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Weltrevolution Nr. 135

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Der langsame Weg zum Klassenkrieg

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Im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland hat die herrschende Klasse die von ihr angestrebte "Zeitenwende" durchgesetzt. Demnächst werden die vom Staat ausgebeuteten Arbeiter und Angestellten länger arbeiten müssen, und zwar unentgeltlich. Die ersten bereits unterzeichneten Abschlüsse sind der Beleg dafür. Von einer Arbeitszeitverkürzung, wie in den 1990er Jahren von den Gewerkschaften noch verlangt, ist nirgends mehr die Rede. Auch werden brutale Abstriche bei der Entlohnung und den Zulagen für die Arbeiter und Angestellten immer wahrscheinlicher. Andererseits haben die Bosse im ersten Streik im öffentlichen Dienst seit Anfang der 1990er Jahre ihre Maximalforderungen in Bezug auf die Arbeitszeiten - 40 Stundenwoche im Westen, 42 Stundenwoche im Osten – noch nicht durchgesetzt. Ein "fairer Kompromiss" in Sicht, wie die "Tarifpartner" vielleicht am Ende behaupten werden?

Wohl kaum! In Wahrheit bedeutet die Situation im staatlichen Bereich einen Dammbruch. Auf die ersten Vereinbaren werden ganz schnell weitere Ausdehnungen der Wochenarbeitszeit folgen, zunächst überall dort, wo die Finanznot der öffentlichen Hand besonders groß erscheint. Darüber hinaus wird der Prozess der Privatisierungen bisher öffentlicher Dienste weitergehen, wobei das "Fehlen einer weitergehenden Kompromissbereitschaft" auf Seiten der Arbeiterklasse als politischer Vorwand dienen wird. Mehr noch: Man wird die Verschlechterungen im öffentlichen Dienst ausschlachten, um andere Kernbereiche der Arbeiterklasse, beispielsweise die Metaller - in dieser Frage ebenfalls unter Druck zu setzen.

Die Gewerkschaften haben unablässig großspurig erzählt, wie stark sie sind. Ver.di Chef Bsirske hat damit angegeben, wie gut gefüllt die Streikkassen wären, so dass man drei solche Streiks parallel monatelang hätte durchführen können. Es stimmt schon: Die Gewerkschaften sind stark. Aber diese Stärke stand der Kapitalseite zur Verfügung, nicht der Arbeiterklasse. Gemeinsam haben die "Tarifparteien" dafür gesorgt, dass der Widerstand der staatlich Beschäftigten schwach und uneinheitlich ausfällt.. Beispielsweise haben sie mittels "Ausgliederungen" und tariflicher Neuregelungen dafür gesorgt, dass die bisherige Speerspitze aller Klassenkämpfe im öffentlichen Dienst - die öffentlichen Verkehrsbetriebe - ausgeklammert wurden. So müssen das Krankenpflegepersonal, die Betreuer von Kindertagesstätten oder die Mitarbeiter der Müllwirtschaft allein auf weiter Flur kämpfen. Eben die Bereiche, welche nicht einfach drauf losstreiken können, weil sie Wohl und Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung mit berücksichtigen müssen.

Angesichts der offensichtlichen Harmlosigkeit der gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen der letzten Wochen waren viele Kommentatoren - aber auch die beteiligten Verhandlungsführer - erstaunt darüber, dass am Anfang der sechsten Streikwoche die einheitliche Streikfront der "Arbeitgeber" plötzlich bröckelte. Auf einmal begannen die Vertreter der SPD bei den Ländern und Kommunen auszuscheren und eine "Kompromisslösung" bzw. den Einsatz von Schlichtern zu fordern. Bekommen die Vertreter der Länder und Kommunen am Ende doch Angst vor dem von Ver.di angedrohten monatelangen Streik? Wohl kaum! Bis dahin hieß es von Seiten der Bosse immerzu: Nur weiter so! Der Streik schränkt keine einzige wirtschaftlich wichtige Tätigkeit des Staates ernsthaft ein, sondern spart der öffentlichen Hand vielmehr Geld!

Was die Bosse dazu bewegen könnte, sich mit dem Einstieg in die amtliche Verlängerung der Wochenarbeitszeit zufrieden zu geben, anstatt auf die Erfüllung ihrer Maximalforderung zu pochen, wäre nicht die Angst vor den Gewerkschaften. Es wäre umgekehrt die Angst vor einer politischen Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse bzw. vor einer zu großen Diskreditierung der Gewerkschaften in den Augen der Arbeiter. Denn in der jetzt einsetzenden Phase der verschärften Klassenauseinandersetzungen braucht das Kapital starke Gewerkschaften, um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und ihre Kämpfe von innen heraus zu sabotieren.

Eine neue Qualität der Angriffe

Zum Auftakt des Streiks im öffentlichen Dienst Anfang Februar 2006 in Deutschland behandelten die Medien die Sache wie das übliche Ritual der Tarifverhandlungen, wo die unternehmerischen und gewerkschaftlichen Tarifpartner nach anfänglich auseinanderklaffenden, aber vermutlich abgesprochenen Angeboten sich nach kurzem Geplänkel irgendwo in der Mitte treffen. Dieser Eindruck täuschte. Vielmehr bildet diese Tarifrunde einen Meilenstein in der geschichtlichen Entwicklung. Der Konflikt bringt die neue Stufe der Krise des Kapitalismus und der Verschärfung der Spannungen zwischen den Klassen dramatisch zum Ausdruck. Dies nicht aufgrund einer besonderen Militanz der Streikenden: Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes befinden sich augenblicklich stark in die Defensive gedrängt. Durch die Offensive des Staates stark unter Druck geraten, und von den Gewerkschaften ohnmächtig gehalten, gelingt es den Beschäftigten im "Staatsdienst" noch nicht, die eigene Kampfkraft eigenständig zu entfalten.

Es ist die Brutalität dieser Offensive der Bosse, welche die neue Stufe anzeigt. Diese Brutalität äußert sich auf der Ebene der Angriffe selbst. Nicht nur dass Reallohnkürzungen sowie die Streichung von Zulagen wie des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes durchgesetzt werden sollen. Neu und bedeutsam ist die Durchsetzung der Verlängerung der offiziellen Wochenarbeitszeit. Aufgrund der Auseinandersetzung um diesen Punkt wird der Streik im öffentlichen Dienst in Deutschland auch international von den Medien so aufmerksam verfolgt. Insbesondere in Frankreich möchte die Bourgeoisie mit dem Hinweis auf eine Trendwende in Deutschland auch die eigene Arbeiterklasse zusätzlich unter Druck setzen.

Die Brutalität der Offensive des Kapitals äußert sich nicht allein in der Radikalität der gestellten Forderungen, sondern nicht weniger in ihrem arroganten und ultimativen Auftreten. Die Bosse präsentieren ein Diktat und erklären öffentlich, dass es ihnen völlig gleichgültig wäre, ob es diesbezüglich zu einer Einigung käme oder nicht, ob ein Tarifvertrag zustande käme oder nicht. Die Arbeiterklasse habe sich diesem Diktat zu beugen, wird seit Wochen beteuert, ob sie damit einverstanden wäre oder nicht. Die Kapitalisten demonstrieren nicht nur ihre Macht, sie prahlen damit. Nicht die Brutalität der Herrschenden als solche ist neu, sondern die zur Schaustellung dieser Eigenschaft durch den Staat in einem Land, das sich einst gerne als "Sozialstaat" und als Modell der "Sozialpartnerschaft" feiern ließ.

Beispiel. Allein die Kommunen (Städte und Gemeinden) haben in den letzten zehn Jahren 680.000 Stellen eliminiert. Viele dieser Arbeitsplätze sind ersatzlos gestrichen worden im Rahmen von Kürzungen öffentlicher Dienstleistungen zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung. Andere wurden nicht liquidiert, sondern privatisiert. Aufgrund der "Ausgliederung" ganzer Betriebsteile, die in eigene Teilgesellschaften verwandelt wurden, gilt heute bereits ein Drittel der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst als "atypisch beschäftigt". Das bedeutet, dass ihr Grundlohn um ein Drittel niedriger liegt, dass sie keine Zulagen mehr erhalten. Eine betriebliche Altersversorgung gibt es für sie auch nicht mehr. Und sie erhalten bestenfalls Zweijahresverträge, so dass jegliche Lebensplanung unmöglich wird.

Dieses "Outsourcing" wurde in den letzten Jahren zwischen Staat und Gewerkschaften vereinbart und in aller Stille durchgeführt. Jetzt aber, wo im öffentlichen Dienst gestreikt wird, kommt das alles auf den Tisch. Das Vorhandensein der "Atypischen" (die immer mehr das Typische werden) wird nicht mehr schamhaft verschwiegen, sondern voll ausgenutzt. Es wird ausgenutzt, um diejenigen, die noch feste Verträge haben, wirtschaftlich zu erpressen: Wenn sie nicht ebenso wohlfeil für das Kapital werden, wird man sie einfach durch private Dienste ersetzen. Es wird ausgenutzt, um diese Kernbereiche der Arbeiterklasse moralisch zu erpressen. Man wirft ihnen vor, "Privilegierte" zu sein, welche sich gegenüber den "Unterprivilegierten" entsolidarisieren würden!

Es wird öffentlich darüber philosophiert, dass diejenigen, die noch festen Verträge haben, eine "aussterbende Spezies" bilden, welche man sich nicht mehr leisten kann. Sie werden sich selbst abschaffen, erklärt man, indem sie Bedingungen verteidigen, welche der Arbeitsmarkt nicht mehr her gibt.

Als in Stuttgart die Müllwirtschaft bestreikt wurde, wartete die Stadtverwaltung bis 10.000 Tonnen Müll sich auf den Straßen aufgetürmt hatten, um dann Privatdienste mit der Entsorgung zu beauftragen. Als dieser Coup dann doch misslang - auch die Müllverbrennungsanlagen wurden bestreikt, so dass der Dreck zwischengelagert werden musste - rächten sich die Staatskapitalisten, indem sie sich darüber ausließen, welche Teile der Abfallwirtschaft sie als nächstes privatisieren wollen...

Die SPD sorgt sich um den "sozialen Frieden"

Bemerkenswert an diesem Streik ist aber nicht nur die brutale Arroganz, womit er von Seiten des Kapitals geführt wurde. Nicht weniger bemerkenswert ist die Art und Weise, wie er plötzlich von einigen Kräften der Bourgeoisie unter Beschwörung der guten alten "Kompromissbereitschaft" zu Ende gebracht werden soll. Der Verhandlungsführer der Länder - der niedersächsische Finanzminister Möllring (CDU) - verstand die Welt nicht mehr, als am Anfang der sechsten Streikwoche urplötzlich die SPD (immerhin Koalitionspartner der Christdemokraten in Berlin) aus der "Solidargemeinschaft" der Länder und Kommunen auszuscheren drohte. Und während der tüchtige Möllring sich ausrechnete, dass er immer noch im Namen einer Mehrheit von 10 zu 4 der beteiligten Länder verhandele und das Querschießen der Sozialdemokraten ruhig ignorieren könne, wurde er schon fast begraben unter einer Lawine von Vernunftappellen und Forderungen nach Streitschlichtern. Was war geschehen?

In den Medien wird behauptet, die Sozialdemokratie habe ihre Haltung aufgrund der drei bevorstehenden Landtagswahlen geändert. Das ist mehr als unwahrscheinlich. Die gesamte Geschichte des modernen Klassenkampfes im Kapitalismus lehrt uns, dass die Ausbeuter, ihrer Konkurrenz untereinander zum Trotz, immer zusammenhalten, wenn es gegen die Ausgebeuteten, gegen die Arbeiterklasse geht. Die Haltung der SPD entspringt vielmehr einer strategischen Einschätzung der politischen Lage des Klassenkampfes. Die brutale Zurschaustellung der Macht der herrschenden Klasse während des Streiks dient den Interessen des Kapitals insofern, als dies die Arbeiterklasse einschüchtert und ein Gefühl der Ohnmacht vermittelt. Diese Machtdemonstration ist nicht zuletzt ein Produkt des materiellen Vorteils, welchen das Kapital dank der Massenarbeitslosigkeit auf Kosten der Arbeiterklasse hinzugewinnt. Wenn viele Arbeiter einem Arbeitgeber nachlaufen müssen, wenn auch die Ware Arbeitskraft im Überfluss produziert wird, können die Kapitalisten die Löhne gnadenlos drücken. Wir sehen hier die Bestätigung der marxistischen Lehre, derzufolge die Arbeitslosigkeit kein Betriebsunfall des Kapitalismus ist, sondern eine seiner Lebensbedingungen. Sie ist die Kette, welche die Proletarier an das Kapital schmiedet, die Geißel, welche die absolute Verelendung der gesamten Klasse bewirkt.

Dieser immer größer werdende materielle Vorteil für die Kapitalisten aufgrund der Arbeitslosigkeit ist in den heutigen Ausmaßen ein Produkt der Krise, ist Ausdruck des geschichtlichen Bankrotts. Als solcher darf er nicht verwechselt werden mit dem politischen Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen im Kapitalismus. Dieses politische Kräfteverhältnis hat die Sozialdemokratie im Blick, wenn sie nunmehr das Kapital öffentlich wirksam ermahnt, sich mit einem Teilsieg und mit einer Trendwende zufrieden zu geben, anstatt auf der Erfüllung aller Forderungen des Staates zu beharren. Mit einem Wort: Das Kapital muss das Proletariat zwar seine Macht spüren lassen, darf dabei aber nicht die eigenen Ideologien des Klassenzusammenhaltes und des Sozialstaates zu sehr schädigen.

Denn was enthüllt die jetzige Offensive des Kapitals, wenn nicht, dass "Vater Staat" nicht der Beschützer der "Sozialschwachen" und auch nicht eine neutrale und vermittelnde Instanz ist, sondern die Speerspitze und der Organisator der Kapitalistenmeute! Was zeigt uns die Wirkungslosigkeit der Streikmaßnahmen der Gewerkschaften, wenn nicht die Nutzlosigkeit der gewerkschaftlichen Methoden für die Arbeiterklasse, aber ihre Nützlichkeit für das Kapital? Kein Wunder also, wenn die SPD diesen Streik, diese Niederlage des Proletariats, ausklingen lassen wollte unter allerlei Beschwörungen über neutrale Schlichter, faire Kompromisse und Gewerkschaften, welche gut durchgehalten und immerhin etwas für ihre Mitglieder herausgeholt hätten. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Sozialdemokratie sich nicht erst am Ende der 5.Streikwoche zu dieser Sichtweise durchrang, sondern absichtlich die ahnungslosen Scharfmacher in der Verhandlungskommission der Länder und Kommunen gewähren ließ, während sie sich mit ihren Freunden bei Ver.di von vorn herein auf die Art der Beendigung des Streiks verständigen wollten. Dies soll so vonstatten gehen, dass die Arbeiterklasse möglichst wenig klare politische Lehren daraus ziehen kann. Eine Möglichkeit wäre, dass es in vielen Ländern und Kommunen zu gar keinem Abschluss kommt, so dass die Gewerkschaften ihre Hände in Unschuld waschen könnten und dazu noch eine „Rückkehr zur Sozialpartnerschaft" auf ihre Fahne schreiben könnten. Die SPD, die erfahrenste Partei der deutschen und europäischen Bourgeoisie in der Bekämpfung des Proletariats, sah ihre Aufgabe darin, nicht nur die Forderungen des Staates durchzusetzen, sondern damit auch das Ansehen der Gewerkschaften, ja des bürgerlichen Staates insgesamt in den Augen der Arbeiter möglichst wenig zu diskreditieren. Die Ausbeuter wollen nicht, dass immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen sich den Gedankengang zu eigen machen, welchen ein Arbeiter der AEG in Nürnberg nach Bekanntgabe der endgültigen Schließung des Werks gegenüber dem Zweiten Deutschen Fernsehen äußerte: "Wenn das so weiter geht, wird es in einem sozialen Krieg enden." (20.03.06)

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [1]

Geographisch: 

  • Deutschland [2]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [3]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [4]

Diskussion in Hamburg

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Betrachtungen über das selbständig werdende revolutionäre Subjekt

Bei uns ist ein Diskussionsbeitrag aus Hamburg eingegangen. Dort wird - offenbar auf sehr hohem Niveau - über das revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse debattiert. Da dieser Beitrag sehr lang ist, können wir ihn nicht in unserer Presse vollständig abdrucken. Wir veröffentlichen ihn  in voller Länge auf unserer Webseite und verweisen unsere Leser darauf. Der Text ist auch nicht unbedingt leicht zu lesen. Denn er ist sehr anspruchsvoll und befasst sich mit einer sehr schwierigen Materie. Dennoch lohnt es unbedingt, sich die Mühe zu machen, sich damit zu befassen. Uns bietet der Text außerdem die Gelegenheit, auf nicht alltägliche Fragen einzugehen. Damit der Leser die Argumentationen des Textes verfolgen kann und einen Gesamteindruck von dessen hoher Qualität bekommt, zitieren wir ausgiebig daraus. Allerdings können wir aus Platzgründen auch unsere Antwort nur auszugsweise hier bringen. Unsere vollständige Besprechung des Hamburger Textes befindet sich ebenfalls auf unserer Webseite.

Das Proletariat ist nicht die Summe der Proletarier

Nachdem der Text zurecht die Bedeutung der Kritik der politischen Ökonomie und der Permanenz des Klassenkampfes unterstrichen hat, wird festgestellt: “Die Unterscheidung zwischen der Klasse an sich und der Klasse für sich ist daher zwar nützlich, jedoch vor allem künstlich. Im Alltäglichen der Klassengesellschaft ist Mensch - als Individuum und im Kollektiv - zu jeder Zeit und am jedem Ort zugleich Subjekt und Objekt.”

Was hat diese einst in einer Formulierung von Marx gemachte Unterscheidung zwischen “Klasse an sich” und “Klasse für sich” zu bedeuten? Sie wird jedenfalls oft benutzt, um zu unterscheiden zwischen einem gewerkschaftlichen und einem revolutionären Bewusstsein des Proletariats. Diese Unterscheidung, einst von Kautsky und von Lenin in seinem Buch “Was Tun?” gemacht, war schon damals, am Ende des 19. Jahrhunderts falsch. Es gibt nicht zwei verschiedene Arten  proletarischen Klassenbewusstseins. Um so gefährlicher wären die Auswirkungen einer solchen Konfusion heute, wo die Gewerkschaften längst zu Instrumenten des bürgerlichen Staates geworden sind. Es würde bedeuten, dass die “niedrigere Form” des Klassenbewusstseins ein “bürgerliches Arbeiterbewusstsein” wäre und, im Umkehrschluss, dass die Gewerkschaften – obwohl nicht revolutionär - Ausdruck des Proletariats sind. 

So hat der Text aus Hamburg durchaus recht, eine sehr vorsichtige Haltung gegenüber dieser Unterscheidung einzunehmen, die er als “künstlich” bezeichnet.

Wir, unsererseits, sind davon überzeugt, dass die Formulierung bei Marx sich v.a. auf die Unterscheidung zwischen  dem Proletariat als Klasse und dem  einzelnen Arbeiter bezieht. Letzterer tritt auf dem Arbeitsmarkt als Konkurrent auf. Mitunter, von seiner Klasse abgespalten, wie an der Wahlurne, erscheint er als Staatsbürger, scheinbar ohne Klasse. Aber wie Marx anmerkte,  kommt es im Klassenkampf nicht darauf an, was der einzelne Arbeiter denkt, oder was die Summe aller Arbeiter sich denken und wünschen, sondern  darauf, was das Proletariat als Klasse tun muss. Dem Text ist beizupflichten, wenn er erklärt, dass die Arbeiterklasse nicht nur im offenen Kampf existiert, sondern auch wenn sie der täglichen gesellschaftlichen Lohnarbeit nachgeht - in ihrer  täglichen Solidarität lebend. Richtig ist auch, dass es neben dem offenen auch einen “versteckten” Klassenkampf gibt (man könnte dazu auch “unterirdischen” sagen).

Der Kampf gegen die Ausbeutung

“Während die Bourgeoisie auf der einen Seite den Kampf mit dem Interesse der (optimalen) Verwertung der Arbeit führt, führt ihn das Proletariat auf der anderen Seite in der Tendenz gegen die Arbeit selbst.”

Uns scheint hier der Gedanke richtig zu sein, die Formulierung aber unklar. Wogegen das Proletariat nicht zum geringsten Teil kämpft, ist gegen die Ausdehnung der Mehrarbeit. Das Besondere an der kapitalistischen Ausbeutung ist, dass die Mehrarbeit nicht mehr sichtbar wird. Während die Leibeigenen des Mittelalters entweder einen Teil des eigenen Produkts abgaben, oder zeitweise auf dem Feld des Herrn zu schuften gezwungen wurden, kann der moderne Proletarier nicht erkennen, ab wann er nicht mehr arbeitet, um das Äquivalent für die   Lebensmittel, die er für sich braucht, zu erarbeiten, sondern Mehrarbeit für seine Ausbeuter leistet. Somit nimmt der proletarische Kampf gegen die Ausdehnung dieser Mehrarbeit unterschiedliche Formen an, wie den Lohnkampf und den Kampf gegen die Verlängerung des Arbeitstages  oder die Intensivierung der  Arbeit. Dabei richtet sich dieser Kampf jedoch nicht gegen die Arbeit als solche, sondern gegen die Ausbeutung. Es ist sogar das “Schicksal” des Proletariats im Kapitalismus, nicht nur arbeiten zu müssen, sondern auch Mehrarbeit leisten zu müssen, solange es durch das System der Lohnarbeit vom Besitz der Produktionsmittel getrennt bleibt. Die Parole des “Kampfes gegen die Arbeit” schmeißt diesen Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung in einen Topf mit dem am ehesten von Bourgeois zu realisierenden Wunschtraum, nicht mehr arbeiten zu müssen. Das Ziel des Proletariats ist nicht die Abschaffung der Arbeit, sondern die Befreiung der Arbeit von der Ausbeutung. Ansonsten verliert der Kampf gegen den Kapitalismus seine klassenspezifische Grundlage.

Der Text hat gerade recht, wenn er behauptet, dass der Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat im Kapitalismus zentral ist. “Die Daseinsweise des Kapitals ist somit auch in dieser Hinsicht notwendig die eigene Krise”.

Ebenso richtig ist der darauf folgende Satz: “Klassenkampf ist, bewusst oder unbewusst, kollektiv.” Der Text hat aber Schwierigkeiten, wenn es darum geht, diese Kollektivität einerseits, und die kapitalistische - auch den Arbeitern aufgezwungene - Konkurrenz andererseits, als Gegensätze aufzufassen. “In Zeiten, in denen die Klasse sich, bewusst oder unbewusst, im Verteilungskampf formiert, formiert sie sich zunächst als Fraktion in Konkurrenz zu anderen Fraktionen. Im Kampf um Arbeitsplatzerhaltung, also Besitzstandswahrung oder Standortpolitik, also Regionalismus oder Nationalismus usw. Für das Gesamtproletariat geht jeder dieser Kämpfe verloren und wirft die Individuen in die Vereinzelung zurück. Erst wenn sich der permanente Kampf gegen die kapitalistische Verwertung der Arbeit, vom Verteilungskampf zum Kampf gegen das Kapital als solchen umwandelt, wenn der Kampf des Proletariats sich gegen die Existenz von Klassen überhaupt richtet, also auch gegen sich selbst als Klasse, findet eine revolutionäre Aufhebung des Widerspruchs zwischen Klasse an sich und Klasse für sich statt.”

Im Gegensatz dazu sind wir der Auffassung, dass der proletarische Klassenkampf sich immer gegen das Kapital richtet (zunächst typischerweise gegen den oder die “eigenen” Kapitalisten) und nicht gegen andere Fraktionen der Arbeiterklasse - sonst ist es kein proletarischer Klassenkampf. Wenn die Arbeiter sich gegen andere Arbeiter richten, so ist das Ausdruck der Konkurrenz unter den Arbeitern. Oder die Arbeiter lassen sich mobilisieren für einen bürgerlichen Fraktionskampf, dessen dramatischste Form der imperialistische Krieg ist. Die Bourgeoisie versucht  immer wieder  die Arbeiter im Kampf zu spalten, sie zu einem Schulterschluss mit den eigenen Ausbeutern gegen andere Fraktionen des Kapitals zu bewegen. Gelingt dies, so haben die Arbeiter den Boden ihres eigenen Kampfes verlassen. Es gibt nicht zwei verschiedene Arten von Bewusstsein in  der Arbeiterklasse. Was es aber gibt, ist das Eindringen fremder Klassenideologie in die Reihen des Proletariats.

Besser als der Ausdruck “Verteilungskämpfe” (welchen die Gewerkschaften gerne gebrauchen) erscheint uns die Formulierung “Verteidigungskämpfe”. Somit erscheint der Übergang von der Defensive zum offensiven, revolutionären Kampf zwar als ein qualitativer Schritt, nicht aber als eine klassenmäßig andersgeartete Form des Kampfes, oder “die Lösung des Widerspruchs zwischen Klasse an sich und Klasse für sich”. Auch der Verteidigungskampf richtet sich gegen die Ausbeutung. So gesehen ist der revolutionäre Ansturm der Abwehrkampf der Klasse bis zur letzten Konsequenz geführt.

Sehr richtig wird herausgestellt, dass die Entwicklung des Arbeiterkampfes von objektiven und von subjektiven Faktoren abhängt:

“Der Erfolg im Kampf für die organisierte Selbstaufhebung des Proletariats und damit das Zusammenfallen von revolutionärer Theorie und gesellschaftlicher Praxis, ist wiederum von den objektiven Bedingungen innerhalb des Kapitalismus abhängig. Dem Stand der Produktivkräfte. Und von den subjektiven Bedingungen, d.h. einerseits, von der Fähigkeit bzw. Unfähigkeit der Bourgeoisie die permanente Krise des Kapitals im Griff zu behalten, und andererseits von der Fähigkeit des Proletariats seine Kämpfe auszudehnen und zu vertiefen.” Was die objektiven Bedingungen betrifft, würden wir hinzufügen, dass die wesentliche Frage, ob die proletarische Weltrevolution bereits auf der Tagesordnung der Geschichte steht oder nicht, in erster Linie davon abhängt, ob und in wiefern die Produktionsverhältnisse bzw. die Eigentumsverhältnisse bereits die Entfaltung der Produktivkräfte fesseln.

Objektive und subjektive Faktoren

Sehr wichtig ist der Hinweis des Textes, dass die subjektiven Faktoren nicht nur den Stand des Klassenbewusstseins des Proletariats einschließen, sondern ebenso die Fähigkeit der Bourgeoisie, ihre Klassenherrschaft wirkungsvoll zu verteidigen. In Bezug auf das Proletariat fügt der Beitrag aus Hamburg hinzu: “Wobei die quantitative Entwicklung des Klassenkampfes (seine Ausdehnung) seine mögliche qualitative Entwicklung (die Vertiefung des Bewusstseins) in sich trägt. Einfach dadurch, dass durch die Ansammlung von kämpfenden Individuen zugleich eine Ansammlung von Erfahrungen und Wissen, sowie deren intersubjektiver, die Subjekte verändernder Austausch stattfindet.” Diese Unterscheidung zwischen Ausdehnung und Tiefe des Bewusstseins ist sehr wichtig. Denn erst wenn wir diese Unterscheidung vornehmen, können wir begreifen, wie das Klassenbewusstsein - insbesondere durch theoretische Arbeit - vertieft werden kann, selbst in Phasen des Rückflusses im Klassenkampf. Dass der kollektive Kampf der Massen dennoch zur Bewusstseinsentwicklung ungeheu-erlich viel beiträgt, steht außer Frage, ebenso wie der Hinweis, dass dieser Kampf die Subjekte verändert. Unglücklich finden wir aber die Formulierung, wonach dieser gemeinsame Kampf eine “Ansammlung” von kämpfenden Individuen und Erfahrungen hervorbringt, die sich dann “austauschen”. Der kollektive Kampf ist weitaus mehr als nur eine Ansammlung von dessen Bestandteilen. Er ist mehr als das. Gerade  das Kollektive bringt das Wesen des Proletariats zum Ausdruck, entfesselt Kräfte und macht Einsichten möglich, von denen der Einzelne keine Ahnung hat.

Arbeiterbewegung und Bewegung der Arbeiter

“Während die revolutionäre Theorie  unter der Bewegung der Arbeiter den - teils gewöhnlichen, teils spektakulären - Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus als Verteilungskampf mit der immanenten Möglichkeit sich in einen Kampf gegen die Klassengesellschaft zu wandeln, versteht, bezeichnet die Arbeiterbewegung die aus den Klassenkämpfen hervortretende politische Bewegung. Diese beiden Elemente, die sich geschichtlich teils ergänzt, teils widersprochen haben, bilden die Grundlage der revolutionären Klassenanalyse.”

Diese Unterscheidung scheint uns durchaus legitim, sollte aber ergänzt werden. Engels spricht von drei Dimensionen des proletarischen Kampfes, wobei er der ökonomischen und der politischen Dimension  eine dritte Dimension zufügt, die theoretische. Diese theoretische Dimension ist auch deshalb wichtig, weil sie deutlich macht, dass die beiden anderen Dimensionen nicht starr voneinander getrennt sind. Im 19. Jahrhundert waren die Gewerkschaften die klassischen “ökonomischen” Organisationen des Proletariats, die Arbeiterparteien seine politischen Organisationen. Jedoch wurde von beiden verlangt, “Schulen des Kommunismus” zu sein - sie sollten Orte sein, in denen theoretische Arbeit geleistet wurde. Unter den Bedingungen des dekadenten Kapitalismus werden sowohl die Gewerkschaften als auch die sozialistischen Massenparteien in den bürgerlichen Staat integriert. Die direkt im Kampf entstehenden Organe der Selbstorganisation des Proletariats - die Keimzellen der Räte - sprengen die bisherige Teilung zwischen politischem und wirtschaftlichem Kampf. Und sowohl die Massenkämpfe als auch die revolutionären Minderheiten sind an der Theoriebildung beteiligt.

Der Text übernimmt die Sichtweise von Canne-Meijer und anderen Rätekommunisten der 1930er Jahre, der zufolge die Revolutionäre “der bis dahin existierenden Arbeiterbewegung den Rücken” kehrten (der Hamburger Text), da “die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat. Sie kann nicht neu hergestellt werden.” (Canne-Meijer, im Hamburger Text zitiert). Was hier fehlt, ist der Hinweis, dass die ehemaligen Arbeiterorganisationen zwar als Ausdrücke des Proletariats “ihr Ende gefunden” haben, aber als Organe des Kapitals munter weiterleben. So kommt es, dass der Text den mangelnden Einfluss der Linken des Kapitals auf die Arbeiterklasse von heute bedauert. “Heute stehen wir vor der bedrückenden Tatsache, dass die einflussreichsten ideologischen Strömungen der (alten) Arbeiterbewegung, die Sozialdemokratie und deren verlorene Kinder, die Leninisten, nach dem Fall der Mauer ihren Einfluss auf die Bewegung der Arbeiter immer mehr preisgeben müssen.” Sozialdemokratie, Stalinismus, Trotzkismus stellen keine überholte, gewissermaßen altmodische Arbeiterbewegung dar, sondern den linken Flügel des Kapitals.

Gegen Ende schreibt der Beitrag aus Hamburg: “Es wird deutlich, dass die Bewegung der Arbeiter, die politische Arbeiterbewegung und die revolutionären Minderheiten (als Träger der revolutionären Theorie) stets in einer widersprüchlichen Abhängigkeit zueinander existieren, und dass sie nur in bestimmten, revolutionären Situationen eine Einheit bilden können.”

Wir aber meinen, dass es im niedergehenden Kapitalismus zwar weiterhin drei Dimensionen des proletarischen Kampfes gibt (wirtschaftlich, politisch, theoretisch), aber nicht mehr die herkömmliche Dreiteilung zwischen der Bewegung der Arbeiter, der Arbeiterbewegung und den revolutionären Minderheiten. Sondern es gibt die revolutionären Massenorganisationen der gesamten Klasse, die direkt im Kampf entstehen, sowie die politischen Organisationen der revolutionären Minderheiten. Und jeder Versuch, permanente Massenorganisationen der Klasse zu gründen außer in revolutionären Zeiten oder wiederzubeleben, kann nur dazu führen, das Waffenarsenal des Staates gegen das Proletariat zu stärken. (10.03.06)

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Außerhalb der Kommunistischen Linken [5]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [6]

Diskussionsveranstaltung der IKS in Zürich: Die Verantwortung der Revolutionäre

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Über Landes- und Sprachgrenzen hinweg gibt es in letzter Zeit Fragen, die an verschiedenen Orten der Welt gleich lautend auftauchen und diskutiert werden: Wie entsteht das Bewusstsein in der Arbeiterklasse? Welche Rolle spielen die Revolutionäre in der Klasse? Braucht es eine Partei? Welche Aufgaben übernehmen die Arbeiterräte? - Diese und ähnliche weitere Fragen diskutierten in den letzten Monaten politisierte Leute beispielsweise in Brasilien und Südkorea, in vielen Städten Europas. Es gibt sicher viele solche Diskussionen, über welche die IKS gar nichts erfahren hat. Bei gewissen Treffen waren wir aber dabei oder haben sie sogar organisiert. In Zürich beispielsweise, wo das Thema der Rolle der Revolutionäre bei verschiedenen Gelegenheiten bereits diskutiert worden ist, hat die IKS im Februar 2006 eine öffentliche Veranstaltung zu diesem Thema durchgeführt.

Wir möchten hier auf einige Fragen eingehen, die uns in der heutigen Zeit besonders brennend erscheinen. Ein Teil dieser Fragen wurde an der öffentlichen Veranstaltung im Februar diskutiert, ein anderer Teil tauchte in weiteren Debatten auf, die gegenwärtig an Treffen von interessierten Leuten oder im Internet geführt werden.

Die besondere Rolle der Revolutionäre

“Wieso braucht die Arbeiterklasse eine politische Organisation? Treffen abhalten, Flugblätter schreiben und verteilen usw. - das kann man auch ohne.” – So ungefähr warf ein Teilnehmer diese Frage an einem Diskussionstreffen der IKS in Frankreich auf[1] [7]. Ähnlich argumentierten aber auch schon Genossen in politischen Diskussionen in Zürich: Die Klasse müsse sich und ihre Kämpfe selber organisieren; eine besondere Organisation der Revolutionäre (oder gar eine Partei) brauche es nicht, die Klasse schaffe sich selbst die Mittel, die sie für den Kampf braucht.

Wie meistens in Diskussionen mit Genossen, die ehrlich um Klärung bemüht sind, kommt in diesem Argument ein berechtigtes Anliegen zum Ausdruck. In der Tat ist es die Arbeiterklasse, die den Kampf um ihre  Befreiung selbst und nicht nur dies, sondern der Menschheit überhaupt aufnehmen muss. Sie darf sich diese Initiative nicht aus den Händen nehmen lassen – und zwar von niemandem. Die Arbeiterklasse hat aber auch bewiesen, dass sie fähig ist, die Organe ihres Kampfes zuerst der Verteidigung und dann für den Umsturz der herrschenden Verhältnisse - die Vollversammlungen in den Betrieben, Streikkomitees und Arbeiterräte - spontan im Kampf zu schaffen und weiter zu entwickeln. Diese richtigen Feststellungen und Sorgen ändern aber nichts an der Tatsache, dass die Arbeiterklasse abgesehen von ihren Massenorganen - den Räten - auch noch eine besondere Organisation hervorbringt, auf die sie ebenso wenig verzichten kann: diejenige der Revolutionäre. Seit es die Arbeiterklasse gibt, haben sich ihre fortgeschrittensten Elemente in revolutionären Organisationen zusammengeschlossen, und zwar oft auch ausserhalb unmittelbar revolutionärer Zeiten. Der Bund der Kommunisten, die I., die II. und die III. Internationale, die Fraktionen der Kommunistischen Linken sind Zeugen, Erzeugnisse dieser Bemühungen.

Worin besteht die Rolle der revolutionären Organisation? - In ihr schliessen sich die entschlossensten, bewusstesten Teile der Arbeiterklasse zusammen; in ihr bündeln sich die Erfahrungen der vergangenen Kämpfe, fließen die am weitesten fortgeschrittenen Debatten zusammen, werden die Waffen für die Weiterentwicklung der Theorie geschmiedet - jedoch nicht losgelöst von den Kämpfen der Klasse insgesamt, sondern in engstem Kontakt mit ihnen, als bewusstester Teil derselben: “Die Kommunisten unterscheiden sich (...) nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.

Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien alle Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.” (Marx/Engels, Das Manifest der Kommunistischen Partei)

Es gab und gibt in Zürich und auch anderswo Gruppierungen, die Ausdruck dieser Bemühungen der Arbeiterklasse sind, eine Klärung der Positionen herbeizuführen mit dem mehr oder minder klar formulierten Ziel, eine Rolle als Revolutionäre zu spielen. Dabei offenbaren sich aber oft zwei scheinbar gegensätzliche Tendenzen, die in der Tat nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind: der Akademismus und der Aktivismus. Die aktivistische Tendenz zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Anhänger die “Praxis” um jeden Preis fordern; ihr unmittelbares Ziel sind irgendwelche Aktionen, auch wenn nicht klar ist, wem und wozu sie dienen. In der akademistischen Tendenz umgekehrt treffen sich diejenigen, welche die “Theorie” um ihrer selbst Willen suchen und meinen, sie müssten zuerst nicht nur sämtliche Werke von Marx und Engels, sondern auch noch alle Aufsätze ihrer Exegeten in den letzen 150 Jahren gelesen haben, bevor sie zu einer bestimmten Frage, z.B. derjenigen der Rolle der Gewerkschaften in der heutigen Zeit, Stellung nehmen können. Der blinde Aktivismus und die Theorie als Selbstzweck stehen sich als These und Antithese gegenüber. Ihre Synthese ist aber nicht die Summe der Pole, sondern ihre Aufhebung - ihre Überwindung auf einer höheren Ebene. Die programmatische Klärung muss einhergehen mit der Bewusstwerdung über die eigene Rolle, mindestens in der Perspektive. Und dies kann letztlich nur geschehen, wenn man sich auch die Frage der Organisierung stellt oder sich mindestens mit den bestehenden revolutionären Organisationen auseinandersetzt. “Die Arbeiterklasse bringt keine revolutionären Militanten hervor, sondern nur revolutionäre Organisationen: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen Militanten und der Klasse. Die Militanten beteiligen sich am Kampf der Klasse, indem sie zu Mitgliedern der Organisation werden und sich an der Verwirklichung deren Aufgaben beteiligen. Sie haben kein besonderes Heil gegenüber der Arbeiterklasse oder der Geschichte zu suchen.”[2] [7]  Theorie, Praxis und Organisierung sind also eine Einheit, aus der sich nicht ein Teil herausreissen lässt, ohne das Ganze zu beschädigen und in ein steriles Hobby zurück zu fallen.

Wenn man sich die Frage der Organisierung stellt, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Arbeiterklasse weltweit eine und dieselbe Klasse ist. Die Bourgeoisie will uns zwar immer wieder vom Gegenteil überzeugen und irgendwelche nationalen, kulturellen, geschlechtlichen, ausbildungsmässigen, altersabhängigen usw. Besonderheiten unter die Nase reiben. Tatsache ist aber: Unsere Stärke ist die Einheit über alle Grenzen hinweg. Deshalb braucht das Proletariat auch nicht möglichst viele revolutionären Organisationen, sondern letztlich eine einzige Partei, und zwar weltweit - die Weltpartei. Wer Revolutionär oder Revolutionärin sein will, muss sich die Frage stellen, welche bestehenden Organisationen tatsächlich proletarisch sind und welche nicht. Und dann geht es darum, sich gegenüber den bestehenden proletarischen Organisationen zu positionieren: Bin ich mit dem Programm einer bestimmten Organisation einverstanden oder nicht? Wenn nicht: Gibt es eine Möglichkeit, mit dieser Organisation in eine Diskussion einzutreten, damit sie ihren Standpunkt ändert oder ich mich von ihrer Position überzeugen lasse? - Bevor solche Versuche unternommen worden sind, kann es nicht im Ernst darum gehen, eine neue Gruppe aus der Taufe zu heben - eine “eigene Kapelle” zu errichten. Zu zahlreich sind die gescheiterten Versuche [3] [7].

Das Verhältnis zwischen Räten und Partei

An der öffentlichen Veranstaltung in Zürich wurde auch die Frage des Verhältnisses zwischen der revolutionären Partei und den Arbeiterräten angeschnitten, die noch einmal ein Licht auf die besondere Rolle der politischen Organisation der Revolutionäre warf. Niemand bezweifelte zwar offen die Notwendigkeit der Arbeiterräte in der Revolution. Und doch schien ihre Funktion nicht so klar zu sein. Ein Teilnehmer war skeptisch, dass nicht am Ende doch die Partei die Diktatur ausübe, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur der Partei über das Proletariat. 

In die gleiche Richtung geht die kürzlich aufgeworfene Frage eines Teilnehmers an einem Internet-Diskussionsforum: “Bisher dachte ich, Rätedemokratie (soviet=Rat) und Bolschewismus wären dasselbe. Aber in dem Artikel “Rätedemokratie statt Parteidiktatur” (von Cajo Brendel, die Red.) wird etwas anderes behauptet. Weil der Text meiner Meinung nach nichts erklärt, frage ich mal hier was der Unterschied ist.”[4] [7]

Der Rätekommunismus (in welcher Tradition Cajo Brendel steht) meint, die Räte seien die einzige Organisation, welche die Arbeiterklasse für die Revolution brauche. Die Bordigisten umgekehrt (welche sich schon heute nicht nur Partei, sondern die Partei nennen) meinen, die Klasse müsse bloss die Führung der Partei anerkennen, andere Organe brauche sie nicht. Es handelt sich auch hier um falsche Gegenüberstellungen und um Organisationsfetischismus - weder die Partei noch der Arbeiterrat sind für sich allein ausreichende Mittel. Die Klasse braucht beide und schafft sich auch beide.

Die Diktatur des Proletariats muss durch die Arbeiterräte ausgeübt werden, durch das Kampforgan, das die gesamte Arbeiterklasse zusammenfasst, ihren kollektiven Willen auf den Punkt bringt. Die kommunistische Partei umgekehrt hat nicht die Aufgabe, die gesamte Arbeiterklasse zu organisieren, nicht einmal ihre Mehrheit. Auch in der Zeit der Revolution und der Diktatur der Proletariats bleibt die Partei eine Organisation zur Intervention im Klassenkampf, die “stets das Wesen der Gesamtbewegung vertritt” (Kommunistisches Manifest), aber sich nicht mit dem Übergangsstaat identifiziert. “Es muss klar sein, dass die Partei nicht die Aufgabe hat, die Macht zu übernehmen, auch nicht ‚im Namen der Klasse’, und sie bleibt immer ein Organ der politischen Orientierung, die mit dem Staat nichts zu tun hat und weit davon entfernt ist, sich mit ihm zu identifizieren. Dies gilt vor, während und nach der Revolution, somit auch in einer Zeit nach dem Aufstand. Sie bleibt als solche ein Ausdruck der Arbeiterklasse und ihres geschichtlichen Kampfes.” (1)

Die Bolschewiki erklärten zwar in der Theorie die Arbeiterräte für die endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats, in der Praxis übernahm aber die Kommunistische Partei immer mehr die Rolle eines Machtinstrumentes und identifizierte sich mit dem Staat. Es war die Kommunistische Linke v.a. in Italien und Frankreich, welche die klarsten Lehren aus der Russischen Revolution und diesen Fehlern der Bolschewiki zog [5] [7].  

Die Arbeiterklasse braucht also für die Revolution beides: die politische Organisation der Revolutionäre (die Partei) und die Massenorgane (die Arbeiterräte). Beide sind Instrumente, welche die Klasse selbst hervorbringt. Diese kollektiven Anstrengungen der Arbeiterklasse materialisieren sich aber nur dann, wenn ihre bewusstesten Kräfte auch die individuelle Verantwortung wahrnehmen, d.h. ihre eigene politische Klärung vorantreiben, sich mit den bestehenden revolutionären Organisationen auseinandersetzen und gegebenenfalls organisieren.  PT, 10.03.06

Fussnoten:



[1] [7] vgl. die IKS-Zeitung in Frankreich Révolution internationale Nr. 361, “Warum braucht Arbeiterklasse revolutionäre Organisationen?” (Ein Bericht über eine Diskussionsveranstaltung der IKS in Nantes)

 

[2] [7] “Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre” in Internationale Revue Nr. 22 S. 25

[3] [7] vgl. dazu Weltrevolution Nr. 77 und 78: Diskussionszirkel in der Arbeiterklasse

[4] [7] www.kommunistisches-forum.tk [8]

[5] [7] vgl. dazu die IKS-Broschüren Die Italienische Kommunistische Linke, insbesondere 7. Kapitel und Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [9]

Flugblatt der GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten) zu AEG

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Eine verdeckte gewerkschaftliche Sicht des Kampfes?

Unter dem Titel „Entschlossen kämpfen – keine Illusionen in die Gewerkschaften – eigene Kampfstrukturen aufbauen“ hat die „Gruppe Internationaler Kommunisten“ (GIK) aus Österreich ein Flugblatt zum Kampf bei  AEG in Nürnberg herausgebracht. Die GIK sympathisiert mit dem „Internationalen Büro für die revolutionäre Partei“ (IBRP). Das vierseitige Faltblatt unterteilt sich in vier Kapitel: Eine Stellungnahme zum Kampf  bei  AEG; einen Auszug zur Gewerkschaftsfrage aus der Plattform des IBRP; einen Auszug aus einem Referat der GIK, welches vor ungefähr einem Jahr bei einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin zur sozialen Lage in Deutschland gehalten wurde; sowie ein Plädoyer für den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei.

Wir begrüßen es, dass mit diesem Flugblatt eine internationalistische Stimme sich zur Lage bei AEG geäußert hat. Wir begrüßen es, dass mit diesem Flugblatt die Stimmen vermehrt werden, welche die kämpfenden Arbeiter, nicht aber die gegen den Kampf agierenden Gewerkschaften unterstützen. Das Flugblatt setzt sich für eine autonome Kampfführung der Arbeiterinnen und Arbeiter ein, entlarvt die Lüge „dass es den ArbeiterInnen gut geht, wenn es dem Betrieb gut geht.“ Sehr zu recht betont das Flugblatt: „Der Kampf für die Verteidigung der unmittelbaren Lebensinteressen der Arbeiterklasse und das kommunistische Programm, das eine Perspektive aus der kapitalistischen Gesellschaft darstellt, müssen zusammenkommen. Nur so ist es möglich, erfolgreich zu kämpfen und sich nicht immer wieder von den kapitalistischen Sachzwängen einfangen und der bürgerlichen Ideologie einlullen zu lassen, um in der Konsequenz mit faulen Kompromissen abgespeist zu werden.“

Wie kann man das Herz des Kapitalismus treffen?

Das Flugblatt warnt die Kämpfenden bei  AEG vor der Sabotage der Gewerkschaften. „Die Erfahrungen (nicht nur) der letzten Arbeitskämpfe haben gezeigt, dass die IG Metall-Funktionäre nur dort wirkliche Energie und Einfallsreichtum entwickeln, wo es darum geht einen Streik - so er denn nicht verhindert werden konnte - wieder zu beenden. Deshalb ist es notwendig, gewerkschaftsunabhängige Kampfstrukturen aufzubauen, permanente Streikversammlungen und eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, um nicht im entscheidenden Moment mit einem faulen Kompromiss abgespeist zu werden.“ Merkwürdig an dieser Aussage ist die Idee, dass die Gewerkschaften nur „energisch“ und „einfallsreich“ werden, wenn es darum geht, einen Arbeitskampf zu beenden, und dass die Arbeiter nur „deshalb“ unabhängige Kampfstrukturen benötigen, um nicht im „entscheidenden Moment“ mit einem „faulen Kompromiss“ übers Ohr gehauen zu werden. Setzt die gewerkschaftliche Sabotage wirklich erst mit der Beendigung des Kampfes ein? Erstreckt sich nicht diese Sabotage vielmehr auf alle Facetten des Kampfes: die Forderungen, die Ziele und die Ausrichtung des Kampfes, auf die Kampf- und die Organisationsweise usw.?

Man möchte meinen, es handele sich hierbei lediglich um eine ungeschickte Formulierung. Jedoch begegnen wir genau derselben Idee im Referatauszug zur sozialen Lage in Deutschland. Bezug nehmend auf den europaweiten Aktionstag der Opelbeschäftigten am Anfang der zweiten Streikwoche damals in Bochum, schreibt die GIK: „Es wurde eine Kundgebung in der Stadt im Rahmen eines europaweiten Aktionstages organisiert, auf der die Streikaktivisten sowie Kollegen aus anderen Betrieben nicht reden durften und stattdessen neben Gewerkschaftsbonzen Vertreter der Stadt und ein Pfaffe für eine Beendigung des Streiks eintraten. Hier begann der Gewerkschaftsapparat den Streikenden das Heft aus der Hand zu nehmen. Statt dagegen aufzutreten, begannen die Linksgewerkschafter jetzt selbst die Kollegen auf den Gewerkschaftsapparat zu orientieren.“  Auch hier bemerkt die GIK die zersetzende Wirkung der gewerkschaftlichen Ideologie auf den Arbeiterkampf erst dort, wo man dazu übergeht, den Kampf zu beenden. An diesem famosen Aktionstag wurde aber der Streik bei Opel in Bochum zu Grabe getragen. Was bedeutet, dass die gewerkschaftliche Arbeit der Abwürgung des Kampfes bereits vorher geleistet wurde. Die GIK berauscht sich am Anblick der „spontan organisierten“ Besetzung der Betriebstore und „der fast ununterbrochen stattfindenden Streikversammlungen“. Sie merkt auch im Nachhinein nicht, dass der größte Sieg nicht nur der IG Metall, sondern der gewerkschaftlichen Ideologie überhaupt, ganz am Anfang errungen wurde, als es gelang, den Kampf im wesentlichen auf das Bochumer Werk zu beschränken, anstatt die Frage der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes aller betroffenen Opelwerke, sowie darüber hinaus aller von der Krise betroffenen Arbeiter, in den Mittelpunkt zu stellen. Die GIK merkt auch nicht, dass die „Linksgewerkschafter“ (wie die Gruppe ‚Gegenwehr ohne Grenzen’ und die Aktivisten der MLPD) nicht erst am Ende des Kampfes eine schädliche Rolle zu spielen begannen, sondern im Gegenteil von Anfang an federführend bei der Propagierung der typisch gewerkschaftlichen Idee waren, dass eine solide und möglichst lang anhaltende Bestreikung des Bochumer Werks den Schlüssel zum Erfolg liefern würde.

Warum übersieht die GIK diese bedeutsame Tatsache? Vielleicht weil sie selbst diese gewerkschaftliche Sichtweise des Kampfes bis zu einem gewissen Punkt teilt?

Die GIK schreibt: „Während die Sozialproteste gegen die Hartz IV - Reformen mit ihren Montagsdemos eher symbolisch bleiben mussten (auch wenn sie radikaler hätten sein können) und nur politische Forderungen stellen konnten, liegt im Kampf in der Fabrik ein ganz anderes Potential. Das bewusste Zusammenwirken der KollegInnen eines Betriebes zur Einstellung der Produktion trifft das Kapital in sein Herz; den Profit.“

Diese Aussage bringt zwar eine wichtige Wahrheit zutage - die zentrale Rolle der Arbeiter in den Großbetrieben. Aber warum ist in diesem Zusammenhang nur von den Fabriken die Rede? Gibt es keine anderen Großbetriebe, etwa Flughäfen und andere Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser, die Beschäftigten der Wolkenkratzer und Großbüros? Warum wird behauptet, dass die Erwerbslosen „nur politische Forderungen stellen können“? Das Begehren der Arbeitslosen nach einem Einkommen, das ein Auskommen ermöglicht, nach freier Benutzung öffentlicher Verkehrmittel usw. - sind das keine wirtschaftlichen Forderungen? Ist nicht der Kampf der gesamten Arbeiterklasse zugleich ein wirtschaftlicher und ein politischer Kampf - einerseits ein Kampf um unmittelbare Forderungen, andererseits ein Kampf gegen das System, das diese Forderungen auf Dauer nicht erfüllen will und auch nicht kann?

Wir lesen, dass die Einstellung der Produktion in einem Betrieb das Kapital in sein Herz trifft: den Profit. Man verwechselt hier das Ziel des Systems mit seinem Herzen. Die Jagd nach Profit ist die Triebfeder des Kapitalismus. Das Herz des Systems aber,  das es für  die Arbeiterklasse zu treffen gilt, sein Machtzentrum, ist der Staat.

Die zentrale Bedeutung des Klassenbewusstseins

Einst hat der bekannte Dichter Herwegh dem von Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ein Lied gewidmet, dessen Schlussstrophe lautet:

Mann der Arbeit, aufgewacht!

Und erkenne deine Macht!

Alle Räder stehen still,

Wenn dein starker Arm es will.

Dieser Satz gilt heute noch. Aber er gilt anders als zur Zeit von Herwegh und Lassalle, als die streikenden Arbeiter hauptsächlich Einzelkapitalisten gegenüber standen. Der Kapitalismus ist von seiner Anlage her im Wesentlichen ein System der gesellschaftlichen Produktion. Dies bedeutet, dass die Produktion immer weniger die Sache einzelner Betriebe ist.  Der Einzelbetrieb wird immer mehr zu einem Rädchen in einem riesigen, komplexen, von der weltweiten Arbeitsteilung geprägten Produktionssystem degradiert. Die Räder der Produktion zum Stillstand zu bringen, bedeutet in diesem Kontext nicht mehr den einzelnen, jeder Zeit ersetzbaren, auswechselbaren Betrieb anzuhalten, sondern die Herausforderung des Gesamtsystems durch die Ausdehnung des Kampfes. Nicht mehr auf die Länge des Kampfes in den einzelnen Betrieben kommt es an, sondern auf die Raschheit und den Umfang der Ausbreitung dieses Kampfes. Was noch wichtiger ist als das Ausmaß der Ausdehnung, ist die Entwicklung des Klassenbewusstseins der kämpfenden Proletarier, um das Kräfteverhältnis zugunsten des Proletariats zu verschieben. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins geschieht sowohl durch die Erfahrung des Kampfes selbst, als auch durch die Intervention der Revolutionäre, um den Kampf politisch voranzutreiben, und um die Lehren des Kampfes in Verbindung mit den geschichtlichen Lehren der Klasse möglichst tief und vollständig zu ziehen.

So nimmt es nicht wunder, dass die Bourgeoisie gerade im Augenblick des Kampfes alles tut, um dieses Klassenbewusstsein anzugreifen. So auch bei  AEG. Um zu verhindern, dass die Arbeiter an die Ausdehnung ihres Kampfes auch nur denken, bietet man ihnen von vorn herein das Trugbild viel mächtigerer, weil bürgerlicher „Verbündeter“ an: Die Politiker, die Vertreter des deutschen Staates, welche mit den Arbeitern gemeinsam gegen das „Sozialdumping“ gegen „unverantwortliche Kapitalisten“, gegen die EU und gegen „die Polen“ vorzugehen versprechen. So kann es passieren, dass die Arbeiter sich zwar mutig zur Wehr setzen, und dennoch an ihrem Klassenbewusstsein Schaden nehmen. Aber auch hiervon scheint die GIK keine Notiz zu nehmen. Jedenfalls findet man über diese abstoßende nationalistische Hetze und Spaltung bei der AEG im Flugblatt der GIK kein Wort. Und dies, obwohl diese Hetze nicht erst am Ende des Streiks einsetzte, sondern lange bevor der Streik überhaupt begann!

Auch ein Zufall? Es hat vielmehr den Anschein, dass die GIK freiwillig die Rolle des unkritischen Beifallklatschers des Arbeiterkampfes übernimmt, was sonst das tägliche Brot der „Linksgewerkschafter“ ist. So wird im selben Flugblatt der „europaweite Kampf der Hafenarbeiter“ als Erfolg gefeiert und als Beispiel für die AEGler hochgehalten. Dass die Hafenarbeiter die Verschärfung ihrer Lage momentan verhindert haben, ist an und für sich positiv, natürlich. Dass dies erreicht wurde gemeinsam mit den Hafenunternehmern und der Mehrheit des Europaparlamentes, was die Wiedergewinnung einer eigenen Klassenidentität eher erschweren als begünstigen könnte - zumal auch der Illusion, dass einzelne Berufssparten auf eigene Faust viel erreichen können, Vorschub geleistet wird - scheint die GIK wenig zu jucken.

Wie ist das möglich? Bezieht sich das Flugblatt nicht ausdrücklich auf die antigewerkschaftliche Position in der Plattform des IBRP? Nun, diese Position des IBRP ist gar nicht so konsequent antigewerkschaftlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Da lesen wir, dass die Gewerkschaften niemals „nützliche Instrumente für den Sturz des bürgerlichen Staates“ waren, und dass sie „keine Massenorganismen sein können, die sich für eine politische Minderheit der Klasse (die Partei) dazu eignen würden, für die Verbreitung ihres Programms und ihre Losungen in der gesamten Klasse zu arbeiten.“ Sie werden sogar als „letzte Bastionen der Konterrevolution“ bezeichnet. All das trifft zu. Aber selbst in der Epoche, als die Marxisten die gewerkschaftliche Kampfweise  noch ausdrücklich befürworteten, traf dies zu, gab es auch „konterrevolutionäre“ Gewerkschaften. Die wirkliche Frage lautet, ob die gewerkschaftliche Kampfweise aufgrund der Änderung der geschichtlichen Bedingungen des Klassenkampfes selbst konterrevolutionär geworden ist oder nicht?

Das Flugblatt der GIK zur AEG kann in dieser Hinsicht wohl kaum als besonders klar bezeichnet werden!   (10.03.06)

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in Deutschland [1]

Geographisch: 

  • Deutschland [2]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Außerhalb der Kommunistischen Linken [5]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [10]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [4]

Frankreich: Solidarität der Arbeiter mit den kämpfenden Studenten gegen die Angriffe des Kapitalismus

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Ein Gruß an die neuen Arbeitergenerationen

Der nachfolgende Artikel ist eine Beilage unserer Organisation zu unserer Zeitung Révolution Internationale, die wir in Frankreich auf der Demonstration am 18. März verteilt haben. Zur weiteren Entwicklung der Bewegung siehe die Webseite der IKS.

Die massive Mobilisierung der Studenten in Frankreich gegen die wirtschaftlichen Angriffe der Regierung Chirac/Villepin/Sarkozy, die ihren « Contrat Premier Embauche «  (CPE) (Arbeitsvertrag bei der ersten Anstellung) gewaltsam durchsetzen wollte, ist ein Bestandteil der gegenwärtigen Dynamik des Wiedererstarkens des Weltproletariats. Diese Bewegung hat nichts mit den früheren Bewegungen der Studenten zu tun, die klassenübergreifend waren. Sie ist vielmehr Bestandteil des Kampfes der ganzen Arbeiterklasse. Von Anfang an hat sich diese Bewegung auf einem Klassenterrain gegen einen wirtschaftlichen Angriff entfaltet, gegen das « no future » , das der Kapitalismus der Jugend bereithält. Und gerade deshalb vermochten die kämpfenden Studenten ihre spezifischen Forderungen (wie die Reform der Universitätsdiplome LMD) zugunsten von gemeinsamen Forderungen der gesamten Arbeiterklasse hintenanstellen : « Nein zum CPE ! Nein zur Prekarisierung, nein zu den Entlassungen und zur Arbeitslosigkeit « ! »

Die Stärke dieser Bewegung war zunächst und vor allem die Verstärkung der aktiven SOLIDARITÄT im Kampf. Indem sie zusammenrückten, enge Verbindungen untereinander herstellten, und begriffen, dass in der Einheit die Stärke liegt, haben die Studenten (und mit ihnen die Gymnasiasten) die alte Parole der Arbeiterbewegung umsetzen können : « Alle für einen, einer für Alle ! »  Mit dieser Herangehensweise schafften sie es, die Beschäftigten der Universitäten auf ihre Seite zu ziehen (Professoren und Verwaltungspersonal), die ebenfalls Vollversammlungen abgehalten haben. Dann haben die Studenten der Ile de France ihre Vollversammlungen für ihre eigenen Eltern geöffnet, die auch Beschäftigte sind, sowie für andere Beschäftigte und sogar auch für Rentner (insbesondere in Paris 3 – Censier). Sie wurden aufgefordert, das Wort zu ergreifen und ihre ‘Ideen’ mit einfließen zu lassen. Das ‘Zusammentragen von Ideen’, die ‘Urne’ der Bewegung entfaltete sich überall in der Bewegung sehr schnell : auf den Straßen, in den Vollversammlungen, in den Supermärkten, an allen Arbeitsplätzen, auf allen Internetseiten usw. So haben die bewusstesten und entschlossensten Bataillone der Bewegung Arbeitersolidarität Leben eingeflößt und ihre Bewegung auf die ganze Arbeiterklasse ausgeweitet!

Die Massenvollversammlungen sind die Lunge der Bewegung

Nach der Demonstration vom 7. März, entstanden in allen Unis in Paris und in der Provinz studentische Vollversammlungen mit massiver Beteiligung : « die eiserne Hand », Villepin, wollte seine Politik der harten Hand fortsetzen : Der CPE soll in der Nationalversammlung verabschiedet werden, denn es kommt nicht in Frage, dass man « die Straße herrschen lässt » (wie es der ehemalige Premierminister Raffarin 2003 sagte, der seine Rentenreform durchsetzte, mit der er die alten Beschäftigten nach einer mehr als 40 Jahre langen Ausbeutung in die Armut stürzte !). Die Studenten wiederum sind nicht bereit, sich der harten Hand zu beugen. Die Hörsäle, in denen die Vollversammlungen stattfinden, sind brechend voll. Die spontanen Demonstrationen nehmen immer mehr zu, insbesondere in der Hauptstadt. Die Studenten selbst überwinden das Black-out der Medien und zwingen diese das Gesetz des Schweigens und der Lügen zu « brechen ». Zwischen dem 8. und 18. März gibt es « 10 Tage, die die Welt (der französischen Bourgeoisie) erschüttern ». Die Studenten organisieren sich immer mehr, um ihre Kräfte in eine Richtung zu bündeln : SOLIDARITÄT und EINHEIT der ganzen Arbeiterklasse.

In der Hauptstadt ging diese Dynamik vom Vorplatz der Uni Censier aus, die bei der Ausdehnung und der Zentralisierung der Bewegung an führender Stelle stand. Die Beschäftigten, die dort auftauchten, wurden im Allgemeinen mit offenen Armen aufgenommen. Sie wurden eingeladen, sich an den Debatten zu beteiligen, über ihre Erfahrungen zu berichten. All die Beschäftigten, die sich an den Vollversammlungen in Paris wie in mehreren Provinzstädten (insbesondere in Toulouse) beteiligten, waren über die Fähigkeit dieser jungen Generation verblüfft, ihre schöpferischen Vorstellungen in den Dienst der Bewegung zu stellen. In der Uni Censier insbesondere hat das Verantwortungsbewusstsein der in das Streikkomitee gewählten Studenten, ihre Fähigkeit, die Bewegung zu organisieren, die Diskussionen zu leiten, das Wort an all diejenigen zu erteilen, die ihre Meinung zum Ausdruck bringen wollten, die Saboteure zu überzeugen und entlarven, indem sie ihnen in der Diskussion Argumente entgegenhielten – all diese Dynamik hat die ganze Vitalität und die Stärke der jungen Arbeitergeneration zum Ausdruck gebracht.

Die Studenten haben ständig den souveränen Charakter der Vollversammlungen verteidigt ; mit ihren gewählten und abwählbaren Delegierten (die auf der Grundlage von Mandaten und der Rückgabe von Mandaten funktionierten), mittels Abstimmungen durch Handheben. Jeden Tag organisierten verschiedene Teams die Diskussionsleitung. In diesen Teams wirkten gewerkschaftlich Organisierte und Unorganisierte mit.

Um die Aufgaben zu verteilen, sie zu zentralisieren, zu koordinieren und die Bewegung unter ihrer Kontrolle zu behalten, hatte das Streikkomitee von Paris 3 – Censier beschlossen, verschiedene Kommissionen zu wählen : Presse, Animation und Reflexion, Empfang und Information usw.

Dank dieser wahren « Demokratie » der Vollversammlungen und der Zentralisierung des Kampfes konnten die Studenten über die zu treffenden Aktionen entscheiden, mit der Hauptsorge der Ausdehnung der Bewegung auf die Betriebe.

Die Dynamik der Ausdehnung der Bewegung auf die ganze Arbeiterklasse

Die Studenten haben genau verstanden, dass der Ausgang ihres Kampfes in den Händen der Beschäftigten liegt (wie ein Student auf dem landesweiten Koordinationstreffen vom 8. März sagte « wenn wir isoliert bleiben, werden sie uns platt machen »). Je mehr die Regierung Villepin sich weigert, nachzugeben, desto entschlossener sind die Studenten. Je mehr Sarkozy droht, desto mehr nimmt die Wut der Beschäftigten und seiner « Wähler » zu.

Die im Klassenkampf erfahrensten Beschäftigten (und die am wenigsten dummen Teile der politischen bürgerlichen Klasse) wissen, dass diese Kraftprobe zu einem Massenstreik führen kann (und nicht den ‘Generalstreik’, wie er von einigen Gewerkschaften und Anarchisten befürwortet wird), wenn die Schurken an der Regierung ihre irrationale ‘Logik’ um jeden Preis fortsetzen wollen.

Und diese Dynamik hin zur Ausdehnung der Bewegung, zum Massenstreik, fing schon an zu Beginn der Mobilisierung der Studenten, die in alle Landesteile massive Delegationen schickten,  um Kontakt aufzunehmen mit Beschäftigten in den Betrieben in der unmittelbaren Nähe ihrer Universitäten. Dabei stießen sie auf die Blockadeaktionen der Gewerkschaften : Die Beschäftigten verharrten in ihren Betrieben, ohne Möglichkeit mit den studentischen Delegationen zu diskutieren. Die « kleinen Sioux » der Universitäten von Paris mussten sich andere Mittel ausdenken, um den gewerkschaftlichen Sperrring zu umgehen.

Um die Beschäftigten zu mobilisieren, haben die Studenten eine große schöpferische Kraft entwickelt. So haben sie in Censier eine Urne angefertigt, die sie « Ideenkiste » nannten. In einigen Universitäten (wie in Jussieu in Paris) haben sie beschlossen, mit den Leuten auf der Straße Diskussionen anzuknüpfen, sich an die Passanten zu wenden, um ihnen ohne irgendwelche Aggressionen die Gründe für ihre Wut zu erklären. Sie haben all die ‘Neugierigen’ gefragt, ob sie ihnen Vorschläge zu machen hätten, denn « alle Ideen können aufgegriffen werden ». Gerade weil sie den Beschäftigten gegenüber Respekt zeigten, die sie auf der Straße antrafen oder die gekommen waren, um sich mit ihnen zu solidarisieren, haben die Studenten in ihren ‘Urnen’ Vorschläge aufgreifen können, die ihnen gemacht worden waren. Dank ihrer Erfahrung konnten sie sehen, was « gute Ideen » waren (diejenigen, die ihre Bewegung verstärken) und welche eher « schlechte Ideen » waren (diejenigen, die ihre Bewegung schwächten, sie sabotierten und sie der Repression auslieferten, wie bei der Besetzung der Sorbonne ersichtlich wurde).

Die Studenten vieler Fakultäten, vor allem die, welche an der Spitze der Bewegung stehen, haben die Hörsäle den Beschäftigten und gar Rentnern geöffnet, in denen die Vollversammlungen stattfanden. Sie haben sie darum gebeten, dass sie von ihren Erfahrungen aus der Arbeitswelt berichten. Sie dürsteten danach, von der älteren Generation zu lernen. Und die « Alten » wollten von den « Jungen » lernen. Während die « Jungen » an Reife dazu gewannen, waren die « Alten » dabei, jünger zu werden. Diese Osmose zwischen allen Generationen der Arbeiterklasse hat der Bewegung einen neuen Impuls verliehen. Die größte Kraft des Kampfes, der schönste Sieg der Bewegung ist der Kampf selbst ! Es ist die Solidarität und die Einheit der Arbeiterklasse, alle Bereiche und alle Generationen übergreifend !

Und dieser Sieg wurde nicht im Parlament errungen, sondern in den Hörsälen der Universitäten. Leider haben die Spione im Dienst der Regierung, die in den Vollversammlungen anwesend waren, nichts verstanden. Sie konnten Monsieur Villepin keine « Vorschläge » vermitteln. Das infernale Trio Villepin, Sarkozy/Chirac stand ohne « Ideen » da. Es war also gezwungen, das wahre Gesicht der bürgerlichen « Demokratie » zu zeigen : die Repression.

Die Gewalt des Polizeistaats entblößt das « no future » der Bourgeoisie

Die Studentenbewegung geht weit über einen einfachen Protest gegen den CPE hinaus. Wie ein Professor an der Universität Paris-Tolbiac auf der Demo am 7. März meinte : «Der CPE ist nicht nur ein wirklicher und gezielter wirtschaftlicher Angriff. Er ist auch ein Symbol . »  In der Tat handelt es sich um ein Symbol des Bankrotts der kapitalistischen Wirtschaft.

Es handelt sich auch um eine implizite Antwort auf die « Fehler » der Polizei (die im Herbst 2005 den « versehentlichen » Tod zweier unschuldiger Jugendlicher verursacht hatte, welche von einem « Staatsbürger «   als « Einbrecher » dargestellt wurden und von der Polizei verfolgt worden waren). Indem ein Pyromane zum Innenminister gemacht wurde (Monsieur Sarkozy), erwies sich die französische Bourgeoisie als unfähig, die Lehren aus ihrer Geschichte zu ziehen : Sie hat vergessen, dass die « Fehler » der Polizei (unter anderem der Tod von Malik Oussékine 1986) ein Faktor der Radikalisierung der Arbeiterkämpfe sein können. Heute hat die Repression gegen die Studenten der Sorbonne, die nur Vollversammlungen abhalten wollten (und nicht Bücher zerstören, so die Lüge des Monsieur de Robien), nur die Entschlossenheit der Studenten verstärkt. Die ganze Bourgeoisie und die in ihrem Dienst stehenden Fernsehmedien  haben unaufhörlich Lügenpropaganda verbreitet, um die Studenten als « Diebe » (« Abschaum », wie der Gentleman Sarkozy gegenüber den Jugendlichen der Vorstädte meinte) zu diffamieren.

Aber die Falle war zu offensichtlich. Die Arbeiterklasse ist den « Nachrichtenverdrehern » nicht auf den Leim gegangen. Tatsächlich hat diese Gewalt der Schurken der Bourgeoisie den gewalttätigen Charakter des kapitalistischen Systems und ihres ‘demokratischen’ Staats bewiesen. Ein System, das Millionen Arbeiter auf die Straße wirft, das Beschäftigte, die mehr als 40 Jahre lang geschuftet haben, in die Armut stürzt, ein System, das « Recht und Ordnung » mit dem Schlagstock durchsetzen will. Indem sich Monsieur Villepin weiter taub stellte, hat er diesen alten Witz bestätigt : « Die Diktatur heißt – halt die Klappe. Die Demokratie heißt – endlos palavern ! » Aber das Trio Villepin/Sarkozy/Chirac hat noch mehr geschafft. Sie haben den Studenten geantwortet : « palavert immer und haltet die Klappe ! »

Und um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, erhielten diese Herren « Solidaritätsbekundungen » der Medien ; vor allem von ihrem ideologischen Vergiftungsinstrument – dem Fernsehen. Die schändlichen Bilder der Medien zielen darauf ab, eine exhibitionistische Faszination der blinden Gewalt zu verbreiten, durch die Manipulation der Massen die Trübung des Bewusstseins zu betreiben. Aber je mehr das Fernsehen die Arbeiterklasse einschüchtern und lähmen will, desto mehr Ekel und Abscheu rufen seine Bilder in den Reihen der Arbeiterklasse hervor (sogar in den Reihen der rechten Wähler).

Gerade weil die neuen Generationen der Arbeiterklasse und ihre bewusstesten Bataillone die Zukunft in den Händen halten, haben sie sich durch den Polizeistaat (und seine gewerkschaftlichen Kontrollorgane) nicht provozieren lassen. Sie haben die blinde und verzweifelte Gewalt der Bourgeoisie, der jungen Krawallmacher der Vorstädte, bestimmter « Anarchisten » und anderer erregter « Linker »  abgelehnt.

Die Kinder der Arbeiterklasse, die die Vorhut der studentischen Bewegung stellen, sind die Einzigen, die der ganzen Gesellschaft eine Perspektive eröffnen können. Diese Perspektive kann nur von der Arbeiterklasse entwickelt werden, indem sie sich auf eine historische Sicht, auf das Vertrauen in ihre eigenen Kräfte, auf ihre GEDULD auch ihren HUMOR stützt (wie Lenin meinte). Gerade weil die Bourgeoisie eine zukunftslose Klasse ist, ist die Clique um Villepin erschrocken und konnte die gleiche blinde Gewalt des « no-future » wie die der jugendlichen Krawallmacher einsetzen. 

Die Entschlossenheit des Monsieur Villepin, den Forderungen der Studenten nicht nachzugeben (den CPE nicht fallenzulassen), zeigt noch etwas auf : Die Weltbourgeoisie wird ihre Macht nicht aufgeben aufgrund des Drucks der « Urnen ». Um den Kapitalismus zu überwinden und eine wirklich menschliche Weltgemeinschaft zu errichten, wird die Arbeiterklasse in der Zukunft gezwungen sein, sich auch mit Gewalt gegen die Gewalt des kapitalistischen Staates und all seine ihn verteidigenden Repressionskräfte zu wehren. Aber die Gewalt der Arbeiterklasse hat überhaupt nichts gemein mit terroristischen Methoden oder den Krawallen in den Vorstädten (im Gegensatz zu dem, was uns die bürgerlicher Propaganda einbläuen will, um die polizeilichen Kontrollen, die Repression gegen die Arbeiter, Studenten und natürlich gegen die wirklichen kommunistischen Militanten  zu rechtfertigen).

Die Konteroffensive der Bourgeoisie, um die Bewegung zu sabotieren und untergraben

Um all ihre wirtschaftlichen und polizeilichen Angriffe durchzusetzen, hatte die Bourgeoisie für den Abwehrkampf gegen den CPE Minen gelegt. Zunächst setzte sie auf die Vorteile, die sich aus den Universitätsferien ergaben, um die Wut der Studenten und Schüler zu zerstreuen. Aber die Studenten sind keine Messdiener (auch wenn einige von ihnen noch in die Kirche gehen). Sie haben den Druck aufrechterhalten und ihn gar noch nach den Ferien verstärken können. Natürlich standen die Gewerkschaften von Anfang an Gewehr bei Fuß und sie haben alles unternommen, um die Bewegung zu untergraben.

Aber sie haben nicht vorhergesehen, dass ihnen die Bewegung in den meisten Universitätsstädten entgleiten würde.

So hatten sich zum Beispiel auf dem Vorplatz der Uni Censier in Paris 3 ca. tausend Studenten versammelt, um gemeinsam zur Demonstration zu ziehen. Die Studenten stellten fest, dass die Gewerkschaften, die CGT an der Spitze, ihre Spruchbänder ausgerollt hatten, um die Spitze des Demonstrationszuges zu übernehmen und die Demo unter Kontrolle zu haben. Sofort sind die Studenten umgekehrt ; sie haben verschiedene Mittel des öffentlichen Nahverkehrs benutzt, um unter anderem auch zu Fuß, an den Gewerkschaften vorbeizuziehen. Es gelang ihnen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und ihre vereinigenden Forderungen auszurollen. Sie riefen eine Reihe von vereinigenden Forderungen : « Studenten, Gymnasiasten, Arbeitslose, prekär Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und des Privatbereichs, ein gleicher Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Prekarisierung ! ».

Die CGT machte sich lächerlich. Sie fand sich plötzlich am Ende der Demo mit einer Reihe von Spruchbändern wieder : « CGT der Metallindustrie », « CGT der RATP », « CGT des Krankenhauses Pitié Salpètrière », « CGT der Stadt Pantin », « CGT Seine Saint-Denis » usw. Hinter jedemr der großen roten Spruchbänder marschierte eine ziemlich verwirrte Handvoll von CGT Mitgliedern. Um ihre Truppen wieder aufzutakeln, stimmten die Führer der « erneuerten » stalinistischen Partei von Maurice Thorez (der nach dem 2. Weltkrieg von den Bergarbeitern und den streikenden Renault Beschäftigten die Wiederaufnahme der Arbeit verlangte, die « Ärmel aufzukrempeln », denn der « Streik ist die Waffe der Trusts »)  « radikale » Sprüche an. Sie versuchten die Redebeiträge der Studenten mit ihren dröhnenden Lautsprechern zu übertönen. Die Führer der CGT und der französischen « Kommunistischen Partei » rüttelten ihre Leute wach und stimmten die « Internationale » an. Der alte stalinistische Dinosaurier machte sich noch mehr lächerlich. Viele Demonstranten und Passanten krümmten sich vor Lachen. Man hörte Kommentare wie « das sind die Kasperle der Medien ».

Am gleichen Abend meinte der Führer der CGT Bernard Thibault im Fernsehen : « Es stimmt, die Sache ist für uns zum Teil unerwartet verlaufen ».

Die Gewerkschaften haben sich durch ihre eigenen schmutzigen Tricks entlarvt. Monsieur de Robien hatte dies noch immer nicht verstanden, als er sich empört zeigte über den Vandalismus der « Studenten » an der Sorbonne (als er einige, von den bürgerlichen Manipulationsspezialisten zerrissene Bücher vor die Kameras hielt) : « die Studentenrevolte wird nur von einer kleinen Minderheit angeführt ». Monsieur de Robien verkennt die Wirklichkeit : eine « kleine Minderheit » führt in der Tat nicht die Bewegung der Studenten, sondern die ganze Menschheit. Eine Minderheit, die nichts anderes produziert als Ausbeutung und Unterdrückung der großen Mehrheit der produzierenden Klasse. 

Die Gewerkschaften, CGT und FO an ihrer Spitze, haben den Rückschlag vom 7. März nicht verdaut. Deshalb meinten einige Journalisten, unter ihnen einige klügere Köpfe, « Die Gewerkschaften sind erniedrigt worden ». Sie sind auch von den spontanen Demonstrationen der Studenten in den Straßen der Hauptstadt am 14. März « erniedrigt » worden. Unfähig, ihre Wut gegen die « Erniedriger » und Beschäftigten zu bremsen, die ihre aktive Solidarität mit den Studenten zum Ausdruck brachten, als sie sich der Demonstration vom 16. März anschlossen, haben die Gewerkschaften schließlich vor laufender Kamera ihre Komplizenschaft mit den Truppen des Monsieur Sarkozy gezeigt.

In Paris stellte sich der Ordnungsdienst der CGT (die der stalinistischen Partei nahe steht) und der FO (eine Gewerkschaft, die nach dem 2. Weltkrieg mit Hilfe der CIA gegründet wurde) an die Spitze der Demonstration, Hand in Hand gegenüber den Kräften der Bürgerkriegspolizei CRS.

Am Ende der Demonstration löste sich wie von Zauberhand geführt der gewerkschaftliche Ordnungsdienst auf, damit die kleinen »Kamikazekämpfer », die sich unter die Demonstranten gemischt hatten und in die Sorbonne drängten, dort mit den CRS Katz und Maus spielen konnten. All die Beobachter vor Ort, die diese neuen Gewaltszenen aus erster Hand beobachten konnten, haben berichtet, dass die Schergen Villepin/Sarkozys erneut zuschlagen und Leute abführen konnten, weil der Ordnungsdienst der Gewerkschaften CGT/FO ihnen zuarbeitete.

Aber vor allem die immer wieder gesendeten Bilder der gewalttätigen Auseinandersetzung nach der Demo in Paris dienen dazu, Teilnehmer von der Großdemonstration am 18. März in Paris abzuhalten. Viele Arbeiter oder Jugendliche, die vorhatten, sich an der Demo zu beteiligen, werden vermutlich nicht teilnehmen aus Angst vor gewalttätigen Zusammenstößen. Die Nachrichtensprecher kündigen die frohe Botschaft den Fernsehzuschauern an : « die Bewegung läuft aus » (so die TV-Abendnachrichten am 16. März). Diejenigen, die die « Bewegung abwürgen wollen », sind die Komplizen Sarkozys, die gewerkschaftlichen Kontrollkräfte. Und die Arbeiterklasse fängt an dies zu verstehen. Mit ihrer « radikalen » und heuchlerischen Sprache versuchen die Gewerkschaften das Fell der Regierung zu retten. Im Augenblick ist dies misslungen.

Die stalinistische Partei und ihre CGT haben jetzt ihren Platz im großen Pantheon des Jurassic Park (neben den Brontosauriern der UMP). Wenn die Gewerkschaften bislang ihre Rolle als soziale Brandlöscher nicht haben erfüllen können, dann weil die Pyromanen Sarkozy/Villepin ihre Spruchbänder am 16. März angesteckt haben.

Und wenn die Beschäftigten erschienen sind, um die kämpfenden Studenten zu unterstützen, dann weil sie gesehen haben, dass die Gewerkschaften in den Betrieben das Black-out der Medien über die Massenvollversammlungen durchsetzen wollten.

Seit der Demonstration vom 7. März haben die Gewerkschaften verschiedene Anstrengungen unternommen, um die Beschäftigten zu lähmen. Sie haben alle möglichen Manöver eingeleitet, um zu spalten, die Wut der Arbeiterklasse verpuffen zu lassen. Sie haben versucht, die Bewegung der Studenten zu sabotieren. Sie haben ihre Sprache radikalisiert, auch wenn mit Verspätung, indem sie forderten, dass der CPE fallengelassen wird, bevor es zu Verhandlungen kommt (während sie von Anfang an schon hinter dem Rücken der Arbeiterklasse « verhandelt » haben). Sie haben gar mit einem « Generalstreik » gedroht, um die Regierung zum Nachgeben zu zwingen. Kurzum, sie haben offenbart, dass sie dagegen sind, dass die Arbeiter sich aus Solidarität mit den Studenten mobilisieren. Mit dem Rücken zur Wand, haben sie schließlich eine Trumpfkarte aus dem Ärmel gezogen, um mit Hilfe einiger Krawallmacher noch mehr Gewalt anzuzetteln.

Der einzige Ausweg für diese politische Krise der französischen Bourgeoisie ist eine Verjüngung der alten Fassade des bürgerlichen Staates. Und dieses Geschenk hat die parlamentarische Linke Monsieur Villepin auf einem Silberteller angeboten : PS/PC/Grünen haben gemeinsam den Verfassungsrat angerufen, um gegen den CPE Klage einzureichen. Vielleicht ist es diese Handreichung der PS, die es der Regierung ermöglichen wird, aus der Sackgasse herauszukommen, indem der CPE nach dem Rat der « 12 Weisen » zurückgezogen wird. So wird die Aussage Raffarins noch bestätigt, « nicht die Straße herrscht ». Man könnte hinzufügen : « die 12 Rentner des Verfassungsrates herrschen ».

Der größte Sieg ist der Kampf selbst

Indem er die Studenten der Sorbonne, den « Abschaum » rausschmeißen wollte (und ihre Kommilitonen, die ihnen Lebensmittel bringen wollten), hat Monsieur Sarkozy eine Pandorabüchse geöffnet. Und aus dieser Büchse der « dunklen Ideen » hat die Regierung Villepin/Sarkozy die « falschen Freunde » der Arbeiterklasse, die Gewerkschaften gezaubert.

Die Weltarbeiterklasse kann sich also bei der französischen Bourgeoisie bedanken. Indem sie ihr Schreckgespenst Le Pen bei den letzten Präsidentschaftswahlen aus dem Hut zauberte, ist es der herrschenden Klasse Frankreichs gelungen, die dümmste rechte Regierung der Welt an die Macht zu bringen. Diese Rechte hat die Politik einer « Bananenrepubik » praktiziert.

Wie immer die Bewegung enden wird, ist dieser Kampf der Arbeiterklasse schon ein Sieg.

Dank der neuen Generationen ist es der Arbeiterklasse gelungen, die falsche Solidarität der Gewerkschaften zu durchbrechen. Alle Teile der Arbeiterklasse, insbesondere ihre neuen Generationen haben eine reiche Erfahrung gewonnen, die tiefe Spuren in ihrem Bewusstsein hinterlassen wird.

Diese Erfahrung gehört der Weltarbeiterklasse. Trotz des Black-outs der ‘offiziellen’ Medien werden die ‘parallelen’ Medien, die ‘wilden Kameras ‘ und  ‘freie Radios’ und auch die revolutionäre Presse es den Arbeitern der ganzen Welt ermöglichen, sich diese Erfahrung zu eigen zu machen. Denn dieser Kampf ist nur eine Episode im Kampf der Weltarbeiterklasse. Sie ist ein Teil einer ganzen Reihe von Arbeitskämpfen seit 2003, die bestätigen, dass die Arbeiterklasse der meisten Industriestaaten den Rückgang der Kämpfe überwunden hat, der durch die der herrschenden Klasse mit ihrer Kampagne über den Tod des Kommunismus und der Arbeiterklasse,  die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989, dessen Staaten  als sozialistische oder Arbeiterstaaten bezeichnet wurden, ausgelöst wurde. Eines der Hauptmerkmale dieses Kampfes ist das Wiederauftauchen der Solidarität unter Arbeitern. So stand die Frage der Solidarität unter den Arbeitern bei den Kämpfen der Arbeiter in zwei der wichtigsten Staaten der kapitalistischen Welt, den USA und GB, im Mittelpunkt. Beim New-Yorker U-Bahnstreik kurz vor Weihnachten 2005 traten die Arbeiter in den Streik nicht, um Forderungen für sich selbst durchzusetzen, sondern um für die zukünftig Einzustellenden die Errungenschaften zu verteidigen, die sie für ihre eigene Rente erworben hatten. So streikten auch während des Streiks der Gepäckarbeiter am Heathrower Flughafen in London im August 2005 die Arbeiter aus Solidarität mit einem Teil der Beschäftigten des Catering-Service, die von ihrem Arbeitergeber, Gate Gourmet, heftig angegriffen wurden. Diese besonders wichtigen Streiks sind ein Teil einer Tendenz der Verstärkung des Arbeitskampfes seit 2003. Auch die Bewegung für die Verteidigung der Renten in Frankreich und in Österreich, wo es zu den größten Demonstrationen seit dem 2. Weltkrieg gekommen war, gehören hierzu. Diese Tendenz ist besonders in Deutschland 2004 in der Automobilindustrie (insbesondere bei Daimler-Chrysler und Opel) zum Tragen gekommen, wo die Frage der Solidarität gegenüber den Entlassungen im Mittelpunkt stand. Und in Spanien wurde dies im Dezember 2005 noch einmal verdeutlicht, als bei SEAT in Barcelona Arbeiter außerhalb und gegen die Gewerkschaften kämpften, die hinter ihrem Rücken ein « schändliches Abkommen » unterzeichnet hatten, mit Hilfe dessen 600 Beschäftigte entlassen werden sollen.

Die Bewegung der Studenten in Frankreich ist somit ein Teil eines Kampfes, der eine historische Dimension umfasst und dessen Endergebnis es ermöglichen wird, dass die Menschheit aus der Sackkasse kommt, in die sie die kapitalistische Barbarei getrieben hat. Die junge Generation, die den Kampf auf einem Klassenterrain aufgenommen hat, stößt heute eine Tür zur Zukunft auf. Wir können  Vertrauen in sie haben : In allen Ländern werden sie eine neue Welt vorbereiten, in der Konkurrenz, Profit, Ausbeutung, Armut, und blutiges Chaos überwunden sein wird.

Natürlich ist der Weg zur Überwindung des Kapitalismus lang und voll von Hindernissen und Fallen, aber er wird jetzt deutlicher erkennbar.

Internationale Kommunistische Strömung    (17.März 2006)

Geographisch: 

  • Frankreich [11]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [6]

Karikaturen Mohammeds

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Wie die Bourgeoisie einige Karikaturen ausschlachtet, um Hass und Nationalismus zu schüren

Was mittlerweile als die Affäre der "Karikaturen Mohammeds" bezeichnet wird, ist von den bürgerlichen Medien  stark aufgebauscht worden. Jeden Tag wird über neue pro-islamische Kundgebungen irgendwo auf der Welt berichtet. Die Veröffentlichung von Karikaturen mit einem kriegerisch dargestellten Mohammed hat sofort zu wüsten Beschimpfungen zwischen den imperialistischen Staaten nicht nur in der islamischen Welt geführt, sondern weltweit. Diese Ereignisse spiegeln in Wirklichkeit die Spannungen unter den verschiedenen kapitalistischen Staaten wider.

Eine Auseinandersetzung unter imperialistischen Gangstern

Am 30. September 2005 hat die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten zwölf Karikaturen veröffentlicht, in denen der Prophet Mohammed mit Bomben, Dynamitstangen und anderen terroristischen Werkzeugen in der Hand dargestellt wird. In den darauf folgenden Wochen wurden diese Karikaturen auch von verschiedenen Zeitungen in anderen Ländern  veröffentlicht. Was danach passierte, ist bekannt. Es kam zu Demonstrationen in der sogenannten moslemischen Welt, die  manchmal sehr gewalttätig verliefen.  In Afghanistan, Nigeria und anderswo starben bei diesen Protesten gar Menschen oder wurden schwer verletzt. Wie kommt es, dass einige Karikaturen solche Ausbrüche von Hass auslösen? Wie und warum stehen plötzlich Karikaturen einer dänischen Tageszeitung im Mittelpunkt solch eines internationalen Sturms der Entrüstung?

Im Oktober 2005 noch waren die Auswirkungen auf Dänemark selbst beschränkt. Damals verlangten 11 Botschafter islamischer Staaten ein Gespräch mit Fagh Rasmussen, dem dänischen Premierminister, der auch der Zeitung Jyllands-Posten nahesteht. Nachdem dieser sich weigerte die Botschafter zu treffen, reiste eine Delegation von Vertretern islamischer Vereine Dänemarks in verschiedene Hauptstädte der islamischen Welt, mit der offiziellen Aufgabe der Sensibilisierung der öffentlichen Meinung zu dieser Frage. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Protestkundgebungen wurden in Pakistan abgehalten. Von Januar an breiteten sich die Proteste  in der gesamten "islamischen" Welt, insbesondere im Mittleren Osten aus. Diese Proteste nahmen sehr schnell eine gegen den Westen gerichtete, gewaltsame Stoßrichtung an, deren Ausmaß in Anbetracht der offensichtlichen Banalität der Veröffentlichung einiger journalistischer Karikaturen Mohammeds nur überraschen kann. Wir können dies nur begreifen, wenn wir vor Augen haben, dass diese Regionen und besonders der Mittlere Osten seit dem 2. Weltkrieg immer mehr in Krieg und Barbarei hinein gerutscht sind. Seit dem Ende der 1980er Jahre werden die Spannungen immer explosiver und unkontrollierbarer. Die unumkehrbare Destabilisierung der islamischen Welt in Afghanistan, im Irak, im Libanon, Palästina, die oft das direkte Ergebnis der Flucht nach vorne in militärische und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Großmächten ist (an vorderster Front immer die USA dabei), äußert sich heute notwendigerweise durch eine Zunahme des archaischsten religiösen Radikalismus in einer mehr und mehr desorientierten Bevölkerung in der Region. Die totale Sackgasse, in der sich diese Länder befinden, kann nur dazu führen, dass die rückständigsten Teile der Bourgeoisie Auftrieb erhalten. Dies steckt z.B. hinter der Machtübernahme durch die Hamas, der radikalen politischen Bewegung in Palästina, die bislang die karikaturalste und fanatischste Israel feindliche Haltung eingenommen hat. Dieser rückständige Fundamentalismus steckt auch hinter der Übernahme der Macht im Iran durch die Ultrakonservativen um Mahmud Ahmadinejad. Die Spannungen unter den Mächten dieser Region und gegenüber den USA werden jeden Tag deutlicher. Es war klar, dass in Anbetracht der Zuspitzung der Archaismen und des Verhaltens des jeder gegen jeden die Bourgeoisie und die verschiedenen bewaffneten Cliquen dieses Teils der Erde diese Gelegenheit ausnützen würden, welche durch die Veröffentlichung der Karikaturen geboten wurde, um ihre Stellungen vor Ort auszubauen und um so am besten Kapital zu schlagen bei all den imperialistischen Konflikten auf der Welt. Hinter diesen scheinbar spontanen Protestkundgebungen verbirgt sich in Wirklichkeit der bewaffnete Arm der bürgerlichen lokalen oder staatlichen Cliquen. Nach dem Angriff auf die dänischen und französischen Botschaften beschloss Libyen die Schließung seiner Botschaft in Kopenhagen. Der dänische Botschafter in Kuwait wurde einbestellt. Die syrischen und irakischen Regierungen erklärten, besonders schockiert zu sein. Aber in Wirklichkeit geht es gar nicht um die Veröffentlichung einiger Karikaturen in der westlichen bürgerlichen Presse oder in Jordanien. Diese Karikaturen sind in Wirklichkeit zu Kriegswaffen in den Händen der bürgerlichen Klasse in den islamischen Staaten geworden. Sie stellen somit eine Reaktion auf die immer aggressiver werdende imperialistische Politik der USA, Frankreichs, Deutschlands und Englands dar. Die Verbindung zwischen der Ausschlachtung dieser Karikaturen und den zunehmenden Drohungen seitens der USA und anderer Staaten gegen den Iran aufgrund dessen Atomprogramm liegt auf der Hand. Bei  einer Bevölkerung, die in ein immer größeres Elend gestürzt wird und immer mehr unter dem Krieg leidet, fällt es der Bourgeoisie leicht, bei der Verfolgung ihrer imperialistischen Interessen, durch Manipulationen zynisch zu täuschen. Diese gewalttätigen Massenproteste mit einer wachsenden Zahl Verzweifelter entstehen nicht einfach so "spontan" oder "natürlich". Sie sind das Ergebnis einer regelrechten Kriegspolitik, einer Politik der Aufstachelung zum Hass, der nationalistischen ideologischen Mobilisierung durch alle Bourgeoisien auf der Welt.

Während die USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 als Verteidiger der Werte der westlichen Welt und als Gegner des religiösen islamischen Fanatismus auftreten und den Kampf gegen dieses angebliche Grundübel befürworten, stellt man plötzlich hinsichtlich der Karikaturen Mohammeds überraschenderweise Verständnis bei der Bush-Administration gegenüber den Reaktionen des Irans und anderswo fest. Warum? Zunächst muss man unterstreichen, dass dies nichts mit dem Recht eines jeden zu tun hat, seine Religion frei zu wählen. Die Wirklichkeit sieht viel zynischer aus. Die USA sehen mit einer gewissen Schadenfreude, wie andere imperialistische Konkurrenten wie z.B. Frankreich in den Strudel politischer Zusammenstöße mit anderen Staaten im Mittleren Osten und anderswo geraten. In dieser von Krieg und Fäulnis befallenen Welt, wo jeder gegen jeden kämpft, kann sich nur jeder Staat darüber freuen, wenn die Konkurrenten in eine Falle geraten.

Die Perfidie der bürgerlichen Fraktionen und ihr Bestreben, alle Aspekte des faulenden Kapitalismus zu ihren Gunsten auszunutzen, sind noch himmelschreiender, wenn man die Haltung von Hamas in dieser Affäre betrachtet. Die radikal-religiöse Partei, die bislang den bewaffneten und terroristischen Kampf betrieben hat, bietet ihre Vermittlerdienste in dieser Auseinandersetzung an. Der Chef des Politbüros der Palästinenserbewegung Hamas, Khalel Mechaal, sagte dazu: "Unsere Bewegung ist bereit, eine Rolle zu übernehmen, um zur Beruhigung beizutragen, damit die Spannungen zwischen der islamischen Welt und den Kolonialstaaten abnehmen, unter der Voraussetzung, dass diese Länder sich dafür einsetzen, dass die Gefühle der Moslems nicht mehr verletzt werden." (Le Monde, 2.2.06) Um zu einer größeren Ankerkennung auf internationaler Ebene zu gelungen, ist Hamas vorübergehend bereit, ihre Krallen etwas einzuziehen.

In Anbetracht all dieser Auseinandersetzungen, wo jede Nation und jede bürgerliche Clique weiter den Hass schüren, erscheint die ganze Propaganda der ‚großen Demokratien' hinsichtlich der Pressefreiheit und dem Respekt der Religionen als ein großer Schwindel.

Pressefreiheit und Respekt der Religionen - zwei Giftspritzen im Dienst der Bourgeoisie

The Independent, eine von Courier International zitierte englische Zeitung, fasst sehr gut die ideologische bürgerliche Kampagne zusammen: "Es gibt keinen Zweifel, dass die Zeitungen das Recht haben sollten, Karikaturen zu veröffentlichen, die von einigen Leuten als verletzend angesehen werden." Hier wird die allerheiligste Presse- und Redefreiheit hochgehalten, die von einem Teil der Bourgeoisie heute so gelobt wird. Andererseits behauptet sofort die gleiche Zeitung: "In solch einer komplexen Lage ist es leicht, sich in banale Erklärungen zur Pressefreiheit zu flüchten. Das Schwierigste ist nicht so sehr, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, sondern eine Entscheidung zu treffen, die die Rechte aller berücksichtigt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne irgendwelche Zensur besteht. Aber viele Moslems haben auch das Recht, in einer pluralistischen und laizistischen Gesellschaft zu leben, ohne das Gefühl zu haben, unterdrückt, bedroht oder verspottet zu werden. Ein Recht höher als andere zu stellen, ist Sache des Fanatismus." Die ideologische Falle, die von der bürgerlichen Demokratie gegen die Arbeiterklasse aufgestellt wird, zeigt sich hier deutlich. Die Arbeiterklasse müsste demnach zwischen dem unterscheiden, was ein Recht ist, wie die Meinungsfreiheit, und einer moralischen Pflicht, dem Respekt vor dem Glaubens der anderen Menschen. Auf jeden Fall wird die Arbeiterklasse dazu aufgerufen, sich bei diesem Streit gemäßigt und verständnisvoll zu verhalten - all das zugunsten der herrschenden Klasse! Lenin äußerte sich in den Thesen zur Demokratie auf dem 1. Kongress der Kommunistischen Internationalen folgendermaßen:

"Die ‚Pressfreiheit' ist auch eine der Hauptlosungen der ‚reinen Demokratie'. Aber  wiederum wissen die Arbeiter, und die Sozialisten aller Länder haben es millionenmal gesagt, dass diese Freiheit Betrug ist, solange die besten Druckereien und die größten Papiervorräte sich in den Händen der Kapitalisten befinden und solange die Macht des Kapitals über die Presse bestehen bleibt, eine Macht, die sich in der ganzen Welt um so deutlicher und schärfer, um so zynischer äußert, je entwickelter der Demokratie und das republikanische Regime sind, wie zum Beispiel in Amerika." (Thesen und Referat W.L. Lenins über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats, 1. Kongress der Kommunistischen Internationale, März 1919)

Dabei kannten Lenin und die Kommunisten der damaligen Zeit noch nicht die Mittel der ideologischen Beeinflussung, wie sie heute Radio und Fernsehen ausüben können.

Und was den Respekt des Glaubens der anderen angeht, wollen wir Marx zitieren, "Religion ist Opium für das Volk". Egal welche Religion, der Glauben wie jede andere Form des Mystizismus sind ein ideologisches Gift, das man in die Köpfe der Arbeiter einzuspritzen versucht. Religion ist eines der Mittel, mit dem die herrschende Klasse eine Bewusstwerdung der Arbeiterklasse zu verhindern sucht.

Die Pressefreiheit ist nichts anderes als die Freiheit für die Herrschenden, ihre Ideologie in die Köpfe der Arbeiter einzutrichtern. Und der Respekt vor der Religion ist nur der Respekt der Herrschenden vor all dem, mit dem man die Arbeiterklasse mystifizieren kann.

Natürlich wird die Zunahme dieser Protestkundgebungen und der Gewalt nach der Veröffentlichung dieser Karikaturen die Arbeiterklasse nicht unberührt lassen. Die Arbeiterklasse darf sich durch die massiven anti-westlichen Protestkundgebungen im Mittleren Osten nicht beeindrucken und irreführen lassen. All das spiegelt letztendlich nur die Zunahme des Chaos in der kapitalistischen Gesellschaft wider und macht die Entfachung des Klassenkampf um so dringender. Die Reaktion der Arbeiterklasse darf sich nicht ausrichten auf die von der Bourgeoisie vorgeschlagene falsche Wahl. Dem wachsenden Wahnsinn der kapitalistischen Welt muss die Arbeiterklasse den einzigen Weg der Vernunft, den Klassenkampf, die Entwicklung ihres Bewusstseins und den Kommunismus entgegensetzen. Tino, 20.2.06 (aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich)

Theoretische Fragen: 

  • Religion [12]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die nationale Frage [13]

Streik bei Swissmetal: Mit der Logik des Kapitals brechen!

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Mit der Logik des Kapitals brechen!

Im Werk von Reconvilier des Metallherstellers Swissmetall AG wurde von Ende Januar bis Ende Februar gestreikt. Über 300 Beschäftigte legten in Solidarität mit 27 Entlassenen die Arbeit nieder. Diese Entlassungen waren von Seiten der Konzernleitung ein Bruch von Vereinbarungen, die nach dem ersten Streik im November 2004 getroffen worden waren.[1] [14]. Obwohl das Werk zur Buntmetallherstellung in Reconvilier eine gute Auslastung hat, ist es dem Konzern Swissmetal AG zu wenig rentabel. Die Belegschaft des Werks wehrt sich gegen die ständigen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen schon seit Jahren.

Der Streik ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse wächst. Durch den Druck der zunehmenden Wirtschaftkrise, werden die Arbeiter gezwungen ihre Lebensbedingungen zu verteidigen. Beim Swissmetal-Streik ist zweierlei besonders hervorzuheben:

1. Die Arbeiter traten wieder (wie schon ein Jahr zuvor) spontan und selbständig, d.h. ohne die Gewerkschaften in den Streik.

2. Das Motiv war die Solidarität, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das zum Wesen der Arbeiterklasse gehört.

Sowohl die Manager als auch die Gewerkschaften verteidigen die Logik des Kapitals und seines Staates. Die Konzernleitung provoziert mit einer Hiobsbotschaft nach der anderen: zuerst 27 Entlassungen, dann deren 120, weiter Drohung mit Werkschliessung und Produktionsauslagerung. Die Gewerkschaften (hier konkret die Unia und der Angestelltenverband) sind Teil des staatlichen Apparates zur Spaltung, Kanalisierung und Niederschlagung des Arbeiterkampfes.  Sie organisieren das Mediationsverfahren. Sie bezahlen Streikgelder nur solange, wie sich die Streikenden an die Anweisungen der Gewerkschaft halten: Entweder akzeptiert ihr den so genannten Vermittlungsvorschlag oder es gibt kein Streikgeld mehr. "Es war ein Fehler, dass wir die Verhandlungen aus unseren Händen gegeben haben", sagte ein Arbeiter nach dem Streikunterbruch Anfang März. Die Gewerkschaften sorgen dafür, dass sich der Streik an die vorgegebenen Regeln hält, die so angelegt sind, dass die Arbeiterklasse nur verlieren kann. Lohnkürzungen, Entlassungen oder Werkschliessung? Die Bourgeoisklasse stellt die Arbeiter vor diese Möglichkeiten. Innerhalb des gegebenen ökonomischen Zwangs des Kapitalismus gibt es für die Arbeiter keine Lösung - es gibt nur die "Wahl zwischen Pest und Cholera", wie es eine Arbeiterin aus Reconvilier formuliert hat. Auch der Kampf bei Swissmetal zeigt, dass wir mit der kapitalistischen Logik brechen müssen. Der Weg ist derjenige der raschen Ausdehnung eines Kampfes - durch die Arbeiter selber, nicht durch die Gewerkschaften. Was der besitzenden Klasse Angst einjagen kann, ist die Entwicklung der Arbeitersolidarität und eines proletarischen Klassenbewusstseins - die politische Infragestellung des Kapitalismus.  Weltrevolution, 6. März 2006


[1] [14] vgl. Weltrevolution Nr. 128, "Schweiz - Anzeichen einer Reifung der Kampfbereitschaft"

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in der Schweiz [15]

Geographisch: 

  • Schweiz [16]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeiterkampf [3]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [4]

Vier öffentliche Interventionen der IKS in Brasilien: Eine Verstärkung der revolutionären Positionen in Lateinamerika

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Die IKS ist neulich in Brasilien mehrmals öffentlich interveniert. In diesem Artikel wollen wir über diese Interventionen berichten. Es handelte sich um drei aufeinander folgende öffentliche Diskussionsveranstaltungen in drei verschiedenen Städten (Salvador da Bahia, Vitoria da Conquista und Sao Paulo) und eine Einleitung zu einer Debatte an der Universität Vitoria da Conquista anlässlich des "2. Treffens der Geschichtsstudenten aus dem Bundesstaat Bahia" (das Thema dieses Treffens lautete: "Soziale Kämpfe und ihre Ausdrücke in der Geschichte").

Die Themen der Diskussionsveranstaltungen waren: "In Anbetracht der Todeskrise des Kapitalismus gehört die Zukunft dem Klassenkampf" und das Thema der Einleitung an der Universität "Ursprünge und Wesensmerkmale der Internationalen Kommunistischen Linken".

Für die IKS war solch eine Intervention in Brasilien eine neue Stufe unserer Arbeit. Sie war nur möglich dank der ausgezeichneten Initiativen von Sympathisanten vor Ort und dank der Zusammenarbeit mit der proletarischen brasilianischen Gruppe "Arbeiteropposition" (OPOP)[1] [17], welche unsere Diskussionsveranstaltungen organisierten. Für diese öffentliche Intervention in Brasilien hatte die IKS Themen gewählt, die am klarsten unsere historische Sicht hinsichtlich der Notwendigkeit und Möglichkeit der proletarischen Revolution zum Ausdruck brachten. So entwickelte das Einleitungsreferat, das jeweils auf den Diskussionsveranstaltungen vorgetragen und auf unserer portugiesischen Webseite  veröffentlicht wurde, insbesondere die folgenden Aspekte:

-   genau wie alle anderen dem Kapitalismus vorhergehenden Ausbeutungssysteme ist der Kapitalismus kein ewig bestehendes System.

- Die Stunde seiner Überwindung durch die Arbeiterklasse, die einzig revolutionäre Klasse in der Gesellschaft, hat schon lange geschlagen; und wenn das Proletariat es nicht schaffen sollte, seine historische Aufgabe zu erfüllen, wird schlussendlich die Menschheit ausgelöscht werden.

-   Die gegenwärtig vorhandenen Perspektiven sind die der Entfaltung des Klassenkampfes.

In einer der öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, der von Salvador, war nach dem Einleitungsreferat der IKS eine Einleitung seitens der "Arbeiteropposition" vorgesehen, in der insbesondere die grundlegende Rolle der Organisierung der Arbeiterklasse in Arbeiterräten für die Überwindung des Kapitalismus betont wurde.

Das Einleitungsreferat an der Universität, das sich hauptsächlich auf den auf unserer Webseite veröffentlichten Artikel "Die Kommunistische Linke und die marxistische Tradition" stützte, befasste sich mit den folgenden Schwerpunkten:

-   Worin sich die Linksfraktionen von den anderen Organisationen, die sich auf den Marxismus berufen, unterscheiden.

-   Die Kommunistische Linke bestand nie aus nur einer einzigen Strömung, sondern setzte sich aus verschiedenen Ausdrücken zusammen, welche die verschiedenen historischen Bemühungen der Arbeiterklasse mit dem Ziel der theoretisch-politischen Klärung widerspiegeln.

-   Der Beitrag der Kommunistischen Linken zur Entwicklung des politisch-theoretischen Erbes des Proletariats ist beträchtlich und unersetzbar.

Um über diese vier Ereignisse zu berichten, wollen wir sie nicht getrennt behandeln, sondern die Fragen und Anliegen darstellen, die während der Treffen am häufigsten  aufkamen und Gegenstand der Debatte waren. Zuvor wollen wir jedoch die Bedeutung dieses Ereignisses unterstreichen, die sowohl durch die meist große zahlenmäßige Beteiligung als auch durch den sehr lebendigen Charakter der Debatte deutlich wird. Jedes Mal wurden die Diskussionen weit über die anfänglich vorgesehene Zeit verlängert.

Die Teilnahme und Dynamik waren verheißungsvoll

Es kann vorkommen, dass die Revolutionäre zu einem gegebenen Zeitpunkt selbst durch das große Interesse an ihren Positionen überrascht sind, obwohl sie der Teil des Proletariats sind, bei dem das größte Vertrauen in die revolutionären Fähigkeiten ihrer Klasse besteht, selbst dann, wenn die Arbeiterklasse keine unmittelbaren revolutionären Bestrebungen zum Vorschein bringt. Wir müssen eingestehen, dass wir sehr angenehm überrascht waren über die große Teilnehmerzahl, weil sie bei einigen weit höher war als die übliche Teilnehmerzahl bei IKS-Veranstaltungen in den Ländern, wo wir regelmäßig Diskussionsveranstaltungen abhalten. An den drei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen beteiligten sich fast 100 Personen. Das Thema Kommunistische Linke, das an der Universität diskutiert wurde, zog ungefähr 260 Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung in einem großen Hörsaal  an. Nachdem das Treffen um zwei Stunden verlängert worden war und beendet werden musste, waren immer noch 80 Leute verblieben; zudem waren noch nicht alle Fragen ausreichend behandelt worden. Eine Reihe von günstigen Umständen hat solch eine hohe Teilnehmerzahl ermöglicht. Der Erstauftritt einer internationalen revolutionären Organisation, die in Brasilien noch nicht existiert, trägt natürlich dazu bei, vor Ort ein besonderes Interesse zu erwecken. Des Weiteren war für die Diskussionsveranstaltungen die Werbetrommel durch die Genossen der Arbeiteropposition oder auch durch unsere Sympathisanten wirksam gerührt worden. Auch wenn es bei einigen Studenten und Professoren wohl ein eher akademisches und nicht ausschließlich politisches Interesse an der Debatte zur Geschichte des Linkskommunismus gab, muss man dennoch berücksichtigen, dass die Veranstaltung an der Universität, die den Universitätsregeln folgend als ein Referat eines Historikers[2] [17] angekündigt worden war, immer mehr die Gestalt eines politischen Treffens annahm, welches von einem der Organisatoren der Debatte, der Arbeiteropposition und der IKS geleitet wurde. Auch konnten wir dort unsere Presse anbieten.

Der Erfolg unserer Treffen in Brasilien ist zum Großteil auf eine Aufnahmebereitschaft gegenüber einer radikalen Kritik an der Gesellschaft und ihren demokratischen Institutionen zurückzuführen, zudem an der Spitze solcher Institutionen die Regierung Lulas steht, der große "Arbeiterführer". Die Regierung Lula ist  eng verbunden ist mit der PT (der 1980 gegründeten Arbeiterpartei) und der CUT (der 1983 gegründeten Einheitszentrale der Arbeiter, die als erste ‚unabhängige' Gewerkschaft seit dem Ende der Diktatur gilt). Heute hat das Regierungsbündnis von Lula, PT und CUT die Vorreiterrolle bei den Angriffen gegen die Arbeiterklasse übernommen, die für die Verteidigung des nationalen brasilianischen Kapitals auf internationaler Ebene erforderlich sind, genau wie jede andere rechte Regierung oder Partei sie spielen würde. Dadurch ist der wahre arbeiterfeindliche Klassencharakter, der sie seit jeher auszeichnet, zum Vorschein gekommen. In Brasilien und anderswo entspricht die Reaktion der Arbeiter noch nicht dem Niveau der fortgesetzten Angriffe der Kapitalisten. Jedoch  - und dies ist der Hauptgrund für das große Interesse an unseren Diskussionsveranstaltungen - gibt es auch in Brasilien in Anbetracht des immer offensichtlicher werdenden Bankrotts des Kapitalismus eine wachsende Sorge um die Zukunft, was sich wiederum in einem wachsenden Interesse an den Perspektiven einer Alternative gegenüber dieser Gesellschaft widerspiegelt.

Die Analyse der Geschichte unserer Klasse und die Perspektiven des politischen Kampfes für den Aufbau einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft, die wir in unseren Einleitungsreferaten und unseren Redebeiträgen entwickelt haben, wurden keineswegs von den Teilnehmern als Dogmen betrachtet, sondern diese bewirkten eine Reihe von Fragestellungen und einen Enthusiasmus, manchmal auch Skepsis, aber auch Sympathiebekundungen durch einige Teilnehmer am Ende der Veranstaltungen. Dabei wurden wir mit vielen weiteren Fragen ‚bombardiert', die während der Treffen nicht behandelt werden konnten.

Während wir durch die hohe Teilnehmerzahl ein wenig überrascht waren, bestätigte dies in Wirklichkeit die wachsende Tendenz unter Jugendlichen, sich viele politische Fragen über die Zukunft zu stellen. Bei der Diskussionsveranstaltung in Vitoria da Conquista war die Hälfte der Teilnehmer jung und sogar sehr jung.

Die Hauptdiskussionen

Wir geben hier kurz die Hauptfragen wieder, die an uns gerichtet wurden; diese spiegeln den Reichtum der Debatte wider. Aus Platzgründen können wir hier nicht unsere Antworten, die wir auf diese Fragen gegeben haben, ausführen. Aber wir haben auf unserer Webseite im Internet die Hauptbestandteile unserer Antworten veröffentlicht. Wir wollen jedoch hinzufügen, dass bei einigen Fragen die Genossen von der ‚Arbeiteropposition' antworteten. Da sie genau das widerspiegelten, was wir auch gesagt hätten, schließen wir uns deren Antworten an. Das heißt aber nicht, dass bei allen Antworten, die die IKS oder die ‚Arbeiteropposition' gaben, vollständige Übereinkunft zwischen beiden herrschte.

Die Hauptdiskussionen drehten sich um folgende Fragen:

-   das Wesen und die Rolle der Gewerkschaften,

-   die Organisation der Arbeiterklasse in Arbeiterräten und die Rolle der Revolutionäre,

-   die russische Revolution, ihr Niedergang und das Gewicht der Konterrevolution

-   die Rolle der Partei und der Internationalen Kommunistischen Linken

-   der Klassencharakter der sozialdemokratischen, ‚kommunistischen' und trotzkistischen Parteien,

-   der Begriff der Dekadenz und die Zerfallsphase des Kapitalismus

-   der Kampf der Unterdrückten und nicht-ausbeutenden Schichten,

-   die revolutionäre Perspektive.

Die Hauptfragen zu diesem Thema waren:

"Welche Auffassung einer revolutionären Perspektive in einer Konsumgesellschaft?"

"Birgt das demokratiefeindliche Wesen der Revolution nicht die Gefahr der Abschreckung der Arbeiterklasse?"

"Wie ist eine Weltrevolution möglich, während die Arbeiter in den USA ihre eigene Bourgeoisie unterstützen?"

"Wie können sich die Arbeitslosen mobilisieren?"

"Unterscheidet sich heute die Arbeiterklasse nicht von den Arbeitern, die 1917 die Revolution machten?"

"Ist die Revolution nicht eine längst überholte Idee?"

Eine Erfahrung, die wir wiederholen wollen

Die IKS zieht eine sehr positive Bilanz aus diesen vier öffentlichen Diskussionsveranstaltungen. 

Abgesehen von der Tatsache, dass es sich für die IKS um die ersten öffentlichen Diskussionsveranstaltungen in Brasilien handelte, waren diese Veranstaltungen eine der wenigen Gelegenheiten einer gemeinsamen Intervention mit einer anderen proletarischen Organisation.[3] [17]. Wir unsererseits ziehen auch eine sehr positive Bilanz aus dieser Erfahrung sowohl hinsichtlich der Qualität der Zusammenarbeit mit der ‚Arbeiteropposition' als auch hinsichtlich des Einflusses, den solch eine gemeinsame Intervention auf die Zuhörer gehabt haben mag. Die Tatsache, dass zwei unterschiedliche Organisationen, mit jeweils vorhandenen Differenzen oder Divergenzen, sich gemeinsam an ihre Klasse richten, liefert einen wichtigen Hinweis auf die Fähigkeit der verschiedenen Bestandteile der revolutionären Avantgarde, gemeinsam für die gleiche Sache einzutreten, den Sieg der Revolution. Unsere beiden Organisationen hatten sich darauf verständigt,  dass bei der öffentlichen Debatte die Priorität die Frage der Selbstorganisierung des Proletariats durch seine eigenen Organe zum revolutionären Kampf, die Arbeiterräte, sein sollte, wie auch die Entlarvung der demokratischen und parlamentarischen Verschleierungen und der konterrevolutionären Rolle der Gewerkschaften. Aber wir hatten uns auch darauf verständigt, dass wir nicht versuchen sollten, die manchmal unterschiedlichen Herangehensweisen und Erklärungsansätze gegenüber einer Lage oder die unterschiedlichen Argumentationen gegenüber bestimmten Fragen zu verbergen. Wir waren übereingekommen, dass diese Differenzen Thema einer vertieften Diskussion zwischen unseren beiden Organisationen sein sollten, in der wir besser die Wirklichkeit und die Konsequenzen aus den unterschiedlichen Positionen beleuchten würden.

Wir sind mehr als je zuvor bereit, solch eine Erfahrung zu wiederholen. Wir bedanken uns an dieser Stelle erneut bei unseren Sympathisanten für die Qualität ihres Engagements an unserer Seite, und wir begrüßen die ‚Arbeiteropposition' und ihre offene und solidarische, mit einem Wort proletarische Haltung.  IKS, 2.12.2005



[1] [17] Diese Gruppe, mit der die IKS Diskussionen in Gang gesetzt hat und politisch zusammenarbeitet, gehört eindeutig dem proletarischen Lager an - insbesondere aufgrund ihres Engagements im internationalistischen Kampf im Hinblick auf den Sieg des Kommunismus. Hinsichtlich der Gewerkschaften und der demokratischen und Wahlverschleierungen haben sie eine klare Position. Siehe deren Webseite: https://opop.sites.uol.com.br/ [18].

[2] [17] Das militante Ziel war von Anfang an gegenwärtig und wurde in unserem Einleitungsreferat unterstrichen: "Die Zukunft gehört dem Klassenkampf".

[3] [17] Das militante Ziel war von Anfang an gegenwärtig und wurde in unserem Einleitungsreferat unterstrichen: "Die Zukunft gehört dem Klassenkampf".

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Von der Kommunistischen Linken beeinflusst [19]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [9]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [10]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/802/weltrevolution-nr-135

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