Wirtschaftskrise: Kein Ausweg für die EU und den Kapitalismus

Printer-friendly version

Laut Olivier Blanchard, dem Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, befindet sich die Eurozone –und damit die Weltwirtschaft – an einem sehr gefährlichen  Punkt. Im April warnte Blanchard, dass, wenn Griechenland aus dem Euro tritt, „es möglich ist, dass andere Volkswirtschaften aus der Euro-Zone unter schwerem Druck geraten, einschließlich einer ausgewachsenen Panik auf den Finanzmärkten. Unter diesen Laut Olivier Blanchard, dem Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, befindet sich die Eurozone –und damit die Weltwirtschaft – an einem sehr gefährlichen  Punkt. Im April warnte Blanchard, dass, wenn Griechenland aus dem Euro tritt, „es möglich ist, dass andere Volkswirtschaften aus der Euro-Zone unter schwerem Druck geraten, einschließlich einer ausgewachsenen Panik auf den Finanzmärkten. Unter diesen Umständen kann ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht mehr ausgeschlossen werden. Dies könnte einen schweren politischen Schock verursachen, der den ökonomischen Stress in einem Umfang verschlimmern könnte, der weit über den Lehmann-Kollaps hinausreicht.“ Solch ein Schock könnte in der Tat „eine schwere Rezession auslösen, die Anklänge an die 1930er Jahre enthält.“[1]

Daher war die EU, wie von einer Reihe von Expertenkreisen vorhergesagt, gezwungen gewesen, ein neues Rettungspaket zu schnüren und Schritte in Richtung einer größeren Zentralisierung der Union zu unternehmen. „EU-Führer stimmen darin überein, den geplanten Rettungsfonds der Euro-Zone zur direkten Unterstützung von ums Überleben kämpfender Banken einzusetzen, ohne die Staatsschulden zu erhöhen. Nach 13-stündigen Gesprächen kamen sie auch darin überein, eine gemeinsame Bankenaufsichtsbehörde aufzustellen. Spanien und Italien übten Druck auf Deutschland aus, um dem Rettungsfonds zu gestatten, Staatsschulden auf den Märkten aufzukaufen – eine Maßnahme, um die Zinslasten einzudämmen.“[2]

Obwohl Deutschland kämpfenden Ländern wie Italien und Spanien politische Konzessionen zugestehen musste, steht es an vorderster Front bei den Schritten hin zu einer größeren Zentralisierung der EU. So teilte Merkel dem deutschen Parlament mit, dass, wenn Länder die Garantierung ihrer Schulden durch die zentrale Vergabe von Eurobonds anstreben, dies mit einer größeren zentralen Kontrolle einhergehen müsse. „Eine gemeinsame Haftung kann nur geschehen, wenn ausreichende Kontrollen in Kraft sind.“Dieser Schritt in Richtung einer Zentralisierung war bereits mit dem Beschluss, eine gemeinsame Bankenaufsicht zu installieren, Bestandteil des neuen Abkommens, doch stehen weit ambitioniertere Pläne auf dem Prüfstand:

„Europäische Behörden haben auch Vorschläge wie die Schaffung eines europäischen Schatzamtes dargelegt, das Macht über die nationalen Haushalte ausüben würde. Der 10-Jahres-Plan (2) soll die Euro-Zone stärken und künftig Krisen verhindern, doch Kritiker sagen, dass er den aktuellen Schuldenproblemen nicht gerecht wird.“ Merkel hat ebenfalls vorgeschlagen, dass in Zukunft der Präsident des Europäischen Rates zentral gewählt werden sollte. Zusammengefasst, wenn Deutschland in letzter Instanz als Kreditgeber der gesamten Euro-Zone agieren soll, müssten die Länder der Euro-Zone eine größere Rolle des deutschen Imperialismus akzeptieren.

Kein Ausweg für die EU oder das Kapital

Hier wird die ganze Zerbrechlichkeit des Euro und des EU-Projektes deutlich. Angesichts der Wirtschaftskrise gibt es wachsende Tendenzen unter den Staaten, verstärkt auf ihre eigenen Interessen zu schauen, was eine Auflösung der Union beschleunigt. Deutschland versucht, die unmittelbaren Folgen der Krise unter Kontrolle zu halten, doch seine Forderungen nach einer größeren Vormachtstellung verschärfen die nationalen Rivalitäten, was seinerseits die Stabilität der Union beeinträchtigt. Vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte der letzten hundert Jahre sind die anderen europäischen Hauptmächte, insbesondere Frankreich und Großbritannien, nicht bereit, ein von Deutschland dominiertes Europa zu akzeptieren.

Doch auch auf der ökonomischen Ebene bewirken die von der Bourgeoisie beschlossenen Maßnahmen nicht mehr, als den Rutsch in die Katastrophe zu verlangsamen. Wie wir in diesem Artikel bereits argumentiert hatten[3], hat die globale Überproduktionskrise die herrschende Klasse in ein unlösbares Dilemma gestürzt: Den Weg des Wachstums zu beschreiten bedeutet die Anhäufung weiterer Schulden, und dies erhöht den Druck durch Inflation und Bankrott. Eine rigide Sparpolitik (und/oder Protektionismus) dagegen verschärft die Krise, indem sie die Kaufkraft einschränkt und so die Märkte noch weiter schrumpfen lässt.

Der Bourgeoisie dämmert allmählich die Brisanz der Situation. Sie macht sich keine Sorgen mehr über eine „doppelte Rezession“ (double-dip recession), sondern spricht immer offener über eine Depression vom Typ der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Nun liest man, wie „Italiens oder Spaniens Pleite Europa in eine beispiellose Wirtschaftskatastrophe stürzen könnte“; es wird befürchtet, dass eine Intervention zu spät erfolgt, weil „die politischen Führer erst eine Minute vor Mitternacht, wenn Europa in einen entsetzlichen ökonomischen Abgrund starrt, sich gezwungen sehen zu handeln.“ (4)

Tatsächlich ist die Depression bereits da, und die Lage ist schlimmer, als sie es in den 1930er Jahren war. In den 30ern gab es einen Ausweg aus der Krise: der Einsatz staatskapitalistischer Maßnahmen – ob im Gewand des Faschismus, des Stalinismus oder des New Deal -, die eine gewisse Kontrolle über die Wirtschaft erbrachten. Heute ist die Krise gerade eine Krise des Staatskapitalismus: Alle Versuche seitens der herrschenden Klasse, das System durch den Staat (insbesondere die staatliche Politik des Schuldenmachens) zu manipulieren, sind vor ihren Augen  zerborsten.

Vor allem aber war in den 30er Jahren der Weg zum Weltkrieg offen, weil die Arbeiterklasse sich nach dem Scheitern der revolutionären Anläufe nach 1917 in einer Position der Niederlage befand. Der Drang zum Krieg ermöglichte eine Absorbierung der Arbeitslosigkeit durch die Schaffung einer Kriegswirtschaft; und der Krieg selbst machte eine Reorganisierung der Weltwirtschaft und den Start des Booms möglich, der bis zu den 1970er Jahren anhielt.

Diese Option steht heute nicht mehr zu Verfügung; nach dem Kollaps des alten Blocksystems ist die imperialistische Weltordnung zunehmend multipolar geworden. Die amerikanische Herrschaft ist immer schwächer geworden. Die Opposition gegen die deutsche Kontrolle über Europa macht deutlich, dass Europa niemals in der Lage sein wird, sich selbst zu einem militärischen Block zu vereinen. Auch den anderen aufsteigenden oder wiedergenesenden Mächten wie China und Russland mangelt es an der Fähigkeit, eine stabile internationale Allianz um sich herum aufzubauen. Kurz, die Bündnisse, die notwendig sind, um einen Weltkrieg auszutragen, gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, so würde die Zerstörung, die ein dritter Weltkrieg anrichten würde, einen weiteren „Nachkriegsboom“ unmöglich machen.

Vor allem aber befindet sich die Arbeiterklasse in den wichtigsten kapitalistischen Ländern nicht in derselben Lage der Niederlage wie in den 1930er Jahren. Denn trotz all ihrer Schwächen und Zaudereien zeigt sie einen wachsenden Unwillen gegenüber den Argumenten der Reichen und Mächtigen, die uns erzählen, dass wir unseren Lebensstandard „zum Wohle Aller“ opfern. In den letzten paar Jahren haben wir Massenstreiks in Bangladesch und Ägypten gesehen, soziale Revolten im gesamten Nahen Osten, in Europa und in den USA, Proteste gegen angestrebte Rentenkürzungen in Frankreich und im Vereinten Königreich, Studentenrebellionen gegen wachsende Bildungskosten in Großbritannien, Italien, Kanada…

Doch diese Kämpfe stehen noch weit unter dem, was die objektive Situation mit den Angriffen gegen die ausgebeutete Klasse erfordert. In Griechenland sehen wir, wie der Lebensstandard der ArbeiterInnen auf die brutalste Weise gesenkt wird: massive Reduzierung von Arbeitsplätzen, Löhnen, Renten und anderen Leistungen, die drastisch gekürzt wurden, mit der Folge, dass zahllose Familien, die einst einen bescheidenen Lebensstandard erwarten konnten, nun von Lebensmittelspenden abhängig sind, wenn sie nicht schon auf den Straßen hausieren. In Griechenland sind die Brot- und Arbeitslosenschlangen, die für die 1930er Jahre sinnbildlich waren, erneut brutale Realität geworden und werfen ihren Schatten auf Spanien, Portugal und all die anderen Länder, die als erste vom Zusammenbruch des Kartenhauses des Kapitalismus getroffen sind.

Angesichts derartiger Angriffe verhalten sich die eingeschüchterten ArbeiterInnen oftmals zögerlich. Sie haben es auch mit einem ideologischen Trommelfeuer zu tun, das auf sie einwirkt – von der einen Seite heißt es, wählt links und verstaatlicht die Banken, von der anderen, wählt recht und schiebt alle Schuld in die Schuhe der Immigranten. Es gibt Gewerkschaften, die ihre eigenen Waffen stumpf machen, wie die Abfolge von eintägigen Generalstreiks in Griechenland, Spanien und Portugal sowie die endlosen „Aktionstage“ im öffentlichen Dienst in Großbritannien gezeigt hat.

All diese Ideologien versuchen die Hoffnung am Leben zu halten, dass auch nur irgendetwas innerhalb des gegenwärtigen Systems geschützt werden kann. Die Krise des Systems, die nun sämtliche Strukturen durchschüttelt, die geschaffen wurden, um eben die Krise zu managen, macht auf überzeugende Weise klar, dass das System es eben nicht kann.                      30.6.2012

Geographisch: 

Aktuelles und Laufendes: 

Leute: