Submitted by IKSonline on
In unserem ersten Artikel zum Streik der Tekel-Beschäftigten schilderten wir die Ereignisse bis zum 20. Januar. Mit diesem Artikel setzen wir die Schilderung des Kampfes fort und berichten über die Zeit von der Errichtung der Zelte im Zentrum von Ankara bis zum 2. März, als die Arbeiter Ankara wieder verließen.
An dieser Stelle möchten wir uns zunächst ganz herzlich bei den Tekel-Beschäftigten bedanken, die durch ihre Auskünfte über die Ereignisse, ihre Erfahrung und ihre Gedanken es uns erst ermöglich haben, dass diese Erfahrungen wertvolle Hinweise liefern für die zukünftige Entwicklung des Tekel-Kampfes wie auch für die zukünftigen Kämpfe unserer Klasse insgesamt.
Wir beendeten den ersten Artikel mit dem Hinweis auf die Anstrengungen der Arbeiter zur Bildung eines Komitees. (…) Von Jahresbeginn bis zum 20. Januar gab es 4-5 Anläufe zur Bildung eines Komitees, und danach gab es auch weitere Versuche. (…)
Hürden für die Errichtung eines selbständigen Komitees
Eines der ersten Probleme ist die mangelnde Verständigung unter den Arbeitern. Die Arbeiter waren meistens zusammen und diskutierten ständig miteinander. Andererseits waren sie nicht dazu in der Lage, ein Organ wie eine Massenversammlung zu errichten, die einen Rahmen für ein Zusammenkommen und organisiertes Vorgehen bieten würde.
Wie wir weiter unten im Artikel erklären werden, wurde die Lage dadurch erschwert, dass Arbeiter aus den verschiedenen Städten jeweils ihre Zelte getrennt voneinander errichteten und die meiste Zeit "getrennt" von einander verbrachten. Diese Trennung von einander blockierte die Verständigung. Aber ein größeres allgemeines Problem war, dass die meisten Arbeiter keine Alternative für die Gewerkschaften suchen wollten oder zumindest dabei zögerten. Viele Gewerkschafter wurden aus dem einfachen Grund geachtet, weil sie Gewerkschafter sind. Man glaubte ihnen mehr als den entschlossenen, militanten, die Bewegung führenden Arbeitern. Dadurch entstand das Problem, dass die Arbeiter ihre eigenen Entscheidungen nicht wirklich unterstützten. Die psychologische Abhängigkeit der Arbeiter von den Gewerkschaftsoffiziellen verhinderte die Gründung von Arbeiterkomitees außerhalb der Gewerkschaften.
Ein Kollege aus Adıyaman bestätigte diese Beobachtung: "Wenn die Sachen in den Zelten diskutiert worden wären, und wenn jedes Zelt einige Leute geschickt hätte, wäre das Komitee quasi von selbst gegründet worden. Unter diesen Umständen hätte sich dem niemand widersetzt, es wäre unmöglich gewesen. Wir versuchten diese Frage aufzuwerfen (…) Die mangelnde Kommunikation war ein Problem, wir hätten zum Beispiel ein Kommunikationszelt errichten sollen, als die Zelte aufgebaut wurden. Wenn wir das getan hätten, dann wäre wohl ein Komitee um das Zelt gebildet worden."
Die Arbeiter erklärten offen ihr mangelndes Vertrauen in die Gewerkschaften, aber ihre Zögerungen verhinderten die Suche nach einer Alternative. Während dies eine widersprüchliche Lage zum Ausdruck bringt, verdeutlicht es gleichzeitig, dass die Gewerkschaften noch einen ziemlichen Einfluss auf die Arbeiter haben. Obgleich die Arbeiter den Gewerkschaften nicht trauen, klammern sie sich noch an sie und glauben weiterhin, dass sie ihre Stimme mit Hilfe der Gewerkschaften zum Ausdruck bringen könnten.
Und die Gewerkschaftsvertreter sind schon sehr besorgt, wenn sie das Wort Komitee hören. Sie sind sich sehr wohl dessen bewusst, wenn ein Komitee gegründet wird, würden sie ihre Kontrolle verlieren und die Masse der Arbeiter würden nicht mehr von ihnen gesteuert werden können. Aber in den Augen der Arbeiter ist dies nicht klar. Versuche, ein Komitee zu gründen, finden weiterhin statt, ungeachtet der Probleme, auf die die Arbeiter bislang gestoßen sind und ungeachtet der Reaktionen der Gewerkschaftsoffiziellen.
Die Entstehung der Zeltstadt
Kommen wir wieder zum Gang der Ereignisse zurück: Am 14. Januar versammelten sich nahezu alle Tekel-Beschäftigten mit ihren Familien aus fast allen Städten, wo es Standorte von Tekel-Werken gibt, in Ankara zu einem dreitägigen, ununterbrochenen sit-in. Um sich vor der Kälte zu schützen, machten die Arbeiter nachts Feuer. Am dritten Tag regnete es heftig. Plastikplanen mussten über die Straßen gespannt werden, auf denen sie schliefen. So entstand die Zeltstadt mitten in Ankara. Der Aufbau von Zelten war eine sehr spontane Entwicklung, wie auch andere Aspekte des Kampfes. Eigentlich hatten die Arbeiter die Errichtung eines Kampfzeltes vor dem Gewerkschaftsgebäude gefordert.
Diese Forderung stand im Zusammenhang mit den Bestrebungen, ein Komitee zu errichten, aber die Gewerkschaften hatten sich dagegen gestellt. Schließlich wurden die Zelte doch errichtet, aber eher weil die Wetterbedingungen solch einen Schritt erforderlich machten. Die Plastikplanen, welche die Straßen überspannten, sahen schnell wie Zelte aus, und bald fingen Arbeiter aus den verschiedenen Städten an, ihre Zelte aufzubauen. Erst nachdem die Zelte aufgespannt waren, gaben die Gewerkschaften ihre Zustimmung dazu. Der Grund für die räumliche Abtrennung der Zelte nach den verschiedenen Standorten bestand darin, dass die Arbeiter das Eindringen von Spitzeln und Provokateuren in die Zelte unterbinden wollten, aber auch um eine mögliche gewisse Zerstreuung zu verhindern, so dass jeder die anderen im Blick hatte. Aufgrund der Kälte wurden noch mehr Plastikplanen herbeigeschafft. Weil die Feuer viel Ruß und Rauch verursachten, mussten die Arbeiter Öfen herbeischaffen. Schließlich wuchs eine lebendige, atmende Zeltstadt mitten in Ankara.
Am 17. Januar hatte eine Massendemonstrationen zur Unterstützung der Tekel-Beschäftigten durch die Tekel-Leute und anderer Unterstützer aus anderen Städten im Anschluss an das sit-in stattgefunden. Tekel-Beschäftigte, die wussten, dass sie nur durch Ausdehnung des Kampfes diesen gewinnen konnten, drängten den Gewerkschaftsdachverband Turk-Is zur Ausrufung eines Generalstreiks. Nachdem die Arbeiter die Rede des Turk-Is Vorsitzenden Mustafa Kumlu gehört hatten, der einen Generalstreik nicht mal erwähnte, besetzten sie zunächst die Rednertribüne, von der die Gewerkschaftsführer zu den über 100.000 Demonstranten sprachen und schließlich das Gewerkschaftsgebäude. Das brachte Mustafa Türkel, den Vorsitzenden der Tek-Gida Is, die Gewerkschaft, der die Tekel-Beschäftigten angehören, dazu sich von Kumlu zu distanzieren und darüber zu klagen, wie isoliert er in Turk-Is sei, und wie die anderen Gewerkschaften in dem Dachverband und andere Gewerkschaften ihre Unterstützung versagten.
Für und Wider Hungerstreik
Ein geplanter dreitägiger Hungerstreik folgte dieser Demonstrationen. Nach Abschluss dieses dreitägigen Hungerstreiks sollte ein unbegrenzter Hungerstreik beginnen. Obgleich die Beschäftigten dachten, ein Hungerstreik sei der letzte Ausweg, meinten sie, in dieser Situation wären ihre Leichen mehr wert als ihr Leben; dass die Renten für ihre Familien im Falle ihres Todes höher wären als ihre jetzigen Löhne. (…) Aber das konnte die Zweifel an der Richtigkeit eines Hungerstreiks nicht aus dem Weg räumen. Am 19. Januar begann der Hungerstreik mit einer begrenzten Zahl von 140 Teilnehmern.
In den darauf folgenden Tagen kündigten die Gewerkschaften KESK und DISK ihren gemeinsamen Aktionsplan an. Die Entscheidung wurde getroffen, am 22. Januar die Arbeit einen Tag später zu beginnen, und ein Plan wurde vorgestellt, tägliche Unterstützungsbesuche und Proteste zu veranstalten. Am 21. Januar trafen sich Turk-Is, KESK, DISK und die eher rechte Kamu-Sen, Memur-Sen und Hak-Is und verkündeten anschließend, wenn die Regierung das Problem bis zum 26. Januar nicht löse, würden sie die „aus der Produktion kommende Macht“ einsetzen, und verkündeten das Datum des geplanten Solidaritätsstreiks. Premierminister Erdogan lud den Turk-Is Vorsitzenden Kumlu zu Gesprächen am gleichen Tag ein. Nach dem Treffen beauftragte die Regierung Mehmet Simsek, den Finanzminister, mit der Erstellung eines neuen Lösungsvorschlags. Simsek war niemand anders als der Mann, der gesagt hatte: „Wenn unsere Regierung einen Fehler gemacht hat, dann weil wir zu nachsichtig und mitfühlend mit unseren Arbeitern waren, die ihre Stelle aufgrund der Privatisierung verlieren“.
Nun wollte er nach Erstellung seines neuen Lösungsvorschlages erneut eine Turk-Is Delegation treffen. Darüber sollten fünf Tage vergehen. In Anbetracht dieser unsicheren Lage und unter Berücksichtigung der Ratschläge der Ärzte, beendeten die Arbeiter den Hungerstreik nach dem dritten Tag. Am 26. Januar verkündete die Regierung ihre negative Antwort. Die Reihe von Verhandlungen setze sich noch bis zum 1. Februar fort. In vieler Hinsicht war dies eine Politik des Zeitschindens. Schlussendlich hat die Regierung das Sparpaket 4-C nicht fallengelassen, sondern nur gewisse Änderungen vorgenommen. Die maximale Arbeitszeit, die zuvor auf 11 Monate erhöht worden war, wurde nun besser entlohnt, Zuschläge für ältere Beschäftigte wurden zugesagt wie auch 22 Urlaubstage. Die Arbeiter antworteten: „Wir wollen keine kosmetischen Verbesserungen am 4-C“.
Da die Verhandlungen zu keinem Erfolg führten, wurde der Hungerstreik am 2. Februar wieder aufgenommen. Die sechs Gewerkschaftsverbände Türk-Is, Hak-Is, DISK, Memur-Sen, Kamu-Sen und KESK verkündeten erneut nach einem Treffen „Aktionen, die die Kraft aus der Produktion einsetzen“ würde. Natürlich wurde diese Entscheidung nicht aufgrund der Eigeninitiative der Gewerkschaften getroffen, sondern nur aufgrund des Drucks der Arbeiter. Die Arbeiter hatten ihre Entschlossenheit zur Durchführung eines Generalstreiks auf der Demonstration am 17. Januar gezeigt, als sie sowohl die Rednertribüne als auch das Gewerkschaftsgebäude Turk-Is besetzten. Sie hatten auch versucht, die Eingangstür des Gebäudes einzudrücken. Die Arbeiter hatten Kumlus Rücktritt gefordert, und Mustafa Türkel war gezwungen worden, eine Rede mit Kritik an dem Gewerkschaftsverband zu halten und die anderen Gewerkschaften dazu aufzurufen, sich für einen Generalstreik zu entscheiden. Die Entscheidung der Gewerkschaften kam also eindeutig unter dem Druck der Arbeiter zustande. Gleichzeitig hatten die Gewerkschaften alles unternommen, um Zeit herauszuschinden. Schlussendlich mussten die Gewerkschaften einen Generalstreik ausrufen.
Nach dieser Ankündigung erklärte Erdogan, dass die Arbeiterdemonstrationen weit über ihr Ziel hinausgeschossen waren. „Bitte schön, wir haben unser Bestmögliches getan. Jetzt hat aber eine Kampagne gegen die Regierung eingesetzt, anstatt nur mehr Rechte einzufordern.“
Die Gewerkschaften wollen einen Generalstreik vereiteln
Nachdem die Arbeiterdemonstrationen vor dem Gewerkschaftsgebäude als illegal und als eine Besetzung erklärt wurden, sagte er: „Wir werden bis zum Ende des Monats geduldig sein. Danach werden wir alle erforderlichen juristischen Schritte unternehmen (…) Weil die Ereignisse jetzt durch ideologische Gruppen und Extremisten ausgeschlachtet werden. Sie benutzen einen unverschämten Ton und zielen auf mich und meine Partei ab. Die Arbeiter werden ausgenutzt.“ Der Gouverneur von Ankara, Kemal Onal, schlug in die gleiche Kerbe und drohte: kurz vor den Solidaritätsaktionen zugunsten der Tekel-Beschäftigten erklärte er diese für ungesetzlich und verbot den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Teilnahme an solchen Protesten. Er drohte all jenen mit Repressalien, die sich an solchen Protesten beteiligten.
Aber selbst nachdem die Gewerkschaften einen Generalstreik angekündigt hatten, hieß das nicht, dass sie diesen auch wirklich mittragen und nicht blockieren wollten. Viele regierungsfreundliche Gewerkschaften innerhalb des Turk-Is Dachverbandes stellten sich gegen den Beschluss eines Generalstreiks. Verbände auf Seiten der Regierung wie Memur-Sen und Hak-Is sagten in letzter Minute ihre Beteiligung ab. Und Turk-Is im Allgemeinen beschlossen ihre Teilnahme nur bei den Demonstrationen in Ankara –und das nur in Form des Auftretens der Gewerkschaftsführer. So wurde der Wille der Basis untergraben, und die Arbeiter aus verschiedenen Städten und Branchen konnten nicht zusammenkommen. An dem Tag beteiligten sich vielleicht 30.000-40.000 Arbeiter an den Demonstrationen, wobei eigentlich mehr als 100.000 hätten zusammenkommen können. Die Gewerkschaften versuchen eine größere Zahl Teilnehmer zu verhindern. Und die Mobilisierung für den Streik durch andere Gewerkschaften blieb weiter unter dem versprochenen Niveau. Dagegen beteiligten sich ca. 90% , d.h. ca. 9000 Beschäftigte von den 10.857 Tekel-Beschäftigten. In anderen Städten kam es gleichzeitig zu Unterstützungsdemonstrationen für die Tekel-Leute.
Es kam kein richtiger Generalstreik zustande. Er war zu begrenzt, zu schwach. Die Stärke eines Generalstreiks ergibt sich aus der Drohung, den Produktionsprozess durch die Beschäftigten lahmzulegen. Aber am 4. Februar bemerkte man nicht wirklich, wenn man nicht im Bilde war über die Ausrufung des Streiks durch die Gewerkschaften, dass ein Streik stattfand. Selbst einige Gewerkschaftsführer mussten dies eingestehen. Sami Evren, der Vorsitzende der KESK, sagte: “Die von den Tekel-Beschäftigten ausgelöste Bewegung hat eine große Solidarisierung in der ganzen Türkei hervorgerufen. Dies ist ein Erfolg der Bewegung, aber es gab Erfolge und Misserfolge bei der Einsetzung der Kraft, die man auf der Ebene der Produktion entwickeln kann. Da wurde nicht genügend Druck gemacht, das müssen wir eingestehen.“ Der Vorsitzende der DISK, Suleyman Celebi meinte: „In 81 Städten kam es zu „wir gehen nicht zur Arbeit“-Aktionen. Es stimmt, dass die Aktionen in Istanbul und Ankara weit unter dem erwarteten Niveau blieben, aber man kann nicht behaupten, dass dies den allgemeinen Erfolg der Solidarisierung geschmälert hat.“
Am gleichen Tag, den 4. Februar, ergriff die Regierung einige Gegenmaßnahmen. Das neue Gesetz zur Beschäftigung von Zeitarbeitern „4-C“ wurde im Gesetzesblatt veröffentlicht. Die Zahl der durch 4-C Beschäftigten wurde für das Jahr 2010 auf 36.215 festgelegt; die Tekel-Beschäftigten eingerechnet. Dieses Gesetz bedeutete nicht nur die Abschaffung des Rechtes der Arbeiter, acht Monate lang Arbeitslosengeld zu beziehen, sondern zwang die Beschäftigten mittels der Erpressung der Arbeitslosigkeit zur Annahme von sehr niedrigen Löhnen. (…)
Bis zum 4. Februar hatten die Arbeiter sich darauf konzentriert, die Gewerkschaftsverbände dazu zu bewegen, einen Generalstreik und damit die Ausdehnung der Bewegung auszurufen. Weil diese Erwartungen nicht erfüllt wurden und es zu keinem wirklichen Generalstreik kam, wurde dadurch der Schwerpunkt des Kampfes auf juristische Auseinandersetzungen verlagert. (…) Wenn juristische Auseinandersetzungen in den Vordergrund treten ist dies im Allgemeinen ein Ausdruck der Schwächung des Kampfes. Das Beispiel Tekel ist hier keine Ausnahme. Die Rolle der Gewerkschaften bei der Schwächung des Kampfes und der Ausrichtung auf die juristischen Auseinandersetzungen kann nicht unterschätzt werden. (…)
Am 2. Februar begannen die Arbeiter einen dreitägigen Hungerstreik, welcher dann am 5. Februar beendet wurde. Aber sobald dieser zu Ende ging, fingen weitere 100 Beschäftigte einen unbegrenzten Hungerstreik an. Der Vorsitzende von Tek Gida-IS, Mustafa Türkel, verkündete das Ende dieses Hungerstreiks am 11. Februar. Dann rief er 16 Arbeiter, die trotzdem weiter Hungerstreiken wollten, zum Aufgeben auf. Aber diese wollten nicht aufgeben.
Appelle der Tekel-Beschäftigten an die Solidarität und Eigeninitiative der anderen Beschäftigten
(…) am 16. Februar verkündeten Turk-Is, Kamu-Sen, KESK und DISK ihren gemeinsamen Aktionsplan für den 18. Februar. Spruchbänder mit der Aufschrift: „Der Kampf der Tekel-Beschäftigten ist unser Kampf“ sollten vor allen Gewerkschaftsgebäuden der vier Verbände angebracht werden. Am 19. Februar sollten sit-ins, Pressekonferenzen in allen Städten abgehalten werden, und für den 20. Februar war eine Solidaritätsdemo in Ankara vorgesehen. Die angereisten Demonstranten sollten sich auf dem Kolej-Platz sammeln, zum Sakarya-Platz marschieren und dort mit den Tekel-Beschäftigten die Nacht verbringen.
Tekel-Beschäftigte aus Adana riefen zur Demonstration am 20. Februar auf und betonten die Notwendigkeit der Ausdehnung des Kampfes: „Wir wollen, dass alle, die sich gegen die schlechten Verhältnisse in der Türkei auflehnen wollen, unsere Bewegung unterstützen. Es geht nicht mehr nur um uns. Die Mehrheit ist betroffen, die Unterdrückten. Hoffentlich werden wir gewinnen. Wir haben ein Feuer entfacht, und die Öffentlichkeit muss jetzt hier weitermachen. Es geht um unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder, die Zukunft der Arbeiterklasse in der Türkei. Wir haben etwas angestoßen, die anderen müssen jetzt die Bewegung weiterführen. Wir werden uns hier nicht zurückziehen bevor wir bekommen haben, was uns zusteht, aber die Öffentlichkeit muss wach werden und uns mit ihren Familien, Kindern usw. unterstützen..“ (…)
Am 20.Februar fanden die Solidaritätskundgebungen unter Beteiligung der Gewerkschaften, politischen Parteien und Massenorganisationen statt. Arbeiter der Balnaks Logistik-Firma, die auch ihre Arbeit zur gleichen Zeit verloren hatten als die Tekel-Belegeschaft ihren Kampf begann, waren ebenso gekommen. (…) Die Demonstration gab den Tekel-Beschäftigten einen moralischen Auftrieb. (…)
Am 23. Februar trafen sich die vier Gewerkschaftsorganisationen erneut. Sie beschlossen die Durchführung einer großen Aktion für den 26. Mai., falls die Regierung nicht nachgeben würde. Aber eine größere Mobilmachung erst drei Monate später zu planen, hieß die Arbeiter zu verarschen. Die Entscheidung wurde im Internet verbreitet bevor sie offiziell verkündet wurde. Niemand wollte dies glauben. Der untere Funktionärskörper war über die Entscheidung nicht informiert worden und behauptete es handelte sich um eine Falschmeldung. Nach der Ankündigung kamen Arbeiter zusammen und riefen Parolen gegen Turk-Is und Kumlu. In diesem kritischen Moment zeigte Türkel sein wahres Wesen ziemlich offen: „Wenn ihr weiter den Rücktritt von Kumlu verlangt, werde ich zurücktreten.“ sagte er den Protestierenden. Den Arbeitern war dies schnuppe.
Der Tod von Bergarbeitern bei Arbeitsunfällen und die Solidarisierung der Tekelaner
Am 23. Februar kamen 13 Bergarbeiter in Balikesir nach einer durch Grubengas verursachten Explosion ums Leben. Seit 2006 war dies der dritte große Unfall mit Todesfolgen für die Arbeiter aufgrund der Arbeitsbedingungen. 17 Arbeiter waren beim vorherigen Unfall ums Leben gekommen und drei bei einer früheren Explosion. Die Tekel-Beschäftigten waren bestürzt, als sie davon erfuhren. Die Bergarbeiter hatten ihr Leben wegen der unsicheren Arbeitsbedingungen verloren. Jetzt sollten die Tekel-Leute ähnlich unsicheren Bedingungen unterworfen werden. Die Wut der Klasse und ihr Schmerz mussten sich äußern. Ein Arbeiter aus Adiyaman erklärte: „Die Verstorbenen gehörten zu uns, wir müssen ihnen unsere Solidarität zeigen. Es gab eine hundertprozentige Beteiligung. Jeder spürte den Schmerz. Wir bereiteten Spruchbänder, schwarze Trauerbänder vor und verfassten eine Presseerklärung. Das war für unsere Klassensolidarität sehr wichtig.“ Man gedachte immer der Bergleute während der nunmehr regelmäßigen Abenddemonstrationen mit Fackeln, und hielt eine Schweigeminute zu Ehren der verstorbenen Bergleute ab. Der Slogan „Lang lebe die Klassensolidarität“ wurde zum Ruf des Tages.
Der Tod eines Tekel-Kollegen - der Kampf der Tekel-Belegschaft um die Aufklärung der Todesursache und die Konfrontation mit dem Staat
Am nächsten Morgen, dem 25. Februar, ereilte die Arbeiter eine neue schlechte Nachricht. Ein Tekel-Kollege, Hamdullah Uysal, war bei einem Verkehrsunfall in Ankara ums Leben gekommen.
Der in Ankara geborene Hamdullah Uysal hatte in Samsun bei Tekel gearbeitet. Er war 39 Jahre alt und hatte zwei Kinder, eins davon behindert. Er hatte sich an den Hungerstreiks beteiligt. Die Tekel-Beschäftigen hatten andere Verluste während des Kampfes hinnehmen müssen. Einigen war der Vater oder die Mutter gestorben oder gar Kinder, aber nun war es das erste Mal, dass einer von ihnen, ein Kollege während des Kampfes gestorben war. Hamdullah Uysal war ein militanter Arbeiter, die sich von Anfang an am Kampf beteiligt hatte. Seit dem Beginn der Bewegung war er in Ankara mit dabei, nur zweimal war er in seine Heimatstadt zurückkehrt. Die Arbeiter betrachteten ihn als einen Märtyrer des Klassenkampfes. Zudem riefen die Umstände seines Todes unter den Beschäftigten Wut und Empörung hervor. Uysal war von einem Jeep angefahren worden, der morgens um 5.30 h von einem betrunkenen Fahrer auf dem Weg zum Morgengebet gesteuert wurde. Man war auf den Fahrer und die Klasse, die er verkörperte, würgend. Die Arbeiter sprachen von dem Unfallfahrer als "einem reichen Typen mit dem Jeep".
Da die Arbeiter Uysal als einen Märtyrer ihres Kampfes betrachteten, und da sie fühlten, dass die Zeltstadt vor dem Turk-Is Gebäude wie ein Zuhause für sie geworden war, wollten sie eine Trauerfeier in der Zeltstadt abhalten und anschließend Uysal in seiner Heimat bestatten. Sie sprachen mit der Frau von Uysal, die meinte: "Die Straße vor dem Turk-Is Gebäude ist wie ein Zuhause für ihn geworden, das Zelt vor dem Turk-Is Gebäude ist sein Zuhause. Er hätte sich das sicherlich gewünscht. Ihr könnt die Feier vor dem Turk-Is-Gebäude abhalten und ihn dann in die Heimat überführen."
So begaben sich 400-500 Tekel-Beschäftigte zur Gerichtsmedizin in Kecioren, wohin Uysals Leichnam überführt worden war. Eigentlich wollten fast alle Arbeiter mitkommen, aber die Arbeiter beschlossen, ihre Zahl zu begrenzen, um einige Arbeiter zum Schutz der Zelte abzustellen, da die Regierung weiter drohte, die Zelte abzureißen. Die Arbeiter befürchteten, die Regierung könnte zum Angriff blasen und die Zelte abreißen, sobald sie den Sakarya Platz verließen. So blieben einige zurück und harrten vor dem Turk-Is Gebäude aus, bis der Leichnam dorthin gebracht würde.
Die Tekel-Beschäftigten, die zur Gerichtsmedizin gingen, wollten den Leichnam mitnehmen. Sie mussten Stunden lang ausharren. Man sagte ihnen, dass Uysals Bruder und Onkel kämen, um den Leichnam in Empfang zu nehmen. Schließlich kam ein Verwandter von Uysal, der auch bei Tekel beschäftigt war, aber man verweigerte auch ihm die Aushändigung des Leichnams. Dann tauchte ein "Onkel" auf, der behauptete der Ehemann einer Tante von Uysal zu sein. Die Gerichtsmediziner sagten, man werde ihm den Körper übergeben. Arbeiter, die wussten, dass man den Leichnam nur einem Verwandten ersten Grades übergibt, wollten diese Finte vom "Onkel" nicht glauben. Sie vermuteten, dass der "Onkel" ein Spitzel sein könnte und stellten ihn zur Rede. Ihr Verdacht wurde bestätigt, nachdem dieser "Onkel" eingestand ein Spitzel zu sein. Die Arbeiter pochten deshalb erneut auf Herausgabe des Leichnams an sie, aber die Polizei drängte sie zurück. Die Arbeiter warteten stundenlang und versuchten vergeblich die Familie Uysal zu erreichen. Schließlich traf die Familie Hamdullah Uysals ein. Aber die Ankaraer Polizei und die Leute des Gouverneurs setzten sie sofort unter Druck.
Die Ankaraer Polizei, die sie schon auf dem Weg zur Gerichtsmedizin anhielten, wollten sie zwingen, ihre Unterschrift unter ein Schreiben zu setzen, wonach der Leichnam in Uysals Heimat ohne eine Trauerfeier in Ankara überführt werden sollte. Man übte weiter in der Gerichtsmedizin Druck auf sie aus. Schließlich gab die Familie nach und willigte ein, dass der Leichnam ohne eine Trauerfeier in Ankara abtransportiert würde.
In der Zwischenzeit, während die Arbeiter vor der Gerichtsmedizin warteten, sagte man ihnen zu, dass man ihnen den Leichnam übergeben werde. Arbeiter stiegen auch in den Krankenwagen ein, mit dem sein Leichnam befördert wurde. Aber eine Gruppe von Arbeitern erkannte, dass der Krankenwagen zu einem anderen Ziel fuhr als ursprünglich vereinbart. Sie stiegen aus und blockierten den Verkehr. Andere Arbeiter schlossen sich ihnen an. Die Polizei tauchte auf und stellte sich zwischen die Arbeiter, die das Auto blockierten, und denjenigen, die noch im Krankenwagen saßen. Die Arbeiter wollten sich gegenseitig unterstützen, aber die Polizei ging gegen sie mit Tränengas vor, trieb sie auseinander, woraufhin die Arbeiter eine zweite Barrikade errichteten. Dann griff die Polizei die kleinere Gruppe von Arbeitern an, die die Weiterfahrt des Krankenwagens blockierten, zerrte sie aus dem Wagen und wollte sie festnehmen. Aber die größere Gruppe von Arbeitern konnte sich erneut sammeln und versuchte sich mit den anderen Arbeitern zusammenzuschließen. Dies gelang ihnen jedoch nicht mehr; der Polizei dagegen gelang es, den Krankenwagen unter ihre Kontrolle zu bringen, indem sie die Arbeiter brutal verprügelte.
In der Zwischenzeit versuchten die Arbeiter, die vor dem Turk-Is ausgeharrt hatten, zur Mithat Pasha Straße zu gelangen und am Unfallort Blumen zu hinterlegen. Aber die Polizei hinderte sie daran. Sie jagten die Arbeiter auf dem Sakarya Platz auseinander, die dort zugekommen waren, um ihren Kollegen vor der Gerichtsmedizin zu helfen. Vor den Polizeiabsperrungen in der Mithat Pasha Straße riefen die Arbeiter: „Ihr habt Angst vor unseren Toten“. Slogan wie „Tayyip der Mörder“, und „Die mörderische AKP gegen die Arbeiter“ (AKP=Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, deren Vorsitzender Tayyip Erdogan ist) wurden ebenso gerufen. Trotz all der Anstrengungen der Polizei gelang es einer Gruppe von Arbeitern, Blumen am Unfallort Hamdullah Uysals zu hinterlegen.
Die Arbeiter, die von der Gerichtsmedizin zurückkehrten, zogen direkt zur Mithat Pasha Straße. Dort errichtete die Polizei erneut Absperrungen, um die Arbeiter am Weiterkommen zu hindern. Den Arbeitern gelang es aber, die Absperrungen zu durchbrechen. Belagerer des Turk-Is Gebäudes schlossen sich ebenso an. Insgesamt hielten sie ein 20-25 minütiges sit-in ab und riefen Slogans zur Erinnerung an Hamdullah Uysal. Die Polizei umzingelte die Arbeiter während dieser Kundgebung. Schließlich beendeten die Arbeiter das sit-in und begaben sich zurück zur Zeltstadt.
Während all dieser Vorfälle bezogen die Gewerkschaften nie Stellung zugunsten der Arbeiter. Als die Polizei die Arbeiter vor der Gerichtsmedizin angriff, war von den Gewerkschaften nichts zu sehen. Und als die Arbeiter, die vor dem Turk-Is Gebäude verweilten, ihren Kollegen zu Hilfe eilen wollten, versuchten die Gewerkschaften diese nur zu besänftigen und zur Rückkehr zum Zelt zu bewegen.
Hamdullah Uysals Tod bewies erneut wie viel Angst die Ordnungskräfte vor den Arbeitern hatten. Die Polizei und der Gouverneur hatte alles unternommen, um die Arbeiter daran zu hindern, ihrem verstorbenen Kollegen ein letztes Geleit zu geben, aber vergeblich. Vielleicht waren die Schritte der Arbeiter, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und ein sit-in an der Unfallstelle abzuhalten, die kurzfristige Blockade des Straßenverkehrs, der beste Abschied für den verstorbenen Kollegen.
Der Tod von Uysal hatte die Tekel-Beschäftigten ziemlich erschüttert, aber die Vorfälle halfen auch den Arbeitern, die zu Hause geblieben waren, aufzuzeigen, wie ernst die Lage geworden war. Eines der Vermächtnisses Hamdullah Uysals war sein Aufruf zur Ausdehnung des Kampfes an die anderen Arbeiter: „Alles, was die Arbeiterklasse gewonnen haben mag, wird zu einem Kompass für die Arbeiterbewegung in der Zukunft werden. Schließt euch unserem Kampf an, rettet unsere Zukunft.“
Am darauf folgenden Tag zogen 25 Arbeiter vor die AKP-Zentrale in Ankara. Die Tekel-Beschäftigten, die in das Gebäude gehen wollten, beabsichtigten ein Spruchband mit einem Bild Hamdullah Uysals aufzuhängen. Daraufhin griffen private Sicherheitskräfte und Polizei die Arbeiter im Gebäude an. Aber dies spornte die vor dem Gebäude wartenden Arbeiter an, ebenso ins Gebäude vorzudringen. Diese wurden auch angegriffen, viele von ihnen wurden dabei verletzt. 19 Arbeiter wurden in Untersuchungshaft genommen. Slogans wie „Mörder der AKP, Tayyip der Mörder“ wurden gerufen, und die Arbeiter erläuterten, weshalb die Regierung für den Tod von Hamdullah Uysal verantwortlich war. Die übrig gebliebenen Arbeiter blockierten die Mannschaftswagen der Polizei, welche die Arbeiter in U-Haft bringen sollten. Sie riefen: „Tekel ist überall, kämpft überall.“ „Repression kann uns nicht abschrecken“. Leider gelang es ihnen nicht, die von der Polizei abtransportierten Arbeiter aus deren Händen zu entreißen.
Von der Nachricht, dass einige Arbeiter in U-Haft gelandet waren, erfuhr eine Gruppe von Arbeiterinnen aus dem Izmirer Zelt; sie zogen daraufhin vor die Polizeiwache. Die in U-Haft festgehaltenen Arbeiter wurden nicht registriert, mit der Schutzbehauptung, wegen laufender Bauarbeiten sei das nicht möglich gewesen. Eine Gruppe von Arbeitern vor dem Turk-Is Gebäude übte Druck auf die Gewerkschaften aus, dessen Rechtsanwälte zu schicken. All das hatte sich außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften zugetragen; unter dem Druck der Arbeiter mussten die Gewerkschaften zur Polizeiwache mit ihren Rechtsanwälten gehen. Am nächsten Tag warteten die Arbeiter vor dem Gerichtsgebäude von 10.00-21.00 h, bis ihre Kollegen freigelassen wurden. Die Arbeiter waren ca. 40 Stunden in U-Haft festgehalten worden. 15 Arbeiter wurden nachmittags entlassen. Gegen vier wurden Ermittlungen wegen „Beschädigung öffentlichen Eigentums und Ungehorsam gegenüber einem Polizeioffizier“ eingeleitet. Aber sie wurden in der gleichen Nacht wieder freigelassen. Mit den vor dem Gerichtsgebäude ausharrenden Kolleg/Innen fuhren sie zurück zur Zeltstadt.
Am 1. März beschloss die Justiz zugunsten der Klage gegen die Anwendung der Einmonatsfrist für das 4-C für die Beschäftigten. Die Arbeiter feierten dies. Während die militanten Arbeiter ihre Kollegen vor dieser Einschätzung gewarnt hatten, wollten die anderen dies nicht zur Kenntnis nehmen. Dieses falsche Siegesgefühl untergrub die gemeinsame Haltung der Arbeiter am nächsten Tag.
Das Ende der Zeltstadt… und die Gefahr der Spaltung der Arbeiter
Am 2. März kündigte Musta Türkel an, dass die Demonstrationen der Tekel-Beschäftigten in Ankara beendet und die Zeltstadt abgebaut würde, die Arbeiter würden am 1. April nach Hause zurückkehren. Dies führte zu einer Spaltung der Arbeiter in diejenigen, die sich der Entscheidung der Gewerkschaft zur Beendigung des Kampfes widersetzten und denjenigen, die den Kampf weiterführen wollten. Die Gegner riefen Slogans wie: „Die Zelte sind unsere Ehre. Wir lassen es nicht zu, dass ihr unsere Ehre verletzt.“ Andere Arbeiter riefen: „Türkel (der Gewerkschaftsführer) ist unsere Ehre“. Die Verfechter der Gewerkschaftsentscheidung und die Gegner wurden nun gegeneinander ausgespielt. Einige Zelte wurden abgebaut bevor Türkels Rede beendet war. Den Arbeitern wurde keine Zeit gelassen, eine allgemeine Diskussion zu führen. Die Arbeiter, welche sich der Entscheidung der Gewerkschaft widersetzten, diskutierten untereinander und wollten eine Strategie festlegen. Die Gewerkschaften wollten die beiden Gruppen gegeneinander hetzen und die Gegner der Gewerkschaftsentscheidung isolieren und abdrängen. Die Gewerkschaften wollten die „Unruhestifter“ bis zum 1. April vertreiben und sie vom Rest der Klasse isolieren, um so wieder die anderen Arbeiter unter ihre Kontrolle zu bringen.
Aber die militanten Arbeiter liefen nicht in die gewerkschaftliche Falle, denn um zu vermeiden, dass sie gegeneinander ausgespielt wurden, widersetzten sie sich nicht länger der Gewerkschaftsentscheidung. Die Gegner des Abbaus der Zelte waren bei den Zelten aus Adiyaman, Izmir, Istanbul und Diyarbakir in der Mehrheit. Nach Absprache in ihren Reihen beugten sie sich der Entscheidung.
Tatsächlich hatten die Gewerkschaften schon längst vorher angefangen, auf den Abbau der Zelte hin zu arbeiten. Schon in den davor liegenden 3 Wochen hatten sie sich in diesem Sinne ausgesprochen. Die Gewerkschaftsvertreter hatten in den Zelten für deren Abbau plädiert. An dem Tag, als die Arbeiter vor dem Gerichtsgebäude auf die Freilassung ihrer in U-Haft befindlichen Kollegen warteten, hatten die Gewerkschaften Bezirksversammlungen abgehalten und sich auch für den Abbau der Zelte ausgesprochen. Diese Wühlarbeit zahlte sich für die Gewerkschaften aus, denn die Entscheidung fiel zugunsten des Plädoyers der Gewerkschaften aus. (…) Die Gewerkschaften und die Regierung arbeiteten Hand in Hand. Leider meinten aber viele Arbeiter, die Gewerkschaften stünden auf ihrer Seite. Neben den Arbeitern, die glücklich oder traurig waren über den Abbau der Zelte, waren auch einige sehr wütend. Ein Arbeiter, mit dem wir sprachen, meinte, alles fing damit an, dass die Gewerkschaften Mist bauten und jetzt ende auch alles damit, dass die Gewerkschaften alles vermurksten.
Die Ausstrahlung des Tekel-Kampfes
Der Kampf der Tekel-Beschäftigten wirkte wie ein Schrei, der die Ruhe an der Klassenfront in der Türkei seit den frühen 1990er Jahren beendete. Der Kampf hatte auch ganz neue Methoden hervorgebracht. Die Errichtung einer Zeltstadt, wo die Arbeiter die ganze Zeit verbrachten, war etwas ganz Neues. Wie wir eingangs sagten, brachte dies positive Aspekte mit sich. Dadurch konnten die Arbeiter die Bewegung selbst kontrollieren. Gleichzeitig entstanden damit negative Folgen. Nach einer Zeit trugen die Bedingungen der Zeltstadt zur Ermattung bei, wodurch sich die meisten Arbeiter in die Zelte zurückzogen. Das Problem mangelnder Kommunikation war schwerwiegend. Aber ungeachtet ihrer positiven und negativen Aspekte waren die Zelte ein Ausdruck, ein Ort und Symbol des Kampfes.
Die Gründung eines Komitees der kämpferischsten Arbeiter
Das Ende der Zeltstadt hieß aber nicht, dass eine Pause im Kampf der militanten Arbeiter eingetreten wäre. Eine Gruppe von Arbeitern, mit jeweils Leuten aus verschiedenen Städten, beschloss in Kontakt zu bleiben und die Koordinierung ihres Kampfes in den Städten während des darauf folgenden Monats vorzunehmen. Nach dem Abbau der Zelte richtete sich die Strategie der militanten Arbeiter auf die Rückkehr der Arbeiter nach Ankara am 1. April, auf die Kontaktaufnahme mit Beschäftigten aus anderen Betrieben. Während der Abbau der Zelte als eine Niederlage des Kampfes erschien, kann jetzt die Tatsache, dass die militanten Tekel-Beschäftigten auf den Zusammenschluss bestehender Kämpfe und deren Ausdehnung auf den Rest der Klasse hinarbeiten, zu einer wichtigen politischen Entwicklung nicht nur für die Tekel-Beschäftigen führen, sondern für den Klassenkampf in der Türkei insgesamt.
Sude, Anfang Mai 2010
(leicht gekürzte Fassung der türkisch-englischen Ausgabe). Die ungekürzte Fassung steht auf unseren Webseiten zur Verfügung.