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Auch wenn die Entschlossenheit, sich gegen die Krise zur Wehr zu setzen, und die Proteste und Abwehrkämpfe in den einzelnen Ländern noch ein sehr unterschiedliches Niveau aufweisen, ist dieser Trend in immer mehr Ländern deutlich erkennbar: von Südafrika, wo in den Platin-Minen von Implats mehrere Tausend Arbeiter wild streikten, über Indien (siehe dazu den Artikel in dieser Ausgabe) und China, wo immer wieder Streiks und andere Proteste aufflammen, oder die Occupy-Bewegung in den letzten Monaten in mehreren Industriestaaten, bis hin zu den fortdauernden Abwehrkämpfen in Griechenland.
Spanien – hin zu einer neuen Stufe?
Die Entwicklung in Spanien während der letzten Monate ist dabei besonders aufschlussreich. Während im Mai letzten Jahres die Bewegung der Indignados (Empörten) hauptsächlich eine Protestbewegung ohne konkretere Forderungen war, bei der man auf öffentlichen Plätzen seine Wut über die Verhältnisse zum Ausdruck brachte, gleichzeitig viele die Hoffnung auf eine „Demokratisierung des Systems“ hegten, war diese Bewegung von 2011 vor allem dadurch geprägt, dass zwar eine allgemeine Atmosphäre des Protestes aufblühte, aber aus den Betrieben war relativ wenig Widerstand zu vernehmen. Eine Protestbewegung mit viel Debatten und Initiativen auf den öffentlichen Plätzen, mit generationenübergreifender Beteiligung, ohne sichtbar treibende Kraft beherrschte das Bild. Die Medien berichteten teilweise gar relativ ausführlich über diese Proteste.
Die Proteste der letzten Wochen deuten darauf hin, dass es mehr Initiativen seitens der ArbeiterInnen – ob beschäftigt oder arbeitslos - gibt, die darauf drängen zusammenzukommen. Das Potenzial, ökonomische und politische Fragen des Kampfes miteinander zu verknüpfen, wächst. Der Schwerpunkt liegt bislang im Bereich des öffentlichen Dienstes und im Widerstand gegen staatliche Sparprogramme. Vor allem in Barcelona, Bilbao, Valencia, Castellon und Alicante fanden im Januar und Februar eine Reihe von Protesten statt. Die meisten Proteste stehen im Vergleich zu 2011 noch stark unter gewerkschaftlicher Kontrolle, aber die Tendenz zu Eigeninitiativen nimmt zu, vor allem im Erziehungswesen. Darüberhinaus steigt die Zahl der Beteiligten an Demonstrationen. Am 18. Januar protestierten Gewerkschaftsangaben zufolge mehrere Zehntausend in Barcelona gegen Kürzungen im öffentlichen Dienst. Unsere GenossInnen, die vor Ort anwesend waren, berichten, dass die Teilnehmer mehr als zuvor anfingen, miteinander zu diskutieren, anstatt sich wie bislang üblich passiv und abwartend zu verhalten. Es waren Leute aus verschiedenen Orten der Umgebung zusammengekommen, verschiedene Altersgruppen waren vertreten. Die meisten betonten die Notwendigkeit, dass die Belegschaften aus den Betrieben in Versammlungen und Demonstrationen zusammenkommen müssen. Teilnehmer schilderten Schwierigkeiten, Vollversammlungen gegen den Widerstand der Gewerkschaften abzuhalten. Die Offenheit gegenüber politischen Gruppen war beeindruckend. Viele Teilnehmer wollten unser Flugblatt haben, um es weiterzuverteilen. Am 21. Januar protestierten in Valencia ca. 80.000, in Alicante 40.000 gegen Kürzungen im Bildungswesen, am 26. Januar zogen erneut ca. 100.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Valencia, 50.000 in Alicante, 20.000 in Castellon auf die Straße. In den Stadtvierteln entwickeln sich auch viele Initiativen. In Madrid protestierten Feuerwehrleute und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. 10.000 Menschen solidarisierten sich in Vigo (Nordspanien) mit den Beschäftigten des Schiffsbaus. In Alicante kommen viele LehrerInnen in Nachbarschaftsversammlungen zusammen. In Vollversammlungen, die allen Beschäftigten offenstehen, diskutieren Beschäftigte des Gesundheits- und Bildungswesen, der Gasversorgung usw. miteinander. In Valencia protestieren Eltern, Kinder und Lehrpersonal gegen Kürzungen im Bildungswesen. Wiederum in Valencia wurden in verschiedenen Stadtteilen „Stadtteilversammlungen“ gebildet, in denen die Proteste des Bildungswesens koordiniert werden. Immer mehr stoßen an einzelnen Orten auch Arbeitslose dazu. In mehreren Städten fanden Solidaritätsversammlungen mit den ArbeiterInnen in Griechenland statt. Mitte Februar schließlich gingen Gewerkschaftsangaben zufolge in Madrid über 500.000 Menschen auf die Straße; 450.000 in Barcelona; 300.000 in Valencia. Selbst aus relativ kleinen Städten, wie dem asturianischen Gijón, wurden 50.000 Teilnehmer gemeldet. Die Polizei bestätigte jeweils nur ein Zehntel der von den Gewerkschaften gemachten Angaben. Die Wut richtet sich gegen die jüngsten Sparbeschlüsse der Regierung: Im Falle einer Kündigung müssen den Angestellten nicht mehr wie früher 45 Tage Lohn, sondern nur noch 33 Tage pro Jahr Betriebszugehörigkeit gezahlt werden. Verzeichnen die Betriebe rückläufige Einnahmen, sind es sogar nur noch 20 Tage.
Indem nun mehr Widerstand und Protest aus den Betrieben kommt und mehr Belegschaften in Demonstrationszügen auf der Straße oder bei Protestveranstaltungen in Erscheinung treten, entwickelt sich die Möglichkeit, dass der Widerstand einen Dreh- und Angelpunkt bekommt. In der Polarisierung zwischen Kapital und Arbeit ist es wichtig, dass man sich „einem Pol zugehörig“ fühlt, sozusagen von ihm angezogen wird. Solange die Belegschaften in den Betrieben ruhig bleiben, fehlt dieser Bezugspunkt. Dies ist ein wesentlicher Faktor. Gleichzeitig erfahren wir von Spanien, dass dort in Versammlungen (in den Stadtteilen und anderswo) viele Diskussionen stattfinden über die Perspektiven des Kapitalismus. Dies ist eine unerlässliche Voraussetzung für einen qualitativen Schritt in den Auseinandersetzungen. Während ja in den jüngsten Protesten noch stark der Ruf nach „Demokratisierung des Kapitalismus“ zu vernehmen war, muss der Klärungsprozess deutlich werden lassen, dass nur die Überwindung des Systems eine Lösung bietet. Sicher reifen diese Elemente – der Aufbau eines Selbstvertrauens durch die eigene Erfahrung im Kampf und die Identifizierung mit der Klasse sowie die Erkenntnis, dass die Krise systembedingt ist und nur durch die Überwindung des Systems überwunden werden kann – nicht sehr schnell heran. Sie entstehen nicht im Schnelldurchgang; deren Reifung verläuft keineswegs geradlinig sondern äußerst gewunden, und immer wieder mit Rückschritten.
Deutschland- wie durch ein Wunder verschont?
Während die Krise zwar mehr als je zuvor eine internationale, weltweite Krise ist, ist offensichtlich, dass die Bedingungen für die ArbeiterInnen noch immer von Land zu Land ziemlich unterschiedlich sind.
In den USA
und Frankreich sorgt zum Beispiel im Augenblick der Wahlkampf stark für
Ablenkung – trotz einer äußerst brutalen Verschlechterung der Lage der
ArbeiterInnen. In einem anderen Schlüsselland, Deutschland, ist die Lage sehr
heterogen. Während auf der einen Seite aufgrund der rapide um sich greifenden
Verarmung der Einzelhandel über sinkenden Konsum klagt, bislang immer mehr
Geschäfte schließen – der Fall der Niedrigstlohnkette Schlecker ist nur der
spektakulärste in den letzten Wochen -, werden auf der anderen Seite in den
exportorientierten Betrieben fette Sonderprämien gezahlt. So haben z.B.
Autohersteller zwischen 4.000 (Daimler), 7.500 (VW) und 8.000 (Audi) Euro
Bonuszahlungen für die Beschäftigten angekündigt. Während also in den meisten
europäischen Ländern drastische Lohnkürzungen vorgenommen werden, werden in
Deutschland Sonderzahlungen in einigen Branchen ausgezahlt. Und dennoch –
gleichzeitig stehen bei Siemens, Opel, Osram und anderswo massive
Stellenstreichungen und gar Werksschließungen zur Diskussion. Die deutschen
Exportrekorde werden nämlich nicht ewig halten, dann wird auch die Talfahrt der
Weltwirtschaft im Land der Exportrekorde zu spüren sein. Die Abhängigkeit des
deutschen Kapitals vom Weltmarkt ist enorm (je nach Branche sogar über 50%),
und auch bei weiteren Finanzdesastern wäre das deutsche Kapital mit am meisten
betroffen. All das bedeutet, dass die Arbeiterklasse in der Zukunft dann umso
heftiger angegriffen werden wird. 19.03.2012