amerika und Europa, seien dem Genossen von Battaglia zufolge die Mittel zu dieser Expansion, indem eine allgemeine Zerstörung eine neue Akkumulationsphase eröffnen würde. Wir stimmen darin überein, dass der Kapitalismus imstande ist, die Menschheit zu vernichten. Jedoch die Vernichtung überschüssiger Produkte reichte, historisch betrachtet, nicht mal aus, um die konjunkturellen, zyklischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zu überwinden. Dazu war laut Marx und Engels auch noch die Erschließung neuer Märkte erforderlich. Denn während im Rahmen der Naturalwirtschaft Überproduktion immer nur als Überschuss über die maximale physiologische Konsumtionsgrenze hinaus auftreten kann, tritt sie in der Warenwirtschaft – und erst recht im Kapitalismus – stets im Verhältnis zu der Nachfrage der Geld besitzenden Konsumenten auf. Es handelt sich um eine ökonomische und nicht so sehr um eine physiologische Kategorie.
Das bedeutet aber, dass die Kriegszerstörung das Problem der fehlenden, zahlungskräftigen Nachfrage nicht lösen kann. Vor allem aber ist die hier vom Büro vertretene Auffassung hinsichtlich der möglichen Expansion des Kapitalismus bis zum Moment der physischen Vernichtung nicht vereinbar mit der Vorstellung von der Dekadenz des Kapitalismus – eine Auffassung, von der sich das IBRP faktisch immer mehr zu verabschieden scheint.
Denn nach der marxistischen Auffassung geht der Niedergang einer Produktionsweise stets einher mit der wachsenden Fesselung der Produktivkräfte durch die bestehenden Produktions- und Eigentumsverhältnisse. Aus der Sicht Battaglias jedenfalls scheint der Krieg wie im 19. Jahrhundert weiterhin die Rolle eines Motors der wirtschaftlichen Expansion spielen zu können.
Wenn der Vertreter des Büros von den kommenden ‚wirklichen imperialistischen Kriegen‘ redet, so festigt sich bei uns der Eindruck, dass diese Organisation die Kriege der Gegenwart lediglich als Fortsetzung der Wirtschaftspolitik der USA mit anderen Mitteln, nicht aber als imperialistische Konflikte betrachtet. Wir für unseren Teil bestanden darauf, dass auch diese Kriege inter-imperialistische Auseinandersetzungen sind. Auch die imperialistischen Großmächte geraten jetzt schon aneinander, zwar nicht direkt, aber in der Form von Stellvertreterkriegen. Die ursprünglich von Deutschland ausgelöste Kette kriegerischer Konflikte in Jugoslawien verdeutlicht zudem, dass dabei nicht allein die USA als Aggressor auftreten.
In seinem Schlusswort vertrat der Sprecher des Büros die Auffassung, dass die Diskussion gezeigt habe, dass – so wörtlich - ‚die Debatte zwischen dem IBRP und der IKS nutzlos sei.‘
Dem IBRP zufolge zeige sich das darin, dass das Büro der IKS seit Jahrzehnten Idealismus‘, die IKS hingegen dem IBRP ‚Vulgärmaterialismus‘ vorwerfe, ohne dass die beiden Organisationen von ihren jeweiligen Positionen abgerückt wären.
Aus unserer Sicht ist das ein ziemlich herablassendes Urteil über eine Diskussion, an der sich außer den beiden Organisationen so unterschiedliche Positionen und politische Gruppen sehr rege beteiligt haben. Es liegt auf der Hand, dass die neue Generation politisch interessierter Menschen im deutschsprachigen Raum ein großes Interesse daran haben muss, die Positionen der bestehenden internationalistischen Organisationen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von deren Auffassungen möglichst umfassend kennenzulernen. Was könnte diesem Bedürfnis zweckdienlicher sein als die öffentliche Debatte?
Soweit wir wissen, ist kein Revolutionär bisher auf die Idee gekommen, beispielsweise die Debatte zwischen Lenin und Rosa Luxemburg über die nationale Frage nur deshalb als ‚nutzlos‘ zu bezeichnen, weil keiner der beiden Kontrahenten seine jeweilige Position geändert hat. Im Gegenteil: Vielmehr fußt die heutige ‚linkskommunistische‘ Position zur Frage der sog. ‚nationalen Befreiungsbewegungen‘ zum bedeutenden Teil auf dieser Debatte.
Die IKS für ihren Teil jedenfalls hat keine Angst vor der öffentlichen Diskussion, und wird sich weiterhin dafür einsetzen und sich daran beteiligen. Denn diese Debatte ist der unverzichtbare Bestandteil des Prozesses der Bewusstseinsentwicklung. -Weltrevolution
(1) Wir wollen an dieser Stelle hinzufügen, dass unabhängig von der Rivalität mit den USA, ihre Rivalen weiterhin ihr Kapital in der stabilsten Wirtschaft der Welt anlegen werden, da dieses Land militärisch und ökonomisch in absehbarer Zeit weltweit das mächtigste Land bleiben wird.
Charakteristisch für diese verschärfte Kriegserklärung der Ausbeuter
gegen die arbeitende Bevölkerung ist die Anhebung der Mehrwertsteuer.
Während des vorangegangenen Wahlkampfes eiferte die SPD gegen die
Steuerpläne des damals von Angela Merkel designierten Finanzministers
Kirchhoff, der davon träumte, einen einheitlichen Eingangssteuersatz
einzuführen, den Millionäre wie Geringbeschäftigte gleichermaßen zu
entrichten hätten. Aber gerade die Anhebung der Mehrwertsteuer trifft
die Armen doppelt schwer, da selbst Bettler und Obdachlose diese Steuer
zu entrichten haben, sobald sie etwas kaufen.
Ein solcher Generalangriff der Herrschenden gegen die Lebensinteressen
der Arbeiterklasse wird mit Sicherheit Zorn und Empörung auf Seiten der
Betroffenen hervorrufen. Jedoch zeigt die Art und Weise, wie dieses
Angriffs-“Paket” zusammengestellt wurde, dass die Ausbeuter alles tun
wollen, um den Arbeiterwiderstand von vornherein zu erschweren. Neben
der Brutalität der Maßnahmen ist an diesem rot-schwarzen
Koalitionsvertrag v.a. eins kennzeichnend: Das Bemühen, die
Lohnabhängigen gegeneinander auszuspielen. Ein Paradebeispiel hierfür
ist die geplante Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. um zwei
Prozentpunkte. Die Hälfte davon soll durch Kürzungen bei der
Erwerbslosenunterstützung “gegenfinanziert” werden. Die andere Hälfte
soll aus den zusätzlichen Einnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung
bestritten werden. So soll ein Spalt zwischen Beschäftigten und
Arbeitslosen gesät werden. Dabei geht es bei dieser Maßnahme in
Wahrheit um die Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmer, die
“paritätisch” (zur Hälfte”) an der herkömmlichen
Arbeitslosenversicherung beteiligt sind. Die Kosten für diese Senkung –
falls sie überhaupt zustande kommt – haben allein die Beschäftigen und
Arbeitslosen zu tragen. Was es mit solchen angeblichen Entlastungen der
Arbeiterklasse auf sich hat, zeigt beispielsweise die versprochene
Senkung der Abgaben zur Gesundheitsversicherung seitens der rot-grünen
Regierung. Während seitdem die Gesundheitsversorgung weiter erheblich
eingeschränkt und verschlechtert wurde, ist bis heute keine Absenkung
der Versicherungsbeiträge eingetreten. Im Gegenteil. Allein schon die
Anhebung der Mehrwertsteuer wird für eine weitere Verteuerung auch auf
diesem Gebiet sorgen.
Was der Koalitionsvertrag darüber hinaus noch bestätigt, ist die Verlogenheit nicht nur der Wahlversprechen (beispielsweise hat die Union versprochen, die Gesamtsteuerlast für die Bevölkerung zu senken, die SPD, die Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern), sondern des demokratischen Wahlkampfes überhaupt. So hat alle Welt so getan, als ob Christdemokraten und Sozialdemokraten, “Marktliberale” und “Verteidiger des Sozialstaates” unversöhnliche politische Lager bilden würden. Jetzt erlebt man von neuem, wie wunderbar Links und Rechts miteinander in einer Regierungskoalition sich verständigen, wenn es um die Durchsetzung der Interessen des Kapitals gegen die Ausgebeuteten geht. Dies trifft auf alle beteiligten Parteien zu, so z.B. auf die PDS überall dort, wo sie in den Ländern und Kommunen Regierungsverantwortung übernimmt. Wichtiger als die Lehre, dass die Wahlkämpfer lügen, ist jedoch die Erkenntnis, dass die bürgerliche Demokratie eine viel mächtigere, weil raffiniertere und elastischere Form des staatlichen Totalitarismus darstellt als die unverhüllte Gewaltherrschaft eines Hitlers oder Stalins. Durch die “freie Stimmabgabe” und die “freie Auswahl” an der Wahlurne wird den Untertanen der Eindruck vermittelt, die Regierung selbst einzusetzen und auch wieder abwählen zu können. Dabei gehorcht die Regierung nicht dem Willen des Volkes, sondern den Sachzwängen des kapitalistischen Systems. Es ist die kapitalistische Konkurrenz im Rahmen der Niedergangskrise des Systems, welche das Regierungsprogramm diktiert. Diese Krise schert sich einen Dreck um die Wahlergebnisse. Es zwingt den Einzelkapitalisten wie den kapitalistischen Staat bei Strafe des Untergangs dazu, die Arbeiterklasse anzugreifen. Der parlamentarische Zirkus dient lediglich dazu, die Proletarier in die Irre zu führen.
Dabei ist das rot-schwarze Regierungsprogramm lediglich die direkt
staatlich verwaltete Seite des kapitalistischen Angriffs. Was von den
Versprechen der Politiker zu halten ist, dass die Hinnahme von
Verschlechterungen und “Härten” jetzt zu einer baldigen Verbesserung
der Lage der Hauptbetroffenen selbst führen wird, zeigen auch die
Erfahrungen in der “Privatwirtschaft”. Nachdem bei der Telecom bereits
die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgelder hingenommen wurde,
folgt nun die Ankündigung erneuter Stellenstreichungen – nicht weniger
als 32.000! Und nachdem bei Volkswagen immer mehr Beschäftigte
tariflich “umgeschichtet” wurden und für 20 % weniger arbeiten, hat man
nun im Gesamtkonzern Pausenregelungen und Nachtzuschläge gestrichen.
Das sind die von der kapitalistischen Wirklichkeit erzeugten
Nachrichten, welche die “Aufbruchstimmung” begleiten, welche die
Bildung einer neuen Regierung erzeugen soll.
So zeigen die jüngsten Arbeiterkämpfe in Deutschland eine mit dem
Rücken zur Wand kämpfende Klasse. Bei den Werksbesetzungen bei AEG in
Nürnberg und bei Infineon in München ging es nicht um die Verhinderung
von Werksschließungen, sondern darum, zu verhindern, dass die durch
diese Schließungen auf die Straße Geworfenen von heute auf morgen
mittellos dastehen. Vorbei die Zeiten, da die führenden Konzerne der
High-Tech-Branche – wie eben Infineon – Entlassenen “freiwillig”
Abfindungen zahlten, um sozialen Explosionen vorzubeugen. Gar nicht
lange ist es her, da hat man über einen “endgültigen Siegeszug” des
Kapitalismus geschwafelt und festgestellt, der Ausspruch von Marx und
Engels, demzufolge die Proletarier nichts zu verlieren haben als ihre
Ketten, sei durch die Geschichte widerlegt worden. Die Lage der
Beschäftigten bei AEG und Infineon heute beweist die ganze Aktualität
der berühmten Formulierung des Kommunistischen Manifestes.
Diese Kämpfe zeigen die Wut der Betroffenen – eine Wut, die, wie
gesagt, durch das Vorhaben der neuen Regierung angeheizt wird. Das ist
auch wichtig, denn ohne diese Wut kann es zu keinem Arbeiterkampf
kommen. Aber Wut allein reicht nicht. Wut ohne Klassenbewusstsein lässt
sich leicht in harmlose Richtungen kanalisieren. Auch das ist eine
durch den jüngsten Wahlgang erneut bestätigte Lehre. Die Wut der
Betroffenen wurde in Richtung Wahlurne gelenkt. Das Angebot des
demokratischen Staates lautete: Die Verantwortlichen – v.a. also die
regierende SPD und die CDU/CSU als neue Kanzlerpartei in spe – bei den
Wahlen “abzustrafen”. Tatsächlich hatten beide “Volksparteien” ihr
schlechtestes Wahlergebnis seit langem. Das Ergebnis? Ausgerechnet die
“Abgestraften” bilden die neue Regierung, werden von der herrschenden
Klasse für ihre Mühen belohnt. Deutlicher könnte die Ohnmacht des
demokratischen “Abstrafens” als Protestform nicht zu Tage treten.
Überhaupt ist es ungeheuer wichtig, dass die Arbeiterklasse, die
während der letzten Jahre noch verbleibenden Illusionen über die
Wirklichkeit des kapitalistischen Systems ablegt. Hinter der Wucht der
Angriffe steckt die Ausweglosigkeit der Krise eines mit dem Fortschritt
der Menschheit nicht mehr zu vereinbarendem Gesellschaftssystems. Die
Arbeiterklasse muss um diese Einsicht ringen. Denn gerade der linke,
angeblich arbeiterfreundliche Flügel des demokratischen Staates macht
heute mobil, um diese Einsicht im Keim zu ersticken. So haben im
Oktober und November 2005 die Gewerkschaften in einer Reihe
Europäischer Staaten – u.a. in Frankreich, Belgien und Griechenland –
Aktionstage veranstaltet, um gegen bestimmte Regierungsmaßnahmen zu
protestieren. Sie wollen damit nicht nur Dampf ablassen, der sich sonst
in den Reihen der Arbeiter gefährlich (für das Kapital) aufstauen
könnte. Sie sollen darüber hinaus die Illusion aufrechterhalten, dass
es sich bei diesen Angriffen nicht um Äußerungen des Bankrotts des
Kapitalismus handelt, sondern um einzelne Maßnahmen oder um eine
“verfehlte Politik”, welche durch punktuelle und begrenzte Aktionen
abgewehrt oder infrage gestellt werden können. Das parlamentarische
Gegenstück dazu bilden heute die “Globalisierungsgegner”, welche in
Form der Linkspartei-PDS gerade in Fraktionsstärke und mit viel Tamtam
in den neuen deutschen Bundestag gezogen sind. Diese Kräfte behaupten,
die Ursache des Leids der Arbeiterklasse heute sei nicht die Krise des
Systems, sondern die Tatsache, dass das Kapital in den letzten Jahren
international und damit übermächtig geworden sei. Ihre Antwort darauf:
den Nationalstaat stärken. Tatsächlich wird durch diese Sichtweise der
Bankrott des Systems verhüllt. Dass das Kapital international agiert,
ist überhaupt nicht neu. Bereits zu Marxens Lebzeit
gründeten die Arbeiter die 1. Internationale, nicht zuletzt um zu
verhindern, dass Arbeiter aus anderen Ländern als Streikbrecher
eingesetzt werden konnten. Nicht nur die Bewegungen des Kapitals und
seine Krisen, sondern der Kampf der Arbeiterklasse war von Anfang an
international. Was aber den Kapitalismus kennzeichnet, ist nicht allein
sein globaler Charakter, sondern wesentlich der Widerspruch zwischen
Weltmarkt und Nationalstaat, zwischen internationaler Produktion und
nationalstaatlicher Aneignung. Die gnadenlose “Standortkonkurrenz”
aller Staaten der Erde ebenso wie das Aufflammen militärischer
Konflikte zeigt heute auf, wie wenig dieser Widerspruch verschwunden
ist. Der Nationalstaat ist die höchste Form der kapitalistischen
Konkurrenz. Er ist Teil des Problems und niemals Teil der Lösung.
Somit ist auch das neue deutsche Regierungsprogramm nur eine
Erscheinungsform eines weltweiten Phänomens. Angesichts dieser
Entwicklung muss die Arbeiterklasse sich auf große Kämpfe, ja auf
Jahrzehnte lange Kämpfe einstellen.
Regierung und Opposition, Links und Rechts streiten sich um den
wirkungsvollsten, gerechtesten und sozialverträglichsten Weg zur
Stärkung des Standorts Deutschland. In allen Ländern wiederholt sich,
in unterschiedlichen Formen, dieses Schauspiel. Die Bourgeoisie kennt
auch keine andere Antwort auf die Krise des Systems, als sich immer
wieder der Konkurrenz zu stellen. Die Konkurrenz ist keine Antwort auf
die und kein Ausweg aus der Krise, sondern das Grundprinzip des
Kapitalismus. Sie ist die Ursache der Unmenschlichkeit der Lebenslage
der Arbeiter sowie der Ohnmacht des Proletariats. Vor dem Kapitalismus
wurden die Ausgebeuteten gewaltsam zur Mehrarbeit gezwungen. Im
Kapitalismus hingegen ist es die Konkurrenz der Arbeiter untereinander,
welche das Proletariat zwingt, sich der Ausbeutung zu unterwerfen. Die
Arbeiterklasse kann nur eine eigene Macht entwickeln, indem sie der
kapitalistischen Konkurrenz ihr Prinzip der Klassensolidarität
entgegenstellt. Erst diese Solidarität ermöglicht die Entwicklung des
Arbeiterkampfes als wirkliche Gegenmacht und als alternatives
Gesellschaftsprojekt zur Welt des jeder gegen jeden. Hier keimt die
Saat einer neuen, klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft.
Diese Solidarität ist zu aller erst internationalistisch. Die
Arbeiterklasse ist die einzige internationale und zur weltweiten
Solidarität befähigte Klasse der heutigen Gesellschaft. Es handelt sich
hierbei keineswegs um ein abstraktes Prinzip oder um eine erst in einer
fernen Zukunft sich stellende Frage. Wie die Beschäftigten bei VW in
Wolfsburg, die jüngst gegen ihre Kolleginnen und Kollegen in Portugal
um den preiswerteren Produktionsort des neuen Marrakesch-Models
ausgespielt wurden, steht die gesamte Arbeiterklasse vor dieser Frage.
Die Frage lautet: Entweder sich den Profitinteressen der “eigenen”
Kapitalisten unterordnen, oder überall entschlossen sich gegen die
Angriffe des Kapitals zu Wehr setzen - im politischen Bewusstsein,
einen gemeinsamen solidarischen Kampfes zu führen.
“Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie
haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt
euch!” 15.11.05
Ohne einen aktiven Austausch von Standpunkten, ohne Debatte ist eine Klärung kommunistischer Positionen unmöglich. Deshalb versuchen wir möglichst regelmäßig in unserer Zeitung Zuschriften von Leser/Innen zu veröffentlichen und darauf so ernsthaft wie möglich zu antworten. Wir unsererseits sind nicht nur erfreut, sondern auch dankbar für jede Zuschrift, die wir erhalten, weil sie uns zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit unserer Arbeit und unseren Positionen zwingt. Deshalb, wenn euch an unserer Zeitung etwas besonders angesprochen aber auch missfallen hat, schreibt uns, auch wenn es nur ein paar Zeilen sind.
Zunächst einmal muß ich mich bei euch entschuldigen, dass ich Nichts von mir habe hören lassen. Vor etwa einem Jahr habe ich so ziemlich jede linke Organisation zwecks Informationen angeschrieben und infolgedessen bei einigen auch Materialien bestellt. Ebenso bei der IKS - hier ein "Weltrevolution"-Abo und diverse Publikationen.
Wenn ich versuche im Folgenden auf euch einzugehen, dann bitte ich zu bedenken, dass mir als Quellenmaterial nur die letzten vier Ausgaben der "Weltrevolution" und "Plattform und Manifest der IKS" zu Verfügung standen. Für die restlichen Publikationen habe ich noch keine Zeit zum Lesen gefunden.
Ich stimme mit euch überein, dass die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist. Marx und Engels haben dies im Kommunistischen Manifest nachgewiesen. Gleichzeitig halte ich den Begriff, den ihr vom Proletariat habt, für ziemlich abstrakt. Da wird die Arbeiterklasse "geschwächt und an Händen und Füßen gefesselt in den II. Weltkrieg geführt" und "dazu gezwungen , eine vom Krieg zerstörte, in Trümmern liegende Welt wiederaufzubauen". Sind wir nicht alle ein bißchen Opfer ? möchte man fragen.
Kein Arbeiter steht außerhalb der Welt. Jeder handelt eigenverantwortlich zugunsten oder eben zuungunsten der "eigenen Sache". Das die naheliegende Revolution nur so selten angegangen wird, und wenn, dann meist ziemlich schnell in der Scheiße landet, hat viele Ursachen. Die Bourgeoisie hält eine Aktie daran, das Proletariat die andere. Über die Bedenken des Proletariats bezüglich der revolutionären Frage sollte aber schon Klarheit bestehen (auch wenn es sich nur um die Tatsache handelt, dass Arbeiterkinder während der revolutionären Krise schneller verhungern als Generalsfamilien). Das kann dann schon ein verdammt gutes Argument dafür sein, die Füße still zu halten und die Faust in der Tasche zu ballen. Wenn es da an Lösungswegen mangelt, liegt die Schuld hierbei aber weder bei der Bourgeoisie noch beim Proletariat, sondern vielmehr bei der revolutionären Partei.
Auch der Begriff "Dekadenz des Kapitalismus" wirkt auf mich eher verwirrend als erleuchtend. Während ihr damit zum einen auf die "Überproduktionskrise" eingeht, werden etwas später auch die Toten der "systematischen, fabrikmäßigen Massenmorde" hierunter subsumiert.
Die Überproduktionskrise wirkt auf mich weniger dekadent, als vielmehr notwendig logisch aus der Krise der Akkumulation. Diese wiederum hat ihren Ursprung in einer unvernünftigen Ideologie namens Kapitalismus. Ebenso "vernünftig" erscheint auch die Vernichtung von Lebensmitteln, während nebenan Millionen Hunger leiden. Auch dies ist notwendiger Bestandteil des kapitalistischen Systems. Dekadent bleibt dabei vielleicht die Tatsache, dass man Kinder im Rahmen der Entwicklungshilfe im vierten Lebensjahr für zehn Jahre gegen Viruserkrankungen immunisiert, während man genau weiß, dass diese das achte Lebensjahr mangels Nahrung sowieso nicht erreichen. Dies ist auch innerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik nicht nachzuvollziehen.
Die "Massenmorde", auf die ihr dagegen hinweist - und hier vor allem die Shoah -, sind meines Erachtens auch keiner "Dekadenz des Kapitalismus" geschuldet, sondern vielmehr in der Unendlichkeit der menschlichen Dummheit zu suchen. Es gibt nicht eine einzige These die glaubhaft den Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen aus Marxens "Kapital" mit der "Notwendigkeit" von Ausschwitz herstellt.
Während ich euren Thesen zum Staatskapitalismus, den "sozialistischen" Ländern, den Gewerkschaften, den bürgerlichen Quatschbuden und zur "nationalen Befreiung" teile, möchte ich euch in den "partiellen Kämpfen" widersprechen. Zu diesen Auseinandersetzungen zähle ich mal grundsätzlich alle "Ein-Punkt-Bewegungen", also nicht nur Umwelt, Gender, Rassismus, sondern auch Antifaschismus. Diese Bewegungen grundsätzlich als "Mittel der Bourgeoisie, um die Ziele der Arbeiter zu vernebeln" zu brandmarken, halte ich grundsätzlich für falsch. Oftmals sind solche Zusammenhänge erst der Beginn eines politischen Bewußtseins. Sicherlich habt ihr recht, wenn ihr meint, dass man sich nicht in einzelnen Kämpfen aufreiben darf. Aber Leuten, die eine fortschrittliche Linie verfolgen, dann die Solidarität mit der Begründung zu entziehen - insbesondere wenn der bürgerliche Staat denen gegenüber repressiv auftritt -, dass sowieso nur die Sache der Konterrevolution vertreten wird, kann ich nur als zynisch und der Konterrevolution als dienlicher bezeichnen. (Darin ist vielleicht auch ein Grund zu sehen; warum die warum die "Fraktionen der kommunistischen Linken" so sang- und klanglos in den 30ern ausgestorben sind. Das Proletariat brauchte damals keine Schwätzer und Schreiber.
Hier wird von der "Umgruppierung der Revolutionäre im Hinblick auf die Schaffung einer wirklichen kommunistischen Weltpartei" geschrieben. Dass sich dies in theoretischen Veranstaltungen zu erschöpfen scheint, finde ich ziemlich schade. Ein reiner Diskussionsclub ist ein bißchen wenig für eine revolutionäre Perspektive. Statt dessen wird sich in altlinker Manier mit Verrätern und Abweichlern gekloppt. Bitte zukünftig gelassener und besser werden als KPD/ML und Genossen.
Abschließend möchte ich noch zu eurer letzten Ausgabe der "Weltrevolution" Nr. 130 ein paar Zeilen verlieren.
Der Artikel "60. Jahrestag der Befreiung der KZs, der Bombardierung Dresdens, Hiroshimas, der Kapitulation Deutschlands" besticht vor allem durch eins, es geht um Bombardierung und Vertreibung und arbeitende Deutsche - ähem deutsche Arbeiter. Natürlich alle Opfer der barbarischen englischen, amerikanischen und russischen Bourgeoisie. Gleichzeitig wird kurz vor Kriegsende ein zweites 1918 halluziniert. Ursache und Wirkung wird mal wieder schön ausgeblendet. Weder wird der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg; Frankreich, England, Jugoslawien, Griechenland und der Sowjetunion thematisiert, noch wird auf die Befreiung der Zwangsarbeiter, der koreanischen, chinesischen und der kommunistischen KZler eingegangen. Kriegsverbrechen auf deutscher und japanischer Seite ? - Fehlanzeige !
Ich persönlich bin der Meinung, dass alle humanistischen Leistungen auch zur Geschichte des Proletariats gehören. Und zur größten humanistischen Leistung des 20. Jahrhunderts -gehört nun mal die Befreiung vom NS-Regime,vom japanischen und italienischen Faschismus. Ich wäre heute nicht am Leben, hätten die Nazis damals gesiegt.
Hand aufs Herz Leute: Den gleichen Sermon kann man in Publikationen wie den "Funkenflug" der Heimattreuen Deutschen Jugend, dem "Fahnenträger" oder der "Volk in Bewegung" lesen. Wenn der Schwachsinn auf angloamerikanischen Haufen gewachsen ist, dann bitte auch nur dort publizieren. Danke !Trotzdem werde ich natürlich mein Abo verlängern. Den Betrag füge ich diesem Schreiben in bar bei.
Mit freundlichen Grüßen
auch wenn du deine Korrespondenz vom 06.07.2005 mit der Äußerung beendest, dass dein Brief ”hoffentlich nicht zu streng klingt” – wir haben uns darüber sehr gefreut. Erstens weil für uns die politische Debatte das Lebensblut der Arbeiterklasse darstellt, unverzichtbare Vorbedingung der Klärung ist. Diese Auseinandersetzung soll ruhig kontrovers und polemisch geführt werden, solange die Argumente aufrichtig sind und der Klärung dienen. Schließlich ist unser Thema, der Klassenkampf des Proletariats, eine äußerst wichtige und auch emotional ergreifende Angelegenheit! Zweitens weil es eine Reihe von Punkten gibt, wo du Übereinstimmung mit uns signalisierst. So stellst du von vorne weg klar: ”Ich stimme mit euch überein, dass die Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt ist.” Darüber hinaus schreibst du, dass du unsere ”Thesen zum Staatskapitalismus, den ‘sozialistischen’ Ländern, den Gewerkschaften, den bürgerlichen Quatschbuden und zur ‘nationalen Befreiung’” teilst. Auch wenn du dich sonst eher kritisch über die Kommunistische Linke in deinem Brief äußerst, erscheint es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass du einigen der wichtigsten Thesen zustimmst, welche diese internationalistische Strömung von den Positionen der Stalinisten, Trotzkisten und auch vielen Anarchisten radikal unterscheidet. Selbst gegenüber dem Bereich, den du als ”Ein-Punkt-Bewegungen” bezeichnest (wozu du ”nicht nur Umwelt, Gender, Rassismus, sondern auch Antifaschismus” zählst), wo du unsere Ansicht nicht teilst, stimmst du uns zumindest in einem wichtigen Punkt zu: ”Sicherlich habt ihr recht, wenn ihr meint, dass man sich nicht in einzelnen Kämpfen aufreiben darf.
Wenn wir diese Übereinstimmungen betonen, dann nicht um die zwischen uns bestehenden, schwerwiegenden Meinungsunterschiede herunterzuspielen. Was uns bedeutsam erscheint ist, dass wir in letzter Zeit immer mehr Briefe erhalten – nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt – worin die Leser unserer Presse teilweise, manchmal aber auch umfassend und begeistert unseren Positionen zustimmen. Unsere politische Tradition, die der Kommunistischen Linken, entstand ursprünglich als Reaktion auf die Degeneration der russischen Revolution und der Kommunistischen Internationale. Sie musste ihre programmatischen Positionen ausarbeiten inmitten der vom Stalinismus, Nazismus und von der totalitären Demokratie geprägten Konterrevolution. Und selbst nach der Beendigung dieser langen Phase der Konterrevolution durch die weltweite Wiederbelebung des Klassenkampfes nach 1968 mussten wir Jahrzehnte lang in gewisser Weise gegen den Strom der kapitalistischen Linken anschwimmen, welche die ”politische Hoheit” über die große Mehrheit der politisierten Teile der neuen, ungeschlagenen Generation der Arbeiterklasse gewann. Es ist noch gar nicht so lange her, da wirkten proletarische Positionen - etwa die Ablehnung der sog. nationalen Befreiung und der Gewerkschaften - noch schockierend auf die große Mehrheit der Politisierten. Heute hingegen stimmen immer mehr dieser politisierten, proletarische Positionen Suchenden den Thesen des ”Linkskommunismus” zu. Wir sehen darin einen ganz wichtigen Ausdruck eines Prozesses, welchen wir mit Marx als unterirdische Bewusstseinsentwicklung bezeichnen möchten.
Für uns ist diese Arbeit des ”alten Maulwurfs” – welche das Potenzial birgt, nach der Niederlage des revolutionären Ansturms in Deutschland, Österreich-Ungarn und schließlich Russland am Ende des Ersten Weltkrieges, einen zweiten Anlauf zur proletarischen Weltrevolution vorzubereiten – in erster Linie ein Ergebnis der aktuellen Weltlage: Zuspitzung der kapitalistischen Krise, langsamer Illusionsverlust der Arbeiterklasse. Aber es ist auch ein Ergebnis der programmatischen Arbeit der kommunistischen Linken in den 20er und 30er Jahren. Denn ohne diese theoretische Vorarbeit würden die oft jungen, nach Klarheit suchenden politischen Vorkämpfer der Arbeiterklasse keine Orientierungspunkte vorfinden.
Nun aber zu deinen Divergenzen. Dass du uns in der Frage der ”Ein-Punkt-Bewegungen” nicht zustimmst, haben wir bereits erwähnt. Vielleicht können wir diesen Punkt für einen späteren Briefwechsel aufheben. Grundlegender erscheint uns die Frage der Dekadenz des Kapitalismus.(...) Schließlich ist die Dekadenztheorie keine Erfindung der IKS oder der Kommunistischen Linken. In seiner berühmten Vorrede zur ”Kritik der politischen Ökonomie” erklärte bereits Marx die Vorstellung, dass jede bisherige Produktionsweise eine aufsteigende und eine niedergehende Entwicklungsphase durchlief, zum Eckpfeiler seiner dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung.
Eine andere in deinem Brief aufgeworfene, sehr grundlegende Frage ist die Einschätzung des Antifaschismus und des 2. Weltkriegs. Hier äußerst du keinen Zweifel, sondern erhebst entschieden Widerspruch gegen unsere internationalistische Auffassung. Das, was weithin die ”Befreiung vom NS-Regime” durch den angloamerikanisch-sowjetischen Block genannt wird, betrachtest du als eine ”humanistische Leistung” welche zur ”Geschichte des Proletariats” gehört. Du behauptest sogar, ”den gleichen Sermon” nicht nur bei uns, sondern auch bei den Rechtsradikalen lesen zu können. Stimmt das?
Die Neonazis sind Nationalisten. Auch die Stalinisten sind Nationalisten. Alle bürgerlichen Demokraten sind Nationalisten. Spätestens dann, wenn wichtige imperialistische Kriege ausbrechen, kann man beobachten, wie sie alle sich beeilen, für eine der kriegsführenden Seiten Partei zu ergreifen. Was alle diese – durch und durch bürgerlichen – Kräfte gemeinsam haben, ist ihr Glaube, dass die Nation, dass der Nationalstaat noch eine fortschrittliche Rolle in der Menschheitsgeschichte spielen kann. Diese Auffassung stirbt nicht aus, sobald der Kapitalismus, durch die Schaffung eines einheitlichen Weltmarktes und eines Weltproletariats, die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen hat. Im Gegenteil. Je brutaler der Widerspruch der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen wird - und damit der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der weltweiten Produktion und dem Fortbestand einer durch Nationalstaaten organisierten privaten Aneignung - desto wahnwitziger die Art und Weise, wie die herrschende Klasse die Nation hochhält. Zwei der aberwitzigsten Ausdrücke dieser den Bedürfnissen der geschichtlichen Entwicklung total widersprechenden, nationalen Wahnsysteme griffen in den 20er und 30er Jahren um sich: Der Nationalsozialismus und der Stalinismus. Während der Nationalsozialismus im Rassismus eine neue ideologische Grundlage für die bürgerliche Nation suchte, verstieg sich der Stalinismus sogar zu der Behauptung, dass der Nationalstaat den geeigneten Rahmen für die Entwicklung des Sozialismus liefern könnte.
Das Grundprinzip des Proletariats hingegen ist, dass die Arbeiter kein Vaterland haben. Das heißt aber nicht, dass die marxistische Auffassung über die Rolle des Nationalstaates unwandelbar ist. Denn die Rolle der Nation in der Geschichte vollzieht selbst einen Wandel. Die Nation spielte eine fortschrittliche Rolle gegen die feudale Zersplitterung. Sie trug entscheidend dazu bei, große, durch die Produktion und den modernen Verkehr miteinander verbundene Abteilungen des Proletariats zu erschaffen. Deshalb gab die Arbeiterbewegung in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus bestimmten, fortschrittlichen nationalen Bewegungen ihre kritische Unterstützung, ohne aber sich die Ideologie des Nationalismus zu Eigen zu machen. Jedoch hat der Erste Weltkrieg aufgezeigt, dass diese Phase im Leben des Kapitalismus zu Ende war. Aus einem Faktor des gesellschaftlichen Fortschritts ist die Nation zu einem Faktor der Zerstörung der bis dahin entwickelten, materiellen Voraussetzungen des Sozialismus geworden.
In deinem Brief listest du die Verbrechen Deutschlands, Italiens und Japans im Zweiten Weltkrieg auf, sozusagen als Beweis für die Fortschrittlichkeit des Antifaschismus. Du wirfst uns sogar vor, diese Verbrechen zu verschweigen. Jedoch vom Standpunkt des Marxismus können die Verbrechen der einen Seite eines imperialistischen Krieges niemals ausreichen, um die Fortschrittlichkeit der anderen Kriegsseite zu beweisen. Dies wurde bereits beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich. Führende Sozialdemokraten aller kriegsführenden Länder haben ihre Kriegsteilnahme mit der Barbarei der Gegenseite zu rechtfertigen versucht. Jedes Mal beriefen sie sich auf die Haltung von Marx und Engels gegenüber dem barbarischen Russland. Was sie dabei verschwiegen: Marx und Engels haben niemals behauptet, dass die von den modernen, demokratischen, bürgerlichen Nationen angewendeten Mittel – beispielsweise in den Kolonien – weniger barbarisch waren als die zaristisch-russischen. Die Barbarei, von der sie in Bezug auf Russland sprachen, war die feudale Barbarei, welche alle fortschrittlichen, bürgerlichen Bewegungen auf dem europäischen Festland bekämpfte.
Die Barbarei der Nazis beweist keineswegs die Fortschrittlichkeit des angloamerikanisch-sowjetischen Blocks im Zweiten Weltkrieg – genau so wenig wie sie die im Namen des Antifaschismus verübten Verbrechen aus der Welt schaffen kann. Wir meinen, dass gerade diese Frage die entscheidende Wichtigkeit des Konzepts von der Dekadenz des Kapitalismus unterstreicht. Die Ablehnung des Nationalismus ist ein Prinzip des Proletariats. Dass die Arbeiterbewegung dennoch bestimmte nationale Bewegungen gutheißen konnte, war eine Ausnahme, welche nur die Regel bestätigt – eine Ausnahme auf Grund der Tatsache, dass die materiellen Vorbedingungen der proletarischen Revolution noch nicht vorhanden waren. Dass diese Ausnahmephase, in der die Arbeiterklasse unter Umständen ihren natürlichen Hauptfeind, die Bourgeoisie, gegen den Feudalismus unterstützen konnte, mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende ging, trifft aus unserer Sicht nicht nur für die Rolle des Nationalstaates und der ”nationalen Befreiung” zu, sondern auch was die Demokratie anbetrifft, ist eine Ausnahmephase zu Ende gegangen. Hat die Arbeiterklasse, der Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft, in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus oft der revolutionären und ”liberalen” Bourgeoisie gegen das Mittelalter geholfen, so bestimmt nicht, weil diese demokratische Bourgeoisie weniger barbarische Mittel zum Einsatz bringen würde oder weniger rassistisch wäre (das Gegenteil ist viel eher der Fall, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts bestätigt hat), sondern weil die demokratische und parlamentarische Republik für eine freiere Entwicklung des Kapitalismus und damit für die Voraussetzungen des Sozialismus günstige Bedingungen schuf. Deshalb sind wir auch nicht damit einverstanden, wenn du den Antifaschismus zu den ”Ein-Punkt-Bewegungen” zählst. Wir lehnen die Ein-Punkt-Bewegungen ab, nicht weil ihre Zielsetzungen als solche falsch wären (die Beseitigung des Rassismus, des Sexismus, der Umweltzerstörung gehören selbstverständlich zu den Zielen des kämpfenden Proletariats), sondern weil diese Ziele nicht innerhalb des Kapitalismus, sondern nur durch seine revolutionäre Beseitigung erreicht werden können. Wir lehnen hingegen die Zielsetzung des Antifaschismus rundweg ab, die darin besteht, eine bestimmte Form der Kapitalherrschaft gegen eine andere zu verteidigen, da erstere angeblich menschlicher wäre oder zumindest ”das kleinere Übel” für die Arbeiterklasse darstelle. Die Geschichte zeigt, dass die Demokratie die stärkste Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse darstellt, und dass die Herrschenden diese Waffe erst bei Seite legen kann , wenn die Arbeiterklasse bereits geschlagen ist.
Wir sind aber der Ansicht, dass deine, aus unserer Sicht falsche Einschätzung des Zweiten Weltkrieges und des Antifaschismus nicht nur mit der Dekadenzfrage, sondern auch mit deiner Einschätzung der Rolle der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren zusammenhängt. Du deutest an, dass die Linkskommunisten, da sie ”Leuten die eine fortschrittliche Linie verfolgen dann die Solidarität mit der Begründung [entziehen …], dass sowieso nur die Sache der Konterrevolution vertreten wird” eine Haltung einnehmen, welche du als ”zynisch” und ”der Konterrevolution dienlich” bezeichnest. Denn du fügst direkt hinzu: ”Darin ist vielleicht auch ein Grund zu sehen, warum die ‘Fraktionen der kommunistischen Linken’ so sang- und klanglos in den 30ern ausgestorben sind. Das Proletariat brauchte damals keine Schwätzer und Schreiber.”
Das erste, was wir dazu anmerken wollen, ist, dass weder die Fraktionen der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren, noch die IKS als die international wichtigste linkskommunistische Organisation der Gegenwart, Leuten ”die eine fortschrittliche Linie” verfolgt haben, die Solidarität entzogen haben. Die italienische Fraktion, auf dessen Verhaltenskodex und Organisationsverständnis die IKS sich beruft, nahm immer eine solidarische Haltung allen proletarischen Strömungen gegenüber ein, nicht nur gegenüber der deutsch-holländischen Linken (allen politischen Divergenzen zum Trotz), sondern auch beispielsweise gegenüber den Trotzkisten, welche sogar eine Zusammenarbeit mit der Konterrevolution, mit Stalinismus und Sozialdemokratie befürwortet haben. Nicht zuletzt auf Grund dieser solidarischen Haltung gelang es den Linkskommunisten, die besten Genossen im Lager der Trotzkisten für ihre internationalistische Haltung gegenüber dem 2. Weltkrieg zu gewinnen, während der Trotzkismus die Arbeiterklasse verraten hat. Was allerdings wahr ist: Die Linkskommunisten zählten bürgerliche Demokraten, Stalinisten, Sozialdemokraten (und auch nicht die CNT Anarchisten, welche 1937 in der Regierung saßen, welche auf kämpfende Arbeiter in Barcelona scharf schießen ließ) nicht zu denjenigen, welche eine ”fortschrittliche Linie” verfolgten. Wir auch nicht. Was meinst du dazu?
Zweitens stimmt es nicht, dass die Kommunistische Linke in den 30er Jahren ”sang- und klanglos” ausgestorben ist. Die Vertreter dieser Strömung in Italien und Frankreich, in Belgien oder in den Niederlanden, haben ihr Leben riskiert, und oft auch hingegeben, um den politischen Kampf gegen den imperialistischen Krieg während des zweiten Weltgemetzels weiterzuführen. Dabei taten sie im Prinzip nichts anderes, als Lenin oder Rosa Luxemburg gegenüber dem Ersten Weltkrieg: in Wort und Tat den proletarischen Internationalismus gegen alle kriegsführenden Seiten hochzuhalten. Sie setzten sich dafür ein, dass der Klassenkampf gegen den Krieg fortgeführt wird, dass die Proletarier in Uniform ihre Waffen, nicht gegen ihre Klassenbrüder und Schwester, sondern gegen ihre eigenen Offiziere richten, dass der imperialistische Krieg in einen Bürgerkrieg verwandelt wird. Du wirfst unserer Strömung vor, ”kurz vor Kriegsende ein zweites 1918 halluziniert” zu haben. Muss man im Nachhinein diese internationalistische Politik als falsch oder unnütz betrachten, da es nicht zum gewünschten Erfolg führte, da der Zweite, im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg nicht durch die Revolution beendet werden konnte? Die Internationalisten im Ersten Weltkrieg haben mehrere Jahre lang in großer Isolation gegen den Strom des Chauvinismus ankämpfen müssen, bevor die Masse der Arbeiter von der Richtigkeit dieser Politik überzeugt werden konnte. Die Internationalisten des Zweiten Weltkriegs mussten Jahrzehnte bis 1968 darauf warten, bis zumindest ein Teil der Politisierten einer neuen, ungeschlagenen Generation der Arbeiterklasse von der Richtigkeit und der Unerlässlichkeit dieser internationalistischen Haltung überzeugt wurde. Heute, ca. weitere 30 Jahre später, beginnt sich der politisierteste Teil der jetzigen neuen Generation von diesem Internationalismus zu überzeugen – wobei dieser Prozess, wenn auch weniger spektakulär, so doch viel breiter und tiefer in der Klasse insgesamt verwurzelt zu sein verspricht als nach 1968. Ist das etwa kein Beweis für die Wirksamkeit proletarischer Politik? Wir meinen ja, es sei denn, man misst den Erfolg ausschließlich an den unmittelbaren Auswirkungen.
Aber du behauptest, dass die Internationalisten von damals ”Schwätzer und Schreiber” waren, die das Proletariat nicht brauchte. Diese Behauptung wird durch die geschichtlichen Tatsachen selbst am besten widerlegt. Zwei Beispiele. Erstens: Während im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs der westlich-”sowjetische” Block es systematisch unterließ, auch nur das Geringste zu unternehmen, um die Juden vor der Vernichtung zu bewahren, trat das niederländische Proletariat gegen die Deportationen in den Massenstreik, wobei die Internationalisten eine aktive, vorantreibende Rolle gespielt haben. Zweitens: Eines der berühmtesten politischen Manifeste des Zweiten Weltkrieges – Das Manifest von Buchenwald – wurde im KZ Buchenwald kurz vor der dortigen Erhebung am Kriegsende von einem Genossen der österreichische RKD verfasst, welche sich auf Grund des politischen Einflusses der Französischen Kommunistischen Linken (die direkte Vorläuferin der IKS) von dem die internationalistischen Klassenprinzipien verratenden Trotzkismus gelöst hatten.
Wir finden, dass man die Hochhaltung des proletarischen Internationalismus nicht als ”Geschwätz” gering schätzen sollte. Bereits Friedrich Engels stellte fest, dass der proletarische Klassenkampf drei Hauptbestandteile hat. Neben dem ökonomischen und dem politischen Kampf nannte Engels den theoretischen Kampf als dritte Säule der Befreiung der Arbeit. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Revolutionäre sich entschlossen an den ökonomischen und politischen Kämpfen ihrer Klasse zu beteiligen haben. Ja, sie haben sich nach Möglichkeit an die Spitze dieser Kämpfe zu stellen. Jedoch ist der theoretische Kampf nicht nur ebenso wichtig wie die beiden anderen Dimensionen – es ist die Ebene des theoretischen Kampfes, worin der spezifische Beitrag der Revolutionäre besteht und ausschlaggebend ist.
Die Arbeit der Revolutionäre besteht nicht nur darin, die vorwärtsstürmenden Massen voranzutreiben. Da – um mit Marx zu sprechen – die herrschende Ideologie in der Regel die Ideologie der herrschenden Klasse ist, besteht sogar die Hauptaufgabe der Revolutionäre über weite Strecken darin, gegen den Strom zu schwimmen. So nannten Lenin und Sinoview ihre während des 1. Weltkriegs in der Schweiz herausgegebene Zeitschrift ”Gegen den Strom”. Wir sprachen vorhin davon, wie die Internationalisten im Zweiten Weltkrieg ihr Leben riskierten, um den Prinzipien ihrer Klasse treu zu bleiben. Nun, nicht nur die Revolutionäre, sondern Millionen von Soldaten haben damals, während des ersten wie des zweiten imperialistischen Gemetzels ihr Leben aufs Spiel gesetzt bzw. setzen müssen. Worin bestand der besondere Mut der Internationalisten? Er bestand darin, Risiken auf sich zu nehmen für eine Sache, welche von der offiziellen Gesellschaft – und manchmal sogar, zumindest vorübergehend, von einer Mehrheit der Bevölkerung – gehasst, verfolgt und verleumdet wird. Marx spricht von Augenblicken in der Geschichte, wo große umstürzlerische revolutionäre Ideen von der Masse Besitz ergreifen. Besteht die vornehmste Aufgabe der Kommunisten nicht darin, sich und die Klasse auf diesen Umsturz vorzubereiten, indem sie diese Ideen hochhalten und in der Klasse verbreiten? Eine große Revolution kann nicht gemacht werden auf Grund von reaktionären oder halbherzigen Prinzipien. Nur Ideen, welche zutiefst dem Wesen und den Klasseninteressen des Proletariats entsprechen, können die lohnabhängige Bevölkerung mit Macht ergreifen. Hierin liegt aus unserer Sicht die große Gefahr des Aktivismus. Damit meinen wir eine Herangehensweise, welche v.a. auf den unmittelbaren Erfolg bzw. die unmittelbare Einflussnahme abzielt auf Kosten der langfristigen Ziele. Bereits Bernstein, der bekannteste Sprecher des Opportunismus und ”Revisionismus” innerhalb der deutschen Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts erklärte: ”Die Bewegung ist alles. Das Ziel ist nichts.” Für den revolutionären Marxismus hingegen müssen Ziel und Mittel übereinstimmen. Deswegen erscheint es uns so gefährlich, Genossen, welche inmitten der tiefsten Konterrevolution in der Geschichte des Proletariats Klassenprinzipien verteidigt haben, als ”Schwätzer” zu bezeichnen.
Wir wissen, dass wir nicht alle Punkte deines Briefes hiermit angesprochen und beantwortet haben (beispielsweise unseren Umgang mit der so genannten ”internen Fraktion der IKS). Andere wichtige Aspekte, etwa die Dekadenztheorie, haben wir hier nur kurz angeschnitten. Wir halten aber nichts davon, alles in einen Brief zu stopfen. Wir hoffen vielmehr auf die Entwicklung einer lebhaften Korrespondenz mit dir.
Mit kommunistischen Grüßen die IKS. August 2005
Links
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[3] https://de.internationalism.org/tag/2/29/proletarischer-kampf
[4] https://de.internationalism.org/tag/nationale-situationen/nationale-lage-der-schweiz
[5] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/linksextreme
[6] https://de.internationalism.org/tag/3/49/politische-konomie
[7] https://de.internationalism.org/tag/2/30/die-gewerkschaftsfrage
[8] https://de.internationalism.org/tag/11/151/nationale-lage-deutschland
[9] https://de.internationalism.org/tag/2/31/der-parlamentarische-zirkus
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[11] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/zweiter-weltkrieg
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[13] https://de.internationalism.org/tag/2/25/dekadenz-des-kapitalismus
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