Submitted by IKSonline on
Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Faschismus und Demokratie – zwei Erscheinungsweisen der Diktatur des Kapitals“
Der historische Beitrag der Strömungen der Kommunistischen Linken
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die meisten Kampfinstrumente, die die Arbeiterklasse in den Jahrzehnten zuvor entwickelt hatte, nutzlos geworden. Schlimmer noch, sie werden gegen die Arbeiterklasse eingesetzt und werden zu Waffen des Kapitals. Das ist zum Beispiel bei den Gewerkschaften, den großen Massenparteien, der Beteiligung an den Parlamentswahlen und der Verwendung des bürgerlichen Parlaments der Fall. Der Hintergrund ist, dass der Kapitalismus in eine völlig neue Entwicklungsstufe eingetreten ist: die seines Niedergangs. Der Erste Weltkrieg läutete diesen Bruch zwischen den beiden Phasen des Kapitalismus ein: “Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung. Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats“ (Richtlinien der Kommunistischen Internationale, 1. Kongress der Komintern, 6. März 1919) proklamierte die Kommunistische Internationale 1919.
Die Linken, welche aus der niedergehenden Kommunistischen Internationale hervorgegangen sind, und das Problem der Dekadenz des Kapitalismus
„Dieser Lebensabschnitt des Kapitalismus zeichnet sich durch die Absorbierung der Gesellschaft durch den Staat aus. So hat die Legislative, die ursprünglich die gesellschaftlichen Interessen vertreten hatte, jegliches Gewicht zu Gunsten der Exekutive verloren, die nunmehr die Spitze der staatlichen Hierarchie verkörpert. In dieser Periode verschmilzt die Politik mit der Ökonomie zu einem Ganzen, da der Staat die Hauptrolle in der nationalen Wirtschaft und ihre tatsächliche Führung übernommen hat. Ob dies durch die schrittweise Integration wie in der Marktwirtschaft westlicher Ausrichtung, oder durch eine plötzliche Umwälzung wie in der verstaatlichten Wirtschaft geschieht, der Staat ist in keinem Fall mehr das bloße ausführende Organ der Privatkapitalisten und Interessengruppen, sondern der kollektive Kapitalist, dem sich alle besonderen Interessen zu beugen haben. In seiner Eigenschaft als reelle Einheit des nationalen Kapitals verteidigt der Staat dessen Interessen sowohl nach innen als auch nach außen. Ebenso übernimmt er die Aufgabe,, die Ausbeutung und Unterwerfung der Arbeiterklasse sicherzustellen.“ (Internationale Revue, „Der Kampf des Proletariats in der dekadenten Phase des Kapitalismus“, in Gewerkschaftsbroschüre der IKS).
Der demokratische, stalinistische oder faschistische kapitalistische Staat konkretisiert in verschiedenen Formen, die auf die unterschiedlichen Verhältnisse zurückzuführen sind, diese Entwicklung des Staats im Zeitalter der Dekadenz. Wenn diese demokratischen Institutionen aufrechterhalten werden, haben sie in Wirklichkeit ihre vorherige Funktion verloren und bestehen nur noch mit der Funktion, die Arbeiterklasse zu verschleiern.
Die Folgen der opportunistischen Entartung der Kommunistischen Internationale
Die Gründung der Kommunistischen Internationale brachte diese Fähigkeit des Proletariats, sich gegen die kapitalistische Barbarei in den wichtigsten Ländern der Welt zu erheben und die politischen Notwendigkeiten der Revolution zu erfüllen, zum Ausdruck. Sie spiegelte den Fortschritt der revolutionären Bewegung hinsichtlich des Begreifens der Bedingungen der neuen Epoche wider, wie die Dokumente des 1. und 2. Weltkongresses aufzeigen. Der erste Kongress insbesondere war ein Kongress des Bruches mit der Sozialdemokratie, deren Verrat für die Mobilisierung des Proletariats für den imperialistischen Krieg verantwortlich war. Diese war die Speerspitze der bürgerlichen Offensive gegen die Revolution in Russland und Deutschland gewesen. Aber insgesamt blieb die Mehrheit der Revolutionäre weiterhin von dem Gewicht der Vergangenheit geprägt. Die Komintern stellte fest, dass die parlamentarischen Reformen jegliche praktische Bedeutung für die arbeitenden Klassen verloren haben.
Aber die Komintern war weiterhin für die Beteiligung an den Parlamentswahlen. Schlimmer noch, der Rückfluss der internationalen revolutionären Welle ging einher mit der opportunistischen Entartung der Komintern und der ihr angehörigen Parteien, nachdem diese Parteien einige Jahre zuvor an der Spitze der Arbeiterklasse gestanden hatten. Schon auf dem 3. und 4. Weltkongress kam es zu Rückschritten hinsichtlich einiger Fragen. Opportunistische Positionen wurden bezogen, die direkt zu einer Schwächung des Bewusstseins der internationalen Arbeiterklasse führten. Im Widerspruch zum 1. Weltkongress schlug der 3. Kongress mittels der Einheitsfrontpolitik Bündnisse mit der Sozialdemokratie vor, wodurch diese Organisation in den Augen der Arbeiterklasse rehabilitiert wurde, obwohl sie damals schon zum Räderwerk des bürgerlichen Staates gehörte. Die Folge dieser Entwicklung des Niedergangs war der Tod der Internationale für die Arbeiterklasse. 1927 wurde dann die These verabschiedet, in welcher die Möglichkeit des Sozialismus in einem Land verteidigt wurde. In den 1930er Jahren wechselten die KPs in das Lager der Konterrevolution. Diese wurden nun wiederum zu Speerspitzen der herrschenden Klasse bei der Mobilisierung des Proletariats für den 2. Weltkrieg.
Es war also kein Zufall, dass die Mehrheit der Komintern in den 1920er Jahren eine fehlerhafte Analyse des Faschismus erstellte, als erste Anzeichen seines Aufstiegs in Italien beobachtet wurden. Solche Fehler sind zurückzuführen auf ein unzureichendes Begreifen der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem Niedergang. Darüber hinaus wurden sie begünstigt durch die opportunistische Entwicklung der Komintern, die auf den allgemeinen Rückfluss der revolutionären Welle zurückzuführen ist. Das äußerte sich insbesondere durch eine mangelnde Klarheit und Festigkeit bei der marxistischen Methode der Einschätzung der Realität. Dadurch konnten demokratische Illusionen aufblühen.
Der Prozess der Klärung durch die Linken, die dem proletarischen Lager treu geblieben sind
Als Reaktion auf die Entartung der Komintern und im Kampf dagegen entstand Anfang der 1920er Jahre eine neue Linke, die auch aus den Aktivitäten der marxistischen Strömungen hervorging, welche in Italien, Deutschland und den Niederlanden in Erscheinung getreten war. Diese Fraktionen, welche in den 1920er Jahren aus den Kommunistischen Parteien ausgeschlossen wurden, setzten den politischen Kampf fort, um die Kontinuität zwischen der Komintern und der "Partei von morgen" sicherzustellen, indem sie eine Bilanz der revolutionären Welle und ihrer Niederlage zogen. BILAN lautete der Name der Revue der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren. Die Fraktion hatte sich Klärung zur Aufgabe gestellt; dies schloss natürlich auch die Analyse des Faschismus und des Antifaschismus ein, gegen die sie sich radikal stellte. Damit stand sie nicht nur im Gegensatz zu den degenerierenden stalinistischen Parteien, sondern auch im Gegensatz zum Trotzki der 1930er Jahre.
Aus unserer Sicht hat die Italienische Kommunistische Linke den wichtigsten Beitrag zu diesen Fragen geleistet, und deshalb geben wir absichtlich zahlreiche historische Dokumente als Beleg für ihre Analyse wider, die sie in ihrer Zeitschrift BILAN veröffentlichte. Wir beziehen uns auch auf Beiträge oder Analysen anderer Bestandteile der Arbeiterbewegung, Strömungen oder Leute, die der deutschen oder holländischen Linken angehörten.
Vertiefungen der Analyse des Faschismus folgten auch noch danach durch die Organisationen oder Strömungen, die diesen Fraktionen politisch oder organisatorisch nahe standen oder ihr angehörten. Wir erwähnen insbesondere Internationalisme (Zeitschrift der Kommunistischen Linken Frankreichs – GCF -, die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre und Anfang der 1950er Jahre veröffentlicht wurde), die die Vorfahren der IKS waren. Internationalisme, das sich im Wesentlichen auf die Errungenschaften von BILAN bezog, verstand es jedoch, einige Beiträge der Deutsch-Holländischen Linken hinsichtlich der Frage des Staatskapitalismus zu verwerten. Wir werden ebenso auf die IKP – Kommunistisches Programm – eingehen, eine der beiden Organisationen, die 1953 aus einer Spaltung der 1947 gegründeten IKP entstanden (die andere Organisation war die PCInt – Partito Comunista Internazionalista Battaglia Comunista), insbesondere werden wir auf den wichtigen Artikel "Auschwitz oder das große Alibi" eingehen.
So grundlegend die Beiträge der Linken Fraktionen auch waren (ohne diese würden die IKS und die anderen revolutionären Gruppen heute nicht bestehen), diese fanden auf verschiedenen Ebenen statt und waren von unterschiedlichem Wert. Unabhängig von den Stärken und Schwächen der Beiträge der Linken, ist es wichtig, sie alle als Bemühungen des Proletariats zu begreifen, das Bewusstsein über die Bedingungen des revolutionären Kampfes zur Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie ein Teil einer unnachgiebigen Verteidigung des Klassenterrains des Proletariats waren. Es war ihr Verdienst, in den 1930er und 1940er Jahren unter sehr schwierigen Bedingungen die Fahne des proletarischen Internationalismus gegen die chauvinistische Hysterie der ehemaligen Arbeiterparteien sowohl auf theoretischer, praktischer und auf militante Weise hochzuhalten.
Dies steht im Gegensatz zu dem "Beitrag" der trotzkistischen Bewegung. In den 1930er Jahren und bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs gehörte dieser dem proletarischen Lager an, das er bis zum damaligen Zeitpunkt noch nicht verraten hatte. Aber sobald der Krieg ausbrach und sobald er den proletarischen Internationalismus aufgab, schlug der Trotzkismus den gleichen Weg ein, den zuvor die Sozialdemokratie und der Stalinismus gegangen waren, welcher in das Lager der Bourgeoisie führte, indem die Arbeiter zur Unterstützung eines imperialistischen Lagers aufgerufen wurden - den der Verteidigung des russischen Staates. Bis zu diesem tragischen Zeitpunkt war sein Beitrag zum Begreifen des Faschismus und des Antifaschismus direkt verbunden mit seinem opportunistischen Werdegang: Er trug zur Desorientierung der Arbeiterklasse bei, indem diese dazu getrieben wurde, die antifaschistischen Losungen der stalinistischen und demokratischen Parteien zu unterstützen.
Die Italienische Linke in den 1920er Jahren und der Aufstieg des Faschismus
Sobald die revolutionäre Welle Anfang der 1920er Jahre stagnierte und in einen Rückfluss eintrat, beobachtete man den Aufstieg faschistischer Bewegungen insbesondere in Italien. Dieser Teil des linken Flügels der Internationale, der zum damaligen Zeitpunkt die Mehrheit in der Italienischen Partei stellte und von Bordiga angeführt wurde, leistete einen grundlegenden Beitrag zur Analyse dieses neuen Phänomens und der Auswirkungen für die Arbeiterklasse und hinsichtlich der politischen Orientierungen der revolutionären Avantgarde.
Der Faschismus ist keine Reaktion der feudalen Schichten
Die Analyse Bordigas entspricht der allgemeinen Charakterisierung des Zeitraums, welcher durch den Ersten Weltkrieg eröffnet wurde, die Dekadenz des Kapitalismus, und der Einschätzung der ersten revolutionären Welle durch die Kommunistische Internationale. Von diesem Rahmen ausgehend prangerte er die "neuen" Ideologien wie den Faschismus an, welche die Gesellschaft hervorbrachten.
„Zum Zeitpunkt ihres Niedergangs ist die herrschende Klasse unfähig geworden, einen Ausweg zu finden (d.h. nicht nur ein Schema der Geschichte, sondern auch eine Reihe von Handlungslinien). Um zu verhindern, dass andere Klassen ihre revolutionäre Aggressivität durchsetzen, findet sie nichts Besseres als der allgemeinen Skepsis zu verfallen, dieser charakteristischen Philosophie des Zeitraums des Niedergangs“ ( Bericht A. Bordigas über den Faschismus auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationale, 16. November 1922, 2. Sitzung, Übersetzung IKS).
Bordiga zeigte darin auf, dass der Faschismus die notwendige Form der Beherrschung der Gesellschaft ist, welche die Bourgeoisie entwickelt, um den Tendenzen des Auseinanderbrechens der Gesellschaft entgegenzutreten. „Der Faschismus, der es nicht verstehen wird, die ökonomische Anarchie des kapitalistischen Systems zu überwinden, hat eine andere historische Aufgabe, die wir als den Kampf gegen die politische Anarchie, gegen die Anarchie der Organisation der bürgerlichen Klasse als politischer Partei bezeichnen können. Die Schichten der herrschenden Klasse Italiens haben traditionelle politische und parlamentarische Gruppierungen gebildet, die sich nicht auf fest organisierte Parteien stützen und die gegeneinander kämpfen und in ihren besonderen und lokalen Interessen einen Konkurrenzkampf führen, der unter den professionellen Politikern in den Couloirs des Parlaments zu allerlei Manövern führt. Die konterrevolutionäre Offensive der Bourgeoisie machte es notwendig, im sozialen Kampf und in der Regierungspolitik die Kräfte der herrschenden Klasse zu vereinen. Der Faschismus ist die Verwirklichung dieser Notwendigkeit. Indem er sich über alle traditionellen bürgerlichen Parteien stellt, beraubt er sie allmählich ihres Inhalts; er ersetzt sie in ihrer Tätigkeit und dank den Missgriffen der Proletarierbewegung gelingt es ihm, die politische Macht und das Menschenmaterial der Mittelklassen für seinen Plan zu verwerten.“ (ebenda).
Daran wird deutlich, dass sich Bordiga klar von den Einschätzungen absetzte, welche in der Komintern die Überhand gewinnen sollten, der zufolge der Faschismus eine Reaktion der feudalen Schichten wäre. Er wandte sich sogar sehr stark dagegen. „Die Gründung des Faschismus kann unserer Ansicht nach drei Hauptfaktoren zugeschrieben werden:
Dem Staat, der Großbourgeoisie und den Mittelklassen.
Der erste dieser Faktoren ist der Staat. Der Staatsapparat hat in Italien bei der Gründung des Faschismus eine wichtige Rolle gespielt.
Die Nachrichten über die aufeinanderfolgenden Krisen der bürgerlichen Regierung Italiens ließen den Glauben aufkommen, dass die italienische Bourgeoisie einen derart unbeständigen Staatsapparat habe, dass zu dessen Sturz ein einziger Handstreich genügen würde. Das stimmt keinesfalls. Die Bourgeoisie konnte die Faschistenorganisation gerade in dem Maße aufbauen, wie sich ihr Staatsapparat befestigte.“ Er fuhr fort: „Der erste Faktor ist also der Staat.
Der zweite Faktor des Faschismus ist, wie ich bereits gesagt habe, die Großbourgeoisie. Die Großkapitalisten der Industrie, des Bankwesens, des Handels, sowie die Großgrundbesitzer haben ein natürliches Interesse daran, dass eine Kampforganisation gegründet werde, die ihre Offensive gegen die Werktätigen unterstützt.
Aber der dritte Faktor spielt in der Bildung der Faschistenmacht gleichfalls eine sehr wichtige Rolle. Um neben dem Staat eine illegale reaktionäre Organisation zu schaffen, musste man andere Elemente anwerben, als jene, die die hohe herrschende Klasse unter ihren sozialen Elementen aufweisen konnte.“ (ebenda)
Die Sozialdemokratie – Wegbereiter des Faschismus
Solch eine Analyse, die die historische Rolle des Faschismus sehr hellsichtig erfasst, ist nicht zu trennen von der Einschätzung der Rolle der linken Parteien einerseits, welche endgültig in den Dienst der Bourgeoisie getreten waren und deren Vorgehen gegen die Entwicklung des Klassenkampfes gerichtet ist, und andererseits der Einrichtung der Demokratie im Dienste der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung. Hinsichtlich dieser beiden Fragen vertrat Bordiga ebenso eine andere Auffassung als die in der Komintern vorherrschende. Aus seiner Sicht wurden die linken Parteien, welche die Arbeiterklasse verraten hatten, und nicht der Faschismus als Speerspitze bei der Offensive gegen die Arbeiterklasse eingesetzt. Bordiga zeigte anhand zweier Beispiele klar auf, wie die Bourgeoisie sich jeweils hauptsächlich auf die linken Parteien stützte und nicht so sehr auf die Faschisten. „Während der unmittelbar auf den Krieg folgenden Periode macht der Staatsapparat eine Krise durch. Die offenkundige Ursache dieser Krise ist die Demobilisierung; sämtliche Elemente, die bis dahin am Krieg beteiligt waren, werden jetzt auf einmal auf den Arbeitsmarkt geworfen, und in diesem kritischen Augenblick soll sich die Staatsmaschine, die bis dahin mit der Herbeischaffung aller Hilfsmittel gegen den äußeren Feind beschäftigt war, in einen Apparat der Verteidigung der Macht gegen die innere Revolution verwandeln. Es war dies für die Bourgeoisie ein ungeheures Problem. Sie konnte dieses Problem weder von technischen, noch vom militärischen Standpunkte aus durch einen offenen Kampf gegen das Proletariat lösen: sie musste es vom politischen Standpunkt aus tun.
In dieser Periode entstehen die ersten linken Regierungen nach dem Krieg; in dieser Periode kommt die politische Richtung Nitis und Giolittis zur Herrschaft. (…)
Nitti war es, der die »Guardia Regia«, d. h. »die Königliche Garde« schuf, eine Organisation, die nicht gerade polizeilicher Natur war, sondern einen ganz neuen militärischen Charakter trug.“ (ebenda).
Während der Bewegung der Fabrikbesetzungen 1921 „begriff der Staat, dass ein Frontalangriff seinerseits ziemlich unangebracht gewesen wäre, dass stattdessen ein reformistisches Manöver ein guter Schachzug war, und dass man wieder Scheinzugeständnisse machen konnte. Mit dem Gesetzesvorschlag zur Arbeiterkontrolle gelang es Giolitti, die Arbeiterführer dazu zu bewegen, die Betriebe zu räumen.“ Bordiga erläuterte dann, warum der Faschismus nicht frontal gegen die Arbeiter eingesetzt werden konnte, um diese zu schlagen. „In den Großstädten kann der Kampf gegen die Arbeiterklasse nicht mit der sofortigen Anwendung der Gewalt einsetzen. Die städtischen Arbeiterbilden im allgemeinen große Gruppen; sie können sich mit einer gewissen Leichtigkeit in großen Massen versammeln und einen ernsten Widerstand leisten. Vor allem zwang man daher dem Proletariat gewerkschaftliche Kämpfe auf, die zu ungünstigen Ergebnissen führten, weil die wirtschaftliche Krise sich im akutesten Zustande befand. Die Arbeitslosigkeit nahm ununterbrochen zu.“
Nachdem die Bewegung der Fabrikbesetzungen 1921 besiegt worden war, wurde die Arbeiterklasse in Italien immer mehr verwirrt; dadurch wurde es für den italienischen Staat leichter, die Arbeiter zu unterdrücken. Erst ab dieser Phase traten die faschistischen Banden, welche vom Staat dirigiert wurden, auf den Plan und beteiligten sich aktiv und massiv an der Repression.
Der Faschismus war eine Notwendigkeit des Kapitals gegenüber der gesamten Gesellschaft
Im Gegensatz zu einer Sichtweise, die von der Linken des Kapitals in den 1930er Jahren und auch heute noch verbreitet wird, demzufolge der Faschismus die besondere Aufgabe habe, die Arbeiterbewegung zu schwächen und sie im Zaum zu halten, indem er die angeblichen demokratischen Grundrechte in der Gesellschaft angreife, war die Position Bordigas sehr klar. Er meinte, dass der Faschismus für die Bourgeoisie eine zwingende Notwendigkeit gegenüber der gesamten Gesellschaft war.
„Die Regierungsmaßnahmen des Faschismus zeigten, dass diese im Dienst des linken Flügels der Bourgeoisie, des Industrie- Finanz- und Handelskapitals standen, und dass ihre Macht gegen die Interessen der anderen Klassen gerichtet ist“ (ebenda).
Als er 1922 in Italien die Macht übernahm, musste der Faschismus nicht nur all den zentrifugalen Kräften innerhalb der Gesellschaft gegenübertreten, sondern auch der Arbeiterklasse, welche zum damaligen Zeitpunkt schon geschwächt, aber noch nicht vollständig niedergeschlagen war. Dies erfolgte erst später in den 1930er Jahren. Deshalb musste er die demokratischen Verschleierungen aufrechterhalten. „Der Faschismus ist nicht eine Tendenz der bürgerlichen Rechten, die sich auf die Aristokratie, die Geistlichkeit, die hohen Zivil- und Militärbeamten stützt und die Demokratie der bürgerlichen Regierung und
der konstitutionellen Monarchie durch die despotische Monarchie ersetzen will. Der Faschismus verkörpert den gegenrevolutionären Kampf aller verbündeten bürgerlichen Elemente, und darum ist es für ihn keineswegs unbedingt notwendig, die demokratischen Institutionen zu zerstören. Von unserem marxistischen Gesichtspunkte aus braucht dieser Umstand
keineswegs als paradox angesehen zu werden, denn wir wissen, dass das demokratische System nur eine Zusammenfassung lügnerischer Garantien darstellt, hinter denen sich der Kampf der herrschenden Klasse gegen das Proletariat verbirgt.“ Nichts wies damals darauf hin, dass der Faschismus später dazu übergehen würde, die Demokratie über Bord zu werfen.
„Die ersten Maßnahmen der neuen Regierung beweisen, dass diese nicht beabsichtigt, die Grundlagen der traditionellen Institutionen in Italien zu ändern.
Ich behaupte selbstverständlich nicht, dass die Lage für die proletarische und sozialistische Bewegung günstig sei, wenn ich auch voraussage, dass der Faschismus liberal und demokratisch sein wird.“
Tatsächlich war der Faschismus Anfang der 1920er Jahre nur der Keim einer Tendenz, die in ihrer diktatorischen Form erst in den 1930er Jahren in Deutschland und Italien ihren Höhepunkt erreichen konnte, nachdem die Arbeiterklasse geschlagen war.
Gegen die Einheitsfront mit der Sozialdemokratie
Dank ihrer Unnachgiebigkeit gegenüber all den Fraktionen der Bourgeoisie wurden Bordiga und der linke Flügel nicht in den Strudel des Opportunismus hineingerissen, in den die Dritte Internationale aufgrund ihrer Taktik der Einheitsfront geraten war, welche sich für die Arbeiterbewegung als sehr katastrophal auswirken sollte. Diese Festigkeit der Prinzipien und die klare Analyse ermöglichten ihnen, eine sehr hellsichtige Warnung auszusprechen, die sich rückblickend als sehr richtig erwies. Sie warnten vor der opportunistischen Versuchung der antifaschistischen Front. “Wir wissen, dass das internationale Kapital sich nur freuen kann über die Taten des Faschismus in Italien, über den Terror, den er dort gegen Arbeiter und Bauernschaft ausübt. Für den Kampf gegen den Faschismus können wir einzig und allein auf die revolutionäre proletarische Internationale zählen. Es handelt sich um eine Frage des Klassenkampfes. Wir wenden uns nicht an die demokratischen Parteien der anderen Länder, an die Vereinigungen von Dummköpfen und Heuchlern, wie die “Liga für die Menschenrechte”; denn wir wollen nicht die Illusion erwecken, dass es sich bei ihnen um etwas vom Faschismus wesentlich Verschiedenes handelt, oder dass die Bourgeoisie der anderen Länder nicht imstande wäre, ihrer Arbeiterschaft dieselben Verfolgungen zu bereiten und dieselben Gräueltaten zu vollbringen wie der Faschismus in Italien.” Protokoll des V. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, S. 751, 23. Sitzung, Der Faschismus, 2.07.1924, Bericht Bordigas zum Faschismus auf dem 5. Kongress der Kommunistischen Internationale)
Die Deutsch-Holländische Linke
Dieser Strömung gelang es, eine große theoretische Klarheit hinsichtlich der Fragen des Eintritts des Kapitalismus in seine Niedergangsphase zu erreichen, die manchmal noch größer war als die der Italienischen Linken. Dies trifft insbesondere hinsichtlich der Rolle des Parlamentarismus und der Wahlen zu, welche die Arbeiterklasse nicht mehr zu ihren Gunsten benutzen kann, weil sie zu Waffen der Bourgeoisie geworden sind. Im Gegensatz zur Italienischen Linken waren sie dazu in der Lage, die Gewerkschaften als in den bürgerlichen Staat integrierte Organe zu erkennen, die zur Aufgabe haben, die Arbeiterklasse zu kontrollieren. Zu all diesen Fragen erhoben sie offen ihre Stimme gegen die Fehler der Komintern und Lenins. Aber Ende der 1920er bzw. in den 1930er Jahren vertraten sie eine zutiefst irrige Auffassung hinsichtlich des Scheiterns der Russischen Revolution. Diese wurde von einigen Teilen der Rätekommunisten gar als eine bürgerliche Revolution eingeschätzt. Diese gingen davon aus, dass das Scheitern der Revolution nicht auf das Abflauen der weltweiten revolutionären Welle zurückzuführen war, sondern auf "bürgerliche" Auffassungen, die von der bolschewistischen Partei und Lenin vertreten wurden, die zum Beispiel für die Notwendigkeit der revolutionären Partei eintraten.
Die Deutsche Linke
Der Faschismus, Ausgeburt des dekadenten Kapitalismus und der Wirtschaftskrise
Ein Beitrag von A. Lehmann, Mitglied der deutschen KAZ (Kommunistische Arbeiter-Zeitung), die aus der KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschland) hervorgegangen war, zeigt den Grad theoretischer Klarheit, den die Deutsche Linke seinerzeit gegenüber der Frage des Faschismus erreicht hatte. Dieser hatte aus seiner Sicht seine Wurzeln im niedergehenden Kapitalismus und der zugespitzten Wirtschaftskrise: „Die Möglichkeit einer ständig wachsenden Akkumulation des Kapitals, die sich in der Anfangsphase geboten hatte, fand ein Ende, als die Konkurrenz zwischen den nationalen Kapitalien sich immer mehr verschärfte - aufgrund des Mangels an neuen Märkten, die für die kapitalistische Expansion hätten erobert werden müssen. Diese durch die Einschränkung der Absatzmärkte hervorgerufenen Rivalitäten führten zum Ersten Weltkrieg (...) Die verschiedenen Schichten des Kapitalismus verloren ihren besonderen Charakter (finanziellen, industriellen usw.) und wurden in einem wachsenden, gleichartigen Interessenblock aufgesogen.(…) In solch einer Struktur bestand die Notwendigkeit eines Parlaments für den Kapitalismus nicht mehr, welches zunächst noch als eine Fassade für die Diktatur des Monopolkapitals überleben konnte.“ (aus einem Artikel, veröffentlicht in Nr. 11 „Die Massen“, November 1933), eine Monatszeitung links von der französischen Sozialdemokratie, wiederveröffentlicht von der IKS in Internationale Revue Nr.2)
Aber diese Analyse hatte trotzdem einige Schwächen, denn sie zogen die Schlussfolgerungen, dass der Faschismus sich schnell ausdehnen würde. „Aber die Verschärfung der Weltkrise, die Unmöglichkeit, neue Märkte zu eröffnen, ließen jegliches Interesse der Bourgeoisie, die Fassade des Parlamentarismus aufrechtzuerhalten, verblassen. Die direkte und offene Diktatur des Monopolkapitals wurde zu einer Notwendigkeit für die Bourgeoisie selber. Das faschistische System entpuppte sich als die best angepasste Regierungsform für die Bedürfnisse des Monopolkapitals. Seine Wirtschaftsorganisation ist am besten in der Lage, eine Lösung für die internen Widersprüche innerhalb der Bourgeoisie anzubieten, während ihr politischer Inhalt es der Bourgeoisie ermöglicht, sich auf eine neue Basis zu stützen, die somit den Reformismus ersetzt, der mehr und mehr unfähig geworden ist, die Illusionen in den Massen aufrechtzuerhalten.“(ebenda).
So erkannten sie nicht die besonderen Bedingungen, die zum Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland beigetragen haben, die aber in anderen Industriestaaten nicht vorhanden waren. Einerseits handelte es sich um die besonders brutale Niederlage, welche die Arbeiterklasse in Italien und Deutschland nach einem großen Arbeiterkampf hatte hinnehmen müssen, und andererseits die Notwendigkeit, dass die herrschende Klasse dieser Länder, die im Ersten Weltkrieg besiegt worden war, neue Initiativen ergreifen musste, um eine bewaffnete Neuaufteilung des imperialistischen Kuchens vorzubereiten.
Schließlich stellten sie auch den Unterschied zwischen den Strömungen der Kommunistischen Linken und dem Trotzkismus oder den linken Strömungen der Bourgeoisie heraus. Sie zeigten auf, dass der Klassengegensatz innerhalb der Gesellschaft nicht zwischen Faschismus und Demokratie verläuft, sondern zwischen Proletariat und Kapitalismus. „Aber obgleich die Arbeiterklasse sich nicht stark durch die faschistische Demagogie verseuchen ließ, war sie dennoch unfähig, die Entwicklung der Nationalsozialistischen Partei zu verhindern. Es gelang ihr nicht, die Bildung eines Blocks der reaktionären Klassen aufzulösen. Die großen Arbeiterparteien versuchten ohne Erfolg, diese oder jene offene Divergenz zwischen dem Monopolkapital und dem Nationalsozialismus auszunützen. Vor allem verstand die Arbeiterklasse nicht, dass der wirkliche Widerspruch nicht zwischen Demokratie und Faschismus lag, sondern zwischen Faschismus und proletarischer Revolution. Deshalb war es der Mangel an revolutionärer Fähigkeit seitens des Proletariats, der somit die politische Entwicklung und den Aufstieg Hitlers erlaubte.“ (ebenda).
Aber eine große Schwäche dieses Beitrags war, dass er die Gefahr des Antifaschismus nicht klar erkannte. Insbesondere hinsichtlich dieses letzten Aspektes war die Italienische Linke sehr viel klarer und konsequenter. Sie zeigte den Graben zwischen dem proletarischen Lager und allen Fraktionen der Bourgeoisie auf.
Pannekoek
Eine Klassenanalyse des Faschismus und des Stalinismus
Anton Pannekoek, eine große Persönlichkeit der Arbeiterbewegung und einer der Führer des linken Flügels der Sozialdemokratie, beteiligte sich an allen Kämpfen gegen die Ausdrücke des Opportunismus in der 2. Internationale. Während des 1. Weltkriegs gehörte er neben Lenin und Rosa Luxemburg zu den Internationalisten der ersten Stunde, insbesondere als die sozialdemokratischen Parteien das Proletariat verraten und zum Burgfrieden mit den Ausbeutern aufgerufen hatten. Obgleich er während des 2. Weltkriegs noch Internationalist geblieben war, gelang es ihm nicht den gleichen Beitrag zu leisten wie zur Zeit des 1. Weltkriegs.
Noch bevor der Krieg zu Ende ging, entwickelte er eine bemerkenswerte Klarheit über die Mittel, welche die herrschende Klasse einsetzte, um die Wiederholung einer zweiten revolutionären Erhebung zu verhindern (auch wenn seine Formulierungen eine große Überschätzung der Leichtigkeit zum Ausdruck bringen, mit der die proletarische Erhebung in Deutschland 1918 erfolgte): “Das Ziel der nationalsozialistischen Diktatur, die Eroberung der Weltmacht, macht es allerdings wahrscheinlich, dass sie in dem Krieg, den sie entfesselt hat, zerstört wird. Dann wird sie Europa ruiniert und verheert, in Chaos versunken und verarmt zurücklassen; den an die Herstellung von Kriegsgerät angepassten Produktionsapparat völlig abgenutzt, Boden und Arbeitskraft ausgelaugt, Rohstoffe erschöpft, Städte und Fabriken in Trümmern liegend, die Wirtschaftsquellen des Kontinents verschwendet und vernichtet. Dann wird, anders als 1918, die politische Macht nicht automatisch der Arbeiterklasse in die Hand fallen; die Siegermächte werden es nicht zulassen, ihre ganze Macht wird dazu herhalten, sie unten zu halten” (A. Pannekoek, Arbeiterräte, S. 183, 2008)
Genau wie Bordiga vor ihm meinte Pannekoek, dass der Faschismus nicht ein Ergebnis des Aufstiegs reaktionärer Klassen der Gesellschaften, sondern der Bedürfnisse des Kapitals war. "Als Produkt eines hochentwickelten Kapitalismus verfügt der neue Despotismus über alle Kraftquellen der modernen Bourgeoisie, über alle verfeinerten Methoden moderner Technik und Organisation. Er ist kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt; kein Rückfall in alte rohe Barbarei, sondern Fortschritt zu einer höheren, raffinierteren Barbarei.” (ebenda, S.163).
Im Gegensatz zu Lehmann beging Pannekoek nicht den Fehler zu denken, dass der Faschismus die universelle Herrschaftsform des Kapitalismus sei. „Während in einigen Ländern faschistische Diktaturen entstehen können, sind die Bedingungen für das Aufkommen derselben in anderen Ländern nicht vorhanden“. Er erkannte, dass besondere Bedingungen seinen Aufstieg ermöglicht hatten: “Oft wird gesagt, der Faschismus sei die eigentliche politische Lehre des Großkapitals. Das ist jedoch nicht wahr: Amerika zeigt, dass sich seine ungestörte Macht besser mit einer politischen Demokratie sichern lässt. Wo aber das Großkapital in seinem Kampf um den Aufstieg zur Weltmacht gegen einen stärken Feind nicht aufkommen kann, oder wo es sich im Inneren von einer rebellischen Arbeiterklasse bedroht fühlt, muss zu kräftigeren und gewalttätigeren Herrschaftsformen übergegangen werden. Der Faschismus ist die Politik des Großkapitals in Bedrängnis.” (S. 162)
Er verdeutlichte die Tendenz zum Staatskapitalismus, der als Garant des ökonomischen und sozialen Zusammenhaltes gegenüber den Widersprüchen der Gesellschaft auftrat, welche diese erschüttern. Aus seiner Sicht waren alle Regime, ob faschistisch oder demokratisch, von solchen Merkmalen geprägt. „Die Regierungen, selbst die demokratisch maskierten, werden immer mehr dazu gezwungen sein, in die Produktion einzugreifen. Solange das Kapital Macht hat und Angst, werden despotisch geführte Regierungen als gefährliche Gegner der Arbeiterklasse aufkommen.“ (ebenda, S. 182).
Der Staat in Russland 1917, eine falsche Analyse ihn als einen Ausdruck der Tendenz zum Faschismus zu sehen
Pannekoek verstand auch das Ausmaß des Staatskapitalismus, zu dem auch der stalinistische Staat gehörte, welcher aus der Konterrevolution in Russland entstanden war.
„Bei näherer Betrachtung der inneren Zusammenhänge können wir sehen, dass nicht nur der Kommunismus durch sein Vorbild einer Staatsdiktatur, sondern auch die Sozialdemokratie dem Nationalsozialismus den Weg bereitet haben. (…) Als erstes die Idee des Staatssozialismus, der bewussten geplanten Organisation der gesamten Produktion durch die staatliche Zentralgewalt. Natürlich hatte man dabei an den demokratischen Staat als dem Organ der Arbeiter gedacht. Doch vor der Kraft der Wirklichkeit zählen keine Absichten. Ein Organ, das über die Produktion das Sagen hat, hat das Sagen über die Gesellschaft, über die Produzenten, trotz aller Bestimmungen, die versuchen, es zu einem untergeordneten Organ zumachen, und daraus entwickeln sich dann zwangsläufig eine herrschende Klasse oder Gruppe“ (ebenda, S. 180).
Bei dieser Charakterisierung bezog sich Pannekoek richtigerweise auf die Analyse, der zufolge Russland damals überhaupt nichts mit Kommunismus zu tun hatte. Genauso wenig war der russische Staat proletarisch; stattdessen entsprach dieser einer besonderen Form, welche der Staatskapitalismus in diesem Land angenommen hatte (3). Dieser Abschnitt und die anderen Arbeiten Pannekoeks zeigen, dass er ein wirkliches Problem intuitiv richtig spürte. BILAN, das dieses Problem viel tiefergreifend behandelte, meinte dazu, dass der Staat, welcher nach der Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse entstand, nicht proletarisch war, sondern die Klassenantagonismen verkörperte, die noch innerhalb der Gesellschaft fortbestanden, solange die kapitalistischen Verhältnisse auf der Welt noch vorherrschten. Zur Zeit der weltweiten Welle von revolutionären Kämpfen verteidigte die gesamte Arbeiterbewegung, die noch unter dem Einfluss alter sozialdemokratischer Auffassungen hinsichtlich der Frage der Übernahme der Macht stand, die falsche Analyse, der zufolge die Diktatur des Proletariats mit dem Staat der Übergangsperiode gleichgestellt wurde(4). Aber im Gegensatz zur Meinung Pannekoeks ist dieser Fehler der Arbeiterbewegung – welcher korrigiert worden wäre, wenn sich die Revolution international ausgedehnt hätte- nicht die tiefer greifende Ursache für das Scheitern der revolutionären Welle. Diese Frage konnte damals in der Hitze des Feuers nicht geklärt werden, weil das internationale Kräfteverhältnis zwischen den Klassen sich für das Proletariat sehr ungünstig entwickelt hatte, und die russische Bastion damit zu ihrem Niedergang und zur Isolierung verurteilt war.
Eine irrige Auffassung der russischen Revolution, welche die Analyse der Ursachen des Faschismus verfälschte
Pannekoek verwarf somit diese Methode der Analyse; stattdessen suchte er einen Ursprung der Tendenz zum Staatskapitalismus und damit des Faschismus in den 'Mängeln 'der Arbeiterbewegung selbst. „Die von der Sozialdemokratie für die Arbeiter ausgegebenen Schlagworte, Ziele und Methoden wurden vom Nationalsozialismus übernommen und im Sinne des Kapitals angewandt. (….) Das „Führerprinzip“ wurde nicht vom Nationalsozialismus erfunden; unter dem demokratischen äußeren Schein verborgen, bildete es sich in der Sozialdemokratie aus. Der Nationalsozialismus erklärte es offen zur neuen Grundlage der gesellschaftlichen Beziehungen und zog alle Konsequenzen daraus“ (ebenda S. 180).
Hier kann man den Rückschritt des großen Revolutionärs ermessen, dem es gegenüber dem Faschismus nicht gelang, die Methode der konsequenten Revolutionäre – und damit seiner früheren eigenen Methode – anzuwenden, um das Phänomen des Verrats der Sozialdemokratie und die Niederlage der russischen Revolution zu erklären. Genau wie es heute in großem Maße die bürgerliche Propaganda betreibt, schmiss Pannekoek den Kommunismus mit dem Stalinismus in einen Topf. Er identifizierte die Partei der proletarischen Revolution, die Bolschewistische Partei Lenins mit Stalin und der Konterrevolution. Er ging sogar so weit, zwischen der Partei Marx' und Engels und der Noskes und Scheidemanns eine ähnliche Übereinstimmung zu sehen. Im Gegensatz zu der Methode, welche die Abgrenzung zwischen bürgerlichen und proletarischen Lager hinsichtlich wesentlicher Fragen wie dem Internationalismus und der Verteidigung der Revolution gegenüber allen Fraktionen der Bourgeoisie in den Mittelpunkt stellte, konzentrierte sich Pannekoek auf wesentliche aber zweitrangige Schwächen wie zum Beispiel den Führerkult in der Sozialdemokratie unter dem Einfluss der herrschenden Ideologie. Ihm zufolge bestand das Problem nicht mehr in einer notwendigen Abgrenzung zwischen Organisationen des Proletariats, die ins Lager des Klassenfeindes übergewechselt waren, und den neuen, aufzubauenden, sondern in der Verwerfung jeglicher politischen Partei, die ihrem Wesen nach notwendigerweise bürgerlich sei. Dies ist einer der Gründe, weshalb er wie Lehmann nicht dazu in der Lage war, klar die Umrisse des gesamten Klassengegners aufzuzeigen, egal wie er sich gebärdet, ob stalinistisch, demokratisch oder faschistisch. Seine viel schwächere Anprangerung der Demokratie hinderte ihn auch daran, auf die Wichtigkeit der Verschleierungskraft des Antifaschismus in der Arbeiterklasse hinzuweisen.
Eine Analyse, die die arbeiterfeindliche Rolle der Sozialdemokratie abschwächt
Es hat sich herausgestellt, dass die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien seit ihrem Wechsel auf die Seite der Konterrevolution die inbrünstigsten Verteidiger staatskapitalistischer Maßnahmen waren. Aber das Verhältnis, das Pannekoek zwischen Faschismus und Sozialdemokratie darstellt, ist falsch. Zunächst ist der Faschismus nicht das Ergebnis des Stalinismus oder des demokratischen Staatskapitalismus, sondern alle drei sind Ausdrücke der Tendenz zum Staatskapitalismus. Zudem besteht das Hauptproblem in dem schwerwiegenden Fehler einer Analyse, die den Kern des wirklichen Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Faschismus und den ehemaligen Parteien der Arbeiterklasse, welche die Seite gewechselt haben, ausblendet: die Niederschlagung der Arbeiterklasse durch den linken Flügel des Kapitals, welche den Weg zum Faschismus bereitet.
Deshalb trägt leider Pannekoek nicht zur Stärkung des Proletariats bei, auch wenn er sagt, dass die Sozialdemokratie dem Faschismus den Weg bereitet habe: „Wie konnte es geschehen, dass eine Arbeiterklasse wie die deutsche, die zur Blütezeit der Sozialdemokratie anscheinend so mächtig war und beinahe kurz davor zu stehen schien, die Welt zu erobern, so vollends hilflos wurde? Selbst für diejenigen, die den Niedergang und inneren Verfall des Sozialismus erkannt hatten, kam seine leichtfertige und kampflose Aufgabe und die völlige Vernichtung seiner imposanten Struktur überraschend. In gewisser Hinsicht kann allerdings behauptet werden, dass der Nationalsozialismus der reguläre Nachfahre der Sozialdemokratie ist“ (ebenda, S. 180).
In dieser Schrift unterlässt Pannekoek nicht nur die wesentliche Entblößung der Rolle der Linken des Kapitals und ordnet indirekt der Revolution in Russland eine den Faschismus fördernde Rolle zu. Aufgrund seiner irrigen Analysen hat er direkt zur Verbreitung von Konfusionen in der Arbeiterklasse beigetragen, die damals durch solche Konfusionen noch mehr geschwächt wurde.
Die Kommunistische Linke Italiens (GCI) BILAN
BILAN setzte direkt die zuvor von der Italienischen Linken in den 1920er Jahren geleistete Arbeit fort. Daraus sind die meisten ihrer Mitglieder hervorgegangen. Die GCI konnte sich auf einen soliden programmatischen Rahmen für ihre Analysen und politischen Orientierungen stützen. Je mehr sich die Lage entwickelte und aufgrund ihrer Anstrengungen zur politischen Vertiefung konnte sie diesen Rahmen auch erweitern (5). Dadurch konnte sie "Kurs halten" zu einer Zeit, als die revolutionären Minderheiten immer mehr gegen den Strom schwammen und die entscheidenden Bataillone des Proletariats nach der Niederlage der revolutionären Welle für die Verteidigung des nationalen Kapitals eingespannt wurden.
Der für die Revolution ungünstige Kurs und der Kampf gegen die Einheitsfront
Anfang der 1930er Jahre wurde sich BILAN des geänderten Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen bewusst. Es verstand die neuen kurz- und mittelfristigen Perspektiven, die nicht mehr auf eine Machtergreifung durch die Arbeiterklasse hinausliefen, sondern im imperialistischen Krieg bestanden. Diese Vorgehensweise erlaubte ihr zu verhindern, dass die opportunistischen Fehler der Kommunistischen Internationale wiederholt wurden, welche insbesondere eine Politik der Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Parteien befürwortete, um einen Einfluss auf die Massen zu bewirken, die sich immer mehr von der Revolution abwandten. So setzte BILAN den Kampf Bordigas gegen diese katastrophale Politik fort, welche der Trotzkismus und seine Anhänger betrieben. Aus trotzkistischer Sicht bestanden in den 1930er Jahren noch viele revolutionäre Möglichkeiten, die eine fähige revolutionäre Führung erfolgreich umsetzen könnte. Damals war BILAN die einzige Gruppe, die den Kampf gegen solch eine Orientierung systematisch und militant fortsetzte:
"Nach den ersten Niederlagen änderten sich nur die unmittelbaren Ziele dieses Kampfes: 1917-20 ging es um Forderungen des unmittelbaren Kampfes um die Macht. 1921 konkretisierten sich diese Forderungen um die unmittelbaren Forderungen. Dabei wurde aufgezeigt, es sei unvermeidbar, dass sie sich in Richtung Machtergreifung entwickelten.
Wir wissen, dass die Komintern 1921-22 dieses zentrale Problem ganz anders stellte. Sie setzte sich zum Ziel, um jeden Preis die Massen an die kommunistischen Parteien zu binden. Da ihr dies nicht mit den gleichen politischen Positionen und Methoden wie in der Zeit von 1918-1920 gelingen konnte, weil sich die Lage geändert hatte, sah sie sich gezwungen, ihre Positionen und Methoden ganz wesentlich zu ändern und somit neue Niederlagen herbeizuführen. Das Problem der Einheitsfront, welches seinerzeit in unterschiedlicher Gestalt auftauchte und auch das Problem der Machtübernahme anders stellte (Thüringen, Sachsen), war eine Folge der geschichtlich zutiefst ungünstigen Umstände. Diese schlecht gelöste Frage untergrub zutiefst die Grundlage der revolutionären Politik, auf welcher die Komintern gegründet worden war.
Im Allgemeinen wird das Problem der Einheitsfront folgendermaßen gestellt: in einem ungünstigen Zeitraum erhält das Programm, das von den Sozialisten propagiert wird, eine revolutionäre Tragweite. Der Sozialist verkündet das Programm nur mit dem Ziel, die Massen zu täuschen und mit der Absicht, niemals Bewegungen um sein Programm zu verwirklichen. Die Aufgabe der Kommunisten besteht darin, die Sozialdemokraten in einen Hinterhalt zu locken, d.h. ein Abkommen auf der Grundlage von Forderungen zu schließen, die von den Reformisten gestellt werden, denn aufgrund deren Entblößung kann nur die Bewegung der Massen in Richtung Kommunismus folgen“ (Bilan, Nr. 6, April 1934, Die Probleme der Einheitsfront).
Auch wenn die ungünstigen Umstände vorübergehend den Kampf um die Macht unmöglich machen, ist dies kein Grund zur Verwerfung der Prinzipien und des Zusammengehens mit dem Feind. "Man muss zunächst hervorheben, die ungünstigen Bedingungen bedeuten, dass die Frage der Macht nicht als ein realistisches Ziel des Arbeiterkampfes angesehen werden kann. Aber diese Umstände bedeuten keine Ablehnung der zuvor von der kommunistischen Partei vertretenen Position, dass die Machtfrage nur durch den Aufstand gelöst werden kann, und dass die einzig richtige Position des Proletariats gegenüber dem Staat die seiner Zerstörung sein kann. Zur Verwirklichung seiner Aufgaben kann die Arbeiterklasse sich nur auf die kommunistische Partei stützen. Gegen diese und die Massen an ihrer Seite werden sich die Kräfte des Kapitalismus zusammenschmieden, von der extremen Rechten bis hin zur extremen Linken (Austromarxisten)." (Bilan, Nr. 6, Die Probleme der Einheitsfront)
Obwohl der Kampf für die Revolution kurz- und mittelfristig nicht mehr auf der Tagesordnung steht, bedeutet dies nicht, dass die Arbeiterklasse nicht mehr kämpfen müsste. Aber das Ausmaß ihrer Kämpfe beschränkt sich notwendigerweise auf die Verteidigung gegen die ökonomischen Angriffe des Kapitals. Jede künstliche Abkürzung zum revolutionären Kampf (z.B. das trotzkistische Minimalprogramm) führt notwendigerweise zum Opportunismus und spielt dem Feind in die Hände. Die Trotzkisten haben diesen Weg mit ihrer Politik des "Entrismus" in die Sozialdemokratie und ihrer Politik während des Spanienkriegs der "kritischen" Unterstützung der POUM eingeschlagen, welche sich an der bürgerlichen Regierung der Generalitat Kataloniens beteiligte.
Die Entblößung der sozialistischen Parteien als Speerspitze der arbeiterfeindlichen Offensiven der Herrschenden
Wie die stalinistischen Parteien kaschiert der Trotzkismus gegenüber der Arbeiterklasse das arbeiterfeindliche Wesen der sozialistischen Parteien, aber vor allem die besondere Rolle, welche sie im Dienste des kapitalistischen Staates gegen die Arbeiterklasse spielen. Indem Bilan systematisch all die Lehren aus den Ereignissen seit dem 1. Weltkrieg zog, zeigte die Gruppe auf eine systematische und vertiefte Weise den Verrat dieser Parteien und deren Eingliederung in den kapitalistischen Staat auf. Besonders hob sie hervor:
-Sie spielten eine entscheidende Rolle bei der Niederlage der Arbeiterklasse und dienten dem Faschismus als Steigbügelhalter. Auch wenn sie später von dem Faschismus verfolgt wurden, wäscht sie das nicht von ihren Schandtaten rein, die sie gegen die Arbeiterklasse begangen haben; und vor allem ändert das nichts an ihrem Klassenwesen, das gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist. "Greift der Faschismus auf eine faschistische Organisationsform der Gesellschaft zurück; hält der Faschismus Einzug? Dies bedeutet aber nicht, dass das demokratische Programm der Sozialisten, welches sich schon als eine mächtige Waffe der Konterrevolution herausgestellt hat, sich ändert: Die Ereignisse in Italien, Deutschland, Österreich bewiesen dies nachdrücklich. Und dieses gleiche Programm, welches den Kapitalismus in den früheren revolutionären Erhebungen des Proletariats gerettet hat, wird weiterhin seine reaktionäre Funktion in der neuen, jetzt beginnenden Phase des Kapitalismus behalten. Wenn die Herrschenden sich auf die Faschisten stützen, werden sie die Hilfe der sozialistischen Parteien benötigen, um die Regierungen Hitlers, Mussolinis und Dollfuss an die Macht zu bringen, damit diese ihre Angriffe gegen das Proletariat durchsetzen. Und die italienischen, deutschen und österreichischen Sozialisten werden erneut zur Stelle sein, um eine für die Herrschenden unersetzliche Funktion zu erfüllen. Ob sie später verboten oder verfolgt werden, ändert überhaupt nichts an ihrer Rolle. Seit jeher haben die Marxisten verstanden, dass die kapitalistische Gesellschaft von Widersprüchen geprägt ist, und dass diese auf Profit gestützte Gesellschaft nur zu einem Todeskampf zwischen den einzelnen Kapitalisten, den Konzernen, den Staaten führen kann; und dass die politische Organisation des Kapitalismus einen Kampf zwischen den verschiedenen Parteien beinhaltet. Aber den Marxisten ist nie in den Sinn gekommen zu meinen, dass die durch ihren Gegner niedergeworfenen Kapitalisten, die von den neuen Herren geschlagenen oder niedergemetzelten Parteien einen Ausgangspunkt für den revolutionären Kampf des Proletariats darstellen." (Bilan, Nr. 6, Die Probleme der Einheitsfront)
Sie passten sich den Bedingungen an, indem sie die Illusion verbreiteten, die Sache des Proletariats zu vertreten, um es besser zu täuschen. "Ebenso wenig wie die Klassen sind die Parteien ein Ausdruck des Programms, welches sie verkünden, in Wirklichkeit sie sind ein Ausdruck der Stellung, die sie innerhalb der Gesellschaft innehaben. Die sozialistische Partei ist ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Regimes und sie erfüllt ihre Rolle, auch wenn sie ihr Programm ändert. Die Änderungen des Programms ändern keineswegs ihre Funktion, sondern im Gegenteil sie stellen eine notwendige Änderung dar, um ihre Rolle weiterhin ausüben zu können. Wenn sie zu einer Anhängern der Sowjets wird, wie 1920, dann weil sie sich dessen bewusst war, dass sie nur so die Verteidigung des bürgerlichen Regimes übernehmen konnte. Als sie in die Sowjetregierung Ungarns eintrat, tat sie dies, weil sie sich so gewissermaßen verschanzen konnte, um ihrer historischen Aufgabe nachzugehen. Unter ungünstigen oder gar sehr ungünstigen und faschistischen Bedingungen stellte das Programm der sozialistischen Partei, das keinesfalls den Interessen der Revolution diente, nur eine zusätzliche Unterstützung des Kapitalismus, des Sieges des Faschismus und dessen Machterhaltung dar. Die Sozialisten behaupten, diese oder jene Errungenschaft der Arbeiter schützen zu wollen; wir sind aber davon überzeugt, dass sie dies gar nicht wollen, sondern dass sie dies nur proklamieren, um die Arbeiter zu täuschen." (BILAN, Nr. 6, Die Probleme der Volksfront)
Die Lehren aus der Niederlage ziehen
Die geschichtlichen Bedingungen waren damals sehr komplex. Mehrere Faktoren spielten eine Rolle: der Beginn des Niedergangs des Kapitalismus, die weltweite Welle von revolutionären Kämpfen und ihr Scheitern sowie der Beginn des Kurses hin zum Krieg. Im Hinblick auf den Krieg entfaltete die herrschende Klasse eine politische Offensive gegen das Proletariat, welche vom Staat in die Hand genommen wurde. Der demokratische Staat agierte einmal mit Verschleierungen, dann mit Repression, während der faschistische und der stalinistische Staat hauptsächlich mit Terror regierten. Alle Anstrengungen müssen unternommen werden, um die neuen Bedingungen zu begreifen, denn davon hängt es ab, ob unsere Interventionen in der Klasse und die Lehren, die wir den zukünftigen Generationen von Revolutionären übermitteln, richtig sind. Aus Ablehnung des Immediatismus und des vorherrschenden unpolitischen Verhaltens, die jegliches politisches Nachdenken verhindern und den Boden bereiten für politische Theorien und Orientierungen, welche den Klasseninteressen des Proletariats entgegengestellt sind, begriff die Italienische Linke, dass es notwendig war, eine theoretische Analyse der damaligen historischen Bedingungen zu erstellen: "(…) Es ist wesentlich – oder zumindest war dies vorher so -, dass man, bevor man einen Kampf der Klasse aufnimmt, die Ziele, für die man kämpft, klären muss, sowie die Mittel und die Kräfte der Klasse, auf die man sich bei diesem Kampf stützen kann. Dies sind keine "theoretischen" Überlegungen; damit meinen wir, dass sie nicht all der überstürzten Kritik der blasierten Leute ausgesetzt sein soll, deren Praxis in der Regel darin besteht, ohne jede theoretische Klarheit in den Bewegungen herum zu fuschen, und somit mit allen möglichen Leuten ohne irgendwelches Programm zusammenzuarbeiten, solange es irgendeine "Aktion" gibt. Wir meinen natürlich, dass solche Aktionen nicht einfach auf ein launisches Verhalten oder auf den jeweiligen guten Willen Einzelner zurückzuführen sind, sondern ein Ergebnis der Lage selbst sind. Darüber hinaus ist die theoretische Arbeit für die Aktion wichtig, damit die Arbeiterklasse von neuen Niederlagen verschont bleibt. Man muss sehen, wie viel Verachtung dadurch gegenüber der theoretischen Arbeit gezeigt wird, denn in Wirklichkeit geht es immer darum, klamm heimlich proletarische Positionen durch Auffassungen des Klassenfeindes zu ersetzen. Die der Sozialdemokratie sollen ins revolutionäre Milieu vordringen, wobei man gleichzeitig unbedingt auf Aktionen abzielt, die aufzeigen sollen, dass man in einem Wettlauf mit dem Faschismus steht." (BILAN; Nr.7, Der Antifaschismus- eine irreführende Ausrichtung") Diese von BILAN propagierte Vorgehensweise steht im Gegensatz zu der des Antifaschismus, "der keine politischen Kriterien mit berücksichtigt. Denn dieser setzt sich zum Ziel, all diejenigen zusammenzubringen, die von dem Angriff der Faschisten bedroht sind, indem ein "Verband der Bedrohten" gebildet wird" (BILAN; Nr. 7, Der Antifaschismus eine irreführende Ausrichtung).
Der Faschismus – ein Ausdruck des Staatskapitalismus, der durch die Niederlage der Arbeiterklasse möglich geworden ist
Aus der Sicht BILANs wie für die KP Italiens vor der Verdrängung Bordigas aus der Parteiführung war der Faschismus nichts anderes als Kapitalismus, welcher sich an die ökonomischen und politischen Notwendigkeiten angepasst hatte, die ein energisches Eingreifen des Staates erforderlich machten, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. "Die Erfahrung zeigt, dass die Wandlung des Kapitalismus zum Faschismus nicht vom Willen einiger Gruppen der bürgerlichen Klasse abhängt, sondern von Notwendigkeiten, die auf eine ganze historische Periode zurückzuführen sind und die besonderen Eigenarten der Lage bestimmter Staaten, die gegenüber der Krise und dem Todeskampf des bürgerlichen Regimes weniger widerstandsfähig sind. Die Sozialdemokratie, die die gleiche Richtung eingeschlagen hat wie die liberalen und demokratischen Kräfte, ruft ebenso die Arbeiter dazu auf, sich hauptsächlich an den Staat zu wenden, damit dieser die faschistischen Gruppierungen zwingt, die Legalität zu respektieren, mit dem Ziel sie zu bewaffnen oder sie gar aufzulösen. Diese drei politischen Strömungen ziehen am gleichen Strang. Die Wurzel liegt darin, dass der Kapitalismus dem Faschismus zum Triumph verhelfen muss, dort wo der kapitalistische Staat das Ziel verfolgt, den Faschismus zu fördern, um ihn zu der neuen Organisationsform der kapitalistischen Gesellschaft zu machen" (BILAN; Der Antifaschismus, eine irreführende Ausrichtung).
Das Beispiel Deutschlands beweist es klar. Durch den Versailler Vertrag reingelegt und in Ermangelung kolonialer Märkte, wurde Deutschland dazu gezwungen, erneut in einen imperialistischen Kampf um die Aufteilung der Welt einzutreten. Die tiefgreifende physische Niederlage des Proletariats in Deutschland ließ die Aufrechterhaltung der demokratischen Maske überflüssig werden und ermöglichte die Errichtung totalitärer Herrschaftsformen.
Die Fortentwicklung der Lage im Vergleich zu den Verhältnissen zur Zeit Bordigas Anfang der 1920er Jahre, als Mussolini die Macht übernahm, ermöglichte es BILAN die Bedingungen für den Aufstieg des Faschismus zur Macht genauer zu präzisieren. "Dieser ist auf einer doppelten Grundlage entstanden: aufgrund der Niederlage der Arbeiterklasse und der Erfordernisse einer durch die Wirtschaftskrise völlig zerrütteten Wirtschaft“ (Bilan, Nr. 16, März 1935, „Die Niederwerfung der Arbeiterklasse in Deutschland und der Aufstieg des Faschismus“).
Die Demokratie schafft die Vorbedingungen für den Faschismus und mobilisiert das Proletariat für den Krieg
Als Speerspitze der Verteidigung des Kapitalismus hat die Sozialdemokratie, indem sie der Arbeiterklasse eine Reihe von Niederlagen beifügte, solch eine Herrschaftsform möglich gemacht, die den Bedürfnissen des nationalen Kapitals voll entsprach. "Was vor allem die Herrschaft des Faschismus herbeiführte, war die Bedrohung, die in der Zeit nach dem Krieg das Proletariat darstellte. Gegen diese Gefahr konnte sich der Kapitalismus dank der Sozialdemokratie wehren, aber dies erforderte eine politische Struktur, die der notwendigen disziplinierenden Konzentration auf wirtschaftlicher Ebene entsprach (…) Der deutsche Kapitalismus, der jämmerlich zusammenbrach, konnte nach 1919 nicht auf den Faschismus zurückgreifen, zudem das Proletariat noch eine bedrohliche Gefahr darstellte. Deshalb kämpften die Fraktionen des Kapitalismus gegen den Kapp-Putsch wie übrigens auch die Alliierten, die den Wert der unschätzbaren Hilfe der Sozialverräter erkannt hatten“ (BILAN Nr. 10, August 1934, "Die Ereignisse des 30. Juni in Deutschland").
Der gleichen Logik folgend unterstrich BILAN die Ergänzung und den Unterschied zwischen den beiden Herrschaftsformen des Kapitals – Demokratie und Faschismus – hinsichtlich der Art der Kontrolle über die Arbeiterklasse, wodurch die völlige Unterwerfung unter die Interessen des nationalen Kapitals ermöglicht wurde: "Zwischen Demokratie, dem größten Prunkstück, Weimar, und dem Faschismus, trat kein echter Gegensatz zutage: die eine ermöglichte die Niederschlagung der revolutionären Gefahr; sie zerstreute und schwächte das Proletariat, trübte sein Bewusstsein; der andere, wurde am Ende dieser Entwicklung die eiserne kapitalistische Ferse, der sein ganzes Wirken sowie die rigide hergestellte Einheit der kapitalistischen Gesellschaft auf der Grundlage der Erstickung jeder proletarischen Bedrohung stützte." (BILAN; Nr. 10, August 1934; "Die Ereignisse des 30. Juni 1934 in Deutschland"). "…die demokratische Herrschaft ist in vieler Hinsicht diejenige, die sich am meisten an die Bedürfnisse der Aufrechterhaltung ihrer Privilegien (d.h. des Bürgertums) anpasst, denn sie dringt viel geschickter als der Faschismus in die Köpfe der Arbeiter ein. Sie greift diese von Innen an, während der Faschismus eine Reifung innerhalb der Klasse gewalttätig niederschlägt, weil es dem Kapitalismus nicht gelingt, diese aufzulösen" (BILAN, Nr. 22, August 1935, "Die Probleme der Lage in Frankreich").
"Unter dem Zeichen der Volksfront ist die "Demokratie" zum gleichen Ergebnis gekommen wie der "Faschismus": Die Niederschlagung des französischen Proletariats und ihr Verschwinden von der Bühne der Weltgeschichte. Infolge einer tiefgreifenden, weltweiten Niederlage besteht das Proletariat vorübergehend nicht mehr als Klasse" (BILAN; Nr. 29, März-April 1936; "Die Niederschlagung des französischen Proletariats und die daraus hervorgehenden internationalen Lehren").
Der Faschismus schließt die Niederlage des Proletariats ab
Wie Bordiga deutlich gezeigt hatte, übernimmt der Faschismus eine Rolle gegenüber der gesamten Gesellschaft, indem er eine entsprechende Organisationsform zur beschleunigten Vorbereitung des Krieges schafft. Gegenüber der Arbeiterklasse drückt sich dies aus durch "das Bedürfnis eines Herrschaftsapparates aus, welcher nicht nur die Widerstandsbewegungen oder die Revolten der Unterdrückten niederschlägt, sondern auch einen Apparat schafft, dem es gelingt, die Arbeiter für den Krieg zu mobilisieren" (BILAN, Nr. 10, August 1934, "Die Ereignisse des 30. Juni in Deutschland"). Gegenüber einer Arbeiterklasse, die ihre Fähigkeit zu revolutionären Kämpfen unter Beweis gestellt hatte, musste die herrschende Klasse in der Tat möglichst viele Mittel einsetzen, um dessen Bewusstwerdung und mögliche Erhebung während des imperialistischen Krieges zu verhindern, trotz der physischen und ideologischen Niederlage, die sie schon erlitten hatte. "Die Gewalt hatte nur nach der Machtübernahme der Faschisten einen Sinn - dies geschah nicht als eine Reaktion auf einen proletarischen Angriff, sondern nur um ihn vorzubeugen.“ (Bilan Nr.16, 1935 „Die Niederschlagung der Arbeiterklasse in Deutschland und der Aufstieg des Faschismus“) Der Faschismus musste diese Aufgabe übernehmen, die Niederlage des Proletariats zu vollenden, da er die Staatsführung übernommen hatte.
Die Vorstellung eines nicht-kapitalistischen Wesens des Faschismus im Dienste der antifaschistischen Verschleierungen
Alle Verfechter des Antifaschismus und der "demokratischen Freiheiten" berufen sich auf das angeblich unterschiedliche Wesen des Kapitalismus – je nachdem ob dieser faschistisch, totalitär oder demokratisch sei. Dagegen wandte sich BILAN:
„Wenn wir andererseits wiederum untersuchen, woher die Idee des Antifaschismus stammt – zumindest in ihren programmatischen Aussagen –, kann man sehen, dass sie auf eine Trennung zwischen Faschismus und Kapitalismus zurückgeht. Es stimmt, wenn man zu dieser Frage einen Sozialisten, einen Zentristen oder einen leninistischen Bolschewik befragt, werden sie alle behaupten, dass der Faschismus eigentlich Kapitalismus ist. Aber der Sozialist wird meinen: „Es ist unser Interesse, die Verfassung und die Republik zu verteidigen, um den Sozialismus vorzubereiten.“ Der Zentrist wird aussagen, dass man den Zusammenschluss der kämpfenden Klasse leichter um den Antifaschismus herstellen kann als um den Kampf gegen den Kapitalismus. Der leninistische Bolschewik wiederum wird behaupten, es gebe keine bessere Grundlage für den Zusammenschluss und den Kampf als die Verteidigung der demokratischen Institutionen, welche der Kapitalismus nicht mehr der Arbeiterklasse sicherstellen kann. Somit kann die allgemeine Behauptung, „Der Faschismus bedeutet Kapitalismus“ zu politischen Schlussfolgerungen führen, die darauf zurückzuführen sind, dass Faschismus und Kapitalismus losgelöst voneinander gesehen werden“ (Bilan, Nr.7,,Antifaschismus – eine irreführende Ausrichtung“).
Das Proletariat wählt nicht die Herrschaftsform, der es unterworfen wird
Alle Teile der Herrschenden arbeiten auf die Verstärkung des Staatskapitalismus hin, egal welche Form diese Verstärkung annimmt – ob die stalinistische, faschistische oder demokratische. Die Umsetzung dieser Tendenz hängt nicht vom Willen bestimmter Teile der Herrschenden zu einem gegeben Zeitpunkt ab, sondern von historischen Bedingungen. Keiner der Ausdrücke des Staatskapitalismus stellt ein "geringeres Übel" für die Arbeiterklasse dar, denn die Arbeiterklasse verfügt über keine Macht in der Gesellschaft (im Zeitraum des Niedergangs des Proletariats), um den historischen Kurs hin zu der einen oder anderen Form zu beeinflussen. BILAN hinterfragt diejenigen, die die entgegengesetzte These vertreten: Wenn die Arbeiterklasse über solch eine politische Macht innerhalb der Gesellschaft verfügte, warum sollte sie diese dann nicht einsetzen zugunsten einer eigenen politischen Macht? Wenn man die falsche Wahl zwischen verschiedenen bürgerlichen Fraktionen verwirft, heißt das überhaupt nicht indifferent gegenüber den Klasseninteressen der Arbeiterklasse zu sein. Und wenn die herrschende Klasse sich entschließt, auf die Sozialdemokratie an der Regierung zurückzugreifen, setzt sie eine Trumpfkarte gegen die Arbeiterklasse ein.
"Man wirft uns vor, dass es uns gleichgültig sei, ob es eine rechte, linke oder faschistische Regierung gebe. Aber gegenüber dieser Frage wollen wir ein für allemal das folgende Problem aufwerfen: In Anbetracht der Änderungen der Lage nach dem Weltkrieg, stellt da nicht die Position, welche unsere Kritiker vom Proletariat verlangen, nämlich zwischen den am wenigsten schlechten Organisationsformen des kapitalistischen Staates zu wählen, die gleiche Position dar, welche von Bernstein vertreten wurde, welcher das Proletariat dazu aufrief, die beste Form des kapitalistischen Staates umzusetzen? Vielleicht antwortet man, es werde vom Proletariat nicht verlangt, die Sache der Regierung zu unterstützen, welche aus proletarischer Sicht als die beste Herrschaftsform angesehen werden könnte, sondern man wolle einfach die Positionen des Proletariats dadurch stärken, indem man dem Kapitalismus eine demokratische Herrschaftsform aufzwinge. In diesem Fall würde man nur die Sprache ändern, der Inhalt bliebe gleich. Wenn das Proletariat tatsächlich in der Lage wäre, der Bourgeoisie eine Regierungsform aufzuzwingen, warum sollte es sich dann auf ein solches Ziel beschränken, anstatt die zentralen Forderungen für die Zerstörung des kapitalistischen Staates vorzubringen. Andererseits wenn seine Kraft noch nicht für die Auslösung eines Aufstandes ausreicht, bedeutet die Orientierung des Proletariats hin zu einer demokratischen Regierung nicht, es anzuspornen zu einem Sieg über den Feind?
Das Problem besteht aber bestimmt nicht darin, wie es die Anhänger der "besten Wahl" sehen: das Proletariat hat seine Lösung des Problems des Staates. Und es hat keine Macht, keine Initiative hinsichtlich der Lösungen, die der Kapitalismus für das Problem seiner Macht bietet. Es liegt auf der Hand, dass man logischerweise mehr sehr schwache bürgerliche Regierungen finden kann, welche die Entwicklung des revolutionären Kampfes des Proletariats erleichtern werden. Aber es liegt vor allem auf der Hand, dass der Kapitalismus nur dann linke oder linksradikale Regierungen bilden wird, wenn diese unter den gegebenen Bedingungen der besten Form seiner Verteidigung entsprechen. 1971-21 kam die Sozialdemokratie an die Regierung, welche die bürgerlichen Interessen verteidigte und sie war die einzige Formation, welche eine Niederschlagung des Proletariats ermöglichte. Wenn man davon ausgeht, dass eine rechte Regierung direkt die Massen hin zum Aufstand orientiert hätte, hätten die Marxisten die Machtübernahme solch einer reaktionären Regierung befürworten sollen? Wir stellen diese Hypothese auf, um zu beweisen, dass es keine Formel einer "besseren oder schlechteren Regierung", die für das Proletariat allgemeingültig wäre, geben kann. Diese Begriffe dienen nur dem Kapitalismus in bestimmten Lagen. Die Arbeiterklasse hat dagegen zur Aufgabe, sich auf der Grundlage von Klassenpositionen zusammenzuschließen, um den Kapitalismus in all seinen Formen zu bekämpfen, sei es in seiner faschistischen, demokratischen oder sozialdemokratischen Gestalt" (BILAN, Nr. 7, "BILAN; Antifaschismus Nr. 7, Eine irreführende Ausrichtung" ).
Die Alternative Faschismus / Antifaschismus dient ausschließlich der kapitalistischen Herrschaft
Der Faschismus ist nicht der einzige Ausdruck der Tendenz zum Staatskapitalismus. Angetrieben durch die Notwendigkeit der Kriegsvorbereitungen, beeinflusste dieser alle Staaten, aber diese Tendenz kam je nach den Umständen in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck. “Wir können heute zum Beispiel feststellen, dass sich nach 14 Jahren Faschismus in Italien nach der Zuspitzung der inter-imperialistischen Spannungen, die faschistische Bewegung kaum weiter ausbreitet, und dass sich dagegen der Gang der Ereignisse, welche zum Krieg führten, unter dem Schild des Antifaschismus in Frankreich abspielt oder der Abwesenheit eines jeglichen Nährbodens für den Faschismus und den Antifaschismus in England, eines der wohlhabendsten Kolonialreiche. Die Erfahrung zeigt jeden Tag, dass die unterschiedlichen diktatorischen oder faschistischen und liberalen oder demokratischen Regime an der Front der zwischenstaatlichen Kämpfe das Dilemma "Diktatur-Demokratie" entstehen lassen. Dies wurde schließlich zur Fahne, unter der später die Arbeitermassen für das weltweite Abschlachten mobilisiert wurden" (Bilan, Nr. 22, August-September 1935, Bericht zur Lage in Italien).
Die Mobilisierung der Arbeiterklasse für die antifaschistischen Fronten bedeutete natürlich ihre Mobilisierung für den imperialistischen Krieg. Diese Perspektive bahnte sich während der 1930er Jahre durch eine Reihe von Verzichten des Proletariats auf seine Klassenforderungen im ökonomischen Kampf unter dem Einfluss der verschiedenen antifaschistischen und demokratischen Komponenten der Bourgeoisie an: "In den letzten Monaten sind eine Reihe von Programmen und Plänen entwickelt und antifaschistische Organisationen in die Welt gesetzt worden, aber das hat keinesfalls Doumergue daran gehindert, die Renten massiv zu kürzen und somit ein Signal zu setzen für Lohnkürzungen, die der französische Kapitalismus überall durchdrücken will. Wenn auch nur ein Hundertstel der Aktivitäten, die um die Frage des Antifaschismus entfaltet wurden, auf die Bildung einer festen Front der Arbeiterklasse für die Auslösung eines Generalstreiks zur Verteidigung unmittelbarer Forderungen verwandt worden wären, ist es ganz klar, dass die Repressionsdrohungen nicht hätten umgesetzt werden können und die Arbeiter, sobald sie sich auf der Grundlage ihrer Klasseninteressen zusammengefunden hätten, wieder Selbstvertrauen gefasst hätten. Damit hätte eine Wende herbeigeführt werden können, in der wieder die Machtfrage hätte gestellt werden können, und zwar in der einzigen Form, in der sie für die Arbeiterklasse gestellt werden kann: Diktatur des Proletariats (…) Eine konkrete Position des Problems zeigt, dass die Formel des Antifaschismus nur Verwirrung stiftet und die sichere Niederlage der Arbeiterklasse vorbereitet" (BILAN, Nr. 7, Der Antifaschismus – Eine irreführende Ausrichtung" ).
Gegenüber der vorherrschenden Verwirrung stand BILAN vor der Aufgabe der Wiederherstellung des Marxismus, um so einen Kampf gegen die demokratischen Illusionen zu führen.
„Aber hier handelt es sich um den Bereich marxistischer Kritik, der die Unterdrückung der Klasse hinter der demokratischen und liberalen Fassade aufdeckt, und der gerade Marx zu der Schlussfolgerung führte, dass das Synonym von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" tatsächlich "Infanterie, Kavallerie und Artillerie" lautet“ (Bilan, Nr. 13, Faschismus, Demokratie, Kommunismus). Im gleichen Artikel erinnert Bilan an die Grundlagen des Marxismus hinsichtlich der Demokratie. „Am Ende des Weges des Klassenkampfes steht nicht das System der reinen Demokratie, denn das Grundlagenprinzip der kommunistischen Gesellschaft ist die Abwesenheit einer staatlichen, die Gesellschaft führenden Macht, während die Demokratie sich gerade darauf stützt. In ihrer liberalsten Erscheinung versucht sie immer die Ausgebeuteten zu verleumden, sie anzugreifen, die es wagen, ihre Interessen mit Hilfe ihrer Organisation zu vertreten, anstatt weiterhin den demokratischen Institutionen unterworfen zu bleiben, die nur dazu geschaffen wurden, um die Klassenausbeutung aufrechtzuhalten.“ Bilan erklärte „warum die Verteidigung der Demokratie in Italien - wie auch in Deutschland - letztendlich nur eine notwendige Bedingung für den Sieg des Faschismus war. Denn was unrichtigerweise "faschistischer Staatsstreich" genannt wird, ist schließlich ein mehr oder weniger friedlicher Machtwechsel zwischen einer demokratischen und einer neuen faschistischen Regierung.“ Es zieht daraus die Schlussfolgerung: „Das zu lösende Problem ist nicht die Zuordnung für das Proletariat von x-möglichen politischen Positionen für jeden möglichen Gegensatz in den verschiedenen Situationen, indem man es an dieses oder jenes Monopol oder den Staat bindet, die sich jeweils gegenüberstehen. Nein, das Proletariat muss seine organische Unabhängigkeit gegenüber jedem politischen und ökonomischen Ausdruck der Welt des Klassenfeindes bewahren“ (ebenda).
Daraus folgte klar, dass die Alternative Faschismus / Antifaschismus für das Proletariat eine falsche Alternative ist, die dazu dient, es von seinem Klassenterrain abzubringen. „Das Dilemma Faschismus-Antifaschismus wirkt ausschließlich zugunsten der Interessen des Feindes, und der Antifaschismus, die Demokratie betäuben die Arbeiter. (…) Diese Waffe des Antifaschismus lässt die Arbeiter blind werden, damit sie nicht mehr ihr eigenes Feld und den Weg ihrer Klasse sehen“. (ebenda)
Die revolutionären Organisationen seit dem 2. Weltkrieg
In diesem Teil beschränken wir uns auf die Organisationen, die ihren Ursprung in der Italienischen Linken haben, und wir lassen dabei absichtlich die rätekommunistischen Strömungen außer Acht, da ihre militanten Aktivitäten und ihre Veröffentlichungen zum hier behandelten Thema trotz allem relativ zweitrangig waren. Diese Organisationen gehören zwei Flügeln der Kommunistischen Linken Italiens an: dem Flügel, der aus der in Italien 1943 entstandenen PCI hervorgegangen ist, und dem Flügel, der aus der Kommunistischen Linken Frankreichs hervorging, welcher die opportunistischen Grundlagen bei der Bildung der PCI nicht akzeptierte. Der erste Flügel, der sich nicht direkt auf BILAN beruft und einige der Beiträge von BILAN verwirft, brachte nach einer Spaltung 1952 verschiedene bordigistische Organisationen hervor, und andererseits die PCInt Battaglia Comunista. Der zweite Flügel, die Kommunistische Linke Frankreichs, die mehr unter dem Namen ihrer Zeitschrift Internationalisme bekannt ist, und die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre bis Anfang der 1950er Jahre aktiv war, war der Vorfahre der IKS.
Diese beiden Komponenten berufen sich auf das Erbe Bordigas und BILANs hinsichtlich der Analyse des Faschismus und der falschen Alternative Faschismus/Antifaschismus. Aber sie zeigten nicht die gleiche Unnachgiebigkeit gegenüber Gruppen oder Leuten, die sich während des 2. Weltkriegs am “antifaschistischen Kampf” in unterschiedlichem Maße beteiligt hatten, und sich am Ende des Krieges weiter auf die Kommunistische Linke beriefen und von denen sich einige (Vercesi) gar an der Gründung der IKP-Italiens beteiligten. Darüber hinaus gelang es diesen beiden Komponenten nicht, ihren Analyserahmen an die Lage, die durch 1968 angebrochen war, auf die gleiche Weise anzupassen. Seitdem besteht die Perspektive in der Entwicklung des Klassenkampfes; die Übernahme der Macht durch den Faschismus steht nicht mehr auf der Tagesordnung, solange der Kurs hin zu verstärkten Klassenzusammenstößen andauert. Die Entblößung der faschistischen Gefahr, wie sie heute von den Bürgerlichen an die Wand gemalt wird, muss mit dieser Perspektive vor Augen erfolgen und nicht der der Wiederholung der 30er Jahre. Aber während es im Gegensatz zu den 30er Jahren der herrschenden Klasse heute nicht möglich ist, das Proletariat für einen imperialistischen Krieg zu mobilisieren, erfüllen die gegenwärtigen Kampagnen gegen die “faschistische Gefahr” eine arbeiterfeindliche Rolle, denn sie sollen die demokratische Verschleierung verstärken.
Internationalisme
Die Wachsamkeit Internationalismes bei der Verteidigung des politischen Erbes, das von Bilan überliefert wurde, wird anhand des ‚Falls Vercesi‘ deutlich. Trotz seiner fehlerhaften Theoretisierungen hinsichtlich des Wesens des imperialistischen Krieges (6) hatte dieser Militant zuvor entschlossen den Antifaschismus als ein Instrument der Mobilisierung des Faschismus für den imperialistischen Krieg angeprangert. Aber während des 2. Weltkrieges beteiligte er sich am Antifaschistischen Komitee Brüssels, ohne davon die Italienische Fraktion, der er weiter angehörte, zu unterrichten. Nachdem diese davon erfahren hatte, schloss sie diesen am 20. Januar 1945 aus ihren Reihen aus. Man könnte dabei stehen bleiben, die ganze Angelegenheit des Verrats Vercesis zu bedauern, wenn dieser sich nicht nach dem Krieg an der Gründung der IKP beteiligt und sein gleichzeitiges Engagement auf Seiten der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie zu begründen versucht hätte. Diese Rechtfertigung stellt aber eine Infragestellung der Grundlagen der internationalistischen Position Bilans dar. Im Juni 1945 stellte sich Internationalisme entschlossen gegen solch eine Begründung: “Der Trotzkismus berief sich später auf die Dritte Internationale, um dann der sozialistischen Partei und den Parteien der Zweiten Internationale beizutreten. Die stalinistischen Parteien beriefen sich auf Lenins frühere Position gegen den Krieg, nur um den Krieg heute zu unterstützen. Die Anarchisten beriefen sich auf Bakunin bei ihrer Verwerfung der staatlichen Repression, wobei sie gleichzeitig ihre Unterstützung des kapitalistischen spanischen Staates und dessen Repression gegen die Arbeiter 1936 rechtfertigten. Vercesi machte keine Ausnahme; er ‚bestätigte‘ seine frühere Position gegen den Antifaschismus, um den heutigen Antifaschismus zu bekräftigen. Schauen wir, was er schreibt: “Ich bestätige also, dass es richtig war kundzutun, dass die indirekte Taktik, die in der antifaschistischen Formel zum Ausdruck kam, zu einem Prinzipienbruch führte. Der Krieg bewies dies. Heute bestätigt sich dies erneut, wenn wir gegenüber dem kapitalistischen Staat, welcher unfähig ist den Faschismus und die Faschisten zu liquidieren, die gewalttätige Opposition des Proletariats gegen die Faschisten und den Faschismus fordern, und auf den Zusammenprall zwischen dem Proletariat und dem kapitalistischen Staat hinarbeiten. ”Damit die vielen Worte nicht verhindern, dass der Leser den Kern der Debatte aus den Augen verliert, möchten wir hervorheben, dass es nicht darum geht, ob man den gewalttätigen Widerstand des Proletariats gegen den Faschismus fordert. Damals wie heute forderten und fordern wir weiter den Widerstand des Proletariats gegen den Faschismus. Die Frage ist, wie, mit welcher Methode, auf welcher Grundlage muss dieser Aufruf erfolgen? Soll dieser Widerstand auf der Grundlage des Klassenkampfes, mit einer Klassenperspektive, auf unabhängigem Klassenboden, unabhängig von allen politischen und organisatorischen Gebilden des Kapitalismus geleistet werden, oder soll dies durch Zusammenarbeit mit den Gruppen geschehen, die mit dem Faschismus aufgrund ihres Klassencharakters verbunden sind? D.h. durch antifaschistische Komitees, in dem diejenigen zusammengeschlossen werden, die dem Faschismus den Weg bereitet haben? Nur darum dreht sich die Debatte, und das ganze Geschwafel um die Aufforderung des Kampfes gegen den Faschismus vernebelt nur die ganze Frage” (Internationalisme, Nr. 4, Der Neo-Antifaschismus, Juni 1945).
Während Internationalisme nichts Spezifisches zur Bereicherung der Analyse Bilans zur Frage des Faschismus und Antifaschismus beitrug, leistete es jedoch einen wesentlichen Beitrag zur Verstärkung der theoretischen Grundlagen dieser Analyse und seiner Beziehung zum Staatskapitalismus. Internationalisme, das die Grundlagen der Analyse des kapitalistischen Wesens Russlands vertiefte, unterstrich insbesondere: “Man kann die Tendenz nicht leugnen, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln immer mehr beschränkt wird; dies ist in immer mehr Ländern zu beobachten. Diese Tendenz konkretisiert sich in der Bildung eines Staatskapitalismus, welcher die Hauptbranchen der Produktion und des Wirtschaftslebens insgesamt verwaltet. Der Staatskapitalismus ist kein Anhängsel einer Fraktion der Bourgeoisie oder einer besonderen Schule. Er hat sich sowohl im demokratischen Amerika wie in Hitler-Deutschland und im von der Labour-Partei regierten England wie im ‚sowjetischen‘ Russland niedergelassen” (Internationalisme, Nr. 10. Die russische Erfahrung).
Der Bordigismus
Dank des programmatischen Rahmens, der von der Italienischen Linken geerbt wurde, veröffentlichte die IKP 1960 in ihrer Zeitschrift Programme Communiste Nr. 11 den wichtigen Artikel "Auschwitz oder das große Alibi", der seitdem als Broschüre veröffentlicht wurde.
Dieser Artikel wendet ausgezeichnet den Marxismus auf die Analyse des Holocausts während des 2. Weltkriegs an und entlarvt die ideologische Ausbeutung der Todeslager durch die Demokratie und die Siegermächte des 2. Weltkriegs. Es ist kein Zufall, dass dieser Artikel auf dem Höhepunkt der jüngsten antifaschistischen Kampagnen der Demokratien (7) die Angriffe der Herrschenden auf sich gezogen hat. Die demokratischen und linksextremen Fraktionen haben die Aufgabe übernommen, diesen Text mittels Verleumdungen und Lügen zu zerreißen. Denn der Text prangert die "Heuchelei der Bourgeoisie an, die uns glauben machen wollen, dass Rassismus und Antisemitismus für die Leiden und die Massaker verantwortlich seien, die insbesondere den Tod von sechs Millionen Jugend im 2. Weltkrieg verursacht haben. Der Text legt die wirklichen Wurzeln für die Auslöschung der Juden bloß. Diese Wurzeln können nicht im Bereich der ‚Ideen‘ gefunden werden, sondern in der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft selbst und der gesellschaftlichen Widersprüche, die dieser hervorbringt. Er verdeutlicht ebenso, „während der deutsche Staat der Henker der Juden war, in Wirklichkeit alle bürgerlichen Staaten mitverantwortlich sind für deren Tod, über den sie jetzt Krokodilstränen vergießen.“ (siehe unseren Artikel „Antinegationistische Kampagnen – ein Angriff gegen die Kommunistische Linke“).
So aufschlussreich dieser Artikel auch ist und obwohl im Allgemeinen die Analysen der IKP zur Frage des Faschismus und des Antifaschismus richtig sind, sind diese dennoch von einigen Schwächen geprägt, die wir erwähnen wollen. Der folgende Auszug aus einem Flugblatt der IKP („Auschwitz oder das große Alibi: was wir leugnen und was wir bekräftigen"), das zur Verteidigung ihrer Broschüre gegen die Angriffe der Bourgeoisie verfasst wurde, belegt dies: "8) Wir leugnen, dass man gegen den Faschismus kämpfen kann, indem man die Aufrechterhaltung einer idealisierten Demokratie fordert. Wir verneinen auch, dass man gegen die Monopole kämpfen könne, indem man für die freie Konkurrenz plädiert. Wir bekräftigen, dass ein 'wirklicher Kampf' gegen den Faschismus verlangt, dass man einen wirklichen Kampf gegen den Kapitalismus führt. Wir behaupten sogar, dass die antifaschistische Propaganda nur auf der Grundlage einer ernsthaften antikapitalistischen Propaganda betrieben werden kann.
9) Wir leugnen, dass wichtige Fraktionen der Bourgeoisie wirksam gegen den Faschismus kämpfen können. Wir bekräftigen, wenn die Lage es erforderlich macht, schließen sich die ausschlaggebenden Zentren des Großkapitals dem Faschismus an. Sie ziehen dabei eine große Mehrheit Bürgerlicher und Kleinbürger auf ihre Seite.
10) Wir verneinen, dass große antifaschistische Fronten sich ernsthaft dem Aufstieg des Faschismus entgegenstellen. Wir sagen, dass diese in Wirklichkeit einen wirksamen antifaschistischen Kampf verhindern: Die Geschichte und Theorie – wie die gegenwärtige Polemik es belegt – unter dem Vorwand, dass man die Einheit aufrechterhalte und die "Front" nicht aufbrechen wolle, untersagt den radikalsten Leuten noch nicht mal auf Propagandaebene einen konsequenten anti-kapitalistischen Kampf zu führen."
Ungeachtet all der Einschränkungen, die im Kampf gegen den Faschismus entstehen, lassen diese Zeilen, aus einer Perspektive der Arbeiterklasse gesehen, den Weg offen für die Möglichkeit und Notwendigkeit eines solchen Kampfes. Auch ist damit die Idee verbunden, dass der Faschismus heute für die Arbeiterklasse eine Gefahr bedeutet. So verstärkt die IKP, ohne sich dessen bewusst zu sein, die Glaubwürdigkeit der Kampagnen der Herrschenden, welche vor der faschistischen Gefahr warnen. Aber wie wir aufgezeigt haben, stehen wir heute nicht vor der Gefahr des Faschismus, sondern die Hauptgefahr für die Arbeiterklasse besteht darin, dass sie sich für die Verteidigung der Demokratie einspannen lässt. Wenn in den Kampagnen zur Verteidigung der Demokratie, die vor allem von den linken und extrem-linken Parteien des Kapitals getragen werden, vor der extremen Rechten als einer tödlichen Gefahr für die Arbeiterklasse gewarnt wird, soll damit das wahre Gesicht der Demokratie vertuscht werden. Die rechten und extrem-rechten Parteien sind natürlich offen gegen die Arbeiterklasse eingestellt. Aber die Linken und Extrem-Linken Gruppen handeln viel verdeckter und eigentlich wirksamer gegen die Arbeiterklasse, dadurch werden sie für die Arbeiterklasse viel gefährlicher. Die KPs und SPs sind schon als Henker der Arbeiterklasse aufgetreten. Sie werden dies erneut tun, genau so wie die extreme Linke, wenn die Bedingungen dafür vorhanden sind.
Diese Schwächen der Intervention der IKP sind nicht auf eine unvollkommene theoretische Analyse zurückzuführen, sondern auf eine Tendenz, die von der Linken in Italien verwendeten Parolen schematisch zu übertragen, als diese zu Beginn der 1920er Jahre mit dem Faschismus an der Macht konfrontiert war. Auf dem damaligen Hintergrund, der sich von der heutigen Lage stark unterscheidet, hatten diese Parolen gegen den Faschismus eine andere Bedeutung, da sie der Mobilisierung gegen eine an der Macht befindliche Partei dienten, welche die Staatsgeschäfte führte. Damit waren diese gegen die Macht und die kapitalistische Gesellschaft insgesamt gerichtet.
(Fußnoten)
1) Man muss feststellen, dass dieser Absatz im Gegensatz zu den späteren Theoretisierungen und der programmatischen Positionen der bordigistischen Anhänger Bordiga zur Zeit der revolutionären Welle die Idee nicht verwarf, dass der Kapitalismus in seine Niedergangsphase eingetreten war.
2) Zu denjenigen, die die Analyse vertraten, dass der Faschismus ein Ausdruck einer reaktionären Bewegung war, gehörte auch Gramsci, aus dessen Sicht der Faschismus ein Ausdruck der rückständigen Bauernschichten Süditaliens war. Die Wirklichkeit bestätigte die Analyse Bordigas insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass der Faschismus wie auch die Demokratie dazu in der Lage seien, die Produktivkräfte zu entwickeln.
(3) Die totalitäre und karikaturale Form, welche der Staatskapitalismus in der UdSSR annahm, ist durch die besonderen historischen Bedingungen zu erklären, unter denen er entstanden ist. Die Bourgeoisie in Russland, welche sich im Rahmen der inneren Entartung der Revolution bildete, ging nicht aus der alten zaristischen Bourgeoisie hervor, die durch das Proletariat 1917 abgeschafft worden war, sondern aus der parasitären Bürokratie des Staatsapparates, mit der sich die Bolschewistische Partei unter der Führung Stalins immer mehr vermischte. Es war die Bürokratie des Partei-Staates, welche die Kontrolle dieser Wirtschaft durch die Eliminierung Ende der 1920er Jahre aller Teile, die eine Privatbourgeoisie hätten bilden können, und mit der sie sich verbündet hatte, übernahm, um die Verwaltung der Volkswirtschaft sicherzustellen (Landbesitzer und Spekulanten des NEP).
(4) Die Position der IKS ist, dass die Arbeiterklasse ihre Unabhängigkeit als Klasse gegenüber diesem Halbstaat bewahren muss, der mit der Entfaltung der Weltrevolution absterben muss, und der wie jeder Staat von seinem Wesen her konservativ ist. In ihren Räten organisiert, muss die Arbeiterklasse auch die Aufgabe der Umwandlung der Gesellschaft anpacken, mittels der Diktatur über die ganze Gesellschaft und den Staat selbst.
(5) Wie wir in der Einleitung zu dieser Broschüre gesagt haben, stellte sich Bilan die Aufgabe, die Lehren aus der ersten Welle revolutionärer Kämpfe und ihrem Scheitern als Vorbedingung für den Sieg einer zukünftigen proletarischen Erhebung zu ziehen. Aber die Klarheit hinsichtlich der wesentlichen Frage des Zeitraums entstand nicht spontan und unmittelbar, sondern dank eines kollektiven Nachdenkens und der Gegenüberstellung dieser Analyse mit der Wirklichkeit. So benutzte Bilan damals noch Formulierungen wie die UdSSR als "Arbeiterstaat" und von den kommunistischen Parteien als "zentristischen" Parteien. Erst im 2. Weltkrieg entwickelte die Italienische Linke eine umfassendere Analyse des kapitalistischen Wesens der UdSSR und der stalinistischen Parteien. Aber das hinderte die Revolutionäre schon in den 1930er Jahren nicht daran, die Stalinisten rücksichtslos und energisch als die Kräfte zu entblößen, "die für die Konsolidierung der kapitalistischen Welt insgesamt wirken", und somit "ein Element beim Sieg der Faschisten" sind. Dieses Hinterherhinken Bilans gegenüber der Lage kann durch die Tatsache erklärt werden, dass die Gruppe noch geprägt war von den Verwirrungen, die mit der großen Verbundenheit der Revolutionäre mit dieser einzigartigen Erfahrung zusammenhing.
Aber aus der Sicht Bilans hat Russland mehr als das Wirken des Kapitals in den anderen Teilen der Welt die entscheidende Rolle bei dem Sieg der Konterrevolution gespielt: "Die Rolle Russlands hat mehr dazu beigetragen, die Idee der proletarischen Revolution und des proletarischen Staates zu Grabe zu tragen als die furchtbare Repression durch den Kapitalismus" (Bilan, Nr. 17, April 1935, Von der Pariser Kommune zur russischen Kommune.)
(6) Am Vorabend des Krieges beteiligte er sich 1937 an der politischen Entwaffnung der Fraktion durch seine Theorie, der zufolge der Weltkrieg nicht mehr auf der Tagesordnung der Geschichte stünde, die lokalen Kriege hätten zur Folge, dass der Ausbruch des Weltkrieges hinausgeschoben würde. Dieser gleichen Theorie zufolge besteht die Funktion des Krieges nicht mehr in der Neuaufteilung des Weltmarktes, sondern in der Massakrierung der Arbeiterklasse.
(7) Auszug aus der Einleitung zur Wiederveröffentlichung des Artikels in Form einer Broschüre als Beilage zur Zeitung „Le Prolétaire“ der Internationalen Kommunistischen Partei (Programme communiste).
(8) siehe unseren Artikel: "Antinegationistische Kampagnen: ein Angriff gegen die Kommunistische Linke"…