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Wir veröffentlichen an dieser Stelle ein Diskussionspapier, Ausdruck des derzeitigen politischen Lebens in den Betrieben Norditaliens. Die hier wiedergegebenen Anmerkungen sind von einigen Arbeitern der INNSE diskutiert und überarbeitet worden. Die GenossInnen reagieren auf die Erfahrungen des dort lange geführten Kampfes, versuchen daraus, allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen und sie in eine internationale Debatte zu stellen. In Italien, Deutschland und woanders werden sie auch von politisierten Minderheiten besonders in den Betrieben diskutiert. Genosse Riga aus Hamburg hat u.a. die IKS dazu aufgefordert, zu einer möglichst umfangreichen Verbreitung des Papiers beizutragen. Wir kommen dieser Aufforderung gerne nach, umso lieber, da der Text bereits eine Reihe von Kommentaren und eine Debatte auf unserer Webseite hervorgerufen hat. En gros wurde der INNSE-Beitrag durch diese Kommentare zwar begrüßt. Dennoch fiel die Reaktion mehrheitlich eher negativ aus. Das Papier aus Italien enthalte nichts Neues, heißt es beispielsweise dort, huldige dem alten Kult des Industriearbeiters, des blue collar workers, stelle eine Neuauflage des Operaismus minus Lenin dar usw. (siehe die Kommentare dazu auf unserer Webseite). Tatsächlich gibt es einiges in dem Text „Am Anfang war eine informelle Arbeiterpartei“, was klärungsbedürftig erscheint – und das ist gut so. So wird beispielsweise die Fabrik als ein Gebiet verstanden, „das von der Politik verlassen ist“, und somit als die vornehmste Wirkungsstätte der „informellen Arbeiterpartei“ erscheint. Aus unserer Sicht lässt man hierbei außer Betracht, dass insbesondere die Gewerkschaften im Auftrag des kapitalistischen Staates gerade in den Betrieben wirksam sind.
Die Wichtigkeit der aufgeworfenen Fragen
Es lohnt sich also, diesen Text zur Debatte zu stellen. Dabei sollte man ihn sorgfältig lesen und versuchen zu vermeiden, voreilige Schlüsse daraus zu ziehen. So ist es unserer Meinung nach gar nicht so sicher, dass hier ein Kult der Arbeiter im Blaumann betrieben wird, jedenfalls spricht er von der Fabrik „oder irgendeinem Arbeitsplatz“, und will alle Politisierten willkommen heißen, welche sich für die Sache des Proletariats einsetzen (allerdings werden die Erwerbslosen im Text nicht erwähnt). Ein Kult der Verherrlichung des Arbeiters wäre in der Tat fatal. Andererseits stimmen wir dem Text zu, wenn es heißt, dass es „ohne das Auftreten der Arbeiter keine echte Alternative zu diesem System gibt“.
Vor allem aber sollte man einen Text nicht allein daran messen, ob und in wie fern er neue Antworten liefert. Es ist oft viel wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen. Und in diesem Text finden wir zwei Fragen aufgeworfen, welche nicht nur sehr wichtig, sondern auch von höchster Aktualität sind: Erstens, wie entstehen Massenkämpfe der Arbeiterklasse, und zweitens, wie entsteht eine Klassenpartei des Proletariats?
Was die erste Frage betrifft, gibt es in der Regel zwei Antworten darauf, welche einander zumeist gegenübergestellt werden: Entweder die Massenkämpfe entstehen spontan, oder sie sind das Werk einer Partei. Was lehrt uns aber die Geschichte? Sie lehrt uns, dass die großen Kämpfe der Klasse, und erst recht die revolutionären Erhebungen, spontan ausbrechen, und dabei fast immer alle Beteiligten, einschließlich die ArbeiterInnen selbst, einschließlich ihrer revolutionären Minderheiten überraschen. Sie lehrt uns aber auch, und genauso, dass zwar der Ausbruch und die unmittelbare Organisationsform urwüchsig entstehen, dass aber die Bewegung selbst keineswegs ein spontanes Produkt der Geschichte ist, sondern politisch vorbereitet wird. Die Pariser Kommune, der Massenstreik von 1905 in Russland, die Revolutionen in Russland 1917 und Deutschland 1918 konnten gerade deshalb so elementar ausbrechen, weil sich lange zuvor eine politische Kultur in den Reihen der Arbeiter entwickelt hat. Ausdruck dieser politischen Kultur waren die Proudhonisten und die Blanquisten usw. in Paris, die Entstehung der Arbeiterzirkel und das Wirken der Sozialdemokratie in Russland vor 1905, die Arbeit von Spartakus, der Bremer Linken, die Obleute in Deutschland während des Kriegs (und der marxistischen Linken in der Sozialdemokratie vor dem Krieg) usw. Die politischen Arbeiterparteien und Gruppen waren in den Betrieben präsent, ihre jeweilige Positionen wurden dort diskutiert, mit einander verglichen.
Was die zweite Frage betrifft, so finden wir, dass die Formulierung „informelle Arbeiterpartei“, welche im Text verwendet wird, nicht sehr glücklich getroffen ist. Für uns kann man erst dann von einer Arbeiterpartei reden, wenn es ein Gebilde gibt, welches unmittelbar den Ausgang der Klassenkämpfe nicht nur beeinflussen, sondern sogar mit entscheidend prägen kann. Davon sind wir heute noch meilenweit entfernt. Somit wäre es aus unserer Sicht besser, von der Vorbereitung einer künftigen Klassenpartei zu sprechen. Ansonsten läuft man Gefahr, Opfer eines eigenen Bluffs zu werden bzw. an einer der unzähligen „linken“ Betriebsorganisationen zu basteln, welche von den Gewerkschaften aufgesogen werden.
Klassenautonomie und Politisierung
Wenn man aber die Sache in den Rahmen einer politischen Vorbereitung stellt, so hat der INNSE Text eine entscheidende Frage ausgeworfen! Sowohl für die Entwicklung künftiger Massenkämpfe als auch für die Vorbereitung einer Klassenpartei ist es unbedingt erforderlich, dass eine Schicht von hoch politisierten ArbeiterInnen innerhalb (und auch außerhalb) der Betriebe entsteht. „Können heute die Arbeiter keine derartige politische Schicht mehr hervorbringen? Sind sie nicht mehr in der Lage, Kämpfer für ihre Sache hervorzubringen?“ Warum sind diese Fragen so wichtig? In den beiden Jahrzehnten nach den internationalen Klassenkampfexplosionen von 1968-1972 hat das Proletariat zwar elementar erkannt, dass die einst zur Klasse gehörenden Organisationen wie die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie, die Kommunistische Parteien, der Sache der ArbeiterInnen nicht mehr dienen, aber sie haben sich deren Einflusses zu erwehren versucht, indem sie sich eine a-politische bis anti-politische Haltung zu eigen machten. Diese Art und Weise, die eigene Klassenautonomie zu bewahren, erwies sich aber als Sackgasse, ja als Boomerang. Denn die Autonomie der Klasse ist nicht denkbar ohne eine eigene Politik, ohne eine eigene Vision vom Endziel und ohne entsprechende Mittel des Kampfes. Außerdem wussten die linken Aktivisten, welche eine klassenfremde Politik betrieben und für eine Reform des Kapitalismus, für Moskau oder Peking schwärmten, sehr wohl, wie sie ihre eigenen Aktivitäten tarnen, ihnen einen nicht politischen Anstrich geben könnten. So zerrann am Ende ein Großteil der Energien der Generation von 1968. Vor allem gelang es nicht, eine eigene politische Alternative zum Kapitalismus – auch gegenüber seiner stalinistischen Variante – zu formulieren. So brach denn auch der Stalinismus am Ende in sich zusammen, anstatt dass er vom Proletariat gestürzt wurde, was die Herrschenden auszunutzen versuchten, um die Frage der Überwindung des Kapitalismus ad acta zu legen.
Wie gesagt: die meisten Kommentare auf unserer Webseite beklagten im Text der INNSE- GenossInnen das Fehlen von etwas Neuem. Aber es gibt etwas Neues, was nicht so sehr in diesem oder jenem Textbeitrag liegt, sondern in der historischen Lage selbst. Das Neue besteht darin, dass kämpferische Minderheiten sich bilden, welche branchenübergreifend und international Solidarität entwickeln und dabei Kontakte suchen und die Lehren aus ihren Kämpfen austauschen und auswerten. Sie versuchen also zu „politisieren“, und zwar auf einer Klassengrundlage. Dieser Vorgang ist wesentlich dafür, eine eigene Klassenidentität zurückzuerobern, um dem eigenen Abwehrkampf Sprengkraft zu verleihen, um eine eigene gesellschaftliche Perspektive zu entwickeln. Dabei müsste eine der vornehmsten Aufgaben der politisierten Schichten darin bestehen, sich allenthalben dafür einzusetzen, dass die Klasse selbst ihr Schicksal in die eigenen Hände nimmt und zu diesem Zweck die Diskussionen, Vollversammlungen, die Kämpfe insgesamt usw. in Eigenregie führt. Sonst droht auch diesen Ansätzen die Gefahr, gewerkschaftlich aufgesogen zu werden. Daher ist es so wichtig, dass diese Arbeit „nicht geografisch, lokal oder national begrenzt ist“ wie es im Text heißt. Ja, es handelt sich um die Aktivität von kleinen Minderheiten, natürlich. Aber diese Aktivitäten können der Vorbote sein von etwas, was unter der Oberfläche in der Klasse insgesamt sich zu rühren beginnt: Der berühmte „alte Maulwurf“, von dem Marx sprach, die unterirdische Bewusstseinsreifung des Proletariats.
Text aus Italien
Am Anfang war eine informelle Arbeiterpartei...
Sich als Arbeiter zu organisieren und als solche zu handeln, ist bereits ein Programm. Sobald die Arbeiter sich als solche zusammenschliessen und einen Ausweg aus ihrer prekären gesellschaftlichen Lage suchen, finden sie schon bei der Suche die Mittel und Wege, um diesen Ausweg in die Tat umzusetzen. Sie brauchen kein fertiges Programm, bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet, mit einer Liste von Forderungen, halbwegs zwischen grossspurigen Zielen und kleinen, vergänglichen Ergebnissen.
Diese Partei richtet sich auf einem Gebiet ein, das nicht geografisch, lokal oder national begrenzt ist: Es ist ein gesellschaftliches Territorium, auf dem sie ihre Kraft entfaltet. Die Fabrik oder irgendein Arbeitsplatz, wo es eine Arbeitergemeinschaft gibt, das ist das Gebiet der Arbeiterpartei. Dort muss ein unerbittlicher Kampf gegen die politischen Parteien der andern Klassen geführt werden. Der politische Einfluss auf die Arbeiter kommt von ausserhalb dieses Gebiets; die politischen Parteien beinflussen die Arbeiter zu Hause, am Wohnort, als Einwohner, als Staatsbürger unter Staatsbürgern; die Arbeiterpartei hat ein Gebiet zur Verfügung, das von der Politik verlassen ist. Bei der Teilung der Macht obliegt es dem Unternehmer, seine Leute direkt zu verwalten; es wird keine Einmischung geduldet, die Produktion ist heilig. Die Arbeiterpartei kann diesem Umstand zu ihren Gunsten aus-nutzen, die Arbeitergemeinschaft kann diesen Hohlraum ausfüllen, indem sie zu einer unabhängigen und eigen-ständigen Art von politischem Handeln findet.
Die Arbeiterpartei führt den Widerstand der Arbeiter über die versöhnlerische Gewerkschaftspolitik hin-aus. Die alte Gewerkschaftspolitik des kleineren Übels („Lieber den Spatz in der Hand...“) wird von der Wirtschaftskrise überrannt, die den Arbeitern nicht einmal mehr das „kleinere Übel“ gewährt, sondern sie mit weniger als Nichts dastehen lässt. Statt aus der Wirtschaftskrise – als Beweis für den Bankrott der auf dem Profit aufge-bauten Produktionsweise – Kraft zu schöpfen, verständigen sich die eingespielten Gewerkschaftsführer darauf, mit sozialen Abfederungen das Elend der Arbeiter zu verwalten, in der Erwartung, dass der Sturm vorübergehe. Gesetzt den Fall, dass das Unwetter nicht so schnell vorbeigeht und dass die Überwindung der Krise unerträgliche Opfer verlangt, so dass die Arbeiter im Widerstand gegen die Auswirkungen der Krise zur Überzeugung gelangen, dass die Zeit für diese Art von Produktion und Austausch abgelaufen ist und dass sie überwunden werden muss, in welche Richtung und auf welche Perspektiven hin müssen wir uns dann bewegen? Wird es dann nicht vielleicht die Aufgabe der informellen Arbeiterpartei sein, mit der Ausarbeitung von Antworten zu beginnen?
Die Tatsache, dass namhafte Teile der Arbeiter den klassischen parlamentarischen Parteien fremd gegen-über stehen, zeigt sich auf alle Arten. Nicht so sehr in der Stimmenthaltung, die eine zahlenmässig bedeutende Erscheinung ist, als vor allem in der Militanz, im konkreten Beitrag zur Unterstützung dieses oder jenes politischen Vorhabens. Die Parteien, die wir kennen, fischen ihre Führungsgruppen und Mitglieder aus den andern Klassen, sie sind Ausdruck von andern gesellschaftlichen Klassen. An der aktiven Mitgliederbasis der Parteien, die sich als Parteien der Arbeiter (“dei lavoratori”) bezeichnen, finden wir bestenfalls Lehrer, Angestellte, Techniker, aber nie Arbeiter. Die Arbeiter hingegen, seit sie auf dem Schauplatz der Gesellschaft aufgetaucht sind, haben Organisatoren, Agitatoren und Propagandisten hervorgebracht, welche Parteien mit grossen Mitteln und grosser finanzieller Unterstützung in den Sack gesteckt haben. Können heute die Arbeiter keine derartige politische Schicht mehr her-vorbringen? Sind sie nicht mehr in der Lage, Kämpfer für ihre Sache hervorzubringen? Diese Möglichkeit zu verneinen, kommt andern gelegen, nicht uns selber; es kommt darauf an, für welche Partei man sich einsetzen soll, für welche Partei zu kämpfen man anfangen soll, und eine Möglichkeit ist heute gegeben: Man kann Mitstreiter und Organisator für eine Partei werden, die unser ist, für eine Arbeiterpartei, oder wenigstens die ersten Schritte in diese Richtung tun. Die Programme und Organisationsformen werden wir miteinander finden, wenn wir uns allmählich als Klasse und damit als unabhängige politische Partei zusammenschliessen.
Am Anfang soll jeder bleiben, wo er ist, und weiterhin mit den politischen Formationen sympathisieren, mit denen er will, sich an den Aktivitäten von Komitees, autonomen Zentren, dieser oder jener Basisgewerkschaft beteiligen. Die informelle Arbeiterpartei verlangt keine Glaubensbekenntnisse, als vielmehr dass man damit beginne, als Arbeiter zu denken und zu handeln, zu allen Fragen, die uns direkt betreffen, einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und zu vertreten. Die grosse Krise hat den Nebel aufgelöst, der den Interessengegensatz, auf dem diese Gesellschaft aufgebaut ist, verschleiert hatte: Wo ist die produktive Arbeit von Millionen Arbeitern all dieser Jahre verschwunden? In den Taschen der Unternehmer, in den Kassenschränken der Banken, in den goldenen Gehältern der Staatsbeamten. Den Arbeitern blieben die Brosamen -und heute das Elend. Es ist zum Lachen, mit welcher Frechheit sie von allen, uns eingeschlossen, verlangen, gemeinsam Opfer zu bringen um die Krise zu überwinden. Die Krise jedoch ist die Krise ihres Systems. Es ist ihre Art, aus unserer Arbeit Reichtum anzuhäufen, die an einem bestimmten Punkt in sich zusammengefallen ist. Und nun sollten wir wie kopflose Lämmer uns bereit erklären, weitere Opfer zu bringen, damit sie sich noch mehr bereichern können, bis dann eine neue, noch erschütterndere Krise auf uns wartet? Heissen wir die grosse Krise willkommen! Die sozialen Revolutionen reifen dort heran, wo die alten wirtschaftlichen Strukturen nicht mehr in der Lage sind, ihren Ablauf von Kapitalanhäufung fortzusetzen. Die Arbeiterrebellion ist heute zu einer realen Möglichkeit geworden. Die direkt produktive Arbeit der Arbeiter kann für eine andere Gesellschaftsordnung ohne Unternehmer, Banker und gut bezahlte Staatsbeamte verwendet werden, sie kann den Arbeitern selber dienen.
Wir haben keine Zeit, die Kapitalbesitzer werden an einem bestimmten Punkt darauf angewiesen sein, die Befehlsgewalt über die Gesellschaft zu zentralisieren, die Beziehungen zwischen den Klassen neu festzulegen, um den Vorgang der Kapitalanhäufung wieder in Gang zu setzen. Sie selber werden die Arbeitsweise der politischen und staatlichen Institutionen in Frage stellen. Wenn die demokratische Form ihnen nicht mehr dient, werden sie die ersten sein, die ihre Überwindung fordern. Verdammen wir uns nichts selbst dazu, unter jenen zu sein, die immer die Vergangenheit verteidigen, neben der Republik der Unternehmer, kann es in der geschichtlichen Reihenfolge auch die Republik der Arbeiter sein. Wenn den Unternehmern, um ihr Kapital zu retten, Kraftproben auf dem Weltmarkt dienen, werden sie „aus Notwendigkeit auf den Krieg hinsteuern“. Die ständigen Aufrufe zur nationalen Einheit gehen in diese Richtung. Wer wird sie aufhalten können, wenn nicht die Arbeiter, die eine inter-nationale Klasse sind? Arbeiter, wir haben keine Zeit! Eine Parteiorganisation ist nötig, die -in jeder Fabrik an-wesend -damit beginnt, sich ohne unnütze Formalitäten zu bilden und stattdessen schon heute anfängt zu handeln. Es ist kein Zufall, dass ab und zu sich jemand daran erinnert, dass die lebendigen Arbeiter aus Fleisch und Blut existieren und dass niemand fähig ist, sie politisch zu vertreten. Wir haben die Absurdität, dass die Lega von Bos-si sich die Fähigkeit anmasst, auch Arbeiterschichten „des Nordens“ zu vertreten und einige Sektionen in den Fabriken gründet. Ausgerechnet die Lega, welche die übelsten Unternehmer und Kleinunternehmer vertritt, die um Profit zu machen zu einer unerhörten Ausbeutung der Arbeiter fähig sind! Die Arbeiterpartei wird – indem sie sich auf dem ihr eignen Gebiet, in der Fabrik, Achtung verschafft – alle andern auf Trab halten und die klassenübergreifende Farce von den „Norditalienern“ („Padani“) auflösen. Denn dort, wo es einen Unternehmer gibt, hat es auch Arbeiter, der ihm den unerbittlichen Kampf ansagen. Der schreckliche Kampf zwischen den Klassen, der so sehr Angst einflösst, auch der „kämpferischen und regierungsverantwortlichen“ Lega (Lega di „lotta e di go-verno“).
Nun sind einige Anmerkungen zu machen zu unserem Lager, zu den von der Krise betroffenen Arbeitern und jenen, die auf irgendeine Art behaupten sie zu vertreten. Die gesellschaftliche Struktur in Italien bringt immer neue poltische Gruppen hervor. Wir stehen nicht nur einer Masse von Gewerbetreibenden und Krämern gegen-über, sondern auch Selbständigerwerbenden sowie Staatsangestellten und freien Berufen, Angestellten in der Produktion, die die Ausbeutung der Arbeiter verwalten... Jeder mit seinen eigenen wirtschaftlichen und eigenen politischen Interessen. Es stimmt zwar, dass die Krise für viele, die geglaubt hatten, eine befriedigende Arbeit und Anstellung gefunden zu haben, einen sozialen Abstieg hervorbringt. Unter allen Arbeitenden wächst die Unzufriedenheit, das ist das Ergebnis der Krise. Die politischen Antworten, die jeder dieser Sektoren gibt, entspricht den besonderen gesellschaftlichen Bedingungen, die sie verspüren und die sie voneinander unterscheiden. Die Staatsangestellten wollen die Verteidigung des „öffentlichen Dienstes“, die Angestellten des Handels eine Politik der Ankurbelung des privaten Konsums, die Forscher eine Förderung der nationalen Forschungsprojekte, und so weiter... Lassen wir hier den eigentümliche Wahn beiseite, Linksparteien links von der Rifondazione zu erfinden, jede in der Hoffnung, in den regionalen, kommunalen Behörden oder im Parlament wieder eine Rolle zu spielen. Sprechen wir lieber von den verschiedenen Versuchen: Koordinationskomitees, Basisgewerkschaften, autonome Zentren, Studentenkomitees, die alle im Kampf um die Vorherrschaft miteinander wetteifern, ins Leben zu rufen, und sagen wir ihnen, dass es ohne das Auftreten der Arbeiter keine echte Alternative zu diesem System gibt, dass ohne die zentrale Bedeutung der Arbeiter („centralità operaia“) die kleinen Gruppen nicht überwunden werden können. Ab sofort, auch auf informelle Weise, eine Arbeiterpartei zu gründen, das ist im Interesse all jener, welche die Absicht haben, die Krise zu benützen, um diese Art von Produktion und Austausch in Frage zu stellen. Vom kläglichen „eure Krise bezahlen wir nicht“ werden wir übergehen zum Schlachtruf „Unternehmer, wir wer-den in der Krise mit euch abrechnen“. Sollte hingegen die notwendige Vereinigung der Arbeiter zur Partei als neue, zentrale Tatsache anerkannt werden, könnte ein wichtiger Beitrag auch von jenen Mitstreitern kommen, die selber zwar keine Arbeiter sind, jedoch mühsam aus eigener Erfahrung, aus theoretischer Aneignung dazu gelangt sind, die Rolle zu begreifen, welche die Arbeiter in der Möglichkeit der Überwindung dieses Systems haben.
Vom Sprechen über die Arbeiterpartei überzugehen zu ihrer Gründung, ist ein sehr schwieriger Sprung. Nahezu unmöglich, aber die unmöglichen Aufgaben, einmal verwirklicht, können sich als die einzigen erweisen, die grosse Resultate bringen. Bei INNSE hat die informelle Arbeiterpartei vorgemacht, was eine Arbeitergemeinschaft, die einig ist und weiss, wohin sie will, zustande bringen kann. Warum nicht in anderen Fabriken die gleiche organisatorische Praxis versuchen? Kurzum, ist es derart schwierig, an allen Arbeitsplätzen, unter Arbeitern, sich als Sektion einer noch informellen Partei, die ihren Wegen finden muss, zu verstehen und zu vereinen? Die Antwort kann nur aus den Betrieben kommen. Zum Zeitpunkt, in dem wir uns gegenseitig bewusst werden, dass dieses Projekt anfangen kann auf eigenen Füssen zu stehen, können wir mit öffentlichen Versammlungen in den verschiedenen Industriezentren anfangen und zu neuen Gedankengängen übergehen. Die weltlichen Prediger der politischen Klein-und Kleinstgruppen, die sich an die Lohnabhängigen richten, werden diesen Vorschlag hinlänglich prüfen und sogleich als Sektiererum verwerfen, oder versuchen ihn totzuschweigen. Sie haben jedoch auf der ganzen Linie versagt: Bei ihren öffentlichen Auftritten langweilen sie die Leute mit den üblichen Litanein über die Kämpfe, die nie organisiert werden, über die Verallgemeinerungen der Initiativen, die sich in einer privaten Vereinbarung zwischen zwei oder drei Individuen erschöpfen, über die Hirngespinste grosser Bewegungen, die sich nie bewegen, über ihre unklaren Ziele. Nun, wenn es den fortgeschrittensten Arbeitern nicht gelingt, mit diesen Leuten abzurechnen, dann wird es sehr schwierig in Richtung einer Arbeiterpartei zu gehen. Aber auch von dieser Seite her hilft uns die Krise: Der Zusammenprall zwischen Arbeitern und Unternehmern wird immer heftiger, und für manches Geschwätz über eine linke politische Verwaltung des reformierten Kapitalismus ist die Zeit abgelaufen.
Diese Anmerkungen sind von einigen Arbeitern der INNSE diskutiert und überarbeitet worden. Es sind dieselben, die den langen Kampf angeführt haben und sich dabei die Anerkennung ganz vieler, die sie dabei unterstützten, erworben haben. Was wir verlangen, zum Besseren oder zum Schlechteren, ist eine Antwort auf die Fragen, die wir gestellt haben. Besser als Schweigen und Gleichgültigkeit... Es ist unsere Absicht, allen zu antworten. Falls Zustimmungen zum Projekt kommen werden, werden wir raschmöglichst, noch vor den Sommerferien, eine öffentliche Versammlung organisieren, um uns zu treffen und die nächsten Schritte festzulegen. Auf der Tagesordnung wird nicht das abgenützte Verlangen zur Koordinierung der Kämpfe stehen; wie aus der Krise herauszukommen ohne den Mut zu haben, über den Kapitalismus hinauszuschauen; zu retten, was zu retten ist. Das Thema wird schlicht und einfach die Organisierung der Arbeiter zur Partei sein; festzustellen, in welchen Betrieben es möglich ist oder bereits begonnen hat; wir werden darüber diskutieren, wie ihre Tätigkeit zusammengefasst werden kann. Das kann tatsächlich zur poltischen Wende führen, zu der uns die grosse Krise gezwungen hat. Das wäre ein Resultat von geschichtlicher Bedeutung. Es liegt an uns!