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Internationale Revue 37

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30 Jahre IKS: Von der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu bauen

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Die IKS hielt im dreißigsten Jahr ihrer Existenz ihren 16. Kongress ab. In diesem Artikel beabsichtigen wir deshalb, eine Bilanz der Erfahrung unserer Organisation aufzuzeichnen, so wie wir es am 10. und 20. Jahrestag der IKS auch taten. Dies ist kein Zeichen von Narzissmus: Kommunistische Organisationen existieren nicht für sich; sie sind Instrumente der Arbeiterklasse, der ihre Erfahrungen gehören. Dieser Artikel hat deshalb zum Ziel, das Mandat unserer Organisation für ihre 30jährige Existenz sozusagen an die Klasse zurückzugeben. Und wie jedes Mal, wenn man ein Mandat zurückgibt, müssen wir auch diesmal bestimmen, ob unsere Organisation in der Lage gewesen war, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die sie übernahm, als sie gegründet wurde. Wir beginnen daher mit der Frage, worin die Verantwortung der Revolutionäre in der Situation 30 Jahre zuvor bestand und wie sie sich seitdem mit der Änderung der Situation selbst gewandelt hat.

Die Verantwortung der Revolutionäre

In den ersten Jahren der IKS war ihre Verantwortung durch das Ende der tiefen Konterrevolution bestimmt, die das Weltproletariat nach der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 zerschmettert hatte. Der riesige Streik in Frankreich Mai 1968, der "heiße Herbst" von 1969 in Italien, die Streiks in der polnischen Ostseeregion während des Winters 1970-71 und viele andere Bewegungen hatten gezeigt, dass das Proletariat nach mehr als vier Jahrzehnten der Niederlage wieder aufgetaucht war. Diese historische Regeneration des Proletariats drückte sich nicht nur in einem Wiederaufleben der Kämpfe der Arbeiter und in der Fähigkeit dieser Kämpfe aus, die Zwangsjacke zu sprengen, in der die Linke und vor allem die Gewerkschaften sie auf Jahrzehnte gesteckt hatten (dies war besonders in den wilden Streiks während des "heißen Herbsts" 1969 in Italien der Fall). Eines der bedeutsamsten Anzeichen für das Wiederauftauchen der Arbeiterklasse aus  der Konterrevolution war das Erscheinen einer ganzen Generation von Individuen und kleinen Gruppen auf der Suche nach den wirklich revolutionären Positionen des Proletariats, die auf diese Weise das  Monopol der  stalinistischen Parteien mit ihren trotzkistischen und maoistischen Anhängseln auf die Idee der kommunistischen Revolution in Frage stellten. Auch die IKS war eine Frucht dieses Prozesses, da sie durch die Umgruppierung mehrerer Gruppen gebildet wurde, welche in Frankreich, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Italien und Spanien erschienen waren und die sich  in Richtung jener Positionen zubewegten, die von der Gruppe Internacionalismo in Venezuela seit 1964 vertreten wurde. Diese Gruppe stand unter dem Einfluss eines alten Militanten der Kommunistischen Linken, MC, der seit 1952 dort lebte.

Während dieser Anfangszeit wurden die Tätigkeiten der IKS durch drei fundamentale Verantwortungen bestimmt:

- vollständig die Positionen, die Analysen und die Lehren der  kommunistischen Organisationen der Vergangenheit in sich aufzunehmen, nachdem diese in Folge der Konterrevolution entweder verschwunden oder völlig verknöchert waren;

- in die internationale Welle von  Kämpfen der Arbeiter zu intervenieren, die im  Mai 1968 in Frankreich begonnen hatten;

- die Umgruppierung von neuen kommunistischen Kräften, bei der die  IKS ein erster Schritt war, fortzusetzen.

Der Zusammenbruch des Ostblocks und der  stalinistischen Regimes in Europa im Jahr 1989 schuf eine neue Lage für die Arbeiterklasse, die nunmehr dem vollen Wind all der Kampagnen über den "Triumph der  Demokratie", den "Tod des Kommunismus", das "Verschwinden des  Arbeiterkampfs" oder sogar der Arbeiterklasse  selbst ausgesetzt war. Diese Situation war für eine tiefe Flaute sowohl im Kampfgeist als auch im Bewusstsein des Proletariats verantwortlich.

Die 30jährige Existenz der IKS teilt sich somit in zwei sehr unterschiedliche Perioden von je 15 Jahren auf. In der ersten Periode war es notwendig, an den Fortschritten der Arbeiterklasse in der Entwicklung ihrer Kämpfe und ihres Bewusstseins teilzunehmen, insbesondere durch eine aktive Intervention in diese Kämpfe. In der zweiten Periode sollte es eine der wesentlichen Aufgaben unserer Organisation sein, standhaft zu bleiben angesichts der Welle der Auflösung, die die Arbeiterklasse überschwemmte. Sie war eine Prüfung für die IKS wie für alle anderen kommunistischen Organisationen, da sie nicht immun gegenüber der allgemeinen Atmosphäre sind, die in der Klasse insgesamt herrscht: Die Demoralisierung und der  Mangel an Selbstvertrauen in der Klasse wirkten sich auch auf unsere eigenen Reihen aus. Und diese Gefahr war um so größer, als jene Generation, die die  IKS gegründet hatte, nach 1968 und zu Beginn der siebziger Jahre in die Politik fand, das heißt im Kielwasser der großen Arbeiterkämpfe, die die Illusion weckten, dass die kommunistische Revolution vor der Tür stünde.

Wenn wir eine Bilanz der 30-jährigen Existenz der IKS ziehen wollen, müssen wir daher prüfen, ob die Organisation in der Lage war, sich mit diesen beiden Perioden im gesellschaftlichen Leben und im Kampf der Arbeiterklasse auseinanderzusetzen. Im Besonderen müssen wir uns anschauen, inwieweit sie in den Prüfungen, denen sie hat gegenübertreten müssen, ihre den historischen Umständen geschuldete Schwächen überwunden hat. Gleichzeitig müssen wir sehen, worin die Stärken der IKS bestehen, die es uns ermöglichen, diese 30 Jahre ihrer Existenz positiv zu beurteilen.

Eine positive Bilanz

Bevor wir fortfahren, sei direkt gesagt, dass die  IKS eine sehr  positive Bilanz aus diesen 30 Jahren ihrer Existenz ziehen kann. Es ist wahr, dass die Größe unserer Organisation und ihr Einfluss äußerst bescheiden sind. Wie wir schon in dem Artikel zum 20. Jahrestag der IKS sagten: "Der Vergleich zwischen der IKS und den anderen Organisationen in der Geschichte  der Arbeiterbewegung, besonders den  Internationalen, ist beunruhigend: Während Letztere  Millionen, ja zig Millionen von Arbeitern einschlossen  oder beeinflussten, ist die IKS  überall in der Welt nureiner winzigen Minderheit der Arbeiterklasse bekannt" (Internationale Revue Nr. 16). Die Situation bleibt heute im Wesentlichen dieselbe und ist, wie wir es oft in unseren Artikeln gesagt haben, nur mit den besonderen Umständen zu erklären, unter denen die Arbeiterklasse sich ein weiteres Mal aufgemacht hat auf dem Weg zur  Revolution:

- das langsame Tempo des  ökonomischen Zusammenbruchs des Kapitalismus, dessen erste Ausdrücke Ende der 1960er Jahre als Initialzündung für das historische Wiederaufleben des Proletariats dienten;

- die Länge und das Ausmaß der Konterrevolution, die die Arbeiterklasse Ende der 1920er Jahre niedergeschmettert hatte und die neuen Generationen von Proletariern von den Erfahrungen früherer  Generationen abschnitt, welche die großen Kämpfe des frühen 20. Jahrhunderts angeführt und vor allem  die  revolutionäre Welle von 1917-23 in Gang gesetzt hatten;

- das extreme Misstrauen jener Arbeiter, die die Gewerkschaften und so genannten „sozialistischen“ oder „kommunistischen“ „Arbeiter“parteien ablehnten, gegenüber jeglicher Art von politischen Organisationen des Proletariats;

- das noch größere Gewicht des Mangels an Selbstvertrauen und der Demoralisierung in Folge des Zusammenbruchs  der  so genannten  "kommunistischen Regimes".

Nachdem dies gesagt ist, sollten wir auch darauf hinweisen, wie weit wir gekommen sind: 1968 war unsere politische Tendenz nichts als ein  kleiner Kern in Venezuela und eine winzige Gruppe in einer provinziellen französischen Stadt, die gerade mal dazu fähig war,  eine vervielfältigte Zeitschrift zwei oder dreimal im Jahr herauszugeben; heute ist unsere Organisation eine Art Bezugspunkt für all jene geworden, die zu revolutionären Positionen gelangen:

- eine territoriale Presse in zwölf Ländern und sieben Sprachen (englisch, spanisch, deutsch, französisch, italienisch, holländisch und schwedisch);

- mehr als hundert Broschüren und andere Dokumente, die in diesen Sprachen, aber auch auf Russisch Portugiesisch, Bengalisch, Hindi, Farsi und Koreanisch veröffentlicht wurden;

- mehr als 420 Ausgaben unserer theoretischen Publikation, alle drei Monate die Internationale Revue auf Englisch, Spanisch, Französisch und, wenn auch  in größeren Abständen, auf Deutsch, Italienisch, Holländisch und Schwedisch.

Seit ihrer Gründung hat die IKS im  Durchschnitt alle fünf Tage eine Publikation herausgegeben; heute geben wir ungefähr alle vier Tage eine heraus. Zu all dem kommt nun auch unsere  Website "www.internationalism.org" [1] in dreizehn Sprachen hinzu. Auf dieser Webseite werden die gedruckten Artikel  der territorialen Presse und der Internationalen Revue, unsere Broschüren und Flugblätter veröffentlicht, aber sie schließt  auch die Internet-Publikation IKSonline ein, die es uns ermöglicht, schnell zu  den wichtigsten Ereignissen Stellung zu beziehen.

Neben unseren Publikationen sollten wir auch die Tausenden von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen erwähnen,  die wir seit der Gründung unserer Organisation in fünfzehn Ländern  abgehalten haben und zu denen Sympathisanten und Kontakte kommen können, um über unsere Positionen und Analysen zu diskutieren. Auch sollten wir unsere mündlichen Interventionen, den Verkauf unserer Presse, die  Verteilung von immer zahlreicheren Flugblättern auf  öffentlichen Veranstaltungen, Foren und Versammlungen  anderer Organisationen, auf Straßendemonstrationen, vor Betrieben und auf Märkten und Bahnhöfen nicht vergessen - und  natürlich nicht unsere Interventionen in den Arbeiterkämpfen.

Um es noch einmal zu sagen: All dies  ist  wenig genug, wenn wir es zum Beispiel mit den Aktivitäten der Sektionen der Kommunistischen Internationale in den 1920er Jahren vergleichen, als revolutionäre Positionen in einer Tagespresse ihren Ausdruck fanden. Doch wie wir gesehen haben, kann man  nur vergleichen, was vergleichbar ist. Das wahre Maß des "Erfolgs" der IKS kann am Unterschied  zwischen der IKS und den anderen Organisationen der Kommunistischen Linken abgelesen werden, die 1968 bereits existierten, als die IKS nicht mehr als ein Embryo war.

Die Gruppen der Kommunistischen Linken  seit 1968

 1968 existierten mehrere Organisationen, die sich als  Nachkommen der Kommunistischen Linken betrachteten. Auf der einen Hand gab es jene Gruppen, die zur Tradition des holländischen Linkskommunismus gehörten, im Wesentlichen die „Rätisten“, in Holland verkörpert vom Spartacusbond und von Daad en Gedachte, in Frankreich von der Groupe de Liaison pour l’Action des Travailleurs (Glat) und von Informations et Correspondances ouvrières (ICO) sowie in Großbritannien von  Solidarity, deren Ursprünge sich vor allem aus den Erfahrungen der Gruppe Socialisme ou Barbarie speisten, die  einer Abspaltung der trotzkistischen IV. Internationale unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entsprang und 1964 wieder verschwand.

Neben der rätistischen Strömung  existierte eine andere Gruppe in Frankreich, die ebenfalls von Socialisme ou Barbarie abstammte, nämlich Pouvoir Ouvrier, sowie eine kleine Gruppe um Grandizo Munis (ehemaliger Führer der spanischen Sektion der IV. Internationale), die Ferment Ouvrier Révolutionnaire (FOR,  auf Spanisch Fomento Obrero Revolucionario) welche Alarme (Alarma auf Spanisch) herausgab.

römung der Linkskommunisten von 1968 hatte ihre Wurzeln in der Italienischen Linken und umfasste zwei Zweige, die 1952 aus der Spaltung der 1945 nach dem Krieg in Italien gegründeten Partito Comunista Internazionalista hervorgegangen waren. Einerseits die „bordigistische" Internationale Kommunistische Partei, die in Italien Programma Comunista und in Frankreich Le Prolétaire und Programme Communiste herausgab; andererseits die Mehrheit zur Zeit der Spaltung, die Battaglia Comunista und  Prometeo herausgab.

Für eine Weile stießen einige dieser Gruppen auf ein großes Echo. "Rätistische" Gruppen wie die ICO erlebten einen Zulauf einer ganzen Reihe von Militanten, die von den Ereignissen im  Mai 1968 politisiert worden waren. 1969 und 1970 gelang es ihr, mehrere Zusammenkünfte  auf  regionaler, nationaler und sogar internationaler Ebene (Brüssel 1969) zu organisieren, die eine beträchtliche Anzahl von Personen und Gruppen zusammenbrachten (einschließlich  uns). Doch Anfang der 1970er Jahre verschwand die ICO. Diese Tendenz erschien wieder 1975 mit dem vierteljährlichen Bulletin Echanges et Mouvements, an dem sich Personen aus mehreren Ländern beteiligten, das jedoch nur auf Französisch herausgegeben wurde. Was die anderen Gruppen angeht, so hörten sie entweder auf zu existieren – wie im Falle der GLAT in den Siebzigern, der Gruppe Solidarity 1988 oder des Spartacusbond, der seine Hauptfigur  Stan Poppe (der 1991 starb) nicht überlebte - oder stellten ihre Publikationen ein, wie Daad en Gedachte Ende der 90er Jahre.

Auch die anderen Gruppen, die wir oben erwähnt haben, sind verschwunden, wie Pouvoir Ouvrier in den 70er und die FOR in den 90er Jahren.

Bezüglich der Gruppen, die von der Italienischen Linken stammen, kann man kaum sagen, dass es ihnen besser ergangen ist. Seit Bordigas Tod 1970 hat die "bordigistische" Bewegung mehrere Spaltungen erlebt, einschließlich jener, die zur Schaffung einer neuen "Internationalen Kommunistischen Partei" führte, die Il Partito Comunista herausgab. Ende der 70er expandierte die Mehrheitstendenz, die Il Programma Comunista herausgab, rasch in mehreren Ländern und war eine Zeitlang Hauptorganisation  linkskommunistischer  Herkunft. Aber dieser Fortschritt war größtenteils nur  möglich durch  eine Öffnung zum Linksextremismus und  zur Drittweltbewegung. 1982  brach die Internationale Kommunistische Partei auseinander. Die  ganze Organisation klappte wie ein Kartenhaus zusammen, und ihre Mitglieder zerstreuten sich in  alle Himmelsrichtungen. Die  französische Sektion  verschwand für mehrere Jahre, während in Italien nur einige Militante dem „orthodoxen" Bordigismus treu blieben und nach einer Weile wieder mit zwei Veröffentlichungen auf sich aufmerksam machten: I1 Programma Comunista und I1 Comunista. Während die bordigistische Strömung noch eine gewisse Kapazität besitzt, drei mehr oder weniger regelmäßige Monatszeitungen auf Italienisch herauszugeben, ist sie international kaum existent. Die Richtung um Il Comunista wird in Frankreich von Le Prolétaire repräsentiert, die alle drei Monate herauskommt. Die Richtung um Programma Comunista publiziert in Englisch jedes Jahr oder alle zwei Jahre die Zeitschrift Internationalist Papers und noch seltener die Zeitschrift Cahiers internationalistes. Die Richtung um I1 Partito comunista gibt eine italienische "Monatszeitschrift" heraus (die sieben Mal im Jahr erscheint) und bringt alle sechs Monate Comunismo sowie ein- oder zweimal im Jahr La Izquierda Comunista auf Spanisch bzw. Communist Left auf Englisch heraus.

Was die Strömung angeht, die von der Mehrheit der Spaltung von 1952  abstammt und welche sowohl die Presse als auch den Namen  Partito Comunista Internazionalista (PCInt) behielt, so haben wir bereits in unserem Artikel "Eine opportunistische Politik der Umgruppierung führt nur zu ‚Fehlgeburten‘“ (Internationale Revue Nr. 36; dt. Ausgabe) ihr Missgeschick bei den  Versuchen geschildert, sich  international mehr Gehör zu verschaffen. 1984 tat sich die PCInt mit der Communist Workers Organisation (die Revolutionary Perspectives publiziert) zusammen, um das Internationale Büro für die  kommunistische Partei (IBRP) zu gründen. Fünfzehn Jahre später, in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren, gelang es diesem Büro endlich, sich über seine ersten beiden Bestandteile hinaus auszubreiten und einige kleine Kerne einzubeziehen, wovon Internationalist Notes der aktivste ist und ein- oder zweimal im Jahr eine Zeitschrift herausgibt, während Bilan et Perspectives in Frankreich weniger als einmal im  Jahr etwas herausbringt. Der "Circulo de América Latina" (eine mit dem IBRP sympathisierende Gruppe) besitzt keine regelmäßig erscheinende Presse und gibt sich mit der Veröffentlichung von Stellungnahmen und der Übersetzung der IBRP-Website ins Spanische zufrieden. Das IBRP wurde vor 20 Jahren gebildet (und die Partito Comunista Internazionalista existiert schon 60 Jahre), und dennoch ist das IBRP heute trotz der Tatsache, dass es von all den Gruppen, die behaupten, von der PCInt von 1945 abzustammen, die international am meisten entwickelte ist0JahreIKS#_edn1">[i],  kleiner noch als die  IKS in ihren Gründungstagen.

Die  IKS allein produziert jedes Jahr mehr regelmäßige Publikationen in mehr Sprachen als all die anderen Organisationen  zusammengenommen. Insbesondere hat keine der anderen Organisationen eine regelmäßige Zeitschrift in deutscher Sprache, was eindeutig eine Schwäche ist angesichts der Wichtigkeit des deutschen Proletariats  sowohl in der Geschichte als auch in der Zukunft  der Arbeiterbewegung.

Wir ziehen diesen Vergleich zwischen dem Umfang unserer Organisation und dem der anderen Gruppen nicht aus Konkurrenzdenken. Im Gegenteil zu dem, was manche dieser Gruppen behauptet haben, haben wir nie versucht, auf Kosten Anderer zu expandieren. Nichts liegt uns ferner. Wenn wir mit unseren Kontakten diskutieren, machen wir sie stets auf die Existenz der anderen Gruppen aufmerksam und ermutigen sie, sich mit den Positionen Letzterer vertraut zu machen0JahreIKS#_edn2">[ii]. Auch haben wir die anderen Organisationen stets zu unseren öffentlichen Veranstaltungen eingeladen, damit sie dort sowohl das Wort ergreifen als auch ihre eigene Presse vorstellen (wir haben sogar vorgeschlagen, ihre Militanten in Städten oder Ländern, in denen sie selbst nicht präsent sind, zu beherbergen0JahreIKS#_edn3">[iii]). Wir haben, wenn sich die Gelegenheit bot, auch die Presseerzeugnisse anderer Gruppen in die Buchläden gestellt, wenn diese damit einverstanden waren. Schließlich ist es nie unsere Politik gewesen, nach jenen Militanten dieser Organisationen zu „angeln“, die Meinungsverschiedenheiten mit der Politik oder den Positionen Letzterer entwickelt haben. Wir haben sie stets ermutigt, in ihren Organisationen zu bleiben, um dort zu debattieren und zu klären0JahreIKS#_edn4">[iv].

Tatsächlich erkennen wir – im Unterschied zu den anderen, von uns erwähnten Gruppen, von denen eine jede denkt, die einzige zu sein, die in der Lage ist, die künftige Partei der kommunistischen Revolution zu bilden – an, dass es ein linkskommunistisches Lager gibt, das proletarische Positionen innerhalb der Arbeiterklasse vertritt, und dass alle Gruppen darin nur gewinnen können, wenn sich dieses Lager als Ganzes weiterentwickelt. Freilich kritisieren wir Positionen, von denen wir glauben, dass sie falsch sind, wann immer wir denken, dass dies angebracht ist. Doch diese Polemiken sind Teil der notwendigen Debatte innerhalb des Proletariats, und wir glauben mit Marx und Engels, dass zusammen mit seiner Erfahrung nur die Diskussion und Konfrontation von Positionen ermöglichen, dass sich sein Bewusstsein vorwärts bewegt0JahreIKS#_edn5">[v].

In der Tat bezweckt dieser Vergleich der IKS-Bilanz mit jener der anderen Organisationen der Kommunistischen Linken vor allem zu beleuchten, wie schwach der Einfluss revolutionärer Positionen innerhalb der Klasse ist, was auf die historischen Bedingungen und die Hindernisse zurückzuführen ist, auf die sie auf ihrem Weg zum Bewusstsein stößt. Dies gestattet uns zu verstehen, dass der geringe Einfluss der IKS heute keineswegs eine Demonstration des Scheiterns ihrer Politik oder ihrer Orientierungen ist: Entsprechend der gegenwärtigen Bedingungen kann das, was wir während der letzten dreißig Jahre geleistet haben, als sehr positiv betrachtet werden; es unterstreicht die Gültigkeit unserer Orientierungen in dieser Periode. Wir sollten daher noch genauer untersuchen, wie und warum diese Orientierungen es uns erlaubt haben, die unterschiedlichen Situationen zu meistern, denen wir uns gegenübersahen, seitdem unsere Organisation gegründet worden war. Und um zu beginnen, brauchen wir nur in Erinnerung rufen (wie wir es bereits in den Artikeln getan haben, die anlässlich des 10. und 20. Geburtstages veröffentlicht wurden), worin die fundamentalen Prinzipien bestehen, auf denen die IKS ruht.

Die fundamentalen Prinzipien für den Aufbau der Organisation

Die erste Sache, die wir nachdrücklich betonen sollten, ist, dass diese Prinzipien keine Erfindung der IKS sind. Sie sind von der gesamten Arbeiterbewegung über lange  Zeit hinweg ausgearbeitet worden.  So ist es alles andere als platonisch, wenn in den „Grundsatzpositionen“, die auf der letzten Seite aller unserer Publikationen abgedruckt sind, festgestellt wird: „Die Positionen der revolutionären Organisationen und ihre Aktivitäten sind das Ergebnis der vorherigen Erfahrungen der Arbeiterklasse und der Lehren, die diese politischen Organisationen aus der Geschichte gezogen haben. So beruft sich die IKS auf die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden vom Bund der Kommunisten (1847-52) um Marx und Engels, den drei Internationalen (Internationale Arbeiterassoziation 1864-72, Sozialistische Internationale 1889-1914, Kommunistische Internationale 1919-28), den linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der Dritten Internationale hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken.“

Während wir unser Erbe aus all den verschiedenen Fraktionen der Kommunistischen Linken beziehen, berufen wir uns, was die Frage des Organisationsaufbaus betrifft, ausdrücklich auf die Gedanken der linken Fraktionen der Kommunistischen Partei Italiens, insbesondere auf jene, die in der Zeitschrift Bilan in den 30er Jahren ausgedrückt worden waren. Die große Klarheit dieser Gruppe trug entscheidend zu ihrer Fähigkeit bei, nicht nur zu überleben, sondern auch das kommunistische Denken auf bemerkenswerte Weise weiterzuentwickeln.

Im Rahmen dieses Artikels können wir nicht dem ganzen Reichtum der Positionen der Italienischen Fraktion gerecht werden. Wir werden uns hier darauf beschränken, einige wesentliche Aspekte zusammenzufassen.

Der erste Punkt, den wir von der italienischen Fraktion übernommen haben, ist ihre Stellung zum Verlauf der Geschichte. Jede der wesentlichen Klassen in der Gesellschaft, die Bourgeoisie und das Proletariat, hat ihre eigene Antwort auf die tödliche Krise der kapitalistischen Ökonomie: Die Antwort Ersterer ist der imperialistische Krieg, die Antwort Letzterer die Weltrevolution. Welche von beiden letztendlich die Oberhand behält, hängt vom Gleichgewicht der Kräfte zwischen beiden Klassen ab. Die Bourgeoisie war nur deshalb in der Lage, den I. Weltkrieg auszulösen, weil sie das Proletariat zuvor politisch besiegt hatte, vor allem durch den Triumph des Opportunismus in den Hauptparteien der Zweiten Internationale. Jedoch führte die Barbarei, die jegliche Illusionen über die Fähigkeit des Kapitalismus wegspülte, der Gesellschaft Frieden und Wohlstand zu bringen und die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern, zu einem Wiedererwachen des Proletariats in Russland 1917 und in Deutschland 1918: Die Arbeiter erhoben sich gegen den Krieg und warfen sich in den Kampf, um den Kapitalismus zu stürzen. Die Niederlage der Revolution in Deutschland, also im wichtigsten Land, öffnete das Tor zum Triumph der Konterrevolution, die sich über die gesamte Welt, besonders aber in Europa mit dem Sieg des Stalinismus in Russland, des Faschismus in Deutschland und der „antifaschistischen“ Ideologie in den „demokratischen“ Ländern ausbreitete. In den 30er Jahren war es eines der Verdienste der Fraktion, verstanden zu haben, dass genau wegen der tiefen Niederlage der Arbeiterklasse die akute Krise des Kapitalismus, die 1929 begonnen hatte, nur zu einem neuen Weltkrieg führen konnte. Auf der Grundlage ihrer Analyse der Periode, die erkannte, dass der Lauf der Geschichte nicht zur Revolution und zur Radikalisierung der Arbeiterkämpfe führt, sondern zum Weltkrieg, war die Fraktion imstande zu begreifen, was in Spanien 1936 passierte, und den fatalen Fehler der Trotzkisten zu vermeiden, die fälschlicherweise diese Vorbereitung auf das zweite imperialistische Gemetzel für den Beginn der proletarischen Revolution hielten.

Die Fähigkeit der Fraktion, das reale Kräfteverhältnis zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat zu identifizieren, war mit einer klaren Konzeption über die Rolle von kommunistischen Organisationen in den verschiedenen Geschichtsperioden verknüpft. Auf der Grundlage der Erfahrung der verschiedenen linken Fraktionen, die zuvor in der Geschichte der Arbeiterbewegung existiert hatten, besonders der bolschewistischen Fraktion in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), aber auch von Marx und Engels nach 1847, definierte die Fraktion und ihre Publikation Bilan zwei unterschiedliche Formen der kommunistischen Organisation: die Partei und die Fraktion. Die Arbeiterklasse erzeugt in Perioden intensiver Kämpfe, wenn die von den Revolutionären vertretenen Positionen einen realen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse ausüben, die Partei. Wenn sich jedoch das Kräfteverhältnis gegen das Proletariat wendet, verschwindet die Partei als solche oder neigt dazu, einem opportunistischen Kurs zu verfallen und zu degenerieren, was sie zum Verrat im Dienste der feindlichen Klasse führt. Es ist die Fraktion, die, kleiner sowohl in ihrer Größe als auch in ihrem Einfluss, dann die Verteidigung der revolutionären Positionen übernehmen muss. Die Rolle der Fraktion ist es, für die Korrektur der Parteilinie zu kämpfen, damit sie in der Lage ist, ihren Part zu spielen, wenn der Klassenkampf wiederbelebt wird. Sollten sich diese Bemühungen als vergebens erweisen, so ist es ihre Rolle, eine programmatische und organisatorische Brücke zu einer neuen Partei zu schaffen, die nur unter zwei Bedingungen gegründet werden kann:

- dass die Fraktion alle Lehren aus den vergangenen Erfahrungen und vor allem aus den vergangenen Niederlagen gezogen hat;

- dass sich das Kräfteverhältnis noch einmal zugunsten des Proletariats neigt.

Eine andere Lehre, die von der Italienischen Linken weitergereicht wurde und die sich ganz natürlich aus dem ergibt, was wir gerade gesagt haben, ist die Ablehnung des Immediatismus, mit anderen Worten: einer Herangehensweise, die den Blick für den langfristigen Charakter des Kampfes des Proletariats und der Intervention der revolutionären Organisationen in ihm verliert. Lenin pflegte zu sagen, dass Geduld eine der Haupttugenden der Bolschewiki war. Er tat nichts anderes, als den Kampf von Marx und Engels gegen die Geißel des Immediatismus fortzusetzen0JahreIKS#_edn6">[vi]. Weil die Arbeiterklasse permanent von der Ideologie des Kleinbürgertums, das heißt von einer gesellschaftlichen Schicht, die keine Zukunft besitzt, durchdrungen wird, ist der Immediatismus eine konstante Bedrohung der Arbeiterbewegung.

Die natürliche Konsequenz des Kampfes gegen den Immediatismus ist eine programmatische Rigorosität bei der Sammlung der revolutionären Kräfte. Anders als die trotzkistische Bewegung, die hastige Umgruppierungen vornehmlich auf der Grundlage einer Übereinkunft zwischen „Persönlichkeiten“ bevorzugte, bestand die Fraktion auf eine gründliche Diskussion über programmatische Grundsätze, bevor sie mit anderen Strömungen verschmolz.

Diese rigorose Grundsatztreue schloss keineswegs Diskussionen mit anderen Gruppen aus. Jene, die fest zu ihren Überzeugungen stehen, haben keine Furcht vor der Konfrontation mit anderen Strömungen. Das Sektierertum dagegen, das sich selbst als „allein in der Welt“ betrachtet und jeden Kontakt mit anderen proletarischen Gruppen ablehnt, ist im Allgemeinen das Kennzeichen eines Mangels an Überzeugung in der Gültigkeit der eigenen Positionen. Gerade weil sie auf dem festen Boden der Erfahrungen der Arbeiterbewegung stand, war die Fraktion imstande, diese Erfahrungen mit einer solchen Kühnheit zu kritisieren, selbst wenn dies bedeutete, Positionen in Frage zu stellen, die von den anderen Strömungen nahezu als ein Dogma betrachtet wurden0JahreIKS#_edn7">[vii]. Während die Deutsch-Holländische Linke auf die Degeneration der Revolution in Russland und auf die konterrevolutionäre Rolle, die die bolschewistische Partei seitdem spielte, reagierte, indem sie das Kind mit dem Bade ausschüttete und die Schlussfolgerung zog, dass sowohl die Oktoberrevolution als auch die Bolschewiki bürgerlich gewesen seien, bestand die Fraktion stets laut und deutlich auf den proletarischen Charakter beider. Indem sie erklärte, dass die Partei eine vitale Rolle beim Triumph der kommunistischen Revolution spielt, bekämpfte sie auch die „rätistische“ Position, in der die holländische Linke endete. Und anders als die Trotzkisten, die sich selbst vorbehaltlos auf die ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale berufen, lehnte die Fraktion, wie auch die Kommunistische Partei Italiens zu Beginn der 20er Jahre, die unrichtigen Positionen ab, die von diesen Kongressen angenommen worden waren, besonders die Politik der „Einheitsfront“. Tatsächlich ging die Fraktion noch weiter, als sie die Position Lenins und des Zweiten Kongresses zur Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe in Frage stellte und stattdessen die von Rosa Luxemburg vertretene Position übernahm.

All diese Lehren wurden angenommen und systematisiert von der Kommunistischen Linken Frankreichs (1945-52), und es war diese Grundlage, auf der die IKS gegründet wurde. Dies hat es ihr ermöglicht, die verschiedenen Feuerproben zu bestehen, besonders jene, die sich aus den Schwächen ergaben, die seit seinem historischen Wiedererwachen 1968 schwer auf dem Proletariat und seinen revolutionären Minderheiten lasteten.

Die Geschichte setzt die Prinzipien der Fraktion einem Test aus

Angesichts dieses Wiederauflebens der Arbeiterklasse war die erste Sache, die verstanden werden musste, die Frage des historischen Kurses. Dies wurde von den anderen Gruppen, die sich als die Erben der Italienischen Linken betrachteten, nur unzureichend begriffen. Die Tatsache, dass sie 1945, als sich die Klasse noch fest im Griff der Konterrevolution befunden hatte, eine Partei gegründet und sich seither einer Kritik an dieser voreiligen Gründung versagt hatten, beweist, dass diese Gruppen (die sich auch weiterhin „Partei“ nannten) außerstande waren, zwischen der Konterrevolution und dem Ende der Konterrevolution zu unterscheiden. Sie sahen im Frankreich des Mai 1968 oder im heißen Herbst in Italien 1969 nur Belangloses für die Arbeiterklasse und spielten diese Ereignisse als bloße Studentenagitation herunter. Dagegen begriffen unsere Genossen von Internacionalismo (insbesondere MC, ein alter Militanter der Fraktion und der GCF) im Bewusstsein der Veränderung des Kräfteverhältnisses die Notwendigkeit, einen Prozess der Diskussion und der Umgruppierung mit jenen Gruppen in Gang zu setzen, die in Folge des historischen Kurswechsels entstanden waren. Diese Genossen baten die PCInt wiederholt, die Diskussion zu eröffnen und zu einer internationalen Konferenz aufzurufen, war doch der Einfluss der PCInt viel größer als der unseres kleinen Kerns in Venezuela. Jedesmal lehnte die PCInt unseren Vorschlag mit der Begründung ab, es habe sich nichts Neues getan. Schließlich begann 1973 doch eine erste Runde von Konferenzen als Folge eines Appells, der von Internationalism formuliert worden war, einer Gruppe in den Vereinigten Staaten, die den Positionen von Internacionalismo und Révolution Internationale, die sich 1968 in Frankreich gebildet hatte, nahe stand. Es war größtenteils diesen Konferenzen zu verdanken, dass neben einer nachhaltigen Heranreifung einer ganzen Reihe von Gruppen und Elementen, die nach dem Mai 1968 zur Politik gelangten, im Januar 1975 die IKS gegründet wurde. Es ist selbstverständlich, dass die von der Fraktion übernommene Haltung, systematisch die Diskussion mit Individuen zu suchen, wenn sie bei aller Konfusion deutlich einen revolutionären Willen demonstrieren, ein entscheidendes Element bei diesem ersten Schritt war.

Auch wenn die jungen Militanten, die die IKS gegründet hatten oder ihr in den ersten Jahren beigetreten waren, sicherlich begeistert dabei waren, laborierten sie nichtsdestotrotz an einer gewissen Anzahl nicht unerheblicher Schwächen, so:

- am Einfluss der Studentenbewegung, die durchtränkt war von kleinbürgerlichem Gedankengut, besonders vom Individualismus und Immediatismus („Revolution jetzt!“ war eine der Studentenparolen von 1968);

- am Misstrauen gegenüber jeder Form von revolutionärer Organisation, die in der Klasse interveniert, in Folge der konterrevolutionären Rolle, die von den stalinistischen Parteien ausgeübt wurde; mit anderen Worten: das Gewicht des Rätismus.

Diese Schwächen betrafen nicht allein die Militanten, die sich in der IKS sammelten. Im Gegenteil, sie äußerten sich noch viel stärker unter den Gruppen und Elementen, die außerhalb unserer Organisation geblieben waren, welche zu einem großen Teil durch die Auseinandersetzungen mit ihnen geformt worden war. Diese Schwächen erklären den kurzlebigen Erfolg der rätistischen Strömung nach 1968. Kurzlebig daher, weil man, wenn man aus seiner eigenen Nutzlosigkeit für den Klassenkampf eine Theorie macht, wenig Überlebenschancen hat. Sie erklären ebenfalls zuerst den Erfolg und dann die Schlappe von Programma Comunista: Nach dem völligen Versagen, die Bedeutung dessen zu begreifen, was sich 1968 ereignete, verlor diese Strömung angesichts der internationalen Entwicklung von Arbeiterkämpfen den Kopf und ließ alle Vorsicht und organisatorische Strenge fahren, die sie einst für gewisse Zeit ausgezeichnet hatte. Ihr Sektierertum und ihr großmäuliger „Monolithismus“ mutierten zu einer Öffnung gegenüber allen Richtungen (außer gegenüber unserer Organisation, die weiterhin als „kleinbürgerlich“ betrachtet wurde), besonders gegenüber einer großen Anzahl von Elementen, die sich gerade unvollständig vom Linksextremismus und besonders von der Drittweltbewegung freigemacht hatten. Ihre desaströse Auflösung 1982 war die logische Quittung dafür, dass sie die Hauptlehren der Italienischen Linken vergessen hat, als deren Erbe sie sich ausgab.

Diese Schwächen traten auch bald in der IKS auf, trotz unserer Entschlossenheit, eine hastige Integration neuer Militanter zu vermeiden. 1991 erlitt unsere Organisation eine schwere Krise, die die Hälfte ihrer Sektion in Großbritannien wegspülte. Diese Krise wurde im Wesentlichen vom Immediatismus genährt, der eine ganze Reihe von Militanten dazu verleitete, das Potenzial des Klassenkampfes zu überschätzen (zu jener Zeit erlebte Großbritannien die massivsten Arbeiterkämpfe in der Geschichte: Mit 29 Millionen Streiktagen im Jahr nahm Großbritannien den zweiten Platz hinter Frankreich 1968 im Rahmen der Statistiken über die Arbeitermilitanz ein). Infolgedessen hielten sie die gewerkschaftlichen Basisorganisationen, die die Bourgeoisie produzierte, als die Gewerkschaften ihren Halt verloren, für proletarische Gruppen. Gleichzeitig verleitete der noch immer mächtige Individualismus zur Ablehnung des einheitlichen und zentralisierten Charakters der Organisation: Jede lokale Sektion, ja jedes Individuum konnte gegen die Disziplin der Organisation verstoßen, wenn man meinte, dass die Orientierungen unrichtig seien. Die immediatistische Gefahr ist eines der Hauptthemen des Berichts über „Die Funktion der revolutionären Organisation“ (Internationale Revue, Sondernummer, dt. Ausgabe), der von der Außerordentlichen Konferenz verabschiedet wurde, die im Januar 1982 abgehalten worden war, um die IKS wieder zurück aufs Gleis zu stellen.

Auch der „Bericht zur Struktur und Funktionsweise der revolutionären Organisation“ (Internationale Revue, Nr. 22, dt. Ausgabe) richtete sich bei seiner Verteidigung einer zentralisierten und disziplinierten Organisation (bei gleichzeitigem Beharren auf die Notwendigkeit der offensten und tiefsten Diskussionen in ihr) gegen den Individualismus.

Dieser erfolgreiche Kampf gegen den Immediatismus und Individualismus bewahrte die Organisation 1981 vor Schlimmeren, doch er eliminierte nicht die Bedrohungen an sich: Insbesondere kristallisierte sich 1984 das Gewicht des Rätismus, mit anderen Worten: die Unterschätzung der kommunistischen Organisation, mit der Bildung einer „Tendenz“ heraus, die das Banner gegen die „Hexenjäger“ erhob, als wir begannen, gegen die Überbleibsel rätistischer Ideen in unseren eigenen Reihen zu kämpfen. Diese „Tendenz“ endete darin, die IKS auf ihrem sechsten Kongress 1985 zu verlassen, um die Externe Fraktion der IKS (EFIKS) zu bilden, die vorgab, die „wirkliche Plattform“ unserer Organisation gegen ihre angebliche „stalinistische Degeneration“ zu verteidigen (dieselben Anschuldigungen wurden bereits von jenen Elementen erhoben, die die IKS 1981 verlassen hatten).

Diese Kämpfe erlaubten es unserer Organisation, ihre Verantwortung in den Kämpfen der Klasse in dieser Periode wahrzunehmen, wie im Bergarbeiterstreik in Großbritannien 1984, im Generalstreik in Dänemark 1985, im riesigen Streik des öffentlichen Dienstes in Belgien 1986, im Streik bei den Eisenbahnen und in den Krankenhäusern in Frankreich 1986 und 1988 sowie im Lehrerstreik in Italien 19870JahreIKS#_edn8">[viii].

Während dieser aktiven Interventionen in den Arbeiterkämpfen in den 80er Jahren vergaß unsere Organisation nicht eine der Hauptsorgen der italienischen Fraktion: die Lehren aus den vergangenen Niederlagen zu ziehen. Nachdem sie mit großer Aufmerksamkeit die Arbeiterkämpfe in Polen 1980 verfolgt und analysiert hatte0JahreIKS#_edn9">[ix], unternahm die IKS, um die Niederlage dieser Kämpfe zu verstehen, eine ausführliche Untersuchung der spezifischen Charakteristiken der stalinistischen Regimes in Osteuropa0JahreIKS#_edn10">[x]. Diese Analyse versetzte unsere Organisation in die Lage, den Zusammenbruch des Ostblocks und der UdSSR zwei Monate vor dem Fall der Berliner Mauer vorauszusehen, zu einer Zeit, als viele Gruppen die Ereignisse in der UdSSR und ihrer Glacis („Perestroika“ und „Glasnost“, Solidarnosc in Polen, die im Sommer 1989 an die Macht kam) als Teil der Politik zur Verstärkung desselben Blocks analysierten0JahreIKS#_edn11">[xi].

Ähnlich ermöglichte die Fähigkeit, den Niederlagen der Klasse klar ins Auge zu blicken - was eine Stärke der Fraktion und nach ihr der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF) gewesen war - es uns, noch vor den Ereignissen im Herbst 1989 vorauszusagen, dass diese eine nachhaltige Flaute im proletarischen Bewusstsein provozieren werden: „Selbst bei seinem Tod erweist der Stalinismus der kapitalistischen Herrschaft noch einen letzten Dienst: bei seinem Zerfall vergiftet sein Körper weiterhin noch die Luft, die das Proletariat atmen muss (...) wird der gegenwärtige Rückfluss des Klassenkampfes – ungeachtet der Tatsache, dass er den historischen Kurs, die allgemeine Perspektive breiterer Zusammenstöße zwischen den Klassen, nicht infragestellt – weiterreichend sein als der Rückfluss, der die Niederlage von 1981 in Polen begleitet hatte.“0JahreIKS#_edn12">[xii]

Diese Analyse stieß nicht auf einhellige Zustimmung im linkskommunistischen Lager. Viele nahmen an, dass, weil der Stalinismus die Speerspitze der Konterrevolution gewesen war, seine jämmerliche Auflösung die Tür zur Entwicklung des Bewusstseins und der Militanz des Proletariats öffnen werde. Dies war auch die Zeit, als das IBRP wie folgt über den Staatsstreich schrieb, der das Ceaucescu-Regime Ende 1989 gestürzt hatte: „Rumänien ist das erste Land in den Industrieregionen, in dem die Weltwirtschaftskrise einem realen und authentischen Volksaufstand zur Entstehung verholfen hat, dessen Resultat der Sturz der herrschenden Regierung war (...) in Rumänien waren alle objektiven Bedingungen und nahezu alle subjektiven Bedingungen für die Umwandlung des Aufstandes in eine wahre und authentische soziale Revolution präsent.“ (Battaglia Comunista, Januar 1990, „Ceaucescu ist tot, aber der Kapitalismus lebt noch immer“, eigene Übersetzung).

Schließlich wurden der Zusammenbruch des Ostblocks und des Stalinismus sowie die Schwierigkeiten, die dadurch für den Kampf der Arbeiterklasse entstanden, nur deswegen von unserer Organisation völlig begriffen, weil sie schon zuvor in der Lage gewesen war, eine neue Phase in der Dekadenz des Kapitalismus auszumachen, nämlich die Zerfallsphase: „Bislang haben sich die Klassenkämpfe seit den letzten 20 Jahren auf allen Kontinenten stark entwickelt und den dekadenten Kapitalismus daran gehindert, seine Antwort auf die Sackgasse seiner Wirtschaft durchzusetzen: die Auslösung der höchsten Stufe seiner Barbarei, einen neuen Weltkrieg. Dennoch ist die Arbeiterklasse noch nicht in der Lage, durch revolutionäre Kämpfe ihre eigene Perspektive durchzusetzen, und auch kann sie noch nicht den Rest der Menschheit diese Zukunft verdeutlichen, die sie in sich trägt. Gerade diese gegenwärtige Pattsituation, wo im Augenblick weder die bürgerliche noch die proletarische Alternative sich offen durchsetzen kann, liegt an der Wurzel dieses Phänomens des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft und erklärt das besondere Ausmaß und die Schärfe der Barbarei der Dekadenz dieses Systems. Und je mehr sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, desto stärker wird auch dieser Fäulnisprozess zunehmen.“ (Internationale Revue Nr. 11, „Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft“)

„Der gegenwärtige Zusammenbruch des Ostblocks ist einer der Ausdrücke des allgemeinen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft, deren Ursprung in der Unfähigkeit der Bourgeoisie liegt, ihre eigene Antwort auf die offene Krise der Weltwirtschaft, den generalisierten Krieg, durchzusetzen“ (Der Zerfall, letzte Phase der kapitalistischen Gesellschaft“, Internationale Revue Nr.13).

Auch hier bezog die IKS ihre Inspiration aus der Methode der italienischen Fraktion, für die „Erkenntnis keinem Verbot und keiner Ächtung unterworfen sein darf“. Die IKS war in der Lage, diese Analyse zu erarbeiten, weil sie wie die Fraktion darum bemüht war, gegen die Routine zu kämpfen, gegen nachlässiges Denken, gegen die Auffassung, dass es „nichts Neues unter der Sonne“ gibt oder dass „die Positionen des Proletariats seit 1848 unveränderlich sind“ (wie die Bordigisten behaupten). Unsere Organisation sah den Zusammenbruch des Ostblocks und das darauffolgende Verschwinden des westlichen Blocks sowie den ernsthaften Rückzug, den die Arbeiterklasse ab 1989 antrat, voraus, weil sie diese Entschlossenheit verinnerlicht hatte, ständig wachsam gegenüber Ereignissen historischer Tragweite zu sein, auch wenn dies bedeutete, lieb gewonnene und fest etablierte Gewissheiten in Frage zu stellen. In der Tat ist diese Methode der Fraktion, die von der IKS fortgesetzt wird, keine Besonderheit der Erstgenannten, wie fähig die Fraktion auch war, diese Methode anzuwenden. Es war dies die Methode von Marx und Engels, die niemals zögerten, Positionen in Frage zu stellen, die sie zuvor vertreten hatten, falls es die Realität erforderte. Es war dies die Methode von Rosa Luxemburg, die es auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale 1896 wagte, die Aufgabe einer der symbolischsten Positionen der Arbeiterbewegung zu fordern: die Unterstützung der polnischen Unabhängigkeit und, allgemeiner, der nationalen Befreiungskämpfe. Es war Lenins Methode, als er zum Erstaunen und gegen die Opposition der Menschewiki und der „Altbolschewiki“ mit den Worten: „Die Theorie, mein Freund, ist grau, aber grün ist der ewige Baum des Lebens“0JahreIKS#_edn13">[xiii], erklärte, dass es notwendig sei, das von der Partei 1903 angenommene Programm neu zu schreiben.

Die Entschlossenheit der IKS, wachsam gegenüber neuen Ereignissen zu sein, trifft nicht nur auf den Bereich der internationalen Situation zu. Sie gilt auch für das Innenleben unserer Organisation. Wir lernten diese Vorgehensweise von der Fraktion, die sich wiederum vom Beispiel der Bolschewiki und davor von Marx und Engels besonders in der Ersten Internationale inspirieren ließ. Die Periode, die dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte und die, wie wir gesehen haben, fast die Hälfte des Lebens der IKS ausmacht, war eine neue Prüfung für unsere Organisation, die sich neuen Krisen ausgesetzt sah, so wie sie sie bereits in den 80er Jahren erlebt hatte. Ab 1993 musste sie sich im Kampf gegen den „Zirkelgeist“, wie ihn Lenin während des Kongresses der SDAPR 1903 definiert hatte, engagieren, deren Quelle in der Herkunft der IKS lag, als sie kleine Gruppen zusammenbrachte, in denen Affinitäten mit politischen Überzeugungen vermischt waren. Das Überleben des Zirkelgeistes, kombiniert mit dem wachsenden Druck des Zerfalls, tendierte immer mehr dazu, das Clanverhalten innerhalb der IKS zu fördern und so ihre Einheit, ja sogar ihr Überleben zu bedrohen. Und genauso wie die Elemente, die in der russischen SDAPR am meisten vom Zirkelgeist gezeichnet waren, einschließlich einer Reihe von Gründungsmitgliedern der Partei wie Plechanow, Axelrod, Sassulitsch, Potressow und Martow, sich widersetzt und von den Bolschewiki getrennt hatten, um nach dem Kongress von 1903 die menschewistische Fraktion zu bilden, war eine bestimmte Zahl von „herausragenden Mitgliedern“  der IKS (wie Lenin sie nennen würde) nicht in der Lage, sich dem Kampf zu stellen, und flüchtete aus der Organisation (1995-96). Jedoch wurde der Kampf gegen den Zirkelgeist und gegen das Clanverhalten nicht bis zu seinem Schluss ausgefochten und machte sich 2000-01 erneut bemerkbar. 2001 waren dieselben Ingredienzen wie in der Krise von 1993 vorhanden, doch bei einigen Militanten waren sie verknüpft mit einer Erschöpfung der kommunistischen Überzeugung, die durch den langen Rückzug der Arbeiterklasse und das wachsende Gewicht des Zerfalls verschärft worden war. Dies erklärt, warum langjährige Mitglieder der IKS entweder jegliches Interesse an der Politik verloren oder sich in Erpresser, Schläger und sogar freiwillige Polizeispitzel verwandeln konnten0JahreIKS#_edn14">[xiv]. Kurz vor seinem Tod 1990 behauptete unser Genosse MC, dass die Arbeiterklasse im Begriff sei, einen ernsten Rückzug anzutreten, und sagte, dass wir nun sehen würden, wer die wahren Militanten seien, das heißt Individuen, die nicht angesichts von Problemen ihre Überzeugung verlieren. Jene Elemente, die sich 2001 entweder zurückzogen oder die IFIKS bildeten, demonstrierten diese Veränderung in ihren Überzeugungen. Einmal mehr trachtete die IKS danach, mit derselben Entschlossenheit, die sie bereits bei früheren Gelegenheiten gezeigt hatte, die Organisation zu verteidigen. Und wir verdanken diese Entschlossenheit dem Beispiel der italienischen Fraktion. Auch in den dunkelsten Tagen der Konterrevolution lautete die Parole der Fraktion: „Niemals verraten“. Da der Rückzug der Arbeiterklasse nicht die Rückkehr der Konterrevolution bedeutet, war die Losung der IKS in den 90er Jahren: „Durchhalten“. Einige übten Verrat, doch die Organisation in ihrer Gesamtheit blieb standhaft und wurde sogar noch stärker dank dieser Entschlossenheit, sich den Organisationsfragen mit der größtmöglichen theoretischen Tiefe zu widmen, so wie es seinerzeit Marx, Lenin und die Fraktion getan hatten. Die beiden Texte, die in unserer Internationalen Revue bereits veröffentlicht worden sind („Die Frage des organisatorischen Funktionierens in der IKS“ in Internationale Revue Nr. 30 und „Das Vertrauen und die Solidarität im Kampf des Proletariats“ in Internationale Revue Nr. 31, dt. Ausgabe), sind Zeugnis dieser theoretischen Anstrengungen hinsichtlich der Organisationsfragen.

uf dieselbe Weise antwortete die IKS nachdrücklich jenen, die behaupten, dass die zahlreichen Krisen, die unsere Organisation erlebt hat, ein Beweis für ihr Scheitern sei: „Es scheint, als ginge die IKS durch so viele Krisen, weil sie gegen jegliche Penetrierung durch den Opportunismus kämpft. Weil sie ihre Statuten und den proletarischen Geist kompromisslos verteidigt, hat sie die Wut einer vom zügellosen Opportunismus befallenen Minderheit auf sich gezogen, d.h. die die Prinzipien der Organisationsfragen vollständig aufgegeben haben. Die IKS setzte auf dieser Ebene die Auseinandersetzung der Arbeiterbewegung fort, die insbesondere von Lenin und den Bolschewiki geführt worden war, deren zahlreiche Kritiker ihre häufigen organisatorischen Kämpfe und Krisen geißelten. In derselben Periode war das Leben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands weitaus weniger bewegt, doch die opportunistische Ruhe, die in ihr herrschte (allein herausgefordert von den ‚Störenfrieden‘ auf der Linken wie Rosa Luxemburg), deutete bereits ihren Verrat 1914 an. Im Gegensatz dazu halfen die Krisen der bolschewistischen Partei, die Kräfte zu entwickeln, die zur Revolution von 1917 führten.“ („Der 15. Kongress der IKS: Es steht heute viel auf dem Spiel – Die Organisation stärken, um sich der Verantwortung zu stellen“, Internationale Revue Nr. 114; engl., franz., span. Ausgabe)

Wir verdanken also die Fähigkeit der IKS, sich in den 30 Jahren ihrer Existenz stets ihrer Verantwortung gestellt zu haben, größtenteils den Beiträgen der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken. Das Geheimnis hinter der positiven Bilanz, die wir aus den Aktivitäten in dieser Periode ziehen können, liegt in unserer richtig verstandenen Treue zu den Lehren der Fraktion und, allgemeiner, zu der Methode und dem Geist des Marxismus0JahreIKS#_edn15">[xv].

Die Fraktion selbst wurde entwaffnet, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Dies geschah, weil besonders während des spanischen Bürgerkriegs die Fraktionsmehrheit Vercesi bei der Abschaffung jener Prinzipien folgte, die zuvor ihre Stärke gewesen waren. Im Gegensatz dazu war es einem kleinen Kern in Marseille auf der Grundlage eben dieser Prinzipien möglich, die Fraktion während des Krieges neu zu bilden und die theoretische sowie politische Arbeit beispielhaft fortzusetzen. Umgekehrt ließ der Restbestand der Fraktion am Kriegsende ihre Prinzipien fallen, als die Mehrheit beschloss, sich aufzulösen und als Individuen der 1945 gegründeten Partito Comunista Internazionalista beizutreten. Es war daher der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF) überlassen, die fundamentalen Errungenschaften der Fraktion zu übernehmen und die theoretische Arbeit bei der Vorbereitung des politischen Rahmens fortzusetzen, was es der IKS ermöglichte, sich zu bilden, zu existieren und Fortschritte zu machen. In diesem Sinn betrachten wir die Zusammenfassung von 30 Jahren unserer Organisation als eine Huldigung an die außergewöhnliche Arbeit, die von den kleinen Gruppen exilierter Militanter ausgeführt worden war, welche die Fackel der Idee des Kommunismus in der dunkelsten Epoche der Geschichte hochhielten. Ihr Werk wird sich, obgleich heute größtenteils unbekannt und zum großen Teil von jenen ignoriert, die behaupten, die Erben der Italienischen Linken zu sein, als wirkungsvolles Element beim endlichen Sieg des Proletariats erweisen.

Eine neue Generation von kommunistischen Kämpfern

Besonders dank der Lehren, die uns die Fraktion und die GCF hinterlassen haben, übermittelt und unermüdlich bis an seinen letzten Tag weiter ausgearbeitet von unserem Genossen MC, ist die IKS heute fit und bereit, die neue Generation von Revolutionären, die sich unserer Organisation annähert, in unseren Reihen willkommen zu heißen; eine Generation, die sowohl zahlenmäßig als auch in ihrer Begeisterung noch wachsen wird, entsprechend der Tendenz zur Wiederbelebung des Klassenkampfes seit 2003. Der letzte Internationale Kongress merkte an, dass wir Zeuge eines bedeutsamen Ansteigens der Zahl unserer Kontakte und neuer Mitglieder sind: „Und bemerkenswert ist, dass eine bedeutende Anzahl von diesen neuen Mitgliedern junge Leute sind, die nicht die Verbildung erleiden und überwinden mussten, die die Mitgliedschaft in linksbürgerlichen Organisationen nach sich zieht. Junge Leute, deren Dynamik und Begeisterung hundertfach die müden und verbrauchten ‚militanten Kräfte‘ ersetzt, die uns verlassen.“ („Bilanz des 16. Kongresses“, Internationale Revue Nr. 36, dt. Ausgabe)

Für uns Menschen sind 30 Jahre das Durchschnittsalter einer Generation. Die Elemente, die sich uns heute annähern oder die bereits bei uns eingetreten sind, könnten Kinder der Militanten sein, die die IKS gegründet hatten (und sind es manchmal auch).

Was wir im Bericht über die internationale Lage gesagt hatten, der dem 8. Kongress der IKS vorgestellt worden war, wird zur konkreten Realität: „Es war notwendig, dass die Generationen, die von der Konterrevolution der 1930 bis 1950er Jahre geprägt worden waren, den Generation den Platz überließen, die nicht davon geprägt worden waren, damit das Weltproletariat die Kraft fand, sie zu überwinden. So kann man im übertragenen Sinne sagen, dass die Generation, welche die Revolution machen wird, nicht die sein wird, welche die wesentliche historische Aufgabe erfüllt hat, dem Weltproletariat nach der tiefgreifendsten Konterrevolution seiner Geschichte eine neue Perspektive zu eröffnen (obgleich solch ein Vergleich abgeschwächt werden muss, wenn man sieht, dass zwischen der 1968er Generation und der vorhergehenden Generation ein historischer Bruch entstanden war, während es bei den nachfolgenden Generationen eine Kontinuität gibt)“ Was für die Arbeiterklasse zutrifft, gilt auch für ihre revolutionäre Minderheit. Und noch sind die meisten der „alten“ Militanten dabei, auch wenn ihre Haare mittlerweile grau geworden sind (wenn sie nicht schon alle ausgefallen sind!). Die Generation, die 1975 die IKS gründete, ist bereit, die Lehren, die sie von ihren Vorgängern erhalten hat, so wie jene, die sie im Verlauf dieser 30 Jahre hinzugelernt hat, an die „Jüngeren“ zu übermitteln, so dass die IKS mehr und mehr in der Lage ist, ihren Beitrag zur Bildung der künftigen Partei der kommunistischen Revolution zu leisten.              Fabienne



0JahreIKS#_ednref1">[i] Insbesondere ist sie die einzige Organisation mit einer bedeutenden Publikation auf Englisch (ein Dutzend Ausgaben pro Jahr).

0JahreIKS#_ednref2">[ii] Es ist aufschlussreich, dass die Genossen, die Internationalist Notes in Montreal veröffentlichen, zuerst die IKS kontaktierten, die sie ermutigte, auch mit dem IBRP in Kontakt zu treten. Am Ende wendeten sich diese Genossen dieser Organisation zu. Desgleichen sagte auf einem Treffen mit uns ein Genosse der CWO (der britische Ableger des IBRP) ganz freimütig, dass ihre einzigen Kontakte in Großbritannien von der IKS kämen, die sie dazu ermutigt hatte, auch mit den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken in Kontakt zu treten.

0JahreIKS#_ednref3">[iii] Siehe zum Beispiel den Brief, den wir an die Gruppen der Kommunistischen Linken am 24. März 2003 adressiert und in der Internationalen Revue Nr. 119 (eng., franz., span. Ausgabe, Nr. 32 deutsche Ausgabe) veröffentlicht hatten.

0JahreIKS#_ednref4">[iv] Daher schrieben wir im „Bericht über die Struktur und die Funktionsweise der revolutionären Organisation“: „Innerhalb des proletarischen politischen Milieus haben wir immer diese Position vertreten (dass „wenn die Organisation einen falschen Weg einschlägt, (...) die Verantwortung der Mitglieder, die glauben, eine richtige Position zu verteidigen, nicht darin (besteht), sich selbst auf eine Insel zu retten, sich in eine Ecke zurückzuziehen, sondern einen Kampf innerhalb der Organisation zu führen, um damit beizutragen, sie wieder auf den ‚richtigen Weg zu bringen‘). Dies war insbesondere der Fall, als die Aberdeener Sektion der Communist Workers‘ Organisation (CWO) aus dieser austrat oder als das Nucleo Comunista Internazionalista aus ‚Programma Comunista‘ austrat. Wir haben damals die Überstürzung bei den Spaltungen kritisiert, die sich damals auf keine grundsätzlichen Divergenzen stützten und die in den jeweiligen Organisationen nicht ausreichend in vertieften Debatten geklärt worden waren. Im allgemeinen ist die IKS gegen ‚Spaltungen‘, die sich nicht auf Prinzipienfragen stützen, sondern zweitrangige Fragen als Ursprung haben (selbst wenn die ausgetretenen Genossen später ihre Kandidatur für die Mitgliedschaft in der IKS stellen).“

0JahreIKS#_ednref5">[v] „Für den schließlichen Sieg der im ‚Manifest‘ aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehn musste.“ (Vorrede zur deutschen Ausgabe des „Kommunistischen Manifest“, 1890). MEW Bd 4, S. 584).

0JahreIKS#_ednref6">[vi] Marx und Engels mussten so innerhalb des Bundes der Kommunisten gegen die Willich-Schapper-Tendenz kämpfen, die die „Revolution jetzt!“ wollte, trotz der Niederlage der Revolution von 1848: „Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15,20,50 Jahre Bürgerkrieg durchzumachen, um die Verhältnisse zu ändern, um euch selbst zur Herrschaft zu befähigen, ist statt dessen gesagt worden: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen.“ (Protokoll der Sitzung der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten in London, 15. 09. 1850).

0JahreIKS#_ednref7">[vii] „Die Militanten der neuen proletarischen Parteien können nur als Resultat einer tiefgehenden Kenntnis über die Ursachen der Niederlagen erscheinen. Und diese Erkenntnis darf keinem Verbot und keiner Ächtung unterworfen sein.“ (Bilan, Nr. 1, November 1933)

0JahreIKS#_ednref8">[viii] Unser Artikel, den wir anlässlich des 20. Geburtstages der IKS verfasst hatten, geht detaillierter auf unsere Intervention in den Arbeiterkämpfen in dieser Periode ein.

0JahreIKS#_ednref9">[ix] Siehe darüber „Massenstreiks in Polen: Eine neue Bresche ist geschlagen“, „Die internationale Dimension der Arbeiterkämpfe in Polen“, „Die Rolle der Revolutionäre im Lichte der Ereignisse in Polen“, „Perspektiven für den internationalen Klassenkampf: Eine Bresche ist in Polen geschlagen worden“, „Ein Jahr der Arbeiterkämpfe in Polen“, „Bemerkungen zum Massenstreik“, „Nach der Repression in Polen“ in der Internationalen Revue Nr. 23, 24, 26, 27 und 29 (engl., franz., span. Ausgabe)

0JahreIKS#_ednref10">[x] „Osteuropa: Die Wirtschaftskrise und die Waffen der Bourgeoisie gegen das Proletariat“, Internationale Revue Nr. 80 (eng., franz., span. Ausgabe).

0JahreIKS#_ednref11">[xi] Siehe Internationale Revue Nr. 60, „Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern“ in der Internationalen Revue Nr. 12 (dt. Ausgabe) wie auch „20 Jahre IKS“ in der Internationalen Revue Nr. 80 (engl., franz., span. Ausgabe, Nr. 16 deutsche Ausgabe)

0JahreIKS#_ednref12">[xii] „Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern“, s.o.

0JahreIKS#_ednref13">[xiii] https://www.marxists.org/archive/lenin/works/1917/apr/x01.htm [2]

0JahreIKS#_ednref14">[xiv] Über die Krise der IKS 2001 und das Verhalten der so genannten internen Fraktion der IKS (IFIKS) siehe insbesondere unseren Artikel „Der 15. Kongress der IKS: Es steht heute viel auf dem Spiel – die Organisation stärken, um  sich der Verantwortung zu stellen“, Internationale Revue Nr. 114 (engl., franz., span. Ausgabe).

0JahreIKS#_ednref15">[xv] Wenn die anderen Organisationen, die wir zitiert haben, unfähig sind, solche eine positive Bilanz zu ziehen, so, weil ihre Bindung zu den Organisationsprinzipien der Italienischen Linken im Kern platonisch ist.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [3]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [4]

Theoretische Fragen: 

  • Partei und Fraktion [5]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [6]

Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des Historischen Materialismus, Teil 3:

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Battaglia Comunista wendet sich von einem
Schlüsselkonzept des Marxismus ab: der Dekadenz der Produktionsweisen, II

Im ersten Teil dieser Artikelserie (s. Internationale Revue Nr. 34) erinnerten wir daran, dass für den Marxismus entgegen der Ansicht, die von Battaglia vertreten wurde[1] [7], die Dekadenz des Kapitalismus keine endlose Wiederholung seiner Widersprüche auf einem immer höheren Niveau ist, sondern dass sie, entsprechend der Terminologie von Marx und Engels, die Frage seines Überlebens als Produktionsweise aufwirft. Indem es das Dekadenzkonzept ablehnt, wie es von den Gründern des Marxismus definiert und sukzessive von den Organisationen der Arbeiterbewegung aufgenommen wurde, von denen einige es weiter vertieften, kehrt Battaglia dem historisch-materialistischen Verständnis den Rücken zu. Marx uns lehrt, dass eine Gesellschaft erst dann überwunden werden kann, wenn sie in eine Phase der „Senilität“ getreten ist, wo „ihre Produktionsverhältnisse obsolet und zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind“.

„Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (K. Marx, „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“ Heft V,  Das Kapitel vom Kapital, S. 438.)

An dieser Idee der unvermeidlichen Folge der Produktionsweise ist nichts Fatalistisches, wie Battaglia behauptet. Dies deswegen, weil, auch wenn die Dekadenz einer Produktionsweise eine unerlässliche Vorbedingung für eine „revolutionäre Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ (Marx, Kommunistisches Manifest) ist, es der Klassenkampf ist, der in letzter Instanz einen Schnitt durch die sozio-ökonomischen Widersprüche macht. Und falls dies nicht geschieht, so sinkt die Gesellschaft in eine Zerfallsphase, in den „gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, wie Marx es im Kommunistischen Manifest formuliert. Es gibt nichts Automatisches oder Unvermeidliches an der Aufeinanderfolge von Produktionsweisen, nichts, dass den Schluss nahelegt, dass der Kapitalismus angesichts wachsend unüberwindbarer Widersprüche sich einfach von der Bühne der Geschichte zurückziehen wird.

Battaglias Zickzackkurs in der Frage des Dekadenzkonzepts

In der Diskussion rund um die Annahme ihrer Plattform auf der ersten Nationalen Konferenz 1945 übertrug das Zentralkomitee der neugegründeten Partito Comunista Internazionalista (PCInt) einem seiner Militanten – Stefanini, ein früheres Mitglied der italienischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken (1928-45) – die Aufgabe, einen politischen Bericht über die Gewerkschaftsfrage zu präsentieren. In diesem Bericht bekräftigte er die „Konzeption, dass die Gewerkschaften in der Phase der Dekadenz des Kapitalismus notwendigerweise mit dem bürgerlichen Staat verknüpft sind“ (Protokolle der ersten Nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung). Dieser Bericht, der am dritten Tag der Konferenz vorgestellt wurde, stand im Widerspruch zur Plattform, die tags zuvor diskutiert und verabschiedet wurde.[2] [7] Obwohl eine Reihe von Militanten die Position unterstützte, die von Stefanini im Namen des Zentralkomitees vertreten wurde, rief Letzteres am Ende der Diskussion die Konferenz dazu auf, die Positionen anzunehmen, die von der Plattform eingenommen wurden[3] [7], und fühlte sich veranlasst, am Ende der Konferenz einen Antrag zu präsentieren, der zum „Wiederaufbau der CGIL“[4] [7] und „zur Eroberung der Führungsorgane der Gewerkschaft“ aufrief (Antrag des Zentralkomitees zur Gewerkschaftsfrage, eigene Übersetzung, siehe auch Fussnote 3).

Ferner nahm die Plattform, die auf dieser Konferenz (faktisch ein Gründungskongress) gebilligt wurde, trotz ihrer ausdrücklichen Behauptung, dass sie sich in politischer und organisatorischer Kontinuität mit der Italienischen Fraktion befinde (1928-45)[5] [7], und trotz der Anwesenheit von Mitgliedern der Fraktion in der Führung der neuen Partei überhaupt keinen Bezug auf das, was der Mörtel, die politische Kohärenz der Positionen der Fraktion gewesen war: die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus. Gleichzeitig schuf die Partei ein Internationales Büro, um ihre organisatorische Ausweitung ins Ausland zu koordinieren; dieses jedoch vertrat – mit angemessenem Respekt vor der theoretischen Kakophonie – weiterhin die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus in seinen Publikationen![6] [7] Was lediglich aufzeigt, dass es mit einer solchen Umgruppierungsmethode als Grundlage eigentlich in allen politischen Positionen nur eine totale programmatische Heterogenität geben konnte. Wenn wir die Protokolle dieser Konferenz lesen, wird deutlich, welch tiefe politische Verwirrung in ihren Diskussionen herrschte![7] [7]

Angesichts einer solch konfusen politischen Grundlage ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff der Dekadenz wie eine Fata Morgana hin und wieder auftaucht. Dies war besonders auf der Gewerkschaftskonferenz der PCInt 1947 der Fall, wo im Gegensatz zur Plattform von 1945 festgestellt wurde: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft sind die Gewerkschaften dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument für die Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans anzunehmen.“[8] [7] Dieser explosive Cocktail, der auf den eigentlichen Fundamenten der PCInt zusammengebraut wurde, hielt der Nagelprobe der Wirklichkeit nicht lange stand. Die Partei spaltete sich 1952 in zwei Parteien - eine um Bordiga (Programma Comunista), die sich durch eine Rückkehr zu den politischen Positionen der 20er Jahre auszeichnete, und eine um Damen (Battaglia Comunista), die sich etwas ausdrücklicher auf die politischen Beiträge der Italienischen Fraktion bezog.[9] [7] Genau zum Zeitpunkt dieser Spaltung sollte Bordiga gewisse kritische Betrachtungen über das Dekadenzkonzept anstellen.[10] [7] Und was Battaglia angeht, so ließ auch seine politische Plattform, die nach der Spaltung von 1952 angenommen worden war, die Analyse der Dekadenz zunächst außen vor.

Einige Zeit später jedoch nahm Battaglia in seinen Bemühungen, die revolutionären Kräfte zu bündeln, und im Verlauf der Diskussionen mit unserer Organisation schließlich unter dem Eindruck der Dynamik, die durch die Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken zwischen 1976 und 1980 ausgelöst worden war, die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus an.[11] [7] So veröffentlichte es Anfang 1978 und im März 1979 in seiner Zeitschrift Prometeo[12] [7] sowie als Texte für die ersten beiden Konferenzen[13] [7] zwei lange Untersuchungen über die Dekadenz. Wir erlebten, wie Battaglia auf der Rückseite seiner Publikationen einen neuen programmatischen Punkt aufnahm, der seine Übereinstimmung mit dem Rahmen der Dekadenz bekundete: „... das Anwachsen interimperialistischer Konflikte, von Handelskriegen, Spekulation, allgemeiner lokaler Kriege ist ein Anzeichen für den Prozess der Dekadenz des Kapitalismus. Die strukturelle Krise des Systems drückt das Kapital über seine ‚normalen‘ Grenzen in Richtung einer Lösung auf der Ebene des imperialistischen Krieges“. Nach dem Tod von Damen sen. – dem Gründer der PCInt und Initiator des Konferenzzyklus‘ – im Oktober 1979 und mit Prometeo Nr. 3 im Dezember 1979 (also kurz bevor Battaglia uns am Ende der dritten Konferenz im Mai 1980 ausschloss) verschwand dieser Punkt über die Dekadenz wieder aus den Grundsatzpositionen. Es ist in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, dass die Analyse der Dekadenz, die im Zentrum von Battaglias Beiträgen auf den ersten beiden Konferenzen stand, völlig aus seinen Beiträgen für die dritte Konferenz verschwand, wo wir eine Analyse erblickten, die die gegenwärtige Position vorwegnahm... All dies in sehr diskreter Manier und ohne jegliche Erklärung, weder für seine Leser noch für die anderen Gruppen des politischen Milieus des Proletariats! Abschließend sollten wir noch bemerken, dass Battaglia nun beabsichtigt, etwas abzuschwören, was das IBRP noch in seiner Plattform 1979 bekräftigt hatte: die Existenz eines qualitativen Bruchs, markiert durch den Ersten Weltkrieg, zwischen zwei fundamental unterschiedlichen historischen Perioden in der Evolution der kapitalistischen Produktionsweise, auch wenn dies nicht mehr durch den Gebrauch des marxistischen Konzepts vom Aufstieg und von der Dekadenz einer Produktionsweise erklärt wurde.[14] [7]

Nach diesen vielfältigen politischen Zickzacks besitzt Battaglia die Unverfrorenheit, sich darüber zu beklagen, dass es müde sei, „über nichts zu diskutieren, wo wir doch daran arbeiten müssen zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“.[15] [7] Wie kann man auch nicht müde sein, wenn man ständig seine Ansichten wechselt und nie weiß, welche die beste ist, um „zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“! Heute kann jeder sehen, dass Battaglia sich bewusst für die Weitsichtgläser entschieden hat, obgleich es an Kurzsichtigkeit leidet.

An diesem Punkt wird der Leser bemerkt haben, dass Battaglia, weit davon entfernt, ein Experte in Sachen Marxismus zu sein, wie es behauptet, eher ein Meister darin ist, auf die Gelegenheit des Augenblicks zu lauern, und eher wie ein schnell die Farbe wechselndes Chamäleon aussieht. Und es ist noch nicht alles. Der jüngste Zickzack war das Sahnehäubchen. Für all jene, die Battaglias Prosa lesen, liegt es nun auf der Hand, dass diese Organisation ein für allemal einen Begriff loswerden will, den es in seinen eigenen Worten in einer Stellungnahme vom Februar 2002, veröffentlicht in Internationalist Communist Review Nr. 21[16] [7], betrachtet „als genauso universell wie Verwirrung stiftend (...) fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie (...) fremd gegenüber den Methoden und dem Arsenal der Kritik der politischen Ökonomie“. Wir werden auch gefragt: „Welche Rolle spielt dann das Dekadenzkonzept im Rahmen einer militanten Kritik der politischen Ökonomie, d.h. für eine tiefere Analyse der Charakteristiken und der Dynamik des Kapitalismus in der Periode, in der wir leben? Keine. Bis zu dem Grad, dass das Wort selbst nirgendwo in den drei Bänden des Kapitals erscheint.“[17] [7] Aber warum zum Teufel fühlte sich Battaglia dann zwei Jahre später (in Prometeo Nr. 8, Dezember 2003) genötigt, eine große Debatte über dieses „Verwirrung stiftende“ Konzept anzuzetteln, das „nicht die Mechanismen der Krise erklären kann“, das „fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie“ ist, das nur gelegentlich bei Marx auftaucht und das angeblich in seinem Meisterstück überhaupt nicht auffindbar ist? Noch ein Kleiderwechsel. Erinnerte sich Battaglia plötzlich daran, dass die erste Broschüre, die von seiner Schwesterorganisation (die Communist Workers Organisation) veröffentlicht worden war, den Titel The Economic Foundations of Decadence (Die ökonomischen Fundamente der Dekadenz) trug? Die CWO behauptete völlig zu Recht, dass „der Begriff der Dekadenz Bestandteil der Analyse der Produktionsweisen von Marx ist“ und im Mittelpunkt bei der Bildung der Dritten Internationale stand: „Zurzeit der Formierung der Komintern 1919 wurde sichtbar, dass die Epoche der Revolution erreicht worden war, und ihre Gründungskonferenz sprach dies auch aus.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) Hat Battaglia realisiert, dass es nicht so leicht ist, sich einer solch zentralen Errungenschaft der Arbeiterbewegung wie den marxistischen Begriff der Dekadenz einer Produktionsweise zu entledigen?

Dies im Hinterkopf ist es nicht verwunderlich, dass Battaglia in seinen Beiträgen zur Eröffnung der Debatte nichts zur Definition und Analyse der Dekadenz der Produktionsweisen, wie sie von Marx und Engels entwickelt worden waren, und auch nichts über ihre Bemühungen zu sagen hat, die Umstände und den Zeitpunkt zu skizzieren, in denen dies mit dem Kapitalismus geschieht. Desgleichen ignoriert Battaglia herrisch die Position, die die KI bei ihrer Gründung eingenommen hatte und die den Ersten Weltkrieg als eindeutiges Zeichen für den Beginn der Dekadenzperiode des Kapitalismus analysierte. Auch ist Battaglia, das behauptet, der politische Erbe der Italienischen Fraktion zu sein, sehr schweigsam, was die Tatsache anbetrifft, dass Letztere die Dekadenz zum Rahmen ihrer politischen Plattform gemacht hatte. Statt Stellung für das Erbe zu beziehen, das uns die Begründer des Marxismus hinterlassen und von Generationen von Revolutionären vertieft worden war, zieht es Battaglia vor, mit Bannflüchen (die Idee des Fatalismus) um sich zu werfen und hinsichtlich der Definition der Dekadenz Verwirrung zu verbreiten... und gleichzeitig eine Debatte innerhalb des IBRP sowie eine großangelegte Untersuchung anzukündigen: „Das Ziel unserer Untersuchung wird es sein, zu verifizieren, ob der Kapitalismus sich in seinem Drang, die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, erschöpft hat und, wenn ja, wann, in welchem Ausmaß und vor allem warum.“ Wenn man sich von einem historischen Konzept des Marxismus abwenden will, dann ist es leichter, ein neues Kapitel aufzuschlagen, statt sich zu den programmatischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu bekennen. Genau dies taten die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts. Was uns angeht, so warten wir mit beträchtlicher Ungeduld auf die Ergebnisse dieser „Untersuchung“; und wir werden sie mit Vergnügen mit der marxistischen Theorie sowie mit der Realität der gegenwärtigen historischen Evolution des Kapitalismus vergleichen. Doch es sollte gesagt werden, dass die Argumente, die von Battaglia bereits benutzt worden waren, nichts Gutes verheißen. Aus diesem kurzen historischen Überblick über die verschiedenen Positionen, die Battaglia zur Dekadenz bezogen hat, wird eines bereits ersichtlich: Die Jungen haben die Alten ersetzt, doch geblieben ist die opportunistische Methode.

Eine Rückkehr zum Idealismus der utopischen Sozialisten

Für Battaglia ist, wie für die utopischen Sozialisten, die Revolution nicht das Produkt irgendeiner historischen Notwendigkeit, deren Wurzeln in der Sackgasse des Kapitalismus liegen, wie Marx, Engels und Luxemburg uns lehren: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise…Diese Tendenz – Die das Kapital hat…und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse, S. 438 s.o.); Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring, Kap. II, Gegenstand und Methode);  „Vom Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus äußert sich die historische Notwendigkeit der sozialistischen Umwälzung vor allem in der wachsenden Anarchie des kapitalistischen Systems, die ihn in eine ausweglose Sackgasse drängt.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“) Für den Marxismus ist die „Auflösung“ (Marx und Engels) bzw. „Sackgasse“ (Luxemburg), die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, eine unerlässliche Vorbedingung, um über diese Produktionsweise hinauszugehen, doch beinhaltet dies nicht sein automatisches Verschwinden, da „einzig der Hammerschlag der Revolution, d.h. die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Zollpolitik und Militarismus), den Kapitalismus zum Einsturz bringen kann. Die „Aufhebung“, „Auflösung“ bzw. „Sackgasse“, die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, schafft die Bedingungen für die Revolution, sie ist das solide Fundament, ohne das „der Sozialismus auf(hört), eine historische Notwendigkeit zu sein, und er ist dann alles, was man will, nur nicht ein Ergebnis der materiellen Entwicklung der Gesellschaft.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“). So wie die römische und feudale Dekadenz für die Entstehung der objektiven und subjektiven Bedingungen für neue Produktionsweisen notwendig war, so beweist die Sackgasse des dekadenten Kapitalismus dem Proletariat, dass diese Produktionsweise historisch überholt ist. Es ist anders, als Battaglia denkt: „Der Sozialismus erfolgt also aus dem alltäglichen Kampfe der Arbeiterklasse durchaus nicht von selbst und unter allen Umständen. Er ergibt sich aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerlässlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Praktische Konsequenzen und allgemeiner Charakter der Theorie“, Fußnote 7)

Der Marxismus sagt nicht, dass die Revolution unweigerlich kommt. Er leugnet keinesfalls den Willen als einen Faktor in der Geschichte: Er demonstriert lediglich, dass der Wille allein nicht ausreicht, dass er sich erst in einem materiellen Rahmen realisieren kann, der das Produkt einer Evolution, einer historischen Dynamik ist, welche zu berücksichtigen gilt, damit der Willen zur Geltung kommen kann. Die Bedeutung, die der Marxismus dem Verständnis der „realen Bedingungen“, der „objektiven Bedingungen“ beimisst, ist keine Ablehnung des Bewusstseins und Willens. Im Gegenteil, es ist die einzige feste Grundlage, um beides zu stärken. Wenn der Kapitalismus „sich selbst reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“ (Battaglia), wo finden wir dann die objektiven Grundlagen für den Sozialismus? Wie Rosa Luxemburg uns erinnert: „Nach Marx ist die Rebellion der Arbeiter, ihr Klassenkampf (...) bloß ideologischer Reflex der objektiven geschichtlichen Notwendigkeit des Sozialismus, die sich aus der objektiven wirtschaftlichen Unmöglichkeit des Kapitalismus auf einer gewissen Höhe seiner Entwicklung ergibt. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt – solche Vorbehalte aus dem Abc des Marxismus sind, wie wir sehen werden, für meine ‚Sachverständigen‘ immer noch unentbehrlich -, dass der historische Prozess bis zum letzten Rande dieser ökonomischen Unmöglichkeit ausgeschöpft werden müsse oder auch nur könne. Die objektive Tendenz der kapitalistischen Entwicklung auf jenes Ziel hin genügt, um schon viel eher eine derartig soziale und politische Verschärfung der Gegensätze in der Gesellschaft und Unhaltbarkeit der Zustände hervorzubringen, dass sie dem herrschenden System ein Ende bereiten müssen. Aber diese sozialen und politischen Gegensätze sind selbst in letzter Linie nur ein Produkt der ökonomischen Unhaltbarkeit des kapitalistischen Systems, und sie schöpfen gerade aus dieser Quelle ihre zunehmende Verschärfung just in dem Maße, wie jene Unhaltbarkeit greifbar wird. Nehmen wir hingegen mit den ‚Sachverständigen‘ (wie Battaglia) die ökonomische Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen. Wir verflüchtigen uns alsdann in die Nebel der vormarxschen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klassen ableiten wollte“ (...) (Rosa Luxemburg, Antikritik).

Nicht weil die übergroße Mehrheit der Menschen ausgebeutet wird, ist der Sozialismus heute eine historische Notwendigkeit. Ausbeutung herrschte unter der Sklaverei, im Feudalismus und im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, ohne dass der Sozialismus auch nur den Hauch einer Chance auf Verwirklichung hatte. Damit der Sozialismus zur Realität werden kann, ist es nicht nur notwendig, dass die Mittel zu seiner Verwirklichung (Arbeiterklasse und Produktionsmittel) ausreichend entwickelt sind. Es ist ebenfalls notwendig, dass das System, welches er ersetzen soll – der Kapitalismus -, aufgehört hat, ein für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte unerlässliches System zu sein, und zu einem wachsenden Hindernis für Letztere wird, d.h. dass es in seine Dekadenzphase getreten ist: „Die größte Errungenschaft des proletarischen Klassenkampfes war die Entdeckung der Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Sozialismus in den ökonomischen Verhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch ist der Sozialismus aus einem ‚Ideal‘, das jahrtausendelang der Menschheit vorschwebte, zur geschichtlichen Notwendigkeit geworden.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die ökonomische Entwicklung und der Sozialismus“). Der unvermeidliche Irrtum der Utopisten lag in ihrer Ansicht über den geschichtlichen Prozess. Ihnen zufolge konnte sein Ausgang vom guten Willen bestimmter Gruppen von Individuellen entschieden werden. Babeuf und Blanqui setzten ihre Hoffnung auf kleine Gruppen entschlossener Arbeiter; Saint-Simon, Fourier oder Owen wandten sich gar an das Wohlwollen der Bourgeoisie, um ihre Vorhaben durchzuführen. Das Auftreten des Proletariats als autonome Klasse während der Revolution von 1848 sollte zeigen, dass der Sozialismus nur von einer Klasse erreicht werden konnte. Es bestätigte die These, die Marx bereits im Kommunistischen Manifest aufgestellt hat: Seit der Teilung der Gesellschaft in Klassen war die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen. Ab da konnte die Entwicklung der Gesellschaft nur innerhalb des Rahmens begriffen werden, der diese Kämpfe bestimmte, d.h. im Rahmen der Evolution der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen miteinander verbinden und sie gleichzeitig in Klassen für die Produktion der Existenzmittel teilen – die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Um zu wissen, ob der Sozialismus möglich ist, muss man beurteilen können, ob diese gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zu einer Barriere für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind und somit eine Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus erfordern. Für Battaglia hingegen spielt es keine Rolle, in welchem historischen Zusammenhang sich der Kapitalismus entwickelt: „Der widersprüchliche Aspekt der kapitalistischen Produktion, die Krisen, die daraus herrühren, die Wiederholung des Akkumulationsprozesses, der zeitweise unterbrochen wird, der aber frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält, führt nicht automatisch zu seiner Zerstörung. Entweder interveniert der subjektive Faktor, der im Klassenkampf seinen materiellen Angelpunkt und in der Krise seine ökonomisch bestimmende Voraussetzung hat, oder das Wirtschaftssystem reproduziert sich selbst, indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft, ohne auf diese Weise die Bedingungen für seine Selbstzerstörung zu schaffen.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) So reicht der Klassenkampf, kombiniert mit der Episode einer Wirtschaftskrise, also aus, um die Möglichkeit eines revolutionären Ausgangs zu eröffnen: „Trotz des unbestreitbaren Erfolges des Kapitalismus, den Klassenkampf einzudämmen, bestehen seine Widersprüche weiter. Als Marxisten wissen wir, dass sie nicht ewig eingedämmt werden können. Die Explosion dieser Widersprüche wird nicht notwendigerweise in eine siegreiche Revolution münden. In der imperialistischen Ära ist der globale Krieg der Weg des Kapitals, seine Widersprüche zu ‚kontrollieren‘, ja zeitweilig zu lösen. Doch ehe dies passiert, bleibt die Möglichkeit, dass der politische und ideologische Zugriff der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse gebrochen wird. Mit anderen Worten: es könnten plötzliche Wellen von Massenkämpfen auftreten, und die Revolutionäre müssen darauf vorbereitet sein. Wenn die Klasse wieder einmal die Initiative ergreift und ihre kollektive Stärke gegen die Attacken des Kapitals nutzt, müssen sich die revolutionären politischen Organisationen in einer Position befinden, die es ihnen ermöglicht, die notwendigen politischen und organisatorischen Auseinandersetzung mit den Kräften der linken Bourgeoisie zu führen.“

Battaglia hält es nicht für notwendig, darüber zu befinden, ob die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse historisch obsolet geworden sind, und hält eine Dekadenzperiode für nichtig, weil das System „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und das Wirtschaftssystem nach jeder Krise sich selbst„reproduziert (...), indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“.

Die Vorbedingungen der Revolution

Die Tatsache, dass Marx imstande war zu sagen, dass „die ganze Scheisse“ (Brief Marx an Engels v. 30.04.1868, MEW Bd. 32, S. 75) der politischen Ökonomie schliesslich im Klassenkampf auflöst, auch wenn er einen Gutteil seines Lebens mit der Kritik der politischen Ökonomie verbrachte, zeigt, dass, während der Klassenkampf der Ausschlag gebende Faktor, der Motor der Geschichte ist, Marx einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit den objektiven Fundamenten widmete, den ökonomischen, sozialen und politischen Zusammenhängen, in welchen der Klassenkampf sich entfaltet. Dies zu wiederholen, wie es Battaglia tut, heißt offene Türen einrennen, da niemand, von Marx bis zur IKS, behauptet, dass einer dieser Faktoren allein (Wirtschaftskrise oder Klassenkampf) ausreicht, um den Kapitalismus zu stürzen. Was Battaglia des Weiteren nicht begreift, ist, dass selbst diese beiden Faktoren zusammen nicht ausreichen! Der Punkt hier ist, dass Perioden, in denen die Wirtschaftskrise und der Klassenkampf zusammen auftreten, seit den ersten Tagen des Kapitalismus vorgekommen sind, ohne in irgendeiner Weise die Möglichkeit des Sturzes des Kapitalismus heraufbeschworen zu haben. Was Marx durch den historischen Materialismus bewies, war, dass wenigstens drei Faktoren unerlässlich sind: ein krisenhaftes Intermezzo, Klassenkonflikte, aber auch die Dekadenz einer Produktionsweise (in diesem Fall des Kapitalismus). Dies verstanden die Begründer des Marxismus sehr gut: Nachdem sie über eine Reihe von Anlässen, die der Kapitalismus bot, nachgedacht hatten, waren sie stets in der Lage, ihre Diagnose zu revidieren (wir verweisen dabei den Leser auf die kurze Geschichte der Analysen, die Marx und Engels über die Bedingungen und den Moment des Eintreffens der Dekadenz angestellt haben, welche wir in der Internationale Revue Nr. 118 (engl., franz., span. Ausgabe) veröffentlicht haben). Engels sollte diese Untersuchung in seiner Einführung von 1895 zur Marx‘ „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ schließen, als er schrieb: „    Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion: sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen (…) so beweist dies ein für allemal, wie unmöglich es 1848 war, die soziale Umgestaltung durch einfache Überrumpelung zu erobern.“

Doch dies ist nicht alles, denn was Battaglia überhaupt nicht begriffen hat, ist, dass eine vierte Bedingung für den Ausbruch einer Periode erforderlich ist, die eine siegreiche aufständische Bewegung begünstigt: die Eröffnung eines historischen Kurses zu Klassenkonfrontationen. In den 30er Jahren waren die ersten drei Minimalbedingungen (Wirtschaftskrise, soziale Konflikte und die Dekadenzperiode) präsent, doch sie wurden von einem historischen Kurs überlagert, der zum imperialistischen Krieg führte. Dies zu verstehen war der wichtigste Beitrag der Italienischen Fraktion. In Kohärenz mit der Analyse der Kommunistische Internationale, die die durch den I. Weltkrieg eröffnete Periode als das „Zeitalter der Kriege und Revolutionen“ definierte, entwickelte die Fraktion die Analyse des historischen Kurses zu Klassenkonfrontation oder zum Krieg. Die Gauche Communiste de France (1942-52) – und danach die IKS – griffen diese Analyse auf und entwickelten sie weiter, doch sie waren nicht ihre Urheber, wie Battaglia wahrheitswidrig behauptet: „Die schematische Konzeption der historischen Perioden – historisch zur französischen Kommunistischen Linken gehörend, der die IKS ihre Existenz verdankt – charakterisiert historische Perioden als revolutionär oder konterrevolutionär auf der Grundlage abstrakter Überlegungen über die Bedingungen der Arbeiterklasse.“ (Internationalist Communist Nr. 21, eigene Übersetzung) Diese Fälschung der Geburtsurkunde versetzt Battaglia in die Lage, unsere politischen Ahnen wahrheitswidrig der Unglaubwürdigkeit preiszugeben und gleichzeitig das Erbe der Italienischen Fraktion für sich zu beanspruchen, ohne sich wirklich für deren wichtige theoretische Beiträge auszusprechen.

Die Notwendigkeit eines historischen Rahmens für die Erarbeitung von Klassenpositionen

„Die grundlegende und wichtigste Voraussetzung der sozialen Revolution ist ein bestimmtes Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte… Es ist ein bestimmtes Entwicklungsniveau der Technik notwendig. Fassen wir die ganze kapitalistische Welt ins Auge: Ist dieses Niveau erreicht? Zwefellos.“  (L. Trotzki: „Europa und Amerika“, 1926) Diese Frage ist in der Tat fundamental, entscheidend für das Proletariat, wie Trotzki sagt, weil zu wissen, ob eine Produktionsweise im Auf- oder Abstieg begriffen ist, bedeutet, sich schlüssig darüber zu sein, ob sie noch fortschrittlich ist im Sinne der Weiterentwicklung der Menschheit oder ob sie, historisch gesehen, ihre besten Tage hinter sich hat. Zu wissen, ob der Kapitalismus der Welt noch etwas zu bieten hat oder ob er überholt ist, beinhaltet folgenschwere Konsequenzen hinsichtlich der Strategie und der politischen Positionen des Proletariats, die sich, je nachdem, radikal voneinander unterscheiden. Trotzki war sich dessen wohl bewusst, als er seine Reflexionen über den Charakter der Russischen Revolution fortsetzte: „Am besten beweist das die Rolle des russischen, noch ganz jungen Proletariats.“ (ebenda) Jene, die der Theorie der Dekadenz den Rücken kehren, sollten über diese Worte Trotzkis nachsinnen. Andernfalls werden sie bei der Schlussfolgerung enden, dass die Menschewiki doch Recht hatten, als sie sagten, dass in Russland in Wahrheit eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand und nicht eine proletarische Revolution, dass die Gründung der Kommunistischen Internationale auf einer Illusion basierte, dass die Kampfmethoden, die im 19. Jahrhundert angewendet wurden, auch heute noch gültig sind und so weiter. Als konsequenter Marxist antwortete Trotzki ohne Zögern: „Aber seit dem kapitalistischen Krieg änderte sich das Bild vollständig. Die Produktivkräfte wachsen nicht, sie zerfallen. Es ist ihnen im Rahmen des Privateigentums allmählich zu eng geworden…Der Rahmen des privaten Eigentumsrechtes auf die Produktionsmittel und der Rahmen jener nationalen Staaten…drücken weit mehr auf die Produktivkräfte als früher.“ (ebenda). Diese Diagnose – das Ende der historisch fortschrittlichen Rolle des Kapitalismus und die Bedeutung des Ersten Weltkrieges als Wendepunkt beim Übergang von seiner aufsteigenden zu seiner dekadenten Phase - wurde von allen Revolutionären jener Zeit geteilt, auch von Lenin: „Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum grössten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber eine jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der „Gross“mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (W. I. Lenin: „Sozialismus und Krieg“, Werke Bd. 21, S. 302)

Wenn man, wie Battaglia, damit argumentiert, dass der Kapitalismus sich selbst „reproduziert (...), indem er all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“, wendet man sich nicht nur von der materialistischen, marxistischen Argumentation über die Möglichkeit einer Revolution ab, wie wir gesehen haben, sondern man hindert sich auch selbst daran zu verstehen, warum Millionen von Menschen sich eines Tages dazu durchringen sollen, ihr Leben in einem Bürgerkrieg aufs Spiel zu setzen, um dieses System durch ein anderes zu ersetzen, denn wie Engels sagte: „Solange eine Produktionsweise sich im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung befindet, solange jubeln ihr sogar diejenigen entgegen, die bei der ihr entsprechenden Verteilungsweise den kürzern ziehn. So die englischen Arbeiter beim Aufkommen der großen Industrie. Selbst solange diese Produktionsweise die gesellschaftlich-normale bleibt, herrscht im ganzen Zufriedenheit mit der Verteilung, und erhebt sich Widerspruch – dann aus dem Schoß der herrschenden Klasse selbst (Saint-Simon, Fourier, Owen) und findet bei der ausgebeuteten Masse erst recht keinen Anklang.“ (Anti-Dühring, Zweiter Abschnitt: Politische Ökonomie) Wohingegen wir bei Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz die materiellen und (in bestimmten Momenten) die subjektiven Verhältnisse haben, in denen das Proletariat die Bedingungen und den Anlass vorfindet, um den Aufstand zu wagen. So fährt Engels fort: „Erst wenn die fragliche Produktionsweise ein gut Stück ihres absteigenden Asts hinter sich hat, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins großenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft – erst dann erscheint die immer ungleicher werdende Verteilung als ungerecht, erst dann wird von den überlebten Tatsachen an die sogenannte ewige Gerechtigkeit appelliert. Dieser Appell an die Moral und das Recht hilft uns wissenschaftlich keinen Fingerbreit weiter; die ökonomische Wissenschaft kann in der sittlichen Entrüstung, und wäre sie noch so gerechtfertigt, keinen Beweisgrund sehn, sondern nur ein Symptom. Ihr Aufgabe ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken.“ (ebenda)

Es ist genau dies, was Battaglia in seiner Ignoranz gegenüber dem Dekadenzkonzept zu vergessen im Begriff ist: Seine „ökonomische Wissenschaft“ dient nicht mehr dazu, die „gesellschaftlichen Missstände“, die „Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung“ aufzuzeigen, woran uns die Gründer des Marxismus erinnerten; sie dient statt dessen dazu, linksextremistische, antiglobalistische Prosa über das Überleben des Kapitalismus durch den Einsatz von Finanzkapital, die Neuzusammensetzung des Proletariats, die auf Mikrochips basierende „neue industrielle Revolution“, etc. neu zu verpacken. „Der lange Widerstand des westlichen Kapitals gegen die Krise des Akkumulationszyklus‘ (oder der Konkretisierung des tendenziellen Falls der Profitrate) hat bisher den vertikalen Kollaps vermieden, der den Staatskapitalismus des Sowjetimperiums mitgerissen hatte. Dieser Widerstand ist von vier grundlegenden Faktoren ermöglicht worden: (1) die Ausgereiftheit der Finanzkontrollen auf internationaler Ebene; (2) eine gründliche Umstrukturierung des Produktionsapparates, die einen schwindelerregenden Anstieg in der Produktivität mit sich brachte... (3) die konsequente Zerschlagung der alten Klassenzusammensetzung, mit dem Verschwinden der veralteten Aufgaben und Rollen und dem Erscheinen neuer Aufgaben, neuer Rollen und neuer proletarischer Kräfte (...) Die Umstrukturierung des Produktionsapparates ist zur gleichen Zeit erfolgt wie die, wie wir sie nennen können, dritte industrielle Revolution im Kapitalismus (...) die dritte industrielle Revolution wird vom Mikroprozessor verkörpert.“ (Prometeo Nr. 8, „Thesen des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und ihre Perspektiven (Entwurf)“)

Als Battaglia noch das Dekadenzkonzept vertrat, bekräftigte es sehr deutlich: „Die beiden Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind ein historischer Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet“.[18] [7] Jetzt hingegen, wo es diesem Konzept den Rücken gekehrt hat, denkt Battaglia, dass „die Lösung des Krieges als das Hauptmittel zur Lösung der Probleme des Kapitals bei der Verwertung erscheint“ und dass Kriege die Funktion haben, „das Verhältnis zwischen den verschiedenen Sektoren des internationalen Kapitals zu regeln“. Oder wie in der IBRP-Plattform von 1997 gesagt wird: „Der globale Krieg kann für das Kapital zeitweilig ein Mittel sein, um seine Widersprüche zu lösen.“[19] [7]

Während Battaglia auf seinem IV. Kongress in den „Thesen über die heutigen Gewerkschaften und die kommunistische Aktion“ noch fähig war, sich auf die folgende Passage aus seiner Gewerkschaftskonferenz 1947 zu beziehen: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft ist die Gewerkschaft dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument in der Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans zu übernehmen“, wird uns nun erzählt, dass noch heute die Gewerkschaften in der Lage seien, die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, wenn die Profitrate, wie in den letzten zehn Jahren, ansteigt: „Alles, was die Gewerkschaftskämpfe auf dem reformistischen Terrain, d.h. auf dem Terrain der gewerkschaftlichen und institutionellen Vermittlung, im Bereich der Gesundheit, der sozialen Absicherung und Bildung errangen, errangen sie in der aufsteigenden Phase des Zyklus‘ (in den 50er und teilweise in den 70er Jahren)“ Erst als die Profitrate wieder sank, spielten die Gewerkschaften eine konterrevolutionäre Rolle: „Die Gewerkschaften – stets ein Instrument der Vermittlung zwischen Kapital und Arbeit bezüglich des Preises und der Bedingungen für den Verkauf von Arbeitskraft – haben nicht den Inhalt, sondern den Sinn der Vermittlung modifiziert: Es sind nicht mehr Arbeiterinteressen, die repräsentiert und verteidigt werden gegenüber dem Kapital, sondern die Interessen des Kapitals, die verteidigt und vor der Arbeiterklasse maskiert werden. Dies deshalb, weil – besonders in der Periode der Krise des Akkumulationszyklus‘ – die bloße Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Arbeiter gegen die Angriffe des Kapitals direkt die Stabilität und das Überleben der kapitalistischen Verhältnisse in Frage stellt.“ (Prometeo Nr. 8, Thesenentwurf, eigene Übersetzung) Die Gewerkschaften haben demzufolge eine doppelte Funktion, je nachdem, ob die Profitrate nach oben oder nach unten geht. Ein wahrhafter Triumph des Vulgärmaterialismus, nicht wahr?

Selbst der Charakter der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien wird in diesem Licht betrachtet. Sie werden nun als Parteien dargestellt, die die unmittelbaren Interessen der Arbeiter vertreten, da sie einst „die Rolle der Vermittlung der unmittelbaren Interessen des Proletariats in den westlichen Demokratien gespielt hatten, in Kontinuität mit der klassischen Rolle der Sozialdemokratie“, wohingegen seit dem Fall der Berliner Mauer „das Scheitern des ‚realen Sozialismus‘ sie dazu führte, zwar ihre Rolle als nationale Parteien aufrechtzuerhalten, aber auch die Klasse als Objekt der demokratischen Vermittlung aufzugeben (...) Tatsache bleibt, dass die Arbeiterklasse sich somit den immer gewaltsameren Angriffen des Kapitals vollkommen ausgeliefert sieht“ (ebenda). Träumen wir? Vergießt Battaglia tatsächlich Tränen darüber, dass bürgerliche Institutionen wie die Stalinisten und Sozialdemokraten angeblich ihre frühere Fähigkeit verloren haben, die unmittelbaren Interessen der Arbeiter zu verteidigen?

Ähnlich verhält es sich mit dem System der sozialen Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg: Statt es als eine besonders schädliche Politik des Staatskapitalismus zu sehen, die darauf ausgerichtet war, die Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse in eine ökonomische Abhängigkeit vom Staat umzuwandeln, betrachtet Battaglia es als eine Errungenschaft der Arbeiterklasse, als eine wahrhaftige Reform: „Während der 1950er Jahre nahmen die kapitalistischen Ökonomien wieder Fahrt auf (...) Dies wurde unbestreitbar durch eine Verbesserung in den Lebensbedingungen der Arbeiter (soziale Sicherheit, Tarifverträge, Lohnsteigerungen...) manifestiert. Diese Konzessionen wurden unter dem Druck der Arbeiter von der Bourgeoisie zugestanden...“ (IBRP in Bilan et Perspectives, Nr. 4, S. 5 – 7, eigene Übersetzung). Noch schwerwiegender ist die Tatsache, dass Battaglia die „Tarifverträge“, die Vereinbarungen also, die es den Gewerkschaften gestatten, als Polizei in den Betrieben zu agieren, gar als ein Beispiel betrachtet für „soziale Errungenschaften, die durch mächtige Kämpfe (der Bourgeoisie) abgerungen wurden“.

Wir haben hier nicht den Platz, um in die Details all der politischen Rückschritte zu gehen, die Battaglias endgültiger Abkehr vom Rahmen der Dekadenz zur Erarbeitung von Klassenpositionen folgten. Wir werden auf diese Rückschritte in weiteren Artikeln zurückkommen. Wir möchten an dieser Stelle lediglich ein paar Beispiele anführen, die den Leser in die Lage versetzen sollen zu verstehen, dass es zwischen der Abkehr von der Dekadenztheorie und der Annahme typisch linksextremistischer Positionen nur ein kurzer Weg ist, ein fürchterlich kurzer Weg! Und wenn Battaglia uns Seite um Seite erzählt, dass es notwendig sei, den neuen Wandel zu verstehen, der auf der Welt vor sich gehe, und dass wir, die IKS, unfähig seien, dies zu tun[20] [7], dann erkennt es nicht, dass es sich auf demselben Weg befindet, den auch die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts eingeschlagen hatten: Auch damals geschah es im Namen des „Verständnisses der neuen Realitäten im ausgehenden 19. Jahrhundert“, als Bernstein und Co. ihre Revision des Marxismus rechtfertigten. Indem es sich endgültig von der Dekadenztheorie abwendet, glaubt Battaglia einen großen Schritt zum Verständnis der „neuen Realitäten in der Welt“ gemacht zu haben. Tatsächlich ist Battaglia kurz davor, zum 19. Jahrhundert zurückzukehren. Wenn das „Verständnis der neuen Realitäten der Welt“ bedeutet, das marxistische Objektiv der Dekadenztheorie in das Objektiv des Linksextremismus umzutauschen, dann nein danke! Wir können sehr deutlich sehen, dass die wiederholte Abwesenheit des Begriffs der Dekadenz in seinen verschiedenen Plattformen (mit Ausnahme seiner Integration in seine Grundsatzpositionen zurzeit der Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken) der Ursprung für all die opportunistischen Verirrungen Battaglias seit seiner Gründung ist.

Schlussfolgerung

Trotz ihrer so theoretischen Ansprüche ist die Kritik Battaglias am Dekadenzkonzept letztendlich nicht mehr als eine Wiederauflage jener Kritik, die Bordiga vor 50 Jahren vorgebracht hatte. In diesem Sinn kehrt Battaglia zu seinen ursprünglichen bordigistischen Wurzeln zurück. Die Kritik am angeblichen „Fatalismus“ der Dekadenztheorie wurde bereits von Bordiga auf dem Römischen  Treffen 1951 geübt: „Die jüngste Behauptung, dass der Kapitalismus sich auf seinem absteigenden Ast befindet und nicht mehr hochklettern kann, enthält zwei Irrtümer: einen fatalistischen und einen gradualistischen“. Was Battaglias andere Kritik an der Dekadenztheorie angeht, wonach der Kapitalismus „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und somit „das Wirtschaftssystem sich selbst reproduziert, indem es einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“, so wurde auch dies von Bordiga auf besagten Römischen Treffen bereits vorgebracht: „Die marxistische Vision kann durch so viele im Aufstieg befindliche Branchen, die gerade erst ihren Zenit erreichen, dargestellt werden...“; und in seinem Dialog mit dem Tod: „Der Kapitalismus wächst ohne Unterlass und über alle Grenzen hinweg...“ Doch wie wir gesehen haben, ist dies nicht die Sichtweise des Marxismus, weder von Marx: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse , S. 438.) noch von Engels „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring).[21] [7]

Was der Marxismus behauptet, ist nicht, dass die kommunistische Revolution das unvermeidliche Resultat der tödlichen Widersprüche ist, die den Kapitalismus bis zu den Punkt bringen, wo er sich selbst unmöglich macht (Engels) und in die Selbstzerstörung treibt (Marx), sondern dass, wenn das Proletariat nicht in der Lage ist, seine historische Mission zu erfüllen, die Zukunft nicht in einem Kapitalismus bestehen wird, der „sich selbst reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“ und der „ohne Unterlass und über alle Grenzen hinweg“ wächst, wie Battaglia und Bordiga behaupten. Die Zukunft des Kapitalismus heißt Barbarei. Eine Barbarei, die seit 1914 nicht aufgehört hat zu wachsen, von der Schlächterei von Verdun über den Holocaust, den Gulag und Hiroshima bis hin zum Genozid in Kambodscha und Ruanda. Um zu verstehen, was die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei bedeutet, muss man die Dekadenz des Kapitalismus begreifen.



[1] [7] Insbesondere in den folgenden zwei Artikeln: in Prometeo Nr. 8, Reihe 4 (Dezember 2003), „Für eine Definition des Dekadenzkonzepts“, verfasst von Damen jun. (erhältlich auf Französisch auf der IBRP-Website – www.ibrp.org [8] – und auf Englisch in Revolutionary Perspectives Nr. 32, Reihe 3, Sommer 2004) und in Internationalist Communist Nr. 21, „Kommentare zur jüngsten Krise in der IKS“, verfasst von Stefanini jun.

 

[2] [7]  „Die Arbeit innerhalb der ökonomischen Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter mit Blick auf ihre Weiterentwicklung und Stärkung ist eine der ersten politischen Aufgaben der Partei (...) Die Partei strebt die Rekonstruktion eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes an (...) Die Kommunisten tun in aller Offenheit kund, dass die Funktion der Gewerkschaft nur vervollständigt und nur ausgeweitet werden kann, wenn sie von der politischen Klassenpartei des Proletariats angeführt wird.“ (Punkt 12 der Politischen Plattform der PCInt, 1946, eigene Übersetzung)

[3] [7] „Die Konferenz schlägt nach einer breiten Diskussion des Gewerkschaftsproblems die allgemeine Billigung des Punktes 12 der Politischen Plattform der Partei vor und mandatiert somit das Zentralkomitee, in Übereinstimmung mit dieser Orientierung ein Gewerkschaftsprogramm zu erarbeiten.“ (Protokolle der Ersten nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung)

[4] [7] Confederazione Generale Italiana del Lavoro (Italienischer Gewerkschaftsbund)

[5] [7] die politische Emigration nicht allein die Arbeit der Linksfraktion leistete, welche die Initiative beim Aufbau des PCInt 1943 ergriff, dass diese Gründung aber doch auf den Grundlagen entstand, die die Emigration ab 1927 bis zum Krieg verteidigte.“ (Einführung zur politischen Plattform der PCInt, Publikation der Internationalen Kommunistischen Linken, 1946, S. 12) 

[6] [7] Siehe zum Beispiel die interessante Studie über „Dekadente Akkumulation“ in L’Internationaliste (1946), dem Monatsbulletin der belgischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken, oder ihre erste Broschüre mit dem Titel „Entre deux mondes“, veröffentlicht im Dezember 1946: „die Schlacht findet zwischen zwei Welten statt: der dekadenten kapitalistischen Welt und der aufsteigenden proletarischen Welt (...) Mit der Krise von 1913 ist der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten.“

[7] [7] Woher kommt eine solche politische Heterogenität und Kakophonie? In Wahrheit fand die Gründung der PCInt zunächst auf ihrer ersten Konferenz 1943 in Turin statt und schließlich noch einmal auf ihrer Ersten nationalen Konferenz 1945, mit der Verabschiedung ihrer Politischen Plattform. Sie war eine bunt zusammengewürfelte Gruppierung aus Genossen und Kernen mit diversen politischen Horizonten und Positionen, von den Gruppen in Norditalien, die von der Fraktion im Exil und den alten Militanten beeinflusst waren, welche aus der vorzeitigen Auflösung der Fraktion 1945 herkamen, über die Gruppen um Bordiga aus Süditalien, die dachten, dass es möglich sei, die Kommunistischen Parteien wiederzubeleben, und die in der Frage des Charakters der UdSSR konfus blieben, bis hin zu Elementen der Minderheit, die 1936 wegen ihrer Teilnahme an den republikanischen Milizen während des spanischen Bürgerkriegs aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren, und der Vercesi-Tendenz, welche am Antifaschistischen Komitee Brüssel teilgenommen hatte. Auf solch einer heterogenen organisatorischen und politischen Grundlage konnte nur der niedrigste gemeinsame Nenner gewählt werden. Man kann nicht allzu viel Klarheit von all dem erwarten, besonders in der Frage der Dekadenz.

[8] [7] Erhältlich auf Französisch auf der Website von Battaglia: „Thesen über die heutigen Gewerkschaft und die kommunistische Aktion“. Solche Widersprüche zum Punkt 12 ihrer Plattform von 1945 über die Gewerkschaftsfrage zeigen sich auch in dem Bericht, der von der Exekutivkommission der Partei über „Die Evolution der Gewerkschaften und die Aufgaben der Internationalistischen Kommunistischen Gewerkschaftsfraktion“ präsentiert wurde, veröffentlicht in Battaglia Comunista Nr. 6, 1948, und verfügbar auf Französisch in Bilan et Perspectives Nr. 5, November 2003). 

[9] [7] Für weitere Details aus der Geschichte der Gründung der PCInt und ihrer Spaltung 1952 siehe unser Buch The Italian Communist Left und auch eine Reihe von Artikeln in unserer Internationalen Revue (internationale Ausgabe): „The ambiguities of the PCInt on ‚Partisans‘“ in Nr. 8, „A caricature of the party: the Bordigist party“ in Nr. 14, „Current problems of the revolutionary milieu“ in Nr. 32, „Against the concept of the ‚brillant leader‘“ in Nr. 33, „Response to Battaglia“ und „Against the PCInt’s concept of discipline“ in Nr. 34, „On the 2nd Congress of the PCInt“ in Nr. 36, „The origins of the ICC and the IBRP“ in Nr. 90, „The formation of the PCInt“ in Nr. 91, „Among the shadows of Bordigism and its epigones“ in Nr. 96, „Marxist and opportunist visions of the construction of the party“, Teil 1 in Nr. 103, Teil 2 in Nr. 105.

[10] [7] La doctrine du diable au corps, 1951, wiederveröffentlicht in Le Proletaire, Nr. 464 (die Zeitung der PCI auf Französisch); Le renversement de la praxis dans la theorie marxiste in Programme Communiste Nr. 56 (theoretische Zeitschrift der PCI in Frankreich); Protokolle des Römischen Treffens 1951, veröffentlicht in Invariance Nr. 4.

[11] [7] Es wurden drei Konferenzen abgehalten, die erste zwischen April und Mai 1977, die zweite im November 1978 und die dritte im Mai 1980. Im Verlauf der letzten Konferenz stellte Battaglia ein ergänzendes Beitrittskriterium vor, mit der Absicht, wie sie selbst sagten, unsere Organisation zu eliminieren. Lediglich zwei (Battaglia und die CWO) von fünf teilnehmenden Organisationen (BC, CWO, IKS, NCI, L’Eveil Internationaliste und die GCI als beobachtende Gruppe) akzeptierten dieses Kriterium, das daher nicht formal von der Konferenz akzeptiert wurde. Abgesehen von dieser formellen Frage markierte dieses Vermeiden von inhaltlichen Auseinandersetzungen das Ende dieses Klärungszyklus‘. Die vierte Konferenz, zu der lediglich von Battaglia und der CWO aufgerufen wurde, wurde allein von diesen beiden Gruppen und einer Gruppe iranischer maoistischer Studenten, die SUCM, die bald darauf verschwand, besucht. Der Leser kann Einsicht nehmen in die Protokolle dieser Konferenzen, aber auch in unseren Kommentaren in der Internationalen Revue (internationale Ausgabe) Nr. 10 (erste Konferenz), Nr. 16 und 17 (zweite Konferenz), Nr. 22 (dritte Konferenz) und Nr. 40, 41 (vierte Konferenz).

[12] [7]  „Nun da die Krise des Kapitalismus eine Dimension und Tiefe erreicht hat, die ihren strukturellen Charakter nur bekräftigt, stellt sich die Notwendigkeit für ein richtiges Verständnis der historischen Phase, die wir als dekadente Phase des kapitalistischen Systems erleben...“ („Bemerkungen zur Dekadenz“, Teil 1, Prometeo Nr. 1, Reihe 4, erstes Vierteljahr 1978, S. 1, eigene Übersetzung). „Die Bestätigung der Vorherrschaft des Monopolkapitals markiert den Beginn der Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft. Der Kapitalismus hat, nachdem er die Monopolphase einmal erreicht hat, keine fortschrittliche Rolle mehr; dies bedeutet nicht, dass es keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte gibt, sondern dass die Bedingungen für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte innerhalb der bürgerlichen Produktionsverhältnisse eine kontinuierliche Degradierung der Mehrheit der Menschheit bedeutet und der Barbarei entgegenstrebt.“ („Bemerkungen über die Dekadenz“, Teil 2, Prometeo Nr. 2, Reihe 4, März 1979, S. 24, eigene Übersetzung).

[13] [7] Wir zitieren aus den Texten, die von Battaglia auf der ersten und zweiten Konferenz vorgestellt wurden. „Krise und Dekadenz“: „Wenn dies geschieht, hört der Kapitalismus auf, ein fortschrittliches System zu sein – und tritt in seine dekadente Phase ein, die sich durch Versuche auszeichnet, seine eigenen Widersprüche zu lösen, indem er neue Formen der Produktionsorganisation kreiert (...) die wachsenden Interventionen des Staates in die Wirtschaft müssen als Anzeichen für die Unmöglichkeit betrachtet werden, die Widersprüche zu lösen, die sich in den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen sammeln (...) Dies sind die deutlichsten Anzeichen für die dekadente Phase.“ (erste Konferenz) „Über die Krise und die Dekadenz“: „Exakt in dieser historischen Phase betrat der Kapitalismus seine Dekadenzphase (...) Zwei Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind der historische Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet, was auf der Ebene des Klassenkampfes die Permanenz eines dekadenten Systems bedeutet.“ (zweite Konferenz)

[14] [7]  „Der Erste Weltkrieg, das Produkt der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten, markiert einen endgültigen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus. Er bestätigte, dass der Kapitalismus eine neue historische Ära eingeschlagen hat, die Ära des Imperialismus, wo ein jeder Staat Bestandteil der globalen kapitalistischen Ökonomie ist und nicht den Gesetzen entkommen kann, die jene Ökonomie beherrschen (...) Die Geschichtsepoche, in der die nationale Befreiung fortschrittlich für die kapitalistische Welt gewesen war, endete im ersten imperialistischen Krieg 1914 (...) heute können wir sehen, dass es einen markanten Unterschied zwischen politischen Organisationen des Proletariats aus der Vor-Oktober-Periode und jenen aus der darauffolgenden Periode gibt. Während des Aufstiegs des Kapitalismus und seiner Konsolidierung als vorherrschende Produktionsweise schufen bürgerliche nationalistische oder anti-despotische Bewegungen den Rahmen für die Mobilisierung der Massen europäischer Proletarier, was wiederum die Bildung großer Gewerkschafts- und Parteiorganisationen erleichterte. Innerhalb dieser Organe war die Arbeiterklasse in der Lage, ihre eigene Klassenidentität auszudrücken, indem sie ihre eigenen Forderungen stellte, wenn auch im Rahmen der herrschenden bürgerlichen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse (...) Die Gründung der Dritten Internationale, welche die Eröffnung einer proletarischen Weltrevolution ankündigte, signalisierte den Sieg der ursprünglichen Prinzipien des Marxismus. Die kommunistische Aktivität dreht sich nun allein um den Sturz des kapitalistischen Staates, um die Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu schaffen.“

[15] [7] Aus: „Antwort auf die stupiden Beschuldigungen einer Organisation auf dem Weg in die Auflösung“, erhältlich auf der IBRP-Website.

[16] [7] Erhältlich auf Französisch unter folgender Adresse: https://www.geocities.com/Capitol [9] Hill/3303/francia/crisis_du_cci_htm.

[17] [7] Wir sahen in der Internationalen Revue Nr. 35, dass Battaglia das Kapital nicht sehr gut gelesen hat, da der Begriff der Dekadenz sehr deutlich an etlichen Stellen auftaucht. Doch vielleicht ist dies nur ein Versuch von Battaglia, sich selbst einen Hauch von Autorität bei der Suche nach neuen Elementen für die Klassenpositionen zu verleihen. Im ersten Artikel unserer Reihe verwendeten wir über 20 Zitate aus dem Werk von Marx und Engels, von der Deutschen Ideologie bis zum Kapital via Manifest, Anti-Dühring, etc.

[18] [7] Texte, die Battaglia der Zweiten Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken vorstellte.

[19] [7] Erhältlich auf Französisch:https://www.geocities.com/CapitolHill/3303/francia/syndicat_aujourd.htm [10].

[20] [7]  „... die IKS (...) eine Organisation, deren methodische und politische Basis außerhalb des historischen Materialismus gelegen ist und die sprachlos ist, um die Abfolge von Ereignissen in der ‚äußeren‘ Welt zu erklären“ (Internationalist Communist Nr. 21).

[21] [7] Was uns anbetrifft, so hat uns, nachdem wir mit dieser Reihe von Artikeln zur Verteidigung des historischen Materialismus bei der Analyse der Entwicklung von Produktionsweisen begonnen hatten, das neuerliche Lesen der Werke von Marx und Engels geholfen, mit großem Vergnügen neue und alte Passagen (wieder) zu entdecken, die völlig bestätigen, was wir hier vorbringen. Daher wiederholen wir unsere Aufforderung an alle Kritiker der Dekadenztheorie, uns auf Zitate der Gründungsväter hinzuweisen, die ihnen zufolge bestätigen, was sie über den historischen Materialismus zu sagen haben.

Internationale Revue 37 - Editorial

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Eine neue Periode von Klassenkonfrontationen

Die Mobilisierung der jungen Generation künftiger Proletarier Frankreichs in den Universitäten, Oberschulen und auf den Demonstrationen wie auch die Solidarisierung zwischen den Generationen in diesem Kampf bestätigen die Eröffnung einer neuen Periode von Klassenkonfrontationen. Die faktische Kontrolle des Kampfes durch die allgemeinen Versammlungen (Massentreffen), ihre Kampfbereitschaft, aber auch die Nachdenklichkeit und Reife, die in ihnen zum Ausdruck kam – insbesondere ihre Fähigkeit, den meisten Fallen auszuweichen, die ihnen die herrschende Klasse stellte -, sind Indikatoren dafür, dass eine tiefgehende Bewegung im Klassenkampf im Gange ist. Ihre Dynamik wird Auswirkungen auf die kommenden Arbeiterkämpfe haben.[i] [11] Der Kampf gegen den CPE in Frankreich ist weder ein isoliertes noch ein rein „französisches“ Phänomen: Er ist der Ausdruck einer internationalen Häufung und Reifung des Klassenkampfes. In diesem Prozess sind etliche neue Merkmale zu Tage getreten, die in Zukunft noch an Stärke dazu gewinnen werden.

Wir sind noch immer weit entfernt von einem allgemeinen, massenhaften Kampf, doch wir können bereits Anzeichen für einen Wechsel in der Geisteshaltung innerhalb der Arbeiterklasse erkennen, für ein vertieftes Nachdenken besonders unter den jüngeren Generationen, die nicht das Opfer all der Kampagnen über den Tod des Kommunismus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 16 Jahre zuvor waren. In der „Resolution über die internationale Situation“, verabschiedet vom 16. Kongress und in der Internationalen Revue Nr. 36 veröffentlicht, zeigten wir auf, dass im Jahr 2003 ein „Wendepunkt“ im Klassenkampf stattgefunden hat, dessen Hauptmerkmal sich in der Neigung zu einer größeren Politisierung innerhalb der Arbeiterklasse ausdrückt. Wir warfen einen Blick auf folgende Merkmale des Kampfes:

„Sie bezogen bedeutende Sektoren der Arbeiterklasse in Ländern im Zentrum des weltumspannenden Kapitalismus mit ein (wie in Frankreich 2003);

sie traten mit Sorgen auf, die ausdrücklicher auch politische Fragen in den Vordergrund stellten;

zum ersten Mal seit der revolutionären Welle stand Deutschland wieder als Schwerpunkt der Arbeiterkämpfe da;

die Frage der Klassensolidarität wurde nun breiter und ausdrücklicher aufgeworfen denn je in den Kämpfen der 80er Jahre, insbesondere in den jüngsten Bewegungen in Deutschland;

sie wurden begleitet vom Auftauchen einer neuen Generation von Leuten, die nach politischer Klarheit suchen. Diese neue Generation hat sich einerseits im Auftreten von offen politisierten Leuten gezeigt, andererseits in neuen Schichten von Arbeitern, die zum ersten Mal in den Kampf getreten sind. Wie bestimmte wichtige Demonstrationen bewiesen haben, wird das Fundament gelegt für die Einheit zwischen der neuen Generation und derjenigen von 68 – sowohl der politischen Minderheit, welche die kommunistische Bewegung in den 60er und 70er Jahren aufgebaut hat, als auch den breiteren Schichten der Arbeiter, welche die reiche Erfahrung der Klassenkämpfe zwischen 1968 und 1989 in sich tragen.“

Nicht nur der Kampf gegen den CPE in Frankreich, auch andere Reaktionen gegen die Angriffe der Bourgeoisie haben die Richtigkeit dieser Aspekte vollkommen bestätigt.

Die Simultaneität der Arbeiterkämpfe

In zwei der wichtigsten Nachbarländer Frankreichs waren die Gewerkschaften zeitgleich zum Kampf gegen den CPE gezwungen, angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Unzufriedenheit die Initiative zu übernehmen und ausgedehnte Streiks sowie Demonstrationen in einigen Bereichen zu organisieren.

In Großbritannien traten nach einem entsprechenden Aufruf der Gewerkschaften anderthalb Millionen Gemeindeangestellte in den Streik, um gegen die Reform des Rentensystems zu protestieren, die sie zwingen würde, bis 65 statt bis zum Alter von 60 zu arbeiten, um in den Genuss der vollen Rentenbezüge zu kommen. Dieser Ausstand war einer der massivsten Streiks in den letzten Jahren. Die herrschende Klasse inszenierte eine große Propagandakampagne, die die betroffenen Arbeiter als „privilegiert“ gegenüber den Beschäftigten in der Privatindustrie darstellte. Auch die Gewerkschaften taten alles, was sie konnten, um diese Kategorie von Arbeitern – Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes – zu isolieren, die auch weiterhin von der Möglichkeit „profitieren“ möchten, schon mit 60 Jahren in Rente zu gehen. Der Unmut der Arbeiter in Großbritannien war um so größer, als in den letzten Jahren 80.000 Arbeiter infolge des Bankrotts etlicher Rentenfonds ihre Rentenansprüche verloren hatten und gleichzeitig sämtliche Arbeiter einer langen Reihe von Angriffen durch die Blair-Regierung ausgesetzt waren.

In Deutschland folgte der Anstieg der Wochenarbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich gleich nach dem massiven Arbeitsplatzabbau im Staatssektor. Diese Erhöhung der Wochenarbeitszeit ist nur einer der Angriffe, die in der „Agenda 2010“ ausgeheckt wurden, welche vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Schröder mit Hartz IV eingeleitet wurde; ein Plan, der auch die Halbierung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes für Staatsangestellte beinhaltete und zum ersten Streik im Öffentlichen Dienst seit zehn Jahren führte. Der Streik in Baden-Württemberg dauerte unter Führung der Gewerkschaften zweieinhalb Monate lang. Im ganzen Land begleiteten die öffentlichen Arbeitgeber diesen Ausstand mit einer breit angelegten Medienkampagne gegen ihre eigenen Arbeiter, von der Müllabfuhr bis zu den Krankenhausangestellten (Verfügungen, Drohungen, Streikteilnehmer wegen „Faulheit“ zu ersetzen, da sie sich weigern, 18 Minuten länger am Tag zu arbeiten). Neben der Medienkampagne, die die Angestellten des öffentlichen Dienstes als „privilegiert“ darstellen, da sie Arbeitsplatzsicherheit genössen, halfen auch DGB und Ver.di mit, die Arbeiter untereinander zu spalten, indem sie jeden Angriff als spezifisches Problem darstellten und die Streiks im Öffentlichen Dienst von den Kämpfen in der Privatindustrie isolierten. Unter dem Druck eines wachsenden sozialen Unmuts rief die IG Metall 80.000 Maschinenbauarbeiter in 333 Betrieben für den 28. März zum Streik auf, um Lohnsteigerungen in einem Industriebereich durchzusetzen, in dem die Löhne schon seit geraumer Zeit stagnieren und der erheblich vom Arbeitsplatzabbau und von Fabrikschließungen betroffen ist. Am 28. März (am Tag einer der größten Demonstrationen gegen den CPE in Frankreich) sah sich der sozialdemokratische Arbeitsminister in der Großen Koalition angesichts der Mobilisierung in Frankreich veranlasst, eine Maßnahme – sicher ist sicher – zurückzuziehen, die dem CPE auffallend ähnelte, war es doch die Absicht der deutschen Regierung, die Kündigungszeit für alle Jobs ebenfalls von sechs Monate auf zwei Jahre anzuheben.

Die soziale Unruhe erreichte auch die Vereinigten Staaten. In etlichen Städten wurden große Demonstrationen organisiert, um gegen ein dem Senat vorliegendes Gesetz (nachdem es im Dezember 2005 das Repräsentantenhaus passiert hatte) zu protestieren, das die illegale Einwanderung zu einem kriminellen Vergehen macht und die Repression nicht nur gegen die illegalen Einwanderer selbst verschärft, sondern auch gegen jeden, der ihnen Schutz oder Beistand gewährt. Es ist ebenfalls beabsichtigt, die Intensität der Kontrollen gegen Immigranten zu erhöhen und die Gültigkeit von Aufenthaltsgenehmigungen von sechs auf drei Jahre, bei nur einmaliger Erneuerung, zu reduzieren. Die Krönung all dessen stellt der Vorschlag der Bush-Administration dar, die Grenzbarrieren auszuweiten, die bereits an etlichen Stellen entlang der 3200 Kilometern langen Grenze zu Mexiko (besonders zwischen Tijuana und den südlichen Vororten von San Diego) existieren. In Los Angeles gingen am 27. März, im Anschluss an einer Demonstration von mehr als 100.000 Menschen in Chicago, zwischen 500.000 und einer Million Menschen auf die Straße. Ähnliche Aufläufe fanden in vielen anderen Städten statt, besonders in Houston, Phoenix, Denver und Philadelphia.

Nicht ein Monat vergeht, ohne dass irgendwo auf der Welt Kämpfe stattfinden, die, auch wenn wenig spektakulär, den wesentlichen Merkmalen des internationalen Arbeiterkampfes Ausdruck verleihen und die Saat der Zukunft legen: die Solidarisierung zwischen den Arbeitern über alle Grenzen der Berufsgruppen, Generationen und Nationalitäten hinweg.

Die Entwicklung der Arbeitersolidarität

Diese aktuellen Ausdrücke der Solidarität sind mit einem fast vollständigen Blackout durch die Medien begegnet worden.

Unter anderem fanden wichtige Kämpfe in Großbritannien statt. So traten in Nordirland 800 Postangestellte für fast drei Wochen in einen wilden Streik gegen Bußgelder und den Druck durch das Management, gegen die Erhöhung des Arbeitstempos und steigende Überbelastung. Direkter Anlass für die Mobilisierung der Arbeiter waren Disziplinarmaßnahmen, die gegen zwei Kollegen verhängt wurden, wobei der eine auf einem „katholischen“, der andere auf einem „protestantischen“ Postamt angestellt ist. Die Gewerkschaft der Kommunikationsangestellten zeigte ihr wahres Gesicht und opponierte gegen den Streik. Einer ihrer Sprecher erklärte in Belfast: „Wir weisen die Aktion zurück und fordern sie (die Streikenden, die Red.) auf, zur Arbeit zurückzukehren, wobei wir darauf hinweisen, dass diese Aktion illegal ist.“ Doch die Arbeiter setzten den Kampf, legal oder nicht, fort und zeigten, dass sie nicht der Gewerkschaften bedürfen, um sich zu organisieren.

In einer gemeinsamen Demonstration überquerten sie die „Grenze“, die die katholischen und protestantischen Bezirke voneinander trennt, bewegten sich über die Hauptstraßen des protestantischen Stadtteils, um daraufhin die Hauptstraße des katholischen Stadtteils hinunterzulaufen. Schon in den letzten Jahren haben andere Kämpfe, besonders im Gesundheitswesen, eine reelle Solidarisierung zwischen den Angestellten der verschiedenen Berufe zutage gefördert, doch diesmal kam es zum ersten Mal zu einer Solidarisierung zwischen „katholischen“ und „protestantischen“ Arbeitern in einer Provinz, die seit Jahrzehnten durch einen blutigen Bürgerkrieg zerrissen ist.

Daraufhin machten die Gewerkschaften mit der Hilfe der Linksextremisten eine Kehrtwende und erklärten scheinheilig ihre „Solidarität“, insbesondere durch die Organisierung von Streikposten auf jedem Postamt, so die Arbeiter faktisch voneinander isolierend und den Kampf sabotierend. Ungeachtet dieser Sabotage erweckte die offene Vereinigung von streikenden protestantischen und katholischen Arbeitern auf den Belfaster Straßen Erinnerungen an die großen Arbeitslosendemonstrationen von 1932, als Proletarier beider Seiten zusammenkamen, um gegen Kürzungen beim Stempelgeld zu kämpfen. Doch dies geschah in einer Periode der Niederlage der Arbeiterklasse, die es jenen beispielhaften Aktionen verunmöglichte, die Entwicklung des Klassenkampfes zu fördern. Mittlerweile gibt es jedoch ein größeres Potenzial in den anstehenden Kämpfe, die Politik des Teile-und-herrsche zu besiegen, die die herrschende Klasse praktiziert, um die kapitalistische Ordnung zu beschützen. Die Bedeutung des Kampfes der Postangestellten liegt in der Erfahrung der Klasseneinheit, die außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften in die Praxis umgesetzt wurde. Seine Folgen gehen weit über die lokale Situation seiner Protagonisten, den Postangestellten, hinaus; er bietet ein Beispiel, dem so weit wie möglich gefolgt werden sollte.

Tatsächlich ist dieser Kampf kein isoliertes Ereignis. Im Februar traten in Cottam nahe Lincoln im Zentrum Englands 50 Kraftwerksarbeiter aus Unterstützung ungarischer Immigrantenarbeiter, deren Bezahlung nur die Hälfte dessen betrug, was ihre englischen Kollegen erhalten, in den Streik. Ihre Verträge setzten die Immigrantenarbeiter der Willkür ihrer Arbeitgeber aus, die sie jederzeit kündigen oder ohne weitere Angaben in irgendeine andere Ecke Europas versetzen konnten. Auch hier widersetzten sich die Gewerkschaften dem Streik, sei er doch „illegal“, da weder die ungarischen noch die englischen Arbeiter darüber „demokratisch abgestimmt“ hätten. Die Medien verunglimpften ebenfalls den Streik: Ein lokales Wurstblatt grub einen Akademiker aus, der sagte, dass die Arbeiter des Vereinigten Königreiches zwar „ein gewisses Ehrgefühl“ bewiesen, wenn sie aus Solidarität gegenüber ihren Kollegen streiken. Jedoch seien dagegen „die Ausländer durchwegs in ihren Postämtern geblieben“ (eine überaus gelehrte Behauptung, die dummerweise von den Bildern ungarischer und englischer Arbeiter, die zusammen die Streikposten bildeten, konterkariert wurde). Für die Arbeiterklasse ist die Erkenntnis, dass alle Arbeiter die gleichen Interessen verteidigen, gleich welcher Nationalität sie sind oder wie hoch ihre Bezahlung bzw. Arbeitszeit ist, ein wichtiger Schritt vorwärts in der Entwicklung ihrer Fähigkeit, als vereinte Klasse in den Kampf zu treten.

In Reconvilier im Schweizerischen Jura streikten Ende Januar, nach einem Streik im November 2004, 300 Maschinenarbeiter bei Swissmetal einen Monat lang aus Solidarität mit 27 entlassenen Kollegen. Der Kampf begann ohne die Gewerkschaften, doch diese führten letztendlich die Verhandlungen mit den Bossen und konfrontierten die Arbeiter mit der Wahl, entweder die Lohnkürzungen wegen der Streiktage oder die Entlassungen zu akzeptieren: Die Streikenden wurden faktisch erpresst, entweder Lohnkürzungen oder Entlassungen zu akzeptieren. Wie ein Arbeiter aus Reconvilier sagte: Der Logik des kapitalistischen Systems zu folgen, bedeutet „die Wahl zwischen Pest oder Cholera“. Und eine weitere Welle von 120 Entlassungen ist bereits in Planung. Doch zumindest hat der Streik deutlich die Frage der Fähigkeit der Arbeiter aufgeworfen, sich dieser Erpressung und der Logik des Kapitals zu widersetzen. Ein anderer Arbeiter zog diese Lehre aus der Niederlage des Streiks: „Wir müssen uns vorwerfen lassen, dass wir die Kontrolle über die Verhandlungen den Händen anderer überlassen haben.“

Im Juli 2005 traten die Arbeiter der Honda-Fabrik in Gurgaon, einem Vorort von Neu-Delhi, in einen Streik. Zusammen mit Massen von Arbeitern aus den benachbarten Betrieben in dieser Industriestadt und unterstützt von der ansässigen Bevölkerung, sahen sich die Arbeiter einer brutalen Repression und einer Welle von Verhaftungen durch die Polizei ausgesetzt. Am 1. Februar traten 23.000 Angestellte von 123 Flughäfen in einen Streik. Dieser Streik war eine direkte Antwort auf die Absicht des Managements, die Zahl der Flughafenangestellten um 40 Prozent zu reduzieren, und dies mittels der Entlassung von vorwiegend älteren Arbeitern, die wahrscheinlich nie mehr einen Job finden werden. Der Flugverkehr von Delhi und Mombay wurde vier Tage lang lahmgelegt und auch in Kalkutta beträchtlich gestört. Unter dem Vorwand eines Gesetzes gegen „illegale Akte, die den zivilen Flugverkehr gefährden“, erklärten die Behörden den Streik für illegal und entsendeten Polizei und paramilitärische Kräfte in etliche Städte, insbesondere nach Mombay, um die Streikenden zurück zur Arbeit zu zwingen. Als treue Partner der von der Kongresspartei angeführten Regierungskoalition verhandelten Gewerkschaften und Linksextremisten bereits am 3. Februar mit der Regierung. Schließlich riefen sie die Streikenden zu einem Treffen mit dem Premierminister auf und drängten sie gegen das leere Versprechen, die geplanten Entlassungen in den Flughäfen noch einmal zu überprüfen, zurück zur Arbeit. So säten sie den Spaltpilz unter den Arbeitern, zwischen jenen, die den Kampf fortsetzen wollten, und jenen, die der Ansicht waren, dass sie ihn beenden sollten.

Die Kampfbereitschaft der Arbeiter war auch in der Toyota-Fabrik im indischen Bangalore evident, wo Arbeiter 15 Tage lang, ab dem 4. Januar, gegen die Beschleunigung des Arbeitstempos streikten, die eine Häufung sowohl von Unfällen als auch von Bußgeldern durch das Management zur Folge gehabt hatte. Diese Strafen für „unzureichende Produktivität“ wurden systematisch vom Lohn abgezogen. Auch hier stießen die Arbeiter sofort auf den Widerstand der Gewerkschaften, die den Streik für illegal erklärten. Die Repression war massiv: 1500 der 2300 Streikenden wurden wegen „Störung des gesellschaftlichen Friedens“ inhaftiert. Da der Streik jedoch die Unterstützung anderer Arbeiter in Bangalore erhielt, sahen sich die Gewerkschaften und linksextremistischen Organisationen gezwungen, ein „Koordinationskomitee“ in anderen Betrieben in der Stadt einzurichten, das den Streik der Toyota-Arbeiter gegen die Repression unterstützte – um dieses Beispiel spontaner Arbeitersolidarität unter Kontrolle zu halten und zu sabotieren. Ebenfalls im Februar gingen andere Arbeiter in Bangalore auf die Straße, um ihre Unterstützung von 910 Arbeitern von Hindustan Lever in ihrem Kampf gegen Entlassungen zu demonstrieren.

Eine internationale Entwicklung von Kämpfen, die für die Zukunft hoffen lässt

Diese Beispiele bestätigen voll und ganz die Reifung und Politisierung des Kampfes, der mit dem „Wendepunkt“ von 2003 gegen die Rentenreformen besonders in Frankreich und Österreich seinen Anfang genommen hatte. Seither hat es eine Reihe klarer Ausdrücke der Arbeitersolidarität gegeben, über die wir, im Gegensatz zum von den Medien organisierten Blackout, in unserer Presse berichtet haben. Solche Reaktionen fanden ihren Ausdruck insbesondere im Streik bei Daimler-Chrysler im Juli 2004, als die Arbeiter in Bremen die Arbeit niederlegten und für ihre Kollegen in Sindelfingen-Stuttgart demonstrierten, die dazu erpresst werden sollten, entweder auf ihre „Vergünstigungen“ zu verzichten oder den Abbau von 6.000 Arbeitsplätzen zu riskieren, die das Management im letzteren Fall ausgerechnet nach Bremen zu verlagern gedachte.

Dasselbe galt auch für die Gepäckarbeiter in Heathrow, die im August 2005 - inmitten einer Anti-Terror-Kampagne im Zusammenhang mit den Londoner Bombenanschlägen - aus Unterstützung für 670 Arbeiter zumeist pakistanischer Herkunft, die von Gate Gourmet, einem Verpflegungslieferanten für Fluggesellschaften, entlassen worden waren, spontan in den Ausstand getreten waren.

Es gibt weitere Beispiele. Im September 2005 streikten 18.000 Mechaniker bei Boeing gegen den neuen Tarifvertrag, der vom Management vorgeschlagen wurde und mit dem beabsichtigt wird, sowohl die Renten als auch die Gesundheitszulagen zu kürzen. In diesem Konflikt kämpften die Arbeiter gegen die Differenzierung zwischen jungen und alten Arbeitern und zwischen Arbeitern verschiedener Betriebe. Noch deutlicher demonstrierte der Streik bei der New Yorker U-Bahn kurz vor Weihnachten 2005 gegen einen Angriff auf die Renten von künftig Eingestellten die Fähigkeit der Arbeiter, sich solchen Spaltungsmanövern zu verweigern. Trotz massiven Drucks bröckelte die Streikfront größtenteils nicht, da sich die Arbeiter wohl bewusst waren, dass sie für die Zukunft ihrer Kinder und der kommenden Generationen kämpften (was ein Schlag ins Gesicht der ganzen bürgerlichen Propaganda über die Integration bzw. Nicht-Existenz des amerikanischen Proletariats ist).

Im vergangenen Dezember gingen die Arbeiter von SEAT in Barcelona gegen die Gewerkschaften in den Ausstand, die eine „schändliche Vereinbarung“ unterzeichnet hatten, in der sie die Entlassung von 600 Arbeitern akzeptieren.

Im Sommer 2005 sah sich Argentinien mit der größten Streikwelle seit 15 Jahren konfrontiert, die das Gesundheitswesen, Nahrungsmittelveredelungsbetriebe, die U-Bahn von Buenos Aires betraf, aber auch die Gemeindeangestellten etlicher Provinzen und Schullehrer erfasste. An vielen Orten schlossen sich die Arbeiter anderer Betriebe den Demonstrationen der Streikenden an. Dies trat besonders im Fall der Ölindustrie, bei den Amtsangestellten, den Lehrern und den Gemeindeangestellten zutage, denen sich die Arbeitslosen von Caleta Olivia anschlossen. In Neuquen schlossen sich Angestellte aus dem Gesundheitswesen einer Demonstration streikender Lehrer an. In einem Kinderkrankenhaus forderten die Streikenden gleiche Lohnerhöhungen für alle Berufsgattungen. Die Arbeiter begehrten sowohl gegen die brutale Repression als auch gegen die verleumderischen Medienkampagnen auf.

Die Entwicklung eines Gespürs für Solidarität angesichts der massiven und frontalen Angriffe infolge der kapitalistischen Wirtschaftskrise verstärkt die Tendenz, die Barrieren des Handels, der Fabrik oder des Arbeitsplatzes, des Konzerns, der Industriebranche oder der Nationalität zu durchbrechen, die sämtliche nationale Bourgeoisien aufrechtzuerhalten versuchen. Gleichzeitig wird die Arbeiterklasse dazu gedrängt, die Leitung ihres Kampfes selbst zu übernehmen, sich selbst zu behaupten und Stück für Stück das Vertrauen in die eigene Stärke zurückzugewinnen. Dabei muss sie sich all den Manövern der herrschenden Klasse und der Sabotage der Gewerkschaften sowie deren Bemühungen, die Arbeiter isoliert zu halten, widersetzen. In diesem langen und schwierigen Reifungsprozess ist die Anwesenheit der jungen Arbeitergenerationen, die nicht die Auswirkungen des ideologischen Rückzugs nach 1989 erlebt haben, ein wichtiges, gewissermaßen dynamisches Element. Daher legen die heutigen Kämpfe, wie begrenzt und schwach sie auch sein mögen, den Grundstock für die kommenden Kämpfe.

Der Bankrott des Kapitalismus und die Vertiefung der Krise sind die Verbündeten des Proletariats

Offiziell befindet sich die Weltwirtschaft bei guter Gesundheit. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist auf dem tiefsten Stand seit zehn Jahren und auch in Europa im vergangenen Jahr spürbar gesunken. So ist beispielsweise die spanische Wirtschaft dynamischer denn je. Und dennoch gibt es keine Atempause bei den Angriffen gegen die Arbeiterklasse. Im Gegenteil, in der Region von Detroit haben Ford und General Motors (das vom Konkurs bedroht ist) 60.000 Maschinenarbeiter entlassen. Bei SEAT in der Region von Barcelona und bei Fiat in Italien jagt ein Entlassungsplan den anderen.

Überall steht der Staat der Bosse, der oberste Repräsentant des nationalen Kapitals, an vorderster Front, wenn es darum geht, die Arbeiter zu attackieren: bei der wachsenden Prekarisierung der Arbeit (der CNE und CPE in Frankreich) und Flexibilisierung der Arbeitskräfte, bei den Angriffen auf die Renten und das Gesundheitssystem (Großbritannien, Deutschland). Fast überall befindet sich das Gesundheits- und Bildungssystem in der Krise. Die US-Bourgeoisie erklärt, dass sie wegen der Belastung der Bilanzen ihrer Konzerne durch die Renten nicht wettbewerbsfähig genug sei – Renten, die sich durch die Bankrotts und den Zusammenbruch der Börse in Luft aufgelöst haben.

Diese systematische Demontage des Wohlfahrtsstaates (Attacken gegen die Renten, gegen die sozialen Sicherheitssysteme und gegen die Arbeitslosen durch die Reduzierung des Stempelgeldes, Entlassungswellen in jedem Land und jeder Industriebranche, die Verallgemeinerung der Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeit) stürzt die heutigen Proletarier nicht nur in die Armut, sie bedeutet auch, dass das System immer weniger in der Lage ist, die neuen Arbeitergenerationen in den Produktionsprozess einzugliedern.

Überall werden diese Angriffe als „Reformen“ präsentiert, als eine strukturelle Anpassung an die Globalisierung der Weltwirtschaft. Eines ihrer Hauptmerkmale besteht darin, dass sie Junge wie Alte fast simultan treffen. Die Bourgeoisie befindet sich nicht überall im Zustand einer offenen Krise, aber all diese Angriffe sind Demonstrationen der historischen Sackgasse des Kapitalismus, für seinen äußersten Mangel an Perspektiven für die neuen Generationen. Jene Länder, die, wie in Europa, als Wirtschaftsmodelle offeriert werden (Spanien, Dänemark, Großbritannien), verbergen oftmals hinter der Fassade einer „gesunden Wirtschaft“ brutale Angriffe gegen die Arbeiter und eine beträchtliche Steigerung der Armut. Die ideologische Fassade hält der Realität in keiner Weise stand, wie wir dem Beispiel Großbritanniens entnehmen können, das in der ersten Aprilausgabe von Marianne beschrieben wurde: „Das Blair-Wunder drückt sich auch darin aus, dass eins von drei Kindern unterhalb der Armutsgrenze lebt. Eins von fünf Kindern, dass keine drei Mahlzeiten am Tag erhält (in einer Rede in der Toynbee Hall 1999 versprach Blair, ‚Kinderarmut innerhalb einer Generation auszurotten‘. Wie viele Jahre, denkt der Premierminister, macht eine Generation aus?). Von diesen Kindern schlafen fast 100.000 aus Platzmangel im Badezimmer oder in der Küche: Dies ist nicht überraschend, muss man doch bis 1925 zurückgehen, um eine Labour-Regierung zu finden, die weniger Wohnungen bauen ließ wie New Labour! Zehn Millionen sind weder in der Lage, Erspartes anzulegen, noch fähig, das Wenige, was sie haben, zu sichern. Sechs Millionen sind nicht in der Lage, sich wintergerecht zu kleiden. Zwei Millionen Wohnungen – meistens jene von Rentnern – sind unzureichend beheizt. Es wird geschätzt, dass 25.000 Rentner aufgrund des kalten Winters 2004 gestorben sind.“ Kann es eine bessere Demonstration des Bankrotts des kapitalistischen Systems geben als seine Unfähigkeit, nicht nur den Jungen Arbeit zu geben, sondern sie auch vor Kälte, Hunger und Armut zu bewahren?

Die Riots in den französischen Vorstädten sind ein klarer Ausdruck dieser Sackgasse. Wenn wir die Welt als Momentaufnahme betrachten, dann sieht die Situation gewiss verzweifelt aus. Die Welt ist voller Arbeitslosigkeit, Armut, Kriege, Barbarei, Terrorismus, Umweltvergiftung, Unsicherheit und sorgloser Inkompetenz angesichts Naturkatastrophen. Nach dem Hammerschlag gegen die älteren Arbeiter und baldigen Rentner sind nun die jungen Arbeiter und künftigen Arbeitslosen dran! Der Kapitalismus entblößt sein wahres Antlitz: jenes eines dekadenten Systems, das den neuen Generationen nichts anzubieten hat; ein System, das angesichts einer unlösbaren Wirtschaftskrise verfällt; ein System, das seit dem II. Weltkrieg Unsummen in die Produktion von immer tödlicheren und raffinierteren Waffen gesteckt hat; ein System, das seit dem Golfkrieg von 1991 den Planeten mit Blut überzogen hat, entgegen den Versprechungen einer „Ära des Friedens und Wohlstands“, die angeblich dem Zusammenbruch des Ostblocks folgen sollte. Es ist dasselbe bankrotte kapitalistische System, dieselbe in die Enge getriebene kapitalistische Klasse, die Millionen in Armut und Arbeitslosigkeit wirft sowie Tod und Verderben im Irak, in Nahost und in Afrika verbreitet!

Doch es gibt Hoffnung, wie die junge Generation in Frankreich gezeigt hat. Durch die Ablehnung des CPE und die Aufrufe an die Lohnarbeiter sowie an die Generation ihrer Eltern haben sie ein klares Bewusstsein dafür gezeigt, dass alle Generationen betroffen sind, dass ihr Kampf gegen den CPE nur ein Schritt ist und dass der Angriff, den der CPE darstellte, gegen die gesamte Arbeiterklasse gerichtet war.

Nachdem wochenlang Funkstille bei den von der Bourgeoisie angeheuerten Medien geherrscht hatte, verzerrten sie anschließend systematisch die Ereignisse, um sie als bloße Wiederholung der Riots von Oktober-November 2005 darzustellen, indem sie die Nebenvorstellung der Auseinandersetzungen mit der Polizei bzw. der Großtaten der „Chaoten“ während der Demonstrationen ins Scheinwerferlicht rückten. Hinter der bewussten Vermengung der blinden und hoffnungslosen Gewalt in den Vorstädten letzten Herbst mit den diametral entgegengesetzten Kampfmethoden der Studenten und der Arbeiter, die sich ihnen angeschlossen hatten, verbirgt sich die bewusste Absicht der herrschenden Klasse, die Arbeiterklasse anderer Länder daran zu hindern, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es sowohl notwendig als auch möglich ist, für eine andere Zukunft zu kämpfen.

Diese Absicht auf Seiten der herrschenden Klasse ist völlig verständlich. In Anbetracht ihrer klassenbedingten Vorurteile ist sie sich zwar nicht völlig der Perspektive der proletarischen Bewegung bewusst, dennoch begreift sie schemenhaft die Bedeutung und Dimension des Kampfes, der in Frankreich stattgefunden hat. Sie weiß, dass er nicht auf die Arbeiterklasse Frankreichs beschränkt bleibt. Dieser Kampf ist im wesentlichen nur ein Moment in der internationalen Erneuerung des Klassenkampfes, ein Moment allerdings, dessen Dimensionen - über die partikularen Forderungen, um die sich die Studenten anfangs mobilisiert hatten, hinaus - eine wachsende Ablehnung jener Perspektiven, die das kapitalistische System anzubieten hat, durch die Studenten zum Ausdruck bringen. Die zunehmenden Angriffe gegen die Ausgebeuteten können nur noch massivere und vor allem bewusstere Klassenkonfrontationen sowie ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit der Solidarität aller Arbeiter im Kampf provozieren.

WIM, 15. April 2006


[i] [12] Siehe die „Thesen über die Studentenbewegung im Frühjahr 2006 in Frankreich“ in dieser Ausgabe.

Vor 100 Jahren: Die Revolution von 1905 in Russland (Teil II)

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Die Sowjets leiten eine neue Periode in der Geschichte des Klassenkampfes ein

Die Revolution von 1905 ereignete sich, als der Kapitalismus im Begriff war, in seine Niedergangsperiode einzutreten. Die Arbeiterklasse sah sich nicht mit einem Kampf um Reformen innerhalb des Kapitalismus, sondern mit einem politischen Kampf gegen den Kapitalismus und für seine Überwindung konfrontiert, in dem die Machtfrage anstelle der Frage der wirtschaftlichen Zugeständnisse im Vordergrund stand. Das Proletariat antwortete auf diese Herausforderung mit der Erschaffung von Mitteln seines politischen Kampfes: des Massenstreiks und der Sowjets. Im ersten Teil dieses Artikels in der Internationalen Revue Nr. 35 betrachteten wir, wie sich die Revolution von einem Appell an den Zaren im Januar 1905 zu einer offenen Herausforderung der herrschenden Klasse im Dezember entwickelte. Wir zeigten, dass es sich hierbei um eine proletarische Revolution handelte, die den revolutionären Charakter der Arbeiterklasse bekräftigte, und dass sie sowohl ein Ausdruck als auch ein Katalysator in der Bewusstseinsentwicklung der revolutionären Klasse war. Wir zeigten, dass der Massenstreik von 1905 nichts mit den Konfusionen der anarcho-syndikalistischen Strömung gemeinsam hatte, die sich ungefähr zur selben Zeit entwickelte (s. die Artikel International Review Nr. 119 und 120, engl./franz./span. Ausgabe) und die den Massenstreik als ein Mittel zur sofortigen ökonomischen Umwälzung des Kapitalismus betrachtete. Rosa Luxemburg erkannte, dass der Massenstreik den ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse und ihren politischen Kampf vereinte und auf diese Weise eine qualitative Weiterentwicklung des Klassenkampfes markierte, selbst wenn es in der damaligen Lage nicht möglich war, völlig zu verstehen, dass dies die Folge aus dem historischen Wandel in der kapitalistischen Produktionsweise war: „Der revolutionäre Kampf in Russland, in dem die Massenstreiks als die wichtigste Waffe zur Anwendung kommt, wird von dem arbeitenden Volke und in erster Reihe vom Proletariat gerade um dieselben politischen Rechte und Bedingungen geführt, deren Notwendigkeit und Bedeutung im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse Marx und Engels zuerst nachgewiesen und im Gegensatz zum Anarchismus in der Internationale mit aller Macht verfochten haben. So hat die geschichtliche Dialektik, der Fels, auf dem die ganze Lehre des Marxschen Sozialismus beruht, es mit sich gebracht, dass heute der Anarchismus, mit dem die Idee des Massenstreiks unzertrennlich verknüpft war, zu der Praxis des Massenstreiks selbst in einen Gegensatz geraten ist, während umgekehrt der Massenstreik, der als der Gegensatz zur politischen Betätigung des Proletariats bekämpft wurde, heute als die mächtigste Waffe des politischen Kampfes um politische Rechte erscheint.“

[1]

Die Sowjets drückten einen gleichermassen wichtigen Wandel in der Weise aus, wie sich die Arbeiterklasse organisierte. Und wie der Massenstreik waren sie nicht ein rein russisches Phänomen. Trotzki betonte wie Luxemburg diesen qualitativen Wandel, auch wenn er sich, wie auch Luxemburg, nicht in der Lage befand, ihre Bedeutung vollständig zu begreifen: „Der Rat organisierte die Arbeitermassen, leitete ihre politischen Streiks und Demonstrationen, bewaffnete die Arbeiter, schützte die Bevölkerung vor Progromen. Aber das gleiche hatten schon vor ihm andere revolutionäre Organisationen getan, taten es zur selben Zeit mit ihm und setzten diese Tätigkeit auch nach seiner Auflösung fort, nur mit dem Unterschied, dass diese Tätigkeiten ihnen auch nicht annähernd jenen Einfluss verschaffte, den der Rat besass. Das Geheimnis dieses Einflusses ist darin zu suchen, dass der Rat als naturgemässes Organ des Proletariats in dem Moment seines unmittelbaren, durch den ganzen Gang der Ereignisse bedingten Kampfes um die Macht entstanden war. Wenn einerseits die Arbeiter selbst und andererseits die reaktionäre Presse den Rat die ‚proletarische Regierung‘ nannten, so entsprach dies der Tatsache, dass der Rat in Wirklichkeit eine revolutionäre Regierung darstellte. Der Rat realisierte die Gewalt, soweit ihm durch die revolutionäre Macht der Arbeiter die Möglichkeit dazu gegeben wurde; er kämpfte unmittelbar um die Gewalt, soweit sie sich noch in den Händen der militärisch-polizeilichen Monarchie befand. Bereits vor der Einsetzung des Rates finden wir in den Kreisen des industriellen Proletariats zahlreiche revolutionäre Organisationen, deren Leitung hauptsächlich von der Sozialdemokratie besorgt wurde. Aber das waren Organisationen im Proletariat; ihr unmittelbares Ziel war – der Kampf um den Einfluss auf die Massen. Der Rat aber schwang sich mit einem Schlage zur Organisation des Proletariats auf, sein Ziel war - der Kampf um die revolutionäre Macht.

Indem der Delegiertenrat zum Brennpunkt der revolutionären Kräfte des Landes wurde, löste er sich dennoch nicht in dem Chaos der Revolution auf, er war und blieb der organisierte Ausdruck des Klassenwillens des Proletariats.“[2]

Die wahre Bedeutung sowohl des Massenstreiks als auch der Sowjets kann nur begriffen werden, wenn man beide in den richtigen historischen Zusammenhang stellt, wenn man begreift, dass der Wandel in den objektiven Bedingungen des Kapitalismus die Aufgaben und Mittel sowohl der Bourgeoisie als auch des Proletariats bestimmte.

Ein Wendepunkt in der Geschichte

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begann der Kapitalismus in eine Periode des historischen Wandels zu treten. Während die Dynamik, die den Kapitalismus in die Lage versetzt hatte, sich über den Globus auszubreiten, noch immer vorhanden war - mit solch neuen Ländern wie Japan oder Russland, die ein starkes Wirtschaftswachstum erlebten -, häuften sich in etlichen Teilen der Welt die Anzeichen wachsender imperialistischer Spannungen und eines Ungleichgewichts in der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt.

Das ziemlich regelmässige Muster des ökonomischen Rückgangs und Booms, das von Marx Mitte des Jahrhunderts analysiert worden war, begann sich in der Gestalt von Konjunkturrückgängen aufzulösen, die immer tiefer und länger wurden.

Nach Jahrzehnten des relativen Friedens erlebten das Ende des 19. Jahrhunderts und der Anfang des 20. Jahrhunderts wachsende Spannungen zwischen den rivalisierenden Imperialismen, da es im Kampf um Märkte und Ressourcen zunehmend nur noch darum ging, den anderen Mächten etwas streitig zu machen. Exemplarisch dafür stand der „Kampf um Afrika“, in dem ein ganzer Kontinent binnen 20 Jahren aufgeteilt und der brutalsten Ausbeutung, die es jemals gegeben hatte, unterworfen wurde. Dieser Kampf führte zu sich häufenden diplomatischen Konfrontationen und militärischen Drohgebärden, so wie 1898 der Zwischenfall von Faschoda, als der britische Imperialismus seinen französischen Rivalen dazu zwang, ihm am Oberen Nil zu weichen.

Zur gleichen Zeit stürzte sich die Arbeiterklasse in eine grössere Anzahl von Streiks, die ausgedehnter und intensiver waren als in der Vergangenheit. Zum Beispiel stieg im Deutschen Reich die Zahl der Streiks von 483 im Jahr 1896 auf 1.468 im Jahr 1900, um in den Jahren 1903 und 1904 auf 1.144 bzw. 1.190 zu fallen.[3] In Russland und Belgien breiteten sich 1898 bzw. 1902 Massenstreiks aus, die jenen von 1905 bereits erahnen liessen. Die Entwicklung des revolutionären Syndikalismus und des Anarchosyndikalismus war teilweise eine Konsequenz aus dieser ansteigenden Militanz, doch nahm sie die Form, die sie repräsentierte, aufgrund eines wachsenden Opportunismus in vielen Teilen der Arbeiterbewegung an, wie wir in den Artikelserien, die wir diesem Thema widmeten, aufzeigten.[4]

So war also für beide Hauptklassen diese Periode eine Zeit grossen Wandels, in der neue Herausforderungen qualitativ neue Antworten erforderten. Für die Bourgeoisie markierte sie das Ende der Periode kolonialer Expansionen und den Beginn wachsender imperialistischer Rivalitäten, die 1914 zum Ersten Weltkrieg führten. Für die Arbeiterklasse bedeutete sie das Ende jener Periode, in der noch Reformen innerhalb des von der Bourgeoisie ausgegebenen legalen oder halblegalen Rahmens errungen werden konnten, und den Beginn einer Periode, in der sie ihre Interessen nur durch die Infragestellung des Rahmens des bürgerlichen Staates verteidigen konnte. Dies führte 1917 unweigerlich zum Kampf um die Macht und zur anschliessenden weltweiten revolutionären Welle. 1905 war die „Generalprobe“ für diese Konfrontation, mit vielen Lehren, die damals wie heute für all jene auf der Hand liegen, die ihre Augen benutzen.

 

Die Lage in Russland

 

Russland war keine Ausnahme in der historischen Richtung; der Charakter der Entwicklung der russischen Gesellschaft bewirkte nur, dass das Proletariat schneller und härter mit einigen Konsequenzen der aufkommenden Periode konfrontiert wurde. Doch bevor wir diese besonderen Aspekte kurz betrachten werden, ist es notwendig, zunächst mit der Betonung zu beginnen, dass die zugrunde liegende Ursache der Revolution in Bedingungen zu suchen ist, die die gesamte Arbeiterklasse erfährt, wie Rosa Luxemburg unterstrich: „Desgleichen liegt viel Übertreibung in der Vorstellung, als habe der Proletarier im Zarenreich vor der Revolution durchweg auf dem Lebensniveau eines Paupers gestanden. Gerade die jetzt im ökonomischen wie im politischen Kampfe tätigste und eifrigste Schicht der grossindustriellen, grossstädtischen Arbeiter stand in bezug auf ihr materielles Lebensniveau kaum viel tiefer als die entsprechende Schicht des deutschen Proletariats, und in manchen Berufen kann man in Russland gleiche, ja hier und da selbst höhere Löhne finden als in Deutschland. Auch in bezug auf die Arbeitszeit wird der Unterschied zwischen den grossindustriellen Betrieben hier und dort kaum ein bedeutender sein. Somit sind die Vorstellungen, die mit einem vermeintlich materiellen und kulturellen Helotentum der russischen Arbeiterschaft rechnen, ziemlich aus der Luft gegriffen. Dieser Vorstellung müsste bei einigem Nachdenken schon die Tatsache der Revolution selbst und der hervorragenden Rolle des Proletariats in ihr widersprechen. Mit Paupers werden keine Revolutionen von dieser politischen Reife und Gedankenklarheit gemacht, und der im Vordertreffen des Kampfes stehende Petersburger und Warschauer, Moskauer und Odessaer Industriearbeiter ist kulturell und geistig dem westeuropäischen Typus viel näher, als sich diejenigen denken, die als die einzige und unentbehrliche Kulturschule des Proletariats den bürgerlichen Parlamentarismus und die regelrechte Gewerkschaftspraxis betrachten.“[5] Es trifft zu, dass die Entwicklung des Kapitalismus in Russland auf einer brutalen Ausbeutung der Arbeiter basierte, mit langen Arbeitstagen und schlimmen Arbeitsbedingungen, die an das frühe 19. Jahrhundert in Grossbritannien erinnerten. Doch der Arbeiterkampf entwickelte sich schnell im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert.

Diese Entwicklungen konnten insbesondere in den Putilow-Werken in St. Petersburg betrachtet werden, welche Waffen herstellten und Schiffe bauten. Die Werke beschäftigten Zigtausende von Arbeitern und waren fähig, Waren auf einem Niveau herzustellen, das sie in die Lage versetzte, mit ihren entwickelteren Rivalen zu konkurrieren. Die Arbeiter dort entwickelten eine Tradition der Militanz und standen im Mittelpunkt der revolutionären Kämpfe sowohl von 1905 als auch von 1917. Auch wenn die Putilow-Werke mit ihrem Niveau hervorstachen, waren sie dennoch Bestandteil eines allgemeineren Trends zur Entwicklung grösserer Fabriken, die überall in Russland entstanden. Zwischen 1863 und 1891 stieg die Zahl der Fabriken im europäischen Russland von 11.810 auf 16.770, ein Anstieg um ungefähr 42 Prozent, während die Zahl der Arbeiter von 357.800 auf 738.100 anstieg, eine Zunahme von ungefähr 106 Prozent.[6] In Regionen wie St. Petersburg ging die Zahl der Fabriken de facto zurück, während die Zahl der Arbeiter anstieg, was auf einen noch stärkeren Trend zur Konzentration der Produktion und somit des Proletariats hinweist.[7]

Die Lage der Eisenbahnarbeiter in Russland stützte Luxemburgs Argument hinsichtlich der Stellung der entwickeltsten Teile der russischen Arbeiterklasse. Auf materieller Ebene hatten sie einige bedeutende Errungenschaften erzielt: Zwischen 1885 und 1895 stiegen die Reallöhne bei den Eisenbahnen durchschnittlich um 18 Prozent, obwohl dieser Durchschnitt die grossen Lohnunterschiede zwischen Arbeitern mit verschiedenen Tätigkeiten und in unterschiedlichen Regionen des Landes verdeckte. Auf der kulturellen Ebene gab es eine Tradition des Kampfes, die bis in die 1840er und 1850er Jahre zurückreichte, als zunächst Leibeigene für den Eisenbahnbau rekrutiert wurden. Mit dem letzten Viertel des Jahrhunderts wurden die Eisenbahnarbeiter zu einem zentralen Bestandteil des städtischen Proletariats mit einer bedeutenden Kampferfahrung: Zwischen 1875 und 1884 gab es 29 „Zwischenfälle“ und im folgenden Jahrzehnt 33. Als sich die Löhne und Arbeitsbedingungen nach 1895 zu verschlechtern begannen, stellten sich die Eisenbahnarbeiter dieser Herausforderung: „... zwischen 1895 und 1904 war die Zahl der Eisenbahnstreiks dreimal höher als in den vorherigen zwei Jahrzehnten zusammengenommen (...) Die Streiks der späten 1890er Jahre waren entschiedener und weniger defensiv (...) Nach 1900 antworteten die Arbeiter auf das Einsetzen der Wirtschaftskrise mit wachsend militantem Widerstand, bei dem die Metallarbeiter der Eisenbahnen oft in Übereinstimmung mit Handwerkern aus der privaten Industrie handelten, und politische Agitatoren, zumeist Sozialdemokraten, machten bedeutende Fortschritte.“[8] In der Revolution von 1905 sollten die Eisenbahnarbeiter eine Hauptrolle spielen, indem sie ihr Geschick und ihre Erfahrung in den Dienst der gesamten Arbeiterklasse stellten und darauf drängten, den Kampf auszuweiten und von den Streiks zum Aufstand überzugehen. Dies war kein Kampf von Pauperisierten, die durch den Hunger zum Aufruhr getrieben wurden, oder von Bauern in Arbeitermontur, sondern von einem vitalen und klassenbewussten Teil der internationalen Arbeiterklasse. Erst vor diesem Hintergrund gemeinsamer Bedingungen und Kämpfe kamen die besonderen Aspekte der Situation in Russland, der Krieg mit Japan im Ausland und die politische Repression zuhause, zur Geltung.

 

Die Kriegsfrage

 

Der Russisch-Japanische Krieg von 1904-05 war eine Folge der imperialistischen Rivalität zwischen diesen beiden neuen kapitalistischen Ländern am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Konfrontation entzündete sich während der 1890er Jahre über die Frage des Einflusses in China und Korea. Zu Beginn des Jahrzehnts wurden die Arbeiten an der Transsibirischen Eisenbahn begonnen, die Russland den Zugang zur Mandschurei ermöglichen sollte, während Japan seine Wirtschaftsinteressen in Korea ausbaute. Die Spannungen zwischen beiden Rivalen wuchsen das ganze Jahrzehnt hindurch, als Russland Japan zwang, sich von seinen Positionen auf dem Festland zurückzuziehen. Und sie spitzten sich zu, als Russland begann, seine eigenen Interessen in Korea zu verfolgen. Japan schlug vor, dass die beiden Länder sich darauf einigen sollten, ihre gegenseitigen Einflusszonen zu respektieren. Nachdem Russland es versäumt hatte zu antworten, startete Japan im Januar 1904 einen Überraschungsangriff gegen Port Arthur. Zunächst schien der Ausgang des Krieges angesichts der riesigen Ungleichheit zwischen den Streitkräften der beiden Widersacher eine klare Sache zu sein, und so wurde der Kriegsausbruch in Russland anfangs mit einem Ausbruch an patriotischer Inbrunst, mit Denunziationen der „frechen Mongolen“ und Studentendemonstrationen zur Unterstützung des Kriegseintritts begrüsst. Doch es kam nicht zum schnellen Sieg. Die Transsibirische Eisenbahn war noch nicht fertiggestellt, so dass die Truppen nicht schnell zur Front transportiert werden konnten. Die russische Armee wurde zurückgeschlagen; im Mai war die Garnison abgeschnitten und die russische Flotte, die zu ihrer Hilfe entsandt wurde, zerstört. Und am 20. Dezember, nach 156tägiger Belagerung, fiel Port Arthur. Auf militärischer Ebene war der Krieg einmalig. Millionen von Soldaten wurden ins Feld geschickt; 1,2 Millionen Reservisten wurden in Russland ausgehoben. Die Industrie konzentrierte sich auf den Krieg, was zu Konjunktureinbrüchen und zur Vertiefung der Wirtschaftskrise führte. In der Schlacht von Mukden im März 1904 kämpften 600.000 Soldaten zwei Wochen lang, 16.000 von ihnen fielen. Es war die grösste Schlacht in der Geschichte und eine erste Andeutung dessen, was 1914 kommen sollte. Der Fall von Port Arthur bedeutete den Verlust der russischen Pazifikflotte und eine Demütigung der Autokratie. Lenin verwies auf die weitergehende Bedeutung dieser Ereignisse: „Aber der militärischen Katastrophe, von der die Selbstherrschaft ereilt wurde, kommt noch grössere Bedeutung zu als Symptom für den Zusammenbruch unseres ganzen politischen Systems. Unwiederbringlich sind die Zeiten dahin, als die Kriege von Söldnern oder den Angehörigen einer vom Volk halb losgelösten Kaste geführt wurden. (...) Die Kriege werden jetzt von den Völkern geführt, und darum tritt heute besonders deutlich eine grosse Eigenschaft des Krieges hervor: dass er vor den Augen von Million und aber Millionen Menschen handgreiflich jenes Missverhältnis zwischen Volk und Regierung aufdeckt, das bis dahin nur einer kleinen bewussten Minderheit sichtbar war. Die Kritik, die von allen fortgeschrittenen russischen Menschen, von der russischen Sozialdemokratie, vom russischen Proletariat an der Selbstherrschaft geübt wurde, ist jetzt durch die Kritik der japanischen Waffen bestätigt worden, so sehr bestätigt worden, dass die Unmöglichkeit, unter der Selbstherrschaft zu leben, sogar von denen immer mehr empfunden wird, die nicht wissen, was die Selbstherrschaft bedeutet, sogar von denen, die das wissen, aber von ganzer Seele die Selbstherrschaft aufrechterhalten möchten. Die Unvereinbarkeit der Selbstherrschaft mit den Interessen der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung, mit den Interessen des ganzen Volkes (abgesehen von einem Häuflein Beamten und Magnaten) kam an den Tag, sobald das Volk in der Tat, mit seinem Blut, die Rechnung für die Selbstherrschaft begleichen musste. Durch ihr dummes und verbrecherisches Kolonialabenteuer ist die Selbstherrschaft in eine Sackgasse geraten, aus der nur das Volk selbst den Ausweg bahnen kann, und zwar nur durch die Vernichtung des Zarismus.“[9]

In Polen waren die ökonomischen Folgen des Krieges angesichts von 25 bis 30 % der Warschauer Arbeiter, die ihre Arbeit verloren hatten, und von 30 bis 50%igen Lohneinbussen katastrophal. Im Mai 1904 gab es Zusammenstösse zwischen Arbeitern und Polizei, wobei Kosaken Letztere verstärkten. Der Krieg fing an, zunehmend eine starke Opposition zu hervorzurufen. Während des Blutigen Sonntags, als die Truppen die Arbeiter, die gekommen waren, um an den Zaren zu appellieren, niederzumetzeln begannen, „haben die Arbeiter von Petersburg nicht umsonst den Offizieren zugerufen, sie kämpften gegen das russische Volk erfolgreicher als gegen die Japaner“[10] Später rebellierten einige Teile des Militärs gegen ihre Lage und begannen, auf die Seite der Arbeiter zu treten: „Die Moral der Soldaten war durch die Niederlagen im Osten und durch die offenkundige Unfähigkeit ihrer Führer auf einen Tiefstand gesunken. Gesteigert wurde die Unzufriedenheit durch das Sträuben der Regierung, ihr Versprechen einer schnellen Demobilisierung zu erfüllen. Das Resultat waren Meutereien in vielen Regimentern und gelegentlich offene Feldschlachten. Berichte über Unruhen solcher Art kamen aus weit weg liegenden Gegenden wie Grodno, Samara, Rostow und Kursk, aus Rembertow nahe Warschau, aus Riga in Lettland und Vyborg in Finnland, aus Wladiwostok und Irkutsk.

Im Herbst hatte auch die revolutionäre Bewegung in der Marine an Stärke gewonnen, mit der Folge, dass im Oktober eine Meuterei in der Marinebasis von Kronstadt im Baltikum losbrach, die nur unter Einsatz von Gewalt niedergeschlagen werden konnte. Ihr folgte umgehend eine weitere Meuterei in der Schwarzmeerflotte in Sebastopol, die an einem bestimmten Punkt drohte, die Kontrolle über die ganze Stadt zu übernehmen.“[11]

In ihrem Appell an die Arbeiterklasse im Mai 1905 zogen die Bolschewiki die Frage des Kriegs und der Revolution zu einer einzigen zusammen: „Genossen! Wir stehen jetzt in Russland am Vorabend grosser Ereignisse. Wir haben den letzten erbitterten Kampf gegen die absolutistische Zarenregierung aufgenommen, und wir müssen diesen Kampf bis zum siegreichen Ende führen. Seht, welches Unglück diese Regierung der Wüteriche und Tyrannen, die Regierung der käuflichen Zarenhöflinge und der Steigbügelhalter des Kapitals über das ganze russische Volk gebracht hat! Die Zarenregierung hat das russische Volk in den wahnwitzigen Krieg gegen Japan getrieben. Hunderttausende junge Menschenleben sind dem Volk entrissen und im Fernen Osten zugrunde gerichtet worden. Es fehlen einem die Worte, um all die Leiden zu beschreiben, die dieser Krieg mit sich bringt. Und worum geht es in diesem Krieg? Um die Mandschurei, die unsere räuberische Zarenregierung China weggenommen hat. Um fremdes Land wird russisches Blut vergossen und unser Land ruiniert. Immer schwerer wird das Leben des Arbeiters und des Bauern, immer fester ziehen ihnen Kapitalisten und Beamte die Schlinge um den Hals, die Zarenregierung aber schickt das Volk aus, fremdes Land zu rauben. Die unfähigen zaristischen Generale und die käuflichen Beamten haben die russische Flotte der Vernichtung preisgegeben, haben Hunderte und Tausende von Millionen Volksvermögen verschleudert, haben ganze Armeen verloren - der Krieg aber wird weiter fortgesetzt und fordert immer neue Opfer. Das Volk wird ruiniert, Industrie und Handel kommen zum Erliegen, Hunger und Cholera drohen auszubrechen, die absolutistische Zarenregierung aber geht in sturer Verblendung den alten Weg: Sie ist bereit, Russland zugrunde gehen zu lassen, wenn nur das Häuflein der Wüteriche und Tyrannen gerettet wird, sie beginnt neben dem Krieg gegen Japan einen zweiten Krieg - den Krieg gegen das ganze russische Volk.“[12]

 

Staatliche Unterdrückung

 

Der Krieg diente auch dazu, von der Kampagne abzulenken, die gegen die repressive Polizei der Autokratie angewachsen war. Im Dezember 1903 soll Innenminister Plehwe, so wird berichtet, gesagt haben: „Um eine Revolution zu verhindern, brauchen wir einen kleinen erfolgreichen Krieg.“[13] Die Macht der Autokratie wurde nach dem Attentat auf Zar Alexander II. gestärkt, das 1881 Mitglieder der Gruppe Volkswille verübten, die sich dem Gebrauch des Terrorismus gegen die Autokratie verschrieben hatte.[14] Neue „Notstandsmassnahmen“ wurden eingeführt, um jegliche politische Handlung ausser Gesetz zu stellen, und weit davon entfernt, eine Ausnahme zu sein, wurden sie zur Regel: „Man kann durchaus sagen (...), dass zu keiner Zeit zwischen der Bekanntmachung der Statuten vom 14. August 1881 und dem Sturz der Dynastie im März 1917 die ‚Notstandsmassnahmen‘ nicht in irgendeinem Teil des Landes – und oftmals in grösseren Teilen von ihm – in Kraft waren.“[15] Unter dem „strengeren Recht“ dieser Massnahmen konnten die Gouverneure der davon betroffenen Gebiete Leute drei Monate lang ohne jeden Prozess einsperren, jegliche Versammlungen, ob privat oder öffentlich, verbieten, Fabriken und Geschäfte schliessen sowie Menschen in weit von der Heimat entfernte Gebiete deportieren. Das „Ausserordentliche Dekret“ stellte das betroffene Gebiet faktisch unter Militärrecht, mit willkürlichem Arrest, Inhaftierung und Geldstrafen. Der Einsatz von Soldaten gegen Streiks und Arbeiterproteste wurde allgemein üblich, und viele Arbeiter wurden im Kampf niedergeschossen. Die Zahl der Insassen von Gefängnissen und Strafkolonien wuchs, so wie die Zahl der in entfernte Gebiete des Landes Verbannten.

In dieser Periode stieg der Anteil von Arbeitern beständig an, die wegen Staatsverbrechen angeklagt wurden. Zwischen 1884 und 1890 bestand gerade einmal ein Viertel der Angeklagten aus Handarbeitern; 1901 bis 1903 stieg ihr Anteil auf drei Fünftel. Dies spiegelte den Wandel in der revolutionären Bewegung von einer von Intellektuellen dominierten zu einer aus Arbeitern zusammengesetzten Bewegung wider. Wie ein Gefängniswärter Berichten zufolge kommentiert haben soll: „Wie kommt es, dass immer mehr politische Bauern hierher gebracht werden? Früher waren es Herren, Studenten und junge Damen, doch nun ist es der graue bäuerliche Arbeiter wie wir.“ [16]

Abgesehen von diesen formellen, „legalen“ Formen der Unterdrückung benutzte der russische Staat zwei wenig schmeichelhafte Formen. Auf der einen Seite ermutigte der Staat die Entwicklung von Antisemitismus, indem er sich gegenüber den Pogromen und Massakern blind stellte und gleichzeitig sicherstellte, dass die Organisationen, die die schmutzige Arbeit taten, wie die Union des Russischen Volkes, besser bekannt als die Schwarzhundertschaften, offen vom Zaren unterstützt wurden und seinen Schutz genossen. Revolutionäre wurden als Teil eines organisierten jüdischen Komplotts zur Machtübernahme denunziert. Diese Strategie sollte auch gegen die Revolution von 1905 verwendet werden und auch danach die Arbeiter und Bauern verfolgen.

Auf der anderen Seite trachtete der Staat danach, die Arbeiter friedlich zu stimmen, indem er eine Reihe von „Polizeigewerkschaften“ schuf, die von Leutnant Subatow angeführt wurden. Diese Gewerkschaften waren dazu bestimmt, die revolutionären Leidenschaften der Arbeiterklasse in die Grenzen der unmittelbaren ökonomischen Forderungen zu zwängen, doch die Arbeiter in Russland stiessen zunächst gegen diese Grenzen, um sie dann 1905 zu überrennen. Lenin argumentierte, dass die politische Situation in Russland, wo „die Arbeiter, die einen ökonomischen Kampf führen, nachdrücklich auf die politischen Fragen ‚gestossen‘“[17] werden, bedeutete, dass die Arbeiterklasse von diesen Gewerkschaften Gebrauch machen konnten, solange diese Fallen, die von der herrschenden Klasse für sie aufgestellt wurden, von den Revolutionären aufgedeckt wurden. „In diesem Sinne können und müssen wir zu den Subatow und den Oserow sagen: Macht nur weiter, ihr Herren, macht nur weiter! Soweit ihr den Arbeitern (...) eine Falle stellt, werden wir für eure Entlarvung sorgen. Soweit ihr einen Schritt vorwärts tut – wenn auch nur in der Form eines ‚schüchternen Zickzacks‘, aber immerhin einen Schritt vorwärts -, werden wir sagen: Bitte sehr! Ein wirklicher Schritt vorwärts kann nur eine tatsächliche, wenn auch nur winzige Ellenbogenfreiheit für die Arbeiter sein. Und jede solche Erweiterung wird für uns von Nutzen sein und die Entstehung legaler Vereine beschleunigen, in denen nicht die Lockspitzel Sozialisten fangen, wohl aber die Sozialisten sich Anhänger fangen werden.“[18] In der Tat waren es nicht die Gewerkschaften, die zunächst 1905, schliesslich 1917 gestärkt wurden, sondern eine neue Organisation, die der revolutionären Aufgabe entsprach, ehe das Proletariat dafür geschaffen wurde: die Sowjets.

 

Bewaffnete Konfrontation mit dem Staat

 

Während die oben genannten Faktoren helfen zu erklären, warum die Ereignisse von 1905 in Russland stattfanden, geht die wahre Bedeutung dieser Ereignisse weit über Russland hinaus. Worin liegt die Bedeutung von 1905? Was macht 1905 aus?

Eine Auffälligkeit von 1905 war die Entwicklung bewaffneter Kämpfe im Dezember. Trotzki liefert eine eindrucksvolle Darstellung des Kampfes, der in Moskau stattfand, als in den Arbeiterbezirken Barrikaden zur Verteidigung gegen die zaristischen Truppen errichtet wurden, während die sozialdemokratische Kampforganisation einen Guerillakrieg in den Strassen und Häusern ausfocht: „Im folgenden das Bild eines der ersten Gefechte. Durch die Strasse zieht eine georgische Kampfgruppe – eine der verwegensten. Die 24 Mann schreiten ganz offen in Paaren einher. Die Menge warnt sie, dass 16 Dragoner unter Anführung eines Offiziers im Anzuge sind. Die Schützen ordnen sich und schlagen ihre Mausergewehre an. Kaum wird die Patrouille sichtbar, als sie auch schon von der einer Salve in Empfang genommen wird. Der Offizier ist verwundet, die vordersten Pferde bäumen sich, die Reiter geraten in Verwirrung, so dass die Soldaten von ihren Karabinern keinen Gebrauch machen können. Inzwischen geben die revolutionären Schützen etwa hundert Schüsse ab und schlagen die Soldaten, die mehrere Tote und Verwundete zurücklassen, regelrecht in die Flucht. ‚Jetzt aber fort‘, mahnt die Menge, ‚gleich kommt ein Geschütz.‘ Und in der Tat erscheint bald darauf Artillerie auf der Bildfläche. Sofort nach der ersten Salve fallen zahlreiche Tote und Verwundete aus der wehrlosen Menge, die nicht erwartet hat, dass man auf sie schiessen werde. Zu derselben Zeit sind aber die Georgier längst über alle Berge und machen an einer neuen Stelle dem Militär hart zu schaffen... Den Schützen ist nicht beizukommen, weil sie der dichte Panzer der allgemeinen Sympathie unverwundbar macht.“[19] Dennoch ist es nicht der bewaffnete Kampf, gleichgültig, wie mutig, der 1905 auszeichnete. Der bewaffnete Kampf ist in der Tat ein Ausdruck des Kampfes um die Macht zwischen den Klassen, doch er kennzeichnet die letzte Phase, entsteht, wenn das Proletariat sich mit dem Erfolg des Gegenangriffs der herrschenden Klasse konfrontiert sah. Zunächst versuchten die Arbeiter, die Truppen für sich zu gewinnen, doch die bewaffneten Zusammenstösse häuften sich allmählich und wurden blutiger. Der bewaffnete Kampf war eher ein Versuch, die Arbeiterbezirke zu verteidigen, denn die Revolution auszubreiten. Zwölf Jahre später, als die Arbeiterklasse erneut mit dem Militär zusammenstiess, war es ihr erfolgreiches Bemühen, bedeutende Teile der Armee und Marine für sich zu gewinnen, der das Überleben und den Fortschritt der Revolution sicherte.

Darüber hinaus haben bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie eine lange Geschichte. Die frühen Jahre der Arbeiterbewegung in Grossbritannien waren von gewalttätigen Zusammenstössen gekennzeichnet. Beispielsweise gab es 1800 und 1801 eine Welle von Hungerrevolten, von denen einige im Voraus geplant zu sein schienen, mit gedruckten Handblättern, die die Arbeiter dazu aufriefen, sich zu versammeln. Ein Jahr später gab es Berichte über Arbeiter, die nicht nur mit Spiessen, sondern auch mit Geheimorganisationen ausgerüstet waren, welche die Revolution ausheckten. Im folgenden Jahrzehnt breiteten sich, als Antwort auf die Verarmung von Tausenden von Webern, die Ludditen und deren „Army of Redressers“ („Armee der Wiederhersteller“) aus, um den eigentlichen Namen dieser Organisation zu verwenden. Einige Jahre später hegte die „Physical Force Army“ der Chartisten Aufstandspläne. Die Pariser Kommune von 1871 zeigte, wie die gewaltsame Konfrontation zwischen den Klassen offen ausbrach. In Amerika provozierte die brutale Ausbeutung, die mit der rapiden Industrialisierung des Landes einher ging, gewaltsamen Widerstand, wie im Falle der Molly Maguires, die darauf spezialisiert waren, Fabrikbosse zu töten, und Streiks in bewaffnete Konflikte verwandelten.[20] Das Einzigartige an 1905 war nicht die bewaffnete Konfrontation, sondern die Organisation des Proletariats auf einer Klassengrundlage, um seine allgemeinen Ziele zu erlangen. Dies mündete in einem Typ von Organisation, dem Sowjet, mit neuen Zielen, der die Gewerkschaften notwendigerweise überflüssig machte.

 

Die Rolle der Sowjets

 

In einer der ersten und wichtigsten Untersuchungen der Sowjets vertritt Oskar Anweiler „die der Wirklichkeit näher stehende Ansicht (…), dass die Sowjets von 1905 und auch die von 1917 sich lange Zeit völlig unabhängig von der bolschewistischen Partei und Ideologie entwickelt haben und ihr Ziel keineswegs von vornherein die Eroberung der Staatsgewalt gewesen ist“.[21] Dies ist eine akkurate Einschätzung der ersten Phase der Sowjets, aber bezogen auf die späteren Stufen wäre es falsch zu suggerieren, dass die Arbeiterklasse damit zufrieden gewesen wäre, weiterhin Pater Gapon hinterher zu marschieren und an ihr „Väterchen Zar“ zu appellieren. Zwischen Januar und Dezember 1905 hat sich etwas verändert. Zu verstehen, was sich geändert und wie es sich verändert hat, ist der Schlüssel zum Verständnis von 1905.

Im ersten Artikel betonten wir den spontanen Charakter der Revolution. Die Streiks von Januar, Oktober und Dezember schienen aus dem Nichts zu kommen und wurden durch scheinbar bedeutungslose Ereignisse ausgelöst, wie die Entlassung zweier Arbeiter aus einer Fabrik. Die Handlungen überwältigten selbst die meisten Scheinradikalen der Gewerkschaften: „Am 12. Oktober begann es in den Werkstätten der Moskau-Kursker- und der Moskau-Kasan-Bahn zu gären. Diese beiden Bahnen sind bereit, schon am 14. Oktober die Kampagne zu eröffnen. Sie werden jedoch vom Eisenbahnverband zurückgehalten, der sich von partiellen Streiks im gegenwärtigen Augenblick keinen Erfolg verspricht. Gestützt auf die Erfahrung der Februar-, April- und Juli-Streiks auf einzelnen Bahnstrecken, bereitete er einen allgemeinen Eisenbahnerstreik zur Zeit der Einberufung der Reichsduma vor. Doch die Gärung hält an. Schon am 3. Oktober waren die Delegierten der Eisenbahner zu einer offiziellen Beratung über die Frage der Pensionskassen in Petersburg zusammengetreten. Diese Versammlung erweiterte nun eigenmächtig den engen Rahmen ihrer Kompetenz und verwandelte sich unter dem Beifall der ganzen Eisenbahnerwelt zu einem unabhängigen gewerkschaftlich-politischen Kongress. Von allen Seiten liefen Begrüssungen und Zustimmungskundgebungen bei dem Kongress ein - die Gärung im Volke erhielt ständig neue Nahrung, sie wuchs mehr und mehr, und der Gedanke, unverzüglich einen allgemeinen Eisenbahnerstreik zu inszenieren, tritt im Moskauer Knotenpunkt immer stärker hervor.“[22]

Die Sowjets entwickelten sich auf einem Fundament, das über den Rahmen der Gewerkschaften hinausging. Die erste Körperschaft, die als Sowjet klassifiziert werden kann, tauchte in Iwanow-Wosnesensk in Zentralrussland auf. Am 12. Mai brach in einer Fabrik jener Stadt, die als das russische Manchester berüchtigt war, ein Streik aus; binnen weniger Tage waren alle Fabriken geschlossen und 32.000 Arbeiter im Ausstand. Auf Anregung eines Fabrikinspektors wurden Delegierte gewählt, um die Arbeiter in Gesprächen zu repräsentieren. Die Delegiertenversammlung, aus 110 Arbeitern zusammengesetzt, traf sich regelmässig in den darauffolgenden Wochen. Ihre Absicht war es, den Streik zu führen, separate Aktionen und Verhandlungen zu vermeiden, die Ordnung und das organisierte Verhalten der Arbeiter sicherzustellen sowie die Arbeit nur auf ihre Anweisung wieder aufnehmen zu lassen. Der Sowjet unterbreitete eine Reihe von sowohl ökonomischen als auch politischen Forderungen, einschliesslich denjenigen nach Achtstundentag, höheren Minimallöhnen, Krankheitsgeld, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie bildete sodann eine Arbeitermiliz, um die Arbeiterklasse vor Angriffen der Schwarzhundertschaften zu schützen, Zusammenstösse zwischen Streikenden und jenen zu vermeiden, die noch arbeiteten, und um mit den Arbeitern in entfernteren Gebieten in Kontakt zu bleiben. Die Behörden willigten angesichts der organisierten Stärke der Arbeiterklasse zunächst ein, doch Ende des Monats begannen sie mit dem Verbot der Miliz zu reagieren. Anfang Juni wurde eine Massenversammlung durch Kosaken angegriffen, die einige Arbeiter töteten und andere festnahmen. Die Lage spitzte sich gegen Ende des Monats in Gestalt von Unruhen und weiteren Zusammenstössen mit den Kosaken weiter zu. Im Juli gab es einen neuen Streik, der 10.000 Arbeiter umfasste, aber nach drei Monaten niedergeschlagen wurde. Der einzig sichtbare Erfolg war eine Reduzierung der Arbeitszeit.

Schon in diesen ersten Gehversuchen wird der fundamentale Charakter der Sowjets deutlich: eine Vereinheitlichung der ökonomischen und politischen Interessen der Arbeiterklasse, die, da die Sowjets die Arbeiter auf einer Klassenbasis und nicht auf einer gewerkschaftlichen Grundlage vereinen, unvermeidlich dazu neigt, mit fortschreitender Zeit immer politischer zu werden, was zu einer Konfrontation zwischen der etablierten Macht der Bourgeoisie und der aufkommenden Macht des Proletariats führt. Dass die Frage der Arbeitermiliz im Mittelpunkt des Sowjets von Iwanow-Wosnesensk stand, hatte weniger mit der unmittelbaren militärischen Bedrohung, die sie darstellte, zu tun als vielmehr damit, dass sie die Frage der Klassenmacht stellte.

Diese Tendenz zur Bildung von rivalisierenden Mächten zieht sich durch den ganzen Bericht Trotzkis über 1905 und stellte sich ab 1917 nachdrücklich angesichts der herrschenden Situation der Doppelherrschaft: „Wenn der Staat die Organisation der Klassenherrschaft ist, die Revolution aber die Ablösung der herrschenden Klasse, so muss der Übergang der Macht von der einen Klasse zur anderen notwendigerweise widerspruchsvolle Staatszustände schaffen, vor allem in Form der Doppelherrschaft. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist keine mathematische Grösse, die sich von vornherein berechnen lässt. Wenn das alte Regime aus dem Gleichgewicht geschleudert ist, kann das neue Kräfteverhältnis sich nur als Resultat ihrer gegenseitigen Nachprüfung im Kampf ergeben. Das eben ist die Revolution.“[23] Zwar trat die Situation der Doppelherrschaft 1905 noch nicht ein, doch die Frage stellte sich von Anfang an: „Der Rat stand von dem Moment seines Entstehens bis zum Augenblicke seines Untergangs unter dem mächtigen Drucke der revolutionären Elementargewalt (...) Jeder Schritt der Arbeitervertretung war im voraus bestimmt und die „Taktik“ war klar. Kampfmethoden brauchten nicht beraten zu werden, man hatte kaum genügend Zeit, sie unter eine Formel zu bringen.“[24] Dies ist die wesentliche Qualität der Sowjets und unterscheidet sie von den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sind eine Waffe im Kampf des Proletariats innerhalb des Kapitalismus; die Sowjets sind eine Waffe in seinem Kampf gegen den Kapitalismus. Im Grunde stehen beide insofern nicht in einem Gegensatz zueinander, als beide aus den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes ihrer Zeit entstanden sind und sich in einer Kontinuität befinden, solange sie für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen. Doch sie gerieten in einen Gegensatz, als die gewerkschaftliche Form weiter existierte, obwohl ihr Klasseninhalt – ihre Rolle bei der Organisierung der Klasse und der Entwicklung ihres Bewusstseins – in die Sowjets übergegangen war. 1905 trat dieser Gegensatz noch nicht offen zutage; Sowjets und Gewerkschaften konnten noch nebeneinander existieren und sich bis zu einem gewissen Umfang gegenseitig stärken. Dennoch existierte er insofern hintergründig, als die Sowjets die Gewerkschaften aushebelten.

Die Massenstreiks, die sich im Oktober 1905 ausbreiteten, führten zur Schaffung vieler weiterer Sowjets, mit dem Sowjet von St. Petersburg an der Spitze. Alles in allem konnten zwischen 40 und 50 Sowjets sowie einige Bauern- und Soldatensowjets ausgemacht werden. Anweiler betont ihre ungleiche Herkunft: „Sie entstanden teilweise in Anknüpfung an ältere Organisationen, wie Streikkomitees oder Deputiertenversammlungen, oder unmittelbar durch die Initiative der sozialdemokratischen Parteiorganisationen, die dann einen erheblichen Einfluss im Sowjet ausübten. Häufig waren die Grenzen zwischen einem einfachen Streikkomitee und einem ausgebildeten Arbeiterdeputiertenrat fliessend, und nur in den Hauptzentren der Revolution und der Arbeiterschaft, wie (ausser Petersburg) Moskau, Odessa, Novorossijsk, im Donaubecken, gewannen die Räte eine ausgeprägte organisatorische Gestalt.“[25] Dies mag objektiv zutreffen, schmälert jedoch in keiner Weise ihre Bedeutung als direkte Ausdrücke des revolutionären Kampfes des Proletariats. In ihrer Neuheit wuchsen und schrumpften sie mit den Gezeiten der Revolution: „Die Stärke des Petersburger und der anderen Sowjets lag in dieser revolutionären Verfassung der Massen, in der Unsicherheit der Regierung. In der politischen Hochstimmung der ‚Freiheitstage’ antwortete die Arbeiterschaft bereitwillig auf den Ruf ihres selbstgewählten Organs; sobald sie nachliess und an ihre Stelle Müdigkeit und Enttäuschung traten, verloren auch die Sowjets an Einfluss und Autorität.“[26]

Die Sowjets und die Massenstreiks entstanden aus den objektiven Bedingungen der Arbeiterexistenz, so wie die Gewerkschaften vor ihnen: „Der Arbeiter-Delegiertenrat entstand als die Erfüllung eines objektiven, durch den Gang der Ereignisse erzeugten Bedürfnisses nach einer Organisation, die die Autorität darstellen könnte, ohne Traditionen zu haben, einer Organisation, die mit einem Male die zerstreuten, nach Hunderttausenden zählenden Massen umfassen könnte, ohne ihnen viele organisatorische Hemmungen aufzuerlegen, nach einer Organisation, die die revolutionären Strömungen innerhalb des Proletariats vereinigen, die einer Initiative fähig und automatisch sich selbst kontrollieren könnte und, was die Hauptsache ist, einer Organisation, die man innerhalb 24 Stunden ins Leben rufen könnte.“[27] Aus diesem Grund ist die Form der Sowjets bzw. Arbeiterräte im Jahrhundert nach 1905 immer wieder aufgetaucht, sobald die Arbeiterklasse in die Offensive ging: „Die Bewegung in Polen beweist durch ihren Massencharakter, ihre Schnelligkeit, ihre Ausweitung über die Kategorien und Regionen hinaus nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit der Generalisierung und Selbstorganisation des Kampfes.“[28] „(...) der übliche Gebrauch der Propaganda durch die Behörden basierte auf einer massiven und systematischen Verzerrung der Realität. Die totalitäre Kontrolle aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durch den Staat zwang die polnischen Arbeiter dazu, ein Ausmass an Selbstorganisation zu entwickeln, das im Vergleich mit dem, was in früheren Kämpfen erreicht wurde, einen immensen Schritt nach vorn darstellt.“[29]

 

North, 14. Juni 2005

 

Diese Artikelserie wird in der nächsten Ausgabe der Internationalen Revue fortgesetzt und in Gänze auf unserer Website veröffentlicht. Die nächste Folge wird sich insbesondere mit den folgenden Themen befassen:

Der Petersburger Sowjet war der Höhepunkt der Revolution von 1905; er ist der vollständigste Ausdruck des Charakters des Sowjets als einer Waffe des revolutionären Kampfes: ein Ausdruck des Kampfes selbst, mit Blick auf seine Weiterentwicklung durch die Organisierung der gesamten Arbeiterklasse.

Die revolutionäre Praxis der Arbeiterklasse klärte die Gewerkschaftsfrage, lange bevor sie theoretisch begriffen wurde. Als sich 1905 Gewerkschaften bildeten, neigten sie dazu, über ihren ursprünglichen Zweck hinauszugehen, da sie vom revolutionären Strom mitgerissen wurden. Nach 1905 zerfielen sie schnell, und 1917 war die Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus erneut in den Sowjets organisiert.

Der Gedanke, die Revolution von 1905 sei das Ergebnis der Rückständigkeit Russlands, hat, obwohl falsch, auch heute ein gewisses Gewicht. Gegen diese Idee verwiesen sowohl Lenin als auch Trotzki auf den tatsächlichen Entwicklungsgrad des russischen Kapitalismus.


[1] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, Kap. I.

[2] Leo Trotzki, Die Revolution von 1905, Kap. 22: Die Bilanz der Revolution.

[3] Die Internationale Arbeiterbewegung, Bd. 2, Kap. 8, Progress Publishers, Moskau, 1976.

[4] siehe unsere Artikel, Was ist revolutionärer Syndikalismus? und Der Anarchosyndikalismus angesichts eines Epochenwandels: die CGT bis 1914, in: Internationale Revue Nr. 118 und Nr 120 (engl./franz./span. Ausgabe).

[5] R. Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in: Werke Bd. 2 Kap. 5.

[6] W.I. Lenin, Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, in: Werke Bd. 3, Anhang II.

[7] ebenda, Anhang III.

[8] Henry Reichman, Railways and revolution, Russia 1905,  in: University of California Press, 1987 (eigene Übersetzung).

[9] W.I. Lenin, Der Fall von Port Arthur, Werke Bd. 8 S. 37 f.

[10] W.I.Lenin, Revolutionstage, Kapitel 8. Die Zahl der Toten und Verwundeten, in: Werke Bd. 8 S. 109.

[11] David Floyd, Russia in Revolt, Kap. 6 (eigene Übersetzung).

[12] W. I. Lenin, Der 1. Mai, in: Werke Bd. 8 S. 343 ff.

[13] Ein aktuelleres Werk widerspricht dieser Ansicht und argumentiert, dass diese Aussage „bloss zeigt, dass (...) Plehwe keinen Einwand dagegen zu haben schien, in den Krieg gegen Japan zu ziehen, in der Annahme, dass ein militärischer Konflikt die Massen von politischen Dingen ablenken könnte“ (Ascher, The Revolution of 1905, 2. Kapitel Krieg und politische Umwälzung, eigene Übersetzung).

[14] Lenins Bruder war Mitglied einer Gruppe, die vom Gedankengut der Gruppe Volkswille beeinflusst war. Er wurde 1887 nach einem Attentatsversuch auf Zar Alexander III. gehängt.

[15] Edward Crankshaw, The Shadow of the Winter Palace, Kap. 16, The Peace of the Graveyard (eigene Übersetzung).

[16] Theodor Shanin, Russia 1905-07. Revolution as a moment of truth, Kap. 1: A revolution comes to the boil  (eigene Übersetzung).

[17] W. I. Lenin, Was tun?, Kap. IV Die Organisation der Arbeiter und die Organisation der Revolutionäre, Ges. Werke, Bd. 5.

[18] ebenda.

[19] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Dezember.

[20] Louis Adamic: Dynamite, Rebel Press, 1984.

[21] Die Rätebewegung in Russland 1905-1921, Kap. II: Die Sowjets in der Russischen Revolution von 1905.

[22] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Der Oktoberstreik.

[23] Leo Trotzki, Die Geschichte der Russischen Revolution, Kap. Doppelherrschaft.

[24] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap. Die Entstehung des Arbeiterdelegiertenrates.

[25] Die Rätebewegung in Russland 1905–1921, Kap. II Die Sowjets in der Russischen Revolution von 1905 S. 59.

[26] ebenda S. 69.

[27] Leo Trotzki, Die Russische Revolution von 1905, Kap Die Entstehung des Arbeiterdelegiertenrates.

[28] s. Massenstreiks in Polen 1980: Das Proletariat schlägt eine neue Bresche, in: Internationale Revue Nr. 23 (engl., franz., span. Ausgabe).

[29] s. Die internationale Dimension der Arbeiterkämpfe in Polen, in: Internationale Revue Nr. 24 (engl., franz., span. Ausgabe).

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1905 - Revolution in Russland [13]

Theoretische Fragen: 

  • Kommunismus [14]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [15]

Wirtschaftskrise - Der Abstieg in die Hölle

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Der Abstieg in die Hölle

Die letzte Rezession von 2000/2001 entblösste die theoretischen Hirngespinste über die sogenannte „dritte industrielle Revolution“, basierend auf Mikroprozessoren und neuen Informationstechnologien. Weiter entlarvte der Börsenkrach die Fantastereien über die Entwicklung eines „Eigentümerkapitalismus“, der an die Stelle des Lohnempfängers den Teilaktionär setzen würde (!), eine weitere Version der Legende vom „Volkskapitalismus“, in dem jeder Arbeiter „Kleinbesitzer“ im Sinne eines Aktionärs „seines“ Unternehmens wäre.

Während Europa in den Abgründen der Wirtschaftsflaute versinkt, konnten die Vereinigten Staaten in ihrem Bemühen, die Rezession in Schranken zu halten, Erfolge verzeichnen. Dabei werden wir belehrt, die Triebkraft des amerikanischen Wiederaufschwungs gründe auf dem stärkeren Engagement innerhalb der famosen „neuen Ökonomie“ und der stärkeren Deregulierung sowie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Die Erstarrung auf dem europäischen Kontinent hingegen fände ihre Erklärung in ihrem Rückstand in eben diesen Bereichen. Um diesem Manko abzuhelfen, orientiert sich die Europäische Union an der sogenannten „Strategie von Lissabon“. Letztere sieht vor, bis 2010 „die wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaft der Welt“ zu errichten. In den von der Europäischen Union verfassten „Leitlinien für Beschäftigung“, auf die sich die neue Verfassung bezieht, lesen wir, dass die Staaten zur Reform der „allzu restriktiven Bedingungen der Gesetzgebungen hinsichtlich Beschäftigung“ angehalten werden, „welche die Dynamik des Arbeitsmarktes betreffen“. Weiter sollen sie „die Vielfalt der Modalitäten in Form von Arbeitsverträgen, vor allem hinsichtlich der Arbeitszeit“ fördern. Die herrschende Klasse versucht, das Blatt zu wenden, indem sie uns die letzte Rezession und den Börsenkrach als Schicksalswende auf dem Wachstumspfad und der Wettbewerbsfähigkeit präsentiert. Von neuem versucht sie sich als Verkünder einer besseren Zukunft - wenn nur die Arbeiter zu einigen zusätzlichen Opfern bereit wären, so dass endlich das Paradies auf Erden Wirklichkeit werden könne.

Im Folgenden soll anhand einer marxistischen Analyse offizieller Statistiken der Bourgeoisie gezeigt werden, dass diese Diskurse und Verordnungen zur Erhöhung der Sparquote äusserst realitätsfremd sind. Ein letzter Abschnitt des Artikels widmet sich der Widerlegung der von Battaglia Comunista (einer anderen revolutionären Organisation) entwickelten Methode zur Analyse der Krise.

Eine Systemkrise

Die letzte Rezession 2000/01 ist die sechste seit den 60er Jahren, welche die kapitalistische Wirtschaft erschütterte, und somit alles andere als ein einfacher Zwischenfall (vgl. Grafik 1). okograph1a

Die Rezessionen von 1967, 1970/71, 1974/75, 1980-82, 1991-93 und 2001/02 wurden tendenziell jedes Mal länger und tiefgreifender. Sie stehen im Kontext einer andauernden Abnahme der durchschnittlichen Wachstumsrate der Weltwirtschaft, die sich jedes Jahrzehnt verschärft. Diese Rezessionen sind also keineswegs unbedeutende Fehltritte auf dem Weg der Errichtung der „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaft der Welt“. Vielmehr verkörpern sie Etappen des langsamen, aber unaufhörlichen Abstiegs in die Hölle, dem die kapitalistische Produktionsweise nicht entgehen kann. Die triumphierenden Diskurse über die „new economy“ sind zahlreich: Liberalisierung der Märkte, EU-Erweiterung, technologische Revolution, Globalisierung sowie wiederholte Medienbluffs über die Leistungen der so genannten Schwellenländer, über die Öffnung der Märkte der Oststaaten und die Entwicklung Südostasiens und Chinas. Nichtsdestotrotz: die Wachstumsrate des Welt-Bruttoinlandprodukts pro Kopf sinkt jedes Jahrzehnt auf ein tieferes Niveau[1] [16].

Sicherlich, betrachtet man einzelne Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, Wachstumsrate, Profitrate oder Welthandel, so hat die aktuelle Krise weitaus weniger Bedeutung und ein geringeres Tempo als der Zusammenbruch der Weltwirtschaft in den 30er Jahren. Seit der Krise in den 30er Jahren und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ökonomien aller Länder allmählich unter die direkte oder indirekte und immer umfassendere Kontrolle ihrer Staaten gebracht. Hinzu kam die Errichtung von Wirtschaftskontrollen auf der Ebene der imperialistischen Blöcke (durch den IWF für den Westblock und den COMECON für den Ostblock)[2] [17]. Mit dem Zusammenbruch der Blöcke verschwanden auch die oben genannten internationalen Institutionen oder wurden zumindest zu einem Rückzug auf der Ebene politischer Bestimmungen gezwungen, wenn auch einige unter ihnen eine beschränkte ökonomische Einflussnahme beibehalten konnten. Diese „Organisation“ der kapitalistischen Produktion erlaubte es während Jahrzehnten, die Systemwidersprüche viel wirksamer als damals in den 30er Jahren im Zaun zu halten. Dadurch erklärt sich auch das zuweilen geringe Tempo der gegenwärtigen Krise. Durch eine Milderung der Folgen aus den Systemwidersprüchen ist aber noch keine Lösung gefunden.

Zunehmend fragilere Erholungsphasen

Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung lässt sich nicht mit einem Jo-Jo vergleichen, bei dem die Hoch- und Tiefpunkte gleichermassen zum Bewegungsablauf gehören. Die heutige Entwicklung findet im Rahmen einer globalen und unumkehrbaren Tendenz des Niedergangs statt – auch wenn regulierende Interventionen der Staaten und internationalen Institutionen das Tempo dieser Entwicklung mindern mögen.

So steht es etwa mit dem als Musterbeispiel gepriesenen amerikanischen Wiederaufschwung: Die Vereinigten Staaten konnten das Ausmass ihrer Rezession in Grenzen halten, aber nur indem sie neue Ungleichgewichte auf sich nahmen, welche bei der nächsten Rezession für umso grösseren Schaden sorgen werden. Die Folgen für die Arbeiterklasse und alle Ausgebeuteten dieser Welt werden umso dramatischer sein. Es nützt nichts, sich mit der empirischen Feststellung der Abfolge von Rezession und Wiederaufschwung zu begnügen. Denn im Bestreben, die fortschreitende Abnahme der Wachstumsrate der Weltwirtschaft seit den 60er Jahren zu ergründen, sind wir damit noch keinen Schritt weitergekommen. Die wirtschaftliche Entwicklung seit den 60er Jahren verweist auf die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus. Sie besteht aus der Aufeinanderfolge von Rezessionen und Wiederaufschwüngen, wobei die Erholungsphasen auf zunehmend unsicherem Boden gründen. Der in den USA auf die Rezession 2000/2001 folgende Wiederaufschwung basierte im Wesentlichen auf drei äusserst zufallsbedingten Faktoren:

1. einem schnellen und gravierenden Anstieg des Handelsdefizits,

2. einer Wiederbelebung des Konsums, basierend auf zunehmender Verschuldung, auf der Aufhebung der Staatsersparnisse und auf Aussenfinanzierung,

3. einer spektakulären Senkung des Zinssatzes, wodurch eine verschärfte Instabilität internationaler Finanzmärkte angekündigt wird.

1. Ein rekordartiger Anstieg des Handelsdefizits

Seit Ende der 60er Jahre sind die Rezessionen (1967, 1970, 1974/75 und 1980-82) jedes Mal tiefgreifender (Grafik 2, unterbrochene Linie : Wachstumsraten des amerikanischen BIP, ausgezogene Linie: die öffentliche Verschuldung). okograph2 Im Vergleich dazu erscheinen die Rezessionen von 1991 und 2001 weniger bedeutsam und unterbrochen von längeren Erholungsphasen (1983-1990 und 1992-1999). Sind darin etwa die ersten Folgen einer aufstrebenden „new economy“ erkennbar, die von mancherlei Seite so gerne hervorgehoben werden? Sind wir Zeugen eines sich anbahnenden Umschwungs der Tendenz der fortgeschrittensten Volkswirtschaft der Welt? Und wartet dieser Umschwung nur darauf, in andere Erdteile exportiert und verallgemeinert zu werden? Diese Fragen sollen im Folgenden untersucht werden.

Die Feststellung von wirtschaftlichen Wiederaufschwüngen (auch geringer Bedeutung) kann uns nur dann nützlich sein, wenn wir die tiefer liegenden Triebkräfte verstehen. Zu diesem Zweck haben wir die Entwicklung des amerikanischen Staatsdefizits (s. ausgezogene Linie in Grafik 2) der Entwicklung der amerikanischen Wachstumsrate (s. unterbrochene Linie ebd.) gegenübergestellt. Dabei wird deutlich, dass erstens jeder Phase des Wiederaufschwungs ein erhebliches Staatsdefizit vorausgeht und zweitens dieses Staatsdefizit jedes Mal das vorangegangene an Ausmass und/oder Länge übertrifft.

Wachstumsrate pro Jahrzehnt

            USA                Europa

1950–59            4,11                4,72   

1960–69            4,41                5,01

1970–79            3,24                3,29

1980–89            2,98                2,24

1990–99            3,00                1,74

(Quelle: BEA und A. Maddison, L’économie mondiale, OECD)

Auch die bisher längsten Phasen des Wiederaufschwungs in den 80er und 90er Jahren ebenso wie die relative Abschwächung der Rezessionen sind vor allem auf ein langfristig erhöhtes Staatsdefizit zurückzuführen. Dasselbe gilt für den Wiederaufschwung, der auf die Rezession 2000/01 folgte. Das „Wachstum“ der USA könnte einer Deflation nur knapp entgehen, würde es sich nicht auf ein Staatsdefizit abstützen, dessen Ausmass und Anstiegstempo historische Rekorde erreicht. Die Kombination von Steuersenkungen (welche v.a. die hohen Einkommen betreffen) und Militärausgaben hatte ein Budgetdefizit von bis zu 3,5 % zur Folge, während es im Jahr 2000 noch bei 2,4 % lag. Ausserdem sollten die für das Jahr 2005 gesetzten Prioritäten entgegen den Versprechungen während dem Präsidentschaftswahlkampf durch eine zusätzliche Erhöhung dieses Defizits umgesetzt werden, unter Berücksichtigung der zunehmenden Rüstungs- und Sicherheitsausgaben sowie bedeutender Steuersenkungen für die Reichsten[3] [18]. Die wenigen Massnahmen, die dem steigenden Staatsdefizit entgegenwirken sollen, werden auf dem Rücken der Ausgebeuteten umgesetzt, denn vorgesehen ist die Streichung von Staatsausgaben, welche den Ärmsten zugesprochen waren[4] [19].

Schliesslich müssen wir auch dem Mythos einer neuen, aufstrebenden Tendenz der Vereinigten Staaten ein Ende setzen. Seit dem starken Einbruch Ende der 60er Jahre verharren die Wachstumsraten pro Jahrzehnt auf einem Niveau von etwa 3%. Sie liegen also unter dem Niveau früherer Jahrzehnte. Und darüber kann auch die um zwei Hundertstel Prozente höhere Wachstumsrate von 1990-99 gegenüber 1980-89 nicht hinwegtäuschen! Dem Versuch, aus diesen zwei Hundertsteln einen Trendwechsel ableiten zu wollen, entgeht jede Glaubwürdigkeit.

Dieser Mythos von einer durch die USA eröffneten neuen Wachstumsphase ist eine Schöpfung der amerikanischen Bourgeoisie in ihrem Bestreben, eine auch noch so geringe europäische Leistungsfähigkeit zu entkräften. Tatsächlich aber konnte Europa bis in die 90er Jahre ihren Rückstand gegenüber der führenden Volkswirtschaft der Welt aufholen[5] [20].

Die grössere Stabilität der amerikanischen Wirtschaft beruht nicht so sehr auf Investitionen im Bereich der so genannten „new economy“ und einer daraus resultierenden höheren Effizienz. Vielmehr beruht sie auf einer durchaus klassischen, enormen Verschuldung aller Wirtschaftsakteure, die im Übrigen ihre finanzielle Grundlage in ausländischen Vermögen haben. Dasselbe gilt für den Anstieg des Staatsdefizits sowie für die weiteren Parameter, welche dem amerikanischen Wiederaufschwung zugrunde liegen. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.

2. Eine Wiederbelebung des Konsums durch Verschuldung

Einer der Gründe für das grössere Wachstum in den Vereinigten Staaten liegt in der Konsumförderung der Haushalte. Dafür werden mehrere Mittel eingesetzt:

- spektakuläre Steuersenkung zur Konsumförderung der Reichen, zum Preis einer zusätzlichen Verschlechterung des Staatsbudgets;

- Senkung des Zinssatzes von ehemals 6,5 % Anfang 2001 auf 1 % Mitte 2004, Senkung der Sparquote (Grafik 4), was die Verschuldung der Haushalte auf Rekordhöhe anstiegen liess (Grafik 5) und eine Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt ankündigt.

Eine solche Dynamik des Konsums der Haushalte führt zu folgenden drei Problemen: einer wachsende Verschuldung der Haushalte mit drohendem Immobilienkrach; einem wachsenden Handelsdefizit gegenüber der übrigen Welt (5,7 % des amerikanischen BIP im Jahr 2004 – d.h. über ein Prozent des Welt-BIP – im Vergleich zu 4,8 % im Jahr 2003) und einer immer ungleicheren Einkommensverteilung[6] [21].

Grafik 4 zeigt, dass bis zu Beginn der 80er Jahre die Haushalte 8 bis 9 % ihres Einkommens, nach Abzug der Steuern, sparten. Sodann wurde ein kontinuierlicher Fall der Sparquote bis auf etwa 2 % eingeleitet. Der darauf beruhende Konsum gehört zur Basis des zunehmenden Aussendefizits der USA. Die USA importieren jeweils mehr Güter und Dienstleistungen, verglichen mit ihrem Auslandsabsatz, als die übrige Welt. Letztere wird bei diesem Kurs zu einem immer wichtigeren Kreditgeber der Vereinigten Staaten. Ermöglicht wurde eine solche Entwicklung dadurch, dass Ausländer, welche durch das amerikanische Aussendefizit zu Dollar gelangen, diese direkt auf den amerikanischen Finanzmärkten anlegen können, anstatt sie in andere Devisen umtauschen zu müssen. Dieser Mechanismus lässt die Bruttoverschuldung der USA gegenüber der übrigen Welt aufblähen. Sie stieg von 20 % des BIP um 1980 auf 90 % um 2003 und erreicht damit eine hundertzehnjährige Rekordhöhe[7] [22]. Eine so hohe Schuldenlast gegenüber anderen Ländern schwächt auch die Einkommen aus dem amerikanischen Kapital, aus denen die Zinsen finanziert werden müssen. Fragt sich also, wie lange die amerikanische Wirtschaft diesem Druck noch standhalten kann.

Denn hinzu kommt, dass die oben besprochene Verschuldung der amerikanischen Haushalte Teil einer tendenziellen Zunahme der Gesamtverschuldung der amerikanischen Wirtschaft ist. Diese Verschuldung nimmt gigantische Ausmasse an: Sie übersteigt 300 % des amerikanischen BIP im Jahr 2002 (Grafik 7) okograph7 – genau genommen 360 %, wenn die staatliche Bruttoverschuldung mitberücksichtigt wird. Wollte man die gesamte Verschuldung zurückzahlen, würde dies mehr als drei Jahre Gratisarbeit bedeuten. Hierdurch wird das oben Gesagte bestätigt: kürzere Rezessionsphasen verbunden mit längeren Wiederaufschwungsphasen seit Beginn der 80er Jahre sind kein Argument für eine neue Wachstumsphase, welche auf einer „dritten industriellen Revolution“ gründen würde. Die erwähnten Wiederaufschwungsphasen  haben keine „gesunde“ Ausgangslage, sondern beruhen auf einer zunehmend künstlichen Wachstumsbasis.

3. Die Senkung der Zinsrate erlaubt eine Abwertung des Dollars mit Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit

Kommen wir zum dritten Faktor des amerikanischen Wiederaufschwungs: dem fortschreitenden Fall der Zinsrate. Diese sank von 6,5 % Anfang 2001 auf 1 % Mitte 2004. Somit wurde der Binnenmarkt gestärkt und eine konkurrenzfähige, deflationäre Dollarpolitik auf dem internationalen Markt ermöglicht.

Die tiefen Zinssätze trieben die Verschuldung weiter an (v.a. durch den dadurch billig gewordenen Hypothekarkredit). Deshalb konnten Konsum und Wohnungsmarkt die Wirtschaftsaktivität ankurbeln und die Ausgaben fördern, trotz rückläufiger Beschäftigungsquoten während der Rezession. Dies zeigt sich im Konsumanteil der amerikanischen Haushalte am BIP, welcher von 1950 bis 1980 um 62 % schwankte und seither kontinuierlich bis auf über 70 % zu Beginn des 21. Jahrhunderts angestiegen ist.

Zu beachten ist aber auch die Antwort auf das amerikanische Handelsdefizit: eine starke Dollarabwertung (ca. 40 %) gegenüber den nicht der führenden Währung angepassten Devisen, also hauptsächlich gegenüber dem Euro (und teilweise auch dem Yen). Das amerikanische Wirtschaftswachstum beruht also auf Pump und vollzieht sich auf dem Rücken der übrigen Welt. Finanziert wird die US-Wirtschaft nämlich von Kapitalströmen ausländischen Ursprungs, ermöglicht durch die hegemoniale Stellung der USA. Tatsächlich wäre jedes andere Land, das sich in derselben Lage befände, zu einem hohen Zinssatz gezwungen, um Kapitalströme anzuziehen.

Die wirtschaftliche Dynamik seit Ende der 60er Jahre

Wir haben gesehen, dass die Erholung nach der Rezession von 2001 noch zerbrechlicher war als alle vorangegangenen. Sie fand während einer Zunahme von Rezessionen statt, welche eine Veranschaulichung des konstanten Niedergangs der Wachstumsrate seit Ende der 60er Jahre sind. Um diese sinkende Tendenz der Wachstumsrate und vor allem ihren unumkehrbaren Charakter zu verstehen, müssen wir die Gründe dafür genauer betrachten.

Mit der Erschöpfung der zu Ende des Zweiten Weltkrieges lancierten Dynamik, als die wieder aufgebaute europäische und japanische Wirtschaft den Markt mit überschüssigen Produkten (im Verhältnis zur den zahlungskräftigen Absatzmärkten) zu überfluten begannen, begann sich das Produktivitätswachstum der Arbeit zu verlangsamen, und zwar seit Mitte der 60er Jahre in den USA und zu Beginn der 70er Jahre auch in Europa (siehe Grafik 8). okograph8

Seit das Wachstum der Produktivität zum Hauptfaktor geworden ist, um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegen zu treten, ist das verlangsamte Wachstum zu einem verstärkenden Faktor für den tendenziellen Fall der Profitrate geworden, sowie auch für den Druck auf andere grundlegende Anteile der kapitalistischen Wirtschaft: vor allem auf die Akkumulationsrate8 [23] und das wirtschaftliche Wachstum9 [24]. Die Grafik 9 okograph9 zeigt klar diesen Fall der Profitrate, der Mitte der 60er Jahre in den USA und zu Beginn der 70er Jahre in Europa begann und bis 1981-82 anhielt.

Wie diese Grafik deutlich zeigt, hörte der Fall der Profitrate zu Beginn der 80er Jahre auf, und die Kurve zeigt seither nach oben. Die grundlegende Frage ist nun die nach den Gründen für diese Umkehr, da die Profitrate eine zusammengesetzte Variable ist, welche durch verschiedene Parameter bestimmt wird, die wir unter den folgenden Übertiteln zusammenfassen können: die Mehrwertrate, die organische Zusammensetzung des Kapitals und die Arbeitsproduktivität10 [25]. Um es bildlich darzustellen und auf den Kern der Sache zu sprechen zu kommen, kann man sagen, dass der Kapitalismus dem tendenziellen Fall der Profitrate entweder „nach oben“ entfliehen kann durch die Intensivierung der Arbeitsproduktivität oder „nach unten“ durch verstärkte Angriffe gegen die Lohnarbeiter. Die in diesem Artikel aufgeführten Daten zeigen deutlich, dass der Anstieg der Profitrate nicht Resultat neuer Fortschritte in der Arbeitsproduktivität ist, die in der Folge einer „dritten industriellen Revolution aufgrund der Mikroprozessoren“ (der so genannten „new economy“) eine Verringerung oder Bremsung des Wachstums der organischen Zusammensetzung des Kapitals nach sich ziehen würde. Nein, er entstand aufgrund direkter und indirekter Lohnbeschneidungen und der anwachsenden Arbeitslosigkeit (siehe Grafiken.

Der heutigen Situation liegt die Tatsache zu Grunde, dass weder die Akkumulation (Grafik 12), noch die Produktivität noch das Wachstum in den letzten 25 Jahren Schritt gehalten haben mit der in de gleichen Zeit wieder gefundenen Rentabilität der Unternehmen. Im Gegenteil blieben all diese grundlegenden Faktoren rückläufig. Normalerweise jedoch wächst in den historischen Perioden, in denen die Profitrate ansteigt, die Akkumulationsrate ebenfalls, und vergrössern sich damit auch die Produktivität und das Wachstum. Wir müssen uns deshalb folgende grundlegende Frage stellen: Weshalb haben trotz einer neuen Gesundung und Aufwärtsbewegung der Profitrate die Kapitalakkumulation und das wirtschaftliche Wachstum nicht mitgezogen?

Die Antwort darauf gibt Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie, und besonders im Kapital, in dem er seine zentrale These der Unabhängigkeit zwischen der Produktion und den Märkten aufstellt: „(…) es ist dann möglich, da Markt und Produktion zwei gegeneinander gleichgültige Momente sind, dass die Erweiterung des einen de Erweiterung der andren nicht entspricht“ (Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.2 S. 525). “Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft.“ (MEW Bd. 25 S. 254). Dies heisst, dass die Produktion nicht ihren eigenen Markt schaffen kann (umgekehrt hat aber die Sättigung des Marktes eine Wirkung auf die Produktion, weil die Kapitalisten sie zurückschrauben müssen, um ihren totalen Ruin zu vermeiden). Mit anderen Worten: Der Hauptgrund, weshalb der Kapitalismus in eine Situation gerät, in der zwar die Rentabilität seiner Betriebe wiederhergestellt ist, aber ohne dass die Produktivität, die Investitionen, die Akkumulationsrate und somit ein Wachstum dieser Tendenz folgen, liegt in den unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmöglichkeiten.

Es sind auch diese unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmöglichkeiten, welche den Grund für die sogenannte Tendenz zur „Verfinanzung der Wirtschaft“10a [26] bilden. Wenn die heutigen überschüssigen Profite nicht wieder investiert werden, dann nicht wegen einer tiefen Rentabilität von investiertem Kapital (wie in der Logik derer, die sich die Krise allein durch den tendenziellen Fall der Profitrate erklären), sondern eben gerade wegen unzureichenden zahlungskräftigen Absatzmärkten. Dies ist in der Grafik 12 deutlich ersichtlich, welche zeigt, dass trotz eines Anstiegs der Profite (die Grenzrate gibt das Verhältnis zwischen Profit und zugefügtem Wert an) als Resultat verschärfter Sparpolitik die Investitionsrate weiter gesunken ist (und ebenso das wirtschaftliche Wachstum), was die Zunahme der Arbeitslosigkeit und der nicht investierten Profite, die in Form von finanziellen Erträgen ausgezahlt werden, erklärt11 [27]. In den USA bildeten finanzielle Erträge (Zinsen und Dividenden, ohne Kapitalgewinne) im Durchschnitt 10% der totalen Erträge zwischen 1952 und 1979. Danach stiegen sie zwischen 1980 und 2003 stetig an bis auf 17%.

Der Kapitalismus ist nur fähig, die Auswirkungen seiner Widersprüche zu kontrollieren indem er den Tag der grossen Abrechnung hinausschiebt. Dies hat die Widersprüche nicht gelöst, sondern nur explosiver gemacht. Die gegenwärtige Krise, klar verdeutlicht durch die Unfähigkeit der seit den 30er Jahren und dem Zweiten Weltkrieg installierten wirtschaftlichen Massnahmen und der eingeschlagenen Politik, ist tiefer und bedeutender bezüglich der Widersprüche des Systems als alle vorangegangenen Krisen.

Battaglia Comunista versucht sich die Krise anders zu erklären

Wir haben gesehen, dass die Erklärungen der herrschenden Klasse keinen Heller wert sind und nichts anders als eine Mystifizierung darstellen, um den historischen Bankrott ihres Systems zu verschleiern. Leider haben auch einzelne revolutionäre politische Gruppen diese Konzepte aufgegriffen (ob freiwillig oder nicht), entweder in den offiziellen Versionen oder in linken und Globalisierungsgegner-Varianten. Wir wollen hier die Analyse genauer betrachten, die von Battaglia Comunista entwickelt wurde12 [28].

Dabei gilt es zu Beginn festzuhalten, dass alles bisher Aufgezeigte eine klare Widerlegung der „Analysen“ über eine „dritte industrielle Revolution“, über die „parasitäre Finanzierung“ des Kapitalismus und die „Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse“ darstellt. Erstere hat Battaglia offenbar direkt von der offiziellen Propaganda der herrschenden Klasse übernommen, die zwei andern den Linken und Globalisierungsgegnern von den Lippen abgelesen13 [29].

Battaglia scheint felsenfest davon überzeugt zu sein, dass sich der Kapitalismus inmitten einer „dritten industriellen Revolution durch die Mikroprozessoren“ befindet und „eine Umstrukturierung seines Produktionsapparates“ sowie eine „konsequente Veränderung der früheren Klassenzusammensetzung“ vornimmt. All dies mache ihm einen „lang anhaltenden Widerstand gegen die Krise des Akkumulationszyklus“ möglich14 [30]. Nun, das zwingt uns wahrlich zu einigen Bemerkungen:

1. Wenn der Kapitalismus sich wirklich inmitten einer „industriellen Revolution“ befinden würde, wie Battaglia sagt, dann sollte doch wenigstens – per Definition – ein Anstieg der Arbeitsproduktivität sichtbar sein. Genau davon scheint Battaglia auch überzeugt, wenn es ohne Zögern und ohne Überprüfung behauptet „die tief greifende Restrukturierung des Produktionsapparates hat eine Schwindel erregende Steigerung der Produktivität mit sich gebracht“, und wenn es wiederholt in der letzten Ausgabe seiner theoretischen Zeitschrift meint: „…eine industrielle Revolution, mit anderen Worten des Produktionsprozesses, hatte immer den Effekt der Erhöhung der Arbeitsproduktivität“15 [31]. Doch haben wir vorher nicht deutlich gesehen, wie sich in der Realität bezüglich der Arbeitsproduktivität genau das Gegenteil abspielt, als es der Bluff der bürgerlichen Propaganda behauptet, welcher von Battaglia aufgegriffen wird? Diese Organisation scheint nicht zu wissen, dass das Anwachsen der Arbeitsproduktivität vor mehr als 35 Jahren einzubrechen begann und seit den 80er Jahren mehr oder weniger stagniert (siehe Grafik 8)16 [32].

2. Wir haben gesehen, wie für Battaglia die „dritte industrielle Revolution durch die Mikroprozessoren“ angeblich dermassen potent ist, dass sie eine „Schwindel erregende Steigerung der Produktivität bewirkt“ habe, welche es möglich mache „das ansteigende Wachstum der organischen Zusammensetzung zu vermindern“. Doch nur schon eine Untersuchung der wirklichen Dynamik der Profitrate zeigt, wie der Rezession von 2000-2001 in den USA schon 199717 [33] eine zeitweilige Rückentwicklung vorangegangen war (siehe Grafik 9), vor allem weil die wunderbare „new economy“ zu einer Vergrösserung des Kapitals geführt hatte, mit anderen Worten: zu einem Anstieg der organischen Zusammensetzung und nicht zu einem Rückgang, wie Battaglia behauptet18 [34]. Die neuen Technologien erlaubten zwar schon einen gewissen Produktivitätszuwachs19 [35], doch war dieser unzureichend, um die Investitionskosten wett zu machen, und zwar trotz des Sinken ihres relativen Preises, was schliesslich bei der organischen Zusammensetzung des Kapitals ins Gewicht fiel und so zu einer Wende in der Profitrate in den USA führte, die seit 1997 wieder sinkt. Diese Feststellung ist wichtig, weil sie alle Illusionen in die Fähigkeit des Kapitalismus, sich von seinen eigenen Gesetzten zu befreien, zerstört. Die neuen Technologien sind keine Zauberformel, die es erlauben würde, Kapital gratis zu akkumulieren.

3. Hinzu kommt: Wenn die Arbeitsproduktivität tatsächlich eine „Schwindel erregende Steigerung“ erleben würde, dann müsste (für jeden der Marx nur einigermassen kennt) auch die Profitrate ansteigen. Und das versucht uns Battaglia auch weis zu machen, ohne es jedoch ausdrücklich zu sagen, wenn sie behauptet: „Im Vergleich zu vorangegangenen industriellen Revolutionen (…) hat diejenige, die auf den Mikroprozessoren beruht (…) auch die Investitionskosten reduziert, in der Wirklichkeit also die Kosten des konstanten Kapitals, was somit den Anstieg der organischen Zusammensetzung vermindert“20 [36]. Wie wir sehen, geht Battaglia nicht davon aus, dass es eine Vergrösserung der Profitrate gegeben hat. Haben die Genossen vergessen, was ihre Schwesterorganisation, die CWO, vor einiger Zeit schrieb: „Wenn die Produktivität schneller wächst als die organische Zusammensetzung des Kapitals, so sinkt die Profitrate nicht, im Gegenteil sie wird ansteigen“ (Revolutionary Perspectives Nr. 16, alte Serie, „Kriege und Akkumulation“, Seite 15-17)? Battaglia zieht es vor, diskret von „der Verminderung des Anstiegs der organischen Zusammensetzung“ zu sprechen, als Resultat „der Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität aufgrund der industriellen Revolution, die auf den Mikroprozessoren beruht“, statt vom Anstieg der Profitrate. Weshalb solche sprachliche Windungen? Weshalb wird die Wirklichkeit der Wirtschaft dem Leser vorenthalten? Ganz einfach: weil das Resultat der eigenen Untersuchungen (ob sie nun richtig sind oder nicht) über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität das alte Dogma, sich die Krise ausschliesslich durch den tendenziellen Fall der Profitrate zu erklären, ins Wanken bringen würde. Battaglia Comunista hat nie eine Gelegenheit verpasst, ihr altes Credo vom stetigen Fall der Profitrate zu unterstreichen. Diese Organisation ist  dermassen besorgt „die Welt zu verstehen“, und zwar ausserhalb der angeblich abstrakten Schemen der IKS, dass sie darob gar nicht bemerkt, wie die Profitrate im letzten Vierteljahrhundert entschieden angestiegen ist (Grafik 9) und nicht gesunken, wie sie immer noch behauptet! Für diese 28-jährige Blindheit gibt es nur eine Erklärung: Wie könnte sie weiterhin gegenüber der Arbeiterklasse über die Krise des Kapitalismus sprechen, ohne gleichzeitig das Dogma des tendenziellen Falls der Profitrate als alleinigen Grund für die Krise in Frage zu stellen, wenn jene seit Beginn der 80er Jahre wieder gestiegen ist?

4. Der Kapitalismus überlebt nicht, indem er durch eine „industrielle Revolution“ aufwärts strebt und „eine Schwindel erregende Steigerung der Produktivität“ erlebt, wie Battaglia vorgibt, sondern indem er abwärts driftet, durch eine drastische Verringerung der Lohnmasse, welche die Welt in eine Misere führt und dabei gleichzeitig seine Absatzmärkte reduziert. Wer aufmerksam die Triebkräfte hinter dem Steigen der Profitrate im letzten Vierteljahrhundert verfolgt, sieht, dass dies nicht wegen einer „Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität“ geschieht oder der „Verminderung des Anstiegs der organischen Zusammensetzung“, sondern wegen einer brutalen Sparpolitik auf den Schultern der Arbeiterklasse.

Da die Profitrate seit 25 Jahren ansteigt, ist die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus eine klare, mit Fakten untermauerte Widerlegung der Argumente derjenigen, die den Mechanismus des „tendenziellen Falls der Profitrate“ zur einzigen Begründung für die ökonomische Krise machen. Wenn die Krise heute trotz der wieder gefundenen Rentabilität der Unternehmen andauert, dann deshalb, weil die Unternehmen nicht wie früher die Produktion erhöhen, sondern weil sie durch ungenügende Absatzmärkte an Grenzen stossen. Dies zeichnet sich durch kärgliche Investitionen und somit ein schwaches Wachstum aus. Battaglia Comunista ist unfähig, dies zu verstehen, da diese Organisation die grundlegende These von Marx über die Unabhängigkeit zwischen der Produktion und Markt (wie schon aufgezeigt) nicht verstanden hat und ihr die absurde Idee entgegenstellt, dass die Entwicklung oder Begrenzung des Marktes von der auf- oder niedergehenden Dynamik der Profitrate abhängig sei21 [37].

Angesichts all dieses Unverständnisses selbst grundlegender Gesetzmässigkeiten können wir Battaglia Comunista gegenüber nur unseren Ratschlag wiederholen: Studiert das ABC der marxistischen ökonomischen Lehre, bevor ihr versucht, Lehrer und Richter der IKS zu spielen! Battaglias Weigerung, uns eine Antwort zu geben, dient lediglich dazu, ihre offensichtliche und wachsende Unfähigkeit, auf unsere Argumente politisch einzugehen, zu verbergen22 [38].

Battaglia behauptet, im Vergleich zu den „abstrakten Schemen der IKS“, die „ausserhalb des historischen Materialismus stehen“, selber „…die Fakten der Krise im Westen mit all ihren finanziellen Aspekten und auf der Ebene der Wiederbelebung, ausgelöst durch die revolutionäre Welle der  Mikroprozessoren, gut analysiert zu haben“23 [39]. Wir haben jedoch gesehen, wie Battaglias „Studie“ nichts anderes ist als ein Abklatsch von linken und Globalisierungsgegner-Theorien über den „Parasitismus der Zinsen“24 [40]. Ihre Kopie ist nicht nur ungenügend, sondern überhaupt nicht schlüssig und in sich widersprüchlich, da Battaglia die marxistischen ökonomischen Konzepte schlecht beherrscht, auf die sie sich berufen will. Sie versteht diese Konzepte nicht und schreckt auch nicht davor zurück, sie nach ihren Gutdünken umzuwandeln wie die These von Marx über die Unabhängigkeit von Produktion und Markt. In der geheimnisvollen Welt der Dialektik à la Battaglia wird sie umgewandelt in ein Gesetz der absoluten Abhängigkeit von „ökonomischem Zyklus und dem Prozess der Verwertung, die den Markt „kaufkräftig“ oder „nicht kaufkräftig“ machen“. Wir erwarten von kritischen Beiträgen, die vorgeben, die marxistische Methode der angeblich idealistischen der IKS entgegenzusetzen, mehr als eine Ansammlung von Dummheiten.

Schlussfolgerungen

Bei grundlegenden Fragen der ökonomischen Analyse tappt Battaglia Comunista laufend in die Falle, bei den Erscheinungen stehen zu bleiben, statt deren Wesen mit einem marxistischen Rahmen zu verstehen. Wir haben auch gesehen, wie Battaglia Comunista das Geschwätz der Bourgeoisie über eine „dritte industrielle Revolution“ für bare Münze nimmt, und dies lediglich wegen dem empirischen Erscheinen gewisser neuer Technologien im Mikrotechnologie-Sektor und in der Informatik, wie spektakulär diese auch sein mögen25 [41]. Als Resultat davon gelangt Battaglia zur absolut spekulativen Behauptungen über „Schwindel erregende Steigerungen in der Produktivität“ und eine „Reduktion der Kosten des konstanten Kapitals, die das Anwachsen der organischen Zusammensetzung vermindert“. Doch im Gegenteil, eine handfeste marxistische Analyse über die grundlegenden Kräfte in der Dynamik der kapitalistischen Ökonomie (den Markt, die Profitrate, die Mehrwertrate, die organische Zusammensetzung des Kapitals, die Produktivität der Arbeit, usw.) hat uns nicht nur ermöglicht zu begreifen, dass es sich dabei im Wesentlichen um einen Medien-Bluff handelt, sondern dass die Realität gerade umgekehrt ist als das ganze Geschwätz der Bourgeoisie, welches leider auch von Battaglia Comunista wiedergekäut wird.

Die Krise zu verstehen, ist nicht eine akademische Übung, sondern allem voran eine militante Anstrengung. Wie schon Engels schrieb: “Ihre Aufgabe (der ökonomischen Wissenschaft) ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken.“ Und dies wird nur möglich, „(...) wenn die fragliche Produktionsweise ein gutes Stück ihres absteigenden Astes hinter sich, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins grossenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft (...)“ (Engels, Anti-Dühring, MEW, Bd. 20, S. 138/139). Dies ist die Bedeutung und das Ziel der Arbeit der Revolutionäre auf der Ebene der ökonomischen Analyse. Sie erlaubt uns, den Rahmen zu verstehen, in dem sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entwickelt und welches ihre bestimmenden Faktoren sind, seit der Kapitalismus in seine dekadente Phase eingetreten ist. Hier liegt auch die materielle und (potentielle) subjektive Basis für die proletarische Revolution. Genau dies versucht die IKS in ihren Analysen immer aufzuzeigen. Doch Battaglia Comunista hat dies durch die Zurückweisung des Konzepts der Dekadenz des Kapitalismus26 [42] und durch die Übernahme einer akademistischen und monokausalen Vision vollständig vergessen. Ihre „wissenschaftliche Ökonomie“ dient nicht mehr dazu „die soziale Härte“, die „Anzeichen der beginnenden Zersetzung“ des Kapitalismus aufzuzeigen, wie es schon die Gründer des Marxismus taten, sondern versucht uns zum Narren zu halten mit linker und Globalisierungsgegner-Prosa über die „Überlebenskapazitäten des Kapitalismus“ durch die „Verfinanzung des Systems“, durch die „Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse“ und vor allem durch die „grundlegenden Wandlungen des Kapitalismus“ aufgrund der „dritten industriellen Revolution, die auf den Mikroprozessoren basiert“, sowie auf den neuen Technologien, usw.

Heute ist Battaglia Comunista völlig desorientiert und weiss nicht mehr, was sie gegenüber der Arbeiterklasse vertreten soll: Ist die kapitalistischen Produktionsweise in der Dekadenz, ja oder nein27 [43]? Ist es die kapitalistische Produktionsweise oder die soziale Struktur des Kapitalismus, die sich in der Dekadenz befindet28 [44]? Ist der Kapitalismus „schon seit über 30 Jahren in der Krise“29 [45], oder erlebt er eine „dritte industrielle Revolution durch die Mikroprozessoren“, die eine „Schwindel erregende Steigerung der Produktivität“ auslöst30 [46]? Ist die Profitrate im Steigen begriffen, wie es die Statistiken belegen, oder ist sie stetig am Sinken wie Battaglia andauernd wiederholt, bis zum Punkt an dem der Kapitalismus gezwungen sei, weltweite Kriege zu entfesseln, um seinen Bankrott zu verhindern31 [47]? Befindet sich der Kapitalismus heute in einer Sackgasse, oder verfügt er über eine „lange Fähigkeit zu überleben“ durch die „dritte industrielle Revolution“32 [48], oder verfügt er sogar über eine „Lösung“ seiner Krise mittels Kriegen: „(…) die kriegerische Lösung scheint das wesentliche Mittel zu sein für die Verwertung des Kapitals“ (Plattform des IBRP)? Dies alles sind entscheidende Fragen, wenn es darum geht, sich in der heutigen Situation zurecht zu finden. Battagila Comunista dreht sich im Kreise und ist unfähig, der Arbeiterklasse auf diese Fragen eine klare Antwort zu geben.

CC

 

Der Bluff einer neuen industriellen Revolution

Damit sich der Leser / die Leserin besser ein Urteil darüber bilden kann, ob es wirklich eine „dritte industrielle Revolution, die auf dem Mikroprozessor beruht“, gibt, wie dies Battaglia Comunista behauptet, drucken wir nachstehend einige aussagekräftige Abschnitte aus dem Buch von P. Artus über die neue Ökonomie ab (La nouvelle économie, erschienen bei La Découverte), der sich für seine Analyse über weite Strecken marxistischer Werkzeuge bedient: „Die neue Ökonomie beschleunigte das Wachstum von 1992 bis 2000 aufgrund des Zuschusses an verwendetem Kapital, den sie anzog, aber ohne dass dadurch die allgemeine Produktivität der Faktoren (der allgemeine technische Fortschritt) gesteigert worden wäre. In diesem Sinn weicht die neue Ökonomie klar von früheren technologischen Errungenschaften wie der Elektrizität ab. (…) Paradoxerweise kann man sich sogar fragen, ob es die neue Ökonomie wirklich gibt. Wir beobachten in der Tat ein „Aufschäumen“ … (…) Es geht nicht darum, dies zu bestreiten, aber sich zu fragen, ob es sich dabei wirklich um einen technologischen Zyklus handelt. D.h. um eine anhaltende Beschleunigung des technischen Fortschritts und des Wachstums auch über den Zeitpunkt hinaus, in welchem die Investitionsanstrengungen wieder aufhören. (…) Der Sektor der neuen Ökonomie (Telekommunikation, Internet, Produktion von Computern und Software …) stellt 8% der ganzen amerikanischen Wirtschaft dar; und selbst wenn dessen Wachstum schnell ist, vergrössert es das gesamte Wachstum der USA nur um 0.3% pro Jahr. In der übrigen Wirtschaft (den restlichen 92%) hat sich das Wachstum der gesamten Produktivität der Faktoren (d.h. das Wachstum der Produktivität, die für ein gegebenes Kapital und die entsprechende Arbeit möglich ist, der reine technische Fortschritt) in den 1990er Jahren nicht stark beschleunigt. Man beobachtet eine gewaltige Investitionsanstrengung der Unternehmen, die die neuen Technologien in ihr produktives Kapital integrieren, und es ist im wesentlichen diese Investitionsanstrengung, die den Wachstumszuwachs hervorruft, und zwar sowohl bei der Nachfrage (die Investitionen wachsen stark) als auch beim Angebot (das Volumen des vorhandenen produktiven Kapitals wächst um mehr als 6% pro Jahr). Auch diese Situation lässt sich aber nicht lange aufrechterhalten. (…) Wenn es wirklich einen technologischen Zyklus geben soll, so müsste die Kapitalakkumulation in einem bestimmten Augenblick eine Wachstumsbeschleunigung bei der allgemeinen Produktivität hervorrufen, es müsste also spontan ein schnelleres Wirtschaftswachstum geben, ohne dass das produktive Kapital sich weiterhin schneller als das BIP vergrössert (*). Gewisse Leute vertreten angesichts dieser fehlenden neuen Ökonomie die Meinung, dass das Internet keine technologische Errungenschaft sei, die mit den bedeutenden Erfindungen der Vergangenheit verglichen werden könne (Elektrizität, Automobil, Telefon, Dampfmaschine, (…) ein Grund dafür sei, dass die neuen Informationstechnologien nur ältere Techniken ersetzten, sie träten an ihre Stelle, seien aber kein völlig neues Produkt, das einen Zuwachs bei der Nachfrage und dem Angebot nach sich ziehen würde; ein anderer Grund sei, dass die Kosten für die Installation, den Betrieb und die Verwaltung dieser neuen Technologien hoch seien und den Gewinn gleich wieder aufheben würden. (…) Diese Unsicherheiten bei der neuen Ökonomie sind natürlich durch die Rezession der Jahre 2001-2002 verstärkt worden. Es ist klar zum Ausdruck gekommen, dass Ende der 1990er Jahre zuviel investiert worden ist, dass sich die Rentabilität der Unternehmen durch die Investitionen in neue Technologien nicht grundlegend verbessert hat (…)“. (S. 4-8)

 *) die Red.: Genau dies ist der Unterschied zwischen einer wirklichen industriellen Revolution und dem vorliegenden Schein einer neuen Ökonomie. Wenn Battaglia Comunista Marx lesen könnte, hätte sie das schon lange begriffen.


[1] [49] Auf den Fall China und Indien können wir aus Platzgründen erst in einer späteren Nummer zurückkommen.

[2] [50] Die Institutionen auf der Ebene der imperialistischen Blöcke sind vor allem Ausdruck eines Kräfteverhältnisses, basierend auf der Wirtschafts- und noch mehr auf der militärischen Macht der führenden Länder dieser Blöcke, also der USA und der UdSSR.

[3] [51] 70% der Steuersenkungen begünstigen Haushalte aus den obersten 20% der Einkommensskala.

[4] [52] Vorgesehen ist die Reduktion von Essensgutscheinen für die unteren Einkommensschichten. Von dieser Massnahme werden etwa 300'000 Personen betroffen sein. Das Budget der Sozialhilfe für arme Kinder ist für den Zeitraum von 5 Jahren eingefroren worden; das Budget zur Krankenversorgung der Ärmsten wurde vermindert.

[5] [53] Die Ökonomien Deutschlands, Frankreichs und Japans zusammen genommen verkörperten um 1950 45 % der US-Wirtschaft, bis in die 1970er Jahre stieg das Verhältnis auf 80 %, im Jahr 2000 lag es bei 70 %.

[6] [54] Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erzielten 1 % der vermögendsten Haushalte der USA etwa 16 % des amerikanischen Gesamteinkommens. Innerhalb weniger Jahre fiel dieser Anteil und betrug gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch 8 %. Dieses Verhältnis blieb bis zu Beginn der 80er Jahre bestehen und stieg infolge wieder auf die früheren 16 % an (Piketty T., Saez E., Income Inequality in the United States, 1913-1998, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. CXVIII, Nr. 1, S.1-39).

[7] [55] Die Nettoverschuldung trägt u.a. den Einkommen Rechnung, die aus amerikanischen Vermögen im Ausland stammen. Auch diese Nettoverschuldung ist illustrativ: negativ bis im Jahr 1985 (d.h. die Einkommen amerikanischer Vermögen im Ausland übertreffen die Einkommen der in den Vereinigten Staaten angelegten Vermögen aus dem Rest der Welt). Danach nahm diese Nettoverschuldung aber positive Werte an und stieg auf 40 % des BIP im Jahr 2003 (also der umgekehrte Fall: die Einkommen ausländischer Vermögen in den USA übertreffen die Einkommen amerikanischer, im Ausland angelegter Vermögen).

8 [56] Die Akkumulationsrate des Kapitals ist das Verhältnis zwischen Investitionen von neuem fixem Kapital und dem schon bestehenden fixen Kapital. 

9 [57] vgl. unseren Artikel „Die Krise wiederspiegelt den Niedergang der kapitalistischen Produktion“ in International Review Nr. 115, engl./franz./span. Ausgabe

10 [58] Diese drei Parameter sind wiederum ableitbar aus und bestimmt durch die Entwicklung der Arbeitszeitdauer, des Reallohns, des Grades der Technisierung der Produktion, des Wertes der Produktions- und Konsumptionsmittel und der Produktivität des Kapitals. 

10a [59] Eigene Übersetzung des französischen Begriffs „financiarisation de l’économie“, der unseres Wissens auf deutsch noch nicht existiert.

11 [60]Die Realität hat hier tausendmal alle Theorien widerlegt, die bis zum Erbrechen wiedergekäut werden, wie z.B. vom sozialdemokratischen deutschen Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Die heutigen Profite sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“ Die Profite sind tatsächlich da, aber die Investitionen und die Arbeitsplätze nicht!     

12 [61] Wir werden auf andere Analysen, die im unbedeutenden akademistischen oder parasitären Milieu existieren, in anderen Artikeln über die Krise zurückkommen, sowie in der Serie „Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des Historischen Materialismus“ (Internationale Revue Nrn. 34 ff.)    

13 [62] „Die Gewinne aus der Spekulation sind dermassen hoch, dass sie nicht nur für die „klassischen“ Unternehmen attraktiv sind, sondern auch für viele andere wie unter anderem die Versicherungsgesellschaften oder die Pensionskassen, wobei Enron ein wunderbares Beispiel darstellt (…) Die Spekulation ist das ergänzende, wenn nicht sogar hauptsächliche Mittel der herrschenden Klasse, sich den Mehrwert anzueignen (…) Eine Regel hat sich etabliert: 15% als minimaler Profit aus Kapital, welches in Unternehmen investiert wurde (…). Die Akkumulation von Finanz- und Spekulationsprofiten bringt einen Prozess der Deindustrialisierung mit sich und damit Arbeitslosigkeit und eine Misere über den gesamten Planeten.“ (IBRP in Bilan et Perspectives Nr. 4 S. 6-7).                   

14 [63] „Der lang anhaltende Widerstand des westlichen Kapitals gegen die Krise des Akkumulationszyklus (oder heute gegen die Entwicklung  des tendenziellen Falls der Profitrate) hat bis jetzt den vertikalen Zusammenbruch verhindert, der den sowjetischen Staatskapitalismus erschüttert hatte. Ein solcher Widerstand war aufgrund von vier grundlegenden Faktoren möglich: 1. die ausgeklügelten Massnahmen der Finanzkontrolle auf internationaler Ebene;  2. eine tief greifende Umstrukturierung des Produktionsapparates, die zu einer Schwindel erregenden Steigerung der Produktivität geführt hat(…); 3. die konsequente Zerstörung der früheren Klassenzusammensetzung, mit dem Verschwinden überholter Aufgaben und Rollen und dem Auftauchen neuer Aufgaben, neuer Rollen, und einem neuen Typus von Arbeitern (…) Die Umstrukturierung des Produktionsapparates ist zur selben Zeit geschehen wie das, was wir als die dritte industrielle Revolution des Kapitalismus definieren. (…) Die dritte industrielle Revolution ist durch die Mikroprozessoren gekennzeichnet (…)“ (Prometeo, Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenvorschlag des IBRP über die Arbeiterklasse in der aktuellen Periode und ihre Perspektiven“).                    

15 [64] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“. 

16 [65] Die etwas schnellere Beschleunigung der Produktivität in den USA in der zweiten Hälfte der 90er Jahre (welche eine Steigerung der Akkumulationsrate erlaubte und das amerikanische Wachstum unterstützte) steht in keinem Gegensatz zum massiven Abfall seit Ende der 60er Jahre (siehe Grafik 8). Wir werden in künftigen Artikeln auf diesen Punkt gesondert eingehen. Wir sollten jedoch hervorheben, dass dieses Phänomen die Basis für ein sehr tiefes Niveau zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, verglichen mit früheren Zeiten des Aufschwungs, ist; dass dieser Aufschwung nur halbherzig stattfindet; dass Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Fortschritte in der Produktivität bestehen und dass die Hoffnung auf eine Ausbreitung auf andere wichtige Wirtschaftszweige praktisch ausgeschlossen ist. Überdies wird in den USA ein Computer als Kapital verbucht, während er in Europa als laufende Ausgabe gilt. Die Statistiken der USA haben deshalb den Hang, das BIP (und damit die Produktivität) zu überschätzen im Vergleich zu den europäischen Statistiken, weil jene die Entwertung des Kapitals mitrechnen. Wenn wir diese Abweichungen sowie den Faktor der Arbeitszeit korrigieren, stellen wir fest, dass sich der Unterschied in der Produktivitätssteigerung 1996-2001 zwischen Europa (1,4%) und den USA (1,8%) stark reduziert und dass diese Steigerungen verglichen mit den 5- bis 6%-igen in den 50er und 60er Jahren sehr gering sind.                    

17 [66] Diese Rückentwicklung ist konjunkturabhängig, da die Profitrate Mitte 2001 einen Höhepunkt erreichte und Ende 2003 wieder auf das Niveau von 1997 gesunken war. Die Ankurbelung wurde erreicht durch eine strikte Kontrolle der Beschäftigung (man sprach von einem „Aufschwung ohne Jobs“), aber auch durch die klassischen Mittel der Steigerung der Mehrwertrate wie die Verlängerung der Arbeitszeit oder die Einfrierung der Löhne, was aufgrund der schwachen Dynamik des Arbeitsmarktes erleichtert wurde. Das Bremsen der Akkumulationsrate erlaubte zudem, das Gewicht der organischen Zusammensetzung des Kapitals zu verringern, welches auf der Rentabilität lastet.

18 [67] Für eine einigermassen seriöse Analyse dieser Frage siehe den Artikel von P. Artus „Karl Marx ist zurück“, publiziert in Flash Nr.2002-04 (https://hussonet.free.fr/marx2e.pdf [68]), sowie sein Buch: „Die new economy“ in der Kollektion Repères-La Découverte, Nr. 303, aus dem wir am Ende dieses Artikels einen Ausschnitt abdrucken.   

19 [69] Wobei zu präzisieren ist: „… von verschiedenen Studien wurde belegt, dass ohne die Einführung von flexiblen Arbeitszeiten die „new economy“ den Unternehmen keine Effizienzsteigerung  gebracht hätte“ (P. Artus, a.a.O.)    

20 [70] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“.

21 [71] „(für die IKS) erscheint dieser Widerspruch zwischen Produktion von Mehrwert und dessen Realisierung als eine Überproduktion von Gütern und deshalb als eine Sättigung der Märkte, die sich dem Akkumulationsprozess entgegenstellt. Dies mache das System als Ganzes unfähig, dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. In Wahrheit ist der ganze Prozess umgekehrt (…). Es sind der ökonomische Zyklus und der Prozess der Verwertung, welche den Markt „zahlungsfähig“ oder „nicht zahlungsfähig“ machen. Man kann sich die „Krise“ der Märkte nur erklären, wenn man von den Widersprüchen ausgeht, die den Akkumulationsprozess regeln.“ (Einführungstext von Battaglia Comunista für die erste Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken).         

22 [72] „…wir haben erklärt, dass wir nicht mehr an einer Debatte oder Konfrontation mit der IKS interessiert sind (…) Wenn dies die theoretischen Grundlagen der IKS bilden – und sie tun es -, so soll klar gesagt  sein, dass wir keine Zeit, kein Papier und keine Tinte mehr vergeuden, um mit ihnen zu diskutieren oder eine Polemik zu führen“ (Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“); und: „Wir sind es müde, über Nichtiges zu diskutieren, wenn es darum geht, zu verstehen, was auf der Welt vor sich geht“ („Antwort auf die stupiden Anschuldigungen einer Organisation auf dem Weg zum Auseinanderbrechen“, publiziert auf der Website des IBRP (https://www.ibrp.org [73])     

23 [74] Prometeo, Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“ 

24 [75] Siehe auch den Artikel „Die Krise ist ein Ausdruck der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise“, Internationale Revue Nr. 33, deutsche Ausgabe.

25 [76] Mehr über den Bluff der sogenannten dritten industriellen Revolution im erwähnten Artikel über die Krise in Internationale Revue Nr. 33, aus dem wir hier einen Ausschnitt zitieren: „Die „technologische Revolution“ existiert nur in den bürgerlichen Kampagnen und in der Vorstellung derjenigen, die leichtfertig daran glauben. Die empirische Feststellung einer seit den 60er-Jahren ununterbrochenen Verlangsamung der Produktivität (des technischen Fortschritts und der Arbeitsorganisation) widerspricht dem in den Medien vermittelten und gut in den Köpfen verankerten Bild eines technologischen Wandels, einer neuen industriellen Revolution, die heute von der Informatik und der Telekommunikation, dem Internet und von Multimedia getragen werde. Wie kann man die Kraft dieser Mystifikation, die die Realität in unseren Köpfen verdreht, erklären?

Zuallererst muss man daran erinnern, dass der Fortschritt in der Produktivität nach dem Zweiten Weltkrieg weit spektakulärer war als das, was uns heute als new economy präsentiert wird. (...) Deshalb befindet sich das Produktivitätswachstum im Niedergang (...). Weiter wird eine permanente Verwirrung zwischen dem Auftauchen neuer Konsumgüter und dem Produktivitätsfortschritt aufrecht erhalten. Der Innovationsfluss, die Vervielfachung von noch so aussergewöhnlichen Neuheiten (DVD, GSM-Telefone, Internet, usw.) auf der Ebene der Konsumgüter deckt sich nicht mit dem Phänomen der Produktivitätssteigerung. Diese bedeutet nämlich die Fähigkeit, Ressourcen bei der Produktion einer Ware oder Dienstleistung einzusparen. Der Ausdruck „technischer Fortschritt“ muss immer im Sinn eines Fortschritts der Produktions- und/oder Organisationstechnik verstanden werden, also vom strikten Standpunkt der Einsparung von Ressourcen in der Herstellung einer Ware oder der Ausrichtung einer Dienstleistung. So vorzüglich das numerische Wachstum auch sein mag, es übersetzt sich nicht in ein bedeutendes Wachstum der Produktivität im Produktionsprozess. das ist der ganze Bluff der new economy“.                           

26 [77] Siehe dazu unsere Artikelserie „ Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des historischen Materialismus“, 1. Teil Internationale Revue Nr. 34 auf deutsch, oder ab Nr. 118, engl., franz., span. 

27 [78] Dies ist der Grund, weshalb Battaglia Comunista in der Nr. 8 seiner theoretischen Revue eine grosse Studie zur Frage der Dekadenz angekündigt hat: „...das Ziel unserer Recherchen ist es, zu prüfen ob der Kapitalismus seine Kraft zur Entwicklung der Produktivkräfte verbraucht hat, und wenn dies wahr ist, in welchem Masse und vor allem weshalb.“ (Prometeo Nr. 8, Serie VI, Dezember 2003: „Eine Definition des Konzepts der Dekadenz“).      

28 [79] „Gewiss sind wir konfrontiert mit einer Form der Ausweitung der Barbarei in der Gesellschaftsformation, den sozialen, politischen und zivilen Verhältnissen, und gewiss – seit den 90er-Jahren -  mit einem Rückschritt im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit (mit der Wiederkehr der Suche nach dem absoluten Mehrwert, noch mehr als diejenige nach dem relativen, im immer reineren Stil des Manchester-Kapitalismus), doch diese „Dekadenz“ betrifft nicht die kapitalistische Produktionsweise, sondern mehr seine Gesellschaftsformation im aktuellen Zyklus der kapitalistischen Akkumulation der fast seit 30 Jahren in der Krise steckt!“ (Prometeo Nr. 10, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“) Wir werden in einer der nächsten Ausgabe unserer Presse auf diese theoretische Fantasie von Battaglia Comunista zurückkommen, die vorgibt, dass sich lediglich die „Gesellschaftsformation des Kapitalismus“ in der Dekadenz befindet, jedoch nicht die kapitalistische Produktionsweise! Erwähnen wir nur kurz, dass im aufgeführten Zitat von Engels sowie in allen Schriften von Marx und Engels (siehe unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 34) immer von der Dekadenz der kapitalistischen Produktionsweise gesprochen wird, und nicht nur von der Dekadenz der Gesellschaftsformation.               

29 [80] „...im aktuellen Zyklus der kapitalistischen Akkumulation, der fast seit 30 Jahren in der Krise steckt! (Prometeo Nr. 10, Dezember 2004, „Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion“).  

30 [81] Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenprojekt des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und ihre Perspektiven“

31 [82] „In der marxistsichen Kritik der politischen Ökonomie existiert ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Krise des Akkumulationszyklus des Kapitals und dem Krieg, aufgrund der Tatsache, dass an einem Punkt jedes Akkumulationszyklus, aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate, sich eine absolute Überakkumulation von Kapital ergibt, so dass ein Krieg notwendig wird zur Zerstörung und, um einen neuen Akkumulationszyklus zu beginnen.“ (Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „La guerra mancata“).       

32 [83] „Der lange Widerstand des westlichen Kapitals gegenüber der Krise des Akkumulationszykluses (oder gegenüber dem sich verstärkenden tendenziellen Fall der Profitrate) hat bisher einen totalen Kollaps verhindert...“ (Prometeo Nr. 8, Dezember 2003, „Thesenprojekt des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und die Perspektiven“).

Eine Karikatur der Partei : die bordigistische Partei - Antwort an ”Kommunistisches Programm”

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Die für die Befreiung der Arbeiter­klasse unabdingbare Entwicklung des Klassenbewußtseins ist ein fortdauernder und unaufhörlicher Prozeß. Er wird be­stimmt durch das soziale Wesen des Pro­letariats als eine historische Klasse, die als einzige Klasse die Lösung der un­überwindbaren Gegensätze des Kapitalis­mus in sich birgt, wobei der Kapitalis­mus selbst die letzte der in Klassen ge­teilten Gesellschaften ist. Sowie die historische Aufgabe, die die menschliche Gesellschaft zerreißenden Klassengegen­sätze aufzulösen, nur das Werk der Arbei­ter selbst sein kann, kann das Bewußtsein über diese Aufgabe dem Proletariat keines­wegs von außen 'importiert' oder einge­trichtert werden, sondern es ist das Pro­dukt seines wahren Seins, seiner eigenen Existenz. Es ist die wirtschaftliche, so­ziale und politische Stellung in der Ge­sellschaft, die die praktischenHandlun­gen und den historischen Kampf des Prole­tariats bestimmen.

Diese unaufhörliche Bewegung hin zu einem Bewußtwerdungsprozeß drückt sich in den Versuchen des Proletariats, sich selber zu organisieren und in der Bil­dung politischer Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse, die in der Bildung der Partei gipfelt, aus.

Gerade dieser Frage, der Bildung der Partei, wird in der Nr. 76 von "Programme Communiste" (März '78), dem theoretischen Organ der IKP (Internationale Kommununis­tische Partei), ein sehr langer Artikel gewidmet: "Auf dem Wege zur 'kompakten und starken' Partei von Morgen"(1). Es muß erst festgestellt werden, daß man mit dem üblichen Schwulst der bordigis­tischen Sprache, den auf vielen Seiten zu findenden Drehungen und Wendungen- nach denen man sich schließlich auf dem Ausgangspunkt wiederfindet -, dem Einrennen offener Türe und den sich wiederholenden Bestätigungen, die eine Argumentation er­setzen sollen, die wirklich zur Diskussion stehenden Probleme viel schwerer und um­ständlicher begreifen kann. Die darin be­stehende Vorgehensweise, ein Bestätigung dadurch zu beweisen, indem man die frühe­ren Bestätigungen zitiert, welche selbst wieder auf vorherigen Bestätigungen auf­gebaut - sodaß es einem fast schwindelig wird - kann nötigenfalls eine Kontinui­tät der Bestätigungen beweisen, sie kann aber nie eine schlüssige Beweisführung sein. Unter diesen Umständen und trotz unserer festen Absicht, uns nur mit den Bestätigungen auseinanderzusetzen, die die bordigistischen Positionen hinsicht­lich der Partei ausdrücken, welche wir für falsch und als zu bekämpfen betrach­ten, können wir es nicht vollständig ver­meiden, auf eine Anzahl anderer Punkte, welche mit diesen Bestätigungen zusammen­hängen, zu sprechen zu kommen.

Über die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linke

Es wäre sicherlich keine kleine Überraschung für die Mehrzahl der Leser des "Kommunistischen Programms" und wahr­scheinlich auch für die Mehrzahl der Mit­glieder der IKP plötzlich zu erfahren, daß "trotz ihrer objektiven (7) Grenzen, die 'Linke Fraktion im Ausland' ein Teil der Geschichte"(2) der Italienischen Lin­ke ist und als solche selbst "unsere Fraktion im Ausland zwischen 1928 und 1940" wurde. In diesem Punkt hatte uns "Kommu­nistisches Programm" eher an eine große Zurückhaltung, ein lastendes Schweigen, wenn nicht gar einfach an ein Mißbilligung der Fraktion gewöhnt. Wie sollte man sonst verstehen, daß innerhalb 30 Jahre Beste­hens der IKP sie keine Mühe gescheut hat, in ihren Zeitungen, theoretischen Zeit­schriften, Broschüren und Büchern die Texte der Linke von 1920-1926 wiederauf­zulegen und erneut zu veröffentlichen, aber gleichzeitig nie weder die Zeit, noch die Mittel, noch den Platz gefunden hat, auch nur einen einzigen Text der Fraktion zu veröffentlichen, die das "Bulletin d'Information", die Zeitschrift "Bilan", die Zeitung "Prometeo", die Bulletins "Il Seme" und soviel andere Texte veröffentlichte ? Es ist dennoch kein reiner Zufall, wenn man in "Kommu­nistisches Programm" nie weder irgendeine Bezugnahme, noch eine Erwähnung der poli­tischen Positionen, die "unsere" Fraktion verteidigt hat, und auch nie ein Zitat von "Bilan" vorfindet. Einige Genossen der IKP, die einmal davon etwas vage ge­hört hatten, behaupteten, daß die Partei sich weder auf die politische Aktivität noch auf die Schriften "Bilans" berufe, und andere Genossen der gleichen Partei wußten noch nicht einmal etwas von der Existenz und von dem Namen.

Heute entdeckt man das "Verdienst unserer Fraktion", ein Verdienst, welches - das stimmt - ziemlich begrenzt ist, aber immer noch groß genug, um davor den Hut abzunehmen. Warum heute ? Ist es deshalb, weil die Lücke in der organischen Konti­nuität (ein von der IKP so geschätztes Wort), die von 1926 bis...1952 dauert, etwas störend geworden ist und weil man diese Lücke so recht und schlecht stopfen mußte, oder ist es deshalb, weil die IKS so lange schon davon gesprochen hat, so daß man jetzt nicht mehr länger das Schwei­gen aufrechterhalten kann ? Und warum die Fraktion zwischen 1928 und 1940 ein­ordnen, zumal sie sich - zu Unrecht -erst im Juli 1945 aufgelöst hat, um sich dann in die "Partei" zu integrieren, die endlich in Italien rekonstituiert worden war, nachdem sie in der Zwischenzeit das italienische antifaschistische Komitee in Brüssel verurteilt hatte und seinen Vorkämpfer Vercesi ausgeschlossen hatte.

Es war der gleiche Vercesi, der später ohne Diskussion wieder in die IKP und sogar noch in die Führung aufgenommen wurde. Geschieht all dies aus Unwissen­heit, oder weil während des Krieges die Fraktion noch viel weiter in der Richtung gegangen war, die"Bilan" schon vor dem Kriege eingeschlagen hatte, ins­besondere in der Frage Rußlands, in der Frage des Staates und der Partei -was die Differenzen zwischen den von "Kommu­nistisches Programm" verteidigten Posi­tionen und denen "Bilans" noch verstär­ken sollte. Jedenfalls werden die "Bilan" zugestandenen"Verdienste" schnell durch umso schärfere Kritik zurückgenommen.

"Die Unmöglichkeit - schreibt 'Kommunis­tisches Programm' - den sozusagen sub­jektiven (?!) Kreis der Konterrevolution zu zerschlagen, führte bei der Fraktion zu bestimmten Abweichungen, wie z.B. in der nationalen und kolonialen Frage oder in Bezug auf Rußland, nicht so sehr in der Einschätzung, was aus Rußland geworden war, als vielmehr in der Suche nach einem unterschiedlichen Weg gegenüber dem der Bolschewisten in der Ausübung ihrer Dik­tatur..., ein Weg der in der Zukunft eine Wiederholung der Katastrophe der Jahre 1926-27 verhindern sollte; und auch in einem gewissen Sinne in Bezug auf die Partei oder die Internationala—erwar­tete die Fraktion auch den Wiederaufbau (der Partei) von der Rückkehr der großen Massen auf den Boden der direkten Ausein­andersetzung mit dem Feind."(Programme Communiste, Nr.76, 8.8) (1).

Wenn es stimmt, daß die Treue zu den revolutionären Grundlagen des Marxismus in Zeiten der Niederlagen zweifelsohne ein großes Verdienst ist, so liegt das große Verdienst der Fraktion, wodurch sie sich besonders von den damaligen Gruppen unterscheidet, gerade in dem, was der Ar­tikel des "Kommunistischen Programms" "Abweichungen" nennt. Die Fraktion meinte: "Der Rahmen für die zukünftigen Parteien des Proletariats kann nur aus dem tief­greifenden Verständnis der Ursachen der Niederlagen hervorgehen. Und dieses Ver­ständnis darf weder durch Verbote noch  durch Verfemung beeinträchtigt werden.”(3)

Leute, für welche das Programm etwas "Vollendetes und Unveränderbares" ist, die den Marxismus in ein Dogma verwan­delt und Lenin zu einem unantastbaren Propheten gemacht haben, müssen es als unhaltbar annehmen, daß die Fraktion es gewagt hat, (da läuft es einem kalt den Rücken runter !) im Lichte der Realität nicht die Grundlagen des Marxismus, son­dern die politischen und programmatischen Positionen der bolschewistischen Partei und der Komintern zu überprüfen. Wenn man innerhalb des theoretischen Rahmens und der kommunistischen Bewegung eine Über­prüfung der politischen Positionen, die eine Rolle in Niederlagen gespielt haben, verlangt, die "weder durch Verbote noch durch Verfemung beeinträchtigt werden darf", dann ist das die wildeste Ketzerei; eine "Abschweifung" würde "Kommunistisches' Programm" dazu sagen.

Das große Verdienst der Fraktion -neben ihrem Festhalten am Marxismus und ihren Stellungnahmen zu den großen, wich­tigen Fragen, gegen die von Trotzki ver­langte Einheitsfront, gegen die Volksfront, gegen die Kollaboration und die Unter­stützung des Spanienkrieges, gegen die niederträchtigen Verschleierungsmethoden des Antifaschismus - lag darin, es gewagt zu haben, mit der Methode zu brechen, die damals in der revolutionären Bewegung überhand genommen hatte. Durch diese Me­thode war nämlich die Theorie zu einem Dogma, die Prinzipien in Tabus verwan­delt worden und jedes politische Leben erstickt worden. Ihr Verdienst war es, die Revolutionäre zu Debatten aufgeru­fen zu haben, was sie nicht zu "Abschwei­fungen" geführt hat, sondern in die Lage versetzt hat, reiche und wertvolle Bei­träge zu dem revolutionären Werk zu leisten.

Bei all ihrer Standhaftigkeit zu ihren Überzeugungen hatte die Fraktion die Bescheidenheit, nicht vorzutäuschen, alle Probleme gelöst zu haben und auf alle Fragen Antworten zu haben: "Wenn wir jetzt mit der Veröffentlichung die­ses Bulletins anfangen, glaubt unsere Fraktion nicht, endgültige Lösungen für die schrecklichen Probleme gefunden zu haben, vor denen die Proletarier aller Länder stehen."(4) Und selbst dann, wenn sie überzeugt war, Antworten geliefert

zu haben, verlangte sie nicht von anderen die einfache Anerkennung, die Übernahme dieser Antworten, sondern die kritische Überprüfung, die Konfrontation in den Diskussionen:  "Sie (die Fraktion) beabsichtigt nicht, die politisch 'Nahestehenden' dazu zu drängen, mit den von ihnen vorgeschlage­nen Lösungen für die augenblickliche La­ge einverstanden zu sein. Im Gegenteil, sie ruft alle Revolutionäre dazu auf, die von ihr verteidigten Positionen und grundlegenden politischen Dokumente im Lichte der Ereignisse zu überprüfen." Und im gleichen Sinne schrieb sie: "Unsere Fraktion hätte es vorgezogen, daß solch eine Arbeit (die Veröffentli­chung von "Bilan") von einem internatio­nalen Organismus getragen würde, weil wir von der Notwendigkeit der politischen Konfrontation zwischen den Gruppen, die die Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern repräsentieren, überzeugt sind," (Bilan, Nr.1)

Um die bestehenden Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Fraktion und den der bordigistischen Partei hin­sichtlich der Art und Weise, wie die Be­ziehungen zwischen den kommunistischen Gruppen aussehen sollen, voll zum Vorschein treten zu lassen, genügt es, das oben aufgeführte Zitat von "Bilan" mit dem nach­folgenden Zitat aus "Kommunistisches Pro­gramm" zu vergleichen. So schreibt "Kommu­nistiches Programm" in Bezug auf ihre eigene sich"Partei" nennende Gruppe "'Parteikern' ? Im Vergleich zur 'kompak­ten und starken Partei von morgen', ganz gewiß. Aber Partei; eine Partei, die nur auf ihren eigenen Grundlagen wachsen kann, nicht durch die 'Konfrontation' verschie­dener Standpunkte, sondern durch den Kampf selbst gegen diejenigen, die ihr'nahezu­stehen' scheinen." (Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 20). Wie kürzlich ein Sprecher der IKP in einer öffentlichen Veranstaltung von "Révolution Internatio­nale" (Sektion der IKS in Frankreich) in Paris sagte: "Wir kommen nicht, um zu d­iskutieren, auch nicht um unsere Standpunkte mit Euren zu konfrontieren, sondern nur um hier unseren Standpunkt kundzutun. Wir kommen zu eurer Veranstaltung, so wie wir zu den Veranstaltungen der stalinistischen Partei hingehen." Solch eine Einstellung beruht nicht auf der Standhaftigkeit von Überzeugungen, sondern sie beruht auf Selbstgefälligkeit und Arroganz. Das vor­getäuschte "vollendete und unveränderliche" Programm - als dessen Erben und Beschützer die Bordigisten sich ausgeben - verdeckt nichts anderes als einen enormen Größen­wahn.

Je mehr ein Bordigist von Zweifeln und Unverständnis erschüttert wird, desto mehr schwanken seine Überzeugungen; und so fühlt er immer stärker das Bedürfnis, morgens nach dem Aufstehen sich auf die Erde zu knien, den Kopf auf die Erde zu beugen, sich auf die Brust zu schlagen und die Litanei der Mohammedaner aufzu­sagen: "Gott, mein Gott ist der einzige Gott und Mohammed ist sein Prophet". Oder wie doch irgendwo Bordiga sagte: "Um Mit­glied der Partei zu sein, braucht man nicht alles zu verstehen und von allem überzeugt zu sein; es genügt, laß man glaubt und der Partei gehorcht."

Es handelt sich hier nicht darum, ausführlich auf die Geschichte der Frak­tion einzugehen, ihre Verdienste und Feh­ler, die Gültigkeit ihrer Positionen dar­zustellen. Wie sie selbst sagte, oft habe sie nur herumtasten können, aber ihr Bei­trag war umso größer, da sie ein politisch lebendiger Körper war, der es wagte, die Debatte zu eröffnen, ihre Positionen mit anderen zu konfrontieren, sie anderen ge­genüberzustellen, denn sie war nicht so verkalkt und größenwahnsinnig wie die bordigistische "Partei". Daher kann man verstehen, daß die Fraktion sich auf die Italienische Linke berufen konnte, wohin­gegen dies ein großer Mißbrauch ist, wenn die bordigistische Partei von "unserer Fraktion im Ausland" spricht.

Die Konstituierung der Partei

Die für das Proletariat unabdingbare Partei wird auf den soliden Fundamenten eines kohärenten Programms, auf klaren Prinzipien aufgebaut. Diese geben ihr eine allgemeine Orientierung, die möglichst klare Antworten auf die im Klassenkampf entstehenden politischen Probleme beinhal­ten. Dies hat überhaupt nichts gemein mit dem mythischen "vollendeten und unverän­derbaren" Programm der Bordigisten.

"In jeder Periode sehen wir, daß die Mö­glichkeit der Bildung der Partei bestimmt wird durch die Grundlage der vorherigen Erfahrung und der neuen Probleme, vor denen das Proletariat steht."(Bilan, Nr.1, S.15)

Was für das Programm zutrifft, trifft ebenfalls für die lebendigen politischen Kräfte, die die Partei physisch darstellen, zu. Die Partei ist sicher keine Ansammlung aller möglichen Gruppen und heterogenen politischen Tendenzen. Aber sie ist auch nicht der "monolithische Block", von dem die Bordigisten sprechen, und der übri­gens nie außer in ihrer Einbildung bestan­den hat. "In jeder Periode, in der die Bedingungen vorhanden sind für die Bil­dung der Partei, in der sich die Arbeiter­klasse als Klasse organisieren kann, wird die Partei auf folgende Punkte gegründet:

auf ein Bewußtsein der am meisten fort­geschrittenen Positionen, welche das Pro­letariat vertreten muß;

auf die wachsende Kristallisierung der Kräfte, die für die proletarische Revolution handeln können."(Bilan,Nr.1).

Nur sich selbst und niemand anderen aus Prinzip und a priori als einzige für die Revolution handelnde Kraft anzuer­kennen, zeugt nicht von revolutionärer Standhaftigkeit, sondern von Sektierergeist.

Als Engels die Bedingungen, unter denen die Erste Internationale gegründet wurde, ausführlich beschrieb, schrieb er: "Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Siege, konnten nicht verfeh­len, den Menschen die Unzulänglichkeit ihrer diversen Lieblingsquacksalbereien zum Bewußtsein zu bringen und den Weg zu vollkommener Einsicht in die wirkli­chen Voraussetzungen der Emanzipation der Arbeiterklasse zu bahnen." (MEW,Bd. 21, "Vorrede zum 'Manifest der Kommunis­tischen Partei'", englische Ausgabe von 1888, S. 353).

Die Wirklichkeit hat überhaupt nichts zu tun mit diesem Spiegel, vor dem die bordigistische "Partei" die meiste Zeit verbringt, und der ihr nichts anderes zeigt als ihr eigenes Bild. In der ganzen Geschichte der Arbeiterbewe­gung, d.h. in der Wirklichkeit, zeichne­te sich die Bildung der Parteien durch einen Zusammenschluß mit gleichzeitigem Herausschälen der Kräfte, die für die Revolution handeln können, aus. Andern­falls müßte man schlußfolgern, daß nie­mals eine andere Partei als die bordigis­tische existiert hat. Einige Beispiele: Der Bund der Kommunisten, dem sich Marx und Engels sowie ihre Freunde anschlossen, war der ehemalige Bund der Gerechten, der aus mehreren Gruppen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich, Belgien und Eng­land entstand, wobei sich die Strömung Weitlings aufgelöst hatte. Die Erste Internationale beinhaltete gleichzeitig die Auflösung der Sozialisten ä la Louis Blanc und Mazzini und den Zusammenschluß anderer Strömungen. Die Zweite Internatio­nale bedeutete die Auflösung der Anarchis­ten und den Zusammenschluß der marxisti­schen sozialdemokratischen Parteien. Die Dritte Internationale kam nach der Auf­lösung der Sozialdemokraten und faßte die revolutionären kommunistischen Strö­mungen zusammen. Das Gleiche finden wir wieder mit der Bildung der sozialdemokra­tischen Partei in Deutschland, die aus der Eisenacher und der Lassaller Partei hervorgegangen ist. Das Gleiche trifft für die sozialistische Partei Frankreichs zu, die ihren Ursprung in der Partei Gues­des und Lafargue und in der Jaures hat. Wiederum das Gleiche mit der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Rußland, die aus isolierten über alle Städte und Gebiete Rußlands zerstreuten Gruppen her­vorgegangen war, wobei die Tendenz Stru­ves eliminiert wurde.

Man könnte hier weitere Beispiele aus der Geschichte der Parteigründungen aufführen; man findet immer diese gleiche Bewegung, die sich gleichzeitig durch Auflösung und Zusammenschluß vollzieht. Die kommunistische Partei Italiens selbst konstituierte sich auf der Grundlage der abstentionistischen Fraktion Bordigas und der Gruppe Gramscis nach der Auflö­sung der Maximalisten Seratis.

Es gibt keine gültigen Kriterien, die absolut und gleich für alle Zeiten währen. Es kommt darauf an, in jeder Epo­che klar zu definieren, welche die Krite­rien des Zusammenschlusses der Kräfte, und welche die Kriterien der Abgrenzung sind. Und genau das weiß die bordigisti­sche "Partei"nicht, die sich ohne Kri­terien mittels einer Zusammenwürfelung von Kräften konstituiert hat: der im Norden gegründeten Partei, Gruppen aus dem Süden mit einem Beigeschmack von Par­tisanen, der Tendenz Vercesis im antifa­schistischen Komitee Brüssels, der aus der Fraktion ausgeschlossenen Minderheit, die 1936 an den republikanischen Milizen im Spanienkrieg teilnahm, und schließlich der 1945 vorzeitig aufgelösten Fraktion. Wie man sehen kann, hat das "Kommunisti­sche Programm" allen Grund dazu, von Un­nachgiebigkeit, organischer Kontinuität zu sprechen und Lehren über Standhaftig­keit und revolutionärer Reinheit zu er­teilen. In der Verleumdung eines jeden Versuchs der Konfrontation und der De­batten zwischen revolutionären Gruppen handelt es sich hier keineswegs um Prin­zipienfestigkeit, auch nicht um politi­sche Kurzsichtigkeit, sondern ganz ein­fach um die Sorge für den Schutz und den Wohlerhalt der eigenen, kleinen Kapelle.

Im Übrigen variiert (entschuldigt die Invarianz) diese unheimliche - nur verbale - Unnachgiebigkeit der Bordigis­ten gegen jede "Konfrontation" und um so mehr noch gegen jede Umgruppierung, die von vornherein und ohne jedes Kriterium als ein konfuses Unterfangen abgestempelt wird je nach dem Augenblick und nach dem Geschmack. So haben sie 1949 einen "Auf­ruf zur internationalen Reorganisierung der revolutionären marxistischen Bewe­gung" veröffentlicht, den sie 1952 und 1957 wiederholten, in dem man lesen kann: "In Übereinstimmung mit der marxisti­schen Position...richten heute die Kommu­nisten der Italienischen Linke einen Auf­ruf an die revolutionären Arbeitergruppen aller Länder. Sie fordern sie dazu auf, einen langen und schwierigen Weg zu be­gehen, einen gewaltigen Versuch zu unter­nehmen, um sich auf internationaler Ebe­ne auf einer strengen Klassenbasis zu sammeln."(Programme Communiste, Nr.18/19 der franz. Ausgabe).

Aber es ist unbedingt notwendig, zwischen der bordigistischen Partei und jeder anderen Organisation unterscheiden zu wissen; man würde den schwersten Feh­ler begehen, wenn man glaubte, daß das, was der Partei erlaubt ist,- welch als Einzige ein "vollendetes und unveränder­bares" Programm besitzt - ebenfalls für eine einfache sterbliche Organisation der Revolutionäre zulässig sein dürfte. Die Partei hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt und auch nicht kennen kann. Wenn die Bordigisten zu einer "interna­tionalen Sammlung" aufrufen, dann ist das reines, pures Gold, aber wenn andere revolutionäre Organisationen zu einer ein­fachen Konferenz zur Kontaktaufnahme und Diskussion aufrufen, dann ist das selbst­verständlich die größte Scheiße, "Prin­zipienhandel" und ein konfuses Unterfan­gen...Aber kommt das nicht wirklich daher, daß die Bordigisten sich heute mehr denn je in ihrer Verkalkung verrannt haben und daß sie fürchten, ihre schwankenden Positionen mit den lebendigen, revolu­tionären Strömungen zu konfrontieren, welche existieren und sich entwickeln ? Oder ziehen sie nicht vielmehr vor, sich zu verschließen und zu isolieren ?

Es ist interessant, die in diesem Sammlungsaufruf vorgebrachten Kriterien in Erinnerung zu rufen, die ja auch in dem kürzlich erschienenen Artikel wieder­holt wurden:

  • "Die Internationale Kommunistische Partei schlägt den Genossen aller Länder die fol­genden Prinzipien und Richtlinien vor:
  • 1) Bejahung der Waffen der proletarischen Revolution: Gewalt, Diktatur, Terror;
  • 2) Vollständiger Bruch mit der Tradition der Kriegsbündnisse, den Partisanenfron­ten und den 'nationalen Befreiungen',...
  • 3)Historische Negation des Pazifismus, des Föderalismus zwischen den Staaten und der 'nationalen Verteidigung';

Verurteilung der gemeinsamen Sozial­programme und der politischen Bündnisse mit den nichtlohnabhängigen Klassen;

Ächtung des kapitalistischen Charak­ters der Sozialstruktur Rußlands;("Die Macht - der Staat in Rußland - wird von einer hybriden und komplexen Koalition ausgeübt, welche die internen Interessen der klein- und halbbürgerlichen Klassen, der versteckten Unternehmer und der  internationalen Kapitalistenklasse vertritt': (Schlußfolgerung: Mißbilligung jeder Unterstützung des russischen Militär Im­perialismus, kategorischen Defätismus gegen den Amerika)s."

Wir haben somit die sechs Überschrif­ten der Kapitel genannt, die alle durch Kommentare näher erläutert werden; sie hier wiederzugeben wäre allerdings zu lang. Es handelt sich auch nicht darum, im einzelnen diese Punkte hier zu behan­deln, obgleich ihre Formulierung zu wün­schen übrig lassen, insbesondere was die Frage des Terrors angeht, der als Prinzip und grundsätzliche Waffe der Revolution ausgegeben wird (5) oder weiterhin der subtile Unterschied in der Schlußfolge­rung zwischen der einzunehmenden Haltung gegenüber den USA Defätismus) und gegen­über Rußland (Mißbilligung). Oder noch ein anderer Punkt, nämlich diese seltsa­me (es ist das mindeste, was man sagen kann) Definition der Macht in Rußland, die nicht ganz einfach Staatskapitalismus sei, sondern eine "hybride Koalition der kleinbürgerlichen Klassen... und der in­ternationalen kapitalistischen Interessen". Man könnte ebenso auf die ausdrückliche Abwesenheit anderer Kriterien hinweisen, insbesondere auf die Forderung nach der Anerkennung des proletarischen Charak­ters der Oktoberrevolution oder weiter­hin die Notwendigkeit der Klassenpartei. Uns kommt es hier darauf an zu betonen, daß diese Kriterien in der Tat eine ernst­hafte Grundlage darstellen, wenn auch nicht für eine unmittelbare Sammlung, so doch mindestens für eine Kontaktaufnahme und Diskussion zwischen den bestehenden revo­lutionären Gruppen. Es ist die damals von der Fraktion benutzte Vorgehensweise, die wir auch heute fortsetzen: sie war die Grundlage des internationalen Treffens in Mailand im letzten Jahr. In der Dunkel­kammer ihrer Invarianz aber bräuchen die Bordigisten sowas heute nicht mehr..., weil sie ja schon die Partei konstituiert haben (mikroskopisch, aber immerhin eine Partei).

Doch ist dieser Aufruf damals schon von der IKP unterzeichnet worden, werden sich naive Leser fragen ? Ja,... aber es war damals nur die Internationa­listische Kommunistische Partei und noch nicht die Internationale Kommunistische Partei, - eine Nuance. Aber diese Inter­nationale Kommunistische Partei war Bestandteil der damaligen Internationalis­tischen Kommunistischen Partei, und sie gibt sogar vor, in der Mehrheit gewesen zu sein 1 "Ja aber", wird uns geantwortet, damals war sie dabei, ihre Konstitution zu vollenden, -eine Nuance 1 Aber heute beruft sie sich auf den Auf­ruf als ein Text der heutigen Partei 7

"Ja aber,    aber   aber....".

Da wir gerade bei diesem Punkt sind: kann man ein für allemal erfahren, seit wann diese "tapfere, mikroskopische Par­tei" besteht ? Es ist heute Mode - warum eigentlich? - zu bestätigen, daß die Partei erst im Jahre 1952 konstituiert wurde, und der oben zitierte Artikel be­steht auf diesem Datum.(6) Jedoch zitiert man in dem oben erwähnten Artikel grund­legende Texte aus dem Jahre 1946, eine Plattform stammt aus dem Jahre 1945, an­dere ebenso grundlegende Texte aus den Jahren 1948-49-51. Diese erwähnten Texte, der eine so grundlegend wie der andere, von wem stammen sie genau ? Von einer Partei, von einer Gruppe, von einer Frak­tion, von einem Kern, von einem Embryo ?

In Wirklichkeit konstituierte sich die IKP im Jahre 1943 im Norden Italiens nach dem Sturz Mussolinis. Dann rekonsti­tuierte sie sich ein zweites Mal nach der "Befreiung" des Nordens von der deutschen Besatzung; dies erlaubte den Gruppen, die sich in der Zwischenzeit im Süden gebil­det hatten, sich in die im Norden beste­hende Organisation zu integrieren und zu vereinigen. Um sich in diese Partei zu integrieren, spricht sich die Italieni­sche Fraktion der Linken Kommunisten fast einstimmig für die eigene Auflösung aus. Diese Selbstauflösung und die Konstituie­rungserklärung der Partei rufen in der GCI (Internationalen Kommunistischen Linken) Diskussionen und erbitterte Polemiken her­vor, was in Frankreich zu einer Spaltung in der Französischen Fraktion der Linken Kommunisten führt, von der nur die Min­derheit dieser Politik zustimmt und sich von der Mehrheit trennt. Diese spricht sich gegen die vorschnelle Auflösung der Italienischen Fraktion aus, verurteilt die Proklamation in Italien kategorisch und öffentlich als künstlich und volunta­ristisch; Sie stellt klar den Opportunis­mus heraus, der als politische Basis die­ser neuen Partei gedient hat.(7) Ende 1945 wird der erste Kongreß dieser Par­tei (IKP) abgehalten, der eine politische Plattform veröffentlicht und eine Zentral­direktion der Partei sowie ein interna­tionales Büro ernennt, das aus Vertretern der IKP, der französischen und belgischen Sektion zusammengesetzt ist. Der Artikel des "Kommunistischen Programms" bezieht sich auf "Elemente einer marxistischen Orientierung, unser Text aus dem Jahr 1946". 1948 gibt es von neuem programma­tische Texte der Partei usw. 1951 bricht die erste Krise innerhalb dieser Partei aus, die mit einer Spaltung zwischen 2 IKPs endet, von denen jede beansprucht, die Kontinuität der alten Partei zu sein, worauf "Kommunistisches Programm" nie verzichtet hat.

Heute erfindet man ein neues Datum der Bildung der Bordigistischen Partei. Warum ? Kommt es daher, daß erst im Jahre 1951 "unsere Strömung dieses kritische Bewußtsein hat erreichen können, dank der Kontinuität ihres Kampfes zur Vertei­digung einer wirklich allgemeinen und nicht zufällig linken Linie", so daß sie sich "zum organisierten kritischen Be­wußtsein, zum handelnden militanten Or­ganismus, zur Partei konstituieren konn­te."(Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 15)     Aber wo waren doch die Bordigisten mit Bordiga zwischen 1943/45 und 1951 ? Was wird bei alle dem aus dem Programm, das seit 1848 immer unverändert geblieben ist: war es während dieser Jahre abhanden gekommen und konnten sie damals "dieses kritische Bewußtsein (noch nicht) errei­chen", welches ihnen ermöglichte, 1951 die Partei zu gründen ? Aber waren sie nicht seit 1943/45 als Mitglieder und führende Mitglieder organisiert ? Es ist schwierig, sehr schwierig über solch eine schwerwiegende Frage mit Leuten zu disku­tieren, die alle Begriffe verwechseln, die keine Unterscheidungen treffen können und nicht zwischen dem Augenblick der Schwangerschaft und dem der Geburt un­terscheiden können. Das sind Leute, die nicht wissen, was sie selber sind, und in welchem Stadium sie sich befinden, die sich "Partei" nennen und gleichzeitig die Notwendigkeit der Konstituierung der Partei herausschreien. Wie kann man Leute ernst nehmen, die nach der Angemessenheit des Tages den Zeitpunkt der Geburt 1943, 1945 oder gar 1952 festlegen, oder gar noch an einem weniger bestimmten Datum, in der Zukunft.

Mit dem Datum der Gründung der IKP verhält es sich genauso wie mit der Links-"Fraktion" im Ausland. Entweder beruft man sich darauf oder man verwirft sie, je nachdem, ob es ihnen paßt. Wie immer das auch mit dem Datum sein mag, was die Bildung der Partei angeht, "können (wir) aber auf Anhieb sagen, daß die Erlangung dieses kritischen Bewußtseins nicht von einer aufsteigenden Bewegung getragen wurde, sondern ganz im Gegenteil ihr weit vorausging."(Kommunistisches Programm, Nr.18, 5.15). Hier haben wir also wieder etwas Eindeutiges. Die Konstituierung der Partei wird keineswegs durch eine aufsteigende, wachsende Bewegung im Klassenkampf bestimmt, "sondern sie geht ihr im Gegen­teil weit voraus." Aber warum dann diesen Eifer, gleich hinzufügen, daß es darauf ankomme, "die wahre Partei,...die kompakte und starke Partei aufzubauen, die wir noch nicht sind" ? Im Grunde eine Partei,...die die Partei aufbaut. Mit anderen Worten, eine Partei, die keine ist. Aber warum ist diese Partei, die ein "vollendetes und unveränderbares" Programm besitzt, die ebenso das notwendige kritische und organisatorische Bewußtsein erreicht hat, warum ist sie nicht die "wahre Partei" ? Was fehlt ihr also, um es zu sein ? Sicher ist es keine Frage der Anzahl der Militan­ten, aber indem sie schreibt:"...die Par­tei (befand sich)'im Aufbau', und sie wuß­te, daß sie 'in ihrem Entstehungsprozeß begriffen' und nicht etwa ‚vollendet' war, ... Die Klassenpartei befindet sich immer im ‚Aufbau‘ von ihrer Entstehung bis zu ihrem Verschwinden..."(Kommunistisches Programm, S. 20, Nr.18), betreibt sie nur ein Wortspiel, um besser der erfragten Antwort auszuweichen und gleichzeitig geht sie über die Frage selbst hinweg. Es ist eine Sache zu sagen, daß der Eisprung eine Bedingung einer späteren Geburt ist, es ist allerdings eine andere Sache vorzu­täuschen, daß der Eisprung die eigentliche Geburt darstellt, das eigentliche Entstehen eines Lebewesens. Die geniale Originali­tät des "Kommunistisches Programms" besteht darin zu behaupten, daß beide ein und das­selbe sind. Mit solch einer Scheinargumen­tation kann man alles Mögliche beweisen. Die Notwendigkeit der Entwicklung und der andauernden Verstärkung einer wirklich existierenden Partei beweist nicht, daß sie schon existiert, genauso wenig wie die Notwendigkeit der Entwicklung und des Wachs­tums des Kindes nicht beweist, daß das Ei schon ein Kind ist, sondern nur zeigt, daß unter bestimmten Umständen das Ei ein Kind werden kann. Die dem einen gestellten Pro­bleme unterscheiden sich stark von jenen, die dem anderen gestellt werden.

Diese ganze Spitzfindigkeit der durch den dauernden Aufbau existierenden Partei und des durch die schon existierende Partei dauernden Aufbaus dient dazu, auf Schleichwegen die andere bordigistische Theorie der wirklichen Partei und der for­malen Partei einzuführen. Eine weitere Spitzfindigkeit ist die, nach der die wirk­liche Partei ein reines "historisches"

nicht notwendigerweise in der Realität exis­tierendes Phantom ist, und schließlich die formale Partei, die tatsächlich in der Wirklichkeit existiert, dies aber nicht unbedingt ausdrückt. In der bordigisti­schen Dialektik ist die Bewegung kein Zustand der Materie und somit etwas Mate­rielles, sondern eine metaphysische Kraft, welche die Materie schafft. So wird die Wendung aus dem Kommunistischen Manifest "diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei" in der bordigistischen Vorgehensweise zu "mittels der Konstituierung der Partei wird das Proletariat zu einer Klasse". Das führt zu widersprüchlichen Schlußfolgerun­gen, die gleichzeitig auf die Scholastik hinweisen: entweder bestätigt man entgegen jeder Gewißheit der Partei, daß sie seit ihrem Erscheinen nie zu existieren aufge­hört hat (sagen wir seit Babeuf und seit den Chartisten) oder man geht von der offensichtlichen Tatsache aus, daß die Par­tei während längerer Zeiträume in der Ge­schichte nicht existiert hat, und man ge­langt zu der Schlußfolgerung, daß die Klasse dauernd oder nur zeitweilig verschwunden ist (Vercesi, Camatte). Die einzige Bestän­digkeit des Bordigismus liegt darin, sioh dauernd zwischen beiden Polen in dem Rah­men dieser scholastischen Vorgehensweise hin und herzubewegen.

Um mehr Klarheit zu erzielen, könnte man vielleicht die Frage auf eine andere Art stellen. Die Bordigisten definieren die Partei als eine Doktrin, als ein Pro­gramm und als eine Fähigkeit zur prakti­schen Intervention, als einen Willen zur Handlung. Diese etwas kurzgefaßte Defini­tion der Partei wird heute durch das ande­re Postulat vervollständigt: das Bestehen der Partei hängt nicht ab und muß im Gegen­teil absolut unabhängig sein von einem ge­gebenen Zeitraum. Nun sagt man uns, daß eine der beiden Grundlagen, das Programm und der Willen zur Handlung, auf die sich die Partei stützt, die erste Grundlage - das Programm - seit dem Kommunistischen Manifest 1848 vollendet und unveränderbar ist. Hier stehen wir vor einem offensicht­lichen Widerspruch: das Programm, als Essenz der Partei, ist vollendet, aber die Partei als Umsetzung des Programms befindet sich im unaufhörlichen Aufbau 1 Mehr noch: sie verschwindet sogar ganz und gar. Wie ist das möglich und warum

1852 löst sich der Bund der Kommunis­ten auf und verschwindet. Warum 7 Haben die Gründer des Programms, Marx und Engels, das Programm verloren 7 Man könnte vielleicht gegen sie vorgeben, daß sie den Willen zur Handlung verloren hätten, indem man sich auf die von ihnen vorgenommene Spaltung gegen die Minderheit (Willich-Schapper) des Bundes bezieht und auf ihre Zurückwei­sung des voluntaristischen Aktionismus dieser Minderheit verweist. Aber wäre das nicht ein Wandern von einer Absurdität zu einer anderen, noch größeren Absurdität 7 Was bleibt uns also anders übrig als die Auflösung - ob es den Bordigisten paßt oder nicht - durch eine damals eingetretene tiefgreifende Änderung der Situation zu erklären 7 Engels, der darüber Bescheid weiß, erklärt in diesen Begriffen das Ver­schwinden des Bundes: "Die Niederschlagung der Pariser Juni-Insurrektion von 1848 - dieser ersten großen Schlacht zwischen  Proletariat und Bourgeoisie - drängte die sozialen und politischen Bestrebungen der Ar­beiterklasse Europas zeitweilig wieder in den Hintergrund... Die Arbeiterklasse wurde beschränkt auf einen Kampf um po­litische Ellbogenfreiheit und auf die Position eines äußerlichen linkes Flü­gels der radikalen Bourgeoisie. Wo selbständige proletarische Bewegungen fortführen, Lebenszeichen von sich zu geben, wurden sie erbarmungslos nieder­geschlagen...-Sofort nach dem Urteilsspruch (des Prozesses der Kölner Kommunisten im Oktober 1852) wurde der Bund durch die noch verbliebenen Mitglieder formell aufgelöst."(MEW, Bd. 21, S. 353).

Diese Erklärung scheint unsere Bordi­gisten nicht zu überzeugen. Sie müssen sie im Übrigen vollkommen unnütz finden, denn für sie hat sich die Partei nie wirklich aufgelöst, da sie in der Person von Marx und Engels fortbestand. Um dies zu bejahen, zitieren sie als Stellenangabe einen witzi­gen Einfall aus einem Brief von Marx an En­gels, und wie jedesmal, wenn das ihnen in den Reim paßt, machen sie aus einem Wort, aus einem Satzteil und selbst aus einem witzigen Einfall in einem Brief eine Ab­solutheit, ein unveränderbares und unwan­delbares Prinzip.(8) Was die Existenz der Partei angeht: was war zwischen der Auflö­sung des Bundes der Kommunisten im Jahre 1852 und der Geburt der Internationalen 1864 geschehen ? Gemäß den Bordigisten überhaupt nichts, das Programm blieb unver­änderbar, der Willen zur Handlung war vor­handen, Marx und Engels waren da und die Partei mit ihnen. Nichts, überhaupt nichts Wichtiges schien passiert zu sein. Das scheint aber nicht die Meinung Engels ge­wesen zu sein, der schrieb: "Als die euro­päische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herr­schende Klasse gesammelt hatte, entstand die Internationale Arbeiterassoziation." (MEW,Bd, 21, S.353)

Wenn "Kommunistisches Programm" in sei­nem Artikel schreibt: ",..die revolutionäre marxistische Partei (ist) nicht das Produkt  der unmittelbaren Bewegung, d.h. der Auf­stiegs- und Rückflußphasen..."(S.20), ver­fälscht es entweder aus Unverständnis oder aus Absicht die Debatte, indem dieses klei­ne Wort "Produkt" - im franz. Text unter­strichen - eingeführt wird. Selbstverständ­lich, die Notwendigkeit einer Partei resul­tiert nicht aus besonderen Situationen, son­dern aus der allgemeinen historischen Lage der Klasse (dies lernt man im Grundkurs des Marxismus und das ist kein Grund, sich wegen solcher Sachen eines großen Wissens zu rühmen). Die Kontroverse bezieht sich nicht darauf, sondern ob wirklich die Exis­tenz der Partei an die Schwankungen dem Klassenkampfes gebunden ist oder nicht, ob spezifische Bedingungen noch notwendig sind, damit die Revolutionäre tatsächlich - und nicht nur in Worten - die Rolle er­füllen können, die der Partei auszuüben zukommt. Es reicht nicht aus zu sagen, daß ein Kind ein menschliches Produkt ist, um aus dieser Tatsache schlußzufolgern, daß die notwendigen Lebensbedingungen - Luft zum Atmen, Lebensmittel zur Ernährung, Pflege im Allgemeinen - ihm damit gleich­zeitig gegeben sind und ohne die Erfüllung dieser Bedingungen ist das Kind unwiderruf­lich verloren. Die Partei ist eine wirkungs­volle Intervention, eine treibende Kraft, ein tatsächlicher Einfluß im Klassenkampf und dies ist nur möglich, wenn der Klassen­kampf in einer aufsteigenden Entwicklung verläuft. Darin liegt der Unterschied zwischen der Partei und ihrer wirklichen Existenz gegenüber der Fraktion oder der Gruppe. Das hat die IKP noch nicht ver­standen und will es auch nicht verstehen.

Der Bund der Kommunisten konstituier­te sich mit dem Erstarken des Klassen­kampfes, der die Welle revolutionärer Kämpfe des Jahres 1848 ankündigte; eben­so löst sich derselbe Bund - wie wir ge­rade mit Engels festgestellt haben - mit den Niederlagen und dem Zurückweichen des Klassenkampfes auf. Dies ist keine vorüber­gehende, sondern eine allgemeine Tatsache, welche entlang der ganzen Arbeiterbewegung überprüfbar ist, und nicht anders sein konnte. Die Erste Internationale entstand, als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte." Und wir können uns vollständig den Worten des Berichterstatters des Generalrates auf dem ersten Kongreß der Internationale anschließen, der damals auf die Angriffe der bürgerlichen Presse antwortete: "Nicht die Internationale hat die Streiks der Arbeiter ausgelöst, sondern es sind die Arbeiterstreiks, die der Internationa­le solche Stärke verleihen."

Die Internationale wiederum, wie beim Bund der Kommunisten, überlebte nicht lan­ge die blutige Niederlage der Pariser Kommu­ne und brach kurz darauf zusammen, trotz der Anwesenheit Marxens und Engels und des "vollendeten und unveränderbaren" Programms in ihrer Mitte.

Um das Gegenteil dessen zu beweisen, was wir gerade festgestellt haben, versucht der Artikel vergeblich zurückzugreifen auf "Konkrete Belege... Es gibt sogar Gebiete, wo ausgesprochen heftige Kämpfe stattge­funden haben (so in England und Nordameri­ka), wo...die Partei nicht einmal existiert  hat."("Kommunistisches Programm", S. 20). Hier handelt es sich um ein Argument, das überhaupt nichts beweist, außer die Tatsa­che, daß es keine mechanische Verbindung zwischen den Klassenkämpfen und dem Ent­stehen einer Partei gibt, und daß andere Faktoren bestehen, die dem Prozeß der Kon­stituierung der Partei entgegenwirken; daß im allgemeinen ein Abstand zwischen den objektiven Bedingungen und den subjektiven, zwischen dem Sein und der Bewußtwerdung be­steht. Wenn das Argument Gültigkeit haben soll, dann hätte uns das Gegenteil bewie­sen werden müssen, d.h. Beispiele aufge­zeigt werden müssen, wo die Partei sich außerhalb Zeiträume und Länder mit stei­gendem Klassenkampf des Proletariats ge­gründet hat. Es gibt keine Beispiele. Es sei denn, das einzige Beispiel würde auf­geführt (ganz zu schweigen von der IV. Trotzkistischen Internationale), das Bei­spiel der IKP. Aber es ist eine ganz ande­re Geschichte, nämlich die der Maus, die so groß sein wollte wie der Elefant. Die IKP war niemals eine Partei, außer dem Na­men nach.

Die Beispiele des Bundes der Kommunis­ten und der Ersten Internationale, die Bei­spiele der Geburt der Zweiten Internationa­le und ihr niederträchtiger Tod, und mehr noch die Bildung der III. Internationale und ihr schändliches Ende - sie ist stali­nistisch geworden - lassen uns zu der end- gültigen Überzeugung gelangen, daß die von der Italienischen Fraktion verteidigten Thesen, auf die wir uns auch vollständig berufen, Gültigkeit besitzen. Es handelt sich um die Unmöglichkeit der Bildung der Partei in einer Periode des zurückweichen­den Klassenkampfes.(9) Ganz anders lautet natürlich die Vorstellung des "Kommunisti­schen Programms": die Rekonstituierung der Partei sollte stattfinden, "bevor das Pro­letariat aus dem Abgrund, in dem es hinab­gestürzt war, wiederaufsteigt. Mehr noch: sie muß diesem Wiederaufschwung der prole­tarischen Klassenbewegung notwendigerweise  vorausgehen."(S.17)

Man versteht, daß der Artikel sich mit Nachdruck auf Lenins "Was Tun ?" bezieht, vor allem auf den Teil, der von dem trade­-unionistischen Bewußtsein der Arbeiter­klasse handelt. Denn wenn man genau hin­sieht, ist das die Grundlage der Argumen­tationsweise des Artikels der IKP, nicht mal so sehr die Überschätzung der Rolle der Partei und ihre Tendenz zum Größenwahn, sondern ihm liegt vor allem eine himmel­schreiende Unterschätzung der Fähigkeit der Bewußtwerdung der Klasse zugrunde ; ein tiefes Mißtrauen der Klasse gegenüber, und um alles zu sagen, eine kaum verdeckte Verachtung der Arbeiterklasse und ihrer Fähigkeit, die Welt zu begreifen.

"Und wenn diese Zukunft für uns Materia­listen sicher und unausweichlich ist, so nicht, weil innerhalb der Arbeiterklasse ein 'Reifungsprozeß des Bewußtseins' über ihre historische Mission stattfinden würde. Sie ist unausweichlich, weil die Arbeiter­klasse bevor sie es weiß und ohne daß sie es weiß, durch die objektiven Bedingungen dazu getrieben wird, für den Kommunismus zu kämpfen."(S.21, Nr.18, Kommunistisches Programm). Durch den ganzen Artikel hin­durch findet man diese verachtenden Kom­plimente für die Arbeiterklasse: eine rohe und abgestumpfte Masse, die ohne zu wissen und ohne zu verstehen handelt, die aber glücklicherweise von einer Partei geführt wird, die alles versteht, und die das Ver­ständnis an sich ist. Man gestatte uns dieser erdrückenden Verachtung die Meinung des alternden, aber frischen Engels gegen­überzustellen: "Für den schließlichen Sieg der im 'Manifest' aufgestellten Sätze ver­ließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiter­klasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen mußte."(Vorrede für "das Kommunistische Manifest", vierte deutsche Ausgabe, London, I. Mai 1890).

Jeder Kommentar erübrigt sich. Fahren wir fort. Gemäß der bordigistischen Vorstellung erfordert die Rekonstituierung der Partei - die vollständig von den konkreten Bedin­gungen getrennt ist - die theoretische Rei­fe und den Willen zum Handeln. Weiterhin wird in dem Artikel die folgende Ansicht vertreten, derzufolge die Fraktion "noch nicht die Partei, sondern erst ihr Vorspiel war, so nicht mangels praktischer Arbeit, sondern eher infolge der Unzulänglichkeit ihrer theoretischen Arbeit."(S.25) Das ist eine Ansicht und sie taugt, was sie taugt. Aber was versteht der Artikel gerade unter ausreichender theoretischer Arbeit ? Die Wiederherstellung, die Wieder­aneignung, die Aufrechterhaltung des "voll­endeten und unveränderbaren" Programms ? Vor allem ohne Überprüfung der Positionen der Vergangenheit, ohne Suche nach einer Antwort auf die neuen Probleme. Es ist vor allem diese Arbeit, die der Artikel der Fraktion zum Vorwurf macht, und die er als schwerwiegende Abweichungen betrachtet. Diese Museumskonservatoren, die ihre eige­ne Sterilität zum Ideal erhoben haben, wür­den gern glauben lassen, daß Lenin genau wie sie niemals etwas anderes gemacht hat als die vollendete Theorie Marxens "wieder­herzustellen". Vielleicht könnten sie mal darüber nachdenken , was Lenin zu der Fra­ge der Theorie gesagt hat :

"Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares: wir sind im Gegenteil davon überzeugt, daß sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozia­listen nach allen Richtungen weiterent­wickeln müssen (von Lenin unterstrichen), wenn sie nicht hinter dem Leben zurück­bleiben wollen."(Lenin, "Unser Programm", zweite Hälfte, 1899).

Der Artikel, aus dem dieses Zitat stammt, nennt sich gerade "unser Programm".

Und wie messen unsere Päpste des Marx­ismus den Grad der theoretischen Reife ? Gibt es solche festgelegten Maßstäbe ? Um nicht willkürlich vorzugehen, müssen die Maßstäbe auch nicht genau festgelegt werden, und es gibt keine bessere Art vor­zugehen als die theoretische Reife zu über­prüfen in ihrer Umsetzung in politischen Positionen, die man verteidigt.

Wenn man durch dieses Mittel die Rei­fe messen kann, und wenn dies der Haupt­maßstab für die Bildung der Partei ist, dann können wir ruhig aber mit der ganzen notwendigen Überzeugung sagen, daß die Bordigisten nicht im Jahre 1943, auch nicht 1945 und vor allem nicht 1952 die Partei hätten konstituieren sollen, sondern daß sie besser bis zum Jahre 2000 gewartet hätten. Jeder hätte dabei gewonnen, sie als erste.

Wir können noch nicht sagen, wie sich die kompakte und starke Partei von morgen bilden wird, aber, was heute feststeht, ist daß die IKP es nicht ist. Das Drama des Bordigismus ist, das sein zu wollen, was er nicht ist: die Partei, und das nicht sein zu wollen, was er ist: eine politische Gruppe. So erfüllt die IKP nicht - außer in Worten - die Funktionen der Partei, weil sie sie nicht erfüllen kann, und verwirk­licht auch nicht die Aufgaben einer poli­tischen Gruppe - die in ihren Augen schä­big sind. Wenn man ihre politische Reife nach ihren Positionen mißt und dabei ihre Entwicklung beobachtet, dann sieht es ganz danach aus, daß sie niemals ihr Ziel errei­chen wird, denn bei jedem Schritt vorwärts macht sie gleichzeitig 2 oder 3 Schritte zurück.

M.C.

FUSSNOTEN :

(1): Dieser Artikel ist auch zu finden in deutscher Sprache in "Kommunistisches Programm", Nr.18, Mai 1978.
Soweit die deutsche Übersetzung der IKP mit dem Originaltext übereinstimm­te, haben wir diese Übersetzung ver­wendet. Andernfalls haben wir selbst den Originaltext übersetzt.
(2): Programme Communiste, Nr.76, 5.5. Dieser Satz ist in der deutschen Über­setzung nicht zu finden.
(3) : Bilan, Nr.1, Vorwort, S.3
(4) : idem
(5) : Siehe unseren Artikel "Terror, Terro­rismus und Klassengewalt" in dieser Nummer, in dem dieses Thema ausführ­lich behandelt  wird.
(6) : Der Proletarier (franz. Ausgabe "Le Proléaire" vom 8/21 April 1978, Nr. 264) drückt sich noch deutlicher aus: "...die charakteristischen Thesen aus dem Jahre 1951, die den Geburtsakt und die Zugehörigkeitsgrundlagen dar­stellen."
(7)) : Siehe "L'Etincelle" und "Internatio­nalisme", Veröffentlichungen der linken Kommunisten Frankreichs bis 1952.
(8) : Es ist höchste Zeit, diesem unglaub­lichen Mißbrauch ein Ende zu setzen, den manche mit Zitaten betreiben, in­dem sie mit den Zitaten alles mögli­che ausdrücken wollen. Dies trifft besonders für die Bordigisten zu, hin‑
sichtlich der Vorstellung Marxens von der Partei. Vielleicht ist es nicht unnütz, den folgenden, etwas überra­schenden und rätselhaften Satz aus dem "Kommunistischen Manifest" zu ih­rer Aufmerksamkeit zu bringen, und sie darüber zum Nachdenken anzuregen und zu erklären zu versuchen: "Die Kommunisten sind keine besondere Par­tei gegenüber den anderen Arbeiter­parteien."(Kapitel II, "Proletarier und Kommunisten").
(9) : Es ist übrigens bekannt, daß Bordiga mehr als widerwillig der Erklärung der Konstituierung der Partei gegen­überstand und daß er widerwillig dem ihm gegenüber von allen Seiten ausgeübten Druck nachgegeben hat, um sich ihr anzuschließen. Vercesi sei­nerseits wartete nicht lange, bevor er die Bildung der Partei öffentlich in Frage stellte. Aber wer A sagt, muß auch B sagen. Man kann das Echo dieser Zurückhaltung in dem "Vorent­wurf der Prinzipienerklärung für das Internationale Büro der (neuen) inter­nationalen Kommunistischen Linke" fin­den, den er entworfen hat und in Bel­gien am Ende des Jahres 1946 veröffent­licht hat. Darin kann man lesen: "Der Prozeß der Umwandlung der Frak­tionen in eine Partei wurde von der kommunistischen Linke in seinen großen Linien nach einem Schema festgelegt, das besagt, daß die Partei erst dann in Erscheinung treten kann, wenn die Arbeiter Kampfbewegungen begonnen ha­ben, welche den Rohstoff zur Machtero­berung liefern."(Kommunistisches Pro­gramm, S. 24)
 

 (erschienen in Internationale Revue Nr:3,1978)

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Bordigismus [84]

Theoretische Fragen: 

  • Partei und Fraktion [5]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [6]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/801/internationale-revue-37

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