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Einige bürgerliche Schreiberlinge unterscheiden Finanz-, Wirtschafts- und Systemkrise, wenn sie beispielsweise sagen: "Die Finanzkrise trifft die Schweiz in einer Rezession." Diese Sichtweise ist eine Beschönigung der aktuellen Lage. Wer den jüngsten Konjunktureinbruch als "Finanzkrise" darstellt, vertuscht, dass der Kapitalismus seit 40 Jahren in einer ständig sich vertiefenden Krise steckt.
Deshalb geht es uns in diesem Artikel nicht darum, die Gründe der Krise bei den Banken allein oder "dem Finanzkapital" allgemein zu suchen - auch wenn viel davon die Rede ist.
Der "modernste" - oder besser gesagt: der aktuellste - Ausdruck der Rolle des Finanzkapitals im Kapitalismus, sind die Banken, insbesondere auch die Grossbanken der Schweiz. Eine davon ist die UBS.
Insofern die "Finanzkrise" die Zuspitzung der allgemeinen ökonomischen Krise im Kapitalismus ist, befindet sich auch die Schweiz in keiner besonderen Situation. Von der globalen Rückbildung des Finanzbereiches wird die Schweiz hart betroffen sein.
Als die Fluggesellschaft Swissair bankrott ging und vom Staat sang- und klanglos aufgegeben wurde, war dies zwar eine Einschränkung in der Unabhängigkeit für die Bourgeoisie der Schweiz. Allerdings hat der Bereich einer Fluggesellschaft für einen Kleinstaat nicht dieselbe strategische Bedeutung wie für eine Grossmacht. Vor allem mitten in Europa.
Der Finanzbereich wurde in der Schweiz über die letzten 150 Jahre derart wichtig, dass er von strategischer Bedeutung ist. Die UBS hat mehr mit dem Charakter des Schweizer Imperialismus zu tun als die Swissair. Die Swissair war ein Werbeträger, aber beim Geld geht es ans Eingemachte. Der Finanzbereich ist für die Schweiz eine Frage von Leben oder Tod geworden. An dieser Stelle interessiert uns diese Entwicklung bezüglich einem traditionell starken Banken- und Finanzsektor in der Schweiz, welcher sich in den 1980er Jahren stark veränderte. Insbesondere die Deregulierung des Finanzsektors weltweit und die damit verbundenen Entwicklungen des Aktienmarktes brachten der Schweizer Bourgeoisie grosse Möglichkeiten der Profitabschöpfung.
Mit der Schrumpfung des industriellen Sektors musste die Erweiterung des sogenannten Dienstleistungssektors noch mehr vorangetrieben werden. Der Banken- und Finanzplatz Schweiz konnte durch seinen bereits traditionellen vorhandenen "guten Ruf", mit erfahrenen Banken und Versicherungen und einer engen Anbindung an die USA seit Beginn der 1980er Jahre zu einem Quantensprung in seiner Entwicklung anheben. Dabei spielte eine grosse Rolle, dass immer mehr Kapital angehäuft wurde, das nach Rendite suchte, weil es nicht mehr in genügendem Umfang in der produzierenden Industrie investiert werden konnte.
Diese Entwicklung brachte Möglichkeiten mit sich, um gerade
auch insbesondere Angriffe auf die Löhne der ArbeiterInnen durchzuführen. Der
Staat konnte mit neu eingeführten Gesetzen einen vorzüglichen Rahmen dafür
schaffen. So wurde eine obligatorische private Altersvorsorge, das System der
Pensionskassen, das einem Zwangssparen entspricht, eingeführt. Auch die
staatliche Altersvorsorgekasse (AHV) durfte in Aktien investieren. Das
Arbeits-, Aktien- und Versicherungsrecht usw. wurden mehrmals geändert.
Eigentlich so ziemlich alles. Kurz gesagt: Das Parlament ist dauernd damit
beschäftigt, die Ausbeutung der Arbeiterklasse straffer zu organisieren.
Die "privatwirtschaftlich Seite" der Entwicklung waren die Banken, der Aktienmarkt in Zürich und die ihn betreibende Firma. Die Gesetze diesbezüglich wurden ebenfalls ständig angepasst und verändert. Die Schweiz war zum Teil sogar Vorreiterin solchen Entwicklungen, die in anderen Ländern übernommen wurden.
Resultat: Die Schweiz war um die Jahrtausendwende nach London weltweit der derivativste Markt - mit einem anderen Wort: der spekulativste! Die UBS verwaltete bis zum Ausbruch der jüngsten "Finanzkrise", nahezu einen Drittel aller gesparten Vermögenswerte weltweit. Die UBS wies für 2007 eine Bilanzsumme von 2'273 Mrd. Franken aus. Dieser Riesensumme lagen ein Handelsbestand von 774 Mrd. Franken und Kundenausleihungen von 336 Mrd. Franken zugrunde. Allein diese Zahlen zeigen die schlichtweg irrationalen Dimensionen dieser Bank. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz beträgt rund 500 Mrd. Franken.
Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass die UBS eine der von der "Finanzkrise" am stärksten betroffene Bank in Europa ist. Bis zum Sommer 2008 musste die UBS mindestens 40 Mrd. Franken abschreiben. Mittlerweile dürften weitere Milliarden dazu gekommen sein.
Weshalb interveniert der Staat gerade in der Schweiz so heftig
Die Amerikaner schnürten ihr 700 Mrd. Dollar schweres Paket zuerst - nach einigem Zögern. Dieses war noch nicht mal vom US-Parlament genehmigt, als die Medien sofort das Wunschdenken verbreiteten, die Banken in der Schweiz würden indirekt davon profitieren.
Als dann England und Deutschland ihre Rettungspakete bekannt gaben, wollten die schweizerische Regierung und die hiesige Bankiervereinigung der ganzen Welt weis machen, dass Ruhe bewahren das beste Rezept sei. Handlungsbedarf sei nicht gegeben.
Nur einige Tage nach diesen Statements musste die Regierung verkünden, dass 68 Mrd. Franken zur Stützung der UBS - also einer einzigen Bank - versprochen werden. Ein Aufschrei war zu vernehmen, der mehr Ausdruck der Verwunderung war. Man stelle sich dieses Megapaket für eine einzige Bank im Verhältnis zur 700-Mrd.-Dollar-Spritze der USA für ihre Finanzmärkte vor. Das Bruttoinlandsprodukt der USA beträgt rund das 40-fache desjenigen der Schweiz; ihre Spritze aber bloss etwa das 12-fache.
Der UBS-Rettungsplan sieht vor, dass der Staat der UBS eine Kapitalspritze versetzt und eine so genannte "Zweckgesellschaft" unter Leitung der Schweizer Nationalbank gründet. Diese "Zweckgesellschaft" soll der UBS für maximal 62 Mrd. Franken unverkäufliche Wertpapiere abkaufen. Ursprünglich verfolgten die USA eine ähnliche Idee. Inzwischen haben sie diesen Plan geändert. Die USA unterstützen ihre Not leidenden Banken jetzt direkt, statt die Ramsch-Papiere aufzukaufen. Damit sinkt weltweit die Attraktivität dieser Papiere weiter. Das wiederum drückt auf die Kurse und macht den Schweizer UBS-Rettungsplan zusätzlich zu einem Risikogeschäft. D.h. die anfänglich in Aussicht gestellten Gewinne für den Staat werden immer unwahrscheinlicher.
Der Staat ist derart gefordert, weil die Auswirkungen der Krise alle Vorstellungs- und jedes Handlungsvermögen einzelner Banken übersteigen.
Die Politiker und Medien der Schweiz legen grossen Wert darauf, dass dieses Geld für die UBS in keinem Falle eine auch nur irgendwie geartete Teil-Verstaatlichung sei. Im Gegensatz zu angeblich anders gearteten Finanz-Rettungspaketen anderer Länder. So die offizielle Interpretation.
Es ist unwesentlich, wie die Konzeptionen in der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Scheinbare Begründungen und Argumente hin oder her. Es sind massive Interventionen des Staates, gerade in einem Bereich, in dem sich die so genannte "Globalisierung" angeblich exemplarisch verwirklichte. Die insgesamt 68 Mrd. Franken für das UBS-Rettungpaket sind nicht nur eine sehr hohe Summe; man muss auch die politische Bedeutung der Intervention betonen. Es ist das offene Auftreten staatskapitalistischer Massnahmen, wie sie seit den 1970er Jahren nicht mehr da gewesen sind. Es sind massive, rigorose Interventionen des Staates - ob in der Schweiz, den USA, Grossbritannien oder Deutschland.
Reichlich vorhandene Scheinlösungen
Von den 68 Mrd. Franken des UBS-Rettungspakets werden angeblich bis zu zwölf Milliarden als Bonus für die Manager ausbezahlt. Der Bundesrat (die Regierung) liess bekannt geben, dass er einen konkreten Plan hat, die Bonuszahlungen von den Managern zurückzufordern. Dies mit dem nichts sagenden Zusatz: falls die Manager ihre Leistungen nicht erfüllten.
Die sozialdemokratische Partei (SP) hat kurz nach dem ersten Rummel um die 68 Mrd. Franken einen "Gegenvorschlag" vorgebracht. Der zentrale Punkt der Kritik ist, dass der Staat auf die vorgesehene Zweckgesellschaft, die mit diesen 68 Mrd. gegründet wurde, zu wenig Einfluss habe. Die anderen Parteien nannten die Vorschläge der SP sofort "kalte Verstaatlichung".
Es ist moralisierende Heuchelei, wenn die Politiker so tun, als ob die Kontrolle der Manager-Löhne der wesentliche Punkt sei, der kontrolliert werden müsse. Dass die Managerlöhne zwar nicht die alleinige Schuld tragen, aber der "Finanzsektor" besser kontrolliert werden müsse, ist eine Differenzierung der bürgerlichen Linken, die auf eine grössere Rolle des Staates abzielt. Heute in dieser Situation wieder den Staat und Staatsinterventionen bzw. Regulierung zu fordern, ist abgeschmackte reformistische Illusionen zu verbreiten, welche nach mehr Keynesianismus rufen und somit vortäuschen, dass die Probleme damit zu lösen seien. Zufall ist es nicht, dass die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften der "Finanzkrise" die Schuld dafür zuschreiben, dass die "ganze" Wirtschaft von der Rezession erfasst wird. Es ist vielmehr die eigene Logik dieses Teils der Bourgeoisie, der seit bald 100 Jahren so fest in den Staat integriert ist wie ihre rechten Konkurrenten. Jener linke Flügel der herrschenden Klasse muss nun aktiver werden, um mit seiner Ideologie die Arbeiterklasse weiterhin hinters Licht zu führen. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften bedauern dies, weil mit der Verschärfung der Krise je länger je grössere Teile der Arbeiterklasse diesen Betrug als solchen erfahren und erkennen können.
Gerade in der Schweiz fordern die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften nicht weiter gehende Dinge, als Regierungsmitglieder und Politiker anderer Parteien auch fordern.
Wenn der Schweizerische Gewerkschaftsbund auf seinem Flugblatt für die Kundgebung vom 15. November 2008 die Forderung nach "Rückzahlung der Boni" stellt, spielt er nur mit der berechtigten Wut der ArbeiterInnen, um sie für die eigene Stärkung im politischen Ränkespiel zu missbrauchen. Um zu sagen: Seht her: Die Leute kommen an unsere Kundgebung! Wir sind eine wichtige und verantwortungsvolle Kraft im Staat, auf die ihr nicht verzichten könnt.
Wer muss die Krise am Schluss ausbaden?
Die Behauptung der Gewerkschaften, dass die Finanzkrise die Ursache der jetzigen Rezession in der "Real-Wirtschaft" sei, ist eine grosse Lüge, um bei den Arbeitern einen falsche Erklärung in Umlauf zu bringen - insbesondere, wenn die Arbeitslosigkeit steigen wird. Vielmehr krankt dieses System insgesamt an einer Ueberproduktionskrise: Es soll möglichst viel produziert werden, damit der Profit möglichst hoch ist; die Ausgebeuteten, d.h. die grosse Masse der Bevölkerung, sollen aber möglichst wenig für ihre Arbeit kriegen, da ja sonst der Profit abnimmt; also fehlt ihnen das Geld, um die produzierten Waren zu kaufen - ein Widerspruch, den der Kapitalismus mit seiner Profitlogik nicht überwinden kann.
Die Bourgeoisie ist angesichts des knappen Geldes auch in der Staatskasse sofort zu Kürzungen in der Altersvorsorge übergegangen. Einerseits wird von der Regierung der Mindestzinssatz für das Pensionskassenvermögen von 2,75% auf 2% gesenkt. Andererseits wurde auch der Umwandlungssatz für die Berechnung der Höhe der monatlichen Pension aus dem angehäuften Pensionskassenvermögen von 7,2% auf 6,4% reduziert. Diese Rentenkürzungen sind so offensichtlich, dass Kommentatoren in den Medien dies aufgriffen. Für die Pensionskassen, welche Ende 2007 noch 600 Mrd. Franken verwalteten, wird 2008 das schlechteste Jahr seit ihrer gesetzlichen Einführung 1985.
Und auch mit den Lohnerhöhungen für nächstes Jahr ist es nicht weit her. Von Lohnerhöhung kann keine Rede sein. Im Gegenteil! 1,5% bis 3% sind lächerlich geringe Summen. Dies ist nur knapp der Ausgleich der offiziell ausgewiesenen Teuerung.
Dazu kommt eine weitere Erhöhung der Krankenkassenprämien, die bei niederen Einkommen die Lohnerhöhung schon alleine wegfressen. Dazu kommt, dass auch in der Schweiz Strom, Gas und Benzin massiv teurer wurden.
Auch in der Schweiz wird die Arbeiterklasse von einer noch selten dagewesenen Krise betroffen sein. Die Schweiz wird diese Krise nicht mehr so einfach in den Griff kriegen, wie in den 70er-Jahren, als viele Immigranten und "Fremdarbeiter" abgeschoben wurden. Dies ist wichtig festzustellen, weil der herrschenden Klasse in der Schweiz eine Arbeiterschaft gegenüber steht, die prozentual einen sehr hohen Teil der Bevölkerung ausmacht. Traditionell versucht die Schweizer Bourgeoisie, die einheimischen ArbeiterInnen möglichst von der immigrierten Arbeiterschaft zu trennen. Dies ist heute viel weniger möglich als früher. Deshalb wird es für uns wichtig sein, die Einheit der Arbeiterklasse zu betonen und diese Manöver anzuprangern.
Es gibt nur eine Arbeiterklasse, die zur Klasse an und für sich werden muss - das Proletariat!
20.11.08, G