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6. Der gescheiterte Organisationsaufbau
Wir haben im letzten Artikel gesehen, dass die KPD in Deutschland Ende Dezember 1918 inmitten der Kämpfe gegründet worden war. Obwohl die Spartakisten eine ausgezeichnete Propagandaarbeit gegen den Krieg geleistet sowie entschlossen und mit großer Klarheit in der revolutionären Bewegung selbst interveniert hatten, war die frisch gegründete KPD noch längst nicht eine solide Partei. Der Organisationsaufbau war gerade erst begonnen worden, das Organisationsgewebe noch sehr lose gesponnen. Die Partei war auf ihrem Gründungskongress von großer Heterogenität geprägt. Nicht nur in der Frage der Mitarbeit in den Gewerkschaften oder der Teilnahme an der Nationalversammlung prallten verschiedene Positionen aufeinander. Schwerer noch wogen die Differenzen in der Organisationsfrage. Wobei sich der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches in der Minderheit befand. Der Werdegang dieser noch „unfertigen“ Partei zeigt, dass es nicht ausreicht, eine Partei zu proklamieren. Um den Aufgaben einer Partei gerecht zu werden, muss ein engmaschiges Organisationsnetz vorhanden sein und Einigkeit innerhalb der Organisation hinsichtlich der Funktion und der Funktionsweise herrschen.
Die Unreife der KPD führte dazu, dass sie ihre Aufgaben gegenüber der Arbeiterklasse nicht erfüllen konnte. Die Tragödie der deutschen Arbeiterklasse (und damit auch der Weltarbeiterklasse) bestand darin, dass sie in solch einer entscheidenden Phase wie jene nach dem Krieg ohne die wirksame Unterstützung durch eine kommunistische Partei kämpfen musste.
1919: Die Abwesenheit der KPD nach der Repression
Anfang 1919, eine Woche nach dem Gründungskongress der KPD, zettelte die deutsche Bourgeoisie den so genannten Januaraufstand an. Die KPD hatte vor verfrühten Aufständen gewarnt. Sie hatte betont, dass der Moment des Angriffs gegen den bürgerlichen Staat noch nicht gekommen war.
Doch als dann die Bourgeoisie die Arbeiter provozierte und Wut und Empörung unter ihnen erzeugte, stürzte sich Liebknecht, entgegen dem Parteibeschluss, zusammen mit den revolutionären Obleuten in den Kampf.
Nicht nur der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit wurde so eine tragische Niederlage zugefügt, auch und besonders die Revolutionäre wurden hart von den Schlägen der Repression getroffen. Neben Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches, der im März 1919 umgebracht wurde, wurden noch viele andere Revolutionäre erschossen. Die KPD wurde mehr oder weniger enthauptet.
Nicht zufällig war gerade der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches zur Zielscheibe der Repression geworden. Dieser Flügel hatte für den Zusammenhalt der Partei gesorgt und war immer wieder resolut für die Verteidigung der Organisation eingetreten.
Schließlich wurde die KPD monatelang, bis auf einige wenige Unterbrechungen, in die Illegalität verbannt. Zwischen Januar und März sowie zwischen Mai und Dezember 1919 musste die Rote Fahne ihr Erscheinen einstellen. Daher spielte sie in den Streikwellen vom Februar bis April keine entscheidende Rolle. Ihre Stimme war früh vom Kapital zum Schweigen gebracht worden.
Wäre die KPD stark und einflussreich genug gewesen, um die Januar-Provokation der Bourgeoisie wirksam zu entlarven und die Arbeiter vor dieser Falle zu warnen, so wäre die Bewegung aller Wahrscheinlichkeit nach anders ausgegangen.
So hat die Arbeiterklasse einen hohen Preis für die organisatorischen Schwächen der Partei bezahlt. Die Partei selbst wurde zur Zielscheibe heftigster Repression: Überall wurde Jagd auf die Kommunisten gemacht. Mehrfach wurde die Verbindung zwischen der Rumpfzentrale und den Bezirken unterbrochen. Auf einer Reichskonferenz am 29. März 1919 wurde festgestellt, dass „die Ortsgruppen von einem Heer von Spitzeln überschwemmt werden“. Bezüglich der programmatischen Divergenzen meinte die Konferenz: „In der Gewerkschaftsfrage ist die Konferenz der Meinung, dass die Parole ‚Heraus aus den Gewerkschaften!‘ jetzt nicht angebracht ist (...). Der verwirrenden syndikalistischen Agitation muss entgegengetreten werden nicht durch Zwangsmaßregeln, sondern durch planmäßige Aufklärung über die Gegensätze in der Auffassung und der Taktik.“ (KPD-Zentrale auf der Reichskonferenz, 29. 3. 1919) Es ging ihr also darum, diese Divergenzen weiter zu diskutieren.
Auf einer Reichskonferenz am 14./15. Juni 1919 in Berlin nahm die KPD eine Satzung an, die die Notwendigkeit einer straff zentralisierten Partei betonte. Und obwohl die Partei klar gegen den Syndikalismus Stellung bezog, wurde empfohlen, nicht gegen Mitglieder vorzugehen, die syndikalistischen Gewerkschaften angehörten.
Noch auf dem Gründungskongress Ende 1918 war kein Modus für die Bestellung der Delegierten existent, und auch die Frage der Zentralisierung war noch nicht weiter präzisiert worden. Dem wurde erst auf einer weiteren Reichskonferenz im August 1919 abgeholfen, wo den 22 Reichsbezirken der Partei, unabhängig von der Größe, jeweils ein Delegierter zugestanden wurde. Daneben erhielten auch die Mitglieder der Zentrale jeweils eine Stimme. Mit anderen Worten: die Zentrale war stimmenmäßig überrepräsentiert, während die Stellung und der Einfluss der örtlichen Parteibezirke unterbewertet wurden. Somit bestand die Gefahr einer Verselbständigung der Zentrale, was das Misstrauen gegenüber der Zentrale noch verstärkte. Dennoch konnte sich der Standpunkt Levis (der mittlerweile zum Parteivorsitzenden gewählt worden war) und der Zentrale zur Frage der Gewerkschaften und der Parlamentsarbeit nicht durchsetzen, da die Mehrheit der Delegierten zu den Positionen der Linken neigte.
Wie wir bereits aufgezeigt haben, verließen in der Welle von Kämpfen, die in der ersten Hälfte des Jahres 1919 ganz Deutschland erschütterten, immer mehr Arbeiter die Gewerkschaften - ganz ohne Zutun der KPD, deren Stimme, wie bereits erwähnt, zum Schweigen gebracht worden war. Viele Arbeiter spürten, dass die Gewerkschaften als klassische reformistische Interessensverbände nicht mehr ihre Aufgabe, die Verteidigung der Arbeiterinteressen, erfüllen konnten, dass sie, nachdem sie während des Krieges schon den Burgfrieden durchgesetzt hatten, in der sich anschließenden revolutionären Situation erneut auf der Seite des Kapitals standen.
Andererseits war die Situation längst nicht mehr so erhitzt wie im November und Dezember 1918, als die Arbeiter sich überall in Arbeiterräten zusammengeschlossen und den Staat herausgefordert hatten. Nun gründeten viele Arbeiter „Betriebsorganisationen“, die als Unionen alle kämpferischen Arbeiter zusammenfassen sollten. Diese Unionen stellten zum Teil politische Plattformen auf, die den Sturz des kapitalistischen Systems postulierten. Viele Arbeiter meinten damals, dass einzig und allein die Unionen das Sammelbecken proletarischer Kräfte seien und auch die Partei sich in ihnen auflösen sollte. Es war die Zeit, als anarcho-syndikalistische Auffassungen wie auch rätekommunistische Ideen auf ein großes Echo stießen. Mehr als 100.000 Arbeiter schlossen sich in den Unionen zusammen. Im August 1919 wurde in Essen die „Allgemeine Arbeiter-Union“ (AAU) gegründet.
Gleichzeitig erlebte die Lage der Arbeiterklasse nach dem Krieg eine dramatische Verschlechterung. Nachdem sie schon im Krieg hatte hungern und bluten müssen und besonders im Winter 1918/19 zermürbt worden war, sollte die deutsche Arbeiterklasse nun auch die Kriegsschulden bezahlen. Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages wurde dem deutschen Kapital und insbesondere den deutschen Arbeitern die Leistung von Reparationszahlungen aufgebürdet. Dem deutschen Kapital war natürlich daran gelegen, das Ausmaß dieser Bestrafung so gering wie möglich zu gestalten. Daher unterstützte es all diejenigen, die gegen diese Reparationszahlungen Stellung bezogen, insbesondere einige Führer der Hamburger KPD. Militärische Kreise nahmen Verbindung zu Laufenberg und Wolffheim auf, die ab Winter 1919/20 für einen „nationalen Volkskrieg“ eintraten, in dem die deutsche Arbeiterklasse gemeinsam mit dem deutschen Kapital gegen die „nationale Unterdrückung“ kämpfen sollte.
Der II. Parteitag im Oktober 1919: Von der politischen Verwirrung zur organisatorischen Zerstreuung
Nach dem Höhepunkt der Kämpfe und ihrer anschließenden Niederschlagung in der ersten Hälfte des Jahres 1919 fand vom 20. bis 24. Oktober 1919 der II. Parteitag der KPD in Heidelberg statt. An erster Stelle auf der Tagesordnung standen die politische Lage und der Geschäftsbericht. Bei der Einschätzung der politischen Lage wurde vorwiegend auf die wirtschaftliche und imperialistische Entwicklung, insbesondere auf die Position Deutschlands eingegangen, jedoch mit nahezu keinem Wort das internationale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat erwähnt. Die Schwächung und die Krise der Partei schien ihr den Blick für den tatsächlichen Stand des Klassenkampfes weltweit getrübt zu haben. Obgleich es notwendig war, alles zu unternehmen, um die revolutionären Kräfte zusammenzufassen, stellte die KPD-Zentrale von Anfang an ihre „Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik“ in den Vordergrund – von denen einige Aspekte schwerwiegende Konsequenzen für die Partei haben und den Weg für zahlreiche Abspaltungen bahnen sollten – und versuchte, sie dem Kongress aufzuzwingen.
In jenen Leitsätzen wurde betont, dass „die Revolution ein politischer Kampf der Proletariermassen um die politische Macht ist. Dieser Kampf wird mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt (...) Dabei aber kann die KPD auf kein politisches Mittel grundsätzlich verzichten, das der Vorbereitung dieser großen Kämpfe dient. Als solches Mittel kommt auch die Beteiligung an Wahlen in Betracht“. Weiter sahen die Leitsätze die Beteiligung der Kommunisten in den Gewerkschaften vor, damit man sich „nicht von den Massen isoliere“.
Man bejahte die Gewerkschaften und das Parlament also nicht aus grundsätzlichen, sondern aus rein taktischen Erwägungen. Ferner wurde zu Recht der Föderalismus abgelehnt und straffste Zentralisierung gefordert.
Jedoch sollte mit letztgenannter Forderung auch die Möglichkeit weiterer Diskussionen verhindert werden: „Mitglieder der KPD, die diese Anschauungen über Wesen, Organisation und Aktion der Partei nicht teilen, haben aus der Partei auszuscheiden.“ (aus den Leitsätzen)
Wir haben eingangs aufgezeigt, dass die Divergenzen innerhalb der KPD hinsichtlich der Grundsatzfragen über die Mitarbeit in den Gewerkschaften und die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung tief greifend waren.
Zwar hatte die erste, auf dem Gründungskongress der KPD gewählte Zentrale in diesen Fragen ebenfalls eine von der Mehrheit abweichende Position, doch sie beabsichtigte nie, ihre Meinung der Mehrheit aufzuzwingen. Insbesondere die Mitglieder der Zentrale hatten hier ein richtiges Organisationsverständnis bewiesen, denn sie traten wegen dieser Divergenzen nicht etwa aus der Partei aus, sondern fassten diese Meinungsverschiedenheiten als etwas auf, was erst noch durch weitere Diskussionen ausgeräumt werden musste.[1]
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die damalige Arbeiterklasse seit dem Beginn des I. Weltkrieges bereits viel Erfahrung gesammelt hatte, um zu einem dezidierten Standpunkt gegen Gewerkschaften und Parlamentarismus zu gelangen. Dennoch stellte diese Position noch keine Klassengrenze dar und war auch kein Spaltungsgrund. Die Auswirkungen der kapitalistischen Dekadenz waren noch von keinem Teil der revolutionären Bewegung umfassend und kohärent aufgearbeitet worden. Es herrschte noch eine große Heterogenität in dieser Frage. Nicht nur in Deutschland, auch in die revolutionäre Bewegung in den meisten anderen Ländern gab es dieselben Divergenzen in dieser Frage. Es war das Verdienst der deutschen Kommunisten gewesen, als erste diese Position überhaupt formuliert zu haben. International befanden sie sich hierbei in der Minderheit. Auch auf dem Gründungskongress der Komintern im März 1919 wurde noch keine theoretisch fundierte Position hierzu entwickelt, auch wenn der Kongress zur Ablehnung der Gewerkschaften wie auch der Nationalversammlung neigte, indem der Schwerpunkt auf die Sowjets gelegt wurde. Dieser Umstand spiegelte die Unreife der gesamten Bewegung zum damaligen Zeitpunkt wider. Sie war mit einer neuen objektiven Situation konfrontiert und hinkte mit ihrem Bewusstsein, der theoretischen Aufarbeitung eben dieser Situation, hinterher. Auf jedem Fall wurde deutlich, dass eine Debatte über diese Fragen unerlässlich war und vorangetrieben werden musste, dass man ihr auf keinen Fall ausweichen durfte. Aus all diesen Gründen konnten und durften die programmatischen Divergenzen in der Gewerkschaftsfrage und zur Wahlbeteiligung damals noch nicht Anlass sein, die Anhänger der einen oder anderen Position aus der Partei auszuschließen bzw. sich von letzterer zu spalten. Wäre man so verfahren, so hätte dies zum Parteiausschluss von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führen müssen, die auf dem Gründungskongress der KPD in der Frage der Gewerkschaften und der Wahlbeteiligung der Minderheit angehört hatten.
Doch die KPD war auch in der Organisationsfrage selbst zutiefst gespalten. Auf ihrem Gründungskongress stellte sie sich noch als ein breites Sammelbecken für diejenigen dar, die links von der USPD standen, aber insbesondere bezüglich der Organisationsfrage in verschiedenen Flügeln zersplittert waren. Der marxistische Flügel um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches, der am entschlossensten für die Verteidigung und Einheit der Organisation eintrat, stand einer Reihe von Elementen gegenüber, die die Notwendigkeit der Organisation entweder unterschätzten, ihr misstrauisch oder gar feindlich gegenüberstanden.
Daher musste sich der II. Parteitag vorrangig der Verteidigung und dem Aufbau der Organisation widmen. Doch die objektiven Bedingungen waren bereits nicht mehr sehr günstig. Denn:
· das Organisationsleben war bereits schwer beeinträchtigt. Aufgrund der Illegalität und der Repression war eine umfassende Diskussion in den örtlichen Sektionen über die o.g. programmatischen Fragen und die organisatorischen Konsequenzen unmöglich. So konnte sich der Kongress nicht auf ein umfassendes Meinungsbild in der Organisation stützen;
· die auf dem Gründungskongress gewählte Zentrale wurde stark dezimiert: Drei der neun Mitglieder (Luxemburg, Liebknecht, Jogiches) waren ermordet worden, drei weitere konnten aufgrund ihrer Verfolgung und drohenden Verhaftung nicht am Kongress teilnehmen. Übrig blieben Levi, Pieck, Lange und Thalheimer.
Gleichzeitig befanden sich die rätekommunistischen und anarcho-syndikalistischen Ideen im Aufschwung. Anhänger der Unionen plädierten für die Auflösung der Partei in den Unionen, andere drängten auf den Rückzug auf reine Lohnkämpfe. Der Begriff „Führerpartei“ und „Führerdiktatur“ machte die Runde und war Synonym für den Auftrieb organisationsfeindlicher Tendenzen.
Es waren jene fehlerhaften Organisationsauffassungen, die diesen Kongress in einem Desaster enden ließen. Schon bei der Zusammensetzung der Delegierten hatte Levi im Namen der Zentrale die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Zentrale zurechtgerückt. So warf die Zentrale die politischen Prinzipien des Gründungskongresses (der es versäumt hatte, eine genaue Festlegung des Delegiertenschlüssels vorzunehmen) über Bord. Statt auf eine Repräsentierung der örtlichen Delegierten, die ein extrem heterogenes Meinungsbild verkörperten, zu drängen, legte sie den Delegiertenschlüssel dergestalt fest, dass der Zentrale die Mehrheit sicher war.
Von Beginn an vertiefte diese Haltung der Zentrale die Spaltungen und bereitete so den Ausschluss der ehemaligen Mehrheit vor. Statt ihre Leitsätze wie die in nahezu allen kommunistischen Parteien stattfindenden Debatten als einen Diskussionsbeitrag einzubringen, der die Klärung weiter vorantreibt, erblickte die Zentrale in ihnen ein Mittel, um die Diskussion abzuwürgen und die Gegenseite aus der Partei auszuschließen. Der letzte Leitsatz, der den Ausschluss sämtlicher Delegierter vorsah, die nicht mit den Leitsätzen einverstanden waren, spiegelte ein falsches, weil monolithisches Organisationsverständnis wider, das auch zum Organisationsverständnis des marxistischen Flügels um Luxemburg und Jogiches, die stets für die breiteste Diskussion in der gesamten Organisation eingetreten waren, im Widerspruch stand.
Während die auf dem Gründungskongress gewählte Zentrale die richtige politische Auffassung vertreten hatte, dass die damals vorhandenen Differenzen in Grundsatzfragen wie die Gewerkschaften oder der Parlamentarismus kein Grund zur Spaltung der Partei sein durften, trug die während des II. Kongresses amtierende Zentrale selbst zu einer fatalen Spaltung der Partei auf falscher Grundlage bei.
Die Delegierten, die die Mehrheitsposition des Gründungskongresses vertraten, verlangten, in Anbetracht der Schwere der Entscheidungen die jeweiligen Parteizellen zu konsultieren und den Beschluss einer Spaltung nicht übers Knie zu brechen. Doch die Parteizentrale wollte auf Biegen und Brechen eine Entscheidung herbeiführen. 31 stimmberechtigte Kongressteilnehmer stimmten für die Leitsätze, 18 dagegen. Diese 18 Delegierten, die überwiegend die mitgliederstärksten Parteibezirke repräsentierten und unter denen sich fast alle Delegierten der ehemaligen ISD/IKD (Internationale Sozialisten Deutschlands / Internationale Kommunisten Deutschlands) befanden, galten nunmehr als ausgeschlossen.
Ein Bruch darf nur auf der klarsten Grundlage erfolgen
Um in einer Situation des Dissens‘ die Diskussion fair zu gestalten, ist es notwendig, dass jedermann seinen Standpunkt umfassend und uneingeschränkt darstellen kann. Doch Levi hatte bei seiner Attacke gegen die Mehrheit nichts Besseres im Sinn, als alle in einen Topf zu werfen und somit eklatant gegen diesen Grundsatz zu verstoßen.
Denn es gab die unterschiedlichsten Argumentationen. Otto Rühle z.B. trat am offensten gegen die Mitarbeit in Gewerkschaften und Parlamente ein. Aber seine Argumentation war rätekommunistisch, er verteufelte die „Führerpolitik“.
Die Genossen aus Bremen, die gleichfalls entschlossene Gegner von Gewerkschaft und Parlament waren, lehnten dagegen die Partei nicht ab. Doch brachten sie ihren Standpunkt nicht energisch genug auf dem Kongress vor. Sie überließen die Bühne dem zerstörerischen Treiben von Abenteurern wie Wolffheim und Laufenberg sowie den Föderalisten und Unionisten.
Es herrschte allgemeine Verwirrung vor, da die Standpunkte noch nicht hinreichend geklärt waren. Insbesondere in der Organisationsfrage, wo ein klarer Trennungsstrich zwischen Parteibefürwortern und –gegnern hätte herbeigeführt werden müssen, wurde alles durcheinander geworfen.
Denn nicht alle, die die Gewerkschaften und Parlamente ablehnten, leugneten auch die grundsätzliche Notwendigkeit einer Partei. Doch leider ignorierte Levi dies, als er alle Gegner der Gewerkschafts- und Parlamentsarbeit als Parteigegner bezeichnete. Damit betrieb er eine komplette Desinformation und verdrehte die verschiedenen Positionen völlig.
Gegenüber dieser Vorgehensweise der Zentrale gab es unterschiedliche Reaktionen. Nur Laufenberg, Wolffheim sowie zwei weitere Delegierte erklärten die Spaltung für unumgänglich und kündigten noch im gleichen Atemzug die Gründung einer neuen Partei an. Vorher säten Laufenberg und Wolffheim Misstrauen unter den KPD-Mitgliedern und planten, der Zentrale das Vertrauen wegen Lücken im Kassenbericht abzusprechen. Mit diesem undurchsichtigen Manöver wollten sie die offene Auseinandersetzung über die Organisationsfrage vermeiden.
Die Bremer Delegierten dagegen stellten sich ihrer Verantwortung. Sie wollten sich nicht ausschließen lassen. So erschienen sie am nächsten Tag wieder, um ihre Delegiertentätigkeit fortzusetzen. Doch die Zentrale hatte das Tagungslokal verlegt und weigerte sich, die Minderheit hineinzulassen.
So entledigte man sich eines großen Teils der Mitglieder: Neben den Tricks mit dem Delegiertenschlüssel griff man auch zu Zwangsmaßnahmen, um die Genossen vom Parteitag auszuschließen.
Der Kongress war geprägt von falschen Organisationsvorstellungen. Die Levi-Zentrale hatte eine monolithische Organisationsauffassung, in der Minderheitspositionen zur Gewerkschaftsfrage und Wahlbeteiligung keinen Platz hatten. Aber mit Ausnahme der Bremer Genossen vertrat auch die Minderheit ein monolithisches Verständnis. Denn sie hätte umgekehrt am liebsten die Mitglieder der Zentrale aus der Partei ausgeschlossen. So provozierten beide Seiten eine Spaltung auf völlig unklarer Grundlage. Der marxistische Flügel hatte sich in der Organisationsfrage nicht durchsetzen können.
Damit sollte unter den Kommunisten in Deutschland eine Tradition Einkehr halten, deren Muster sich seither ständig wiederholen sollten: bei jeder Divergenz eine Spaltung.
Falsche programmatische Positionen öffnen die Tür zum Opportunismus
Dabei kam in den Leitsätzen, die die Arbeit im Parlament und in den Gewerkschaften noch unter hauptsächlich taktischen Gesichtspunkten sahen, ein Problem zum Ausdruck, das damals in der gesamten kommunistischen Bewegung vorhanden war: die Fähigkeit, die Lehren aus der kapitalistischen Dekadenz zu ziehen, die Erkenntnis, dass die Dekadenz neue Bedingungen hervorgebracht hat, dass die alten Kampfmittel nicht mehr taugten, da sich die Bedingungen selbst geändert hatten.
Längst hatte der Staat Parlament und Gewerkschaften in sich aufgesogen. Der linke Flügel hatten diesen Prozess geahnt, wenngleich theoretisch nicht verstanden. Doch die taktische Orientierung der KPD-Führung, die auf einer konfusen Sicht der Dinge beruhte, trug dazu bei, dass die Partei – unter dem Vorwand, „sich nicht von den Massen zu isolieren“ – zu immer mehr Konzessionen gegenüber denjenigen getrieben wurde, die das Proletariat verraten hatten. Dieser Opportunismus wurde auch in der Absicht deutlich, eine Brücke zur zentristischen USPD zu schlagen, um auf diese Weise zu einer „Massenpartei“ zu werden. Dadurch, dass gerade jene Genossen, die Divergenzen gegenüber dieser Orientierung durch die Parteiführung hatten, aus der Partei ausgeschlossen worden waren, hatte sich die Partei ausgerechnet jener kritischen, aber parteitreuen Militanten beraubt, die in der Lage gewesen wären, diese opportunistische Fäulnis zu bremsen.
Der Schlüssel zu dieser Tragödie lag im mangelnden Verständnis der Organisationsfrage und ihrer Bedeutung. Heute liegt die Lehre auf der Hand: Parteiausschlüsse oder Spaltungen sind eine viel zu ernste und schwerwiegende Angelegenheit, als dass man sie übers Knie brechen sollte. Nur nach vorheriger tiefgreifender und abschließender Klärung kann eine solche Entscheidung in Erwägung gezogen werden. Aus diesem Grund muss in den Statuten einer jeden kommunistischen Organisation diese politische Einsicht entsprechend klar und deutlich festgeschrieben werden.
Die Kommunistische Internationale selbst teilte einerseits die Position Levis zur Gewerkschafts- und Parlamentsfrage, bestand aber andererseits auf die Notwendigkeit, diese Debatte zu vertiefen, und lehnte jeden Bruch auf der Grundlage dieser Divergenzen ab.
In Reaktion auf ihren Ausschluss aus der KPD richteten die Bremer eine „Informationsstelle“ der Opposition ein, um u.a. die Verbindung unter den Linkskommunisten im ganzen Reich zu gewährleisten. Sie verstanden ihre Fraktionsarbeit richtig. Aus Sorge über die drohende Parteispaltung versuchten sie mittels Kompromissen in den wichtigsten Streitpunkten in der Organisationspolitik, in der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage, die Einheit der Partei zu bewahren. Am 23. Dezember 1919 forderte die Bremer Informationsstelle:
„1. Einberufung einer neuen Reichskonferenz Ende Januar.
2. Zulassung aller Bezirke, die vor der 3.Reichskonferenz zur KPD gehörten, ob sie die Leitsätze anerkennen oder nicht.
3. Die sofortige Zur-Diskussionsstellung von Leitsätzen und Anträgen für die Reichskonferenz.
4. Die Zentrale ist verpflichtet, bis zur Einberufung der neuen Konferenz jede weitere parteispaltende Tätigkeit einzustellen.“
(KAZ, Nr. 197)
Indem sie dem III. Parteitag der KPD, der am 25. und 26. Februar 1920 in Karlsruhe tagte, Abänderungsvorschläge zu den Leitsätzen unterbreiteten und ihre Wiedereingliederung forderten, wurden die Bremer Genossen ihrer Fraktionsarbeit vollauf gerecht.
Diese Abänderungsanträge liefen auf organisatorischer Ebene auf eine Stärkung der Stellung der örtlichen Parteigruppen gegenüber der Zentrale hinaus, während sie in der Gewerkschafts- und Parlamentarismusfrage Konzessionen gegenüber den von der Zentrale postulierten Grundsätzen einräumten. Doch die Parteizentrale setzte in den Bezirken, aus denen die ausgeschlossenen Mitglieder kamen (Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin und Dresden), unbeirrt ihre spalterische Politik fort und begann, neue Ortsgruppen aufzubauen.
Auf dem III. Parteitag der KPD wurde der Aderlass deutlich. Hatte es im Oktober 1919 noch knapp über 100.000 Mitglieder gegeben, zählte man jetzt nur noch ca. 40.000. Darüber hinaus hatte der II. Parteitag im Oktober 1919 soviel Unklarheit hinterlassen, dass auf dem Februarparteitag 1920 Verwirrung darüber herrschte, ob die Bremer noch der KPD angehörten oder nicht. Erst auf letztgenanntem Parteitag wurde schließlich der endgültige Ausschluss beschlossen, obwohl er schon seit Oktober 1919 faktisch wirksam war.
Die Bourgeoisie trieb den Zerfall der Partei voran
Auf einer Reichskonferenz der Opposition am 14. März 1920 erklärte die Bremer Informationsstelle unter dem Eindruck des gerade begonnenen Kapp-Putsches, sie könne die Gründung einer neuen kommunistischen Partei nicht verantworten, und löste sich auf. Ende März, nach dem III. Parteitag, kehrten die Bremer wieder in die KPD zurück.
Die Delegierten aus Hamburg, Laufenberg und Wolffheim, kündigten dagegen unmittelbar nach ihrem Ausschluss die Gründung einer neuen Partei an. Diese Vorgehensweise entsprach in keiner Weise der marxistischen Haltung in der Organisationsfrage. Ihre Reaktion nach dem Parteiausschluss legte ihr bewusst zerstörerisches Treiben gegenüber revolutionären Organisationen bloß. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten sie offen und hemmungslos ihre „nationalbolschewistischen“ Positionen. Schon während des Krieges hatten sie Propaganda für den „revolutionären Volkskrieg“ betrieben. Im Gegensatz zu den Spartakisten hatten sie keine internationalistische Position bezogen, sondern zur Unterwerfung der Arbeiterklasse unter das Kommando der Reichswehr aufgerufen, um die „britisch-amerikanische Vorherrschaft zu beenden“. Sie hatten die Spartakisten gar beschuldigt, zum Zerfall der Reichswehr beigetragen und ihr so „einen Dolchstoß versetzt“ zu haben. So lauteten bekanntermaßen auch die Anschuldigungen der Rechtsextremen nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Während sie sich bei ihren Angriffen gegen die Gewerkschaften 1919 noch radikal gebärdet hatten, enthüllten Laufenberg und Wolffheim nun, nach ihrem Ausschluss aus der KPD, ihre „national-bolschewistische“ Haltung. Gegenüber den Hamburger Arbeitern stieß ihre Politik auf kein großes Echo. Doch diese beiden Individuen gingen geschickt vor und veröffentlichten ihren Standpunkt in Gestalt einer Beilage zur Kommunistischen Arbeiterzeitung – ohne Zustimmung der Partei. Je isolierter sie in der KPD wurden, desto offener richteten sie antisemitische Angriffe gegen den KPD-Führer Levi, den sie als „Juden“ und „englischen Agenten“ bezeichneten. Wie sich später herausstellte, war Wolffheim der Sekretär des Reichswehr-Offiziers Lettow-Vorbeck und Agent provocateur der Polizei. Er hatte also nicht aus eigener Initiative gehandelt. Sein Treiben, das bewusst die Zerstörung der Partei in Kauf nahm, wurde systematisch von obskuren, im Hintergrund bleibenden Kreisen unterstützt.
Das Drama der Opposition bestand darin, sich nicht rechtzeitig und ausreichend von diesen Elementen abgegrenzt zu haben. Die Folge war, dass immer mehr Genossen, abgestoßen von den Aktivitäten Laufenbergs und Wolffheims, nicht mehr auf den Parteitreffen erschienen und sich zurückzogen (s. Protokoll des KPD-Parteitages, S. 23).
Nach der Serie von Niederlagen im Jahre 1919, die die deutsche Arbeiterklasse geschwächt hatte, begann das Kapital im Frühjahr 1920 eine neue Offensive.
Am 13. März schlugen die Truppen von Kapp und Lüttwitz los. Der Kapp-Putsch war ein eindeutiger Angriff gegen die Arbeiterklasse, auch wenn vordergründig die SPD-geführte Regierung „gestürzt“ werden sollte. Vor die Alternative gestellt, sich entweder gegen die Angriffe des Militärs zur Wehr zu setzen oder einer blutigen Repression ausgesetzt zu werden, regte sich in nahezu allen Städten Widerstand gegen das Militär. Die Arbeiterklasse hatte keine andere Wahl, als sich zu verteidigen. Die Widerstandsbewegung ging im Ruhrgebiet am weitesten, wo eine „Rote Armee“ ausgehoben wurde.
Die KPD-Zentrale in Berlin reagierte desorientiert gegenüber dem Vorgehen des Militärs. Nach anfänglicher Unterschätzung der Verteidigungsbereitschaft der Arbeiter ließ sich die KPD anschließend in die Irre führen, als das Kapital eine SPD/USPD-Regierung propagierte, um die „Demokratie zu schützen“. Die KPD betrachtete die sozialdemokratische Regierung als das „kleinere Übel“ und bot ihr eine „loyale Opposition“ an.
Die aufflammenden Abwehrkämpfe der Arbeiter und die Reaktion der KPD veranlassten den Rest der aus der KPD ausgeschlossenen Militanten dazu, eine neue Partei zu gründen.
Dv.
[1] „Also vor allem, was die Frage der Nichtbeteiligung an den Wahlen betrifft: Du überschätzt enorm die Tragweite dieses Beschlusses (...) Unsere ‚Niederlage‘ (sie meint die Abstimmungsniederlage der späteren Zentrale in dieser Frage, die Red.) war nur der Triumph eines etwas kindischen, unausgegorenen, gradlinigen Radikalismus (...) Vergiss nicht, dass die ‚Spartakisten‘ zu einem großen Teil eine frische Generation sind, frei von den verblödenden Traditionen der ‚alten bewährten‘ Partei – und das muss mit Licht- und Schattenseiten genommen werden. Wir haben allen einstimmig beschlossen, den Casus nicht zur Kabinettsfrage zu machen und nicht tragisch zu nehmen.“ (Rosa Luxemburg in einem Brief an Clara Zetkin, 11. Januar 1919)