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Das von der Gruppe KRISIS im September 1999 herausgegebene „Manifest gegen die Arbeit"(1) hat bundesweit in politisierten Kreisen z.T. kontroverse Diskussionen ausgelöst. Dabei sind die Thesen des Manifests keineswegs neu. Es handelt sich um eine „Cover Version" der alten, beispielsweise von den Operaisten oder den Situationisten Ende der 60er Jahre wiederbelebten Grundvorstellung, dass der Klassenkampf gegen den Kapitalismus nicht der Kampf des Proletariats für die Überwindung der Lohnarbeit, sondern eine Art individueller oder kollektiver „Arbeitsverweigerung" sei. Damals blühten solche Vorstellungen gegen Ende der Nachkriegswiederaufbauphase auf, weil damals die klassische marxistische Vorstellung von der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und der Unvermeidbarkeit des proletarischen Klassenkampfes an Glaubwürdigkeit verloren hatte. Als aber ab 1968 die weltweite Wiederbelebung des Arbeiterkampfes unübersehbar wurde, und ab Mitte der 70er Jahre die Wirtschaftskrise sich auch nicht mehr leugnen ließ, gerieten die modernistischen „Erneuerer" und „Überwinder" des Marxismus wieder ins Abseits. In der heutigen Zeit hingegen gedeiht die Vorstellung der Ablösung des „traditionellen" Klassenkampfes durch die Arbeitsverweigerung aufgrund des großen Erfolgs der bürgerlichen „der Kommunismus ist tot" Propaganda sowie aufgrund des heutzutage allgemein vorherrschenden mangelnden Selbstvertrauens der Arbeiterklasse. Der von Robert Kurz und seinen Jüngern um die Zeitschrift KRISIS neuaufgelegte „Kampf gegen die Arbeit" verneint im Gegensatz zu seinen Vorläufern aus den 60er Jahren keineswegs die Krise des Kapitalismus. Im Gegenteil: der Kapitalismus sei laut Kurz an seine „absolute Schranke" gestoßen. Und tatsächlich: Zu einem Zeitpunkt, wo selbst die eingefleischtesten Operaisten sich gezwungen sehen, die Wirklichkeit der Wirtschaftskrise anzuerkennen, rührt ein Teil des Einflusses und der „Glaubwürdigkeit" des „Manifestes gegen die Arbeit" daher, dass es die Krise des Kapitalismus voll berücksichtigt, dies aber außerhalb des Rahmens des aus der Mode geratenen Marxismus als „Krise der Arbeitsgesellschaft" umdeutet. Dennoch: die Kernaussage ist identisch mit der der „modernistischen" Totengräber des Marxismus aus der Nachkriegszeit. Diese Kernaussage lautet: die Arbeiterklasse ist keine revolutionäre Klasse, wie der Marxismus stets behauptet hat, sondern sie ist im System integriert. Während die „Frankfurter Schule" vor 40 Jahren den angeblich wachsenden Wohlstand für die „Verbürgerlichung" des Proletariats verantwortlich machte, sehen Kurz und Freunde heute im Proletariat nichts als arbeitsbesessene „Zombies der Warengesellschaft", im Klassenkampf nichts als die „Austragungsform gegensätzlicher Interessen auf dem gemeinsamen Boden des warenproduzierenden Systems".
Zwei lesenswerte Antworten auf das „Manifest gegen die Arbeit"
Positiv an der öffentlichen Debatte über das von KRISIS als Antwort auf Schröders „Bündnis für Arbeit" vorgeschlagene „Bündnis gegen die Arbeit" ist, dass sich mitunter proletarische Stimmen erhoben haben, um den Marxismus gegen die Thesen von Kurz zu verteidigen. Die bisher beste Antwort darauf haben wir im „Wildcat-Zirkular" Nr. 54 gelesen, der „Kritik am Manifest gegen die Arbeit", gez. H/Leipzig (2). Auch der Artikel „Das Manifest gegen die Arbeit: Eine Diskussionsgrundlage, die der radikalen Linken zur Muße verhelfen kann" in „Aufbrechen!" Nr. 3 verteidigt zentrale Eckpunkte des Marxismus. (3)
Zu recht weist die Wildcat Replik auf das fehlende materialistische Geschichtsverständnis des KRISIS Manifests hin: „Die Arbeit, die bei KRISIS als die massenhafte Anerkennung einer absurden Idee erscheint, sei mit Gewalt von oben durchgesetzt worden, um dem Geldhunger der absolutistischen Militärmaschinen Genüge zu tun [..] Die gesellschaftliche Entwicklung erscheint bei KRISIS wie bei den deutschen Philosophen, mit denen Marx sich auseinandersetzt, als ein Kampf der Ideen, gesellschaftliche Prozesse oder Verhältnisse werden verdinglicht und gewinnen eine eigene Subjektivität."
Ebenso deutlich widerlegt H/Leipzig die Illusion des Manifests, dass die Reichtumsproduktion sich im Gefolge der mikroelektonischen Revolution „immer weiter von der Anwendung menschlicher Arbeitskraft entkoppelt." H. schreibt: „Das aber ist grundsätzlich in Frage zu stellen. Generell kann die Reichtumsproduktion im Kapitalismus nicht von der Anwendung menschlicher Arbeitskraft entkoppelt werden, das ist einer der Widersprüche, in denen sich das Kapital bewegen muss: während es fortwährend versucht ist, die menschliche Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess zu entfernen, setzt es die Anwendung derselben zum einzigen Maßstab des Wertes [...] Der Kapitalismus schafft nicht die Arbeit ab, in dem er die technische Möglichkeit produziert, CDs zu kopieren. Er schafft die Möglichkeit, gesellschaftlich zu produzieren, bewusst und kollektiv – aber es bedarf der Umwälzung der Verhältnisse und die Entscheidung darüber können nur die Produzenten selbst fällen."
Das zeigt, dass sowohl der WILDCAT- als auch der AUFBRECHEN-Artikel die Vorstellung von einer „absoluten Schranke des Kapitalismus" ablehnen, und den Irrglauben verwerfen, dass der Kapitalismus sich quasi von selbst abschaffen könne. Sie wiederholen damit eine alte Kernaussage des Marxismus, welche beispielsweise Trotzki und Lenin auf dem 3. Weltkongress der Komintern gegen die Vorstellung einer „Todeskrise des Kapitalismus" vertraten, indem sie darauf hinwiesen, dass es rein wirtschaftlich betrachtet niemals eine absolut ausweglose Lage des Kapitalismus geben wird, somit einzig die proletarische Weltrevolution der kapitalistischen Barbarei ein Ende setzen kann. Es gibt zwar keine Todeskrise des Kapitals, sehr wohl aber, wie auch die Komintern damals wusste, einen letztendlich wirtschaftlich bedingten Niedergang des Kapitalismus.
Beide Artikel verteidigen den revolutionären Charakter des proletarischen Klassenkampfes gegen die Angriffe der KRISIS Gruppe auf den Marxismus und die Arbeiterklasse.
AUFBRECHEN schreibt: „Der Klassencharakter des Kapitalismus löst sich nicht in Krisen auf, sondern muss aktiv beseitigt werden. In diesem Sinne irrt KRISIS, wenn die Genossen einschätzen ‚Der Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist.‘" Der WILDCAT-Artikel geht weiter, indem er KRISIS zitiert - "Das Weltdeutungsmonopol des Arbeits-Lagers ist aufzubrechen. Der theoretischen Kritik der Arbeit kommt dabei die Rolle des Katalysators zu." Und darauf antwortet: „Hier finden die Intellektuellen einen Platz, die angesichts fehlender massenhafter praktischer Kritik der Arbeit meinen, es fehle an theoretischer Kritik. Besonders in Zeiten ausbleibender Kämpfe erlangt die Vorstellung Verbreitung, es ginge darum, die richtigen Ideen in die Köpfe zu pflanzen, statt den Kommunismus in der vor unseren Augen ablaufenden Bewegung zu suchen. [...] Sie sehen im Elend nur das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu erblicken. [...] In bester anarchistischer Manier gelingt es KRISIS, die Entscheidung für oder gegen die Arbeit zur individuellen Privatsache zu erklären."
Eine noch nicht zu Ende geführte marxistische Kritik
Wir begrüßen diese Antworten und unterstützen im großen und ganzen die hier vorgebrachten Argumentationslinien. Wir wollen dennoch in aller Kürze auf eine der Schwächen dieser Antworten hinweisen, die wir nicht verschweigen wollen.
Diese Schwäche äußert sich in der Schwierigkeit, die klassische marxistische Position zur Frage des „Kampfes gegen die Arbeit" anzueignen, welche der entschieden marxistische Flügel stets vertreten hat. Dies zeigt sich z.B. in einem undifferenzierten "Anti-Leninismus", welcher im übrigen wie ein roter Faden durch AUFBRECHEN Nr. 3 verläuft, und der dazu führt, dass man der historischen Arbeiterbewegung insgesamt unterstellt, stets einen unkritischen Arbeitsethos vertreten zu haben. Unserer Meinung nach muss man das differenzierter sehen.
Der Arbeitspathos der frühen Arbeiterbewegung war vor allem ein Produkt ihrer Unreife, d. h, der Tatsache, dass das Proletariat sich noch nicht vollständig von der Bourgeoisie gelöst hatte. So sah es Marx, der die Forderung der kämpfenden Arbeiter von Paris 1848 eines „Rechts auf Arbeit" verwarf, aber dahinter das noch sehr unsichere Herantasten an die eigenen Klassenziele erblicken konnte. „Das Recht auf Arbeit ist im bürgerlichen Sinn ein Widersinn, ein elender, frommer Wunsch, aber hinter dem Rechte auf Arbeit steht die Gewalt über das Kapital, hinter der Gewalt über das Kapital die Aneignung der Produktionsmittel, ihre Unterwerfung unter die assoziierte Arbeiterklasse, also die Aufhebung der Lohnarbeit, des Kapitals und ihres Wechselverhältnisses."(2)
Der Arbeitsethos der späteren Phase der Arbeiterbewegung hingegen war vor allem das Produkt der Degeneration der 2. und dann der 3. Internationalen bzw. der russischen Revolution. Auch die Befürwortung der Einführung kapitalistischer Ausbeutungsmethoden in den Fabriken der belagerten Festung Sowjetrusslands durch Lenin war das Produkt dieser Degeneration – vornehmlich der Isolation Russlands durch das Ausbleiben der Weltrevolution sowie der tragischen Fusion der bolschewistischen Partei mit dem russischen Regierungs- und Staatsapparat. Und trotzdem war es Lenin, der in der Debatte mit Trotzki Anfang der 20er Jahre die allgemeine Militarisierung der Arbeit ablehnte und darauf bestand, dass die Arbeiter das Recht haben müssen, ihre Interessen auch gegenüber dem angeblich „eigenen" Staat zu verteidigen.
Worauf es uns hier ankommt ist vor allem der Hinweis, dass der revolutionäre, marxistische Flügel der Arbeiterbewegung die Verherrlichung der Arbeit stets abgelehnt und bekämpft hat. Hier eine Kostprobe von Rosa Luxemburg.
„Wie originell und tief die soziale Analyse Tolstois ist, zeigt z.B. der Vergleich seiner Ansicht über die Bedeutung und den sittlichen Wert der Arbeit mit der Ansicht Zolas. Während dieser die Arbeit als solche in echt kleinbürgerlichem Geiste auf das Piedestal erhebt, wofür er bei manchen hervorragenden französischen und anderen Sozialdemokraten in den Geruch eines Sozialisten von reinstem Wasser gekommen ist, bemerkt Tolstoi ruhig, indem er mit wenigen Worten den Nagel auf den Kopf trifft. ‚Herr Zola sagt, dass die Arbeit den Menschen gut mache; ich habe immer das Gegenteil bemerkt: die Arbeit macht nicht nur die Ameise, sondern auch die Menschen grausam – Aber wenn sogar die Arbeitsamkeit kein erklärtes Laster ist, so kann sie in keinem Fall eine Tugend sein [...[ Die Erhebung der Arbeit zu einer Tugend ist ebenso verkehrt wie die Erhebung des sich Ernährens des Menschen zu einer Würde und Tugend. Die Arbeit konnte die Bedeutung, die man ihr in unserer Gesellschaft zuschreibt, nur als eine Reaktion gegen den Müßiggang gewinnen, den man zum Merkmal des Adels erhoben hat [...] Die Arbeit ist nicht bloß keine Tugend, sondern sie ist in unserer falsch geordneten Gesellschaft zum größten Teil ein das sittliche Empfindungsvermögen ertötendes Mittel.‘
Wozu zwei Worte aus dem „Kapital" das knappe Gegenstück bilden: ‚Das Leben des Proletariers beginnt, wo seine Arbeit aufhört.‘"(3)
Diese Scheu, sich klar mit dieser großartigen marxistischen Tradition zu identifizieren, zeigt sich darin, dass beispielsweise der AUFBRECHEN-Artikel die Parole der „Abschaffung der Arbeit" mit dem Hinweis auf den doppelten Charakter der heutigen Arbeit als wertschaffende Lohnarbeit und als ewige Auseinandersetzung der Menschheit mit der Natur verwirft, und dennoch beide Artikel sich nicht durchringen können, die Parole vom „Kampf gegen die Arbeit", diese heilige Kuh aller Modernisten und Operaisten, in Frage zu stellen. Denn ebenso wie die Verherrlichung der Arbeit stellt die Parole „Kampf gegen die Arbeit" einen Bruch mit dem Marxismus dar. Und zwar deshalb, weil es eine klassenübergreifende oder „inter-klassistische" Parole ist, welche Arbeiter, Kleinbürger und Unternehmer gleichermaßen anspricht, die „Ekel vor dem eigenen Dasein als Arbeits- und Konkurrenzsubjekt" empfindet, wie KRISIS es formuliert. Außerdem kämpft das Proletariat nicht gegen die Arbeit „an sich", sondern gegen die entfremdete Arbeit, spezifisch gegen die Lohnarbeit. Das Merkmal der Lohnarbeit allerdings ist die radikale und vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, was dazu führt, dass die Produzenten „arbeiten wollen müssen" und einen Arbeitslohn „wollen müssen", um auf einem gegebenen Kulturniveau überleben zu können. Der Motor des Klassenkampfes ist somit nicht das „nicht arbeiten wollen", sondern der Verteidigungskampf der Arbeiterklasse. Die Theoretiker von KRISIS haben sehr unrecht, wenn sie glauben, dass dieser Kampf, weil es auch ein Verteidigungskampf um Lohn und Arbeit sein wird, ein Kampf für die entfremdete Arbeit, für das Lohnsystem sei. Denn dieser Kampf kann nur erfolgreich geführt werden, wenn er bis zur letzten Konsequenz, bis zu Aufhebung der Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, bis zur Abschaffung der Lohnarbeit, wenn er bis zum Kommunismus geführt wird. Kr.
„Manifest gegen die Arbeit", Zeitschrift Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, Erlangen 1999.
Die Veröffentlichung dieser Antwort durch Wildcat, dem Sprachrohr des Operaismus in Deutschland, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Allerdings sind die „Wildcat-Zikulare" immer mehr zu einem Diskussionsbulletin geworden, worin Auffassungen veröffentlicht werden, welche mit dem traditionellen Operaismus nichts mehr zu tun haben.
Aufbrechen, c/o Lunte, Weisestr. 53, 12049 Berlin
Karl Marx. „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. MEW Bd. 7, S. 42.
Rosa Luxemburg Werke, Bd.2, Seite 249f, "Über Tolstoi"