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Wir begrüßen und bedanken uns für die uns vom Genossen G. zugesandte Buchbesprechung des o.g. Buches von Naomi Klein. Wir möchten hiermit unsere Leser/Innen zu solchen Zuschriften ermuntern.
Es ist noch keine 40 Jahre her seit Paul Samuelson den Nobelpreis für sein ökonomisches Lebenswerk erhielt, aber die Welt scheint eine völlig andere geworden zu sein. Der Verfasser der „Volkswirtschaftslehre“, des immer noch in den meisten Auflagen erschienenen universitären wirtschaftlichen Lehrbuchs, war der Apologet des Nachkriegskapitalismus schlechthin. Ausgehend von der Prosperität seit den beginnenden 50er Jahren galt sein Streben dem Nachweis der Stabilität gegenüber Krisenerscheinungen durch die mit dem Namen von John Maynard Keynes verbundene Wirtschaftspolitik, in der der Staat zunehmend als Wirtschaftssubjekt agierte. Doch die tiefen Krisenerscheinungen seit den 70er Jahren haben diese Hoffnungen jäh zerstört und die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus zurück ins öffentliche Bewusstsein geholt, was Samuelsons Theorien in der Versenkung der ausgedienten bürgerlichen Ideologien verschwinden ließ.
Waren es bis in die siebziger und teilweise achtziger Jahre hinein lediglich einige wenige marxistische Theoretiker wie etwa Paul Mattick oder vor allem linkskommunistische Gruppierungen (wie z.B. auch die IKS), die vom Kapitalismus als permanentem Krisenzusammenhang ausgingen, überschlägt sich spätestens seit dem Platzen der New-Economy-Blase nun auch die bürgerliche Presse beim Ausmalen von Krisenszenarien. Schlechte Zeiten eigentlich für ein theoretisches Revival des Keynesianismus. So wie aber auch der politische Reformismus in den Industrieländern fröhliche Urständ feiert, so bringt er natürlich auch auf theoretischer Ebene den alten Ballast wieder auf die Tagesordnung. Samuelsons Fahne hebt nun so die einst von der „New York Times“ zur „Ikone der Globalisierungskritiker“ hochstilisierte Naomi Klein auf. In ihrem im letzten Herbst erschienen zweiten Buch mit dem Titel „Die Schock-Strategie“ legt sie eine politisch-ökonomische Analyse vor, die alles hat, um zu einer Bibel des neuen Reformismus zu werden. Aus diesem Grunde lohnt auch ein genauerer Blick auf die entscheidenden theoretischen Aussagen gerade seitens kommunistischer Kräfte.
Im Zentrum von Kleins Studie steht die Analyse einer Entwicklung, über deren Erscheinungsformen es kaum Zweifel geben kann: Der Ablösung der in der Nachkriegsperiode dominierenden keynesianischen Wirtschaftspolitik durch den Dreischritt aus Privatisierung, Senkung der Sozialtransfers und Deregulierung der Märkte samt dazugehöriger Apologie und der daraus resultierenden weiteren Enteignung derer, die sich auch Klein scheut Proletariat zu nennen. Auf fast 660 Seiten plus den 70 weiteren des Anmerkungsapparates und dem Ritt durch verschiedene mit Gewinn zu lesende Fallbeispiele von Chile bis in den Irak versucht sie den Nachweis für ihre These zu erbringen, dass dies ein bewusst gesteuertes Projekt darstellte, an dessen Anfang stets ein die Gesellschaft paralysierendes Schockereignis stand, und das immer mit einer autoritären Formierung des umsetzenden Staates einherging, um potentiellen Widerstand gegen ein nur einer winzigen Oberschicht nützlichem Projekt schon im Keim ersticken zu können.
Wenn wir uns hier nur mit den krisentheoretischen Teilen des Buches beschäftigen, so geschieht dies nicht ausschließlich aus Platzgründen. „Die Schock-Strategie“ bietet gerade in Hinsicht auf die Fallbeispiele und einer Skizze der zunehmend autoritären Wende der kapitalistischen Staaten viel Wissenswertes. In politischer Hinsicht steht und fällt das von Klein zum Abschluss beworbene Projekt eines neuen Reformismus, der ganz in der Manier der globalisierungskritischen Linken nicht nur traditionelle sozialdemokratische Politikformen umfassen soll, sondern auch Basisinitiativen, NGO’s, Kooperativen, aber natürlich auch das Venezuela von Hugo Chavez als löbliche Beispiele benennt, allerdings mit ihrer Analyse des „Aufstiegs des Katastrophenkapitalismus“.
Dieses Modell bezeichnet Klein nicht mit dem so modischen, gleichzeitig aber unglaublich unpräzisen Begriff des Neoliberalismus, sondern mit dem des Korporatismus. Darunter versteht sie einerseits die „massive Umverteilung von öffentlichem Besitz in Privathände“ und andererseits die Indienstnahme des Staates durch die Kapitalisten selbst und dessen autoritäre Wende. Und hier schon verbirgt sich die Schwäche ihres Ansatzes, der personalisierend ein Bündnis gieriger Kapitalisten und zynischer marktgläubiger Ökonomen für die „neoliberale Wende“ verantwortlich macht. Und diese Verschwörung hat sogar einen Namen: Milton Friedman. Dabei kommt ihr zugute, dass sie an einer Aussage Friedmans selbst ansetzen kann, der Krisen die Funktion zuschrieb, dass aus ihnen echter Wandel hervorgehe, was in seiner Diktion das Zurückdrängen der wirtschaftlichen Staatsfunktionen bezeichnete. Nur: Ihre Schlussfolgerung daraus ist eine rein verschwörerische Vorstellung, auch wenn sie dies an mehreren Stellen bestreitet, die nicht nur zu einer Jubelarie des „goldenen Zeitalters“ verkommt, sondern auch die ökonomischen Hintergründe eher verdunkelt als beleuchtet. Denn warum, so muss gefragt werden, konnte eine gegenüber Krisen absolut unanfällige Wirtschaftsordnung, und so bezeichnet sie den Nachkriegskapitalismus mehrfach, durch die „Chicago Boys“ und einige politisch und wirtschaftlich einflussreiche Sympathisanten torpediert werden und warum konnte sich dieser Trend unter so verschiedenen Regimes wie dem vom ANC regierten Südafrika, den westlichen Demokratien, dem nationalrevolutionären China oder eben lateinamerikanischen Juntas durchsetzen?
Kleins Vorstellung ist dabei, dass fundamentale Krisen vor allem (und eigentlich ausschließlich) durch fehlende Kreditvergaben, wie etwa in Russland während der Jelzin-Ära hervorgerufen würden. Sie sind damit für sie nicht etwa Produkt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, sondern würden politisch kreiert werden. Der Keynesianismus hätte dies erkannt und die Krisen somit aus dem kapitalistischen Zyklus verbannt. Erst aufgrund der korporatistischen Verschwörer seien die tiefen ökonomischen Krisenerscheinungen in die Welt des Kapitalismus zurückgekehrt. „Je mehr die Welt seinen (denen Friedmans) Rezepten folgte,“ schreibt sie, „desto krisenanfälliger wurde das System und produzierte mehr und mehr GAUs, die Friedman als die einzigen Umstände identifiziert hatte, unter denen Regierungen noch mehr auf seine radikalen Ratschläge hören würden.“
Was dabei peinlich verschwiegen wird ist, dass der Siegeszug des „Katastrophenkapitalismus“ nur auf dem Boden des Bankrotts des „Gemischten Wirtschaftssystems“ in den 1970er Jahren gedeihen konnte. Die wegen tiefer Krisenerscheinungen erfolgte Kündigung des Bretton-Woods-Systems 1971, die galoppierende Inflation, die dramatische Verschuldung der öffentlichen Haushalte und nicht zuletzt die auch durch das „deficit spending“ nicht aufzuhaltende Zunahme der Arbeitslosigkeit – kein Wort darüber. Hier rächt sich, dass Klein das analytische Instrumentarium des Marxismus links liegen lässt. Der Zwang des Kapitals, immer mehr unproduktive Arbeit in die Mehrwertproduktion zu integrieren und so der Überakkumulation entgegenzuwirken, findet nur negativ in der Aburteilung sog. „sektiererischer Linker“ Erwähnung, aber keine Auseinandersetzung. Dass diese Ignoranz zumindest teilweiser Opportunität geschuldet sein könnte, ist sicherlich mehr als nur Spekulation.
So ist dieses Buch weniger in wissenschaftlicher, sondern in politischer Hinsicht interessant. Es bietet den Anhängern Kleins die Möglichkeit, den Sachzwanglitaneien entgegenzutreten ohne den Kapitalismus generell in Frage zu stellen. Heraus kommt ein letztlich zahnloses Werk, weil jeder neue Reformismus in einer sterbenden Ordnung keinen Spielraum mehr finden wird und weil die reformistischen Strömungen selbst nicht die politische Rechte des Proletariats repräsentieren, sondern eine bürgerliche Linke, die dem Zwang zu Angriffen auf das Proletariat genauso unterliegt wie die anderen politischen Fraktionen der Bourgeosie. So beweist der derzeitige wirtschaftspolitische Mainstream trotz seiner Apologie und seiner Menschenverachtung ein höheres Maß an Realismus als die neuen Reformisten, weil seine Protagonisten um die Grenzen kapitalistischer Akkumulation wissen. Auch die gefeierten Helden der Naomi Klein werden sich letztlich zu entscheiden haben zwischen der Seite des Kommunismus und der der Barbarei.
Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus; S. Fischer, Frankfurt/M. (2007); 763 S.; 22,90€.
G.